Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 25. September 07

Bei der Geburtstagsfeier für Dr. Dieter Maisch stand zu erwarten, daß sich hier vor allem Läufer und Mediziner begegnen würden. Manche kannten einander, hatten sich aber Jahre nicht mehr gesehen. Haben wir uns verändert? Einer sprach es aus, und jeder sah wie verabredet an sich herunter: Im Grunde, auch wenn einige wie ich über einen Bauchansatz klagten, waren wir alle schlank geblieben. Keiner von uns hatte Übergewicht. Es war nicht Fachsimpelei, sondern wirkliche Besorgnis, daß die Ärzte sofort auf die Folgen des Übergewichts kamen. Diabetes mellitus ist bereits als Volkskrankheit bezeichnet worden. Meine Gesprächspartner sehen mit der weiteren Zunahme von Diabetes, dies schon im Kindesalter, eine Gesundheitskatastrophe auf uns zukommen.

Sprachkritisch: „Volkskrankheit“ darf man sagen. Das Gegenstück ist „Volksgesundheit“, das jedoch ist von den politisch Korrekten jahrelang in die rechte Ecke gestellt worden, denn auch die Nazis hatten es mit der Volksgesundheit. So ist es wohl auch um die „Entartung der Kultur“ bestellt, die ein konservativer Kardinal am Horizont sieht. Denn „entartet“ darf man nicht mehr sagen, wohl aber, „durchführen“, „Einsatz“, „fanatisch“, „Gefolgschaft“, „innerer Schweinehund“, „Körperertüchtigung“, „Mangelware“, „Schriftleiter“ und was der Nazi-Vokabeln, die es aber erst durch die Nazis geworden sind, mehr sind. „Zinsknechtschaft“ ist nicht erlaubt, auch wenn jeder Mensch Knecht der Zinswirtschaft geworden ist. Wer bestimmt eigentlich, was man sagen darf und was nicht? Ich nehme an, Politiker und Medienvertreter, die anderen am Zeuge flicken wollen, legen die Pfui-Worte fest. Also, wer Volksgesundheit im Auge hat, ist schon fast ein Nazi. Ich übertreibe nicht, ich habe nur Jutta Ditfurths „Entspannt in die Barbarei“ und die Dissertation von Angelika Uhlmann über Professor Wolfgang Kohlrausch gelesen. Der Satz aus einem Zeitschriften-Artikel „Krankheiten, die durch Unterlassung regelmäßiger Bewegung entstehen, sind selbst verschuldet“ genügt bereits, den Mitläufer Kohlrausch als der NS-Ideologie verhaftet abzustempeln. Man kann das Richtige wollen – wer ideologisch einmal in Verdacht geraten ist, hat Unrecht.

In den siebziger Jahren war es ein Verstoß gegen eine freiheitliche Gesellschaft, wenn man es den Menschen nicht überlassen wollte, ob sie ihre Gesundheit ruinierten oder nicht. Ich erinnere mich sehr wohl an einen Kollegen – längst ruht er unter der Erde –, der in seinen Kolumnen diese Freiheit nicht angetastet wissen wollte. Was ist inzwischen geschehen? Keineswegs die angeblich autoritätshörigen Deutschen standen vorn im Kampf gegen das Rauchen und seine tödlichen Folgen. Nur mit Mühe werden hier Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft erfüllt. Zigaretten und Alkohol darf nur noch kaufen, wer über achtzehn ist. Die Raucherecken in Schulhöfen, die in den siebziger Jahren als Ausweis der Erziehung zum mündigen Bürger galten, sind längst auf den ideologischen Müllhaufen gekehrt. Schon wird erörtert, ob man nicht den Lärmpegel in Diskotheken gesetzlich regulieren müsse, weil befürchtet wird, daß in absehbarer Zeit jeder Dritte schwerhörig sein werde. Diabetes mellitus ist eindeutig eine Stoffwechselkrankheit – komme keiner mit dem Argument, sie sei auch genetisch bedingt. Damit wird nur die Wahrheit übertüncht, daß die Krankheit in einer Generation ausgebrochen und die Disposition vererbt worden ist, so wie sich auch Rauchen, Alkohol und Drogen während der Schwangerschaft auf das Neugeborene auswirken. Wenn man von einer genetischen Disposition bei Diabetes mellitus spricht, ändert sich an der Ursache, der Fehlernährung, nichts. Einige Jahrzehnte wird es dauern, bis Studien zur eigentlichen Ursache vordringen. Erst dann und wenn die Gesundheitskatastrophe durch die Fehlernährung hereingebrochen sein wird und niemand weiß, wie die Folgen in den Griff zu bekommen sein werden, wird wie bei den Folgen des Rauchens oder der Drogen nach dem Staat gerufen werden. Vielleicht wird man in einem halben Jahrhundert so weit sein, daß Weißmehl und Zucker hoch besteuert werden. Gegenwärtig ist die Lebens- und Genußmittelindustrie noch so stark, wie es die Tabakindustrie jahrzehntelang war.

Vom Horror-Szenario zum Satyrspiel – die Fürther Landrätin Dr. Gabriele Pauli kann ich mir nicht entgehen lassen. Ich erkenne immer mehr, wie schwer es die Satiriker heute haben. Wer kann noch zwischen Satire und Realität unterscheiden? Die Ehe als befristeter Vertrag, die uns unsere Spitzenpolitiker längst vorgelebt haben, der Einfall eines Kabarettisten als familienpolitisches Konzept verkündet – die CSU jedenfalls hat es ernst genommen. Was, frage ich mich, will uns die fränkische Königsmörderin mit ihrer Provokation sagen? War es denn eine? Was eigentlich wollte sie uns als Domina sagen? Ist es der Versuch, mit typisch weiblichen Mitteln Profil um jeden Preis zu erlangen? Ist es eine Art weiblichen Witzes? Ich fürchte, Dr. Pauli wollte gar nicht provozieren. Als sie sich die angebotenen Latex-Handschuhe überstreifte, ist sie offenbar in eine Falle getappt. Sie wollte gar keine Domina sein. Und den Einfall des Kabarettisten Penzler hat sie offenbar allein deshalb in ihr politisches Manifest übernommen – urheberrechtlich nennt man das schlicht: Plagiat – , weil ihr die Idee tatsächlich gefallen haben mochte. Kabarett wäre es gewesen, wenn sie hinterher ätsch! gesagt und die Quelle samt ihrem Motiv aufgedeckt hätte. Schade, es wäre so erfrischend gewesen, wenn eine Kabarettistin die CSU-Bühne betreten hätte. Denn wenn schon Kabarettisten der Politik Stichworte geben, wenn manche guten Kabarettisten in ihrer Entrüstung schon nicht mehr komisch sind, sondern dem Publikum als moralische Instanzen die Leviten lesen, wie man sich das von Politikern mit Format wünscht, warum sollen dann Politiker nicht auch Kabarettisten sein? Was war denn der Einwurf des Abgeordneten Joseph Fischer gegen den Bundestagspräsidenten: „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“ anderes als ein kabarettistischer Versuch? Und der war immerhin noch besser als Steinewerfen, was für die Polizisten nicht im mindesten witzig war. Wenn man im Schaugewerbe einen Darsteller braucht, dessen komisches Talent im Fernsehen einer seriösen Unterfütterung bedarf, ist Norbert Blüm noch immer dafür gut. In den USA ist es geradezu notwendig geworden, eine ordentliche Schauspielausbildung zu haben, wenn man Präsident oder Gouverneur werden will. Bush hat zwar keine – im Gegensatz zu Reagan und Schwarzenegger – , aber er hat ja auch nur als Präsidentendarsteller fungiert, weil ihn andere auf die Bühne gestellt haben, diejenigen, die inzwischen, in der Einsicht, bei ihrer Regie einer Fehlbesetzung zum Opfer gefallen zu sein, wieder in die Kulissen abgetreten sind.

Eintragung vom 17. September 07

 

Bis zum Mai 1966 wußte ich nicht, daß es Menschen gab, die mehrmals in der Woche durch die Landschaft trabten; von der Existenz der wenigen Volksläufe hatte ich keine Ahnung. In der Zeitung stand davon nichts, allenfalls etwas in der betreffenden Lokalzeitung. Wahrscheinlich gab es einige Multiplikatoren in Turn- und Sportvereinen. Doch selbst dort wurde, bis auf Ausnahmen, nur auf der Aschenbahn gelaufen. Eine Laufbewegung konnte man noch nicht wahrnehmen, in der heutigen Rückschau gab es sie, allerdings nur in rudimentären Ansätzen. Ich hatte das Glück, vor 41 Jahren auf einen der wenigen Multiplikatoren außerhalb von Vereinen zu treffen. Es war ein Arzt, er wurde mein Laufmentor. Am 19. September fahre ich zu ihm, zu seinem 90. Geburtstag. Die Rede ist von Dr. med. Dieter Maisch in Kirchheim unter Teck, einem der stillen Laufpioniere im Lande.

Dr. med. Dieter Maisch: Erfolgreiche Starts in M 85

So wie mich seinerzeit der Zufall zu ihm geführt hatte, war er selbst durch einen Zufall zum Ausdauertraining Waldnieler Prägung gekommen. Er bezog seine Informationen, wie man im Schwäbischen sagt, nicht vom Schmiedle, sondern vom Schmied. Wegen Kreislaufbeschwerden infolge arbeitsbedingter Belastung hatte Dr. Maisch begonnen, wieder Sport zu treiben. Beim 400-m-Lauf für das Deutsche Sportabzeichen kam es 1962 zu einem Abriß der rechten Achillessehne. Kaum daß er sich von der Operation erholt hatte, erlitt er im Jahr darauf beim alpinen Skilauf auf der Parsennabfahrt eine Innenknöchelfraktur. Während der stationären Behandlung in Davos wurde er von seinem Kollegen und Sportarzt Dr. Zapp besucht. Er wiederum brachte ihn in Verbindung mit Dr. Ernst van Aaken. „Dieser betreute mich in rührender Weise“, so erinnerte sich Dr. Maisch, „so daß es bei Befolgung seiner Waldnieler Lauftechnik zu keinen wesentlichen Sportverletzungen mehr kam und ich andererseits im Laufe der folgenden Jahre diverse sportliche Wettkämpfe in meiner Altersklasse erfolgreich absolvieren konnte.“ Ernst van Aaken hatte dem damals üblichen Intervalltraining Freiburger Prägung – durch Professor Reindell und den Trainer Woldemar Gerschler – seine Methode des reinen Ausdauertrainings entgegengesetzt, nach dem Prinzip „Laufen lernt man durch Laufen“.

Dr. Maisch war also aus originärer Quelle aufs beste im Bilde, als ich zu ihm kam. Das hatte diesen Hintergrund: Im 40. Lebensjahr meinte ich, daß es an der Zeit sei, mich einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Der akute Anlaß war, daß ich durch ein Völlegefühl meine Leber spürte. Also wurde ich im zuständigen Kreiskrankenhaus in Nürtingen zu einer Laparoskopie stationär aufgenommen. Außerdem hatten mich seit längerem unerklärliche Kopfschmerzen malträtiert. Sie hatten mich vornehmlich sonntagnachmittags befallen, wenn ich in der Lokalredaktion der „Stuttgarter Zeitung“ Dienst hatte. Der Sonntagsdienst war damals wirklich hart: Man erschien um 13 Uhr, hatte kaum freie Minuten und verließ die Redaktion gegen 1 Uhr nachts. Was sich in der Woche auf mehrere Redakteure verteilte, mußte der Sonntagsdiensthabende allein bewältigen, nämlich die Post sichten, das aktuelle Material redigieren, Polizeirundrufe machen, Meldungen schreiben, die Zeitungsseiten zusammenstellen, erst für die Land-, dann die Kreis- und auf Mitternacht zu die Stadtausgabe. Wenn dann gegen 17 Uhr der Poststapel noch immer nicht abgearbeitet war, das für den Druck bestimmte Material aber redigiert und in die Setzerei gegeben sein mußte – denn um 19.30 Uhr hatte man in der Setzerei zu sein, um mit dem Metteur den Bleisatz zu „umbrechen“ – , überfiel mich rasender Kopfschmerz, ein typisches Überforderungssyndrom, eine Migräne. Als Patient lernte ich Dr. Maisch kennen, denn er ist Nervenarzt.

Dieter Maisch, geboren am 19. September 1917 in Stuttgart, hatte dort das Karlsgymnasium besucht und eigentlich Berufsoffizier werden wollen. 1935 bewarb er sich mit zwei Klassenkameraden als Offiziersanwärter bei der Nachrichtenabteilung in 25 in Stuttgart-Bad Cannstatt (sein Gedächtnis ist absolut intakt). Die eher athletisch gebauten Klassenkameraden bestanden die Prüfung ohne weiteres; Dieter Maisch jedoch als etwas schmächtiger Jüngling wurde abgewiesen; der Sanitätsfeldwebel, der die Vorsortierung vornahm, kränkte ihn mit der Bemerkung: „Leute mit einem solchen Tango-Körper können wir als Offiziere nicht gebrauchen.“ „Tango-Jüngling“ war damals ein fester Begriff; auch in meiner Klasse gab es sie, den schlacksigen Typus, betont unsportlich, er trug statt des Streichholzhaarschnittes eine Mähne, hatte es früh mit Mädchen und bevorzugte, jedenfalls zu meiner Zeit, „Negermusik“, den Jazz. Bei Dieter Maisch also genügte bereits der körperliche Habitus, ihn als Tango-Jüngling einzustufen. Einen – übrigens prominenten – Juristen habe ich einmal sagen hören, er sei halt Jurist geworden, weil es fürs Medizinstudium nicht gereicht habe. Da es also Dieter Maisch für die Offizierslaufbahn nicht reichte, studierte er Medizin. Nebenbei, die beiden Klassenkameraden wurden im Krieg zur Luftwaffe versetzt und abgeschossen. Im Krieg war der „Tango-Körper“ unerheblich. Dieter Maisch, der in Berlin, Innsbruck und Tübingen studiert hatte, wurde einberufen und ging als Truppenarzt zu einem Panzerregiment nach Afrika. Als er 1944 wegen einer Ruhr-Erkrankung ausgetauscht wurde, konnte er mit der Facharztausbildung in Tübingen beginnen und auch die Kriegsgefangenschaft überstehen. 1950 ließ er sich als Nervenarzt in Kirchheim u. T. nieder; zu seinem Arbeitsbereich zählte auch die consiliarärztliche Versorgung der Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Plochingen sowie mehrerer Altenheime.

Im Nürtinger Kreiskrankenhaus also diagnostizierte er bei mir 1966 eine Migräne, verschrieb zwar Medikamente zur Kupierung der Anfälle, gab mir aber den Rat, mich körperlich mehr zu betätigen, ein Rat, der weder die Krankenversicherung belastete noch ihm Honorar brachte. Nun war ich im Urlaub keineswegs bewegungsfaul, hatte anstrengende Bergwanderungen und Jahre zuvor ausgedehnte Radfahrten unternommen. Dr. Maisch wies darauf hin, was man noch so machen könne, Laufen ... Im nächsten Jahr werde in Stuttgart der erste Volkslauf stattfinden, veranstaltet von den Stuttgarter Kickers. Das sagte er nur am Rande, genau wie er später auch nur am Rande erwähnte, im schweizerischen Biel gebe es einen 100-km-Lauf. Ich aber nahm es jedesmal wörtlich. Ich versuchte zu traben, war stolz, daß ich 8 Minuten im Stück laufen konnte und wollte am Kickers-Volkslauf im Frühjahr 1967 teilnehmen. Fortan war Laufen bei der ärztlichen Konsultation das zentrale Thema. Die Migräne verschwand tatsächlich; Jahre später jedoch, als ich die „Stuttgarter Zeitung“ im Groll verlassen hatte, führte mich eine Lebenskrise wieder zu ihm als Patient. Mittlerweile hatte sich das Arzt-Patienten-Verhältnis in eine lockere Sportfreundschaft gewandelt. Einige Male begegneten wir uns auf Veranstaltungen, beim Schwarzwaldmarathon liefen wir eine Strecke gemeinsam, später nahmen wir am Stuttgart-Lauf teil. Der von Ernst van Aaken gegründete Deutsche Verband langlaufender Ärzte und Apotheker unter dem Internisten Dr. Hans-Henning Borchers in Augsburg trug ihm die Ehrenmitgliedschaft an.

Läuferisch gingen wir durchaus unterschiedliche Wege. Der Mann mit dem Tango-Körper in der Jünglingszeit ist ein Sprinter-Typ. Er ist zwar auch Marathon gelaufen, aber seine Stärke liegt – die Gegenwartsform ist berechtigt – auf den kürzeren Strecken. Da ist die Liste lang, mit Placierungen ganz vorn, und sie reicht bis in die jüngere Vergangenheit. Auch das macht diese Vita so bemerkenswert.

 

Er nahm 1974 teil an der Veteranen-Weltmeisterschaft in Draveil bei Paris, der Deutschen Seniorenmeisterschaft in Schriesheim, 1987 in Essen, an der Deutschen Ärzte-Skimeisterschaft 1980 in Garmisch-Partenkirchen, 2003 an der Senioren-Welmeisterschaft in Puerto Rico, 2004 an der Hallen-Weltmeisterschaft in Sindelfingen und den European Veterans Athletics Championships in Dänemark, jeweils mit vorderen Plätzen. Ich erinnere mich auch noch an Placierungen beim Stuttgart-Lauf, von kleineren regionalen Veranstaltungen nicht zu reden. Im Dezember 2005 legte er zum 35. Mal das Deutsche Sportabzeichen in Gold ab. Eine Bandscheibenoperation in diesem Jahr hat seinen Wettbewerbsteilnahmen – hoffentlich vorläufig nur – ein Ende gesetzt. Das Training hat er nicht aufgegeben.

Sportfreunde in Puerto Rico

Es wird in Deutschland nicht viele Ärzte geben, die eine so lange sportliche Vita aufweisen. Sie hatte ja bereits am Gymnasium begonnen; Vorbilder waren sein Vater, ein Alpinist – in dessen Fußstapfen mochte er nicht gänzlich treten, er war nicht frei von Schwindel, also lief er – und sein Hausnachbar Alfred Dompert von den Stuttgarter Kickers, Bronze-Medaillen-Gewinner bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin.

Den persönlichen Gewinn, den Dieter Maisch aus seiner sportlichen Aktivität zog, versuchte er, an seine Patienten weiterzugeben. Das war anfangs, wie man sich vorstellen kann, nicht einfach. „Die Leute haben mich ausgelacht“, erinnert sich Dr. Maisch, „wo kommen wir denn hin, wenn der Nervenarzt spinnt!“ Und ein Passant rief dem laufenden Doktor zu: „Was sauest (sauen bedeutet auf Schwäbisch rasch laufen) du denn herum, du hoscht (hast) doch ´n Mercedes!“ Doch es gab auch andere, nicht nur mich. Ein Patient, von Kindheit an neurologisch geschädigt, schrieb ihm Jahrzehnte später: „Sie empfahlen mir, doch mehr Sport zu machen ...Ich war 17 Jahre alt und habe mir mein erstes Rennfahrrad gekauft ... Beinahe jedes Wochenende bin ich mit dem Kirchheimer Club auf Radrennen gewesen ... Im Oktober, am Ende der Saison, habe ich dann auf das Laufen gewechselt ... Im Winter ging es weiter mit Skilanglauf ... Irgendwann habe ich dann angefangen, meine sportlichen Ideen an andere weiter zu vermitteln. ... Hätten Sie mir damals nicht so begeisternd von Ihrem Sport, dem Laufen, erzählt, wäre ich vielleicht überhaupt nicht zum Sport gekommen, hätte dann nicht so viele Freunde in der ganzen Welt kennengelernt. Und vor allem ginge es mir gesundheitlich nicht so gut, wie es mir heute geht.“

Heute, da das Gesundheitswesen in einer Krise steckt und keiner weiß, wann und wie man wieder reformieren muß, bleibt zu wünschen, daß wir Ärzte hätten wie Dr. Maisch, die sich als Gesundheitslehrer verstehen, sich nicht bloß für biochemische Werte, sondern auch für die Lebensführung ihrer Patienten interessieren. Obwohl auch er sich durch die Bürokratisierung der Arztpraxen belastet fühlte, die ja in den 15 Jahren, seit er seine Praxis schloß, noch gestiegen ist, merkt man ihm keine Spur von Verbitterung an. Der neunzigjährige Dr. Maisch lebt in der Gegenwart, dies um so mehr, als er, seit einigen Jahren verwitwet, nun wieder geheiratet hat. Ich denke, auch dieser Aspekt der Lebensbewältigung gehört zu einem Porträt.

 

Inzwischen ist Allgemeingut, was er vor Jahren schon formuliert hat: Dem Seniorensport komme im Hinblick auf die demographische Entwicklung eine hohe gesundheitspolitische Bedeutung zu. Durch die vorbeugende wie die rehabilitatorische Wirkung des Ausdauersports komme es zu einem Gewinn an Lebensqualität und andererseits zu erheblichen Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen. „Zum Schluß stellt sich immer wieder die Frage: Wie bringt man die Leute vom passiven, mobilitätsträgen ,Fernsehsesselsport’ zum aktiven Bewegungstraining? Eine Belehrung mit erhobenem Zeigefinger bringt leider wenig. Gefragt sind vielmehr überzeugende Vorbilder.“ Dr. Dieter Maisch dachte dabei an andere, ich denke bei den Vorbildern an ihn.

Dr. med. Maisch (links) bei einem Sportfest in den sechziger Jahren

Patient und Arzt – Dr. Maisch hat durch seine Persönlichkeit und sein Wirken einen Beitrag zur Gesundheitsdebatte geleistet, der, auch wenn er in der Öffentlichkeit nicht ins Auge springt, vorbildlich ist.

Eintragung vom 10. September 07

Ein Gestank fuhr mir in die Nase, es war ein anderer Gestank als der nach Abgas bei einem unsauber eingestellten Fahrzeug. Zum Glück war es an der Steigung, auf der ich ohnehin gehe. Und dann sah ich den Verursacher: Es war ein Traktor mit einem Gefäß voll brauner Spritzlauge; er bewegte sich auf dem Feld mit Salatköpfen und Kräutern, die ich nicht einmal alle dem Namen nach kenne. Sonst nehme ich hier häufig einen würzigen Geruch wahr, und ich denke ans Essen, für das die Kräuter bestimmt sind. Nun wurde gespritzt. Der Wochenmarkt in Esslingen – ein schöner Schein von Marktfrische. Da kaufen wir, wenn es irgend geht, doch lieber dort, wo nicht gespritzt wird. Auch an dem Gartengrundstück, von dem ein großer Teil unseres Gemüses und Obstes herkommt, laufe ich vorbei.

Auf den Streuobstwiesen liegen die heruntergefallenen Äpfel. Ein junger Hund rollte vergnügt einen Apfel vor sich her.

 

In unserer Straße werden die Versorgungs- und Abwasserleitungen ausgetauscht. Vom Schreibtisch konnte ich auf die Grube vor unserem Haus schauen. Zwar wird mit schwerem Gerät gearbeitet, aber es muß harte Handarbeit geleistet werden. Der Mann, der den Asphalt ausfräst, die Männer, die im Schacht stehen und Erde ausheben, der Mann, der mit dem Preßluftstampfer die Erde verfestigt – ich kann mir vorstellen, daß sie abends keine Lust verspüren zu laufen, wiewohl es ihrem Rücken gut täte. Schutzhelme habe ich kaum gesehen. Offenbar werden sie von Architekten getragen, wenn sie Baustellen besichtigen. Ich erkenne: Es ist keineswegs so, daß die schwere Handarbeit verschwunden wäre. Wahrscheinlich ist es effizienter, Roboter zu entwickeln, die Autos zusammenfügen, als Roboter für den Straßenbau, wo sie viel dringender wären.

Wer so schafft, hat wahrscheinlich keine Lust zum Laufen

Rechtzeitig wollten wir wegen des Biel-Jubiläums am 13./14. Juni 2008 disponieren. Eine Würdigung sollte ich schreiben, ich dachte an eine Serie kurzer Beiträge und machte mich an die Arbeit. Sie entglitt mir. Während ich schrieb, konzipierte ich ein kleines Buch. Bis auf eine Anzahl Recherchen ist es bald fertig. Es soll auch Lesestoff bieten. Vielleicht mögen manche 100-km-Läufer, die dieses Tagebuch lesen, mit Schnurren, die sie auf der Bieler Strecke erlebt haben, dazu beitragen. Es ist ja nicht alles hochdramatisch, es fließen ja nicht nur Tränen am Ziel. Manches ist einfach komisch. Ich würde mich freuen, wenn ich davon erführe – und manche Leser sicherlich auch.

Eintragung vom 4. September 07

Es ist grotesk: Der sogenannte Verbraucherschutzminister Seehofer (in meiner Zeitung heute ganz ohne Ironie als Bundesverbraucherminister bezeichnet) fordert im neuen Fleischskandal eine harte Bestrafung der Schuldigen. Hat er das nicht jedesmal getan? Welche Chuzpe gehört dazu, nach den bisherigen Fleischskandalen, Ermittlungen und „harten Strafen“ abermals schätzungsweise 140 bis 180 Tonnen Abfallfleisch betrügerisch zu verhökern? Überschlagsweise sind 700000 Portionen verdorbenes Fleisch verzehrt worden. Haben auch nur 10 Prozent der betroffenen Verbraucher – das wäre immerhin eine signifikante Zahl, die in Berliner Krankenhäusern aufgefallen sein müßte – Magen- und Darmbeschwerden bekommen? Die Fleischabfälle waren offenbar nicht gesundheitsschädlich, sondern nur ekelerregend. Ekeln kann man sich nur vor etwas, was man mit den Sinnen erfassen kann. Fleisch auf dem Teller oder der Pappschale kann man nicht ansehen, ob es verdorbenes oder in unverarbeitetem Zustand nur ekelerregendes Fleisch ist. Ich bin überzeugt davon, daß Millionen Menschen auf der Welt ekelerregendes Fleisch essen; ich bin weiter davon überzeugt, daß weitere Millionen Menschen sich wünschten, sie hätten es, das ekelerregende Fleisch. Auch in Deutschland hat man in Notzeiten nicht lange gefragt, ob Nahrung für den menschlichen Genuß – „Genuß!“ – geeignet sei oder nicht. Wieso ist etwas nur für den menschlichen Genuß nicht geeignet, aber doch wohl für die tierische Ernährung? Müssen Tiere allen Dreck essen? Die Antwort lautet eindeutig: Ja. Und wieso fressen wir dann Tiere, die allen Dreck essen müssen? Argumente für die künftigen Verteidiger der Angeschuldigten? Nein, nur zum Nachdenken....

Als Vegetarier seit 1981, dem Deutschlandlauf von Professor Jung und der damaligen Gesundheitsberaterin Gisela Requate, könnte ich mich in die Brust werfen. Doch ich schüttle nur den Kopf. Es gibt ethische, ökonomische und ökologische Gründe für die rein pflanzliche Ernährungsweise oder tierische Produkte, bei denen die Tiere nicht getötet worden sind. Ethische Gründe: Psychisch gesunde Menschen haben eine Tötungshemmung. Niemand mag ein Tier töten, das er kennt; wir delegieren die Tötung an unterprivilegierte Arbeiter in Schlachthöfen. Ökonomische Gründe: Mit Pflanzennahrung könnte man grob gerechnet zehnmal mehr Menschen ernähren als mit tierischer Nahrung; zur Erzeugung von 1 Kilogramm tierischem Eiweiß werden 5 bis 10 Kilogramm pflanzliches Eiweiß benötigt. Niemand auf der Welt brauchte, rein ökonomisch gesehen, zu hungern oder gar wie täglich Tausende Hungers zu sterben. Ökologisch: Woher kommen die riesigen Mengen Fleisch, die wir verzehren? Zu einem großen Teil von Tierweiden, die aus vernichtetem Regenwald entstanden sind. Über der Umweltverschmutzung durch Industrie, Verkehr und Haushalt werden der Ausstoß an Darmgasen durch Milliarden Rinder und das Nitrat im Grundwasser durch Tierkot übersehen.

Ich halte es für verständlich, wenn diese Argumente heute noch nicht allgemein akzeptiert werden. Wer hätte sich in den fünfziger und sechziger Jahren vorstellen können, daß der Schutz der Atemluft heute politisch sanktioniert werden würde? Einst hatten Raucher ein positiv besetztes Image, heute gelten sie als Menschen, mit denen man Mitleid haben muß, weil sie es noch nicht geschafft haben, die Selbstvergiftung aufzugeben. Einst galten Vegetarier als Gesundheitsapostel oder sonstwie etwas verschrobene Menschen. Wie wird das Bild in fünfzig Jahren aussehen? Der Fleischverzehr wird dann zwar nicht aufgegeben, aber wahrscheinlich doch reduziert sein. Es wäre ja schon viel gewonnen – auch ernährungsphysiologisch – , wenn Fleisch wie in früheren Generationen nur zu besonderen Gelegenheiten verzehrt würde. Die ungefähr 700000 Portionen von Fleischabfällen des jüngsten Betrugsfalls sind ja wahrscheinlich zum großen Teil beim Schnellimbiß verkauft worden. Muß man, weil man gerade Appetit hat oder sich „irgendwie“ verpflegen muß wie die heutigen „Ernährungswaisen“, die keine Familienmahlzeit mehr kennen, Fleisch als Fast food verzehren statt zu einer besonderen Gelegenheit in einem Speiselokal, das man kennt oder bekanntermaßen für die einwandfreie Herkunft seiner Ware bürgt? Ohne Massentierhaltung und gedankenlosen Fleischverzehr in ernährungsphysiologisch ohnehin zu großer Menge gäbe es keine Fleischskandale.

Das mag Lesern, die ein Lauftagebuch lesen wollen, als „Thema verfehlt“ erscheinen – was habe das alles mit dem Laufen zu tun? Für mich schon. Bereits früh, als ich mit dem Laufen begonnen hatte, fielen mir die Berührungspunkte mit der Ernährung auf. In den Rundbriefen der IGÄL und der daraus entwickelten „Condition“ tauchte immer wieder der Name Waerland auf, auch mal Bircher-Benner, dann Bruker. Mit Bircher-Benner, Kollath und Bruker begann die medizinisch fundierte vollwertige Ernährungsweise Fuß zu fassen. Nach dem Deutschlandlauf habe ich mich intensiver, so intensiv, wie es meiner Interessenlage entsprach – denn das Gebiet ist unerschöpflich –, damit befaßt. Wer sich damit befaßt, der durchschaut auch die Manipulation der Läufer durch die Industrie der Nahrungsergänzungsmittel und sogenannten Sportgetränke.

Dazu paßt ganz gut die Nachricht, die ich eben gelesen habe, nämlich daß sich der Konzern Gerolsteiner vom professionellen Radrennsport verabschieden wird. Völlig klar, die unternehmerische Entscheidung mußte so ausfallen; zu kritisieren wäre allenfalls, daß sie erst jetzt getroffen worden ist. Ein Konzern, der auf Gesundheitsbewußtsein und Natürlichkeit setzt, indem er „gesundes“ Mineralwasser vertreibt, kann von einer Sportart, die sich durch Massen-Medikation zu Boden ruiniert hat, nicht nur nicht profitieren, sondern ebenfalls nur beschädigt werden. Die Handy-Nutzer von T-Mobile – heute neuer Dopingfall, Gähnen – sind wahrscheinlich weniger sensibel als die Mineralwasser-Konsumenten. Anfrage an Gerolsteiner: Wohin mit den geschätzten 9 Millionen Euro? Wie wäre es denn mit Marathon-Start- und Zielbändern, auf denen „Gerolsteiner“ steht? Da sind doch die Gesundheitsbewußten zu finden, da sind doch die Massentrinker, die sich hydrieren müssen, da sind doch die Erfolgsmenschen, die diesen Ruf auch dann noch haben, wenn sie für den Marathon viereinhalb bis fünf Stunden brauchen. Marathon-Veranstaltungen zu unterstützen, bedeutet in diesem Fall Werbung genau bei der Zielgruppe, ohne Streuverluste. Profi-Radsport zu finanzieren, der dann im Fernsehen gezeigt wird, bedeutet Werbung bei den Couch-Potatoes, die beim Schauen von Sportveranstaltungen die Flasche Bier bei sich stehen haben. In der Vergangenheit haben Mineralwasser-Produzenten die Affinität ihrer Produkte zum Laufsport durchaus erkannt. Vielleicht sollten Manager weniger auf Werbeagenturen als auf ihren eigenen Verstand vertrauen.

Eintragung vom 27. August 07

Vor einigen Jahren schon habe ich festgehalten: Das Allgäu, jene Landschaft, deren Umrisse mehr durch die Geschichte als durch die Geographie bestimmt worden sind, weist eine Marathon-Dichte auf , die ihresgleichen sucht. Im Ostallgäu gibt es den König-Ludwig-Marathon, was sich der Bayern-König nicht hätte träumen lassen, in Lindau – zum Westallgäu gehörig – den Drei-Länder-Marathon, in der oberschwäbischen Nachbarschaft, in Kreßbronn, den Bodensee-Marathon, und im Oberallgäu den Iller-Marathon in Immenstadt, den Immenstädter Gebirgsmarathon über den Mittagberg zum Hochgrat, den Alpin-Marathon in Oberstaufen, der ebenfalls auf den Hochgrat führt, und in Kempten den Voralpen-Marathon. Dazu über ein Dutzend kürzere Berg- und Landschaftsläufe bis zum Gebirgstäler-Halbmarathon in Oberstdorf. Seit dem letzten Sonntag gibt es einen weiteren Bergmarathon im Allgäu, den Allgäu-Panorama-Marathon in Sonthofen, veranstaltet vom Skiclub Sonthofen, der sich längst nicht mehr auf wintersportliche Aktivitäten beschränkt, organisiert vom Laufladen Axel Reusch.

 

Der Name des neuen Bergmarathons besteht zu Recht – immer wieder begeistert das Panorama. Wenn man vom Sonthofer See über Hüttenberg aufgestiegen ist, blickt man hinunter ins Gunzesrieder Tal, darüber erhebt sich die Nagelfluhkette, über die hin und zurück der Immenstädter Bergmarathon verläuft. Vor uns die schroffen Zacken des Hauptkamms, wahrscheinlich erblickt man das Hohe Licht, die Trettachspitze, die Mädelegabel, den Großen Krottenkopf. und den Hochvogel. Die Sicht war jedenfalls hervorragend.

Im Startgeld: außer dem Panorama Medaille, Laufhemd und Besuch im Bad Wonnemar

Sonthofen liegt bereit 741 Meter hoch, der Weiherkopf 1665 Meter, aber ganz hinauf mußte man ja nicht. Und nach 12 Kilometern ging’s schon wieder talwärts. Sieben Stunden Zeit, das müßte gehen, sagte ich mir. Die Asphaltstraße zum Allgäuer Berghof bot Erholung. Doch die Hörner machten zu schaffen. Schon im Tal war ich der Letzte, versteht sich. Das muß man ertragen können, immer in den letzten Jahren habe ich das ertragen, und nicht selten blieb ich nicht der Letzte. Doch dann mußte ich über einen Steig voller Baumwurzeln und Steine, nicht eigentlich gefährlich, aber anstrengend. Vor einigen Jahren noch wäre ich gemsengleich geklettert, doch jetzt und gar nach dem vorigen Jahr... Vorsichtig stieg ich Schritt für Schritt nach oben. An einem rutschigen Hang waren Stahlseile angebracht, die halfen mir, mich empor zu hangeln. Der Weiherkopf war der Kulminationspunkt. Aber der Abstieg vom Berghaus Schwaben war zunächst nicht weniger mühsam. Jetzt wußte ich auch, woher sich der Läufer mit Startnummer, der mir mit verbundenem Knie entgegenkam, seine Verletzung zugezogen hatte. Stahlseile bergab konnte ich dazu benützen mich festzuhalten. Wo keine waren, wich ich vom rutschigen Schotterweg aufs Gras aus. Ich trage beim Landschaftsmarathon einen sehr guten Trailschuh. Doch rutschigem Schotter ist auch er nicht gewachsen. Den Gedanken, mich in einem Marathon zu befinden, hatte ich hier aufgegeben. Der kehrte erst zurück, als der Schotterweg in einen Alpweg überging. Nun konnte ich zu Tal traben.

Hilfreich war, daß jeder Kilometer bezeichnet war. Ich habe den Eindruck, daß man, obwohl es ein kleiner Lauf mit nur 119 Teilnehmern war, professionell zu Werke gegangen ist. Täler sind im allgemeinen eben, und so hatte ich die Illusion, wenn ich von nun an 7 Kilometer in der Stunde zurücklegen würde, müßte es mit den sieben Stunden reichen. Doch im Tal war ich müde, wäre bei der Halbmarathonmarke das Ziel gewesen, hätte ich das Gefühl gehabt, Außerordentliches geleistet zu haben. Aus der Gehpause wurde Gehen. Der Schnellschritt kam mir ökonomisch vor, bis aus dem Eilschritt ein Wanderschritt wurde. Allein war ich selten, hinter mir die beiden Besenradfahrer. Sie müßten, dachte ich, die Strecke kennen. Zwar weiß ich, daß Führungsfahrzeuge manchmal die Führenden in die Irre leiten, doch zu Besenläufern, -radfahrern und -Wagen habe ich mehr Vertrauen. Diese Besenradfahrer jedoch folgten mir, ganz gleich was ich machte. In Obermaiselstein berichtigte eine Frau vom Wirtshaus an der Straße durch Zuruf unseren Kurs. In den Illerauen war der Kurs gut ausgeschildert, er führte zum Illerursprung, einem Zusammenfluß von Bächen. Zwar war ich vom letzten Posten darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Wendepunkt komme – daß es einen gebe, hatte ich dem kurzstreckigen Begegnungsverkehr entnommen – , aber unter einem Wendepunkt stellte ich mir etwas mehr vor als zwei Schilder, eines für den Marathon und eines für den Halbmarathon. Ich dachte, da stünde einer mit der Strichliste in der Hand. Vielleicht war da wirklich einer gestanden oder auf der Bank gesessen, aber da so lange keiner mehr kam, wartete niemand mehr auf den Letzten. Und ich trabte weiter. Einer der Besenradfahrer erkundete den Weiterweg, da komme nichts mehr, war seine Auskunft. Also wendete ich endlich und bewog den Besenradfahrer nun auch dazu, sich beim letzten Posten zu erkundigen, ob die beiden Schilder, die ich nur als Vorankündigung angesehen hatte, tatsächlich der Wendepunkt waren. Sie waren es. Am nächsten Knackpunkt zeigte uns ein Posten den Weg; nie wäre ich von selbst darauf gekommen, daß der Kurs nun über einen Graspfad verlief. Das müßte wohl in Rubi gewesen sein. Eine beträchtliche Überraschung war, daß der Wanderweg, den wir erreichten, beträchtlich anstieg. Im Streckenprofil war da zwar bei Kilometer 35 eine Spitze, aber daß uns dieses jetzt noch abverlangt würde, hatte ich nicht erwartet. Ich stieg und stieg. Als ich oben fast bei einer kleinen Kapelle war, kam einer der beiden Besenradfahrer und meinte, ich hätte an der letzten Abzweigung den talwärts führenden Weg nehmen müssen. Der vergebliche Aufstieg war bitter, von nun an war mir die Zeit gleichgültig, ich wollte nichts anderes als zu Fuß nach Sonthofen zu gelangen. Wahrscheinlich waren bereits die Markierungen entfernt worden.

 

Auch auf diesem Abschnitt östlich der Iller zeigte sich ein Panorama, nämlich das der Hörnergruppe, über die wir uns auf den ersten zwölf Kilometern gekämpft hatten. An der Iller wieder der Abschnitt, über den wir schon gekommen waren. Keine Schilder, aber ein Posten, der bei Fischen den Weg wies. Über die Brücke und an der Iller entlang. Plötzlich kam mir Tobias mit dem Fahrrad entgegen. Tobias war einer der beiden anderen, die wir vor vierzig Jahren an unserem Wohnort den Anfang zu einer Laufgruppe legten. Tobias, seit Jahren in Sonthofen ansässig, hatte mich am Start begrüßt. So legten wir die letzten Kilometer im Gespräch zurück. Obwohl ich mich um eine Stunde und acht Minuten verspätet hatte, wurde ich nicht von der Strecke verwiesen, sondern im Ziel erwartet. Das ist eben der Unterschied zu Zermatt.

Niemand nahm mir übel, daß ich mich über mein Leistungsvermögen getäuscht habe. Unsere Marathonszene würde verarmen, gäbe es nicht solche familiären Landschaftsläufe. Ich habe einen glücklichen Tag verlebt.

Wenn man in einer Altersklasse als einziger startet, erwartet man keine Trophäe. Über diese habe ich mich besonders gefreut, weil der stilisierte Läufer auf einem Granitsockel ein Kunstwerk ist

Die Zeiten (bei über 1400 Höhenmetern): Thomas Gelsenberger aus Burgberg in 3:08:14 Stunden und Sabine Sigel aus Blaichach in 4:07:18 Stunden. Der nächste Termin: 24. August 2008.

Eintragung vom 19. August 07

Dieser Tage erhielt ich eine Anfrage: „Im Urlaub las ich wieder einmal, in einem Buch von Günter Herburger, daß der Ausspruch ,Hopphopphopp’ einen negativen Beigeschmack hat. Ich erinnere mich schwach daran, auch bei Ihnen einmal eine solche Äußerung gelesen zu haben. ... ob Sie mir diese negative Konnotation des Begriffes Hopphopphopp kurz erklären können? Ich höre diesen Spruch zwar auch gelegentlich, kann aber bis jetzt nichts daran finden, außer daß er meist von Leuten kommt, die vom Sport, speziell vom Laufen, offensichtlich keine Ahnung haben. M. K.“

Zunächst einmal: Ich habe mich über die Zurufe Hopphopphopp nicht ausgelassen; ich bin derjenige, der den „ inneren Schweinehund“ zutiefst ablehnt. „Hopphopphopp“ dagegen ist für mich nicht negativ besetzt. Für die negative Konnotation, wie wir Gebildeten zu sagen pflegen, habe ich eine Erklärung.

Was bedeutet hopphopphopp? Wenn ich dazu nicht extra in die Württembergische Landesbibliothek fahren müßte, würde ich im Grimmschen Wörterbuch nach der Herkunft schauen. Der Wahrig erklärt mir nur hopp! als Aufforderung zum raschen Aufstehen, zum Beeilen, zum Springen und hopsen niederdeutsch als hüpfen, dagegen ungleichmäßiges Hüpfen als Hoppeln. Abenteuerlicher Gedanke: Könnte der Hoppende vom Hopliten kommen, dem schwerbewaffneten griechischen Fußsoldaten? Ehe Germanisten die Hände überm Kopf zusammenschlagen – also auch davon hat er keine Ahnung! –, noch ein Blick in das Universalwörterbuch von Duden: Hopphopp ist danach ein Ausruf als Intensivierung von hopp! Ich füge hinzu: Hopphopphopp also die Intensivierung hoch drei.

Ich erinnere mich, hopphopphopp erstmals beim Anfeuern von Skilangläufern gehört zu haben, das dreifache Hopp sollte also den Stockeinsatz rhythmisch beschleunigen, das macht ja Sinn. Wenn ich nicht irre, kommt es aus Skandinavien. Vom Skilanglauf hat das Publikum den Zuruf auf uns Läufer übertragen und dies wohl erst nach Einführung der Stadtmarathonläufe. Was soll man auch sonst am Straßenrand sagen? Als wir mit „eins, zwei, eins, zwei“ verspottet wurden, habe ich es noch nicht gehört, obwohl es sich ebenfalls als Spottwort geeignet hätte. Das Hopphopphopp hat eindeutig die Bedeutung des Anfeuerns, ist also positiv gemeint. Den negativen Beigeschmack erkläre ich mir aus subjektiven Empfindungen. Da ist man bei km 36 fix und fertig oder läuft schon gar nicht mehr, sondern ist in den Gehschritt gefallen, und jetzt bekommt man ein „Hopphopphop!“ zu hören – die pure Ironie. Doch so ist es gar nicht gemeint, wir empfinden in diesem Moment nur so. Schon schließen wir auf andere und meinen, alle müßten sich verspottet fühlen. So entstehen Konnotationen; unschuldige Wörter erhalten eine Bedeutung, die ursprünglich gar nicht vorhanden war.

Daher habe ich mich auch nie um das Gefasel von political correctness gekümmert. Damit wollen uns Politpolizisten nur unserer ehrlichen Ausdrucksmöglichkeiten berauben. Wir sollen keine Konnotationen weitergeben, geschweige denn produzieren. Dabei wird die Bush-Administration um keine Spur beliebter, wenn wir es vermeiden, durch die Konnotation von „Texaner“ indirekt unsere Abneigung auszudrücken.

Was das Laufen betrifft, gibt es denn eine bessere neutrale Anfeuerung als hopphopphopp? „Quäl dich, du Sau!“ ist doch wahrhaftig keine Alternative. Außerdem kommt sie von einem Radrennfahrer, und mit denen wollen wir bis auf weiteres nichts zu tun haben. Die machen ja aus dem Befund Positiv nach der Urinprobe die Konnotation Negativ.

Eintragung vom 12. August 07

Ein Tagebuch ist zwar immer etwas höchst Subjektives, aber die Fakten müssen stimmen. Das ist leider bei der letzten Eintragung nicht der Fall gewesen. Ein Leser hat mich darauf hingewiesen, und ich beeile mich zu berichtigen: Der C 42 des Swiss Alpine führt nicht, wie ich mir aus unerfindlichen Gründen eingebildet habe, über Filisur, sondern über Schmitten und verschmilzt erst an der Station Wiesen mit dem 28-km-Lauf von Filisur nach Davos. Ich hätte meinen Text an Hand der Ausschreibung prüfen müssen. Bitte um Entschuldigung. Und Dank für die Nachsicht – statt mir Fehlerhaftes um die Ohren zu hauen, sind Leser wie in diesem Falle außerordentlich liebenswürdig zu mir. Ich versichere: Ich verdiene das nicht.

Häufig fahren auf meiner Trainingsstrecke Radsportler an mir vorbei. Dieser Tage ist es gleich zweimal passiert, daß ich von hinten ein „Vorsicht!“ vernahm. Kein Klingeln – reinrassige Rennräder haben wohl ohnehin keine Klingel –, sondern eine menschliche Stimme. Genau das, was in der Kommunikation unter Autofahrern nicht möglich ist und dort am dringendsten gebraucht würde. Ich hob den Arm, um zu zeigen, daß ich verstanden hätte, und sagte „Bitte!“ Die Radsportler schossen vorbei, von einem vernahm ich im Sekundenbruchteil, als er auf gleicher Höhe war, ein „Danke“. In mir wallte das warme Gefühl auf „Die Welt ist gut“. Offenbar haben wir uns aneinander gewöhnt, die Radsportler und die Läufer, wie vorher schon die Hundehalter einschließlich ihrer Hunde und die Läufer. Selbst im Konkurrenzkampf der Autofahrer um Autolängen und Pole Position – ich denke, man fährt heute im allgemeinen zivilisierter als zu Beginn der Massenmotorisierung in den sechziger und siebziger Jahren, als jeder Überholvorgang als persönliche Beleidigung empfunden wurde. In München dauert’s mit dem Erwerb von Manieren etwas länger; doch die Kraftstoffpreise werden eines Tages vielleicht auch bayerische Temperamente beim Spurtstart an der Ampel und beim Überholen vor der Ampel bremsen.

Beim Passieren der Aussiedlerhöfe nahm ich die Stoppeln auf den Feldern wahr. Sommer, wenn auch mit Überschwemmungen im August, und schon die Ahnung des Herbstes. Von hinten näherte sich ein Traktor, was sage ich! ein ziviler Panzer. Ich retirierte auf den Feldrain, mühsam Haltung bewahrend, um nicht gegen den Panzer zu kippen. Er donnerte staubwolkig vorbei. Er hatte ja recht, ich befand mich auf dem für ihn gebauten Weg, was sage ich! der aus Steuermitteln angelegten Agrarstraße. Ich habe gelesen, daß diese Ungetüme, die heute schneller unterwegs sind als in den sechziger Jahren ein Volkswagen auf regennasser Basaltstraße, den Acker zerstören, die Krume derart verdichten, daß kein Mikroleben mehr möglich ist. Seit Jahren werden bei Holzfällarbeiten im Wald Pferde zum Schleppen der Baumstämme verwendet. Sie gehen schonender mit dem Waldboden um. Die Technik führt sich selbst ad absurdum. Diese Behauptung ist natürlich völlig reaktionär und dem Industriestandort Deutschland nicht förderlich. Wollt ihr die totale Natur oder wollt ihr Arbeitslose? Woran erinnert mich das bloß?

Eintragung vom 4. August 07

Nun habe ich doch nicht den Laptop in den Urlaub mitgenommen – warum nicht auch Urlaub von der digitalen Welt? Ich könnte zwar auch Tagebuch mit Stift und Papier führen, aber das hat inzwischen so etwas Provisorisches. Und so habe ich gewartet, bis ich wieder vor dem heimischen Rechner sitzen konnte, und ich habe gewartet, bis ich mich halbwegs wieder eingelebt habe.

 

Das Feuerwerk am 1. August, dem schweizerischen Nationalfeiertag, hat nichts mit dem Swiss Alpine zu tun; doch man kann es vier Tage danach als würdigen Abschluß des Davoser Lauffestes nehmen. In meinem Hotel sieht man zur Sommerzeit nur ein einziges Mal Krawatten, nämlich am 1. August abends. Nur zu diesem Zweck bringen wir eine Krawatte mit. Doch am Abend des 28. Juli trugen wir alle, die wir am Swiss Alpine teilgenommen hatten, das Läuferhemd, das wir entweder beim Abholen der Startnummer oder nach dem Zieleinlauf bekommen hatten. Als ob wir uns abgesprochen hätten; selbst der Mainzer Weihbischof, der mit seiner Schwester abermals den K 42 bezwungen hat, trug abends das T-Shirt. Auf diese Weise erkannten wir einander.

Wer an den Swiss Alpine einige Urlaubstage anhängt, wird am 1. August mit einem Feuerwerk belohnt.

Ich hatte den Eindruck, als ob im Hotel noch nie so viele Läufer gewesen wären wie in diesem Jahr.Es gab feine Unterschiede: Wer die 78 Kilometer über Kesch-Hütte und Scaletta bewältigt hatte, erschien in einem Hemd mit roten Ärmeln. Die Hemden für die K-42-Teilnehmer haben weiße Ärmel. Mir gefallen die mit den gelben Ärmeln am besten; da der Korpus bei allen blau ist, bildet Gelb den schönsten Kontrast. Ich habe ein solches Hemd; doch darin verrate ich mich als Nur-28-km-Läufer. An welchen Ärmeln man die Halbmarathoner, die erstmals auf der attraktiven Sunnibergbrücke in Klosters gestartet sind, und die Kulturmarathonläufer des C 42 erkennt, habe ich nicht recherchiert, ich war schließlich außer zum Laufen in Urlaub hier.

Die 28-km-Strecke war mir vom Halbmarathon im vorigen Jahr bekannt, der vor der Zügenschlucht gestartet worden war. Doch welcher Unterschied beim Aufstieg nach Monstein! Im vorigen Jahr, kein halbes Jahr nach der Bypaß-Operation, kämpfte ich mich am Ausgang der Zügenschlucht nach Monstein empor; selbst die Langsamsten noch hängten mich hier ab. In diesem Jahr war der Aufstieg nach Monstein nicht mehr ein Kampf ums läuferische Überleben; es war ein steiler Anstieg, nichts weiter. Daran habe ich die Fortschritte eines Jahres der Rehabilitation gemerkt, nicht an der Schlußzeit. Denn ich war für die 7 Kilometer mehr als beim Halbmarathon über eine Stunde länger unterwegs, 4:56:04 Stunden. Beim Aufstieg von Filisur war ich zwar der Letzte, und der Besenradfahrer war mir auf den Fersen, aber beim Aufstieg nach Monstein hatte ich ihn abgeschüttelt. Und in Davos war ich 52 Minuten vor dem Letzen im Ziel. Mag sein, daß man im Alter kindisch wird. Aber nach einer Herzoperation ist so etwas wichtig: Wir waren vier in der M 70, und ich war nicht der vierte, sondern der dritte, obwohl ich in die wie immer imaginäre M 80 gehört hätte. Und alle anderen vor mir hatten höchstwahrscheinlich keine Bypässe. Ich habe mich in der Realität eingerichtet, und ich bin zufrieden.

Bei diesem Lauf/Walk im Fast-Elf-Minuten-Schnitt trug ich das unscheinbar graue Läuferhemd, das wir bekommen hatten, als wir noch den Sertig querten. Einige trugen es. Daran erkannten wir einander als alte Kämpen. Die einmal bessere Tage gesehen haben. Die Hemden heute leuchten weithin, klassifizieren aber unerbittlich. Rote Ärmel müßte man haben... Im Läuferforum des Swiss Alpine herrscht Wehklagen: Über den Hemden sind die Medaillen verloren gegangen. Doch vor den Medaillen gab es Bergkristalle auf Holzsockel. Die Idee schien originell; doch die Bergkristalle kamen nicht vom Gotthard – viel zu teuer! –, sondern aus Südamerika. Und wer bejammert, daß ihm nun eine Medaille fehle, sollte sich eingestehen, daß ihm die Bergkristalle fehlen. Jeder Lauf ist ein neuer Lauf, mit neuen Bedingungen – unvergleichlich.

 

Der Lauf/Walk von Filisur nach Davos hat mir nichts Neues gebracht, außer einer neuen Erkenntnis. Es reizt der Kulturmarathon, der C 42. Er steht freilich im Verdacht, ein Surrogat zu sein. Wem es auch für den K 42, das Kernstück des K 78, nicht mehr langt, für den kommt der C 42 von Tiefencastel nach Davos in Frage. Er benützt zwar den Kurs des 28-km-Laufes von Filisur, aber er setzt ihm den Aufstieg von Tiefencastel voran. Ich habe mir an einem etwas verhangenen Tag den Beginn des Kurses angesehen, schon der Kultur wegen. Sie manifestiert sich in der Kirche von Mistail, kaum glaubhaft, 8. Jahrhundert. Ein verwunschener Winkel, wenngleich ihn die Rhätische Bahn touchiert.

Auch der C 42 des Swiss Alpine ist dauerhaft markiert

Der einstige Ultraberglauf über den Sertigpaß hat immer mehr Facetten erhalten; sie haben mir gestattet, 22 Jahre lang am Swiss Alpine festzuhalten. Zum zweitenmal waren wir über 5000 Teilnehmer; vor über 20 Jahren kamen wir uns als Außenseiter vor, wenn wir unterwegs Wanderern begegneten. Jetzt gehören wir zum sommerlichen Erscheinungsbild von Davos, so wie die jungen Musiker, die nach uns ebenfalls seit 22 Jahren kommen. Seit einigen Jahren treffen sich Bildhauer zu einem Symposium in Davos. Am Weg von Frauenkirch zur Stafelalp sind einige Arbeiten aufgestellt. Es gibt viele Möglichkeiten, sich auszudrücken – Laufen ist eine davon.

Eintragung vom 23. Juli 07

Nach den Doping-Geständnissen im Mai, die meinen einschlägigen Ordner beträchtlich anschwellen ließen, habe ich mich so umfassend wie möglich mit der Doping-Problematik auseinandergesetzt. In einem Artikel, den der „Gesundheitsberater“ bei mir bestellt hatte, habe ich versucht, Doping als gesellschaftliches Problem darzustellen. Zwar liegt die Verantwortung für Doping beim Gedopten selbst, aber gerade im Radsport wäre es zu simpel, sich damit zu begnügen, die entsprechenden Berufsradfahrer zu kriminalisieren, wofür ohnehin die gesetzliche Grundlage fehlt. Man muß es so sehen: Der Sport – gemeint ist der Publikumssport – ist zu einer Ware geworden, die Berufssportler sind die Produzenten. Wie in der Wirtschaft soll die Ware an den Mann gebracht werden – mit allen Tricks, die erlaubt sind und manchmal ein bißchen darüber hinaus. Die Berufssportler stecken in einem System kommerzieller Abhängigkeiten. Dieses Geflecht besteht aus Sponsoren (Käufern sportlicher Leistungen), Funktionären und Helfern, Medizinern und Medien. Gerade die Rolle der Medien dabei wird verkannt. Insbesondere die elektronischen Medien, die Fernsehanstalten, sind nicht nur Mittler wie die Printmedien; sie greifen aktiv in den medialen Vermittlungsprozeß ein. Randsportarten werden durch sie weiter an den dunklen Rand gedrängt, attraktive Sportarten dagegen werden durch sie bengalisch illuminiert. Durch Instrumentalisierung des Sportes, deutlich zu sehen beim Marathon, verfolgen die elektronischen Medien ihre eigenen Interessen. Seit Jahrzehnten weiß man, daß im Radsport gedopt wird. Das hat öffentlich–rechtliche Sendeanstalten nicht daran gehindert, sich hier einzukaufen und sich weit mehr, als es das Gebot der Objektivität zuläßt, mit den Akteuren zu identifizieren. Selbst nach den Geständnissen im Mai vollführten die Medien-Verantwortlichen im Hinblick auf die Tour de France einen verbalen Eiertanz – weder Fisch noch Fleisch –, statt sich klipp und klar von einer vom Betrug getragenen Veranstaltung zu distanzieren. In meinem im Juni geschriebenen Beitrag fordere ich daher: Keine Übertragung von Veranstaltungen, bei denen gedopte oder gesperrte Sportler auftreten oder aufgetreten sind. Nun endlich, nach dem neuen Fall, dem Verdachtsfall Sinkewitz, sind die Kameras an der Strecke ausgeschaltet worden. Manche Zuschauer, nach einer repräsentativen Befragung die Mehrheit, mag dies verdrossen haben. Doch wer Betrügern zuschaut, fördert den Betrug. Flugs ist ProSieben-Sat 1 in die Bresche gesprungen. Wenn eine Marktwirtschaft, die den Anspruch erhebt, ethisch fundiert zu sein, tatsächlich funktionieren sollte, müßten jetzt die Werbeeinnahmen des Konzerns ProSieben-Sat 1 bröckeln, denn ethisch denkende Unternehmen müßten sich mit ihrer Werbung von einem solchen Sender abwenden. Die Sprache des Medienkonzern-Vorsitzenden, de Posch, spricht Bände; was bei den öffentlich-rechtlichen endlich als der Versuch ethischen Handelns zu betrachten ist, hat er als „Zensur“ bezeichnet. Recht hat er insofern, als er die Entscheidung den Zuschauern zuweist. Das Fernsehvolk schreit nach Brot und Spielen, auch wenn ein paar Gladiatoren darüber ins Gras beißen.

Im Gegensatz zu Karlsruhe, wo die Messegesellschaft ein Rennen von Profi-Radfahrern abgesagt hat, konnte sich die „Sportstadt“ Stuttgart nicht zu Konsequenzen durchringen. Mit Verpflichtungserklärungen, die das Papier nicht wert sind, will man eine dopingfreie Rad-Weltmeisterschaft beherbergen. Auch hier wieder ein verbaler Eiertanz statt einer klaren, ethisch fundierten Entscheidung.

Ein ähnlich laues Taktieren spielt sich im Hinblick auf das Daimler-Stadion ab. Die Stadt will augenscheinlich dem VfB, der die Laufbahn (früher hätte man gesagt: Aschenbahn) herausgerissen haben will, entgegenkommen. Andererseits aber klopft sie den Leichtathleten auf die Schulter, brüstet sich mit den in Stuttgart bisher ausgetragenen Leichtathletik-Meisterschaften und erhofft sich solche ganz konkret auch für die Zukunft. Wie soll das gehen? Sollen die Leichtathleten oder zumindest die Läufer abgedrängt werden auf andere, Auswärtigen kaum bekannte Stuttgarter Sportstätten? Die für Stuttgart repräsentative und unter diesem Aspekt auch so errichtete Anlage ist das Daimler-Stadion, früher Neckarstadion. Und da fällt mir ein: Was sagt der Namensgeber zu den Ansprüchen des VfB? Der Konzern Noch-DaimlerChrysler hat sich ja wohl für die Umbenennung in Daimler-Stadion nicht lumpen lassen. Wer zahlt, hat – so frage ich ganz naiv – ja wohl ein Mitspracherecht. DaimlerChrysler also könnte zumindest eine Solidaritätsbekundung an den Württembergischen Leichtathletikverband richten, der für die Erhaltung der Laufbahn kämpft. DaimlerChrysler verkauft Autos ja nicht nur an Fußball-Anhänger. Wie wenn wir, die wir Mercedes fahren und die Laufbahn erhalten wollen, der PR-Abteilung zu verstehen gäben, daß wir den Namensgeber des Daimler-Stadions involviert sähen und, sollte der Konzern die Unterwerfung unter den VfB billigen, mit Liebesentzug drohen? Ich habe den Eindruck, etwas marxistisches Denken täte uns im Hoch-Kapitalismus gut. Wahrscheinlich findet „Die Linke“ deshalb – ungeachtet deren trüber Historie – einigen Zuspruch.

Noch etwas Regionales: Das Jahrhundertprojekt Stuttgart 21 wird angepackt, nämlich der Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs. in einen Durchgangsbahnhof, die Überbauung bisherigen Bahngeländes, die Anbindung des Flughafens an die Bahn und die Neutrassierung der Bahnstrecke nach Ulm, einem Abschnitt einer der wichtigsten West-Ost-Verbindungen. Der Hauptbahnhof, ein denkmalgeschütztes Bauwerk von Paul Bonatz, ist erst 1927 fertiggeworden. Vor diesem Bahnhofsbau von 1914 an fuhren die Züge zum Kopfbahnhof in der Nähe des Schloßplatzes; nur die Arkaden erinnern an den ersten Stuttgarter Bahnhof. Als ich 1947 erstmals in Stuttgart war – zu einem gesamtdeutschen Jugendkongreß in Fellbach – und ich bei dem Kommunisten Schaetzle aus Gaisburg wohnte, wies mich der Gastgeber eigens auf diesen ersten Bahnhof hin. Ein Kopfbahnhof erhebt den Anspruch, das endgültige Ziel der Reisenden zu sein. Da sich aus einzelnen Eisenbahnlinien, der ersten Fernverbindung Dresden – Leipzig, erst im Laufe der Zeit ein Netz entwickelte, waren die ersten Zielbahnhöfe Kopfbahnhöfe. Als man in Stuttgart zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen neuen Bahnhof plante, war bereits ein Durchgangsbahnhof in der Diskussion. Doch die technischen Möglichkeiten ließen eine Eisenbahn-Durchquerung der Stadt im Talkessel nicht zu. Seit über zehn Jahren wird über das Projekt Stuttgart 21 gestritten. Mit einem politischen Kraftakt und einer erheblichen Erhöhung des Landesbeitrags – dafür ist nun plötzlich Geld da – soll es bis 2020 gestemmt werden.

Eintragung vom 16. Juli 07

Die Leser dieses Tagebuches sind ausgesprochen freundlich zu mir. So manches Mal äußere ich mich auf eine Art, die auch eine andere Sichtweise zuließe. Doch noch nie bin ich dafür abgewatscht worden. Obwohl ich mir sehr wohl des Grundsatzes bewußt bin: Wer austeilt, muß auch einstecken können. Dagegen habe ich manches Mal Zustimmung erhalten; andere Zuschriften per e-mail kann man nicht anders als liebenswürdige Korrekturen bezeichnen.

 

So zum Beispiel diese, die ich gern akzeptiere: Ich hätte geschrieben, daß ich seit Jahrzehnten keine Kornblumen mehr gesehen hätte. Doch, meint ein Tagebuch-Leser, an der 100-km-Strecke von Biel, zwischen Kilometer 75 und Bibern, da seien am Wegrain Kornblumen gestanden. Ich sei doch hoffentlich nicht mit gesenktem Kopf durch die Gegend gezogen. – Es gibt mehrere Möglichkeiten. Vielleicht bin ich wirklich mit gesenktem Kopf gegangen; nach Kilometer 75 ist alles möglich. Vielleicht habe ich am Horizont nach der nächsten aufmunternden Orientierung gesucht. Vielleicht habe ich mich gerade mit einem Partner unterhalten. Anders als in früheren Jahren bin ich als überwiegend Geher mit anderen, die auch gegangen sind, ins Gespräch gekommen. Und schließlich: Vielleicht habe ich die Kornblumen tatsächlich erblickt, aber den Anblick nicht gespeichert, so daß ich mich nicht erinnern konnte. Auf jeden Fall: Es gibt noch Kornblumen – doch so wenige, daß man sich den Tag merken kann, an dem sie zu erblicken waren, den 16. Juni 2007 im Berner Mittelland.

Werner Sonntag auf der Zielmatte des 49. Bieler 100 Kilometerlaufs
(Foto: www.datasport.com)

Noch etwas Persönliches: Im Mitteilungsblatt des 100 Marathon Clubs ist in der Statistik-Tabelle der Marathonsammler zu lesen, daß ich 310 Marathons, die Ultramarathonläufe eingeschlossen, absolviert hätte. In der nächsten Statistik wird man eine ganz andere Zahl lesen, und sie wird erklärungsbedürftig sein. Danach seien es mindestens – vielleicht kommt der Berlin-Marathon hinzu – 325 Marathons gewesen. Die Differenz erklärt sich nicht daraus, daß ich nun, kaum daß die Bypässe eingelaufen sind, dutzendweise Marathon gelaufen wäre. Seit dem letzten vollendeten Marathon im Dezember 2005 habe ich es erst in diesem Jahr mit bisher drei Starts probiert, von denen zwei auf das erste Halbjahr entfallen. Wo kommen dann die anderen dreizehn her? Sie rühren von einer Fehlinterpretation der Zählungsbestimmungen. Ich bin darauf gekommen, als ich die Liste durchgesehen habe, die zum 1500. Marathon Horst Preislers im Netz veröffentlicht worden ist. Da habe ich auch den Supermarathon im Donauknie entdeckt, eine jener wenigen Gelegenheiten, als sich die Läufer-Wiedervereinigung von Ost und West noch vor der Überwindung der deutschen Teilung auf der Laufstrecke vollziehen konnte. Für die 200 Kilometer in drei Tagen hat Horst Preisler drei Marathons gezählt. Die war ich doch auch gelaufen; nur hatte ich die drei Tage als einen einzigen Marathon betrachtet, weil ich keine Urkunde über die Tagesleistung vorweisen kann. Die Organisatoren trugen nur die Gesamtzeit für die 200 Kilometer ein. Keiner außer den Organisatoren kann die Tagesleistung dokumentieren, daher fehlen in Preislers Liste auch die Zeiten der drei Ultramarathonstrecken. Doch die Zählweise, so erfuhr ich, sei richtig; jeder Tag sei gewertet worden, und so seien die 200 Kilometer in drei Tagen als drei Ultras zu werten. Da ich dreimal die 200 Kilometer im Donauknie gelaufen bin, bin ich nicht, wie ich bisher gezählt habe, drei ungarische Marathons gelaufen, sondern neun, von denen nun sechs nachzutragen sind. Ebenso verhält es sich mit dem Donaulauf von der Schlögener Schlinge östlich von Passau nach Hainburg östlich von Wien, auch das waren drei Marathons, und mit dem Lauf von Wien nach Budapest, da waren es vier. Also sind fünf Ultras nachzutragen. Mit diesem Riesensprung bin ich auf 324 Marathons, womit ich mich den fleißigsten Sammlern freilich nur unwesentlich genähert habe.

Am Sonntag ein Marathon-Abend bei Arte. Den Schinken über die Schlacht von Marathon habe ich mir erspart – nach der Schlußszene zu urteilen, zu Recht. Aber dann ein Film über den historischen Ursprung des Marathon-Laufes, produziert vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Drei Sporthistoriker, darunter Dr. Karl Lennartz, kommentierten. „Marathon – der lange Lauf nach Athen“, dieser Titel scheint zunächst irreführend. Doch die tragende Idee war die hypothetische Interpretation, daß der Läufer nach Sparta, den Herodot erwähnt, mit der Botschaft der Spartaner bis Marathon gelaufen sei und von dort zurück nach Athen. Er also, Pheidippides oder Philippides (weitere in der Literatur vorkommende Namen wurden nicht genannt), wäre demnach der legendäre Läufer von Marathon gewesen. Nach etwa 572 Kilometern wäre physiologisch erklärbar – Streß, fehlende Hydrierung, Mineralstoffmangel etcetera –, daß er mit der Siegesbotschaft sein Leben aushauchte. Doch diese rationale Erklärung ist eine pure Hypothese der Gegenwart, nichts weiter, mit keinem höheren Wahrheitsgehalt als der 600 Jahre später aufgezeichnete Mythos vom Läufer von Marathon. Witzig fand ich in dem Film, daß sich die Kämpfer von Marathon nach der Schlacht auf dem Weg zum Piräus in die U-Bahn zwängten. Ich bedauere jedoch, daß inhaltlich nicht die Brücke zur Gegenwart geschlagen worden ist. Es hätte sich angeboten, Sequenzen vom Spartathlon einzustreuen; zur Not hätte man sie ja in Japan kaufen können.

Der nächste Film des Themenabends Marathon, „Der Marathon-Boy“, war der über den fünfjährigen Inder, der auf die 70-km-Strecke geschickt worden ist. Die Zwiespältigkeit des Unternehmens ist objektiv dargestellt worden. Zwiespältig deshalb: Wäre der Junge in seinem Milieu geblieben, in den Slums an der Bahnlinie oder bei dem Hausierer, der ihn mißhandelt hat, hätte dies die Welt nicht im mindesten aufgeregt. So aber: Weil ein wohlmeinender Judo-Trainer, der das Lauftalent zu erkennen meinte, das Kind zum Langstreckenlauf motivierte und aus ihm einen Eliteläufer machen wollte, steht der Trainer in der Kritik und ist der „Marathon-Boy“ ein Diskussionsthema. Wenn man erfährt, daß der Judo-Trainer den Jungen anhielt, unterwegs nicht zu trinken, neigt man zu der Ansicht der Sportministerin, daß der Junge in andere Hände gehöre. Zwar kann man beschönigend einwenden, daß der Junge auf seinem 70-km-Lauf ja von selbst stehengeblieben sei, 3 Kilometer vor dem Ziel, aber man kann die Augen nicht davor verschließen, daß hier ein menschliches Experiment gemacht worden ist, ein völlig unnötiges dazu. Denn auch indische Mediziner sind sich darüber einig, daß Leistungssport in diesem Alter den im Wachsen befindlichen Körper schädige. Auf jeden Fall war der Film informativ und vermittelte weit mehr sozialen Hintergrund, als dies in einer Zeitungsmeldung möglich ist.

Der letzte Film des Abends befaßte sich mit dem Berlin-Marathon. „Marathonmacher“ lenkt den Blick auf Horst und Mark Milde. Den organisatorischen Hintergrund eines solchen Ereignisses mit 40000 Teilnehmern zu schildern – auf der Musicalbühne „backstage“ –, wäre abendfüllend genug. Doch hier sind drei Elemente oberflächlich verknüpft worden: Interviews mit Vater und Sohn Milde, dem früheren und dem jetzigen Renndirektor, der verfehlte Weltrekord von Haile Gebrselassie, und die Porträtierung der drei am Berlin-Marathon teilnehmenden Familienmitglieder Niedrig, insbesondere von Andreas Niedrig, der eine Suchtkarriere hinter sich hat und von seinem Vater zum Laufen motiviert worden ist. Der Weg vom Junkie zum Spitzen-Triathleten ist das Thema seines Buches, für das hier nebenbei Produktplacement betrieben worden ist. Ich habe zwar den Recorder eingeschaltet, doch ich werde mir das Konglomerat nicht nochmals ansehen.

Eintragung vom 9. Juli 07

In einem Laufmagazin ist neulich ein feiner Unterschied zwischen „Ankommern“ und Wettkämpfern, echten Wettkämpfern, gemacht worden. Ich bin zeitlebens überwiegend ein „Ankommer“ gewesen; wenn ich auf Zeit gelaufen bin, dann gegen meine eigene Zeit oder bei neuen Herausforderungen auf die für mich bestmögliche Zeit hin. Erst recht im Alter – das kann man unter diesem Gesichtswinkel ziemlich früh ansetzen – habe ich keine andere Ambition gehabt als anzukommen, möglichst in einer für mich akzeptablen Zeit; immer wieder gab es Läufe, bei denen meine Hoffnung allein darin bestand, die Strecke regelgerecht zu meistern. Mein früherer Hausarzt hat mir bei einer Begegnung vor Jahren resigniert bestätigt – da lief er schon nicht mehr –, ich hätte es richtig gemacht. Er dagegen hatte zu einer Gruppe im Verein gehört, die „geknüppelt“ hat; ich kenne keinen davon, der jetzt noch läuft. Mein jetziger Hausarzt, als wir über unsere Marathonläufe sprachen, sagte mir, er habe keinen Ehrgeiz mehr. Sein Marathon-Erlebnis sei so viel schöner.

  Der jüngste Lauf, bei dem es allein ums Ankommen ging und zwar innerhalb der vom Veranstalter festgesetzten Zeit, ist am Samstag gewesen. Ich habe mich gefreut, daß mein vierter „Wettkampf“ nach der Bypaß-Operation zugleich eine Entdeckung war, der Montafon-Arlberg-Marathon. Zwar hatte mich wahrscheinlich vor vier Jahren schon ein Sportfreund darauf aufmerksam gemacht, das wäre doch etwas für mich; aber 2004 bestand die einzige und letzte Chance, den Zermatt-Marathon zu bestehen, 2005 fiel die Goldene Hochzeit auf den Termin, im vorigen Jahr – nach der Operation – konnte ich allenfalls wagen, den Halbmarathon des Swiss Alpine überwiegend zu gehen.
Ortsmitte von Silbertal, der Kurs führt 2 Kilometer talwärts (Foto: Werner Sonntag)

In diesem Jahr: Rennsteig-Marathon und die 100 km zeigten mir, daß wieder Ausdauer vorhanden ist, wenngleich nicht das vorher bestandene Laufniveau. Da kam mir nach Biel der Montafon-Arlberg-Marathon als weiterer Test gerade recht. Die Voraussetzungen schienen günstig: 8 Stunden Zeit für einen Marathon, wenngleich bei 1300 Höhenmetern, und dazu eine M 80 ausgewiesen. Man rechnet also mit alten Läufern, sagte ich mir; allerdings waren wir nur drei im Alter von über siebzig. Wenn man bei einem anspruchsvollen Bergmarathon eine M 80 ausweist, muß man davon ausgehen, daß die 8 Stunden bis zum Zielschluß auch ausgeschöpft werden. Das ermutigte mich zu melden.

Für die Wahl dieses Marathons sprach, daß es sich um einen Streckenmarathon handelt, nämlich von Silbertal im Montafon nach St. Anton in Tirol; die Grenze der beiden österreichischen Bundesländer überquert man bald nach der Halbmarathonmarke. Als Konzept hatte ich mir zurechtgelegt, in spätestens vier Stunden den Kulminationspunkt bei km 22 zu erreichen. In Anbetracht des Gefälles auf der zweiten Hälfte müßten abermals vier Stunden reichlich genügen, ja, auf der Forststraße bergauf phantasierte ich schon sieben Stunden.

Wie auch immer, von meinen persönlichen Umständen abgesehen, – dieser Lauf in einem Tal hinauf, im anderen hinab ist ein empfehlenswerter Bergmarathon, klein, aber fein. Wir waren nur wenig mehr als 200 Teilnehmer, dazu einige Nordic-Walker, die hier eindeutig im Vorteil waren. Familiäre Atmosphäre, Startnummern im Feuerwehrgerätehaus. Für die 35 Euro war alles vorhanden: Pasta-Party, Medaille, Funktions-Laufhemd (natürlich bleibt für die Letzten nur XL übrig) und der Transfer (entweder von St. Anton nach Silbertal zum Start oder nach dem Lauf von St. Anton nach Silbertal), dazu ein gut bestückter Beutel mit Obst und Getränken.

Die ersten vier Kilometer nur eine Schleife in Silbertal, talwärts auf der Straße nach Schruns, gerade recht zum Eintraben, und auf dem Wanderweg zurück. Tatsächlich standen nicht nur Läuferangehörige in Silbertal; abends sprach mich ein holländisches Ehepaar an, sie hätten mich gesehen, und ob ich in Rotterdam – da wohnten sie – schon gelaufen sei? Ich konnte nur mit Baarn bei Hilversum aufwarten. Vom Feuerwehrhaus am Spielort der Freilichtspiele vorbei durchs Hintere Silbertal, immer begleitet von einem lebhaften Gebirgsbach mit veritablen Wasserfällen, vor mir immer wieder schneebedeckte Gipfel – Postkartenmotiv. Im Prinzip 18 Kilometer Aufstieg. Ausgewiesen waren etwas über 4 Kilometer Bergpfad. Der Hauptteil davon kam jetzt, oberhalb der Baumgrenze. Erst in der Lautsprecheransage vor dem Start waren wir ganz sacht auf mögliche Probleme hingewiesen worden.

 

Was sich da jedoch präsentierte, übersteigt die Anforderungen des Swiss Alpine zwischen Keschhütte und Scalettepaß in mehrfacher Hinsicht. Der Bergpfad entpuppte sich als eine Route von Stein zu Stein durch morastiges Gelände, und häufig war da kein Stein. Einmal sank ich knöcheltief ein und befürchtete schon, ohne Hilfe nicht mehr herauszukommen, einmal zog es mir halb den Schuh aus. Nach dem vierten Sturzbach, den es zu überqueren galt, hörte ich auf zu zählen. Dies war bei weitem der wildeste Cross, den ich je erlebt habe, dagegen sind die Cross-Passagen des längsten Cross Europas im Thüringer Wald ein Spaziergang.

So sah diesmal die Fußbekleidung aus
(Foto: Werner Sonntag)

Beim ersten Jungfrau-Marathon gab es ein solches Wegstück, worauf die Strecke flugs geändert wurde; doch das war eine unbedeutende Passage vor dem Aufstieg zur Moräne. Allerdings, Teilnehmer von früher sagten mir, so schlimm wie in diesem Jahr sei es noch nicht gewesen. Die Regenfälle der letzten Woche hatten das Weidegelände in einen Morast verwandelt. Eine tückische Kombination von Sumpf und Steinen. Mir ist unfaßbar, wie die Spitzenläufer und -läuferinnen darüber hinweggeschwebt sein mögen. An der Landesgrenze, wo mich der erste Tiroler Posten empfing, hatte ich noch ein Zeitlimit von 3:20 Stunden – es würde knapp werden. Wie beabsichtigt, konnte ich auf dem abfallenden Wirtschaftsweg, über den auch Fahrzeuge auf 1945 m Seehöhe empor gekommen waren, so lange traben, wie meine Kraft hergab. Allerdings gab es auch eine Steigung, und auch der Pfad zur Rodelhütte über St. Anton hielt mich auf. Unweit der Konstanzer Hütte wuselte ein Murmel auf dem Weg vor mir entlang; als es mich wahrgenommen hatte, schlüpfte es unter einem Strauch hindurch auf einen Felsbrocken, dies ohne sonderliche Fluchtreflexe. Niemand kann also behaupten, eine solche Berglaufveranstaltung bringe die Fauna durcheinander.

Besorgt hatte ich mich bei einem früheren Teilnehmer, Manfred aus Berlin, nach der Orientierung erkundigt. Seine Auskunft, es gebe keine Probleme, hatte mich beruhigt; in der Tat fand ich die Markierung einwandfrei und fast ausreichend. Fast... Ein Sportfreund berichtete mir jedoch, er habe oben im Weidegelände, wo man auf die Wanderwegmarkierung angewiesen war, den Pfad verloren und 20 Minuten eingebüßt. Ich hatte das Glück, auf eine Wandergruppe zu treffen, die mir eine grobe Orientierung bot. Einer der Wanderer sprach mich an, ich komme ihm bekannt vor, ob ich 2004 beim Alpin-Marathon in Oberstaufen gewesen sei? Er sei einer der Schlußradfahrer gewesen. Natürlich, den Letzten kann man sich viel besser merken.

Ich selbst trabte auf der Tiroler Seite an einer Kreuzung geradeaus, blickte mich jedoch rechtzeitig suchend um, und von einem Feuerwehrfahrzeug aus winkte man mich auf den linken Abzweig. Am Höhenweg oberhalb von St. Anton zur Rodelhütte waren Posten stationiert. Ein Läufer fand sich in St. Anton nicht zurecht. Mir wurde dieser Weg durchs Zentrum durch Hinweise aus dem Schlußfahrzeug erleichtert. Auf diese Weise hatte ich mit der Orientierung nirgends Probleme, obwohl ich mutterseelenallein war.

Rührend fand ich, daß der Fahrer eines Lastwagens, der die Schilder mit den Kilometerangaben einzusammeln hatte, jedesmal wartete, bis ich vorbei war. Alle zwei Kilometer kam eine solche Tafel. Beim Anstieg nahm ich mir vor anzuregen, auch Höhenangaben zu machen. Dann merkte ich, daß ich nur genau hinsehen mußte: Alle Kilometermarkierungen zeigten auch die Seehöhe an. Auch wenn ich mich sputen mußte, – es war bis etwa zum Kraftwerk ein wunderbares Landschaftserlebnis.

Immer wenn ich der Letzte bin, plagen mich Skrupel: Halte ich nicht den Betrieb auf? Schließlich trottete ich in einem Abstand von etwa einer Stunde hinter den Vorletzten her. Doch weder unterwegs noch erst recht am Ziel vor dem Hallenbad ließ mich jemand spüren, daß man auf mich hatte warten müssen. Im Gegenteil, die Glückwünsche waren ehrlich und herzlich. Selbst der OK-Präsident, der Silbertaler Bürgermeister, hatte in St. Anton ausgeharrt. Rechtzeitig vor Wertungsschluß überquerte ich die fiktive Ziellinie, in 7:49:00 Stunden, als 3. in M 70. Der Letzte im vorigen Jahr hatte immerhin auch 7:15 Stunden gebraucht. Und wenn ich die Veranstalter schon eine Stunde Zeit gekostet habe, so habe ich doch wenigstens die M 80 am Arlberg etabliert.

Streckenrekord beim 5. Montafon-Arlberg-Marathon
Miklos Zatyko, Ungarn, unterbot in 2:53:21 Stunden die Vorjahres-Bestleistung, ebenso Petra Pfister, Österreich, in 3:30:27 Stunden.
Zahl der Zielläufer: 169 Männer, 32 Frauen. 35 Teilnehmer blieben bei dem Marathon mit etwa 1300 Höhenmetern unter vier Stunden.

Eintragung vom 4. Juli 07

Als ich an dem Kornfeld vorbei kam, stachen mir erstmals die roten Blüten ins Auge – Mohnblumen. Da fiel mir ein: Ich habe wahrscheinlich seit Jahrzehnten keine Kornblumen mehr gesehen. Auch das ist Monokultur: Alles, was nicht dem vorgesehenen Verwendungszweck entspricht – in diesem Fall der Vermahlung, ist Unkraut und gehört nach Meinung der Saatgut-Konzerne ausgerottet. Die Kornfelder französischer Impressionisten wären heute im Sinne des Wortes farblos.

Gestern meinte ein sportlicher Radfahrer: „Das paßt ja!“ Was paßt denn? Da entdeckte ich: Wir trugen beide dasselbe auffällige leuchtend gelbgrüne Laufhemd, das die Bottwartal-Kellerei ihren Läufern beim Bottwartal-Marathon dediziert hat. – Im letzten Drittel wieder naß geworden, kein trockener Faden mehr. Ein Läufer, der mich überholte, sprach es aus: „Sauwetter!“ Es war ein merkwürdiges Wetter – am Sonntag schwülwarm, ich spürte mein Herz und zog es vor, nicht mehr zu laufen, sondern zu gehen.

Nach den 100 Kilometern von Biel habe ich meine Schuhe photographiert – wegen der unübersehbaren Spuren, die das Ereignis hinterlassen hat. Dabei war das Wetter so miserabel nicht, der Regen nach Mitternacht war erträglich, überwiegend war es trocken.

Doch der Dauerregen am Starttag hatte zu Wasserlachen geführt, und danach sahen die Schuhe aus wie nach einem Cross. Für mich sind sie ein Abbild des Abenteuers Ultramarathon. Noch jetzt ärgere ich mich darüber, daß mein „Mehr als Marathon“, ohne daß ich vorher informiert worden wäre, auf dem Einband außer dem irreführenden Untertitel mit einem Reklamebild eines amerikanischen Schuhherstellers versehen wurde; das Bild zeigt ein junges Paar, das ich als Joggerpaar bezeichnen würde. Ein Bild – gelackt, wohlgefällig, nicht im entferntesten die Anstrengung eines Ultramarathons spiegelnd.

Das von mir gelieferte Bild aus Biel hatte sich angeblich als technisch nicht geeignet erwiesen, natürlich nicht, denn der Schuhhersteller hatte für die Verwendung des Reklamebilds, wie ich erfuhr, 500 Mark gezahlt. Bei der Nachauflage erhielt der zweite Band des „Handbuchs für Ultralangläufer“ ein Bild vom damaligen Hamburger Shell-Marathon. Auch nicht gerade typisch für einen Ultralauf. Inzwischen hat ein anderer Schuhhersteller den ästhetischen Reiz eines sichtlich strapazierten Schuhpaars entdeckt – recht so! Geländewagen verkauft man auch nicht über das Bild vom Autosalon, sondern über eine Aufnahme, die das Fahrzeug verdreckt in unwegsamem Gelände zeigt. Laufschuhe sieht man nur einmal so, wie sie sich die Designer vorgestellt haben – beim Kauf. Nur für diese wenigen Minuten und die Bilder im Katalog sind die verschiedenfarbigen Teile, die Bänder und Streifen, die transparenten Dämpfungskammern und die Formen der Sohlenprofile appliziert. Wer Laufschuhe tatsächlich zum Laufen benützt, kümmert sich um ganz andere Eigenschaften; wer als Läufer andere beeindrucken möchte, tut es über die Wettkampfzeit, nicht über die Schuhe.

Ein Lidschlag der Weltgeschichte ist zuende – die deutsche EU-Ratspräsidentenzeit. Bei dem, was sich bei den Verhandlungen um die europäische Verfassung mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und seinem Souffleur, dem Zwillingsbruder Jaroslaw, abgespielt hat, habe ich nur mit dem Kopf genickt. Polnische Politik ist so. Wenn deutsche Politiker sich besser in Geschichte auskennten und nicht auf die Schuld Nazi-Deutschlands fixiert wären, wüßten sie, daß Polen immer versucht hat, mit Chuzpe das größere Stück herauszuschlagen. Die Brüder Kaczynski sind nicht das Land Polen, allenfalls vertreten sie ein Viertel der polnischen Bevölkerung; aber sie verkörpern polnische Chuzpe. Ich weiß, daß ich Vorurteile habe; doch Vor-Urteile sind Urteile, die noch nicht objektiviert sind. Jedes Urteil erfordert zunächst ein Vor-Urteil, damit man weiß, was zu bestätigen oder zu korrigieren ist. Meine Vor-Urteile gehen bis auf meine Großeltern zurück, die einige Jahre in Ost-Oberschlesien gelebt hatten. Meine eigenen Erfahrungen habe ich im Krieg und auf zwei Reisen gewonnen. Dabei habe ich gelernt, zwischen der Bevölkerung und dem offiziellen Polen zu unterscheiden. Mit Hilfe einer polnischen Familie, die in mir Achtzehnjährigem keinen Faschisten sah, wäre ich desertiert, wenn dies nicht durch Partisanen durchkreuzt worden wäre. So martialisch auch die beiden Partisanen waren, die ins Wohnzimmer stürmten, wo ich auf einer Bank mit Stroh schlafen durfte, – der Mann, der die Pistole auf mich richtete, drückte eben nicht ab. Anderntags brachte mich der Sohn der Familie zu den deutschen Truppen zurück. Insofern habe ich keinen Anlaß, über Polen schlecht zu reden. Später lernte ich polnische Intellektuelle und Künstler schätzen.

Doch polnische Politik steht auf einem anderen Blatt. Was sich die Brüder Kaczynski – für einen EU-Mitgliedsstaat eine merkwürdige Form staatlicher Gewaltenteilung, der eine Staatspräsident, der andere Ministerpräsident – während des EU-Gipfels geleistet haben, steht in der Tradition des Immer-mehr-haben-Wollens. Ich erkläre mir diese Mentalität, die sich an vielen Beispielen zeigt, aus der Erniedrigung durch die polnischen Teilungen. Wie aber, wenn diese auch nur zustande gekommen wären, weil Polen nicht vermocht haben, sich eigenständig und dauerhaft zu organisieren? Die „polnische Wirtschaft“ ist ein Vor-Urteil, das immer wieder aktuelle Bestätigungen findet. Warum eigentlich kommen Erntehelfer zum Spargelstechen nach Deutschland und verdingen sich Arbeiter zu Niedriglöhnen in deutsche Schlachthäuser? Kann man sie nicht in der polnischen Agrarwirtschaft beschäftigen? Westpreußen war die Kornkammer des Deutschen Reiches, und Oberschlesien ist ein Industrierevier. Vor einigen Jahren habe ich den nun polnischen Teil meiner Heimatstadt besucht, und da fand ich an einem markanten Bauernhof noch den nun abblätternden Fenster- und Türenanstrich aus den dreißiger Jahren.

Bei der „Quadratwurzel-Berechnung“ der Stimmengewichtung in der EU, für die es sich zu sterben lohnt, hat Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski gänzlich vergessen, daß sich der polnische Staat jeweils nach den beiden Weltkriegen zusammen mehr als ein Viertel des deutschen Reichsgebiets einverleibt hat. Und bei der aberwitzigen Berechnung der polnischen Bevölkerungszahl haben die Kaczynskis vergessen, daß es für Polen günstiger aussähe, wenn man die 12 Millionen Vertriebenen und ihre Nachkommen wieder ins Land zu holen versuchen würde. Auch die Polen, die das Land verlassen haben, um in Westeuropa und in den USA zu arbeiten, schwächen die Stimmengewichtung; zu meiner eigenen Überraschung habe ich nachgeschlagen: Die Zahl der Auslandspolen wird auf 20 Millionen geschätzt. Die Argumentationen von Lech und Jaroslaw Kaczynski treiben die polnische Polit-Chuzpe auf die Spitze.

Selbst Hitler hatte das Argument, Polen brauche einen Zugang zum Meer – damit wurde die Annexion Westpreußens begründet – akzeptiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde lange Zeit die 700jährige deutsche Geschichte Schlesiens in eine polnische Geschichte umzufälschen versucht. Die Oder-Neiße-Grenze war schon in den zwanziger Jahren langfristiges Ziel, und selbst diese genügte nicht – Stettin liegt diesseits der Oder, und in meiner Heimatstadt betrieb ein Militärkommando die Angliederung auch des westlichen Görlitz an Polen; doch die Sowjets waren halt stärker. Es gibt ausgedehnte Literatur über das deutsch-polnische Verhältnis; auch die sogenannte revanchistische Literatur ist lehrreich, wenn man sie, was Wissenschaftler tun sollten, unvoreingenommen liest. Polens Machtpolitik, durch die sich in den zwanziger Jahren die deutsche Bevölkerung Westpreußens erheblich reduzierte und Ost-Oberschlesien entgegen dem Abstimmungsergebnis annektiert wurde, hat es Hitler leicht gemacht. Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs wird über dem Überfall Hitlers auf Polen nicht zur Kenntnis genommen. Und nun schütteln alle den Kopf über die Brüder Kaczynski. Die beiden setzen nur die alte Linie fort. Weil deutsche Politiker nicht in historischen Dimensionen denken und auf die deutsche Schuld fixiert sind, die kein Vernünftiger abstreitet, haben sie beflissen und opportunistisch dem Nachbarn zum EU-Beitritt verholfen. Polen hätte sehr wohl die Möglichkeit gehabt, sich auf den „Befreier“ im Osten hin zu orientieren; doch da wäre nichts zu holen gewesen. Typisch ist nun wieder, daß sogleich, nachdem in Heiligendamm mit Ach und Krach ein fauler Kompromiß herausgekommen ist, die Brüder Kaczynski von „Nachverhandeln“ sprechen.

Die Perspektiven: Der Nationalkonservativismus der Brüder Kaczynski ist dermaßen skurril, daß es eines Tages zu einer innenpolitischen Krise kommen muß. Ich denke, daß die polnische Bevölkerung, wenngleich nicht die Medien, offener ist als die derzeitige Politikergarnitur. Dazu trägt der Informationsaustausch bei, das bessere Kennenlernen, zum Beispiel durch den deutsch-polnischen Jugendaustausch. So wie sich Deutschland in der Fußball-Weltmeisterschaft präsentiert hat, gibt es vielleicht auch bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen einen Ruck.

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