Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 28. März 17

Das Jahr 2017 gilt als das Jubiläumsjahr des Fahrrads. Vor zweihundert Jahren unternahm Karl Drais, Geburtsname: Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbrunn, die ersten öffentlichen Fahrten mit der von ihm erfundenen Laufmaschine, der Urform des Fahrrads. Wer sich nicht damit beschäftigt hat: Die Urform bestand aus zwei hintereinander angeordneten Rädern, die durch einen Holzrahmen miteinander verbunden waren. In der Mitte befand sich ein gepolsterter Sitz, auf dem man in Reitposition saß. Mit den Füßen stieß man sich wechselseitig vom Boden ab. Auf diese Weise erreichte Drais bereits auf seinen ersten Fahrten eine Geschwindigkeit von etwa 15 Kilometern in der Stunde. Genau dieses Prinzip des Abstoßens mit den Füßen wird seit einigen Jahren bei Fahrrädern für Kleinkinder wieder verwendet.

Die Laufmaschine begann als Fahrrad erst in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts populär zu werden, nachdem zunächst die Pedale, dann der Kettenantrieb und die Luftreifen erfunden worden waren. Insbesondere war es nun vielen Fabrikarbeitern möglich, ihre Arbeitsstätte leichter zu erreichen. Ganz sicher ist auch, als Frauen sich aufs Fahrrad schwangen, die Frauen-Emanzipation gefördert worden.

Weshalb gehe ich hier auf das Fahrrad ein? Nein, nicht weil in dem ursprünglichen Begriff „Laufmaschine“ das Laufen vorkommt. Ich habe einen persönlichen Grund. Ich habe darüber nachgedacht, was ich falsch gemacht habe, als ich mich im Alter dem Fahrrad entfremdet habe.

Vom 18. bis zum 65. Lebensjahr gab es immer wieder Zeitabschnitte, in denen ich intensiv radgefahren bin. 1976 begann ich, mit dem Rad in die Redaktion zu fahren. Damals hatte der Verlag einen Neubau bezogen, den ich gut, nämlich größtenteils auf befestigten Wegen und Nebenstraßen, mit dem Rad erreichen konnte. Doch da ich dann den Verlag gewechselt habe, war dieser Zeitabschnitt nur von kurzer Dauer. Ein schlechtes Gewissen mußte ich nicht haben, denn 1968 hatte ich zum Laufen gefunden. Radfahren war bloß ein Zusatz-Training. Obendrein bezog auch die neue Redaktion nach wenigen Jahren eine neue Arbeitsstätte. Da sie nur etwa 6 Kilometer von unserem Haus entfernt war, beschloß ich, in die Redaktion und abends wieder heimwärts zu laufen. Eigens für mich wurde im Büro eine Dusche eingerichtet. Doch im Grunde war die Strecke zu kurz; zweimaliges Umziehen und zweimaliges Duschen am Tag verschlangen zuviel Zeit. Ich gab den Lauf zur und von der Arbeit auf und stieg stattdessen aufs Fahrrad. Die 6 Kilometer konnte ich größtenteils auf asphaltierten Wegen zurücklegen. Das Laufen kam über dem Radfahren keineswegs zu kurz. Im Gegenteil – ich konnte nun wieder ohne Zeitverlust 12 Kilometer oder mehr im Stück laufen.

So ging das bis zur Verabschiedung in den sogenannten Ruhestand. Da wurde das Fahrrad in die Ecke gestellt. Ein Verlust war das nicht, weil ich ja mein Ausdauertraining auf der Laufstrecke gehabt habe. Mein Sportrad Hercules mit zwölf Gängen verkaufte ich. Wenn ich in den Zentralort radeln wollte, benützte ich das Fahrrad meiner Frau. Das Fahrrad war Beförderungsmittel, das selten genug, kein Trainingsgerät. Als ich jedoch nach dem 85. Lebensjahr das Laufen aufgeben mußte, weil meine Grundschnelligkeit um einiges geringer war als flottes Walking, besann ich mich auf das Fahrrad.

Nun erlebte ich eine große Enttäuschung. Es schien, als hätte ich das Radfahren verlernt. Genau genommen, ich konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten; ich kam beim Antritt nicht mehr in Schwung. Mangelnde Übung im letzten Jahrzehnt hatte mich in dieser Beziehung ziemlich hilflos gemacht. Dabei wußte ich von Altersgenossen, daß man auch nach dem 85. Lebensjahr durchaus radfahren kann. Nur ich konnte es nicht mehr.

Mit dem Pedelec wollte ich es nicht mehr versuchen. Mir schien auch dafür Übung unabdingbar. Aus meiner Erfahrung ergibt sich der Ratschlag – ein Ratschlag zum Zweihundert-Jahr-Jubiläum des Fahrrads –, das Radfahren tunlichst auch im Alter niemals völlig aufzugeben, sondern in Übung zu bleiben. Allerdings sollte man sich des Risikos im Straßenverkehr und bei schwierigem Gelände bewußt sein. Radfahren in hohem Alter ist mit Problemen behaftet. Der Umkehrschluß, die Fußbewegung als Training aufzugeben und zu versuchen, sich mit Radfahren fit zu halten, scheint mir daher nicht brauchbar zu sein. Zur Fußbewegung gibt es auf Dauer keine gleichwertige Alternative.

Eintragung vom 21. März 17

Ehe jemand darüber klagt, das habe er doch schon gelesen, versichere ich: Die Wiederholung geschieht in voller Absicht. Es ist auch mir ein Bedürfnis, meinen Respekt auszudrücken. Vielleicht hat der eine oder die andere den ausführlichen Bericht von Michael Schardt über die Deutsche Meisterschaft im Sechs-Stunden-Lauf in Münster doch nicht gelesen. Sollte man aber.

Es handelt sich um nicht mehr oder weniger als eine Weltbestleistung, die ich hervorheben möchte. Und sie ist kein Zufall. Am Tag zuvor, am 10. März, ist Nele Alder-Baerens auf der Hauptversammlung der deutschen Ultramarathon-Vereinigung als DUV-Sportlerin des Jahres ausgezeichnet worden. Unter mehreren Vorschlägen – Läufer und Läuferinnen, die im Jahr 2016 Spitzenleistungen vollbracht hatten – waren die meisten Stimmen auf sie entfallen. Nein, die DUV-Mitglieder, die für sie gestimmt haben, haben sich nicht getäuscht. Am nächsten Tag hat sie bei der Deutschen Meisterschaft im Sechs-Stunden-Lauf die Weltbestleistung geboten.

 

Im vorigen Jahr hat sie in den sechs Stunden 82,998 Kilometer zurückgelegt. Und in diesem Jahr in Münster? Auf der etwas über 5 Kilometer langen Runde sind es 85,492 Kilometer gewesen, fast 3, 5 Kilometer mehr als der führende Läufer, 2,292 Kilometer mehr als die vormalige Weltbestleistung der Japanerin Norimi Sakurai . Doch, wie gesagt, viele werden das schon gelesen haben.

Ich bekunde meine Anerkennung, dies um so mehr, als Nele Alder-Baerens erheblich behindert ist. Ohne die Hilfe durch Medizintechnik wäre sie völlig taub. Zudem ist sie extrem kurzsichtig. Dennoch hat sie ihr Studium der Biophysik an der Humboldt-Universität in Berlin einschließlich Promotion sehr zügig absolviert und eine Forschungstätigkeit an der Charité in ihrer Heimatstadt Berlin aufgenommen. Ihre Läuferkarriere hat sie erst vor dem Abitur begonnen.

Dr. Nele Alder-Baerens ist 38 Jahre alt, wiegt 45 Kilogramm und hat eine Körpergröße von 1,61 Metern. Einer wie ich, der ausgewachsen 1,65 Meter erreicht hat und im fortgeschrittenen Alter auf 1,63 Meter geschrumpft ist, fühlt da eine gewisse Verwandtschaft. Nur was die Laufzeiten angeht, da trennen uns zum Beispiel auf der 100-Kilometer-Strecke zwei Stunden bei der persönlichen Bestzeit.

Außer dem denkwürdigen Sechs-Stunden-Lauf mit fast 1000 Anmeldungen ist die Zäsur der DUV-Hauptversammlung festzuhalten: Der Präsident hat gewechselt. Jörg Stutzke hat mit Rücksicht auf die Gesundheit und auf berufliche Anforderungen nicht mehr kandidiert. Sein Stellvertreter, Günther Weitzer, ist zum Präsidenten wie der neue Vizepräsident, Guido Gallenkamp, und der Geschäftsführer, Roland Riedel, einstimmig gewählt worden.

Wenn ich an zurückliegende problematische Wahlen in der DUV denke, erfüllt es mich mit Befriedigung, daß die jetzige Ablösung nach reichlich vier Jahren, an die man sich gern erinnert, wohlbegründet und ohne unangenehme Auseinandersetzungen geschieht. Die Deutsche Ultramarathon-Vereinigung ist mit etwa 1700 Mitgliedern, regelmäßigem Zuwachs und intensiver Aktivität ein Verband, der Aufmerksamkeit verdient. Er klebt nicht an der Vergangenheit, meistert die Aufgaben der Gegenwart und gestaltet die Zukunft eines wichtigen Teils der Laufszene.

Photo: LaufReport-Archiv

Eintragung vom 14. März 17

Persönliche Erinnerungen sind bei Läufern mit Lauferinnerungen verbunden. Und umgekehrt. Zwei Nachrichten lassen bei Älteren den Deutschlandlauf im Jahr 1981 lebendig werden.

Eine traurige Nachricht habe ich dem März-Heft von „Laufzeit/Condition“ entnommen: Am 3. Februar 2017 ist Dr. med. Hansmartin Bresch gestorben. Wir waren damals sechs Läufer, die das westliche Deutschland von Flensburg bis zum Ammersattel durchquerten. Einer der sechs war Hansmartin Bresch; mit damals 34 Jahren war er der jüngste von uns.  Das Schicksal hat es so gewollt, daß er im jüngsten Alter, mit 69 Jahren, sterben mußte.

Hansmartin Bresch ist über seinen Vater, Dr. med. dent. Johannes Bresch, in die Laufszene hineingewachsen. Bresch senior war frühzeitig schon in die IGÄL eingetreten und gehörte als Statistikwart eine Zeitlang dem Vorstand an. Als Arthur Lambert nach siebenjähriger Tätigkeit den Vorsitz abgeben wollte, gewann er Bresch junior dazu, das Amt zu übernehmen. So kam es, daß der damals zweiunddreißigjährige Hansmartin Bresch, dessen Familie wie Arthur Lambert in Wuppertal wohnhaft war, der Interessengemeinschaft älterer Langstreckenläufer beitrat und zum Ersten Vorsitzenden gewählt wurde. Dieses Amt übte er bis 1983 aus, bevor Werner Schnepp den Vorsitz übernahm; bis zum Jahr 1989 war Hansmartin Bresch Zweiter Vorsitzender. Die jetzige IGL hat also allen Anlaß, Hansmartin Bresch für eine zehnjährige ehrenamtliche Aktivität zu danken.

Beruflich war Hansmartin Bresch Zahnarzt wie sein Vater, praktizierte bei ihm und übernahm später die Praxis. Eine späte Korrektur der Eintragungen bei Internet-Agenturen: Hier wird er als Dr. med. dent. bezeichnet. Hansmartin Bresch hat jedoch nach seiner Zahnarzt-Zulassung in Mainz ein medizinisches (kein dentalmedizinisches) Doktorat erworben. Die Angabe „Dr. Hansmartin Bresch“ in „Laufzeit/Condition“ ist also – im Gegensatz zu den Agenturen – korrekt. Solche Fälle, daß ein „Dr. med.“ (bei entsprechender Ausbildung) als Zahnarzt praktiziert, sind selten, gibt es aber mehrfach in Deutschland.

Da ich Gelegenheit hatte, ihn in seiner Praxis zu besuchen, bestätige ich, daß er wie sein Vater eine Affinität zu Naturheilverfahren gehabt hat. Er hatte in der Zahnmedizin nicht primär technische Möglichkeiten der Versorgung im Blick, sondern vor allem die Frage, wie würde der Patient in späteren Lebensphasen mit der Versorgung zurechtkommen? Im Zweifelsfall zum Beispiel empfahl er die Entfernung eines an der Wurzel vereiterten Zahnes statt einer aufwendigen (und gewinnsteigernden) Wurzelbehandlung. Zu seiner Lektüre gehörten die Bücher von Dr. Max Otto Bruker; im Elternhaus schon hatte er zu vollwertiger vitalstoffreicher Ernährung gefunden. Ich erinnere mich, daß er diese auch Arthur Lambert ans Herz gelegt hatte; nur kam dieser Rat zu spät.

Die zweite Nachricht: Prof. Dr. med. Klaus Jung ist am 13. März 75 Jahre alt geworden. Da mancher junge Läufer fragen wird: Wer ist Professor Jung?, ist ein Stück Laufgeschichte zu erzählen. Klaus Jung gehört der ersten Mediziner-Generation der modernen Laufbewegung an und ist einer der ersten nach van Aaken, der sich mit dem Laufen, insbesondere auch mit dem Ultralanglauf, wissenschaftlich auseinandergesetzt hat. Im Jahr 1968 hat er bei Victor Gottheiner (1899-1974), dem Pionier aktiver Rehabilitation nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen („Intensives Körpertraining als Nachbehandlung und Vorbeugung des Herzinfarktes“), in Tel Aviv gearbeitet. Von 1972 an hat er als junger Arzt – geboren ist er 1942 in Speyer – jährlich eine wissenschaftliche Untersuchung an 100-Kilometer-Läufern in Biel vorgenommen. Die Ergebnisse sowie weitere Untersuchungen, unter anderem in Unna, hat er 1981 in dem Band „Phänomen 100-km-Lauf. Physiologische, medizinische, psychologische Aspekte“ publiziert; zu dem Dr. med. Hans-Henning Borchers und Franz Reist Geleitworte beigesteuert haben. Einer seiner Mitarbeiter war Hansmartin Bresch. „Phänomen 100-km-Lauf“ ist die erste deutschsprachige wissenschaftliche Buchveröffentlichung über den Ultralanglauf.

Prof. Jung war nach einer Tätigkeit an der Universität in Münster Abteilungsleiter für Sportmedizin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Da er mehrere medizinische Schwerpunkte verfolgte, unter anderem sich mit der gesundheitlichen Wirkung von Wein befaßte und mit den immer mehr aktuell gewordenen Atemwegserkrankungen (COPD), erklärt es sich, daß er publizistisch nicht mehr in der Ultramarathon-Literatur präsent gewesen ist. Im Gegensatz zu den medizinischen Fachautoren seiner Zeit betrieb er selbst Ausdauertraining, verfolgte jedoch in voller Absicht keinen Wettkampfsport.

  Sein großes Projekt im Stadium der Ausdauer-Erforschung war der Deutschlandlauf. Ursprünglich war die Nord-Süd-Strecke die von Peter Gehrmann ausgearbeitete Route einer Schülerstaffel. Einige wenige Einzelläufer waren auf der etwa 1100 Kilometer langen Strecke unterwegs. Die Pionierin ist Gisela Requate, die einmal von Süd nach Nord und später von Nord nach Süd gelaufen ist – und dies ohne jede Unterstützung. Sie war eine der ersten von Dr. Bruker ausgebildeten Gesundheitsberaterinnen (die von Bruker gegründete unabhängige Gesellschaft für Gesundheitsberatung hat inzwischen in ihren medizinisch geleiteten Seminaren etwa 5500 Gesundheitsberater ausgebildet).

Gisela Requate konnte Professor Jung, der sich wie seine Familie vollwertig nach Dr. Bruker ernährt hat, dazu motivieren, 1981 einen Gruppenlauf – mit vollwertiger Verpflegung – wissenschaftlich zu begleiten. An der Pilotstudie – ohne Zeitmessung – nahmen seinerzeit teil: Prof. Dr. Klaus Jung, Gisela Requate, Dr. Hans-Henning Borchers (der Vorsitzende des Deutschen Verbandes langlaufender Ärzte und Apotheker, später dessen Ehrenpräsident), Dr. Hansmartin Bresch, Bernd Weiling, der 1975 mit dem herkömmlichen Landhandel gebrochen und mit seiner Frau einen Bio-Laden gegründet hatte. Aus dem Pionier-Stadium ist der Laden zu einem Versandunternehmen mit der Marke „Bio-Laden“ und mit Seminar-Aktivitäten ausgebaut worden (der Umsatz des Betriebes mit etwa 600 Beschäftigten hat im vorigen Jahr 206 Millionen Euro betragen). Der sechste Deutschlandläufer war ich. Danach stellte auch ich meine Ernährung auf Dr. Brukers Prinzipien um und ließ mich zum Gesundheitsberater (GGB) ausbilden. Zwei Doktoranden nahmen wissenschaftliche Messungen vor; Dr. Bresch senior besorgte tatkräftig die Organisation des Laufes vor Ort. Eine Anzahl Läufer begleitete uns seinerzeit auf einigen Tagesetappen. Angemerkt werden soll, daß wir damals, 1981, von einem Mediziner wegen der Streckenlänge beschimpft worden sind. Andere verübelten es uns, daß Bernd Weiling mit einem gemieteten Wohnmobil Werbung für seinen Bio-Handel machte.

Im Jahr 1987 leitete Professor Dr. Jung einen weiteren wissenschaftlich begleiteten Deutschlandlauf (mit Zeitmessung). 1998 trat Ingo Schulze auf den Plan; er hatte zuvor schon die knapp 1100 Kilometer allein zurückgelegt. Kritik ist nun nicht mehr laut geworden. Auch die Mediziner haben sich wohl an den Gedanken gewöhnt, daß der Mensch ein Dauerleister ist und wir dies vorübergehend nur vergessen hatten.

Eintragung vom 7. März 17

Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland und das Gemeinwohl werden gemeinhin mit einem Orden gewürdigt, dem Bundesverdienstkreuz, für das acht Stufen vorgesehen sind. Es mag ja sein, daß unter den damit Ausgezeichneten auch Läufer sind. Aber die wenigsten sind für ihre Laufaktivität ausgezeichnet worden. Mir fallen nur ein: Dr. Ernst van Aaken, der wichtigste Pionier der deutschen Laufbewegung, und Harry A. Arndt, der den Laufsport für seine sozialintegrative Arbeit erfolgreich benützt hat. Gemessen an ihren Verdiensten ist die Ordensstufe eher bescheiden – das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Damit wäre das Kapitel schon abgeschlossen. Doch seit dem 1. Februar ist ein Zugang zu vermelden. Das Läufer-Ehepaar Brigitte und Rudolf Mahlburg hat ebenfalls das Bundesverdienstkreuz, genau genommen zwei Stück davon, erhalten. Für viele Läufer mag das Stichwort genügen: Laufend helfen.

Die Idee, Laufveranstaltungen zum Spendensammeln zu nutzen, mußte man nicht erfinden. Vor Jahrzehnten schon tummelten sich im hinteren Feld von Laufveranstaltungen Teilnehmer, denen es nicht auf eine schnelle Laufzeit ankam, sondern darauf, beim Publikum Spenden für einen vorher ausgewiesenen sozialen Zweck zu sammeln. Die kopierte Kunstfigur Pumuckl gründete ihre Existenz auf das Spendensammeln. Ich gestehe: Da die literarische Figur Pumuckl erst nach meiner Jugend erfunden worden ist, habe ich zunächst keine Ahnung gehabt, was der rothaarige Kobold, den ich bei Laufveranstaltungen traf, zu bedeuten hatte. Ich hielt ihn ursprünglich für eine deutsche Variante des französischen Laufclowns Michel, der mit seiner frankophilen Kostümierung nichts anderes wollte, als das Publikum zu unterhalten. Bei einem Marathonlauf ständig normale (oder sich für normal haltende) Läufer zu sehen, muß ja vielleicht auf die Dauer langweilen.

Vor ungefähr zehn Jahren setzte eine neue Phase ein. Brigitte und Rudolf Mahlburg aus dem badischen Sinzheim begannen, das Sammeln bei Laufveranstaltungen zu institutionalisieren. Ihren Ausdruck findet diese Absicht auf der Website www.laufendhelfen.de. „Gemeinsam laufen, gemeinsam helfen, gemeinsam ankommen … und dabei jedem Schritt einen neuen Sinn geben, ist das Motto einer privaten Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, mit laufsportlichen Leistungen anerkannte Hilfsorganisationen finanziell zu unterstützen.“ Einer der ersten Schwerpunkte ist die Hilfe für Kinder gewesen, die unter der Duchenne-Muskeldystrophie leiden. Die Initiative des Ehepaars Mahlburg hat dazu beigetragen Charity-Läufe auch in Deutschland weiter populär zu machen.

Ihre öffentliche Anerkennung hat die gemeinnützige Arbeit der Mahlburgs in der Überreichung der Bundesverdienstkreuze im Januar 2017 durch den Landrat gefunden.

Eintragung vom 28. Februar 17

Eine Laufveranstaltung wie diese begründet und vierzig Jahre lang geleitet zu haben, bedeutet ein Lebenswerk. Franz Reist, dem dieses Verdienst zukommt, hat noch mehr getan: In geschichtlichem Rückblick hat er in Europa eine ganze Laufdisziplin ins Leben gerufen, den Ultramarathon. Dies ist nun aus traurigem Anlaß zu würdigen. Franz Reist, der Begründer des 100-Kilometer-Laufs von Biel, später der Bieler Lauftage, ist am 13. Februar im 87. Lebensjahr gestorben. Die Beisetzung hat unter großer Anteilnahme am 21. Februar in Brügg bei Biel stattgefunden.

 

Vergegenwärtigen wir uns die Situation, als Franz Reist auf die Idee kam, in der Nacht zum 14. November 1959 einen Lauf und Marsch über 100 Kilometer zu starten. Erst vier Jahre später ereignete sich in der Bundesrepublik Deutschland der erste Volkslauf. Der erste deutsche Marathon für alle folgte im Jahr 1968. Zu dieser Zeit hatte sich der Bieler 100-Kilometer-Lauf schon zu einem Anziehungspunkt der Läufer entwickelt; 1968 waren 1278 Teilnehmer am Start. Dies, obwohl die 100-Kilometer-Strecke und andere die Marathon-Distanz überschreitenden Strecken noch jahrelang vom offiziellen Sport diskreditiert worden waren. Erst nach der Gründung der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung Ende 1985 wurde aus einer auf der örtlichen Sportbasis verunglimpften Strecke eine Laufdisziplin, der Ultramarathon. Die 100 Kilometer von Biel waren zumindest in Europa zum Modell ähnlicher Veranstaltungen geworden.

Franz Reist konnte sich zwar auf Ultraläufe der Vergangenheit insbesondere von Berufsläufern beziehen; aber für Europa konnte Franz Reist seinerzeit beanspruchen, eine neue Laufdisziplin, den Ultramarathon, ins Leben gerufen zu haben. Dank der Anziehungskraft des Bieler Hunderters ist der neue Wettbewerbstyp des Erlebnis- und Landschaftslaufs populär geworden. Biel hat in mancher Hinsicht Türen geöffnet.

Wie kam Franz Reist auf die Idee eines Ultralaufes? Wie so manche Volkssportveranstaltung hat der Bieler 100-Kilometer-Lauf seine Wurzeln in einer militärischen Herausforderung. Franz Reist, geboren am 5. Juli 1930, aufgewachsen im Berner Oberland, absolvierte in Thun eine Ausbildung im Maschinenbau, legte in Zürich die Meisterprüfung ab, qualifizierte sich in Planungstechnik und kam 1954 nach Biel zur Henri Hauser AG. Bis zur Pensionierung 1994 leitete er die Dienststelle Zivile Verteidigung in Biel und schließlich im Kanton Bern.

Die Offizierskurse in der Schweiz, die auch Franz Reist besuchte, enden für gewöhnlich mit einer besonderen freigewählten Herausforderung. An Herausforderungen hat es im Leben Franz Reists nicht gefehlt. Seine Passion war der Alpinismus. Im Verlauf seines Lebens hat er alle 42 über 4000 Meter hohen Gipfel der Schweiz bestiegen. Er betrieb Abfahrts-und Skilanglauf, dies auch wettkampfmäßig. Nahezu alle großen Skilanglaufveranstaltungen in Europa und Übersee hat er besucht. Im Militärsport hat er an über 50 Patrouillenwettkämpfen teilgenommen.

 

Als er im Alter von 29 Jahren einen Offizierskurs beendete, schlug er für die Abschlußveranstaltung einen 100-Kilometer-Lauf und -Marsch vor. Bedingung war, daß die Route auf ein Kartenblatt passen mußte. Zusammen mit den damaligen Unteroffizieren Urs Spörri und Hans Brönnimann organisierte er die Bieler Runde, die zwar im Laufe der Zeit immer wieder Korrekturen erfahren hat, im Kern aber erhalten geblieben ist. Die interne Kursveranstaltung sprach sich herum; bereits im Jahr darauf wurde die 100-Kilometer-Runde öffentlich ausgeschrieben. Die Präzision, mit der die Veranstaltung organisiert worden ist, trug zu ihrer Beliebtheit bei. Bis einschließlich zur 40. Austragung im Jahr 1998 hatte Franz Reist als OK-Präsident die Verantwortung für die Organisation. Das war, da sich die Veranstaltung selbst finanzieren mußte, nicht immer einfach. Mit der Ausweitung des 100-Kilometer-Laufs zu Bieler Lauftagen gelang ihm die Anpassung an neue Bedürfnisse. Sein Nachfolger, Jakob Etter, baute das Laufereignis weiter aus.

Franz Reist zog sich nicht auf das Sofa zurück, sondern wirkte als „Außenminister“ für die Bieler Lauftage. Größtenteils bei Funktionärsläufen ist er 35 Mal die 100 Kilometer seiner Strecke gelaufen. Eine Arthrose hinderte ihn später am Lauftraining. Bis zum Tag seines Todes hielt er sich mit Radfahren fit. Als er am 13. Februar von einer Velo-Fahrt entlang der Aare zurückkehrte, ereilte ihn vor der Haustür in Brügg ein tödliches Herzversagen.

Franz Reist hinterläßt seine Frau, zwei Söhne, Enkel und Urenkel. Er hatte das Vergnügen, auf seiner Veranstaltung auch einmal einen Enkel am Start zu sehen.

Photos: Bieler Lauftage/swiss-photograph (1), Sonntag (2)

Eintragung vom 21. Februar 17

Ich gestehe: Beim Taubertal 100 hat mich unter anderem beeindruckt, daß an den Verpflegungsständen Chia-Samen angeboten worden ist. Keine billige Angelegenheit, deshalb wird man ein ähnliches Angebot auf Laufveranstaltungen lange suchen müssen.

 

Chia-Samen ist schon vor 5000 Jahren von den Mayas und den Azteken als Nahrungs- und Heilmittel angebaut worden. Bereits in vorspanischer Zeit hatten mittelamerikanische Langstreckenläufer, Krieger und Reisende Chia bei sich geführt. Vor etwa dreißig Jahren ist der gesundheitliche Wert des Chia-Samens in Europa entdeckt worden und vor wenigen Jahren auch seine Eignung als Laufverpflegung. Chia-Samen enthalten Omega 3 – und zwar zehnmal mehr als Lachs –, Omega 6, Eisen, Calcium, Magnesium, Vitamin A und B, Kalium, Bor, Zink, Folsäure und Aminosäuren sowie Antioxidantien und Ballaststoffe.

So wäre denn alles in schönster Ordnung. Doch es gibt Einwände. Meine Quelle ist der „Gesundheitsberater“, das Magazin der Gesellschaft für Gesundheitsberatung, der unabhängigen Vereinigung, die Dr. med. Max Otto Bruker (1909 – 2001) im Jahr 1978 gegründet und etwa 5500 Gesundheitsberater ausgebildet hat. Ein Mitarbeiter, Dr. rer. nat. Franz Eckert, hat im Februar-Heft einen wie immer aufschlußreichen Leitartikel veröffentlicht: „Was ist dran an dem ,Wundersamen‘ Chia?“ „Manche Berichte erwecken fast den Eindruck, daß nur mit Chia-Samen eine ausreichende Eiweiß- und Omega-3-Fettversorgung möglich ist. Chia-Samen erlangt dadurch immer mehr Beachtung.“

Eckert zieht zum Vergleich Leinsaat heran. Danach ist dessen Gehalt von Linolensäure, einer Omega-3-Fettsäure, nur um ein Prozent niedriger als bei Chia-Samen. Das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäure dagegen ist bei Leinsamen um circa 28 Prozent höher als bei Chia-Samen. Eckert fragt: Aus welchem Grund also sollte für Chia-Samen das Vierfache wie für Leinsamen bezahlt werden?

„Aus ökologischer Sicht sollte man auf Chia-Samen verzichten, weil eben vorwiegend der Transport zu uns wesentlich mehr Treibhausgase verursacht als regionale Lebensmittel“, meint Dr. Eckert. „Macht es Sinn, Lebensmittel, die bei anderen Völkern traditionelle Lebensmittel sind, verstärkt zu uns zu holen, wenn wir äquivalente Alternativen (Leinsaat) haben? Es besteht außerdem die Gefahr, daß dieses Lebensmittel dann in den Anbauländern auf grund der höheren Nachfrage teurer wird. So geschieht das schon lange bei Getreide für die Tierernährung durch den Import aus anderen Ländern.“

Dr. Eckert weist zu Recht auf die Empfehlung Dr. Brukers hin: „Essen und trinken Sie nichts, wofür Werbung gemacht wird!“ Nun spielt zwar Chia-Samen in der Verpflegung für Läufer nur eine winzige Rolle; aber wir sollten vermeiden, daß aus dem Angebot beim Taubertal 100 ein Trend wird.

Photo: Sonntag

Eintragung vom 14. Februar 17

Eine ungewöhnliche Leistung hat ihr Ende gefunden. Beim Laufen wetteifern wir im Hinblick auf Schnelligkeit, in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr auch unter dem Aspekt der Ausdauer. Ein weiterer Aspekt hat in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen, nämlich ausgesuchte Schwierigkeiten einer Strecke zu meistern. Sonst noch etwas? Ja, das Laufen in den Alltag zu integrieren, also täglich zu laufen. Auch dieser Aspekt hat eine organisatorische Struktur erhalten, wenngleich nur für eine winzige Minderheit.

Einen Namen gibt es dafür auch: Streak Running. Streak (Streifen) bedeutet serielles Laufen, nämlich jeden Tag zu laufen, und zwar mindestens eine Meile. Im Jahr 2000 ist in den USA eine Streak-Running-Vereinigung gegründet worden. Allerdings sind dort nur amerikanische Bürger gelistet.

Der Streak-Runner, der die längste Zeit täglich gelaufen ist, ist, soweit bekannt, der Engländer Ron Hill, der dreimal an den Olympischen Spielen teilgenommen hat (Persönliche Marathon-Bestzeit 2:09:28 Stunden). Am 21. Dezember 1964 hat er mit dem Streak-Running begonnen. Bis zum 6. März 1991 trainierte er jeden Wochentag zweimal, seither hat er eine Einheit am Tag zurückgelegt. Nun jedoch, am 29. Januar 2017, hat er im Alter von 78 Jahren nach 52 Jahren und 39 Tagen das tägliche Laufen beendet. Gesundheitliche Gründe, heftige Schmerzen in der Brust, zwangen ihn dazu.

Nach Thomas Steffens ist es Ron Hill gewesen, der auf die Idee gekommen ist, das tägliche Laufen zu propagieren. Er selbst ist nach einer Operation sogar mit Krücken gelaufen, nur um das Streaken nicht zu unterbrechen.

Was auch erfunden wird, – Ideen wie das tägliche Laufen finden ihre Anhänger. Das Thema Streak ist im Internet ausgiebig diskutiert worden, und zwar durchaus sachlich, auch von denjenigen, die wie ich nicht allzuviel vom Streaken halten.

Ich bin der Meinung, es macht keinen physiologischen Sinn, täglich eine Meile zu laufen. Erst recht nicht, wenn dies, wie dies vereinzelt vorgekommen ist, mit Schmerzen verbunden ist. Eine psychologische Hilfe bedeutet die tägliche Meile auch nicht. Wer drei-, vier- oder fünfmal in der Woche läuft, wird das Laufen nicht aufgeben, wenn er einen oder mehrere Tage Laufpause macht.

Eintragung vom 7. Februar 17

Was tun bei Muskelkrämpfen? Kaum ein Läufer hat sich nicht schon in einer Situation befunden, in der diese Frage akut war. Seit Jahrzehnten lautet die Antwort: Dehnen, meistens auch immer: Magnesium zuführen.

Magnesium kann tatsächlich bei dem Prozeß der Verkrampfung eine Rolle spielen; doch Magnesium-Einnahme kann Muskelkrämpfe nicht beeinflussen. Der Ratschlag, bei Krämpfen einen angeblichen Magnesium-Mangel auszugleichen, ist daher überwiegend durch Weitersagen und Abschreiben verbreitet worden.

Neuerdings hat ein ungewöhnlicher Tip die Weihen einer seriösen Fach-Veröffentlichung erhalten. Er lautet: Gewürzgurken-Wasser trinken! Diese Erkenntnis findet sich im Januar-Heft der Zeitschrift „Physiotherapie“; ich selbst bin durch eine Pressemitteilung des Verlages (Georg Thieme, Stuttgart) darauf aufmerksam gemacht worden. Der Beitrag, „der zur Diskussion anregen soll“, stammt von einem erfahrenen Physiotherapeuten, André Wolter, der in Seevetal-Hittfeld praktiziert.

Auch Wolter verweist die Annahme, daß Magnesium Krämpfen vorbeugen könne, ins Reich der Mythen. Ausgehend von einer amerikanischen Studie empfiehlt er seinen Krampfpatienten seit einigen Jahren das Trinken von Gurkenwasser. Nach der amerikanischen Studie verkürzt sich der durch Sport ausgelöste Muskelkrampf nach der Einnahme der essighaltigen Flüssigkeit, in der die Gurken eingelegt sind, um fast die Hälfte. Empfohlen wird bei akuten Krämpfen ein Milliliter Gurkenwasser je Kilogramm Körpergewicht. Die Dosierung kann jedoch nach Wolter vernachlässigt werden, weil es vermutlich einfach der saure Geschmack im Rachen sei, der die Aktivität der impulsgebenden Nervenzellen drossele und damit krampflösend wirke. Nach Angabe der amerikanischen Autoren löst sich der Krampf im Mittel nach 85 Sekunden.

Entdeckt wurde die überraschende Wirkung des Pickle Juice, des Gurken-Suds, im Jahr 2000. Da trafen die Footballmannschaften Philadelphia Eagles und Dallas Cowboys bei extrem heißen Wetter aufeinander. Infolge von Krämpfen mußte ein Dutzend Spieler der Dallas Cowboys das Spiel abbrechen, die Eagles hingegen verloren keinen einzigen Spieler und gewannen. Diesem Phänomen ging der Medizinstudent Kevin Miller mit Kommilitonen nach; im Jahr 2010 veröffentlichte er seine Doktorarbeit über den Einfluß von Gurkenwasser auf Muskelkrämpfe. Da als Ursache der Krämpfe immer wieder ein Zusammenhang mit Flüssigkeits- und Elektrolytverlust gesehen worden ist, hatte er jeweils zehn Probanden in 30-Minuten-Intervallen auf Ergometern treten lassen, bis sie durch Schweißabsonderung drei Prozent ihres Körpergewichtes verloren hatten. Durch eine elektrische Stimulation, so schreibt der Physiotherapeut Wolter im Januar-Heft der „Physiotherapie“, löste er bei den Studienteilnehmern einen Krampf im Großzehenbeuger aus. Danach bekam eine Gruppe Gurkenwasser, eine Kontrollgruppe salzfreies Wasser zu trinken. „Die Krampfdauer war bei den Probanden, die Gurkenwasser zu sich genommen hatten, signifikant kürzer (12 – 219 Sekunden) als bei der Trinkwassergruppe (71 – 246 Sekunden).“ Die Krampflösung nach Gurkenwasser trat im Durchschnitt um 45 Prozent rascher ein.

Wie die amerikanischen Autoren mitgeteilt haben, ist die Wirksamkeit des Gurkenwassers bisher allein bei Krämpfen, die durch Muskelaktivität ausgelöst waren, nachgewiesen. Welcher Bestandteil der Gurkenflüssigkeit die Muskulatur entspannt, ist nicht bekannt.

Die Blut- und Urinproben der beiden Studiengruppen zeigten im Hinblick auf Mineralienkonzentrationen (Natrium, Kalium, Magnesium und Calcium) keine Unterschiede. Offensichtlich hat das Gurkenwasser keinen Einfluß auf die Körperflüssigkeiten, weil die Verweildauer im Magen viel zu lange ist. „Entscheidend ist, daß das Gurkenwasser nachgewiesenermaßen die Alpha-Motoneuronen-Aktivität in der krampfenden Muskulatur reduziert. Ob Gurkenwasser auch prophylaktisch wirkt, ist hingegen noch unklar“, schreibt Wolter. „Physiopraxis“ 2017, 15 (1), S. 46 - 49.

Sind wir dank der Erkenntnis der Wirkung von Gurkenwasser ein lästiges Problem insbesondere bei Hitzeläufen los? Leider nein, fürchte ich. Wo bekommt man bei einem Hitze-Marathon, wenn einen bei Kilometer 30 der Krampf in die Wade fährt, Gurkenwasser her?

Noch ein Hinweis. Die metallene Gurke, die man nach erfolgreichem Spreewald-Marathon erhält, ist keine Anspielung auf das hilfreiche Gurkenwasser, sondern ein Symbol für das landwirtschaftliche Hauptprodukt des Spreewaldes.

Eintragung vom 31. Januar 17

So vorsichtig man auch mit Superlativen umgehen sollte, – es besteht wohl Einmütigkeit darüber, daß der New York City-Marathon die populärste Laufveranstaltung der Welt ist. Wahrscheinlich gibt es keinen deutschen Marathonläufer, der nicht einmal in New York starten möchte oder schon gestartet ist.

Der New Yorker Marathon ist das Werk des rumänischen Immigranten Fred Lebow (1932 – 1994), der den Lauf 1970 im Central Park zusammen mit einem Sportfreund begründete.

 

Aus einem Feld von 127 Startern ist über den Lauf durch die fünf Boroughs, erstmals 1976, der Welt teilnehmerstärkster Marathon geworden. Fred Lebows Initiativen wären jedoch wahrscheinlich versandet, zumindest nicht so effektiv gewesen, wenn er nicht fähige Mitarbeiter gefunden hätte. An erster Stelle ist Allan Steinfeld zu nennen; Lebow selbst hat ihn als seine rechte Hand bezeichnet und sich immer wieder positiv über seine Initiativen und seine präzise Arbeit geäußert. Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich Freundschaft. Nach Lebows Tod übernahm Steinfeld die Position des Renndirektors. Am 24. Januar 2017 ist Allan Steinfeld im Alter von 70 Jahren gestorben.

Im Jahr 1963 war er in den New York Road Runners Club eingetreten. Geboren ist er am 7 Juni1946, wuchs in der Bronx auf, besuchte in Brooklyn die Schule, erwarb den Grad eines Bachelors und den Master-Grad der Cornell University in Elektrotechnik und Radioastronomie. In Alaska strebte er ein Doktorat an, um Hochschullehrer zu werden, kehrte jedoch 1972 nach New York zurück und lehrte hier. 1978 gewann ihn Fred Lebow dazu, als sein Assistent eine Halbtagsstelle beim New York City-Marathon anzutreten. Steinfeld war ursprünglich Sprinter, wandte sich dann jedoch der Langstrecke zu, 1979 lief er den Honolulu-Marathon.

Mehr als drei Jahrzehnte lang entwickelte Steinfeld den New York-Marathon, zunächst als Technischer Direktor; nach Lebows Tod 1994 übernahm er bis zum Jahr 2005 die Gesamtleitung des Marathons; seit 1992 war er Präsident des New York Road Runners Club. Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles trug er als oberster Kampfrichter die Verantwortung für den Marathon. Mehrfach übernahm er weltweit leitende Positionen bei Marathon-Veranstaltungen; in der AIMS (Association of International Marathons) war er Vizepräsident. Seine internationale Aktivität ist 2009 mit dem Abebe Bikila Award gewürdigt worden. Wer Fred Lebows Buch „Inside the World of Big-Time Marathoning“ (1984) aufschlägt oder das Buch von Ron Rubin “Anything for a T-Shirt. Fred Lebow and the New York City Marathon, the World’s Greatest Footrace” (2004) durchblättert, wird im Index kaum einen anderen Namen mit sovielen Verweisen finden wie hinter dem Namen von Allan Steinfeld.

Allen Steinfeld war verheiratet mit Alice H. Schneider, die ebenfalls Fred Lebows Stab angehörte. Auf diese Weise hat sich die Zusammenarbeit potenziert.

Ich bin den New York City-Marathon dreimal gelaufen, das erstemal 1978. Da schon fiel mir der allgegenwärtige Mann mit der schwarzen Augenklappe auf. Als Lebow bereits die Diagnose Krebs erhalten hatte, drängte er Steinfeld dazu, sich in augenärztliche Behandlung zu begeben. Gegen den Krebs, der auch Steinfeld befallen hatte, konnte ärztliche Fürsorge nichts ausrichten.

Photo: Sonntag

Siehe dazu den Leserbrief von Karsten Koehler mit Hinweis auf Multiple System Atrophie als Todesursache bei Allan Steinfeld.

Eintragung vom 24. Januar 17

Normalerweise verbreiten Fachzeitschriften Fakten. „Runner’s World“, deutsche Ausgabe, hat im Februar-Heft Zuflucht zu einer Fiktion genommen. Martin Grüning, der Chefredakteur, der eine deutsche Spitzen-Marathonzeit aufweist, hat in einem 10-km-Wettbewerb vom Start weg die Rolle des Letzten übernommen und beantwortet in der jüngsten Folge einer Serie „Ausprobiert“ die Frage „Wie fühlt es sich an… als Letzter ins Ziel zu laufen?“ Das Fazit: „Ganz ehrlich, ich hatte mir das Ganze spektakulärer vorgestellt.“

Genau dieses Thema hat mich vor fast fünfzig Jahren gereizt. Es war die Zeit, als ich noch nicht Marathon lief, aber schon zum Laufen gefunden hatte. Damals, am 5. August 1967, wurde in Stuttgart eine Deutsche Marathon-Meisterschaft ausgetragen. Diesen Wettbewerb wollte ich beobachten und fand, daß es reizvoll sein müsse, eine Veranstaltung, bei der es um die Erzielung höchstmöglicher Schnelligkeit geht, genau an der Darstellung des Gegenteils aufzuhängen. Wie laufen die Letzten? Diese Idee konnte ich dem Sportressortleiter der „Stuttgarter Zeitung“, Reinhold Appel, schmackhaft machen. Ich gehörte damals dem Ressort „Aus aller Welt“ an, hatte jedoch das Privileg, mich als Autor auch in anderen Ressorts zu tummeln. Da ich im Jahr zuvor mit dem Laufen begonnen hatte, lag mir das Sportressort nahe. Dort konnte ich meine ersten Reflexionen über das Laufen veröffentlichen.

  Mit meinem Thema „Wie laufen die Letzten?“ war ich jedoch ein Jahr zu früh daran. Ich hätte mitlaufen müssen. Das war damals bei einer Deutschen Meisterschaft möglich, sofern man einen Startpaß hatte, der aber ohne weiteres zu bekommen war. Meine Kondition reichte jedoch nur für einen Halbmarathon; erst im Mai 1968 lief ich mit Ach und Krach meinen ersten Marathon. Also nahm ich für die Deutsche Meisterschaft den Fahrdienst für Journalisten in Anspruch. Der bestand jedoch nur aus einem halben Auto, will sagen: zwei Journalisten mußten sich ein Auto teilen. Das bedeutete, in der ersten Hälfte durfte ich die Letzten beobachten, dann aber drängte es meinen Kollegen, die Spitze zu verfolgen – mit mir im Auto. Ich schrieb zwar über die Letzten, aber meinem Thema war die Luft ausgegangen. Daher liest man bei mir nur, was mir die Letzten erzählten. Der Vorletzte wäre gern wie 14 andere Läufer der 191 Starter ausgestiegen, aber es war sein letzter Marathon – sein erster hatte im Jahr 1934 stattgefunden. Den letzten Marathon wollte er, 58 Jahre alt, im Ziel beenden. Das schaffte er in 4:32:44 Stunden, 3 Minuten später als ich bei meinem ersten Marathon. Das waren schon ungewöhnliche Deutsche Meisterschaften, für die der DLV verantwortlich zeichnete.

Der Letzte, 57 Jahre alt, lief bei dieser Meisterschaft seinen ersten Marathon. Wir, die Zeitnehmer, ein paar Sportfreunde und ich – Publikum gab es nicht mehr – , begrüßten ihn eine Viertelstunde nach dem Vorletzten. Ich schrieb: „Als die letzten Läufer eintrafen, lag das Stadion (Anmerkung: Das damalige Neckarstadion in Stuttgart) im Dunkeln wie ein Bahnhof nach dem letzten Abendzug; in den Gängen fegten Putzfrauen den Unrat zusammen.“ Der Letzte hatte vier Jahre zuvor (Anmerkung: also 1963) mit dem Laufen begonnen, weil er abnehmen wollte; bis zum Marathon waren 10 Kilogramm auf der Trainingsstrecke geblieben.

Für das Thema „Wie laufen die Letzten – wie fühlt es sich an?“ wäre ich Jahrzehnte später zum Spezialisten geworden. Da begann ich, als Letzter zu laufen – doch anders als Martin Grüning. Ich spielte nicht den Letzten – ich war es. Im Jahr 1985 wurde ich beim Spartathlon bei Kilometer 173 wegen Zeitüberschreitung aus dem Rennen genommen. Das wäre noch zu vermeiden gewesen, wenn ich nicht vor dem Aufstieg zum Sangas-Paß eine Pause, eine Schlafpause gar, gemacht hätte. Vielleicht versteht dann mancher, daß ich bei meinem dritten Spartathlon-Finish 1992 zufrieden war, in Sparta angekommen zu sein, wenn auch mit Überschreitung der 36-Stunden-Zeit und damit ohne Wertung.

Im Jahr 1998 wurde es ernst. Da schaffte ich zeitlich nicht mehr die damals neue Supermarathonstrecke des Swiss Alpine (über Keschhütte und Scalettapaß); wenige Minuten nach dem Limit wurde ich an der Keschhütte (52 km) aus dem Rennen genommen. Immerhin, da gab es mehrere „Letzte“. Fortan mußte ich mich beim Swiss Alpine mit dem Marathon begnügen.

Im Jahr 2009 kam das endgültige Aus, erste Rate. Beim Berlin-Marathon konnte ich nur noch die Strecke bis zur Halbmarathonmarke ununterbrochen laufend zurücklegen, dann folgten Gehpausen. Schließlich verwies mich ein Mitarbeiter des „Besen“-Busses, der die Letzten einsammelte, auf den Gehweg. Also mußte ich mich an Fußgängergruppen vorbeischlängeln und beendete einsam die letzten Kilometer bis zum Ziel – 6:50:54 Stunden. Ich war 83 Jahre alt. Es folgten noch zwei Landschaftsmarathons, bei denen die Zeit zum Gehen ausreichte. Ob ich der Letzte war oder nicht, spielte keine Rolle – ich lief allein, so wie ich vorher schon beim Bieler Hunderter und bei dem einen oder anderen Marathon allein gelaufen war.

Wirklich, es ist unspektakulär, als Letzter zu laufen. Das Thema „Wie fühlt es sich an?“ ergibt sich im Grunde aus den Erlebnissen, die man als Letzter hat. Ich erinnere mich, daß auf einer mehrtägigen Ultrastrecke der Fahrer des Besenwagens mich überholte, 300 bis 500 Meter vor mir parkte, mich herankommen und vorbeilaufen ließ, wieder das Fahrzeug in Bewegung setzte, parkte, mich vorbeilaufen ließ und dies einen ganzen Tag lang. Es war furchtbar, weil es mir zeigte, wie sinnlos Laufen sein kann. Es gab aber auch die Situation – es war wohl in Marburg – , daß ich wartete, sehnlich auf das Besenfahrzeug wartete, weil ich mir über den Streckenverlauf nicht im klaren war. Oder die Überraschung: Beim Swiss Alpine holte mich ein Läufer ein und setzte sich neben mich. Und dabei war ich die ganze Zeit davon überzeugt gewesen, der Letzte zu sein. Bis ich mit einem Seitenblick erkannte: Der Läufer trug einen Besen auf dem Rücken.

So kann es auch gehen: Bei meinem letzten Bieler Hunderter war ich der Vorletzte. Bei dem Eliminationspunkt 76,6 km wartete der Postbus auf die letzten Läufer. Der Posten legte mir nahe einzusteigen, weil ich es nach Biel nicht mehr bis zum Zielschluß schaffen würde. Ich beendete den Lauf, nicht ohne noch die automatische Zeiterfassung zu passieren (16:40:36). Dann warteten wir auf den Letzten. Doch der Letzte stieg trotz Aufforderung nicht in den Bus, sondern ging beharrlich weiter. Auf diese Weise hat sich ereignet, daß der Letzte höchstwahrscheinlich das Eisstadion erreicht hat, der Vorletzte jedoch, nämlich ich (knapp 84 Jahre alt), den Lauf bei km 76 beendet hat.

Nun kann „Runner’s World“ seine Reihe mit dem Thema fortsetzen „Wie fühlt es sich an, wenn man gar nicht mehr läuft.“ Doch ob man dafür einen Autor findet? Ich jedenfalls mag nicht der Autor dafür sein.

Eintragung vom 17. Januar 17

Laufveranstaltungen werden keineswegs allein von Läuferinnen und Läufern bestritten. Ursprünglich war Laufen auch mit anderen Leibesübungen verbunden, beim Dreibeinlauf oder beim Sackhüpfen zum Beispiel. Laufend sind Lasten getragen worden oder, denken wir an die Tarahumara, ist bei Ultraläufen eine Kugel von den Läufern vorwärts bewegt worden.

In der zeitgenössischen Laufbewegung, als Regeln für Laufwettbewerbe aufgestellt, ausgearbeitet und überwacht worden sind, haben Funktionäre alles, was nicht Laufen war, aus den Laufwettbewerben herausgedrängt; Ziel war es, optimale Schnelligkeitsleistungen zu ermöglichen. Die Beschränkung jedoch ist nur für eine Weile gelungen. Dann hat sich eine Hintertür nach der anderen aufgetan. So wie Läufer sich für ihre Wettbewerbe einiges bei den Reitern, später den Radfahrern abgesehen haben, sind Laufwettbewerbe auch für Reiter und für Radfahrer geöffnet worden. Die Kombination Reiten und Laufen hat freilich Seltenheitswert gehabt. Mit dem Rad-Duathlon ging das schon besser; doch taten sich Probleme auf, die es geraten sein ließen, auf Fahrräder beim Laufwettbewerb zu verzichten. Wer erinnert sich noch daran, daß der Schwäbische-Alb-Marathon zunächst als Lauf und als Duathlon ausgeschrieben war? Die 44 Kilometer wurden 1991 von 350 Läufern und immerhin 300 Duathleten bestritten. Der Duathlon wurde jedoch verhältnismäßig bald aufgegeben.

Die Integration von Gehbehinderten in Laufveranstaltungen führte in den achtziger Jahren zur Entwicklung von Rennrollstühlen und später von Hand-Bikes. Wettbewerbe innerhalb von Langstrecken-Wettbewerben führten also zu neuen Sportgeräten. Als sich das Skaten ausbreitete, übernahmen Laufveranstalter Skating-Wettbewerbe in ihr Programm. Dabei ist es nicht geblieben. Beim Europa-Marathon am 28. Mai in Görlitz können fortan auch Einrad-Fahrer im Skating-Wettbewerb starten. So kehren also Radsportler auf die Laufstrecke zurück.

Im Verlauf der Ausdifferenzierung des Laufens hat sich nicht nur der Ultralauf etabliert, sondern auch eine Laufsportart, die Anleihen beim Bergwandern, ja selbst beim Klettern nimmt, der Berglauf, dessen Anforderungen immer mehr gestiegen sind. Aus Skandinavien ist der Orientierungslauf zu uns gekommen. Der jüngste Import ist Swim & Run, 2015 in Deutschland eingeführt. Man legt eine Distanz zurück, bei der die Laufstrecke mit Gewässer wechselt und damit das Laufen mit Schwimmen. Die Nähe zum Traillaufen und zum Hindernislauf ist unverkennbar. Die Tendenz ist eindeutig: Die Strecke gewinnt Priorität, nicht mehr bei jedem Wettbewerb die absolute Schnelligkeit.

Mein Kommentar: Dies alles scheint mir gegen das Argument zu sprechen, Laufen gehöre zu den leichtathletischen Disziplinen und müsse daher weiterhin (in Deutschland) vom Deutschen Leichtathletik-Verband verwaltet werden. Das Leben ist einfach vielfältiger, als sich in Organisationsformen und Regelwerken erfassen läßt.

Eintragung vom 10. Januar 17

Zeit, das Wetter zu kommentieren. Der Kommentar kann aus einem einzigen Satz bestehen: Wir haben Winter. Die persönliche Note: Am 7.Januar gegen 16 Uhr bin ich gestürzt. Mehrfach habe ich an dieser Stelle von meinen Stürzen berichtet. Der letzte liegt Jahre zurück; ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern. Er hat sich beim Laufen ereignet.

Der jüngste Sturz ist bemerkenswert – nicht weil es der erste Sturz im jungen Jahr 2017 gewesen ist, sondern der erste, der sich beim Gehen ereignet hat. Die Umstände sind schon charakterisiert: Wir haben Winter.

Seit dem Schlaganfall im Oktober 2015 ist meine Laufstrecke, will sagen: meine Gehstrecke auf 4 Kilometer geschrumpft; aber ich benutze sie fast täglich. Auch im Winter. Erstmals liegt meine Trainingsstrecke fast völlig unter einer festen Schneedecke.

Zwei Tage zuvor war ich bei einer Neurologin; mein Hausarzt hatte mir eine neurologische Kontrolle empfohlen. Die Neurologin hatte nichts auszusetzen. Weshalb komme ich auf diesen Besuch? Am Empfang erhielt ich einen Rat für den Heimweg: Ich möge aufpassen, es sei glatt. Eben, wir haben Winter. Ich lächelte nur.

Diesmal war ich selbst zu der Erkenntnis gekommen, Aufpassen sei angezeigt. Ich war beruhigt, daß ich schon wegen der Kälte die knöchelhohen Laufschuhe trug, die ich zum Laufen wenig getragen hatte. Das Profil ist noch so gut wie neu. Daran dachte ich auf meinem Weg. Meine Route war auffallend wenig begangen; die Rollatoren-Nutzer und die alten Damen in Rollstühlen waren ohnehin daheim geblieben.

Nach einem Kilometer dann die Gefällstrecke. Ein einsamer Passant kam mir entgegen. War ich abgelenkt? Ich verlor den Boden unter den Füßen. Wahrscheinlich war ich auf eine Eisschicht geraten. Im nachhinein habe ich den Eindruck, der Vorgang habe sich unendlich langsam abgespielt. Ich dachte noch: Locker fallen! Die Landung gelang; zufrieden nahm ich wahr, daß nichts passiert war. Das Problem war, wieder auf die Füße zu kommen. Das kannte ich noch nicht. Ich lag da und fühlte mich hilflos. Da traf es sich gut, daß der entgegenkommende Fußgänger kräftig war. Er reichte mir die Hand und zog mich empor. Danke!

So viele Worte um einen harmlosen Sturz? Im 91. Lebensjahr ist kein Sturz von vornherein harmlos. Erst jetzt habe ich überlegt, daß mir ein Stock wahrscheinlich geholfen hätte, das Gleichgewicht zu bewahren und den Sturz zu vermeiden. Auf Walkingstöcke hatte ich beim Gehen absichtlich verzichtet, weil sich meine Gehgeschwindigkeit dermaßen verringert hat, daß ich die Stöcke wahrscheinlich nicht zum Training der Schulterpartie, sondern zum Abstützen gebraucht hätte, so wie ich das bei vielen zumal älteren Walkern beobachte. Nur in einem Falle wie dem meinen, im Fall des Falles also, wäre das genau richtig gewesen.

Wenn man mich fragt, was auf einen Läufer denn zukomme, wenn er nicht mehr läuft, kann ich nun antworten: Dies!

Eintragung vom 3. Januar 17

Terror in Berlin, Anschlag in Istanbul; der Bundespräsident wechselt, das Bundestagswahljahr hat begonnen. Sonst noch etwas? Aber ja, an Schulen und in Kindertagesstätten soll mehr Schweinefleisch gegessen werden. Der Bundesernährungsminister hat sich ins Gespräch gebracht. Oder war es nicht doch der Landwirtschaftsminister?

Also jedenfalls, Christian Schmidt (CSU) hat, bevor er am 30. Dezember 2016 sein „Grünbuch“ vorstellte, „Bild“ ein Interview gegeben. Hat er dazu aufgerufen, mehr Vollkornbrot zu essen? Oder gar, auf Fleisch von Tieren zu verzichten, deren Futter Antibiotika enthalten hat? Nein, nach der Darstellung von „Bild“ und dem „Spiegel“ war es das Schweinefleisch.

Das war vorher schon einmal im Gespräch, und zwar bei der CDU in Schleswig-Holstein. Vorausgegangen ist, daß das Angebot von Gerichten mit Schweinefleisch erwiesenermaßen reduziert worden ist. Einige öffentliche Kantinen, Kindertagesstätten und Schulen haben Schweinefleisch gänzlich aus dem Angebot entfernt. Begründet wird das mit der großen Anzahl von Vegetariern einschließlich Veganern, in einem Fall auch mit Rücksicht auf muslemische Kinder in einer Kindertagesstätte. Das hat den CDU-Landwirtschaftspolitiker Heiner Rickers bewogen, eine Schweinefleisch-Pflicht zu beantragen. Die Regierung des Bundeslandes Schleswig-Holstein wird von der SPD, den Grünen und dem SSW (Südschleswiger Wählerverband) gestellt. Der Antrag ist abgelehnt worden.

Der Bundesernährungs- und -Landwirtschaftsminister Schmidt hat das Schweinefleisch in dem „Bild“-Interview zu seinem Anliegen gemacht. „Daß unsere Kinder kein Schweinefleisch mehr bekommen, ist völlig inakzeptabel“, sagte er. Auch wenn die Zahl der Muslime im Land steige, dürfe man nicht aus Bequemlichkeits- oder Kostengründen für die Mehrheit in der Gesellschaft die Auswahl einschränken. Christian Schmidt äußerte: „Fleisch gehört auf den Speiseplan einer gesunden und ausgewogenen Ernährung, auch in der Kita- und Schulverpflegung. Jedes Kind sollte die Auswahl haben, ob es Rind-, Schweinefleisch, Fisch oder eben vegetarisch essen möchte.“

Hat sich der Ernährungsminister, der ja früher einmal Verteidigungsexperte gewesen ist, ausreichend damit befaßt, daß Schweinefleisch in gesundheitlicher Hinsicht durchaus kritisch zu sehen ist? Angeblich halten Wissenschaftler Schweinefleisch nicht für ungesund. Es gibt jedoch sehr wohl medizinische Einwände. Leidenschaftlich hat Professor Dr.med. Hans-Heinrich Reckeweg (1905 – 1986) das Schweinefleisch geschmäht. Er ist nicht der einzige geblieben. Wie immer man dazu steht, - Schweinefleisch als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung zu bezeichnen, wie das Bundesminister Schmidt getan hat, greift auf jeden Fall fehl.

Da politische Prozesse, wie man hier wieder erkennt, lange Zeit brauchen, müssen wir darauf hoffen, daß die Zahl der Vegetarier weiterhin zunimmt. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts ernähren sich 4 Prozent der Erwachsenen-Bevölkerung vegetarisch (6,1 Prozent Frauen, 2,5 Prozent Männer). Am höchsten ist der Anteil überwiegend vegetarisch lebender Menschen bei den Achtzehn- bis Neunundzwanzigjährigen. Er steige mit zunehmendem Bildungsstand sowie bei Menschen, die mehr als vier Stunden in der Woche Sport treiben.

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