Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 28. März 10

Es sah gut aus am Samstag, Sonnenglanz über der Landschaft. Der Wetterdienst hatte Regen angekündigt, ich mochte es nicht glauben. Daher Ausweitung der Trainingsrunde. Gerade nachdem ich etwa die Hälfte der 17 Kilometer zurückgelegt und den Rückweg angetreten hatte, begann es zu tröpfeln. Es blieb nicht beim Tröpfeln, veritabler Regen. Der Wetterdienst hat recht gehabt. Zwar hatte ich eine dünne Regenjacke mit, aber sie schützte nur unzureichend. Vor allem schützte sie nicht gegen die Kälte, die alsbald hereinbrach. Dazu kalter Wind. Wie froh war ich, als der Regenguß aufhörte! Wieder setzte sich die Sonne durch. Schon glaubte ich, das Gröbste überstanden zu haben, da brach es von neuem herein: Kräftiger Regen, starker Wind, Kälte. Die Füße waren gefühllos. Die Gelegenheit, mich unterzustellen, mußte ich ungenützt vorübergehen lassen. Es half nichts, als sich zu bewegen. Auf dem letzten Kilometer wieder Sonne. Im Osten ein prachtvoller Regenbogen. Mit steifen Fingern gelang es, die Haustür aufzuschließen. Jetzt bloß die nassen Klamotten vom Leibe! Ein Laufnachmittag, der mir lange in Erinnerung bleiben wird.

Nun das Thema, das ich primär behandeln wollte: Seit Wochen ist der sexuelle Mißbrauch von Schülern durch Geistliche, insbesondere katholische, und durch Erzieher an pädagogischen Elite-Einrichtungen ständiges Thema der Printmedien. Abgründe haben sich aufgetan. Alle paar Tage werden neue Fälle bekannt. Das Oberhaupt der katholischen Kirche ist unter Druck geraten. Rücktritte an der Odenwaldschule. Sexuelle Verführung durch pädophile Pädagogen ist erstmals zum Thema anhaltender öffentlicher Diskussion geworden.

Dennoch, neu ist das Thema nicht. Neu ist nur, daß viele Betroffene den Mut gefunden haben, über die an ihnen begangenen Sexual- oder Gewaltdelikte zu sprechen. Das bedeutet allerdings, es werde der Eindruck erweckt, in den siebziger und achtziger Jahren seien alle Schleusen geöffnet worden. In der Tat hat ja ein katholischer Bischof auf die damals sich ausbreitende Sexualisierung unseres Lebens als eine Ursache des Mißbrauchs an Schutzbefohlenen hingewiesen. Es sei dahingestellt, ob sich die Zahl der Fälle tatsächlich seither vermehrt hat; man wird dies wohl schwerlich noch ermitteln können. Tatsache ist, daß sexuelle Delikte an Minderjährigen auch in früherer Zeit begangen worden sind, in einer Zeit also, als von Sexualisierung nicht die Rede sein konnte.

Von Vorwürfen des sexuellen Mißbrauchs durch katholische Geistliche habe ich bereits in meiner eigenen Kindheit in den dreißiger Jahren erfahren. Das kam so: Ich bin in einer sogenannten Mischehe aufgewachsen. Nach katholischem Kirchenrecht müssen Kinder von konfessionsverschiedenen Partnern katholisch getauft werden. Also wurde ich katholisch und genoß, wenn der Ausdruck erlaubt ist, eine katholische Erziehung, die sich in einer sogenannten Diaspora als besonders verklemmt gestaltete. Meine Mutter war Katholikin, mein Vater ein politisch linker Atheist. Meistens, wenn es zum Streit unter den Eheleuten kam und mein Vater gegen die Kirchenbesuche wetterte, warf er der katholischen Kirche die Mißbrauchsfälle vor. Meine Mutter und ich widersprachen, woher hätten wir es auch anders wissen können? Die Kirche deckte den Mantel des Schweigens über solche Delikte. In den Zeitungen stand kein Wort über diese Thematik. Da wir, meine Mutter und ich, selbst uninformiert waren, taten wir die Anwürfe meines Vaters als pure Hetze ab. Unsere Subjektivität war uns nicht bewußt.

Die Behauptungen meines Vaters waren jedoch nicht erfunden. Zu dieser Erkenntnis kam ich erst später, nämlich als der Bannführer von Görlitz einen meiner ehemaligen Mitschüler aus der Volksschule zu seiner Ordonnanz und zum homosexuellen Partner machte. Mit seinem Selbstmord versuchte er später, den Mißbrauch eines Minderjährigen zu vertuschen, was jedoch nur kurzzeitig gelang. Einige Jahre jedoch glaubte ich, daß Mißbrauchsvorwürfe gegen katholische Geistliche eine pure Erfindung von Kirchengegnern seien. Da ich selbst keinen Fall kannte, nahm ich an, es gebe keinen. Es fand sich keine Gelegenheit mehr, meinen Irrtum meinem Vater zu bekennen.

Wenn ich heute über diesen Komplex urteile, so erkenne ich, daß grundsätzlich alle Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche lernen oder betreut werden, in der Gefahr sind, von Pädophilen mißbraucht zu werden. Am 2. September 2009 habe ich an dieser Stelle versucht, sensibel für sexuellen Mißbrauch in Sportvereinen und im Verhältnis Trainer - minderjährige Trainierte zu machen. Ich habe dabei positiv angemerkt, daß die katholische Kirche in der Aufarbeitung begriffen sei; ihrem Beispiel müsse der Sport folgen. Das war voreilig geschrieben, das Ausmaß der Straftaten in der katholischen Glaubensgemeinschaft war zu dieser Zeit noch nicht bekannt.

Kirchen-Kritiker sehen darin, daß die Verbrechen speziell in katholischen Kirchengemeinden geschehen sind, einen Zusammenhang mit dem Zölibat. Eine Kausalität besteht jedoch nicht, da muß man der bischöflichen Entgegnung recht geben. Ein Zusammenhang drängt sich dennoch auf. Das Zölibat kommt offenbar insbesondere denjenigen entgegen, die ohnehin Schwierigkeiten hätten, eine Partnerin zu finden oder mit einer Frau zu leben. Ehelosigkeit ist dann keine Schwelle in der Lebensplanung. Wo Minderjährige zusammenleben, besteht immer auch die Gefahr, daß sich Pädophile angezogen fühlen, genau hier ihre Opfer zu suchen. Das Zölibat bereitet dafür nicht ursächlich den Boden. Was nichts daran ändert, daß es höchste Zeit ist, aus anderen Gründen über die theologische Rechtfertigung der Ehelosigkeit von Priestern nachzudenken und sie in Frage zu stellen.

Zusammenleben in Gemeinschaften wie Internaten erleichtert pädophilen Erziehern, ihre Neigung auszuleben. Unzureichende Aufklärung führt dazu, daß die Opfer schweigen. Das Bemühen, den Ruf einer Schule oder einer Chorgemeinschaft nicht beschädigen zu lassen, hat dazu geführt, daß die Verfolgung sexueller Delikte nur halbherzig aufgenommen wurde.

Ähnliches gilt auch für den Sport, der ja jahrzehntelang ein höchst gespaltenes Verhältnis zur Sexualität gehabt hat, vielleicht sogar noch hat. Verschiedene Mißbrauchsfälle haben gezeigt, daß unwissende Eltern oder Funktionäre selbst dann noch die entsprechenden Trainer verteidigten, als diese bereits unter Verdacht standen. Die jetzt ans Tageslicht kommenden Fälle in Kirche und Erziehungsgemeinschaften sollten uns daher Anlaß sein, in unserer eigenen Lebenswelt wachsam zu sein. Lauftreffs mögen nicht besonders gefährdet sein. Doch nicht wenige von uns sind in Vereinen verwurzelt; unsere Mitarbeit ist nicht nur bei Weihnachtsfeiern und Ausflügen gefragt.

Eintragung vom 21. März 10

Rechtzeitig zum Frühlingsanfang am 20. März hat sich die Welt, die wir beim Training erleben, komplett geändert. Der Schnee ist dahingeschmolzen, auf dem Fahrweg vor einem der Häuser sprossen plötzlich Schneeglöckchen. Weiß der Himmel, auch bei uns im Garten blühen plötzlich nicht nur Schneeglöckchen, sondern auch Krokusse, als wären sie nachts von Geisterhand gepflanzt worden. Eine ganze Jahreszeit, der Frühling, hat sich von einem Tag auf den anderen dargestellt. Gerade dieser abrupte Übergang von Schnee zu Schneeglöckchen hat den Frühling in diesem Jahr so überraschend gemacht.

Ich beschreibe nur das, was ich sehe. Dabei ist die Jahreszeit Frühling wahrscheinlich vor allem eine Sache von Serotonin und Dopamin. „Mit der steigenden Lichtintensität werden insbesondere bei Naturvölkern vermehrt Serotonin und Dopamin ausgeschüttet (in zivilisierten Kulturen ändert sich durch Kunstlicht die aufgenommene Lichtintensität nicht). Diese sorgen für ein allgemein besseres Befinden und bewirken eine leichte Euphorie,“ so ist bei Wikipedia zu lesen, schränkt allerdings ein: Bewiesen sei nichts. Erst recht können wir Hormon-Ausschüttungen nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen, aber wir spüren sie. Und seien es die Melatonin-Reste durch die Frühjahrsmüdigkeit.

Die Hormon-Prozesse führen zu unwillkürlichen Handlungsweisen. Wer hat den Kröten gesagt, daß in genau einer Woche der ganze Schnee weg sein würde und es an der Zeit sei, sich zum Wandern vorzubereiten? Unweit des NABU-Hauses steht seit einigen Tagen ein Warnschild: „Krötenwanderung!“ Ich habe zwar noch keine wandernden Kröten gesehen, aber das Schild ist schon mal da. Auf einmal ist am Wegesrand unweit der Straße auch schon ein Kiosk aufgestellt: Spargel. Noch ist der Kiosk geschlossen, doch Marianne hat bereits auf dem Wochenmarkt deutschen Spargel gekauft. Kostet ein Heidengeld, aber man gönnt sich ja sonst nichts.

Schilder, die vom Frühling zeugen, – das ist alles kopfgesteuert. Wir kündigen den Frühling an, weil wir den Frühling erwarten. Doch unsere hormonelle Unterwelt treibt uns zu spontanen Reaktionen. Nicht anders wie die Kröten. Hat mich nicht neulich erst der scharfe Wind davon abgehalten, auf die Laufstrecke zu gehen? Jetzt tritt die gegenteilige Reaktion ein: Es drängt mich hinaus. Die Läufer, die mir begegnen, tragen kurze Hosen. Meine Trainingsrunde habe ich erweitert. Es wird höchste Zeit dafür, am 8. Mai ist der Marathon am Rennsteig. Hormon- und Kopfsteuerung verbinden sich.

Eintragung vom 14. März 10

Der Himmel war bedeckt, aber es war trocken, bis auf wenige schneeglatte Passagen war der Weg frei. Dennoch habe ich auf meine Runde verzichtet. Die Kälte vom Tag zuvor steckte noch in den Knochen. Genau genommen, war es der kalte Wind, der mir die Lust an der Bewegung genommen hatte.

Vielleicht ist es anderen auch so ergangen. Dieser Winter, der auch Südeuropa einschneien ließ, hat es in sich gehabt. Am Mittwoch setzte abermals Schneefall ein, da trainierte ich nicht wegen des Neuschnees.

Der strengste Winter, den ich bisher erlebt habe, war der von 1947/48. Da kam noch die Versorgungsnot hinzu. In meinem Zimmer war die Tinte im Tintenfaß gefroren. Wo gibt es heute noch Tintenfässer? Meine Mutter bereitete mein Bett auf der Couch im zwar unbeheizten, aber wärmeren Wohnzimmer. Tagsüber hielten wir uns größtenteils in der glücklicherweise geräumigen, durch den Küchenherd beheizten Küche auf. Sicher, ich habe auch noch stärkere Kälte erlebt – das war im Winterurlaub. Doch niemand hat uns gezwungen, in eine Gegend zu fahren, in der die nächtliche Tiefsttemperatur auf minus 28 Grad absank. Die Urlaubskälte im Winterurlaub war ein Abenteuer, nichts sonst.

Wenn ich all die Jahre zurückdenke, so kann ich mich nicht an einen derart anhaltend strengen Winter erinnern wie die Wochen, die wir in weiten Teilen Europas diesmal erlebt haben. Von Klimaerwärmung hat kein Mensch mehr gesprochen.

Ich bin einmal im Januar in Apeldoorn Marathon gelaufen, im Februar in Mosbach am Neckar und in Bad Füssing. Auch auf Malta, die 100 Kilometer in Palamos/Spanien und den Marathon in Tel Aviv; doch da war es um diese Zeit warm. Wenn ich den Kalender weiter durchblicke, – am 10. März 1985 war ich beim Marathon in Kandel und 1995 bei den 50 Kilometern in Marburg, ich war im März in Steinfurt, am Edersee und in Freiburg i. B. An Mariannens Geburtstag am 13. März haben wir schon auf der Terrasse Kaffee getrunken. Nie war es im März so kalt wie jetzt. Immer auch langte die Zeit für das vorbereitende Training. In diesem Jahr sieht es schlecht aus. Nicht nur, daß winterliche Laufveranstaltungen ausfallen mußten, vor allem auch das Training hat gelitten. Es mag Unerschrockene gegeben haben, einigen wenigen bin ich auf meiner Runde begegnet. Doch im allgemeinen haben wir läuferisch oder walkend gelitten. Es wird interessant sein, die Teilnehmerzahlen der Frühjahrsmarathons nach Jahren zu vergleichen. Ob wohl in der Statistik für 2010 ein Sternchen stehen wird: „Strenger Winter“? Die Ergebnisse des 50-km-Laufs von Marburg werden auf der DUV-Website mit den Worten präsentiert: „Wir gratulieren allen, die Xynthia getrotzt haben.“ Es gab Veranstaltungen, bei denen deutlich mehr als sonst Angemeldete lieber zu Hause blieben.

An diesem Wochenende, dem 13. und 14. März, haben in Deutschland 26 Laufveranstaltungen stattgefunden, innerhalb der nächsten vier Wochen sind es zusammen über 250. Und zu allen starten wir wahrscheinlich mit dem Gefühl, Kälte in den Knochen zu haben. Auf jeden Fall haben wir unser Trainingsprogramm nicht so durchziehen können, wie wir geplant haben. Immerhin jedoch geht es uns allen so. Laufen und Walken hat sehr viel mit Anpassung zu tun.

Eintragung vom 6. März 10

Wäre das Tagebuch als Spiegel der Zeiten angelegt, wäre soviel zu kommentieren: die Erdbeben in Haiti und in Chile wie der Sturm Xynthia ums eigene Haus, der Kindesmißbrauch in Einrichtungen der Katholischen Kirche, an dem nur neu ist, daß nun endlich über ihn diskutiert werden darf, der Rücktritt der Bischöfin und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, weil sie sich so falsch verhalten hat wie jährlich einige Zehntausende ihrer Schwestern und Brüder. Die Vorratsdatenlöschung und damit Korrektur der Gesetzgebung durch das Bundesverfassungsgericht, die griechische Staatspleite und die Gefährdung des Euro. Richtig, und professionellen Sport hatten wir auch, die Olympischen Winterspiele in Kanada. Ein Todesopfer und schwere Stürze – muß die Architektur der Winterspiele korrigiert werden? All das zu kommentieren, da wäre der Anspruch auf Chronistenpflicht zu hoch angelegt.

Kehren wir also in die Läuferwelt zurück! Lange hat es gedauert, bis die Definition des Körpergewichts für einen gesunden Menschen von der Daumenregel, der Broca-Regel – optimales Gewicht: soviel Kilogramm wie Zentimeter der Körpergröße über einem Meter – durch eine angeblich präzisere Definition ersetzt war, den Body-Mass-Index (Körpergewicht in Kilogramm dividiert durch das Quadrat der Körpergröße. Doch während ich ihn mir gerade über die Website der AOK habe ausrechnen lassen – Ergebnis: Ihr BMI liegt etwas unterhalb der Norm –, dräut ihm medizinisches Ungemach. Eine Forschergruppe der Medizinischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, an der Mediziner aus München, Lübeck, Greifswald und Dresden beteiligt sind, verweigert dem BMI jegliche Aussagekraft über das Krankheitsrisiko durch Übergewicht. Aus der mehrjährigen Studie, in der 11.000 Menschen beobachtet worden sind, ergibt sich, daß bestimmte Krankheitsrisiken nicht mit einem steigenden BMI-Wert zunehmen. Der Body-Mass-Index, haben die Forscher herausgefunden, habe keinerlei Bedeutung für die Einschätzung des Schlaganfall-, Herzinfarkt- oder Todesrisikos.

Ganz aus heiterem Himmel kam dieses Ergebnis freilich nicht. Die Aussagekraft des BMI, der mir partout ein Untergewicht attestieren will, war vordem schon angezweifelt worden. Doch die Allgemeine Ortskrankenkassen mochten sich von der schönen Formel nicht trennen und bieten im Internet noch immer die Einstufung des Körpergewichts nach dem BMI an. Dabei ist der Body-Mass-Index, den der belgische Mathematiker Adolphe Quételet (1796 - 1874) entwickelt hat, bereits bei seiner Wiederbelebung 1972 durch Ancel Keys kritisch betrachtet worden; er wurde als geeignet für den statistischen Vergleich empfohlen, nicht jedoch für die Beurteilung von individueller Übergewichtigkeit. Der BMI unterscheidet nicht zwischen Fett und Muskeln; athletische Frauen und Männer zum Beispiel geraten daher in kritische Bewertungszonen, obwohl ihr Körperfettanteil eher unterdurchschnittlich ist.

Wie geht’s nun weiter? Kehren wir zur Broca-Formel mit einer Varietät von 10 bis 20 Prozent zurück oder zur Bernhardt-Formel (Körperlänge multipliziert mit dem mittleren Brustumfang geteilt durch 240)? Die Münchner Forschergruppe hat bereits die Richtung vorgegeben, den waist-to-height-ratio (WhtR), errechnet durch Taillenumfang geteilt durch Körpergröße (gemessen in Zentimetern). Je höher dieser Wert ausfalle, desto größer sei das Krankheitsrisiko, lautet die Erkenntnis der Studie. Werte über 0,5 gelten als medizinisch kritisch; jedoch verschiebe sich mit dem Alter die Grenze zur gesundheitlichen Bedenklichkeit nach oben. Die Beschränkung der Fettmessung auf die Nabelhöhe ist gewollt. Fett an anderer Stelle, an Hüften, Oberschenkeln und Gesäß, ist im Hinblick auf Kreislauferkrankungen nicht bedenklich.

Harald J. Schneider, der Leiter der Studie, hofft, daß der BMI durch den WhtR, die Taillen-Körperlängen-Formel, abgelöst werde.

 

Eintragung vom 26. Februar 10

Noch war alles weiß, als schon die Finken zu schlagen begonnen haben. Die Vögel haben den Frühling eher gespürt als wir. Denn wir haben keinen Instinkt, sondern einen Verstand. Und der lehrt uns, nur das zu glauben, was wir mit unseren Sinnen aufnehmen können. Bei dieser Gelegenheit wenigstens müssen wir erkennen, daß wir mit einem solchen Verstand zwar die Welt erobern können, aber ohne ihn wären wir zu dumm, um überleben zu können.

Der Schnee ist zu wenigen Eisinseln geronnen, Museumsrudimente des Winters. Die Laufstrecke ist nun frei. Innerhalb weniger Tage hat sich die Zahl der Begegnungen mit Läufern vervielfacht. Nicht nur die Begegnungen mit Läufern, sondern auch mit Walkern, insbesondere Schön-Wetter-Walkern. Darunter sind häufig betagte oder bewegungsbehinderte Menschen, die ihre Stöcke gewissermaßen nur als Ausweis bei sich führen. Es fiele leicht, sie zu verspotten. Das will ich nicht tun. Es sind Menschen, die früher gänzlich auf Bewegung verzichtet hätten. Seien wir froh, daß die Nordic-Walking-Stöcke ihnen den Zugang zum Bewegungstraining eröffnet haben.

Die unpolitischen Nachrichten-Themen wechseln. Erst waren es die Unfälle, dann kamen die Abrechnungen, nämlich wie teuer uns dieser Winter kommt. Nun jedoch erfahren wir auch, daß sich Zugvögel auf den Weg machen. Kröten und Frösche schicken sich an, ins Leben zurückzukehren. Nur unsere Fische im Teich lassen noch auf sich warten. Hoffentlich haben sie den Winter überstanden.

Mehrere Wochen lang waren Laufnachrichten mit Meldungen über ausfallende Laufveranstaltungen durchsetzt. Nun jedoch kehrt auch in den Laufnachrichten der Frühling ein. Nicht nur durch die Ankündigungen von Laufveranstaltungen. Der jüngste Rundbrief des GutsMuths-Rennsteiglaufs beginnt mit den Worten: „Noch liegt in den Höhenlagen des Thüringer Waldes eine Menge Schnee und Laufen ist am Rennsteig nicht wirklich möglich. Doch allmählich beginnt das kühle Weiß zu tauen, die Wege werden nach und nach schneefrei und zahlreiche Pfützen sind die letzten Erinnerungen an einen schönen, ausgiebigen Winter. Die Vögel zwitschern am Morgen bereits jetzt schon wieder ihre fröhlichen Liedchen, die Nächte werden merklich kürzer und in wenigen Tagen strecken die ersten Frühblüher aus dem nassen Erdreich heraus ihre Blätter und Blüten behutsam dem Sonnenlicht entgegen.“ Nun ja, die reinste Lyrik... Doch wer wollte darüber spotten! Erstens erleben wir das ja alle so, und zweitens habe ich selbst nichts gegen Lyrik. Ist doch auch das Laufen Lyrik!

In diesem Sinne: Laßt uns dem Frühling entgegensehen – mit oder ohne Lyrik!

Eintragung vom 18. Februar 10

Physiologisch haben wir in den vergangenen Jahrzehnten schon eine ganze Menge über uns gelernt – psychologisch jedoch? Da bringt im Grunde noch jeder kleine Erkenntnisschritt einen Fortschritt an Einsicht. Eine im vorigen Jahr veröffentlichte Untersuchung der Psychologen Prof. Dr. Siegfried Preiser und Birgit Ziessler behauptet, Extremausdauersportler beiderlei Geschlechts hätten mehr belastende Lebenssituationen oder Lebensenttäuschungen erlebt als „normale“ Sportler. Dazu paßt, daß der Gesamtwert der Belastungen mit der Anzahl der Wochentrainingsstunden korreliere.

Diese Behauptungen sind nicht gänzlich neu; es sind hypothetische Annahmen gewesen. Die beiden Psychologen der Goethe-Universität haben sie jedoch nun verifiziert. Wie in der fachwissenschaftlichen Veröffentlichung (Report Psychologie 34 5/2009, S. 212 - 222) zu lesen ist, haben die Autoren in einer Fragebogenaktion einen Gruppenvergleich vorgenommen; die eine Gruppe bestand aus 51 Extremausdauersportlern, die andere aus 40 Angehörigen von vier Lauftreffs, „Normalsportlern“ also. Vom Schulabschluß her unterschieden sich die Gruppen kaum voneinander. In dem Fragebogen mußten die Teilnehmer angeben, ob die 14 Items mit Fragen zu traumatischen Ereignissen und Nicht-Ereignissen, die dem Leipziger Ereignis- und Belastungsinventar (LEBI) entnommen waren, zuträfen oder nicht. Dabei konnten auch persönliche Gewichtungen in drei Stufen vorgenommen werden. Die Items reichten von „Tod eines Lebensgefährten“ über „ausgebliebene Partnerbeziehung“ und „Aufgeben eines Lebenstraums“ bis zur „Trennung der Eltern“. Die Ergebnisse sind eindeutig: Bei allen 14 Items liegen die Extremsportler signifikant über den Werten von Normalsportlern und erst recht über denen einer dem LEBI entnommenen Vergleichsgruppe.

Die Autoren halten fest: Extremsportler haben in ihrer Biographie mehr bzw. gravierendere Lebensbelastungen durchlebt als eine Kontrollgruppe von Normalsportlern. „Bei den gewichteten Belastungsgraden zeigt sich ebenfalls deutlich, daß sowohl männliche als auch weibliche Extremsportler in allen erfragten Kategorien von gravierenderen Belastungen berichten als Normalsportler und -sportlerinnen.“ Bei zwei Kategorien haben die Frauen gravierendere Belastungen erlebt als die Männer, nämlich auf Grund eines unerfüllten Kinderwunsches und auf Grund von Scheidungen der Eltern. Männer dagegen leiden mehr als Frauen unter nicht zustande gekommenen Beziehungen. Die Summe der gewichteten Belastungen unterstützt eindeutig die Hypothese.

Auch die zweite Hypothese ist bestätigt worden: Je mehr kritische Lebensereignisse Extremsportler zu bewältigen hatten, desto höher sind ihre wöchentlichen Trainingszeiten. Die Autoren Preiser und Ziessler haben in ihrer Arbeit das Training vor dem Hintergrund von Bewältigungsstrategien gesehen. Grundsätzlich stimmen sie den zahlreichen neueren Untersuchungen zu, die keinerlei gravierende Persönlichkeitsdefizite bei Extremsportlern erbracht haben. Auch die Endorphin-These, nämlich der Drang, Glückserlebnisse zu produzieren, wird, wie insbesondere bei Stoll nachzulesen ist, als nicht haltbar abgelehnt.

Preiser und Ziessler zeichnen eher ein positives Bild von Extremsportlern. „Körperliche und psychische Gesundheit, persönliche Zielerreichung und Selbstwert sowie Sinngebung haben sich als wichtige Motive für Marathon- und Ultramarathonläufer herausgestellt.“ Orientierung an persönlichen Zielen und Selbstwertstabilisierung durch Ausdauersport könnten vor allem für Menschen nach beziehungsweise in belastenden Lebenssituationen bedeutsam werden, weil durch schwere Krisen möglicherweise andere Bewältigungsformen blockiert seien. Die befragten Extremsportler intensivierten ihr Training in starkem Umfang nicht nur bei sportlichen Krisen (Nichterreichen sportlicher Ziele), sondern auch bei persönlichen Nicht-Ereignissen und belastenden Lebenserfahrungen. Dies müsse aber nicht zwingend als Flucht- oder Ersatzverhalten interpretiert werden, denn Laufen könne auch Ressourcen für die Problemlösung freisetzen. „Selbstbewußtsein und Selbstwirksamkeit werden durch Erfahrungen mit erfolgreicher Handlungskontrolle und über die soziale Anerkennung gesteigert“, lautet eine weitere Erkenntnis. Wenn das Lauftraining innerhalb von Lauftreffs oder Vereinen erfolge, ergäben sich Chancen für soziale Unterstützung. „Extremsport erscheint als eine effektive Strategie, um trotz hoher Belastungserfahrungen eine adäquate Lebenszufriedenheit zu erreichen. Dies schließen wir aus dem Ergebnis, daß sich Extrem- und Normalsportler trotz unterschiedlicher Belastungserfahrungen hinsichtlich ihrer Lebenszufriedenheit kaum unterscheiden...  Ausdauersport bietet also offenbar Möglichkeiten, mit vergangenen und aktuellen Krisen effektiv umzugehen. Gesellschaftlich und psychologisch ist es durchaus wünschenswert, wenn Menschen auch ohne professionelle Hilfe selbständig effektive Wege finden, um mit Krisen fertig zu werden. Extremausdauersport könnte einen Weg darstellen, kritische Lebensereignisse und Nicht-Ereignisse in sozial verträglicher Weise zu bewältigen.“

Mit diesen Folgerungen greift die Studie weit über ihr spezielles Thema hinaus. Unbefriedigend erscheint jedoch die Definition des extremen Ausdauersports. Die Autoren verstehen darunter die Teilnahme an Marathon-, Triathlon- oder Ultralangstreckenlauf-Wettbewerben. Beim Marathon würde ich ein Fragezeichen setzen. Sicher gibt es extreme Marathonläufe – der K 42 des Swiss Alpine ist einer davon –, aber man kann einen Marathon, ausreichendes Training vorausgesetzt, auch als Sightseeing laufen, das möglicherweise weniger anstrengend ist als eine weit kürzere Bergwanderung. In dieser Definitionsschwierigkeit liegt die Schwäche der Untersuchung, was jedoch ihren Wert nicht mindert.

Eintragung vom 8. Februar 10

An einigen Pfählen und Masten klebt ein Zettel, gerichtet an die Benützer des Weges, an Radfahrer und Schüler. Man möge sich doch bei der Stadtverwaltung darüber beschweren, daß der Weg nicht vom Schnee geräumt werde; die Telefonnummer war auch gleich angegeben. Es ist richtig, dieser Kilometer entlang des Wohngebietes ist noch immer der am meisten von Schnee betroffene meiner Runde. Zuerst herrschte hier Schneeglätte, am Mittwoch Matsch. Die Spuren, die der Anliegerverkehr hinterlassen hat, waren zu schmal, als daß man unbeschwert laufen könnte. Alle anderen Wege und Anliegerstraßen sind geräumt gewesen, zum Teil gestreut, auf jeden Fall gut passierbar. Nur an unserem Wohngebiet mußte man sich mühsam vorankämpfen.

Mit anderen Worten: Die schriftliche Klage ist berechtigt. Doch wie sieht es in den Kommunen aus? Häufig sind die Straßen verwahrlost, an den Schulen ist nichts mehr getan worden, öffentliche Gebäude leiden Not. Zur Zeit wird in unserer Stadt die Stadthalle völlig umgebaut, gewissermaßen für schulische Bedürfnisse neu gebaut. Die Stadthalle war ein Zuschuß-Objekt. Gewerbe- und andere Steuern sind erhöht, die Leistungen erheblich gesunken. Dabei sieht es im „reichen“ Baden-Württemberg noch gut aus. Duisburg dagegen ist pleite. In Wuppertal soll ein Theater, das Schauspielhaus, geschlossen werden. Man könnte wohl aus jeder Stadt Beispiele für Einschränkungen, Einsparungen, Hilferufe nennen. Grundsätzlich: Die Kommunen können ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Das hat Petra Roth, Frankfurter Oberbürgermeisterin und Präsidentin des Deutschen Städtetags, dieser Tage zu einem öffentlichen Hilferuf veranlaßt.

Sicher, die Kommunen leiden Not. Doch vieles ist selbstverschuldet. Im Abstand von etwa 4 Kilometern ein Netz von Hallenbädern und Stadthallen anzulegen, Marmor statt Beton zu verbauen (Sindelfingen), das war auch in „guten“ Zeiten überzogen. Vernünftig wäre es gewesen, das Geld in Rücklagen zu stecken – für neue Aufgaben und für wirkliche Notzeiten. Die Verantwortung dafür, daß dies, wie sich zeigt, nur unzureichend geschehen ist, kann man auch nicht einigen wenigen Managern, wie im Bankgewerbe, zuschieben. Jedes Projekt ist vom jeweiligen Gemeinde- oder Stadtrat genehmigt worden. Nicht verschuldet ist das Anwachsen der von den Kommunen aufzubringenden Sozialkosten. Darauf hat die Frankfurter Oberbürgermeisterin hingewiesen. Im vorigen Jahr haben sie etwa 40 Milliarden Euro betragen, doppelt soviel wie im Jahr 1992, bald nach der Wiedervereinigung. Gleichzeitig sind die kommunalen Steuereinnahmen um etwa 10 Prozent geschmolzen. Die Kommunen finanzieren sich mit Schulden von 33,8 Milliarden Euro.

Doch was immer sich hier abspielt, – im Vergleich zu Griechenland sind die Verhältnisse noch seriös zu nennen. Griechenland stellt die EU vor eine im Grunde nicht zu lösende Aufgabe. Die schlichteste Lösung wäre der Ausschluß Griechenlands aus der EU. Das wird die EU nicht machen. In einem ernstgemeinten journalistischen Kommentar habe ich den Vorschlag gelesen, Griechenland möge die Drachmen wieder einführen. Selbst das wird nicht geschehen. Die EU jedoch kann den zerrütteten griechischen Staatshaushalt nicht sanieren, zumal nicht in der jetzigen Situation, in der die Bankenrettung alle Anstrengungen verlangt hat. Zudem wäre die Sanierung durch die EU das falsche Signal. Wahrscheinlich könnte man die Sanierung in Spanien gleich fortsetzen. Es rächt sich, daß Griechenlands Erschleichung der EU-Mitgliedschaft unbeanstandet geblieben ist. Die Situation der EU spiegelt sich im fallenden Wert des EURO wider. Die einstige Lobpreisung des EURO dürfte sich als verfrüht herausstellen. Schon war in Leserzuschriften zu lesen: Wir wollen die D-Mark wiederhaben!

Das griechische Jubiläum des Gedenkens 2500 Jahre Schlacht von Marathon kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Man kann darauf gespannt sein, wie die Jubiläumsfeier finanziert werden soll.

Am Freitag habe ich den ersten Läufer in kurzen Hosen gesehen. Ich fürchte, der Tag wird eine kurze Episode gewesen sein. Heute hat ein für die Gegend völlig untypischer scharfer Wind geherrscht.

Eintragung vom 2. Februar 10

Ich sollte von Anfang an schildern, wie es sich zugetragen hat. Wahrscheinlich ist das der einzige Weg, Mißtrauen zu beseitigen. Denn ich schreibe über ein einziges Paar Schuhe und seinen Hersteller. Da drängt sich sofort die Frage auf: Weshalb tut er das? Der mindeste Verdacht ist, daß es sich, wenn jemand ein Paar Schuhe oder eine Firma darstellt, um eine Gegenleistung handelt. Daher also ganz schlicht: Unterm 20. Januar habe ich in einem Text über eine Laufschuh-Entwicklung mitgeteilt, daß es vor Jahrzehnten bereits Laufschuhe ohne Absatz gegeben habe. Aus dem Zusammenhang konnte man schließen, daß es derzeit keine Laufschuhe ohne Absatz gebe. Stimmt nicht, erwiderte ein Leser. Er habe sich gerade ein Paar absatzlose Laufschuhe von Bär gekauft. Die Existenz der Firma Bär war mir zwar bekannt gewesen – schon, weil Robert Wimmer und Achim Heukemes in Bär-Schuhen gelaufen sind –, aber als ich die Eintragung über die Entwicklung eines absatzlosen Schuhs schrieb, war diese Tatsache nicht in meinem Bewußtsein und schon gar nicht, daß bei Bär Schuhe ohne Absatz oder mit ganz niedrigem Absatz produziert werden. Die Wissenslücke mußte geschlossen werden. Außerdem war im Hinterkopf das Motiv, es sei an der Zeit, wieder ein Paar Laufschuhe zu kaufen oder wenn schon keine Schuhe zum Laufen, so doch wenigstens Walkingschuhe.

Die Recherchen beginnen im Internet. Bär hat nicht nur 15 Verkaufsfilialen im Bundesgebiet, darunter eine in Stuttgart und eine im Stuttgarter Flughafen, sondern seinen Firmensitz auch wenig mehr als vierzig Autominuten von hier, und am Firmensitz gebe es, so las ich, ebenfalls einen Verkauf. Da das Wetter nicht gerade einladend zum Laufen oder Walken ist, lag es nahe hinzufahren. Ein sogenanntes Outlet (der Ausdruck steht nicht im Fremdwörterbuch, den Kasus konnte ich daher nicht verifizieren) hat zudem den Vorteil, daß man meistens keine Parkgebühr zahlen muß. Laufkundschaft gibt es hier auch nicht; ein solches Outlet steuert man gezielt an.

Im Verkaufsraum also konnte ich ein breites Spektrum des Produktionsangebotes besichtigen, dazu auch noch eine Anzahl Sonderangebote. Das Angebot an Lauf- oder Walkingschuhen ist dagegen gering. Das muß kein Nachteil sein, sofern man nicht auf bestimmte serienmäßige Problemlösungen aus ist.

Die wichtigsten Voraussetzungen überzeugten mich, vor allem, daß die oberste Profilanforderung heißt: bequeme Schuhe, und die Schuhe nicht in Billiglohnländern, sondern zum großen Teil vor Ort produziert werden. Der Anteil an Handarbeit ist relativ hoch. Das wirkt sich auch auf das Preisniveau aus. Doch da ich schon seit Jahren alltags den Finn Comfort trage, der auf einem ähnlichen Produktionskonzept und nicht gerade Billigpreisen beruht, war der Preis als zweitrangig zu betrachten. Mir gefiel weiterhin, daß drei Jahre Garantie eingeräumt werden. Ein Fehlkauf wie bei einem Laufschuh, den ich zum Laufen nicht tragen konnte, weil mir eine Naht an der Schuhzunge regelmäßig die Haut aufscheuerte, wäre auszuschließen. Auch das Versprechen, die Laufschuhe könnten von Bär neu besohlt werden, wirkt Vertrauen erweckend. Das bedeutet nichts anderes, als daß Dämpfungsmaterial verwendet werden muß, das nicht nach einigen hundert Kilometern ermüdet ist.

Christian Bär hat vor etwa 25 Jahren mit der Schuhproduktion begonnen, ganz einfach, weil er mit den Angeboten auf dem Markt nicht zufrieden war. Mittlerweile sind außer seiner Frau auch seine Söhne im Geschäft. Das bedeutet auch: Jedes neue Schuhmodell läuft ein Mitglied der Inhaber-Familie Probe.

Da Bär nur vier verschiedene Paar Laufschuhe, wenngleich in verschiedenen Farben, produziert, fiel mir die Wahl nicht schwer (am liebsten freilich hätte ich gleich zwei Paar gekauft). Ich wählte den TransEuropa. Er wird damit beworben, daß in ihm der erste Transeuropalauf gewonnen worden sei. Das mag ein bißchen übertrieben sein. Robert Wimmer, der damals von Lissabon nach Moskau in 480:29:51 Stunden die Spitzenzeit erzielte, verwendete 8 Paar Laufschuhe, und es waren, wie er schreibt, spezielle Laufschuhe, die Bär für ihn fertigte, „mit optimaler Dämpfung und Haltbarkeit“. Außerdem ist es nun bald sieben Jahre her. Die speziellen Schuhe bewahrten auch Robert Wimmer nicht vor Sehnenschmerzen im Fußgelenk, Beschwerden an der rechten Achillessehne und Muskelschmerzen am Oberschenkel. Doch bei über 5000 Kilometern in 64 Etappen darf einem schon etwas weh tun – Schuh hin, Schuh her. Welche Schuhe Robert Wimmer im Jahr 2009 trug, als er den zweiten Transeuropalauf mit dem vierten Platz beendete, habe ich nicht erkennen können. Da nämlich warb er mit T-Shirts für den fränkischen Haushaltsartikel- und Badezimmermöbelhersteller Fackelmann. Im Jahr 2012 findet der dritte Transeuropalauf statt.

Wie sich der TransEuropa trägt, kann ich noch nicht beschreiben. Gegenwärtig lege ich meine verschneite Runde noch in Wanderschuhen zurück. Der Zweck des Besuches in Bietigheim-Bissingen ist jedoch erreicht: Ich habe nun einen Laufschuh, der nicht zu den Weltmarken zählt und dessen Eigenschaften noch zu entdecken sind. Bei Bär könnte man sich auch Schuhe auf Maß anfertigen lassen; zum Beispiel wenn man erheblich unterschiedliche Füße hat. Eine solche Anpassung bei der Herstellung kostet 40 Prozent mehr. Verlange einer das mal bei einer Produktion in China oder Taiwan! Dazu müßte man schon einige Rekorde auf den Tisch legen.

Eintragung vom 26. Januar 10

Bevor es am Montag wieder geschneit hat, ist meine Trainingsrunde nach Wochen fast schnee- und eisfrei gewesen, auf einigen noch weißen hundert Metern hat der Anliegerverkehr wenigstens Fahrspuren freigewalzt. Am Freitag, 22. Januar, konnte ich erstmals wieder gehen, ohne mich behindert oder sturzgefährdet zu fühlen. Zwei Tage zuvor hatte mich der Sonnenglanz dazu verführt, den Pullover wegzulassen. In der zweiten Stunde hatte ich das zu bereuen, ich war zu leicht angezogen und fror. Am Freitag dagegen – ich trug unter dem Trainingsanzug eine Weste – stimmte alles, der Untergrund, die Temperatur von einigen Plusgraden, Walking war möglich. Meine Füße blieben von Anfang an warm. Die Zahl der Läufer, denen ich begegnete, hat erheblich zugenommen. Nun jedoch herrscht wieder Winter.

Der rasche Wechsel der Bedingungen hat mir eines deutlich gemacht: Wir sind beim Laufen und Walken nicht allein vom Trainingsstand und von der Tageskondition abhängig, sondern eben auch von den äußeren Bedingungen. Dies anscheinend um so mehr, je älter wir werden.

Im fortgeschrittenen Alter kommt der Einfluß von Medikamenten hinzu. Da sich bei mir wieder Vorhofflimmern eingestellt hat, hat mein Kardiologe zum Rezept gegriffen. Nimmt man Magenschutz und ein urologisches Medikament hinzu, sind im Nu schon fünf Medikamente beieinander. Dadurch machen sich Leistungsbeschränkungen deutlich bemerkbar. Mag ich auf der flachen Strecke auch noch einigermaßen flott walken, – an den Steigungen muß ich mich deutlich zurücknehmen, da geht es nur noch im ersten Gang.

Sicher, der individuelle Leistungsschwund mag sich als subjektive Klage anhören. Im Grunde aber begleitet uns dieser spürbare Alterungsprozeß grob gerechnet ein halbes Leben lang. Neue Erkenntnis: Im Alter von Betagten, in dem ich mich nun also befinde, beschleunigt er sich unübersehbar.

Was ist zu tun? So sehr ich dafür eintrete, auch in fortgeschrittenem Alter Herausforderungen anzunehmen, so sehr warne ich vor Übertreibungen im Alterssport. In sich hineinzuhören, bedeutet, gerade die subjektiven und individuellen Bedingungen nicht gering zu schätzen.

Immer wieder geben uns, mag ihre Zahl objektiv auch gering sein, Unfälle zu denken. Beim Silvesterlauf in Zürich brach bereits nach etwa 1,8 Kilometern eine 36jährige Läuferin zusammen; obwohl sofort professionelle Hilfe geleistet wurde – der nächste Defibrillator war 15 m entfernt –, konnte sie nicht gerettet werden.

Im Alter von nur 67 Jahren ist Günter Mielke, einer der besten deutschen Marathonläufer, gestorben. Er war drei Tage zuvor während seines Urlaubs in Neuseeland beim Laufen am Strand bei Auckland zusammengebrochen. Eine Krankenschwester fand ihn, wie in LaufReport zu lesen ist, nach etwa vierzig Minuten und veranlaßte den Transport ins Krankenhaus. Trotz allen Bemühungen ist er dort am 18. Januar gestorben. Günter Mielke, in Berlin geboren, lebte nach seiner Ausbildung als Grundschullehrer in Jugenheim an der Bergstraße und spielte mit dem Gedanken, nach Neuseeland auszuwandern. Seine Marathon-Bestleistung erreichte er im Alter von 39 Jahren mit 2:13:58 im Jahr 1981 beim 1. Hoechst-Marathon in Frankfurt am Main. Einige Jahre später erzielte er in der Masterklasse noch 2:17:07 Stunden. In diesem Jahr hatte er am Würzburger Residenzlauf teilnehmen wollen. Sein für einen Leistungssportler früher Tod hat mich betroffen gemacht.

Eintragung vom 20. Januar 10

Besonderen Effekt hat die Nachricht von Spiegel online, beruhend auf einer dpa-Meldung, nicht gehabt. Auch Lauf-Zeitschriften werden sie wohl vernachlässigen. Der Stoff ist interessant, so mögen sich die Redakteure gedacht haben. Deshalb nehme ich Notiz davon. Doch die Grundlagen der Meldung sind ziemlich schwach.

Die Nachricht von Spiegel online trägt den Titel „Laufschuhe belasten Gelenke stärker als Barfußlaufen“. Da fragt sich so mancher von uns: „Na und?“ Amerikanische Forscher an der University of Virginia in Charlottesville haben 68 gesunde, nämlich nicht beeinträchtigte Läufer aufs Laufband geschickt. Alle mußten sie sowohl barfuß laufen als auch im zweiten Durchgang mit einem Laufschuh der Firma Brooks, der als neutral eingestuft worden ist. Die Laufbewegungen wurden mit einer Hochgeschwindigkeitskamera erfaßt und in Belastungswerte umgerechnet. Da stellte sich heraus, daß bei den Schuhträgern an Hüft-, Knie- und Fußgelenken höhere Belastungen als beim Barfußlaufen auftraten. Die Hüfte wurde beim Laufen in Laufschuhen um 54 Prozent stärker belastet, die Knie zwischen 36 und 38 Prozent, die Fußgelenke leiden weniger.

Die Untersuchung ist in der im vorigen Jahr neugegründeten Fachzeitschrift „The Journal of Injury, Function and Rehabilitation“ veröffentlicht. „Die Studie bestätigt, daß erhöhte Belastungen an den drei unteren Gelenken eine Folge des typischen Aufbaus moderner Laufschuhe sind“, schreiben Geoffrey Keenan und seine Kollegen. Sie fordern die Entwicklung von Laufschuhen, die den Fuß stützen, ohne die Gelenke zusätzlich zu belasten.

Spiegel online hat – vielleicht in der Ahnung, daß die Substanz ziemlich dünn sein könnte – bei deutschen Fachleuten rückgefragt. Dr. Stephan Odenwald von der Junior-Professur Sportgerätetechnik der Technischen Universität Chemnitz weist auf prinzipielle Schwächen der Studie hin. Der Haupteinwand: Auf dem Laufband bewegten sich Sportler anders als auf festem Grund. Messungen bei Läufern auf dem Laufband seien deshalb mit Vorsicht aufzunehmen. Grundsätzlich reduzierten die Hersteller die Fersenhöhe wieder.

An der Hochschule Magdeburg-Stendal wird gegenwärtig an der Markenreife eines Laufschuhs gänzlich ohne Absatz gearbeitet. Grundlage dazu ist die Verwendung eines naturfasergewebeverstärkten Verbundmaterials namens Biopreg®, mit dem kohlefaser- oder glasfaserverstärkte Polymere ersetzt werden sollen. Davon verspricht man sich Sohlen, die besser, steifer, preisgünstiger und umweltfreundlicher sind als dies mit marktüblichen Materialien möglich ist. Den Stein ins Rollen gebracht hat der Physiotherapeut Adri Hartveld aus Newcastle under Lyme, der selbst ein passionierter Läufer ist. An dem von der EU geförderten Projekt sind Großbritannien, die Niederlande, Spanien, Polen und Deutschland beteiligt. Die Hochschule Magdeburg-Stendal ist herangezogen worden, weil sie einschlägige Erfahrungen mit dem Werkstoff hat.

Dieser Werkstoff, der dem hackenlosen Sportschuh ein geringeres Gewicht, einen günstigeren Preis und eine gute Ökobilanz geben soll, ist das eigentliche Neuartige. Schuhe ohne Absatz hat es schon früher gegeben. Bereits der Mitte der sechziger Jahre von Eugen Brütting konstruierte erste Laufschuh für Langläufer, der eb-Road Runner, hat keinen Absatz gehabt. Als überarbeitetes Repromodell steht er auch jetzt wieder im Katalog von eb. Der Sportmediziner Dr. Hegall Vollert ließ in den achtziger Jahren nach seinen Vorgaben ebenfalls einen Laufschuh ohne Absatz herstellen. Dieser relativ schwere und unflexible Schuh konnte sich jedoch nicht durchsetzen, zumal da er für den Wettkampf kaum tauglich war.

Nun also ein neues Projekt – man darf gespannt sein. Stephan Odenwald schränkt jedoch ein: „Den einen Schuh für alle gibt es nicht.“ Das wird die Hersteller beruhigen.

Eintragung vom 12. Januar 10

Seit Tagen hat fast meine ganze Trainingsstrecke eine Schneeauflage. Am Hang rodeln nun die Kinder. Das Gehen im Schnee macht mir Mühe; an den Steigungen merke ich, daß ich Kraft verloren habe. Unterwegs treffe ich Mütter und Väter, die ihre Kinder auf dem Schlitten entlang ziehen; ich sehe weit mehr Schlitten als Läufer. Sogar einem skatenden Skilangläufer bin ich begegnet. Wir haben Winter, und dies endlich nicht nur einen Nachmittag lang.

Das Jahr der Kulturhauptstädte ist eröffnet. Zwar gönne ich dem Ruhrgebiet die Würde, aber glücklich bin ich über die Wahl nicht. Ich gestehe, daß ich voreingenommen bin. Ich stamme aus Görlitz, wenngleich nicht aus einer Görlitzer Familie. Görlitz hat sich im Jahr 2001 ebenfalls um die Zuerkennung des Ranges als europäische Kulturhauptstadt beworben. Dafür hat vor allem die historische Substanz gesprochen; seit der Wende sind hier etwa 4000 denkmalgeschützte Gebäude saniert worden. Weitere Projekte wie die Restaurierung der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften in der Neißstraße und des Kaisertrutzes, einer als Museum genutzten Wehrbefestigung, sind im Gange. Sicher ist auf manches Problem noch keine Antwort gefunden, wie zum Beispiel bei der Sanierung und Nutzung der Jugendstil-Stadthalle. Doch insgesamt: So schön wie jetzt ist Görlitz nie gewesen. Die leider wenigen Teilnehmer des Europa-Marathons haben einen Eindruck davon bekommen. Nimmt man dazu noch die Bemühungen um die kulturellen Kontakte zu Zgorzelec, den seit dem Krieg polnischen Stadtteilen auf dem anderen Neiße-Ufer, hätte sehr viel für Görlitz als Kulturhauptstadt gesprochen. Es ist eine Stadt, in der fast nahtlos Baugeschichte seit dem 13. Jahrhundert dokumentiert ist; diese Entwicklung ist weder durch den zweiten Weltkrieg noch durch blinde Nachkriegsbauwut gestört worden. Das Haus, in dem ich Kindheit und Jugend verbracht habe, hat romanische Keller-Elemente. Die Altstadt mit gotischen Kirchen und barocken Häuserzeilen ist erhalten geblieben; der Ignoranz der sozialistischen Machthaber ist nur ein kleiner Teil zum Opfer gefallen. Kaum eine andere deutsche Stadt hat noch derart geschlossene Straßenzeilen in der Architektur von Gründerzeit-Bauten wie Görlitz. Im Schönhof, dem ebenfalls gründlich restaurierten ältesten Renaissancehaus Deutschlands, ist im Jahr 2006 das Schlesische Museum eingerichtet worden. Im Blick auf Polen hätte auch politisch einiges dafür gesprochen, Görlitz zur Kulturhauptstadt zu machen.

Wenn ich mein Leben überblicke, so habe ich zwar nur einen kleinen Teil in Görlitz verbracht, aber ich hänge an dieser Stadt. Insofern bin ich also mit meiner Ansicht, daß Görlitz den Titel Kulturhauptstadt verdiene, nicht objektiv. Doch das Prädikat, Görlitz sei die schönste deutsche Stadt, stammt nicht von mir, sondern von Prof. Dr. Gottfried Kiesow, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Für das Jahr 1999 war Weimar zur Kulturhauptstadt erklärt worden. Nun also ist’s Essen. Doch gemeint ist das ganze Ruhrgebiet mit 53 Städten und 5,5 Millionen Bewohnern. Da sich jedoch nur Städte um den Titel bewerben dürfen, mußte Essen herhalten. Das Bewerbungskonzept hat ja in der Tat einiges für sich: Das Ruhrgebiet hat sich auf kulturellem Weg neu erfunden. Das mag wohl die EU-Juroren überzeugt haben. Die Fülle an Theatern und Museen sowie die Zahl von etwa 2500 Veranstaltungen im Jahr der Kulturhauptstadtwürde ist schon beeindruckend. Fritz Pleitgen, der Vorsitzende Geschäftsführer von Ruhr 2010, findet: „Vergeßt die veralteten Vorstellungen vom Ruhrgebiet! Es hat zwar noch Strukturprobleme zu überwinden, aber es ist eine der reichsten Kulturregionen in Europa.“

Alles ganz schön, wäre da nur nicht Görlitz, die östlichste deutsche Stadt, die – wieder einmal – in den Hintergrund gedrängt worden ist. Im August 2003, als alles noch offen war, hat die Deutsche Post der Stadt Görlitz eine Briefmarke gewidmet, auf der einige Altstadthäuser zusammengestellt sind. Die 55-Cent-Marke ist seit langem ausverkauft. Jetzt, nach der Wahl der Kulturhauptstädte, gibt es eine Marke „Ruhr 2010“, gewissermaßen eine eklektische Marke; die Schriftzeichen sind betont different zusammengestellt: Das R entstammt einer Neonreklame in Essen, das U dem Kulturzentrum Dortmunder U, das H ist einem Essener Schulhof-Graffitto entnommen, das R dem Schriftzug Zeche Zollverein Essen, die 2 ist im Stahlwerk, Landschaftspark Duisburg Nord, zu suchen, die erste Null im Museum Zinkfabrik Altenberg in Oberhausen, die Eins ist schlicht die Übertragung der B 1 von einem Verkehrsschild und die zweite Null stellt eine Plastik im Josef-Albers-Museum dar. Schön ist das nicht, aber typisch.

Da die Bedingungen für die Erteilung des Kulturhauptstadt-Prädikats erweitert worden sind, ist das ungarische Pécs (Fünfkirchen) ebenfalls Kulturhauptstadt, genau wie die türkische Hauptstadt Istanbul, wo man jedoch die Würde erst später zu feiern beginnen kann. Da mag es auch erlaubt sein, bei dieser Gelegenheit an meine Heimatstadt Görlitz zu erinnern. Das ist nun zwar keine Kulturhauptstadt, sondern nach wie vor tiefste Provinz, aber nach wie vor ein ernst zu nehmender Kandidat. Doch in Anbetracht des kulturellen Potentials in Europa ist auf Jahrzehnte nicht abzusehen, wann es als Bewerber wieder auftreten könnte.

Bis dahin bleibt auf unserem Terrain nur der Europa-Marathon, der über die Neiße nach Polen führt, ein Anlaß, nach Görlitz zu reisen; der nächste, der 7. Marathon findet am 6. Juni statt, verbunden mit Halbmarathon, 10- und 5-km-Lauf sowie Skating-Wettbewerb. Wer sich bis zum 2. Februar anmeldet, zahlt nur 25 Euro.

Eintragung vom 5. Januar 10

Ich würde gern auch jetzt auf meiner Walkingrunde zwischendurch laufen. Doch ich bin wieder in der Phase, in der ich die Wanderschuhe anziehe. Nicht nur der Vibram-Sohle wegen, sondern auch wegen des besseren Kälteschutzes. Dennoch werden die Füße unterwegs nicht mehr warm. Daran muß ich mich gewöhnen – eine Alterserscheinung.

Die Felder sind zum großen Teil weiß, manche Wegstücke haben eine vereiste Schneeauflage. Leider gibt es nicht so viel Schnee, daß die Kinder rodeln könnten. Allenfalls, daß einmal ein Vater einen Kunststoff-Schlitten hinter sich herzieht und sich dazu auf den Wegen eine Spur sucht. Selbst im Schwarzwald hilft man mehr und mehr mit Kunstschnee nach.

Am Montag habe ich unterwegs an drei Stellen Traktoren mit ausgefahrenen Pflugscharen bei der Arbeit gesehen. Irgendwie hat es mich beruhigt, daß auch in dieser Winterzeit die Landwirtschaft aktiv ist. Eine Beruhigung deshalb, weil die bäuerliche Arbeit uns Läufer motiviert: Man sieht keinen Erfolg, aber man hofft auf ihn.

Die Zeit schafft Wandel – positiv und negativ. Positiv zum Beispiel: Die Medaille ist in der Startgebühr für Biel wieder enthalten. Im Einzelfall mag es bei einer Veranstaltung angebracht sein, die Medaille erst durch Zuzahlung zu erwerben; Biel hingegen ist die frühe Verkörperung des Volkslaufes, die Medaille gehört hier dazu. Offenbar gibt es viele Stimmen, die diese Meinung vertreten. In Biel hat man rasch reagiert. Die Erhöhung der Startgebühr, sofern maßvoll, ist im Jahr darauf vergessen.

Ob dies eine Tendenz ist – die Gründung privater Gesellschaften zur Veranstaltung von Laufereignissen? Auch der Swiss Alpine Marathon ist seit dem vorigen Jahr privatisiert; er wird veranstaltet von der Tuffli Events AG. Geändert hat sich dadurch zwar nichts, aber ich sehe in der Gründung einer privaten Gesellschaft doch einen Zug der Zeit. Womit ich mich nicht abfinden kann, ist in Deutschland die für die Teilnahme erhobene Mehrwertsteuer. Auch in der Schweiz wird sie erhoben, jedoch so gering, daß sie nicht ins Gewicht fällt. In Deutschland hingegen? Wer im Hotelzimmer schläft, zahlt nur noch 7 Prozent. Wer statt dessen im Auto schläft, weil er in Ulm die Nacht hindurch läuft, zahlt für die Laufveranstaltung 19 Prozent Mehrwertsteuer. Nahrungsmittel, selbst wenn sie die Gesundheit schädigen, kosten 7 Prozent Mehrwertsteuer. Läufer, für die eine Veranstaltungsteilnahme der Prüfstein für ihr gesundheitsförderndes Training ist, werden mit 19 Prozent besteuert. Logisch ist das nicht. Ich sehe nur einen Grund: Der Verband der Hoteliers hat eine Lobby, die Läufer haben keine. Zwar laufen inzwischen zahlreiche Politiker, doch nur ganz vereinzelt nehmen sie an Wettbewerben teil. Und wenn, dann wahrscheinlich bei solchen Wettbewerben, für die keine Mehrwertsteuer erhoben wird; Politikern stellt sich also die Frage nicht, und um die relativ wenigen Marathonläufer muß man sich nicht kümmern.

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