Laufen, Schauen, Denken Sonntags Tagebuch |
Gestern abend vom Berlin-Marathon heimgekehrt. Ein dichtes Wochenende wie in der Zeit meiner aktivsten Berufstätigkeit. Am Donnerstagabend noch Bücher auf die Messe gebracht, die Startnummer abgeholt und ein Paar Schuhe gekauft, ein Auslaufmodell, nehme ich an. Am Freitag Termin im Sportmuseum. Danach gleich zum Ausdauerkongreß; dort gab es zum Glück auch zu essen. Nach Referaten und der Podiumsdiskussion, deren Bezug zum Laufen ich nicht erkennen konnte, in die Stresemannstraße zum „HAU“ (scheußlich verstümmelt das Hebbel-Theater am Ufer) zur zweiten Lesung des Literaturmarathons, der in die Literaturtage integriert worden ist. Es schienen mir, wie ich befürchtet hatte, wenig Läufer anwesend zu sein. Günter Herburger las aus seinem neuen Buch „Schlaf und Strecke“, einem echten Herburger, diesmal jedoch handelt es sich um Lauffeuilletons über einzelne Läufe. Gleich nach der Lesung habe ich den Band erworben; doch zum Signieren kam es nicht. Günter verließ das Podium gleich nach seiner Lesung. Er hatte das Kapitel über den Comrades ausgewählt. Dieter Baumann war ich gerade noch im Foyer begegnet. Nie hätte ich gedacht, daß ich Alan Sillitoe begegnen würde. Er las aus der „Einsamkeit des Langstreckenläufers“. Nachgerade erstaunlich, wie er damals, 1959, das Laufen zum literarischen Thema machen konnte, zu einem einsamen allerdings. Dies, obwohl er nie Läufer gewesen ist. Und er hat damit Leser und eine literarische Öffentlichkeit erreicht, die es auch nicht gewesen sind. Unterm Strich: Der Literaturmarathon wurde bestritten von vier Autoren, von denen nur Günter Herburger Marathon gelaufen ist (Tom Ockers haßt Laufen sowieso, und dabei hätte man sich am Start in Berlin so gut in die Kälte in Omsk einfühlen können). Erst recht ist keiner der vier am Sonntag in Berlin Marathon gelaufen. Nun ja, man kann gespannt sein, ob sich die Schere zwischen Autoren und Läufern, die sich zu schließen schien, wieder öffnen wird. Es war in der Vergangenheit nicht angenehm, vor einem Publikum zu lesen, das sich wie in einer Bahnhofshalle vorkommen mußte. Ob die völlige Auslagerung der Weg ist? Im „Tagesspiegel“ fand ich selbst Sillitoe, dessen Erscheinen immerhin ein Ereignis gewesen ist, nicht erwähnt.
Nach dem Abend hatte ich Mühe, ins Hotel zurückzukommen. Mein Navigationssystem lotste mich immer auf die gesperrte Route, gesperrt wegen der Marathonvorbereitung. Ich beachtete die Ansage nicht und fuhr stur geradeaus, bis ich meinte, genügend Abstand zur Marathonstrecke gewonnen zu haben. Dann folgte ich brav der Wegweisung durch das System, das war dann wohl in Alt-Moabit.
Am Samstag wieder Kongreß, dann der gemütliche Teil, eine Fahrt auf der Spree, mit einem witzigen Reiseführer, dessen Bemerkungen Volkes Stimme waren und daher von der Politik unbeachtet bleiben.
Berlin-Marathon anderntags wie habe ich ihn erlebt? Es klappte alles, Aufbruch mehr als anderthalb Stunden vor dem Start, zwei S-Bahn-Stationen weit gefahren. Der dichte Strom aus der S-Bahn im Lehrter Bahnhof konnte nicht im mindesten beunruhigen, es war ja Zeit. Nie mehr werde ich mich wie in Rom auf einen sogenannten Reiseleiter verlassen. Meine Garderobe hätte Argwohn erregen müssen, wäre nicht meine Startnummer gewesen. Ich kann nichts wegwerfen zum Leidwesen meiner Frau. Doch um mich für den Berlin-Marathon auszurüsten, brauchte ich nur in den Keller zu gehen und die Hose vom Haken zu nehmen, in der ich zuletzt den Zaun gestrichen hatte. Von einer etwa vierzig Jahre alten Leinenjacke aus dem Kaufhaus Breuninger, die an den Schultern dünn geworden war, trennte meine Frau noch die Hirschhornknöpfe ab, die könnte man noch für Trachtenhemden brauchen. Über das schüttere Leinen noch eine Folie. Dennoch war mir kalt. Erst nach dem Startschuß entledigte ich mich meiner Überkleidung. Brutto- und Nettozeit klafften mehr als 20 Minuten auseinander. Ich kann, denke ich, nicht vielen im Wege gewesen sein. Da ich die Stoppuhr nicht ausgelöst hatte, was ich lange nicht mehr getan habe, hatte ich keine Zeitkontrolle mehr. Ich lief nach Gefühl. Ziehen im Gesäß es war Rheumawetter. Die Erwärmung von innen half. Wenn ich mich später an diesen Berlin-Marathon es war mein neunter, so man von der Wuhlheide absieht erinnern werde, so wird es ein grauer Marathon sein. Im vorigen Jahr erschien mir die neue Strecke als das Optimum. In diesem Jahr schienen mir die meisten Straßen austauschbar. Der Berlin-Marathon bestand aus Siegessäule, der Jugendvollzugsanstalt Moabit, der Kehrseite des Regierungsviertels, dem Roten Rathaus, dem Rathaus Schöneberg, wo die Freiheitsglocke dröhnend unsere Freiheit besang, Wildem Eber, Kurfürstendamm, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Staatsoper, dem abbruchreifen Palast der Republik viel stärker auf dem Schrotthaufen der Geschichte als das noch nicht wieder vorhandene Schloß und dem Brandenburger Tor. Dazwischen alles mögliche, was überall sein konnte, nur hier viel grauer, grausamer und grausiger. Das Publikum ebenso grau, von Inseln wie dem Wilden Eber abgesehen. Die Million Zuschauer eine nette PR-Lüge. Hochgefühle kamen nicht auf, diesmal nicht. Am Schluß wollte ich nur heim und aufs Klo. Der Strom müder Läufer spülte mich zum Bahnhof Bellevue. Eine S-Bahn-Station noch, Geld hatte ich nicht bei mir. Doch ich hatte außer der Folie und einer halben Banane die Startnummer. Und mit der durften Abbrecher kostenlos fahren. Bei einer Kontrolle hätte ich standhaft behauptet, in der Französischen Straße hätte ich die Schnauze vollgehabt und abgebrochen. Die Beweisführung hätte ziemlich viel Manpower absorbiert. Darauf kann man vertrauen. Es wird vielleicht wieder einen glanzvolleren Berlin-Marathon geben. Wenn die Sonne scheint.
Nach Hause über Eisleben gefahren, nicht wegen Luthers, sondern wegen der Skulptur „Der Marathon-Läufer“. Ich sammle unter anderem Läufer-Denkmale. Zu Hause, im Internet, die Überraschung: Bei dem grauen Berlin-Marathon habe ich in meiner Altersklasse den Dritten gemacht. Wir waren zu siebent. Die anderen bleiben ohnehin daheim. Allerweltsläufer wie ich sind überall zu finden. Sich über den dritten Platz unter sieben zu freuen, ist ziemlich kindisch. Das kann noch schlimmer werden. In der M 80 startete nur einer, das ist die Einsamkeit des Langstreckenläufers, von der Sillitoe, da kein Läufer, keine Vorstellung haben konnte. |
Fange ich am Ende oder am Anfang an? Das Ende liegt der Tagebuch-Eintragung am nächsten. Doch soll ich mich wirklich an den dichten Verkehr auf der A 7 erinnern, als alle auf der linken Fahrspur nach Norden strebten, während ich doch Horst Preisler pünktlich nach Ulm zum Bahnhof bringen wollte? Mit dem Anfang beginnen? Drei alte Männer der dritte ist Jürgen Roscher gewesen sitzen am Tisch und reden von ihren Verletzungen, unter anderem. Der Anfang des Laufs Asphalt wie überall. Wenn ich in der Mitte beginne das beeindruckendste war das Panorama. Vom Auto aus begrenzt der Alpenkamm flüchtig den Horizont. Beim Laufen begleitet uns das Panorama der übereinandergeschachtelten Bergketten in immer neuen Blickwinkeln. Ich habe versucht, Gipfel zu identifizieren. Es ist mir nicht gelungen; bewegt man sich, bewegen sich die Berge. Nie mehr im Leben werde ich auf dem Hochvogel stehen. Aber es tut nicht weh. Vieles hat man zum letztenmal getan, ohne daß man es weiß. Was man getan hat, bedeutet eine Sehnsucht weniger. Ich war auf dem Hochvogel, nein, grammatikalisch falsch, ich bin auf dem Hochvogel gewesen vollendete Gegenwart. Das genügt. Und jetzt habe ich ihn, ohne ihn ausmachen zu können, aus der Ferne wahrgenommen. Und die Mädelesgabel, und abgesetzt von allem der Grünten, der Vorposten, wahrscheinlich. Ich kenne das Allgäu und seine sanfte Voralpenlandschaft, wo Bauernhöfe auf Hügeln liegen. 1300 Höhenmeter beim Voralpen-Marathon, na ja, die würden halt auf Asphaltsträßchen über die Hügel zusammenkommen. Bis Wiggensbach entsprach die Strecke meinen Vorstellungen. Dann kam der Blender. Die Strecke von 700 Metern Höhe in Kempten war auf 850 Meter gestiegen. Nun also noch knapp 250 Meter bis zum Gipfel. Jetzt erinnerte ich mich an das, was uns Norbert Grotz am Altmänner-Tisch gesagt hatte: Vorbild des Voralpenmarathons sei der Schwäbische-Alb-Marathon gewesen. Doch bis auf rutschige Passagen zum Stuifen war der Anstieg zum Blender schwerer. Und selbst das Ende... Nach dem dritten der Dreikaiserberge hat man fast alles geschafft, auf der ehemaligen Eisenbahntrasse rollt man nach Schwäbisch Gmünd. In Buchenberg glaubte ich, den Voralpenmarathon geschafft zu haben. Doch dann kam noch Mariaberg mit seinem Abstieg. Ich bin kaum jemals einen solchen Marathon gelaufen und gegangen, bei dem das Ende so beschwerlich ist wie beim Voralpen-Marathon. Selbst als der städtische Asphalt erreicht war, ging es noch, als ich das Ziel schon vor Augen hatte, um ein Häuserquadrat herum. Die sechseinhalb Stunden, die mir ausreichend zu sein schienen, habe ich mit 6:23:46 fast ausgeschöpft. Es war eine Laufwanderung. Doch habe ich sie nicht schon vor über 25 Jahren gepriesen? Jemand wies mich auf Thomas Miksch hin. Wir hatten uns im Jahr zuvor beim Alpin-Marathon nur flüchtig gesehen. Dr. Miksch? sprach ich ihn an. Thomas Miksch, berichtigte er mich. Er hat den Lauf gewonnen, in 2:58:29. Wenn man bedenkt, selbst die besten meiner Altersklasse laufen auf einem flachen Marathonkurs mehr als doppelt so lange als die Spitze. Was also sollte mich beunruhigen, wenn ich bei diesem Voralpen-Marathon doppelt so lange und eine knappe halbe Stunde mehr unterwegs gewesen bin als der Sieger? Orientieren wir uns am Lauf, nicht an den Läufern.
Am Sonntag beim 3. Stuttgarter Bücherlauf gewesen. Ich wußte gar nicht oder zumindest nicht mehr, daß es ihn gibt. Der Verlag Schaeffer-Poeschel hatte vor zwei Jahren sein Hundert-Jahr-Jubiläum mit einem Lauf für alle in der Buchbranche Tätigen gekrönt. Bemerkenswert, daß man sich von einem Volkslauf öffentliche Aufmerksamkeit verspricht. Dabei hat der Verlag mit Sport gar nichts zu tun. Die Resonanz damals hat dazu ermutigt, diesen 10-Kilometer-Lauf weiterzuführen. Der Verein Turnen und Freizeit Feuerbach hat ihn organisiert. Feuerbach war bis in die dreißiger Jahre ein selbständiges Gemeinwesen und wurde dann erst nach Stuttgart eingemeindet. Sein altes Stadtwappen hat Feuerbach behalten. Von einem früheren Kollegen, der in Feuerbach wohnte, weiß ich, daß sich die Feuerbacher ähnlich wie die Cannstatter noch eher ihrem jetzigen Stadtteil als der Großstadt Stuttgart insgesamt verbunden fühlen.
Den Lauf am Sonntag habe ich deshalb besucht, weil ich mich mit meinem Doktor verabredet hatte. Der lief dort als Autor in einer Verlagsmannschaft mit. Ein guter Treffpunkt für zwei dem Laufsport Verbundene, zumal da ich den Doktor auch fotografieren wollte. Ich bin nicht mitgelaufen, zum einen weil meine Zeit beschränkt war, vor allem aber, weil der Lauf mitten zwischen zwei Marathons fiel, da wollte ich kein Risiko für die Gelenke eingehen, denn die 10 Kilometer läuft man doch schneller, als dieselbe Strecke innerhalb eines Marathons. Ich sollte nach Jahren wieder einmal 10 Kilometer laufen, weiß ich doch gar nicht, wie ich sie heute laufen würde. | |
Mannschaft des Schattauer-Verlags
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Ich beobachte, daß die Tradition der „ständischen Läufe“, deren berühmteste die bis ins Mittelalter zurückgehenden Schäferläufe in Württemberg sind, weitergeführt worden sind. Bei den bis 1848 veranstalteten Mailäufen der Wiener „Laufer“, der bediensteten Begleiter von Kutschen des Adels, lag ein solcher Leistungswettbewerb noch nahe. Für die Arbeitgeber, vor allem auch potentielle, mochte ein gutes Abschneiden ihrer Laufer als Leistungsnachweis gelten. Ernst van Aaken rief vor über 25 Jahren nach amerikanischem Vorbild den Verband langlaufender Ärzte und Apotheker ins Leben, deren Gründungsmitglied ich einst war. Klar, daß dann auch Meisterschaften für Ärzte auszutragen begonnen wurde. Die Sparkassen-Angestellten bekamen ihre eigenen Läufe, Polizisten ihre Wertung. Wir haben beim Münchner Medienmarathon unsere Wertung. In Heilbronn entdeckte man die Handwerker als potentielle Zielgruppe. Wer weiß, welche Wertungen es sonst noch gibt! Vor zwei Jahren also die Buchbranche in Stuttgart, die sich erstmals an der Startlinie scharte. Freilich, mit 346 Teilnehmern ist nur ein Bruchteil des in Stuttgart und Umgebung starken Verlags- und Druckgewerbes am Start gewesen. Beim New York-Marathon ist allein die Zahl der laufenden Schreiber doppelt so hoch. Doch ein weiteres Kapitel der „ständischen Läufe“ wird damit geschrieben. Ohne Marathon freilich hat ein ständischer Lauf heute ein schwaches Profil.
Einen Marathon wäre ich an diesem oder dem vorangegangenen Wochenende ohnehin gelaufen, warum nicht den Fränkische-Schweiz-Marathon? Anlaß und Ausschlag gab jedoch nicht das Laufereignis. Ich wurde nach Ebermannstadt gebeten, damit ich mich als der Hauptautor von „Sport und Vollwerternährung“ am Stand „Sport und Ernährung“ zeigen sollte. Genau das, was ich in meinem Buch gewünscht hatte, geschah hier im Ansatz. Ansatz nur deshalb, weil dieser Stand Aufklärung und nicht das kommerzielle Ziel eines Vollwertangebotes als Alternative zu den schrecklichen Wurstbratereien verfolgte.
Wir sollten dahinkommen, daß man sich als Läufer an einem solchen Stand vor und nach dem Lauf vollwertig verpflegen kann. Leider hat ja der Münchner Medienmarathon aus Kostengründen wieder einen Schritt zurück gemacht, zurück von dem durch Charly Doll eingeführten Gemüsegericht zur phantasielosen Sponsorenware der Pasta-Party, zu deren Verächtern Herbert Steffny zählt. |
Das Engagement der Gesundheitsberaterinnen (GGB), voran Charlotte Müller aus Forchheim, ist beträchtlich. Kostproben vollwertigen Backwerks mit selbsterfundenen Aufstrichen, ebenso Bücher, wurden zwar verkauft, aber von Kommerz kann nicht die Rede sein. Was Dr. Max-Otto Bruker vor 15 Jahren mit seiner wirtschaftlich unabhängigen Gesellschaft für Gesundheitsberatung vorgeschwebt hat, wird mit solchen Initiativen realisiert. Wieder einmal habe ich erlebt, daß ein gemeinsames Ziel auch menschlich verbindet.
Das Konzept des Fränkische-Schweiz-Marathons hat mir sehr gefallen. Es begegneten sich die Interessen des für die Marathonmesse zuständigen VHS-Leiters und der Gesundheitsberaterinnen der Region.
Wenn ich bedenke, wie ängstlich die „Gesundheitskasse“, die AOK, den Namen Dr. Bruker vermeidet, bin ich hier im Landkreis Forchheim auf beträchtliche Unvoreingenommenheit gestoßen. Grotesk mutete dann freilich der Anblick Eis leckender Besucher vor der Informationstafel an, auf der vor einem der Grundübel, dem Zucker, gewarnt wurde. Vielleicht hat sich ein Fünkchen Nachdenken entzündet, ohne daß das Eis-Vergnügen vergällt worden ist. Denn als Missionare verstehen wir uns nicht. | |
Fotos Sonntag: Charlotte Müller Gesundheitsberaterin
(GGB)
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Wenn ich dann schon einmal am zentralen Ort des Fränkische-Schweiz-Marathons war, wollte ich ihn auch laufen. Sicher, es scheint sehr simpel zu sein, einen kompletten Marathon auf einer Bundesstraße zu laufen; aber es kommt offenbar darauf an, auf welcher Bundesstraße. Diese hier, die B 470, ist der Zubringer zur Fränkischen Schweiz, leider bringt sie daher zuviel Verkehr. Wie schön es sein kann, zeigt sich am autofreien Sonntag, das ist der Tag des Marathons. Ohne den Marathon wäre die Idee eines autofreien Sonntags nicht durchzusetzen gewesen. Ohne Sperrung der Bundesstraße kein Marathon. Das Konzept ist aufgegangen. Nach dem Marathon wird die Straße beherrscht von Radfahrern und Skatern.
Und läuferisch? Auch da finde ich das Konzept schlüssig. Die Strecke läßt sich hervorragend strukturieren. Wir laufen von Forchheim nach Ebermannstadt, 16 Kilometer. Dort, wo das Wiesenttal enger wird, hat eine Wendepunktstrecke von 26 Kilometern begonnen. Nur freilich, während ich noch auf dem Ast zum Wendepunkt vor Kilometer 29 bin, sehe ich Läufer gehen. Da weiß ich viel zu früh, was mich erwartet. Auf Wendepunktstrecken habe ich früher die Führenden durch Beifall oder Zeichen ermutigt. Jetzt ist mir passiert, daß Signale wie das Victory-Zeichen von der anderen Seite kamen und mir galten. Alt bin ich geworden.
Wind milderte die Hitze, die dann freilich im letzten Viertel für uns zunahm. Immer wieder schüttete ich einen Becher Wasser über mich. In der Nähe eines Gasthauses bot eine Helferin gestoßenes Eis an. Ich genoß es, wie mir sich auflösende Eiskrümel den Rücken hinunter rannen. Da die Strecke keine Aufmerksamkeit erfordert, überläßt man sich am besten seinen Gedanken und dem Blick auf die Steilabfälle des Jura. Auf der Wiesent paddeln Bootsfahrer, ein Museumszug mit Dieseltraktion vervollständigt die Idylle.
In Ebermannstadt wußte ich gerade nach dem Zieleinlauf den Marathon der kurzen Wege zu schätzen. Der Marathon ist eingebunden in die Stadt, die Bühne für die Siegerehrung, die Bierbänke und -tische und die Stände der Messe stehen auf dem kleinen Marktplatz. Der Marathonbetrieb wiederum, der Zieleinlauf der Skater und der Läufer, stört die Ruhe nicht. Im Nu war ich im Hotel, und am Morgen war ich in wenigen Minuten bei den Autobussen, die uns wohlorganisiert nach Forchheim brachten. Unterwegs zwar keine langen Menschenspaliere, aber doch immer wieder Zuschauer-Inseln, die ihr eigenes Volksfest feierten. Eine südamerikanische Sambagruppe hätte ich hier am wenigsten erwartet.
Ich freue mich, daß ich diesen Provinzmarathon mit nur 388 Marathonläuferinnen und -läufern außer 16-km- und Team-Marathonläufern kennengelernt habe.
So lange vor der Glotze gesessen wie am Sonntag habe ich seit Jahren nicht mehr; man kann das in Olympiaden zählen. Um die Spiele ging es. Erst Marathon, dann Schlußfeier und schließlich Zusammenfassung. Meine Bilanz? Ich habe keine andere als: 10 Milliarden Euro. Wer das verantwortet, muß es mit seinem Gewissen ausmachen. Diejenigen, die es verantworten, haben wahrscheinlich keines. Heute morgen in meiner Zeitung wahrscheinlich handelt es sich um einen nicht gekennzeichneten Agentur-Kommentar eine Bilanz gelesen. Überschrift: „Der Funke ist nicht übergesprungen“. Griechenland habe sich in seinem Mythos Olympia gesonnt, ohne ihn wirklich wiederzubeleben. Ich sehe mich in meiner Ablehnung der Olympischen Spiele nach dem Samaranch-Konzept bestärkt.
Marathon der Männer. Ich habe mich bemüht, um 17 Uhr vor dem Gerät zu sitzen. Doch erst eine knappe halbe Stunde später konnte ich in der ARD die erste Einspielung vom Marathon sehen, da waren die Läufer schon eine knappe halbe Stunde unterwegs. Keine Aufnahmen von den Präliminarien im Startort Marathon. Daß immer so viel gequasselt werden muß! Notiert habe ich mir: „Der Reiz der mythischen Strecke hat schon viele in seinen Bann gezogen.“ Der Reiz in seinen Bann. Passiert nur, wenn man schneller sprechen muß als man denken kann. Warum nicht auf die Kraft der Bilder vertrauen schweigend! Das ließe auch Zeit zum Nachdenken, ein Österreicher dabei, ein Schweizer, ein Portugiese. Kein Deutscher. Wir haben hier ein Marathon-Klima, in jedem Jahr Tausende neuer Marathonläufer. Und der Berufsverband beharrt auf stringenten Qualifikationen. Deutscher Marathonsport findet also außerhalb der Weltöffentlichkeit statt. Ein deutscher Marathonläufer beim olympischen Marathon unter den letzten wäre noch immer besser als gar keiner gewesen. Auf eine Information, wie stark das Feld war, oder Aufnahmen vom hinteren Feld wartete ich vergeblich. Von olympischem Geist, dem vielzitierten, ist in der Berichterstattung am wenigsten zu spüren.
Ein Spanier nahm seine Mütze vom Kopf und streckte sie von sich. Kommentar: „Will er seine Mütze los werden und hat sich’s anders überlegt?“ Der Spanier hatte die Mütze unter die auf der Straße aufgestellte Dusche gehalten. Hat der Kommentator noch nie erlebt, daß sich Marathonläufer den Kopf kühlen?
Lange Zeit führte der Brasilianer Vanderlei de Lima. Nach dem höchsten Punkt der ansteigenden Strecke, km 30, zurückgelegt in 1:35 Stunden, betrat bei km 37 ein kostümierter Zuschauer den Kurs. Wohlgemerkt, er sprang nicht aus der Absperrung hervor, er ging einfach quer zum Kurs. Keiner der Zuschauer am Rande hat ihn zurückgehalten, der Radfahrer, der hinter dem Führenden fuhr, bemerkte nichts. Der Idiot drängte den Brasilianer zur Seite, der daraufhin mit dem ihm folgenden Sicherheitsradfahrer kollidierte. Erst da gelang es ihm mit Hilfe von Umstehenden, sich zu befreien und den Lauf fortzusetzen, der Abstand zu seinen Verfolgern schmolz. Ich zolle de Lima hohen Respekt. Offenbar stand ich damit nicht allein. Zwar wurde er von seinen beiden Verfolgern, dem Italiener Baldini, und dem Amerikaner Keflezighi überholt; aber er schaffte die Bronzemedaille.
Auf Marathonstrecken passiert einiges. 1978 oder 1979 (ich müßte nachschauen) malten Scherzbolde in New York eine blaue Linie, die ins Aus führte. Der Schabernack wurde rechtzeitig entdeckt, die falsche blaue Linie durch Gitter gesperrt. Vor einigen Jahren, wieder in New York, wurde der Führende durch das Spitzenfahrzeug am Central Park fehlgeleitet. Verlaufen ist auf deutschen Volkslaufstrecken vielfach vorgekommen, auch beim Donaulauf in Österreich und beim Spartathlon da war ich 1990 selbst der Betroffene. In frischer Erinnerung ist der Sabotageakt beim Swiß Alpine K 78, als die führende Italienerin von einem Unbekannten vom Kurs geschickt wurde. Doch was auf der klassischen Marathonstrecke in Athen passiert, bezeichne ich nicht anders als einen Skandal. 1,2 Milliarden für Sicherheitsmaßnahmen und dann das. Der Brasilianer ließ sich bei der Siegerehrung seinen Verdruß nicht im geringsten anmerken auch dafür Respekt. Die brasilianische Mannschaftsleitung hat, so lese ich, gegen die Marathonwertung Protest eingelegt. Eine ähnliche Situation nur unter anderen Vorzeichen wie in Davos. Ganz sicher hat de Lima nach der Tätlichkeit einen Schock erlitten, der ihn, abgesehen vom realen Zeitverlust, behindern mußte. Seine Chancen, Gold zu erlaufen, mögen zweifelhaft gewesen sein; aber ein echter Wettkampf, der gleiche Chancen voraussetzt, war es dann nicht mehr.
Spektakuläre Ereignisse wie Olympische Spiele, die ja einen immer höheren Stellenwert erhalten haben, müssen Psychopathen geradezu anziehen. So hat mich denn doch noch olympische Emotion gepackt.
Zum 9. Défi Val-de-Travers am letzten Wochenende habe ich im Laufreport den vorzüglichen Bericht von Ralf Klink doch alle seine Berichte sind bisher vorzüglich gewesen über den Défi im vorigen Jahr gelesen. Sage einer, das Internet verführe zur Flüchtigkeit. Ralf Klink beklagt zu Recht, wie wenig dieser herrliche Landschaftslauf durchs Neuenburger Land beachtet werde beträchtlicher Aufwand für 150 Läuferinnen und Läufer auf der 72-km-Strecke und 132 auf der Marathonstrecke. Abgesehen davon, daß für die Laufveranstaltung kaum gezielte deutschsprachige Werbung betrieben wird, könnte man das Potential auf Anhieb erhöhen, wenn man die Schlußzeit des Défi von 12 Stunden ausweiten und entsprechend die Durchgangszeit beim Kontrollpunkt 35 km verlegen würde. Da die Siegerehrung in der Halle am Ziel um 22 Uhr noch in vollem Gange ist, könnte man sogar noch volle zwei Stunden zulegen. Eine Schlußzeit wird in der Ausschreibung nicht angegeben. Das Problem, daß die Verpflegungsposten länger ausharren müßten, wäre vielleicht in den Griff zu bekommen, zum Beispiel durch Reduzierung der Posten. Es muß auch nicht ein Angebot wie bei einem Frühstücksbufett sein. Wer sehr lange unterwegs ist, dem ist zuzumuten, daß er ein Getränk und eine Banane oder einen Riegel bei sich führt. Im August ist es abends noch hell genug, das Ziel in Couvet zu finden. Straßensperrungen sind nicht notwendig. Die Strecke enthält zwar außer den 2000 Höhenmetern einige schwierige Cross-Passagen dies ist wirklich Europas längster Cross, was der Rennsteiglauf aus lauter Tradition für sich nur behauptet , aber insgesamt ist die Strecke selbst auf den Höhen von 1500 m ü. M. mit Autos erreichbar. Man läuft nicht durch die Wildnis, selbst in der Höhe sind Bauernhöfe. Tagsüber sind Wanderer unterwegs. Anders als beim Rennsteiglauf nähert man sich dem Ziel nicht auf einem schmalen Waldweg, sondern durch bewohntes Gebiet. In Anbetracht der 105 Ultrateilnehmer, die im vorigen Jahr in die Wertung kamen, muß man nicht neidvoll nach Biel blicken; dort hat man für eine erheblich leichtere, wenn auch um ein Viertel längere Strecke 22 Stunden Zeit. Nicht so wichtig erscheint mir, daß es nur drei Altersklassen gibt: Junioren, Männer (oder Frauen) und Veteranen (diejenigen, die 50 Jahre und älter sind); dennoch sollte man als Veranstalter auch daran denken, daß manche eben gern ihre Leistungen in einer entsprechenden Altersklasse vergleichen möchten. Sage keiner, das alles solle man den vielleicht bekümmerten Veranstaltern in der französischsprachigen Schweiz mal sagen. Ich habe vor vier Jahren bereits in „Runner’s World“ für eine Laufzeitverlängerung plädiert, mit der ein weiteres Teilnehmerpotential gewonnen werden könnte. Es wäre schade, wenn der 10. Lauf im nächsten Jahr der letzte wäre.
Heute bin ich zu anderer Stunde gelaufen als gewöhnlich. Ich mußte mir die Zeit für den olympischen Frauenmarathon freihalten. Leider nur Ausschnitte im Fernsehen Japaner sollte man sein. Die sonst häufig stille Dramatik eines Marathons äußerte sich spektakulär. Im Grunde begann die Dramatik in Deutschland schon damit, daß Sonja Oberem wegen Überschreitung der Olympia-Qualifikation nicht zugelassen worden war. Zu Recht wurde im Kommentar darauf hingewiesen, daß sie als Hitzeläuferin für diesen Lauf von Marathon nach Athen prädestiniert gewesen wäre. Von den beiden deutschen Läuferinnen stieg eine aus; gut, daß wir da wenigstens noch eine eingebürgerte Läuferin hatten, die sich im Rennen vorarbeitete. Wieder einmal bot sich das Bild einer sich übergebenden Marathonteilnehmerin. Meine Skepsis gegenüber Elektrolyt- und Saccharoselösungen ist wieder einmal bestärkt. Was helfen Sportgetränke, wenn man dann aufgeben muß? Wer mit mir darüber diskutieren will, muß mir nachweisen, daß auch reine Wasserläufer, so es sie im Hochleistungssport geben sollte, wegen einer gastrointestinalen Störung aufgegeben haben.
Auf Paula Radcliffe hatte ich eine Medaillen-Hoffnung gesetzt. Noch vor ihrem Weltrekord habe ich mir über ebay eine Autogrammkarte gekauft; sie war nicht billig, aber ich dachte, wer weiß, ob ich ihr jemals begegnen würde, lägen doch beim Berlin-Marathon zum Beispiel so etwa 28000 Plätze zwischen ihr und mir. Ihren olympischen Marathon im Nachhinein betrachtet: Leichtfertig, bei dieser Temperatur zwei Drittel des Rennens Schrittmacherdienste zu leisten. Ein Platz weiter hinten wäre noch immer besser gewesen, als bei der kritischen Marke trotz Antrittsversuchen ausscheiden zu müssen. Bitter. Dramatisch das Duell an der Spitze. Würde Mizuki Noguchi, die sich spät erst an die Spitze gesetzt hatte, scheinbar unbeeindruckt ihre Position halten? |
Ich bangte um sie, als die Kenianerin Ndereba dramatisch vor allem in den Teleaufnahmen bedrohlich näherkam. Wäre es umgekehrt gewesen, Catherine Ndereba vorn und Mizuki Noguchi die Verfolgerin, hätte ich wahrscheinlich um jene an der Spitze gebangt. Sind wir irgendwo alle Opportunisten? Wo krieg’ ich nun eine Autogrammkarte von Mizuki her? Aber auch Deena Kastor ist mir sympathisch: Nicht auffallen, aber dann Profil zeigen.
Einer von drei Milliarden Menschen ich habe mir daheim die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele angesehen. Ich bin ein Spielverderber ich weiß. Ein Spieleverderber kann ich nicht sein. Panem et circenses, die Römer wußten, wie man regiert. Nichts anderes geschieht heute. Für „Brot“ steht heute soziale Leistung, das Bedürfnis nach Spielen ist ungebrochen. Von Griechenland hatte ich gehofft, hier würden die Spiele ein, zwei Nummern kleiner ausfallen das Erlöschen des olympischen Feuers habe ich als ganz normal angesehen. Ich habe mich geirrt, die Griechen haben ihre Lektion in Europa gelernt. Alles ist noch größer und teurer als beim letztenmal. Selbst das olympische Feuer, das zwischendurch ausgegangen ist. Was die Olympischen Spiele wirklich kosten, weiß noch keiner. Ist auch nicht wichtig, das kleine Land wird die Last ohnehin nicht schultern können; also wird die Europäische Gemeinschaft ihm aus der Klemme helfen. Wir alle werden für diese Spiele, nicht nur für unsere Mannschaften, zahlen müssen. Doch die Mehrheit will es ja so.
Die Show am Freitag, dem 13. August, war schön. Den Gedanken konnte ich dennoch nicht beiseite schieben: Jede der Szenen aus vier Jahrtausenden griechischer Geschichte muß Tausende von Euros gekostet haben, jeweils für einen sekundenflüchtigen Anblick. Nun ja, wenn man die drei Milliarden Zuschauer berücksichtigt, die Emotionen, die dadurch bei ihnen ausgelöst worden sind, war es vielleicht gar nicht so teuer; jede Opernaufführung muß pro Zuschauerkopf wahrscheinlich höher subventioniert werden. Es war ja schön, in die Gesichter der Menschen zu blicken, die auf den großen Teller des Stadions schlenderten. Soviel Freude, vielleicht Glück. Die Mutter irgendwo im Sudan, die noch nicht weiß, daß ihr Kind morgen sterben wird, ging das alles nichts an; sie konnte das Spektakel nicht sehen zum Glück. Anders als mit Zynismus ist dieser Ambivalenz nicht beizukommen.
Als die Show vorüber war, wurde sie im olympischen ZDF-Studio nachbereitet. Als einem der befragten Gesprächspartner, einem Trainer und Co-Kommentator, einfiel „Es war eine geile Eröffnung“, schaltete ich ab.
Am Sonntag im ZDF in der Reihe „Expedition“ den historischen Hintergrund des Marathonlaufs wissenschaftlich behandelt gefunden. Unter den drei kommentierenden Historikern Dr. Karl Lennartz vom Carl-Diem-Institut in Köln. Zugrundegelegt die Hypothese von der Identität des Boten von Athen nach Sparta mit dem Läufer von Marathon. Eine eingängige Hypothese – wer 245 Kilometer von Athen nach Sparta läuft und von dort zurück nach Athen, danach gleich nach Marathon und wieder zurück nach Athen und dies unter dem Streß, womöglich kriegsentscheidende Aufträge so schnell wie möglich zu erfüllen, zahlt einen hohen Preis, den Preis des Lebens. Allein diese Hypothese könnte den mythischen Tod des Läufers von Marathon erklären. Nur, warum läßt uns Herodot darüber im Unklaren? Die Sendung machte die politischen Konstellationen im Jahr 490 v. Chr. und die strategischen Positionen der beiden Heere, der Perser und der Athener, deutlich. Ich befürchte jedoch, den wenigsten Zuschauern ist klar geworden, daß es sich bei der Verknüpfung des Botenlaufs von Athen nach Sparta mit dem Tod des Läufers von Marathon um eine pure Hypothese handelt. Nach meiner Kenntnis hat sie Andy Milroy, der Statistiker der International Association of Ultramarathoners, aufgestellt. Die Sendung war völlig auf dieser Hypothese aufgebaut, nannte aber die Quelle nicht. Immerhin ein Beitrag zur Entmystifizierung des Marathonlaufs, der in Carl Diems Erzählung „Der Läufer von Marathon“ (während des zweiten Weltkriegs als Reclam-Heft erschienen) fernab jeder wissenschaftlichen Deutung auf den Sockel eines ziemlich peinlichen Heroismus gehoben wird. Handwerklicher Fehler: Es war die Rede von 42 Kilometern. Die Entfernung von Marathon nach Athen zur Agora betrug 40 Kilometer. Dem entsprach die Länge des ersten Marathonlaufes bei den Olympischen Spielen 1896. Die 42,195 Kilometer, die erst 1908 in London eingeführt worden sind, werden heute auf der klassischen Strecke nur dadurch erreicht, daß der Grabhügel der bei Marathon Gefallenen umrundet wird. Karl Lennartz hätte das, versteht sich, gewußt; aber offenbar hat man ihn nicht gefragt, geschweige denn ihn als Berater hinzugezogen. Immer wieder begegne ich bei den im Mediengewerbe Tätigen beträchtlicher Arroganz. Sie wissen alles besser. Doch da ich diesem Gewerbe selbst angehört habe, muß ich mich fragen: War ich auch so?
Die Frage, ob Reiten gesund sei, war bisher damit beantwortet worden: „Ja, für das Pferd.“ Seit meiner letzten Trainingsrunde ist eine Korrektur anzubringen. Ich laufe an einem Reiterhof vorbei, einem Aussiedlerhof, dessen Besitzer sich in jüngerer Zeit entschlossen hat, sein Geld nicht mit Schweinen, sondern mit der Unterstellung von Pferden zu verdienen. Daher begegne ich immer wieder Reiterinnen. Die Reiterei ist weiblich. Diesmal kam mir eine Reiterin nicht auf dem Pferd entgegen; sie joggte und zog das Pferd hinter sich her. Ein für mich völlig überraschender Anblick. Für das Pferd offenbar ebenso überraschend, einen anderen Menschen als die Reiterin trabend zu sehen. Es blickte zu mir hinüber, ich zu ihm, irgendwie verstanden wir uns. Wenn Menschen laufen, erwachen in Tieren offenbar die natürlichen Instinkte, die ihnen sonst von den Menschen abtrainiert worden sind. Ich erinnere mich an ein Erlebnis beim Deutschlandlauf 1981. Wir liefen an einer ziemlich ausgedehnten Weidekoppel vorbei. Als die behaglich vor sich hin mümmelnden Kühe uns erblickten, stürmten sie los, parallel zu uns, jenseits des Weidezauns, keineswegs aggressiv. Sie hatten offenbar schlicht entdeckt, daß auch sie laufen konnten. Das Ende der Koppel an einem Zaun setzte ihrer Entdeckung ein Ende, während wir weitertraben konnten. Klaus Oberle, ein Abenteuerläufer der stilleren Art, hat mir einmal von einer Begegnung in Alaska erzählt. Er lief am Waldrand entlang, als er im Waldsaum ein Rudel Wölfe erblickte. Das Rudel trabte genau parallel zu ihm. Es sei ihm gar nicht wohl gewesen, doch die Wölfe hatten offenbar nichts anderes im Sinn, als einem Leittier namens Klaus Oberle zu folgen. Der Zweibeiner mußte doch wohl den Weg zur Beute kennen. Wer mehr wissen will, muß den Zoologen und Ultramarathonläufer Bernd Heinrich fragen.
Der Gesprächsstoff vermutlich nicht nur der Teilnehmer des Swiß Alpine am 31. Juli ist zweifellos, daß die Zweite Erste geworden ist. Die Italienerin Monica Casiraghi, die bis dahin mit 3 Minuten geführt hatte, war von einem Unbekannten bei Kilometer 37 von der Strecke weg auf einen schwierigen Bergweg geschickt worden und büßte etwa 10 Minuten ein. Über diesen Vorgang wird man sicher noch lesen. Ich habe davon erst nach meiner Rückkehr aus Davos erfahren und davon, daß ihr das Organisationskomitee unter Andrea Tuffli nachträglich den Sieg zugesprochen hat. Mir eine Meinung zu bilden, fällt schwer. Ich unterstelle, daß es sich die Organisatoren nicht leicht gemacht haben. Die Stärke der Italienerin hat sich im vorigen Jahr erwiesen, als sie den Lauf gewann. Sport orientiert sich an Fakten, Monica Casiraghi lief als Zweite ein. Andrea Tuffli setzte Gerechtigkeit über die Fakten. Nach meinem Verständnis von Ethik ist Gerechtigkeit der höhere Wert.
Würde ich in meinen Aufzeichnungen das für mich persönlich Wichtige mit einem Farbstift schreiben, müßte ich jetzt zum bunten Stift greifen. Ich habe den K 42 in guter Verfassung in 8:05 Stunden beendet – allerdings mit einer Marschtabelle und immerwährendem Berechnen unterwegs. Bis Chants und bis zur Keschhütte mußte ich im Blick auf die letzte Durchlaufzeit Zeit gutmachen, damit ich bis zum Scalettapaß zusetzen konnte. Zwar habe ich im Endeffekt noch ein Zeitpolster von 25 Minuten, aber der Kampf mit der Zeit bedeutet Streß. Ob ich im nächsten Jahr zum C 42 wechsle? Andererseits – die Herausforderung des Aufstiegs zur Keschhütte und zum Scalettapaß, das alpine Panorama? Auf einen Altersbonus kann ich mich nicht berufen. Der Schweizer Andreas Engler ist nur ein Jahr jünger als ich und hat den K 78 beendet. |
Abgesehen von dem Gewitter im Jahr 1998 bin ich bereits 1999 am K 78 gescheitert, ich habe die Schlußzeit an der Keschhütte nicht mehr geschafft. Ich müßte eine halbe Stunde flotter sein als damals; anders herum: Wenn ich von Bergün nach Davos 8 Stunden benötige, dann müßte ich auf dem K 78 Bergün bereits nach wenig mehr als 4 Stunden erreichen. Unmöglich. Andreas Engler ist in unserer Altersklasse, die es beim Swiß Alpine gar nicht gibt, in den Bergen der Beste. Andere mögen sich melden, auch im Alter ist Pfeffer eine Würze.
Noch auf der Runde bei Bergün holte ich, da ich mich in den Schluß des Feldes eingeordnet hatte, einen Walker ein. Früher konnte man den K 42 auch im Walking zurücklegen. In diesem Jahr führte die Walkingstrecke von Davos nach Filisur. Auf den übrigen Strecken war der Gebrauch von Stöcken ausdrücklich untersagt. Ganz klar, die Stöcke gewähren einen Vorteil beim Aufstieg wie vor allem beim Abstieg. Im Dischmatal überholte mich der „Walker“, jetzt jedoch, begleitet von einem Radfahrer, zügig laufend und ohne Stöcke. Klar, jetzt brauchte man sie ja nicht mehr. Ich bin nicht kleinlich; wer den K 42 im Walking bewältigt, verdient ebenfalls Respekt, auch wenn Walking hier gar nicht vorgesehen ist. Aber dann muß man sich auch als Walker bekennen und mit den Stöcken auf dem Sportplatz einlaufen. Einen Falschspieler ertappt... Schade, daß er mein Bild von diesem Lauf aus lauter Gleichgesinnten getrübt hat.
Es war der 19. Swiß Alpine, seit einigen Jahren gibt es außer dem Ultra-Bergmarathon und dem Landwasserlauf den K 42 mit Start in Bergün. Bisher hatte die Bahnbeförderung nach Bergün gut geklappt. Weiß der Himmel, weshalb die Rhätische Bahn in diesem Jahr versagt hat! Wir kamen gegen 9 Uhr zum Bahnhof Davos-Platz. Da stand ein Extrazug nach Bergün, in dem etliche Leute stehen mußten. Laß uns den nächsten nehmen, sagte ich daher, nämlich den fahrplanmäßigen Zug durchgehend nach Bergün, um 9.25 Uhr. Die Rhätische Bahn hat uns zwar nicht im Regen stehen gelassen, sehr wohl aber stehen lassen. Beängstigende Enge. Im Extrazug hätte ich bequem stehen können. Hier aber ständiges Balancieren, zum Teil einen Rucksack vor mir, und die Frau, die ihn trug, kapierte trotz meiner körperlichen Nachhilfe nicht, daß sie damit den wenigen Raum noch enger machte. Eine Stunde und zehn Minuten bei sommerlicher Temperatur stehend im Pferch der Rhätischen Bahn bis Bergün. Und danach sollst du einen Gebirgsmarathon laufen. Folgerungen: K 42-Läufer sollten erwägen, in Bergün zu nächtigen oder auch in Preda statt in Davos, um sich diese Tortur zu ersparen. Ich hoffe sehr, daß man ob dieser Empfehlung im Tourismusbüro in Davos hellhörig wird. Angehörige, denen die Rhätische Bahn vorgaukelt, sie könnten die Läufer vom Zug aus beobachten, sollten auf die Reklame nicht hereinfallen; sie sehen nichts, sondern verderben sich in einem überfüllten Zug den Tag. Wer nach Bergün will, kann einen Zug wählen, der ganz kurz vor dem Start oder später eintrifft. Zu erwägen wäre auch, entgegen der Empfehlung mit dem Auto nach Bergün zu fahren; man muß jedoch wegen der Straßensperrung vor 8 Uhr dort eintreffen. Das halte ich jedoch noch immer für besser, als sich eine Stunde und zehn Minuten quälen zu lassen. Das Auto kann man sich dann am Sonntag wieder holen, die Fahrkarte hat man ja. Jede andere Lösung ist besser als die, sich in einem überfüllten Zug die Knie und auf jeden Fall die Laune verderben zu lassen.
Seit 18 Jahren ist der Swiß Alpine Marathon mit einem Symposium verbunden. Das war anfangs mit Simultan-Übersetzung sehr anspruchsvoll. Es wurde dann reduziert auf eine populäre Wissensvermittlung. Von dem Symposium sind zwei Stunden am Donnerstag erhalten geblieben. In diesem Jahr ist der Tiefpunkt erreicht worden. Zwar war früher schon dem Hersteller von Elektrolytgetränken Gelegenheit zum Auftritt geboten worden, aber der Hersteller hatte immerhin einen Wissenschaftler geschickt. In diesem Jahr wurde einem Sponsor ein Forum zur betrieblichen Selbstdarstellung gegeben. Nichts gegen das alkoholfreie Weißbier, für das Reklame gemacht worden ist; aber dem Produzenten unverblümte Werbung in einem „Seminar Gesundheit“ zu gestatten, läßt auf beträchtliche Schamlosigkeit schließen. Wir, die wir darob, jeder für sich, den Saal verließen, waren uns im Foyer einig. Für mich habe ich den Seminarbesuch im nächsten Jahr gestrichen, zumal da die Neuigkeiten auf dem Gebiet der Ernährung wahrscheinlich nur für die Referentin neu waren, und mir das Argument für Wellness-Konzepte, es handle sich um die drittstärkste Wachstumsindustrie, nicht überzeugend erschien.
Der SwissAlpine Marathon ist etabliert; aber man sollte in Davos sehr, sehr aufpassen.
Meine Tagebuch-Eintragung über den Swiss Alpine hat eine Verzögerung erfahren. Ich mußte zuvor noch die Baumann-Story im Fernsehen anschauen. Meine Frau, die sich eingeklinkt hatte, wollte wissen, was ich davon hielte. Jetzt, eine halbe Stunde später, weiß ich es: Überflüssig wie ein Kropf. Keinerlei relevante Information, eine Dokumentation war’s auch nicht, das Übliche: eine Seifen-Oper. Die Privatsender haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehen deutliche Spuren hinterlassen. Wer Authentisches lesen will, greift wohl am besten zu Dieter Baumanns Buch. Ich habe es bisher nicht getan, dies ist nicht meine Welt. Das TV-Drama hochgestochene Bezeichnung war betitelt mit „Ich will laufen“. Ich laufe.
Das Ralf Klink Foto zeigt: Werner Sonntag auf der Stadionrunde ins Ziel (Davos 07/2004)
„Sprint mal los“, sagte Marianne, denn sie saß gerade, was sie sonst nachmittags nicht tut, vor dem Fernsehgerät, um die Tour de France zu verfolgen. Sprint mal los! Doch es war nichts mit Sprinten, es war schwül warm. In der Gegend sagt man, es sei dämpfig. Dabei ist es im Stuttgarter Talkessel weit schlimmer als bei uns auf der Filder-Hochebene. Dennoch spürte ich, wie mir das Laufen schwer fiel. Und als ob es noch eines Beweises bedurft hätte – in der Schwarzen Breite standen mit blinkenden Lichtern der Notarztwagen und ein Sanitätswagen. Jemandem ist das Klima nicht bekommen. Bei uns Läufern passiert nicht viel anderes, als dass uns das Laufen schwer fällt. Wetterfühligkeit ist keine Krankheit, sie ist nur mangelnde Anpassung, mangelndes Training.
Der Zermatt-Marathon hat sich in aller Form entschuldigt, die Durchlaufzeit 12.15 Uhr in Zermatt, nach der ich mich gerichtet hatte, war ein Fehler. Man wird mir das Startgeld zurückerstatten.
Seit dem Frühjahr erhalten wir als Beilage zu unserer Tageszeitung „rtv, das Fernsehmagazin Ihrer Zeitung“. Vorher war es die IWZ, die „Illustrierte Wochenzeitung“. Das Konzept dazu hatte Eberhard Hungerbühler, der Krimi-Autor Huby, entworfen. An der Realisierung war ich 1972 im Haus der „Stuttgarter Zeitung“ beteiligt. Wir hatten damals mit der Fernsehbeilage durchaus Ansprüche. Doch zu Gunsten des zunehmenden Fernsehteils fielen die Elemente des Hubyschen Konzeptes im Lauf der Zeit weg. Immerhin war die Bildreportage häufig durchaus lesenswert. Im Frühjahr wurde das Magazin eingestellt. Ich vermute, es brachte zu wenig Anzeigen. In rtv Auflage 7,2 Millionen las ich eine verkappte Anzeige. Die CMA, die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, und rtv haben einen Wettbewerb für Familien veranstaltet. Zwölf Familien, bestehend aus je fünf Personen, sollen vom ersten Wettkampftag der Olympischen Spiele bis zum 15. Oktober „durch gezieltes wöchentliches Training und eine auf sportliche Bedürfnisse abgestimmte Ernährung ihren Leistungshorizont erweitern“. Die ganze Veröffentlichung ist als redaktioneller Text kaschiert. Als medizinischer Experte zur Betreuung des „Family Fitness Award“ „konnte der Hamburger Sportmediziner Prof. Klaus-Michael Braumann gewonnen werden“. Als ob es heute einer besonderen Anstrengung bedürfte, einen Professor für ein wirtschaftliches Projekt zu gewinnen – das Honorar muß nur stimmen. Professor Braumann kommt zu einer tiefschürfenden Erkenntnis. „,Richtiges Essen und Trinken’, sagt Prof. Braumann, ,ist für jeden Sportler die Voraussetzung für Leistungsfähigkeit und körperliche Fitness. Fleisch ist aus der Ernährung eines Sportlers nicht wegzudenken, da es ein bedeutender Eiweißlieferant ist, der maßgeblich am Muskelaufbau beteiligt ist.’“ Da andere Mediziner durchaus in der Lage sind, sich Fleisch aus der Ernährung von Sportlern wegzudenken – siehe unser Deutschlandlauf 1981 , habe ich mir mit einer e-mail Luft gemacht: „Sehr geehrter Herr Professor Braumann, in einer Anzeige der CMA haben Sie laut rtv Nr. 27 behauptet, Fleisch sei aus der Ernährung eines Sportlers nicht wegzudenken. Diese Behauptung ist falsch. Ich unterstelle, dass Sie das wissen, jedoch die Interessen der CMA vertreten. Ich bitte um eine Stellungnahme. Mit freundlichen Grüßen.“
Heute war ich zum AOK-Fitness-Test. Um bei meiner Krankenkasse einen Gesundheitsbonus zu erhalten, muß ich nachweisen, dass ich fit bin. Das weiß zwar eine Menge Läufer, aber die AOK weiß es nicht. Sie weiß nicht, dass ich fast jeden Monat einen Marathon laufe. Doch ein Marathon zählt bei der AOK Baden-Württemberg nicht als Fitness-Nachweis. Dagegen ein Sportleistungsabzeichen wie das Deutsche Sportabzeichen oder das Laufabzeichen der Stufe 30 Minuten. Als Lauftreffleiter hätte ich mir das vor mehr als 25 Jahren selbst verleihen können, heute müsste ich dafür zahlen. Daher nahm ich an dem kostenlosen Fitnesstest teil, den Professor Klaus Bös für die Allgemeinen Ortskrankenkassen in Baden-Württemberg entwickelt hat. Kernstück ist Walking über 2 Kilometer mit Messung der Pulsfrequenz. Nach Jahren hatte ich wieder einen Pulsmessgürtel um. Er hielt jedenfalls auf der schweißnassen Haut besser als der in der Anfangszeit. Doch – ich hatte mich noch gar nicht bewegt, da war der Puls schon auf 130. Nach den fünf Sportplatzrunden zeigte das Gerät 153 an. Hätte ich ein solches Gerät gekauft, würde ich permanent mit viel zu niedriger Pulszahl trainieren. Da laufe ich denn doch lieber nach Gefühl. Auf einem Fragebogen waren einige Fragen zu beantworten, darunter auch, ob ich einen Purzelbaum schlagen könne. Wie soll ich das wissen? Auf einer Matte in der Halle hätte ich das versucht, aber auf dem Fußballrasen? Auch die AOK-Betreuerin riet mir davon ab. Und mit den Fingerspitzen den Boden berühren? Das sogenannte Schobersche Zeichen war bei mir schon vor 20 Jahren nicht sehr eindrucksvoll. Trotz der solchermaßen nicht nachgewiesenen Flexibilität wurde mir nach einem mir nicht einsichtigen Schlüssel bestätigt, ich sei überdurchschnittlich trainiert. Wär’ ja auch noch schöner. Offenbar nahmen jedoch viele überdurchschnittliche Trainierte teil, die andern waren erst gar nicht gekommen. „Gesund leben wird belohnt“, steht auf dem Bonusheft, in das mein Fitnesstest eingetragen wurde. Der Gesundheitsbonus II, mit dem Fitness belohnt wird, beträgt 30 Euro fürs ganze Jahr, soviel etwa wie bei vielen Marathons das halbe Startgeld. Gesund leben – für den AOK-Beitrag lohnt sich’s mit Sicherheit nicht.
Vom Karstadt-Ruhrmarathon die Urkunde bekommen. Das war doch am 25. April ein höchst eindrucksvoller Lauf – aber die Urkunde? So etwas kann heute, wenn er sich das Karstadt-Logo kopiert hat, jeder Pennäler machen, um nicht zu sagen, das könnte sogar ich machen. Ein weißes Blatt ohne den Anflug einer graphischen Gestaltung, außer dem Wechsel von Schriften und Schriftgrößen. Linksbündig oben und weiter unten auf Mitte zentrieren, macht man mit je einem Klick. „Herzlichen Glückwunsch“ steht darunter. Keine Unterschrift, kein Name, völlig anonym, denn weder zeichnet ein Herr Karstadt verantwortlich noch lässt sich eine der vielen tausend Verkäuferinnen dafür verantwortlich machen. Wäre ich Jurist, würde ich mir den April-Scherz erlauben, die Urkunde mit dem Argument anzufechten, es sei keine.
Im allgemeinen gibt man sich im Ausland mehr Mühe. Auf der Urkunde von der 100-km-Weltmeisterschaft in Santander stimmt zwar mein Name nicht ganz, aber der edle, rahmenswürdige Karton macht etwas her.
Gewiß, der heute aus dem Laserdrucker kommende Ausdruck ist völlig nebensächlich. Es ist viel wichtiger, sich darum zu kümmern, daß an den Verpflegungsstationen Verpflegung ist. Doch man hat doch sonst beim Ruhr-Marathon Ansprüche gestellt. Jemandem ist eingefallen, die Läufer durch das Opel-Werk zu leiten, einen roten Flügel in die Gießereihalle zu stellen und eine Konzertsängerin auftreten zu lassen. Das zeugt von kultureller Ambition. Nun bei der Urkunde ist den Organisatoren der Atem ausgegangen, oder sie haben die Aufgabe jemandem übertragen, der das lieblos mit der linken Hand erledigt hat. Dabei müßte ein solcher Konzern doch über Hunderte von Werbefachleuten, von Innenarchitekten und Dekorateuren, von Mode- und Graphikdesignern verfügen. Ob das mit der Krise bei Karstadt zu tun hat? Zumindest spiegelt sie sich in der Urkunde wider. Ob die großen Sprüche mit dem Twin-Marathon 2005 eingelöst werden können?
Die empörte Zuschrift eines Läufers zu meinem faktischen Ausschluß vom Zermatt-Marathon erhalten. Die Geschäftsführerin hat, vorerst telefonisch, zugegeben, es sei ein Fehler passiert. Das Eingeständnis ist immerhin etwas, denn weder am Kontrollposten in Zermatt noch von den Schlußradfahrern noch von einem Funktionär im Restaurant am Ziel ist mir geglaubt worden. Tatsächlich stand im Reglement eine Kontrollschlußzeit von 12.15 Uhr in Zermatt. Alle bezogen sich auf eine Tabelle der Spitzen- und Schlußzeiten, die ebenfalls im Internet und im Veranstaltungsmagazin publiziert worden ist. Diese Tabelle dient nach meiner Ansicht zur bloßen Orientierung, wann jeweils die ersten und wann der Schluß der Läufer zu erwarten sei. Sie kann keinen verbindlichen Charakter haben. Man kann der Logik nach nicht vorschreiben, daß nicht nur die Spitzenläufer, sondern auch der Schluß um 9.07 Uhr die Startlinie zu passieren hätten. Anderenfalls hätte man für das hintere Feld etliche Minuten zugeben müssen. Wenn den Spitzenläufern nicht vorgeschrieben werden kann, daß sie Zermatt laut Tabelle um 10.16 Uhr passieren müssen, dann kann auch die Schlußzeit in der Tabelle mit 12 Uhr nicht verbindlich sein. Maßgebend ist das Reglement, und es wäre zweckmäßig gewesen, den Hinweis auf bestimmte Kontrollschlußzeiten bereits in der Ausschreibung abzudrucken. Dies sollte auch mancher andere Veranstalter beachten, denn man kann nicht Läufer zur Anmeldung bewegen und ihnen erst danach sagen, welche Regeln sie zu befolgen hätten.
Was mich nach dem Vorkommnis zunächst einmal empört hatte, war, daß das Reglement im Internet drei Tage nach dem Lauf, nachdem man sich offenbar von dem Fehler überzeugt hatte, von 12.15 auf 12 Uhr geändert worden ist. Da habe ich, eine Fälschung befürchtend, dem Schweizerischen Leichtathletik-Verband geschrieben. Doch die Geschäftsführerin hat mit ihrem Anruf meinen Verdacht zerstreut. Offenbar ging es ihr tatsächlich nur darum, einen Fehler schleunigst richtigzustellen. Klug war es dennoch nicht, Spuren zu verwischen. Immerhin wird meine Angabe und die meines Mitläufers nicht mehr angezweifelt. Nur eben, wiedergutmachen lässt sich der Fehler nicht. In diesem Jahr war meine einzige Chance, den Zermatt-Marathon innerhalb der vorgegebenen Durchlaufzeiten zu bestehen. Dadurch, daß man sich nicht an die Uhrzeit im Reglement hielt, das ja irgendwann beschlossen worden sein muß, hat man mich meiner Chance beraubt.
Zwei weitere Ungereimtheiten beim Zermatt-Marathon: Die Startnummer gilt für die Fahrt von Brig nach Zermatt und zurück sowie am Lauftag mit der Gornergratbahn und der Sunneggabahn als Fahrtausweis. Wer sich nicht früh genug angemeldet hat, erhielt jedoch die Startnummer nicht zugeschickt. Bahnfahrer mußten also bis St. Niklaus zahlen. In den Regeln heißt es: „Bei Aufgabe des Rennens berechtigt die Startnummer zum Bezug eines Fahrscheins an den Bahnschaltern bei GGB und Sunneggaexpreß.“ Genau diese Fahrtausweis-Berechtigung aber soll, wer ausscheidet, beim Kontrollposten abgeben. Schon deshalb habe ich mich gegen die Abgabe der Startnummer gewehrt. Welcher Bahnangestellte würde am Tag nach dem Lauf einem offenbar gut erholten Rentner mit einem Koffer glauben, daß er Tags zuvor einen Marathon gelaufen sei und daher Anspruch auf eine freie Fahrt habe!
Nachdem ich vom Riffelberg mit der Gornergratbahn nach Zermatt gefahren war, mußte ich meinem Läuferrucksack hinterherlaufen, den ich von St. Niklaus zum Ziel hatte befördern lassen. Der Rucksack war – das war angekündigt worden – um 17 Uhr vom Ziel nach Zermatt geschickt worden. Doch in der Güterhalle des Zermatter Bahnhofs wurde ich abgewiesen, hier sei kein Läufergepäck. Ich solle im Bahnhof der Gornergratbahn fragen. Das tat ich. Der freundliche Angestellte brauchte längere Zeit herauszufinden, daß das Gepäck doch in der Güterhalle sein müsse. Also wieder zurück. Die Freunde warteten unterdessen mit dem Abendessen, und duschen wollte ich zuvor ja auch noch. Diesmal ließ mich die Angestellte in die Güterhalle, damit ich selbst nachsähe. Im übrigen – ein starkes Argument! – sei ich der einzige, der nach seinem Läufergepäck frage. Tatsächlich fand sich mein Rucksack in der Nachbarschaft eines weiteren Laufgepäcks und eines Abfallsackes vom Riffelberg. Die Organisation des Bahnlaufs – schließlich wird der Zermatt-Marathon von den beiden Bahnen Matterhorn-Gotthard-Bahn und Gornergrat-Monte Rosa-Bahnen veranstaltet – hat offenbar die eigenen Angestellten ungenügend informiert.
Mit Ungereimtheiten kann man leben, der Ausschluß vom Zermatt-Marathon hingegen hat mich getroffen. Ich brauchte Tage, das zu verarbeiten. Am liebsten wäre ich sofort einen Marathon gelaufen, um mein Selbstgefühl wieder ins Lot zu bringen. Der nächste Marathon ist der K 42 von Bergün nach Davos. Wenn ich dort nicht mehr rechtzeitig über den Scalettapaß kommen sollte, dann wäre es ein ehrliches Scheitern. Der Herausforderung stelle ich mich gern.
Gestern in Marbach am Neckar gewesen, zur Marbacher Meile. Das ist ein Hilfsprojekt für Indianerkinder in Brasilien. Veranstalter war die Evangelisch-methodistische Kirche in Marbach. Mit Kirchen habe ich, durch die katholische Kirche in meiner Jugend psychisch beschädigt, wie „Irgendwann mußt du nach Biel“ vermutlich zu entnehmen ist, nichts im Sinn. Die soziale Funktion des Laufens dagegen ist mir ein Bedürfnis. 1978 bei meinem ersten New York Marathon lernte ich die World Hunger Runners kennen (oder so ähnlich), die sich das Ziel gesteckt hatten beizutragen, bis zum Jahr 2000 den Hunger in der Welt zu beseitigen. Ich hielt das für ziemlich naiv, denn Voraussetzung dafür schien mir, zunächst einmal, den Krieg in der Welt zu ächten. Jeder Krieg führt zur Verelendung, manchmal sogar der Sieger. Ich bin, seit dem stillen Gelöbnis im Viehwaggon nach Auschwitz ins Drehkreuz nach Sibirien, Tod oder Heimkehr, Pazifist. Einige Jahre war ich Mitglied der Welthungerhilfe-Läufer, deren europäisches Zentrum in Stäfa in der Schweiz war. Dann beendete ich die Mitgliedschaft, weil ich es für verlogen ansah, wenn Amerikaner einerseits Spenden für ein ehrgeiziges Ziel sammelten, andererseits in Vietnam die Wälder entlaubten. Leider ist es ja so, daß die amerikanische Bevölkerung ziemlich naiv ist und auf ihre Intellektuellen noch weniger hört als anderswo.
Wenn Menschen wie in Marbach am Neckar sich für ein Projekt engagieren, obwohl die politische Kurzsichtigkeit zum Verzweifeln ist, finde ich das bewundernswert. Nebenbei habe ich einiges über die Evangelisch-methodistische Kirche gelernt, eine der Evangelischen Freikirchen. Sie zählt zwar nur 64000 Mitglieder in Deutschland, versteht sich aber als deutscher Zweig einer weltweiten Glaubensgemeinschaft von etwa 70 Millionen Menschen, so habe ich im Internet gelesen. In wesentlichen Teilen beruht der Glaubensinhalt auf den Lehrdokumenten John Wesleys im 18. Jahrhundert. Das ist mir auch nicht sonderlich sympathisch, die Geschichte der Päpste ist als Beispiel für die Prägung einer Kirche durch einzelne abschreckend genug. Offenbar spielen jedoch in der Evangelisch-methodistischen Kirche soziale Aspekte eine große Rolle. Dies wäre nun ein wertvoller Beitrag zur Ethik. In der Tat herrschte an der Erlöserkirche auf der Marbacher Schillerhöhe eine familiäre Atmosphäre. Eine enge soziale Bindung ist mir auch bei den Zeugen Jehovas aufgefallen.
Die Marbacher Meile 2004 soll den Kaiowá helfen, einer Indio-Gruppe in Brasilien, dem Volk der Guarani zugehörig. Ich lese: „Die Guaranies Brasiliens wurden 1548 ,entdeckt’, bald darauf versklavt oder in die Missionen der Jesuiten eingegliedert. Wem die Flucht gelang, versteckte sich in den Wäldern. Dergestalt überlebten einzelne Gruppen quasi ohne jeden Außenkontakt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.“ Ich möchte am liebsten alles abschreiben, was ich gelesen habe. Die Naturreligion der Kaiowá, ihr Umgang mit der Umwelt und die Werte ihres Soziallebens stehen mir nahe. Deshalb habe ich als Außenstehender gern an dem diesjährigen Projekt der Kirche in Marbach am Neckar teilgenommen. Man suchte sich einen Sponsor, der für jeden Kilometer einen vorher festgelegten Betrag überweisen wird, oder führte selbst eine Spende ab.
Wir liefen auf einer Runde von 3333 Metern, am Schiller-Nationalmuseum und Deutschen Literaturarchiv vorbei, das gegenwärtig in einer Baustelle liegt, ins Tal hinunter und steil wieder hinauf auf die Schillerhöhe. Sechs Stunden lang war hier ständig Betrieb. Mir fielen die Hosianna-Runners auf, eine christliche Läufergruppe. Wieder einmal wird der spirituelle Charakter des Laufens deutlich, wenn man ihn denn zu entdecken versteht.
Der Tag hätte schön werden können, auch wenn ich damit hätte rechnen müssen zu scheitern. Ohne das Risiko des Scheiterns wäre Sport nicht Sport. Aber so?
Vor zwei Jahren war mir der Zermatt-Marathon unerreichbar. Doch für dieses Jahr war das Ziel um etwa 450 Höhenmeter tiefergelegt, vom Gornergrat in etwa 3000 Metern Höhe zum Riffelberg in 2582 Meter. Die Zeit von genau 7:38 Stunden war gleichgeblieben. Kilometer für Kilometer habe ich ausgerechnet, in welcher Zeit ich den jeweiligen Abschnitt zurücklegen müßte. Jedem, mit dem ich über den Zermatt-Marathon sprach, sagte ich, der neuralgische Punkt für mich sei Zermatt. Ich müsse auf jeden Fall rechtzeitig Zermatt erreichen. Dann sähe ich Chancen für die zweite Marathonhälfte. Und wenn nicht, in Sunnegga bei Kilometer 32,2 wegen Verspätung aufzuhören, sei ja auch etwas. Ich würde geben, was ich könnte. Ich würde mich einem Wettkampf gestellt und vielleicht verloren haben. Die Chancen beim Spartathlon liegen gewöhnlich bei unter 50 Prozent, in einem Jahr ist auch nur ein Viertel der Teilnehmer angekommen. Eine 50:50-Chance wahrzunehmen, schien mir nicht auf Realitätsverlust hinzudeuten. Sorgfältig sah ich mir die Steigungsangaben auf der Website des Zermatt-Marathons an. Mit der Meldung wartete ich bis zum letztmöglichen Termin, dem 14. Juni, nämlich bis nach den 100 Kilometern von Biel.
Nach den Kontrollschlußzeiten des Reglements, das auf der Website dreisprachig veröffentlicht war, mußte ich Kilometer 20,7 in Zermatt nach 3:08 Stunden erreichen. Start 9:07 Uhr, Kontrollschluß 12.15 Uhr. Ich mußte im Wechsel von Laufen und Gehen auf einen Kilometerschnitt von 9 Minuten kommen und hätte dann noch 8 Minuten für 700 Meter und kurze Aufenthalte an drei Verpflegungsstellen. Laufen mit enger Zeitvorgabe ist zwar Streß, aber es ist auch eine Herausforderung. Die Wetterbedingungen waren optimal, die zu erwartende Wärme würde uns in der Höhe nicht allzuviel anhaben können. Der Boden war trocken. Regen in der Nacht, und alles hätte ganz anders ausgesehen.
Der 5-Kilometer-Zeitvergleich ergab, daß ich völlig in der Zeit lag. Obwohl ich als Ältester damit gerechnet hatte, der Letzte zu bleiben, holte ich zwei Läufer ein. Ob sonst noch jemand hinter mir kam, wußte ich nicht. Am Straßentunnel erblickte ich zwei Läuferinnen vor mir, konnte jedoch nicht aufschließen, denn dann kamen Passagen, bei denen ich vorsichtshalber gehen mußte. Der Abstieg zum Bahnhof von Zermatt. Es war 12 Uhr, ich war hochzufrieden. Meine Rechnung war aufgegangen, ich hatte in Sichtweite des Bahnhofs und damit des ersten Eliminationspunktes noch 15 Minuten. Am Verpflegungsstand vor dem Betriebsgebäude des Bahnhofs noch ein Getränk. Und weiter. Waren es 200 Meter? In Höhe des Bahnhofseingangs hielt mich eine Helferin auf. Aus! Ich hätte das Zeitlimit überschritten. Meine Uhr zeigte wie die Bahnhofsuhr 12.05 Uhr. Ich hätte sehr wohl noch 10 Minuten Zeit, sagte ich. Nein, Durchlaufzeit sei 12 Uhr. Aber ich hätte doch gelesen: 12.15 Uhr und meine Planung darauf abgestellt. Im Marathon-Magazin stehe 12 Uhr. Das Magazin hatte ich am Nachmittag vor dem Lauf beim Abholen der Startnummer erhalten, denn uns, die wir erst 19 Tage vor dem Lauf gemeldet hatten, wurden die Startunterlagen nicht zugeschickt. Aus allen Wolken gefallen, fiel mir nicht einmal mehr ein, woher meine Information mit dem Kontrollschluß 12.15 Uhr stammte. Ein Posten hielt mir einen Ausriß aus dem Marathon-Magazin mit dem Kontrollschluß 12.00 Uhr vor. Mache einer mal in der Zermatter Bahnhofstraße klar, daß meine Information, von der ich jetzt nicht einmal wußte, woher ich sie hatte, seriös war. Sie könne das nicht entscheiden, sagte die Helferin. Sie wollte meine Startnummer, aber die brauchte ich doch als Fahrtausweis. Ich tobte. Wenn man mich je einmal toben gesehen hat, dann hier. Die Strecke werde abgebaut, und überhaupt würde ich die Strecke bis zum Zielschluß nicht schaffen. Als ob jemand, der hier 6 Minuten früher durchgekommen wäre, in anderer Lage wäre. Ich nestelte bereits an der Startnummer. Doch da kam, nach fünfminütigem Disput, einer der beiden Läufer, die ich vorher überholt hatte. Der machte, stämmig, wie er war, nicht viel Federlesens, als ihm ein Kontrollposten an die Startnummer wollte, er schaukelte einfach weiter, ebenfalls behauptend, der Kontrollschluß sei 12.15 Uhr. Ich nicht faul, schloß mich ihm an, schlängelte mich in der Bahnhofstraße durch die Passanten hindurch, wollte Zeit gutmachen und ließ den Läufer bald zurück. Heftiges Herzklopfen, das kam nicht vom Laufen. Die Szene am Bahnhof hatte mich aufgeregt. Ich tat langsam, um mich zu beruhigen. Dann fuhren zwei Radfahrer an mir vorbei, offenbar die Besen-Fahrer. Einer eröffnete mir, ich sei aus dem Rennen genommen und liefe auf eigene Verantwortung weiter. Als ob hier nicht jeder auf eigene Verantwortung liefe! Zwischen St. Niklaus und Zermatt gibt es etliche Möglichkeiten abzustürzen.
Auszug der Ausschreibung im Internet
Die Drohung, die Strecke werde abgebaut, erwies sich als real. Die Gegenrichtung bei der neuen Schleife von Zermatt erreichte ich problemlos. Doch dann kam eine Kreuzung. Keine Bänder mehr, keine gelben Pfeile. Ich wußte nur, daß ich nun an Höhe gewinnen mußte. Im Gehschritt in den Ortsteil Stalden. Dort blickte der kostümierte Kutscher eines Pferdefuhrwerks verwundert auf meine Startnummer. Marathon? Dann müsse ich zurück ins Dorf, am Hotel Julen vorbei. Das kannte ich, dort hatte ich zum Matterhornlauf gewohnt. Dieselbe Strecke zurück, nun im Laufschritt. Am Hotel Julen vorbei auf die Straße empor zur Sunnegga. An der Kurve oben schaukelte der Läufer, den ich hinter mir gelassen hatte, der sich aber nicht verlaufen hatte. Da besiegelten wir per Handschlag, gemeinsam das Ziel zu erreichen. Das schien mir vernünftig zu sein. Die Luft war nun völlig heraus, etwa eine Viertelstunde verloren durch den Disput am Bahnhof und durch Verlaufen, demotiviert durch die Tatsache, doch nicht mehr in der Wertung zu sein. Leider bekam Rudi aus Heilbronn wenig später Krämpfe, mochte auf ebenen oder Gefällstrecken nicht mehr traben, redete uns aber gut zu, wir würden das schaffen. Zu dieser Zeit war mir klar, wir würden es nach alledem nie mehr in der Zeit schaffen. Rudi erhoffte sich die Medaille und das Finisher-Shirt. Scheiß auf die Medaille, sagte ich. Ohne Rudi hätte ich mich später nochmals verlaufen. Immer wieder kam es zu Unsicherheiten bei der Orientierung. Die Strecke sei ganzjährig markiert, hatte uns die Werbung weisgemacht. Gemeinsam konnten wir beratschlagen. Zuweilen waren auch weggeworfene Verpackungen von Riegeln hilfreich danke, ihr Schweine! Absperrbänder waren nicht mehr vorhanden, Verpflegungsstationen, versteht sich, ebenfalls nicht. Auf der Weg zur Riffelalp kam ich zu drei Schluck Wasser; eine Französin hatte uns ihre Flasche gereicht. Ein interessantes Experiment von Zermatt zum Riffelberg bei 900 Höhenmetern mit drei Schluck Wasser. Aus einem der wenigen Markierungsschildchen von gelben Pfeilen keine Spur schloß ich, daß wir den Hang hinauf müßten. Vorher sahen wir noch hinter der Bahnunterführung nach, doch der Weg schien genau in die Gegenrichtung zu führen. Er wäre der richtige gewesen. So aber kehrten wir um und arbeiteten uns den Hang empor zu der Skiabfahrt neben der Gornergratbahn. Am Hotel Riffelberg sahen wir das nahe Ziel, doch der Kilometrierung nach, die ebenfalls nur noch rudimentär vorhanden war, mußte hier noch eine Runde zu gehen sein. Wir ließen uns diese Runde beschreiben, denn ich bestand darauf, daß wir die Marathonstrecke zurückzulegen hätten. Wir seien schließlich ganz für uns gelaufen und gewandert. Rudi sorgte sich, ob wir noch eine Medaille bekommen würden, wenn doch das Ziel schon abgebaut sei. Wir waren eine Stunde zu spät dran. Am Restaurant Riffelberg wurden wir beklatscht, hier saßen offenbar Funktionäre des Zermatt-Marathons. Wußten sie, wen sie beklatschten? War doch am Bahnhof von Zermatt von Disqualifizierung die Rede gewesen. Das mir spendierte Mineralwasser nahm ich gern, den Empfang einer Medaille auf dem Gnadenwege werde ich ablehnen. Ich will nur bestätigt bekommen, daß beim 3. Zermatt-Marathon zwei unterschiedliche Schlußzeiten in Zermatt angegeben worden sind und dieser Fehler in dubio contra cursor im Zweifel gegen den Läufer ausgelegt worden ist. Aber Zweifel .gibt es beim Zermatt-Marathon offenbar nicht.
Wahrscheinlich werde ich auf den Zermatt-Marathon noch zurückkommen müssen. Fehlt ja auch noch die Suche nach dem in St. Niklaus abgegebenen Läufergepäck.
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