Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 29. Juni 10

Als ich zum Laufen fand, gab es schon eine Szene. Sie hatte sich um Dr. Ernst van Aaken gesammelt. Es waren durchweg Menschen, die an eine vormalige sportliche Karriere anknüpfen konnten oder, wie Manfred Steffny, sie gerade absolvierten. Ich gehörte zu den „unbeschriebenen Blättern“. Das war im Jahr 1966, im dritten Jahr nach dem ersten deutschen Volkslauf. 1972 kam ich in Biel und danach in Illertissen zum Ultralauf. Auch da war schon eine kleine Szene vorhanden, denken wir insbesondere an Helmut Urbach. 1975 unternahm ich die erste Laufreise, nämlich zur klassischen Strecke Marathon – Athen; sie wurde von einem Verein organisiert. Reisebüros für Laufreisen gab es noch nicht. Auch nicht, als Arthur Lambert, der Vorsitzende der IGÄL, Ziele von Laufreisen bestimmte. Auf diese Weise verbrachte ich mit Marianne einen Laufurlaub auf Teneriffa. 1978 veranstaltete ich den „1. Touristik-Lauf“, einen zweitägigen Lauf auf dem neuen Radwanderweg von Laupheim an der Donau nach Kreßbronn am Bodensee. Der Lauf ohne Zeitnahme sollte ein Gegenstück sein zu den leistungsorientierten, häufig langweiligen Läufen der Vereine. Damit war ich bereits auf der Schiene späterer Laufreiseveranstalter; doch ich mochte keinen Beruf daraus machen, auch keine Teil-Aktivität. Der Pionier wollte nicht Pionier sein.

Noch eine unbeabsichtigte Pioniertat ist mir eingefallen. Zusammen mit meinem Kollegen Georg Kleemann betrieb ich Anfang der siebziger Jahre im Stuttgarter Tagblatt-Turm fast täglich den Treppenlauf. Im Jahr 1966 war ich zur „Stuttgarter Zeitung“ zurückgekehrt, und zwar in das Ressort Aus aller Welt, das Georg Kleemann leitete. Diese Redaktion war, woran mich ein Kollege neulich erinnerte, im 13. Stockwerk des Hochhauses in der Eberhardstraße, des ersten Hochhauses in Stuttgart. Die tägliche Redaktionskonferenz fand im Sitzungssaal im ersten Stockwerk statt. Statt den Paternoster zu benützen – denn der Fahrstuhl war allein dem Herausgeber vorbehalten –, beschlossen wir, den Rückweg vom Sitzungssaal in den 13. Stock zu Fuß zurückzulegen. Ich glaube mich zu erinnern, daß diese Idee von Kleemann kam. Er war Alpinist; von organisierten Sportwettbewerben hielt er wenig, von den Olympischen Spielen schon gar nichts. Im Schreibtischsessel trainierte er gelegentlich die Armmuskeln, in dem er, sich auf die Armlehnen stützend, den Körper hob und senkte. Für das Treppentraining sah er in mir zu Recht einen Partner. Ich war ja schon etliche Marathone und wahrscheinlich auch die 100-Kilometer-Strecke gelaufen. Jeweils nach der Redaktionskonferenz, zuweilen auch zusätzlich nach dem zu ebener Erde eingenommenen Mittagessen, legten wir die zwölf oder dreizehn Stockwerke möglichst rasch zurück. Unsere Aktivität sprach sich nicht nur im Haus herum; eines Tages erschien auch ein Aufnahmeteam des damaligen Süddeutschen Rundfunks, um unsere Jagd über die Treppenstufen nach oben zu dokumentieren.

Leider ging die Treppenlaufzeit eines Tages zu Ende, weil unsere Redaktion in ein niederes Stockwerk des Nachbarhauses verlegt wurde, und zwei oder drei Stockwerke ohne Fahrstuhl zu erreichen, konnte uns nur ein müdes Lächeln entlocken. Im Jahr 1976 zog die „Stuttgarter Zeitung“ komplett um in das jetzige Pressezentrum, wo alle ihre Räume in einer einzigen Ebene liegen.

An unsere Treppenläufe dachte ich, als ich jüngst wieder über den Treppenlauf als Laufwettbewerb las. Auch früher schon hat das Laufen merkwürdige Varianten hervorgebracht. Bei den württembergischen Schäferläufen mußten die Teilnehmerinnen ein mit Wasser gefülltes Gefäß mit sich führen; der Inhalt durfte auf der Sprintstrecke nicht verloren gehen. Frauenläufe dienten der Unterhaltung. Eine Zeitlang gab es Dreibeinläufe – jeweils zwei Läufer wurden an je einem Bein zusammengebunden und mußten so laufen. Sackhüpfen habe ich als Kind noch kennengelernt. Im 19. Jahrhundert haben insbesondere die Schauläufer für Laufvarianten gesorgt.

Das Treppenlaufen dürfte jüngeren Datums sein, verständlicherweise; es entwickelte sich erst, als Türme gebaut wurden, Fernsehtürme und Bürotürme. Gleichwohl wird auch über Treppen im Freien gelaufen. Am 16. Juli findet zum fünften Mal der Stäffeles-Lauf in Wildbad im Schwarzwald statt; da wird über die 2200 Stufen der Sommerberg-Standseilbahn ein Wettbewerb ausgetragen. Kinder können sich vorher an einem Mini-Stäffeles-Lauf beteiligen. In den Weinbergen der Lößnitz in Radebeul führen 397 Stufen nach oben; seit dem Jahr 2005 findet hier der Mount-Everest-Treppen-Marathon statt. Der Hauptwettbewerb hat es in sich: Die Treppe mit 88,48 Höhenmetern ist in 24 Stunden hundertmal zurückzulegen, macht 8848 Höhenmeter mit 39.700 Stufen über die Doppelmarathonstrecke von 84,390 km. Der Streckenrekord liegt bei 14:48:28 Stunden. Der nächste Termin: 16./17. April 2011.

Ursprünglich hatte der Treppenlauf wohl als Training gedient. Dabei wird allein der Vorfuß belastet und die Oberschenkel-, Waden- und Bauchmuskulatur beansprucht. Ausdauer- und Krafttraining verbinden sich. Eine weitere Wurzel hat die Feuerwehr zu verantworten; Feuerwehrleute übten das Treppensteigen in Schutzausrüstung. Inzwischen gibt es auch Wettbewerbe für Feuerwehrleute.

Wie es zu Wettbewerben im Treppenlaufen gekommen ist, müßte noch erforscht werden. Im Grunde stellt ja jede längere Treppe eine Herausforderung dar. Das zeigt sich darin, daß nicht wenige Besucher historischer Türme, vor allem Kinder, die Treppenstufen zählen. Der Schritt zum Wettbewerb drängt sich auf. Angeblich sind die ersten derartigen Wettbewerbe in den siebziger Jahren organisiert worden. Seither hat sich, ohne daß wir das richtig mitgekriegt haben, eine ganze Szene gebildet. 31 Mitglieder zählt die World Federation of Great Towers, darunter der Berliner Fernsehturm (368 m). Ganz sicher ist diese Gründung, anders als die AIMS, nicht auf die Läufer zurückzuführen.

Treppenläufer sind Spezialisten. Mittlerweile gibt es nicht weniger als 185 Treppenläufe in aller Welt. In Deutschland ist auf den Berliner Fernsehturm gerannt worden, auf den Perlachturm in Augsburg, den Messeturm in Frankfurt am Main, den Rheinturm in Düsseldorf, den Fernsehturm in Stuttgart und auf das Uni-Hochhaus in Magdeburg. Zur Popularisierung hat sicherlich der Student Thomas Dold aus Wolfach mit seinen Leistungen beigetragen; er steht auf dem zweiten Platz der Weltrangliste. Fünfmal gewann er den Lauf im Empire State Building, seinerzeit dem höchsten Gebäude der Welt, und in den Jahren 2008 und 2009 den Treppenlauf zum 91. Stockwerk des Taipeh 101. Weitere erste Plätze erzielte er in München, Berlin, Stuttgart, Basel, Mailand, Benidorm und Singapore. Auf Platz 7 der Weltrangliste steht Matthias Jahn, auf Platz 10 Jan Wilker.

In diesem Jahr wird die Serie der Treppenläufe am 26. September in Prag abgeschlossen. Seit Beginn dieses Jahres gibt es eine neue Herausforderung: der Burj Chalifa in Dubai, mit 828 Metern Höhe mit Abstand das höchste Gebäude der Welt.

Weder Georg Kleemann noch ich hatten bei unserem vertikalen Lauftraining in den siebziger Jahren eine Vorstellung, in welche Welt wir uns da begeben hatten.

Eintragung vom 21. Juni 10

Den Stuttgarter Zeitung-Lauf bin ich zwar schon gelaufen, nach meiner Erinnerung zweimal; aber angesehen habe ich ihn mir erst jetzt am Sonntag. Nicht den Start- und nicht den Zielbereich, sondern die Halbmarathon-Strecke in der Innenstadt, durch die sie seit vorigem Jahr führt.

Kurz nach 9 Uhr stand ich am Alten Schloß; dort, nach dem ersten Drittel der Strecke, hatte sich ein Zuschauernest gebildet. Erst schossen die zehn Minuten vor 9 Uhr gestarteten Handbiker um die Ecke des Schillerplatzes. Dann erblickten wir den Tschechen Dan Oralek an der Seite von Dr. med. Eduard Scherer; der Tscheche (M 40) aus Brünn würde das Ziel in 1:09:19 Stunden erreichen, Dr. Scherer (M 40) aus Esslingen wieder auf dem zweiten Platz, in 1:10:51. Die erste Frau habe ich nicht recht ausmachen können; es war Dorothea Frey aus dem nahen Leonberg in 1:23:07. Sie gehört der W 35 an. Man mag erkennen: Der Stuttgarter Zeitung-Lauf ist eine Veranstaltung für Amateure. So sympathisch mich das auch berührt, vom Erscheinungsbild war ich enttäuscht.

Stuttgart zählt fast 593.000 Einwohner, jedoch inzwischen mit einem Ausländeranteil von 21,1 Prozent. Von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft sind mir die Stuttgarter als sachkundiges und mitreißendes Publikum in Erinnerung. Beim Halbmarathon des Stuttgarter Zeitung-Laufs dagegen erlebte ich nur zwei Publikumsnester, und diese Reihen am Absperrgitter schwiegen eisern. Da konnte auch Michel Descombes’ „Applaus“-Aufforderung am Kostüm nichts ausrichten. Selbst am Marktplatz, in der Eberhard- und der Torstraße waren die Gehwege leer. Aufs Wetter kann man die Enthaltung nicht schieben. Im Zielbereich soll es anders ausgesehen haben.

Ob es daran liegt, daß die Teilnehmerzahl so stark zurückgegangen ist? In den Jahren 2005 bis 2007 starteten jeweils 9530 bis 9700 Läufer. Im Jahr 2008 wurde mit 12 425 der Höhepunkt erreicht. Im vorigen Jahr sank die Zahl auf 7811 und in diesem nochmals um etwa 1000. Und dies, obwohl auf jeden Kilometer eine Musikkapelle entfiel. Damit ist die Veranstaltung auf dem Wege, die Spitzenbeteiligung zu halbieren. Die Zahlen der anderen Wettbewerbe beim 17. Stuttgarter Zeitung-Lauf habe ich nicht verglichen; denn schließlich ist der Halbmarathon das Kernstück. In den Halbmarathon waren nicht weniger als 13 Sonderwettbewerbe integriert. Im nächsten Jahr wird der Termin auf den 28. und 29. Mai vorgezogen.

Ich ließ das Feld an mir vorüberziehen. An Bekannten habe ich außer Michel nur Klaus Neumann (1:59:44) getroffen. Da war mir schon etwas wehmütig zumute; der Generationenwechsel auf der Laufstrecke ist in vollem Gange. Da ich solange an der Strecke war, bis die letzten Teilnehmer von den Schlußwagen vorangetrieben wurden, kam es mir vor, als sei das Teilnehmerfeld bei Kilometer 7 noch ziemlich konzentriert beieinander gewesen. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch nur an der Kürze der Strecke. Bei einem Marathon sieht es anders aus. Aus einer Kneipe wankten zwei Betrunkene; sie kümmerten sich nicht um das Laufgeschehen.

 

Nicht weniger als 8 Brems- und Zugläufer halfen bei der Bewältigung. Die Organisatoren haben sicher das Beste getan, nicht zu vergessen die zahlreichen Defibrillatoren, die über die 21 Kilometer verteilt waren. An der Strecke konnte man nichts ändern; die „flache“ Strecke hat Steigungen und Gefälle und am Alten Schloß auch Pflastersteine als Belag.

Dem Halbmarathonlauf war am Tag zuvor ein Symposium vorangegangen. Dr. med. Rudolf Ziegler wertete Regeneration im Laufsport als „vergessene Disziplin“, Dr. Stefan Grau sprach über den „Laufschuh – Grenzen und Möglichkeiten“. Beim Zustandekommen einer Leistung übe der Laufschuh etwa zu 20 Prozent einen Einfluß aus. Die Haltbarkeit eines Laufschuhs – bei Laufleistungen bis 60 Kilometer in der Woche – kann mit 800 Kilometern als gesichert gelten; das schließt ein Maximum von 2000 Kilometern nicht aus. Gegenwärtig ist ein Trend zur Imitation des Barfußlaufens zu beobachten; die dafür angebotenen Minimalschuhe seien jedoch für 80 bis 90 Prozent der Läufer nicht geeignet.

Bernhard Sesterheim beschrieb seinen zehnjährigen Weg vom bewegungsarmen Alltagsbürger zum Ultra-Abenteuerläufer, begleitet von einer Bilddokumentation durch Eberhard Ostertag. Der Vortrag mündete schließlich in eine Werbung für Sesterheims Buch „Running Emotions“. Die Diplom-Ökotrophologin und AOK-Ernährungsberaterin Susanne Dede legte die Grundlagen einer vernünftigen Ernährung dar. „Hilft Laufen gegen Depressionen?“ lautete das Thema von Dr. med. Michael Hölzer. Bereits bei den ersten Sätzen fiel das Fragezeichen. Laufen hat danach Wirkungen auf die Ausdauer, verbessert die Gehirngesundheit, stabilisiert das Herz-Kreislauf-System und normalisiert die vegetativen Funktionen. In seinem Vortrag faßte Dr. Hölzer die Erkenntnisse aus Dutzenden einschlägigen Untersuchungen zusammen. Für die Praxis hat er im Hinblick auf Nichtläufer den Ratschlag, Laufen nicht zu instrumentalisieren. Zum Beispiel: „Laufen Sie nicht, um schlank zu werden.“ Der Physiotherapeut Kurt Stenzel, zwölffacher Deutscher Meister auf Langstrecken, Marathon-Bestzeit 2:13:25, stellte Vor- und Nachteile verschiedener Dehntechniken dar.

Als ich das Symposium verließ, machten sich gerade die Kinder zu ihren Läufen fertig. Ich beneidete sie. Hätte ich doch lieber der Veranstaltung fernbleiben sollen?

Eintragung vom 15. Juni 10

Das Ereignis Bieler Lauftage hat viele Aspekte, der wichtigste dürfte der individuelle sein: Wie war es für mich persönlich? Das Gästebuch der Veranstalter-Website vermittelt einen wenn auch flüchtigen Eindruck. Wenn viele derselben Meinung sind, dann muß das Konzept wohl stimmen. Ich darf für meine Teilnahme am 100-km-Lauf und -Marsch ein gewisses informatorisches Interesse von Lesern beanspruchen. Wie bewältigt ein demnächst Vierundachtzigjähriger die Aufgabe, die er sich gestellt hat?

Im vorigen Jahr waren die Voraussetzungen klar: Ein Krankenhausaufenthalt von einer reichlichen Woche Anfang Mai und damit der Trainingsausfall beschränkten die Teilnahme an den 100 Kilometern auf die Strecke bis Kirchberg (56,1 km). In diesem Jahr war alles offen. Allerdings hat der lange Winter das Training beeinträchtigt. Vor allem aber, ich muß mich damit abfinden, daß ich die 100 Kilometer und zumindest den Marathon nicht mehr laufen kann, sondern nur noch wandern. Ich gebrauche die Bezeichnung Wandern nicht zur Abwertung, sondern will damit nur verdeutlichen, daß durchschnittliche Walker schneller sind. Mein reguläres Marschtempo betrug 11 Minuten für den Kilometer, also legte ich in der Stunde etwas mehr als 5 Kilometer zurück. Die Steigungen und schließlich der Abschnitt nach Bibern verlängerten diesen Wert auf 13:10 Minuten.

Der Weg durch Biel entbehrt, wenn man nur geht, nicht der Peinlichkeit. Man muß sich in die Rolle der Zuschauer versetzen: Alles ist vorbeigezogen, und nun lange Zeit später kommt ein Nachzügler, der letzte wahrscheinlich. Zuschauer gab es nur deshalb noch, weil ja andere Kategorien eine halbe Stunde später starteten. Ich selbst habe mich an die Ausnahmerolle halbwegs gewöhnt, und mich beschäftigt auf diesem ersten Abschnitt mehr, die Strecke nicht zu verlieren.

Gerade als Nachzügler muß ich jedoch bestätigen, daß der Kurs hervorragend markiert ist. Auch wenn ich mich vor drei Jahren verlaufen habe, kann ich Erstläufer beruhigen: Wenn man alle Sinne beieinander hat, gibt es keine Orientierungsschwierigkeiten.

 

Dann der Weg nach Aarberg – keine Probleme. Ich fühlte mich richtig angezogen: Kniekurze Hose, Unterhemd und langärmeliges Funktionshemd, an den Füßen robuste Trailschuhe. Im Minimalrucksack einen einschichtigen Regenanzug, T-Shirt und Mütze. Das Wetter hielt durch, ich konnte so bleiben, wie ich gestartet war. Die Läufer der anderen Kategorien stoben nach und nach vorbei, die Spitzengruppe traf mich unvorbereitet, tut mir leid, wenn ich behindert haben sollte; danach die Walker. Einsamer Marsch nach Oberramsern, im Limpachtal die Taschenlampe weggesteckt. In Oberramsern meinte ich, einen Geher vor mir gesehen zu haben; er hat wohl aufgegeben. Erst in Jegenstorf traf ich einen anderen Geher. Immer wieder fuhr der Besenwagen an mir vorbei, parkte und überholte mich wieder. In Kirchberg wohl der kürzeste Aufenthalt, den ich dort in all den Jahren gehabt habe, einen Becher und drei Stück Gebäck aufgenommen. 11:33 Stunden habe ich bis hierher gebraucht, 7 Minuten weniger als im vorigen Jahr, als ich hier ausgestiegen bin. Diesmal war alles klar: Ich wollte so lange gehen, wie ich nur konnte.

Der Ho-Chi-Minh-Pfad machte mir zu schaffen. Ich war zwar noch in guter Verfassung, aber die Beschaffenheit des Pfades irritierte mich. Dabei ist er im Vergleich zu früherer Zeit in gutem Zustand. Bei Kilometer 65 erkannte ich, daß ich in Bibern aussteigen würde. Die Steigung der Landstraße nach Lüterkofen hatte alpinen Charakter bekommen. Obwohl der Himmel bedeckt war, zog sich die Straße nach Bibern endlos in die Länge – ich schlich, ich kämpfte. 1,6 Kilometer bis Bibern – kein Adrenalinschub. Ich hatte die äußerste Grenze meiner Leistungsfähigkeit erreicht.

 

In Bibern wartete der Postautobus. Ich ging noch bis zur Matte und kehrte um. Jetzt warteten wir noch auf einen weiteren Geher, der einige Minuten hinter mir kam. Doch obwohl auch er keinen frischen Eindruck mehr machte, ging er weiter. Ich hoffe, daß er es bis Biel geschafft hat, zumal nun die Zeit bis zum Zielschluß knapp geworden war. Als einzigen Fahrgast beförderte mich der Postautobus zum Eisstadion.

Nicht selten bereut man hinterher, wenn man aufgegeben hat. Davon keine Spur. Für die letzten 1,6 Kilometer bis Bibern hatte ich nicht weniger als 30 Minuten gebraucht. Meine Gehzeit von Biel nach Bibern betrug 16.40:36 Stunden, das war einige Minuten mehr als meine Einlaufzeit für die gesamten 100 Kilometer in den Jahren 2003 bis 2005. In jenem Jahr war ich fast 79 Jahre alt. Umgerechnet bedeutet das eine Abnahme der Leistungsfähigkeit von etwa 25 Prozent. Damit kann ich zufrieden sein.

Unterwegs immer wieder die Überlegung, das werde wohl nun das letzte Mal sein. Doch warum? Wäre die neue Altersklasse im nächsten Jahr nicht ein Grund, es nochmals zu versuchen? Und sei es, daß ich nur bis Oberramsern käme. Nur sollte ich mich vielleicht doch besser vorbereiten. In den Jahren bis 2005 hat es außer dem Training auf der 11-km-Runde genügt, im Monatsdurchschnitt einen Marathon und vielleicht noch ein, zwei Ultras zu laufen. Dieses Programm ist bis auf den Rennsteig-Marathon weggefallen; 11 km zu walken, ist für Biel zu wenig, erst recht, wenn man in die Jahre gekommen ist. Vielleicht sollte ich selbst praktizieren, was ich Erststartern der 100-km-Strecke rate.

Dr. Adolf Weidmann ist immerhin noch tüchtig Rad gefahren und hat Holz gehackt. Dennoch hat auch er im Alter von 84 Jahren 21:01 Stunden für die 100 km gebraucht. Für seine Bestleistung in M 90 – nämlich 100 km in 22:35:13 Stunden – hat man ihn im Jahr 1991 früher starten lassen. Diese Bestleistung wäre wegen der Verkürzung des Zielschlusses auf 21 Stunden nun nicht mehr möglich. Muß es denn eine Bestleistung sein? Muß es nicht, aber eine Herausforderung. Biel hat zwar eine starke emotionale Komponente, aber meine rationale Begründung für die Teilnahme hat bisher immer gelautet: Man sollte sich auch im Alter Herausforderungen stellen.

Eintragung vom 8. Juni 10

Die letzten acht Tage sind so ereignisreich gewesen, daß darüber – dem ersten Rücktritt eines Bundespräsidenten und dem merkwürdigen Nominierungsprozeß, dazu der aggressiven Militäraktion Israels, dem Sparprogramm der Bundesregierung und nun der Fußball-Weltmeisterschaft – eine Meldung an den Rand der Aufmerksamkeit gedrängt worden ist. Nach vier Jahren hat das Statistische Bundesamt wieder erfaßt, wie schwer wir Bundesbürger sind. Ganz klar: Jeder zweite Bundesbürger hat Übergewicht. Seit dem letzten Mikrozensus im Jahr 2005 haben wir im Durchschnitt 1,2 Prozent zugelegt. Von Übergewicht spricht man, wenn der Body-Mass-Index die 25 erreicht oder überschritten hat. Ein Body-Mass-Index von 30 und mehr wird als Adipositas (Fettsucht) bezeichnet, hat also Krankheitswert.

Gehen wir die Zahlen durch: Selbst im zarten Alter von 18 bis 20 Jahren haben 17,7 Prozent der deutschen Menschen Übergewicht, im Alter von 35 bis 40 Jahren sind es 45,4 Prozent. Der Satz steigt dann von Altersstufe zu Altersstufe bis auf 67,9 Prozent der Siebzig- bis Fünfundsiebzigjährigen, differenziert: Fast jeder Zweite hat bei ihnen Übergewicht, jeder dritte Adipositas. Differenziert man nach Geschlechtern, wird es für die Männer dramatisch. 60,1 Prozent haben einen Body-Mass-Index von 25 bis über 30, bei den Frauen sind es 42,9 Prozent (29,1 bis BMI unter 30, 13,8 darüber). Die Statistiker haben den BMI auch in Beziehung zum Familienstand gesetzt: Wer heiratet, setzt offenbar eher Fett an, bei den Männern 50,1 plus 18,4 Prozent gleich 68,5 Prozent, bei den Frauen 39,9 plus 18,5 Prozent gleich 58,4 Prozent. Verwitwete oder geschiedene Männer liegen nur wenige Prozent darunter, Witwen dagegen nehmen an Körpergewicht zu. Nichterwerbspersonen wiegen insgesamt mehr als Erwerbstätige. Bergleute sind am schwersten, nämlich nicht weniger als 70,1 Prozent haben einen BMI von 25 und höher. Schriftwerkschaffende und -ordnende sowie künstlerische Berufe bewegen sich auf dem (gewichts)niedrigen Niveau von Krankenschwestern und -pflegern. Kranke Männer haben zu 44,2 Prozent einen MBI von 25 bis unter 30 und 20,4 Prozent von 30 und mehr, kranke Frauen 31,3 und 19,6 Prozent. Gesunde Männer sind zu 44,4 plus 14, 9 Prozent übergewichtig, gesunde Frauen 28,7 plus 12,7 Prozent. Bei der Lokalisierung nach Bundesländern fällt diese Reihenfolge auf: Sachsen-Anhalt (58 Prozent mit einem MBI von 25 bis über 30), Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Niedersachsen, Thüringen, Saarland, Sachsen, Rheinland-Pfalz. Ganz unten stehen die Stadtstaaten Hamburg (44 Prozent), Berlin und Bremen.

Untergewicht macht nur 1 Prozent bei Männern und 3 Prozent bei Frauen aus. Auch wenn der Body-Mass-Index nicht unumstritten ist, hat er doch, zumindest der Tendenz nach, einen gewissen Aussagewert. Untersuchungen wie die des Statistischen Bundesamtes sind daher keine Zahlenspielereien. Übergewicht ist eine Krankheitsursache. Die Tatsache, daß die über fünfundsiebzigjährigen Männer mit dem BMI von 49,7 und 15,5 etwas günstiger dastehen als die davorliegende Altersgruppe, deutet darauf hin, daß der Tod von Übergewichtigen sie reduziert hat.

Nun mag es zwar in einer freien Gesellschaft in das Belieben jeden einzelnen gestellt sein, selbst zu entscheiden, ob man gesund leben und alt werden will; aber Übergewicht setzt sich häufig in der nächsten Generation fort; es ist eine humane Aufgabe, für die Wohlfahrt anderer zu sorgen, und Übergewicht und Adipositas generieren durch die Entstehung von Krankheiten höhere Kosten im Gesundheitswesen. Eine Schlüsselrolle bei der Motivierung anderer kommt den Ärzten zu. Von ihnen hat ein Drittel Übergewicht.

Dabei – wir wissen es – ist der Weg zu einer Gewichtsreduktion eindeutig, wenn auch nicht einfach: Die Fehlernährung beenden und sich mehr bewegen.

Eintragung vom 1. Juni 10

Die Trainingsrunde von der Haustür weg lege ich seit Jahrzehnten zurück, beinahe Tag für Tag. Da ist diese Beobachtung wohl nicht zufällig: Mir fällt auf, daß ich auf dieser Runde immer mehr Frauen, laufenden und walkenden, begegne. Die subjektive Beobachtung hat ihre statistische Entsprechung.

Es gibt zwar keine präzise Statistik über den Frauenanteil beim Laufen, ist doch schon die Angabe über die Zahl der laufenden Menschen in der Bundesrepublik (angeblich 19 Millionen) fragwürdig. Aber die Teilnehmerinnenzahlen bei Laufveranstaltungen sind ein Indiz für die Erhöhung des Frauenanteils beim Laufen. Herbert Steffny hat einmal eine entsprechende Untersuchung angestellt. Danach haben am Berlin-Marathon im Jahr 1983 nur 4,6 Prozent Frauen teilgenommen. Dieser Satz hat sich bis zum Jahr 2008 auf 20,8 Prozent erhöht. Im Vergleich zu amerikanischen Marathon-Läufen ist er noch als niedrig zu bezeichnen. Laut Steffny sind beim London-Marathon 30,6 Prozent Frauen, beim New York City-Marathon 32,5, in Chicago 43,8 und beim Honolulu-Marathon gar 47,5 Prozent. Selbst der leistungsorientierte Boston-Marathon zählt inzwischen 39 Prozent Läuferinnen.

Grundsätzlich kann man jedoch davon ausgehen, daß es Frauen in geringerem Maße dazu drängt, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Nach meiner Überzeugung bevorzugen Frauen solche Laufveranstaltungen, bei denen ein eindrucksvolles Erlebnis zu erwarten ist. Das kann sowohl der City-Marathon sein als auch ein Landschaftslauf. Der Leistungsvergleich als Motiv tritt dagegen zurück. Läufe wie in Biel oder auf dem thüringischen Rennsteig haben daher gute Chancen, den Frauenanteil zu erhöhen; in Biel und beim Rennsteig-Supermarathon sind es gegenwärtig ungefähr 20 Prozent. Beim anspruchsvollen K 78 des Swiss Alpine ist fast jeder sechste Teilnehmer eine Frau. Das Ende der Entwicklung ist noch nicht abzusehen.

Nach wie vor ist beim 100-km-Lauf in Biel der Anteil der Erst-Ultraläufer hoch. Da Frauen mit den 100 Kilometern bevorzugt in Biel beginnen, dürfte der Frauenanteil hier kontinuierlich steigen. Die Illustration dazu erfuhr ich jüngst auf meiner Hausrunde. Eine Läuferin, die offenbar meinen Namen kannte und wohl auch ein Bild von mir gesehen hatte, unterbrach ihren Lauf und sprach mich an. Nachdem sie sich über meine Person vergewissert hatte, begehrte sie Rat von mir. Sie habe vor drei Jahren mit dem Laufen begonnen, den New York-Marathon absolviert, und nun denke sie daran, die 100 Kilometer in Biel zu versuchen, jedoch walkend. Ob das möglich sei? Auch wenn der Ultralauf – auch in Biel – versportlicht ist und zwar viele Teilnehmer zwischendurch auch gehen, aber die Zahl der reinen Walker sehr beschränkt ist, – es ist möglich, die 100 Kilometer in 21 Stunden zu walken. Zu beachten sind nur die limitierten Zwischenzeiten. Die Läuferin sieht sich in ihrer Absicht bestärkt.

Eintragung vom 24. Mai 10

Es mag nur am Rande interessieren, wohin ich nach dem Rennsteig-Marathon gefahren bin. Nach fünfeinhalb Jahren habe ich meine Heimatstadt Görlitz wieder besucht. Wenn man bedenkt, daß ich hier nur etwa ein Viertel meines Lebens verbracht habe, wäre dies kein Aufhebens wert. Doch zum einen handelt es sich um das erste Lebensviertel, das mit der stärksten Prägekraft, zum anderen ist Görlitz nicht irgend eine Stadt. Sie ist ein Denkmal. Und sie bemüht sich, dies auch zu zeigen. Zudem gibt es einen aktuellen Anlaß, den Europa-Marathon. Der könnte vielleicht für Leser dieses Tagebuchs Anlaß sein, Görlitz als Reiseziel ins Auge zu fassen, wenngleich man dazu die gesamte Bundesrepublik durcheilen muß.

  Die Stadt an der Neiße, 1071 erstmals erwähnt und Anfang des 13. Jahrhunderts als Stadt angelegt, verkörpert einen baugeschichtlichen Bilderbogen über fünf Jahrhunderte. In tiefen Kellern kann man noch romanische Bauelemente finden. Die Altstadt glänzt mit gotischen Gewölben, das vermutlich erste säkulare Renaissance-Bauwerk in Deutschland, der Schönhof, steht hier und hat seine Zweckbestimmung als Schlesisches Museum erhalten, barocke Portale sonder Zahl, die Gründerzeit bestimmt ganze Straßenzüge, der Jugendstil ist zu entdecken.

Fast 4000 Baudenkmale sind in der Stadt registriert, die meisten davon inzwischen restauriert. Görlitz war nahe dran, in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt zu werden, ist jedoch Essen knapp unterlegen.

Dennoch, die 56.000 Einwohner zählende Stadt mit ihrem Umland ist kein verstaubtes Museum. Das Ende der DDR ist gerade noch rechtzeitig gekommen, denn die Altstadt war bereits am Zusammenfallen, zahlreiche Wohnungen waren „leergewohnt“. Andererseits hat die deutsche Wiedervereinigung auch wirtschaftliche Probleme gebracht, das Ende von Industriebetrieben, hohe Arbeitslosigkeit. Geht man durch die Stadt, blickt man in zahlreiche Fenster ohne Gardinen und ohne Licht, die Wohnungen stehen leer. Die instandsetzungsbedürftige Stadthalle (Jugendstil) ist nicht benützbar, das daneben errichtete Hotel sieht sich um die Chance von Kongressen gebracht. Das einzigartige Jugendstil-Kaufhaus, aufwendig restauriert, steht nach dem Untergang von Hertie leer; da sich im Erdgeschoß ein Geschäft eingerichtet hat, kann man wenigstens einen Blick ins Innere werfen. Die Geschäfte haben keinen Glanz mehr, der Niedergang ist sichtbar. Das restaurierte Stadttheater aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wird zwar bespielt, aber nicht mehr von einem eigenen Ensemble; den Titel „Gerhart-Hauptmann-Theater“ hat es an Zittau verloren.

In Görlitz wird weiter restauriert, gegenwärtig der Kaisertrutz und die Bibliothek der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften; manche Stuckdecke wird zerschlagen, weil darüber bemalte Balken aus der Renaissance zum Vorschein kommen. Doch die Zukunft der Stadt ist noch nicht sichtbar. Viele Menschen jüngeren Alters sind – Mobilität ist gefragt – dorthin gezogen, wo es Arbeit gibt. Görlitz war einst auch schon eine Großstadt mit über 100 000 Einwohnern. Die Einwohnerzahl wäre noch weiter gesunken, hätte die Stadt – außer durch Eingemeindungen – nicht auch Zuzug, nämlich von Rentnern. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte Görlitz den Ruf als „Pensiopolis“; preußische Beamte im Ruhestand konnten sich in Görlitz wohlfühlen. Der heutige Rentner-Zuzug hat dasselbe Motiv: zahlreiche Grünanlagen, eine Fülle architektonischer Anregungen, ein reges Kulturleben, Ausflugsmöglichkeiten, zum Beispiel ins Riesengebirge und nach Breslau. Dazu kommen heute noch die Auswahl unter ruhigen Wohnungen und das niedrigere Preisniveau.

  Der Stadtführer hat eine Erklärung für die Erhaltung von Görlitz, so wie es die Jahrhunderte geprägt haben: Es hat hier alles immer sehr lange gedauert: Ein Rathaus zum Beispiel mochte man sich nicht leisten, man kaufte Bürgerhäuser und baute einen Turm; erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das zusammengestückelte Rathaus durch einen Anbau in Neo-Renaissance erweitert. Da der Komplex für die heutige Verwaltung zu klein ist, arbeitet der Hauptteil der Verwaltung in einer nahegelegenen ehemaligen Kaserne. Der revolutionärste Einbruch war Mitte des 19. Jahrhunderts die Niederreißung der mittelalterlichen Stadtmauern. Die Steine jedoch sind erhalten, das Gymnasium Augustum, die besagte Kaserne und andere Bauten sind daraus errichtet. Rasch waren die Görlitzer nur im Mai 1945, als sie rechtzeitig die weißen Fahnen hißten.

Bis auf einige wenige Granattreffer ist Görlitz daher unzerstört geblieben. Die Neißebrücken wurden von deutschen Truppen gesprengt. Zwar sind in früheren Zeiten Bausünden begangen worden – auffällig das Eckhaus am Reichenbacher Turm und das am Untermarkt, die das Ensemble stören – , aber die architektonische Anonymisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, die zahlreiche Orte so verwechselbar macht, ist unterblieben; es war kein Geld da. Plattenbauten wurden nur auf zwei Vororte konzentriert.

Die Görlitzer Vororte jenseits der Neiße, wo auch die ausgedehnte Görlitzer Heide liegt, tragen den polnischen Namen Zgorzelec. Zwar hatte die junge DDR bereits 1950 in einem Vertrag die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, aber das Verhältnis zu der polnischen Schwesterstadt gestaltete sich schwierig. Das änderte sich erst gründlich nach der deutschen Wiedervereinigung. Da man seit dem Beitritt Polens zur EU die Neiße ohne Ausweiskontrolle passieren kann, findet eine alltägliche Partnerschaft statt. Görlitz und Zgorzelec verstehen sich als „Europastadt“. Auf beiden Seiten der Neiße bemüht man sich, diesem Begriff Profil zu geben.

Dem dient auch der Europa-Marathon, eine Laufveranstaltung, deren Marathonstrecke durch beide Länder führt. Freilich, wie so manche anderen Blütenträume sind die Erwartungen auch hier nicht erfüllt. Statt der Hunderte von Läufern waren es im vorigen Jahr gerade einmal 100, die an den Start gingen und das Ziel am Gymnasium Augustum erreichten. Zwar sind immer wieder einmal Marathon-Sammler erschienen, aber im Grunde ist es eine lokale Veranstaltung geblieben. Das sollte die Verantwortlichen nicht davon abhalten, die Veranstaltung weiter zu pflegen. Grenzüberschreitende Läufe haben immer ihre Faszination. Am 6. Juni dieses Jahres findet der 7. Europa-Marathon statt.

Schon die weite Anfahrt erfordert mindestens eine oder zwei Übernachtungen. Da sollten sich Interessenten überlegen, einige Tage für Besichtigungen anzuhängen. Zudem kann man, mit dem Beginn ein Stück vor dem Görlitzer Neißeviadukt, die Neiße entlang laufen. Dabei berührt man das wunderschön restaurierte Kloster Marienthal, das älteste Kloster der Zisterzienserinnen. Wenig mehr als 50 Kilometer nördlich von Görlitz wiederum sind Schloß und Park von Bad Muskau sehenswert. Das nach dem Krieg in Brand gesteckte Pückler-Schloß ist wieder aufgebaut und enthält eine didaktisch gut aufbereitete Ausstellung über den Gartengestalter und Schriftsteller Fürst Pückler. Seit dem vorigen Jahr bilden das Schloß und der weitläufige Park mit 36 Kilometer Wegen beiderseits der Neiße wieder eine Einheit, eine kulturhistorisch sehenswerte zumal.

Im nächsten Jahr wird Görlitz vom 21. Mai bis zum 31. Oktober Schauplatz der 3. Sächsischen Landesausstellung sein. Ihr Thema heißt: via regia, 800 Jahre Bewegung und Begegnung. Die via regia, der „Hohe Weg“, ist eine der ältesten europäischen Ost-West-Verbindungen; sie führt von Kiew nach Santiago de Compostela, dem Endpunkt des Jakobsweges. Der Tuchmacherstadt Görlitz kam auf dem alten Handelsweg mit der Überquerung der Neiße besondere Bedeutung zu.

Eintragung vom 18. Mai 10

Zehn Tage nach einem Lauf zu berichten, geht das in einem Internet-Magazin? Es geht im Grunde nicht, zumal wenn es sich um den Rennsteiglauf handelt. Doch ein Tagebuch ist kein Bericht. Dennoch bitte ich um Nachsicht. Ich habe zusammen mit Markus an den Lauf einen achttägigen Urlaub angehängt. An jedem Tag neue Eindrücke, Kneipenerfahrungen, Emotionen. Der Lauf ist nun im Stadium der Erinnerung.

Wir sind den Marathon gelaufen. Einer der Vorzüge des GutsMuths-Rennsteiglaufs ist, daß Supermarathon-, Marathon- und Halbmarathonläufer am selben Ziel, in Schmiedefeld, einlaufen. Auf diese Weise kommt es im Sportgelände zu überraschenden Begegnungen, und das Zielgelände ist den ganzen Tag Schauplatz eines Läuferfestes. Ich selbst bin die Strecke gegangen. Der Rennsteigmarathon ist eine der wenigen Laufstrecken, auf denen man neun Stunden Zeit hat – ein weiterer Vorzug der Veranstaltung. Zwar habe ich mein Vorhaben, die Strecke in acht Stunden zurückzulegen, nicht erreicht, aber wenigstens bin ich noch vor Zielschluß angekommen. Mit einem Lebensalter von fast 84 Jahren darf man sich freuen. Erkenntnis einer etwas älteren Dame: Von etwa achtzig Jahren an sind die Leistungsrückgänge von Jahr zu Jahr spürbar.

Am Ziel Empfang durch Vorstandsmitglieder des GutsMuths-Rennsteiglauf-Vereins; sie überraschten mich mit einer Torte, die das Emblem des Vereins trug. Ich weiß nicht, welchem Umstand ich das zu verdanken habe: Weil ich der Älteste war oder der Letzte auf der Marathonstrecke? War es die Tatsache, daß der Mitteldeutsche Rundfunk mir sein besonderes Augenmerk schenkte? Wie auch immer, da ich die Torte unverpackt zum Autobus trug, mußte sie mehrfach als Photomotiv herhalten. Der Autobus freilich... Beim Rennsteiglauf weiß man nie, wann der nächste Bus zum Startort geht. Obwohl ich gleich zur Haltestelle gegangen bin, reichte es nur noch zum letzten Bus, der um halbacht Uhr abends hätte fahren sollen. Doch eine Viertelstunde später stellte sich heraus, daß der Motor des 15 Jahre alten Fahrzeugs nicht dazu zu bewegen war, anhaltend zu laufen. Eine Notlösung mußte improvisiert werden: Wir stiegen in den schwach besetzten Bus nach Oberhof (Startort des Halbmarathons) um und fuhren erst einmal in westlicher Richtung, ehe wir das östlich gelegene Neuhaus (Startort des Marathons) erreichten.  

Dafür hielt der Fahrer auf Wunsch auch am Busbahnhof mitten im Ort. Freilich, die Ankunft fand weit nach Küchenschluß des Hotels statt. Kein angenehmes Gefühl, den Tag mit einem knappen Frühstück und einer Banane beenden zu sollen. Doch das Hotel ließ sich nicht lumpen; ich konnte auch um zehn Uhr abends noch mein Abendessen auswählen. Als wir danach die Torte anschnitten, war die Welt wieder in Ordnung.

Erst im Hotel erfuhren wir, daß der 38. GutsMuths-Rennsteiglauf nicht ungetrübt verlaufen war: Ein Teilnehmer, Mitte der sechziger Jahre, kam zu Tode – es war ein Wanderer. Die Umstände sind mir nicht bekannt.

Eintragung vom 7. Mai 10

Als ich im letzten November Athen wieder besuchte, war ich überrascht. Mein vorheriger Aufenthalt in Athen lag 13 Jahre zurück – bei meiner nostalgischen Spartathlon-Teilnahme, dem Lauf bis kurz vor Korinth. Das erstemal war ich 1975 in Athen gewesen. Ich erinnere mich noch gut, daß ich bei der Stadtbesichtigung immer bemüht war zu sehen, wohin ich meinen Fuß setzte. Ich wollte schließlich die klassische Strecke laufen. Die Gefahr war latent, auf dem Gehweg zu stolpern, sich den Fuß in einem Schlagloch zu vertreten, über einen losen Stein zu stürzen. Athen war eine chaotische Stadt, laut, häßlich, heruntergekommen, verschmutzt, häufig unter einer Dunstglocke gelegen. Taxifahrer waren auf Betrug aus, und in der S-Bahn am Syntagmaplatz wurde ich in einem provozierten Gedränge bestohlen.

 

Athen im Jahr 2009 dagegen wirkte auf mich wie nach einer Läuterung. Am Flughafen konnte ich in die S-Bahn einsteigen, den Koffer in ein Regal legen, in aller Ruhe lesen; der Zug war nicht anders als in Rom oder Stuttgart – bei der Berliner S-Bahn kann man davon nur träumen. In den Vororten nach Marathon zu sind die Gehwege zwar noch abenteuerlich, aber Athen selbst wirkt aufgeräumt. Die Altstadt ist nicht mehr verwahrlost, sondern saniert. Die Durchgangsstraßen zum Beispiel am antiken Stadion sind gepflegt. Ich fand, Athen unterscheidet sich nicht mehr sehr von Budapest. Das Warenangebot in den Geschäften ist austauschbar mit dem jeder anderen europäischen Großstadt. Das neue Akropolis-Museum hat mich beeindruckt. Da ich im November anreiste, erlebte ich selbst die Dunstglocke nicht mehr. Ich konnte Athen bei meinem zehnten Aufenthalt im Verlauf von 34 Jahren in einem der zahlreichen Straßencafés genießen. Meine Verwunderung über den Wandel war grenzenlos.

In diesen Wochen bin ich nicht mehr so verwundert. Was ich im November 2009 gesehen und erlebt habe, – das alles ist offenbar auf Pump finanziert worden. Die Olympischen Spiele im Jahr 2004 in Athen mögen ihren Anteil daran gehabt haben. Mit den Ansprüchen der öffentlichen Hand sind auch die Ansprüche an die öffentliche Hand gewachsen. Da jede Regierung weiterregieren will, zeigten sich die Athener Sozialisten nicht kleinlich. Sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten belohnten ihre Parteigänger mit Zehntausenden von Beamtenstellen. Gewiß waren die Einkünfte niedriger, aber der soziale Komfort hat offenbar den in der Bundesrepublik übertroffen. In diesen Wochen findet das bittere Erwachen statt. Die Bevölkerung will nicht wahrhaben, daß sie über ihre Verhältnisse gelebt hat.

Hält man sich vor Augen, daß sich andere Staaten mit dieser Einstellung nur graduell von Griechenland unterscheiden, kommt man ins Grübeln. Hat die EU Ansprüche geweckt, die sich allzu sehr an den wirtschaftsstarken Mitgliedern orientiert haben? Hätte Brüssel über dem erschlichenen Beitritt Griechenlands zur EU wirklich, wie geschehen, zur Tagesordnung übergehen dürfen? Die Rettung Griechenlands vor der Staatspleite bedeutet geradezu eine Ermutigung an andere unsichere Mitglieder, mit ihren Ansprüchen und Forderungen nicht kleinlich zu sein. Wie auch immer sich die Rettung Griechenlands vollziehen wird, – die Rechnung dafür bleibt offen.

  In Athen findet der Aufstand statt. Wir schütteln den Kopf darüber, wogegen hier demonstriert wird. Die Regierung tut das einzig Vernünftige, nämlich auf einen Kurs strikter Sparsamkeit, einschließlich Entbehrungen, einzuschwenken und damit endlich Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. In Athen lodern Flammen, klirren Fenster, werden Polizisten angegriffen. Die Folgen dieses Aufstandes richten sich auch gegen die Aufständischen selbst. Die Proteste sind sinnlos. Um so tragischer, daß die Gewalttaten drei unbeteiligte Bankangestellte das Leben gekostet haben.

Der Tourismus hat, so heißt es, bisher noch nicht unter den Gewalttaten in Athen gelitten. Da die Preise unter Druck stehen, ist womöglich sogar mit mehr Buchungen zu rechnen. Wen allerdings zieht es jetzt nach Athen? Wie lange werden die Unruhen dauern? Am letzten September-Wochenende soll an der Akropolis wieder der Spartathlon gestartet werden. Ende Oktober wird das fiktive Jubiläum 2500 Jahre Marathon gefeiert. Vom 28. bis zum 30. Oktober findet der 18. World Congress of AIMS, dem Zusammenschluß der Marathonveranstalter, statt, am 30. Oktober ein Symposium in Marathon und am 31. Oktober der Lauf auf der klassischen Strecke, zu dem Tausende von Gästen erwartet werden.

In Deutschland wird bereits jetzt gefeiert, nämlich am Marathon-Wochenende in Mainz. Für den 7. Mai ist der Festakt in der Alten Lampenfabrik terminiert, am 8. und 9. Mai ist in der Rheingoldhalle erstmals die Wanderausstellung „2500 Jahre Marathon“ des AIMS Marathon Museum of Running, des Sportmuseums Berlin, zu sehen.

Eintragung vom 2. Mai 10

Berglauf stand zwar nicht auf der Tagesordnung, aber mit Sicherheit gehören Bergläufer zur Zielgruppe der Berg- und Höhenmedizin, spätestens seit dem Unglück beim Zugspitz-Extremberglauf im Jahr 2008. Vieles, was beim 1. Stuttgarter Symposium für Berg- und Höhenmedizin gesagt wurde, ist daher auch von Bergläufern zu beachten. Stuttgart mag im Bundesgebiet anders als München nicht als exponierter Veranstaltungsort für dieses Sachgebiet gelten; jedoch haben die Stuttgarter durchaus intensive Beziehungen zu den Bergen. Da liegen nicht nur Mittelgebirge wie der Schwarzwald und die Schwäbische Alb vor der Tür, vielmehr zählt auch das bayerische Allgäu zu den Wochenend- und Naherholungszielen. Die überwiegende Zahl der deutschen Alpenvereinsmitglieder wohnt in Baden-Württemberg, die Stuttgarter Sektion ist die viertgrößte der DAV-Sektionen.

Die Initiative zu diesem Symposium am letzten April-Samstag hatte Dr. Moritz Dustmann ergriffen, Assistenzarzt an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Dr. Ulf Gieseler, Mitherausgeber eines einschlägigen Handbuches, referierte über höhenmedizinische Aspekte für Hochtouren, Trekking und Expeditionen. Danach gibt es drei verschiedene Höhenerkrankungen, deren Bezeichnungen nach englischen Begriffen auf AMS, HAPE und HACE abgekürzt werden. Die akute Höhenkrankheit AMS kann bei einem zu raschen Aufstieg, zum Beispiel mit einer Seilbahn, aber auch zu Fuß, oberhalb von 2500 Höhenmetern auftreten. Leitsystem ist der Kopfschmerz; weitere Beschwerden können sein: Müdigkeit, Schwäche, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Ruheherzfrequenz-Erhöhung über 20 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert, starke Atemnot unter Belastung, Schlaflosigkeit, häufige nächtliche Atempausen, Flüssigkeitsansammlung, verringerte Urinausscheidung über 24 Stunden. Unterschätzt wird das Höhenlungenödem, das oberhalb von 4000 Höhenmetern auftritt. Als dramatisch wird das Höhenhirnödem (HACE), das sich in der Regel oberhalb von 5000 Metern ereignet, beschrieben. Die oberste Abhilferegel in allen Fällen lautet: Nicht weiter aufsteigen, vielmehr absteigen oder in tiefere Regionen abtransportieren, sofern bei AMS die Medikation oder die Behandlung im Überdrucksack auch nach einer Tagespause nicht hilft.

Da sich die Höhenangaben auf die Schlafhöhe und nicht auf kurzzeitig erreichte Höhen beziehen, ergibt sich, daß diese Höhen-Erkrankungen für Bergläufer in Europa kaum relevant sind, dagegen sehr wohl für die Teilnehmer von extremen Höhenläufen. Ab 1500 Metern Höhe über dem Meeresspiegel muß man je 1000 Höhenmeter mit einer Senkung der Leistungsfähigkeit um 10 Prozent rechnen. Bei Hinweisen zur Medikation warnte Gieseler davor, Aspirin in der Höhe zu verwenden.

Den erwähnten Überdrucksack konnte man sich während der Veranstaltung ansehen; er dient dazu, in großen Höhen den Sauerstoff-Partialdruck zu verändern und damit dem Körper die Situation einer niedrigeren Höhe zu geben. Auf die Möglichkeit einer gezielten Akklimatisation in der Höhenkammer machte der Sporttherapeut Sven Haacke aufmerksam; in Herxheim in der Pfalz kann man an seinem Institut Höhentraining und damit Prävention betreiben.

Dr. Dustmann sprach über Bergsportverletzungen. Das Thema war bereits im Faltblatt umrissen: „Bergsport trainiert Herz und Kreislauf, Belastungsausdauer und Fettverbrennung wie kaum eine andere Sportart. Bergsport gehört damit zu den gesündesten Sportarten. Viele Bergsportler leiden jedoch an Überlastungsschäden des Bewegungsapparates. Auch sind sie einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt. Durch falsche Höhentaktik können verschiedene Höhenkrankheiten auftreten. Schließlich kann es zu Erfrierungen, Lawinenunfällen und zu Hautschäden durch Sonneneinstrahlung kommen. 47 Prozent aller Bergwanderer leiden unter Schmerzen im Bereich der Kniescheibe. Jedes Jahr verunglücken 44.000 bis 50.000 deutsche Skifahrer. Davon müssen ca. 7.000 stationär behandelt werden. In den Alpen kommen jährlich 100 Menschen bei Lawinenunfällen ums Leben.“ Ein weiteres Referat des Arztes beschäftigte sich mit dem Lawinen-Risikomanagement. Dr. Kerstin Hornung referierte über Bergrettung, Dr. Isabel Rosenkranz über Überlastungsschäden beim Bergsport, Dr. Konstantin Feise über Strahlenschäden im Gebirge, Dr. Christian Richter über Erfrierungen beim Bergsport, und der Orthopädie-Schuhtechnikermeister Marc Schaller führte aus, welche Hilfen die Schuhtechnik geben kann.

Die vom Klinik-Chef, Dr. Patrik Reize, geleitete Veranstaltung war als Fortbildung in Sportmedizin anerkannt. Angeboten wurde „Moderne Berg- und Höhenmedizin. Handbuch für Ausbilder, Bergsteiger, Ärzte“, herausgegeben von Th. Küpper, K. Ebel und U. Gieseler, das vor kurzem im Stuttgarter Gentner Verlag erschienen ist. Nimmt man alle Wanderer, Bergsteiger und Skiläufer zusammen, so suchen allein in Mitteleuropa jährlich ungefähr 40 Millionen Menschen hoch gelegene Orte auf. Die Tendenz ist weiter steigend. Der Berglauf ist bei diesem Symposium nicht thematisiert worden. Zwar bilden Bergläufer nur einen kleinen Anteil der in der Höhe Erholung Suchenden und Sporttreibenden, aber auch auf diesem noch sehr jungen Gebiet wächst der Informationsbedarf.

Eintragung vom 25. April 10

Mit den Olympischen Spielen haben wir, die Laufszene, im Grunde nur insoweit zu tun, als viele von uns eine Sportart treiben, die bei Olympischen Spielen dargestellt wird. Ebenso ist klar, daß viele von uns Übertragungen von Straßenlaufwettbewerben – auch die der Olympischen Spiele – im Fernsehen anklicken. Insofern berührt uns die Nachricht: Juan Antonio Samaranch, der vormalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ist tot. Er ist, nach gesundheitlichen Beschwerden in den letzten Jahren, am 21. April in seiner Heimatstadt Barcelona im 90. Lebensjahr gestorben.

Wohl kein aktuelles Medium hat es versäumt, Samaranch zu würdigen. Der Tenor ist eindeutig: Samaranch war ein herausragender Präsident, wobei selbst der Superlativ nicht fehlte, nämlich der herausragendste seit Baron Pierre de Coubertin, dem Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit. Fast niemals jedoch fehlten die kritischen Untertöne. Ein Anhänger Francos, ein Faschist also, übernahm 1980 die höchste Funktion im Sport. Er verwandelte in den 21 Jahren seiner Präsidentschaft die Olympischen Spiele in eine kommerzielle Show. Nicht wenige Kommentatoren haben das für notwendig gehalten. Einig sind sie sich in dem Urteil, Samaranch habe seine Funktion selbstherrlich und mit Hilfe eines fein gesponnenen Netzes von Beziehungen ausgeübt. Immerhin hat sich das IOC, in dem Bestechungen an der Tagesordnung waren, soweit konsolidiert, daß die Olympischen Spiele öffentlich nicht in Frage gestellt werden.

Ich tue es dennoch. Wir Läufer und Walker brauchen die Olympischen Spiele nicht. Laufleistungen, von denen die Welt spricht, sind überwiegend außerhalb der Spiele erzielt worden. Niemand von uns hat deshalb zum Marathon gefunden, weil alle vier Jahre olympischer Marathon gelaufen wird, seit 1984, 16 Jahre nach dem Schwarzwaldmarathon, auch von Frauen. Qualifizierungen sind mittlerweile so eng, daß die Deutschen und andere Nationen nicht nur nichts zu bestellen haben, sondern gar nicht erst starten dürfen. Gewiß, wir haben uns die olympischen Marathone im Fernsehen angeschaut, aber wir schauen uns vielleicht jeden Marathon an, der uns interessiert. Unser Leben wäre nicht ärmer, wenn wir keinen olympischen Marathon gesehen hätten.

Immer sind Olympische Spiele politisiert worden. Sie sind zur Bestrafung für die Verlierer in zwei Weltkriegen verwendet worden, ebenso wie die Verweigerung der Teilnahme als Bestrafung praktiziert worden ist. Der Marathon-Olympiasieger 1936 durfte nicht mit seiner wahren Nationalität registriert werden; ein Koreaner wurde zum Japaner gemacht. Es gab Probleme mit Staatenteilungen; ein Kuriosum waren gesamtdeutsche Mannschafen von Bundesrepublik und DDR. Die Vergabe von Olympischen Spielen diente – im Jahr 2008 in China – als politische Vorleistung. Was hat sie real gebracht? Ist die Zahl der Hinrichtungen reduziert worden? Nun ja, wir verkaufen mehr Autos nach China, aber doch wohl nicht, weil dort Olympische Spiele stattgefunden haben.

Samaranch hat die Sportdarsteller ausgewechselt und damit das seit der Gründung geltende Amateur-Prinzip auf den Schutthaufen der Geschichte geworfen. 1932 durfte Paavo Nurmi nicht olympischen Marathon laufen, weil er nicht mehr als Amateur galt. Seit dem IOC unter Samaranch gibt es im olympischen Stadion wohl keine Amateure mehr, sondern nur noch Berufssportler. Mag ja sein, daß Samaranch recht gehabt hat, als er die Spiele grundlegend veränderte. Im Wandel der Zeit finden sich immer auch die Menschen, die diesen Wandel organisieren.

Doch was Samaranch geschaffen hat, – uns geht’s nichts an.

Eintragung vom 18. April 10

In unbestimmten, jedoch ziemlich regelmäßigen Abständen durchblättere ich, sofern dieser Ausdruck erlaubt ist, läuferische Internet-Seiten. Auf diese Weise bin ich, wenngleich verspätet, auf eine Todesnachricht gestoßen: Am 20. März ist Lothar Gehrke gestorben, ein Name, der in der Laufszene präsent gewesen ist. Ich habe Lothar Gehrke nicht persönlich gekannt, jedenfalls bin ich ihm nicht in dem Bewußtsein begegnet, Lothar Gehrke zu treffen. Einen ausführlichen Nachruf habe ich nicht gefunden. Hier die Informationen, die ich zusammengelesen habe: Lothar Gehrke, ein gebürtiger Brandenburger, war Mitglied der LG Albatros Kiel und Ehrenmitglied des 100 Marathon Clubs. Obwohl er erst 1984 seinen ersten Marathon gelaufen war, schaffte er immerhin 298 Marathone und Ultramarathone. Zusammen mit seiner Frau Rita organisierte er dreißigmal den Öjendorfer Marathon und half zudem bei anderen Veranstaltungen wie dem Lauf durch den alten Elbtunnel und dem Teichwiesen-Marathon. Schon daher ergab sich eine enge Verbindung zum 100 Marathon Club, der ihn für das Verdienst, eine Generation lang für einen Marathon verantwortlich zu sein, gebührend ehrte.

Als besondere persönliche Herausforderung stellte sich Lothar Gehrke zu den Olympischen Spielen im Jahr 2004 die Aufgabe, die Strecke von Hamburg nach Athen mit dem Fahrrad zurückzulegen. Zwar erreichte er auch Athen, aber er büßte dort sein Fahrrad mit seinem ganzen Gepäck ein, so daß er die Spiele dann zu Hause am Fernsehgerät verfolgen mußte.

Eine Krebserkrankung hat seinem Leben im Alter von fast 71 Jahren ein Ende gesetzt. Wir haben hier wieder einmal eine Biographie, die van Aakens Grundannahme, mit Laufen könne man den Krebs besiegen, zuwiderläuft.

Ganz gewiß hat Laufen wie jedes Bewegungstraining eine präventive Wirkung; doch da Krebs multifaktorielle Ursachen hat, ist Laufen keine Lebensversicherung. Zur Prävention gehört ebenso eine gesunde Ernährung; ich definiere sie mit vollwertiger Ernährung. Damit kann man sicher Risiken beseitigen, wenngleich nicht die in der Vergangenheit erworbenen Belastungen ungeschehen machen; zudem unterliegen wir genetischen Risiken und den Risiken der Umwelt. Lothar Gehrkes Tod ist mir – über die Würdigung hinaus – der Anlaß, auf die Mehrgleisigkeit gesunder Lebensart hinzuweisen. Ein Hinweis – mehr nicht.

Eintragung vom 11. April 10

Ein Sommertag Anfang April... Sonnenglanz über der Landschaft, Sonnenglanz auf all und jedem. Nach dem kräftigen Winter fällt ein solcher Tag besonders ins Gewicht. Den Sommertag Anfang April vergißt man nicht. Wir laufen – oder walken – in kurzärmeligen Shirts und kniekurzen Hosen. Wir sind plötzlich sehr viel mehr.

Der Sommertag ist ein Frühlingstag. Allüberall das leuchtende Gelb der Forsythien, im Wald Teppiche von Anemonen. Kirschbäume haben sich in leuchtende Kugeln verwandelt. Sind es denn Kirschbäume? Vor zwei, drei Generationen haben es wohl die meisten gewußt. Heute können wir mit dem Computer umgehen, wissen aber nicht mehr, ob die Blütenwolken Kirschbäumen entsprießen.

Die Arbeitgeber klagen über mangelnde Ausbildungsreife der Auszubildenden. Ich halte die heutige Jugend nicht im mindesten für dümmer, als wir es in unserer Jugend waren. Im Gegenteil, ich meine, daß Politiker mit der heutigen Jugend nicht mehr das anstellen können, was sie uns seinerzeit zugemutet haben. Die Wissensinhalte haben sich geändert. Eindeutig haben wir uns von der Natur entfernt. Wir wissen nicht mehr, was da blüht. Die Kenntnis in Orthographie hat mit Sicherheit erheblich abgenommen; daran hat auch die Rechtschreibreform nichts geändert. Andererseits sind Kenntnisse anderer Sprachen weit mehr verbreitet als in unserer Jugend. Was sich auf physischem Gebiet vollzogen hat, der Rückgang an elementarer Leistungsfähigkeit, aber die zunehmende Beherrschung komplexer Techniken, vollzieht sich auch intellektuell. Grundkenntnisse sind vernachlässigt, aber differenzierte Fähigkeiten sind entwickelt. Wer daran etwas ändern will, muß etwas dafür tun. Der Bildungskanon darf nicht auf Kosten von Grundfertigkeiten entwickelt werden. Wer den Eltern die Verantwortung zuschieben will, macht es sich, zumal in Anbetracht der gesellschaftlichen Situation, zu einfach.

Der Nachrichtenseite im Internet habe ich am Samstag die Information über die Flugzeugkatastrophe von Smolensk entnommen – keine zwei Stunden nach dem Ereignis. Auch hier ein Wandel: Vordem hatte dem Rundfunk die aktuelle Information obgelegen. Radio konnte man spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg immer hören. Das Fernsehen konnte diese universelle Aufgabe nicht erfüllen. Heute sitzen viele Menschen vor dem Computer. Die Nachrichtenseite der Internetanbieter hat primär die Aufgabe der aktuellen Information und Meinungsbildung übernommen. Dieser Prozeß der Nachrichten- und Meinungsübermittlung wird den klassischen Medien noch sehr viel Kopfzerbrechen verursachen.

Die Katastrophe in Smolensk ragt aus der Fülle von Unglücksmeldungen, die uns jahraus, jahrein ereilen, heraus. Wenn es nicht so billig klänge, könnte man von einem historischen Gewebe sprechen, das der Feder eines Roman-Autors entstammen könnte. Das Land, dessen intellektuelle und militärische Elite vor siebzig Jahren vom kommunistischen Nachbarland hingemordet worden ist, erlebt, daß sich der Nachfolgestaat der Diktatur nach Jahrzehnten des Schweigens und des Verdrängens öffentlich zur Schuld seines Regenten und von dessen Helfern bekennt. Ausgerechnet ein großer Kreis der politischen Führung des Opfer-Landes kommt beim Absturz des Flugzeugs, das zur öffentlichen Trauerfeier in Katyn fliegt, ums Leben. Jede Katastrophe bewegt unser Mitgefühl; hier jedoch werden wir zu Zeitgenossen eines Unglücks, das sich vor dem Hintergrund einer tragischen Verknüpfung abgespielt hat.

Es regnet; doch ohnehin wollte ich heute einen Ruhetag einlegen. Die Meteorologen haben angekündigt, daß die Niederschläge bis in 700 Höhenmeter als Schnee niedergingen. Der Frühsommertag und der Kälteeinbruch vollziehen sich in enger Nachbarschaft.

Eintragung vom 4. April 10

Objektiv gesehen, gehöre ich in der Welt der Läufer heute sicher zu den eher Kontaktarmen. Die Wettkampfteilnahmen sind geschwunden, und bei den wenigen bin ich gerade noch am Start unter Läufern. Wenn ich am Ziel eingetroffen bin, ist bereits alles in Auflösung. Ich gehöre keinem lokalen Verein an, ich habe keine offizielle Funktion. Die Zahl der im Alter noch aktiven Sportfreunde hat sich erheblich reduziert.

Keine Sorge, dies ist nicht der Beginn eines Wehklagens, das eines alten einsamen ehemaligen Sportlers. Denn meine subjektive Sicht auf meine Lebensverhältnisse ist durchaus positiv: Ich schreibe, ich stehe im Dialog mit Lesern. Die Kommunikation ist zwar erheblich reduziert, aber sie hat mitnichten den Nullpunkt erreicht. Sie hat sich stark auf schriftliche Kontakte verlagert. Der Austausch von e-mails hat manche frühere Art der Kommunikation übernommen. Ich habe nicht das Gefühl vergessen zu sein. Neulich eine e-mail mit Anhang, einem Bilder-Rätsel, das mit dem Laufen gar nichts zu tun hat: Foto-Aufnahmen einer prunkvollen Residenz – mit der Frage am Schluß: Wem gehört das feudale Bauwerk? Die Antwort will ich mir hier ersparen, damit die Aufnahmenserie weiterhin ihre Wirkung tun kann. Korrespondenz mit Markus über den Rennsteiglauf, Horst zum Geburtstag gratuliert. Buchbestellungen durch e-mails und einschlägige Telefonate. Der Kartengruß eines Sportfreundes von einem Seminar auf Norderney. Eine medizinische Anfrage – zwar kann ich keine schlüssige Antwort geben, dürfte es auch gar nicht, aber sie ist wohl auch nicht erwartet worden; es genügt offenbar, daß wir über ein Problem gesprochen haben. Soeben habe ich einen Text korrigiert und freigegeben. Neulich ein Angebot, Wolfgang A. wollte mir ein antiquarisches Buch schenken. Ich habe es gern angenommen, denn ich kannte den Titel noch nicht. Bleiben wir dabei!

Das Buch verkörpert eine Epoche der Laufgeschichte, die vielleicht in Gefahr steht, vergessen zu werden, die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, die Zeit, in der Emil Zatopek seine Olympiasiege vollbrachte. Im Jahr 1953 erschien im Ostberliner Sportverlag die Anleitung „Marathonlauf“ von Willi Horlemann. Das Exemplar, das ich erhalten habe, hat offenbar einen Bibliothekseinband; die erste Einbandseite trägt nur den Autorennamen und den Titel. Der Rücken ist ganz stabil aus Leinen. Das kann man nicht als Standard für DDR-Sportbücher bezeichnen. Horlemann war Verbandstrainer für den Gehsport.

„Marathonlauf“ ist ein Zeitdokument. Horlemann skizziert die Situation so: „Eine in der gesamten Leichtathletikliteratur noch immer sehr stiefmütterlich behandelte Disziplin ist der Marathonlauf. In allen das gesamte Gebiet der Leichtathletik umfassenden Lehrbüchern wird er immer nur sehr kurz behandelt und, da er meistens nicht von wirklichen Kennern dieses strapazenreichen Langstreckenlaufes beschrieben, unter falschen Gesichtspunkten gesehen und dementsprechend gewertet wurde. Spezialliteratur gibt es nur wenig...“ In Westdeutschland veröffentlichte damals Toni Nett, wenngleich nicht speziell über den Marathon, sondern über den Langstreckenlauf. Ernst van Aaken war noch nicht populär.

Das Bändchen aus Ostberlin knüpft an frühere Veröffentlichungen an, darunter auch an Beiträge aus der Zeitschrift „Der Leichtathlet“, unter den Verfassern ist unter anderem Arthur Lambert genannt. Zum Teil wird auch sowjetische Literatur herangezogen. Interessant sind die präzisen Angaben über den Wiederbeginn des Laufens nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR. In der sowjetisch besetzten Zone war offenbar noch keine Langstrecke gelaufen worden. Erst im Jahr 1949, nach Gründung der DDR, fand ein 10.000-Meter-Lauf und im Jahr darauf die erste 30-Kilometer-Meisterschaft statt. Erst im Jahr 1951 wurde in Leipzig die erste DDR-Meisterschaft im Marathonlauf veranstaltet. In Westdeutschland – gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland – wurde im Jahr 1949 wieder Marathon gelaufen. Bei den Meisterschaften 1952, gleichzeitig der Ausscheidung für die Olympischen Spiele, erwies sich die Strecke als zu kurz; die Marathonstrecke in Neustadt/Weinstraße war in der Mitte vermessen worden, die Läufer kürzten die zahlreichen Kurven jedoch ab.  

Es versteht sich, daß an solchen Läufen mit sehr überschaubaren Startfeldern vornehmlich altgediente Athleten teilnahmen. Über die 30 Kilometer in der DDR bemerkt Horlemann, von den 22 das Ziel passierenden Läufern habe die Mehrzahl noch der alten Generation unserer Marathonläufer angehört. Ein Buch über den Marathonlauf mußte also in den fünfziger Jahren nur einen sehr beschränkten Leserkreis finden. Mit Motivationsfragen brauchte sich der Autor erst gar nicht aufzuhalten. Nach der Geschichte des Marathonlaufs wendet er sich daher gleich der Organisation zu. Schrittmacherdienste sind verboten. Sehr bald ist auch von Doping die Rede, dessen Definition noch sehr unbestimmt ist. Wer an einem Marathon teilnehmen wollte, mußte ein ärztliches Attest vorlegen. Die Streckenvermessung konnte mit der Kilometerzählung eines Kraftfahrzeugs vorgenommen werden. An Verpflegung sollten bereitstehen: Kaffee, Tee, Haferschleimsuppe, alles warm (nicht heiß) und leicht gesüßt. „Ferner sind Dextropur und Dextro-Energen (Anmerkung: Traubenzucker-Präparate) vorrätig zu halten. Kalte Getränke, Wurstbrote und dergleichen gehören nicht an die Verpflegungsstelle. Evtl. kann noch Zwieback, Keks und Banane gereicht werden.“ Wo in der „Zone“ die Banane herkommen sollte, wurde nicht gesagt. In der warmen Jahreszeit sollte nicht in den heißen Mittagsstunden, sondern entweder früh oder am Spätnachmittag gestartet werden.

Horlemann stellt dann Kriterien für die Teilnahme am Marathon auf. Es dauerte noch zehn Jahre, bis Otto Hosse den ersten deutschen Volkslauf veranstaltete. Fünfzehn Jahre vergingen, bis offiziell beim 1. Schwarzwaldmarathon die ersten Frauen beim Marathon starteten. 1953 war Marathon noch eine Extremsportart. Horlemann schreibt: „Jeder, der sich dem Marathonlauf zuwendet, sollte eine gründliche, vielseitige Körperausbildung hinter sich haben, die es ihm überhaupt erst erlaubt, das anstrengende Training dieses Laufes ohne Schaden durchzustehen.“ Für die „taktischen Erfordernisse“ und „die Gestaltung des modernen Trainings“ sei Intelligenz vonnöten. „Der Marathonlauf ist kein Wettbewerb für körperlich und organisch nicht völlig ausgereifte Läufer.“ Da kann man sich vorstellen, wie provozierend Ernst van Aakens Einsichten über die Ausdauer von Kindern gewirkt haben müssen.

„Von noch wesentlicherer Bedeutung als die Schnelligkeit ist das Erzielen von Tempohärte, der Fähigkeit, ein hohes Tempo längere Zeit durchzuhalten. Diese Tempohärte ist durch fleißiges Training in der Form von Tempoläufen und Intervallarbeit auf Strecken von 400 bis 3 000 m zu erreichen.“ Horlemann vertritt die Meinung, daß es nicht ratsam sei, sich vor dem 26. Lebensjahr dem Marathonlauf zuzuwenden. Bei der Beschreibung organischer Vorgänge gibt Horlemann bereits die zutreffenden Erkenntnisse über das Sportherz wieder. Bei der Erklärung des „toten Punktes“, der Mauer, ist er jedoch noch nicht auf dem heutigen Weg der Erkenntnis. Der Erziehung zur Tempohärte sollte auch der in den dreißiger Jahren ausgetragene Brockenlauf von Ilsenburg zum Brocken dienen. „Derartige Läufe sind nach den heutigen Erkenntnissen auf jeden Fall abzulehnen.“ Daran mag man erkennen, welcher Entwicklungsumbruch später durch Ultra- und durch Bergläufe, erst recht durch den Ultraberglauf, eingeleitet worden ist.

Horlemann behandelt unterschiedliche Trainingsformen, darunter das schwedische Fartlek, und prüft Sportarten auf ihre Eignung für Marathonläufer. „Öfter als etwa alle 14 Tage eine halbe Stunde sollte der Langstreckler jedoch nicht schwimmen gehen... Während der Saison sollte er das Schwimmen gänzlich unterlassen.“ Radfahren wirke sich auf die Muskeln und Organe des Langstrecklers ungünstig aus; es sei daher zu unterlassen. Der Triathlon war noch nicht vorstellbar. Der Autor skizziert dann die damals im Schwange befindlichen Trainingspläne. Ein medizinisches Problem jener Zeit scheint die Furunkulose gewesen zu sein; der Zusammenhang mit der Ernährung ist offenbar noch nicht erkannt.

Sicher, niemand wird mehr nach einer bald sechzig Jahre alten Anleitung Marathon trainieren; doch als Maßstab für die seither eingetretenen Veränderungen ist ein solches Büchlein, das antiquarisch noch erhältlich ist, durchaus brauchbar.

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