Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 30. September 14

Während die meisten Läufer am Sonntag wohl nach Berlin geblickt haben, hat sich östlich von Stuttgart ein neuer Marathon ereignet, der Remstal-Marathon von Waiblingen nach Schwäbisch Gmünd. Er wird im kommenden Jahr in umgekehrter Richtung ausgetragen.

In Stuttgart gibt es keinen Marathon, weil der Württembergische Leichtathletik-Verband dagegen war, dafür einen gut etablierten Halbmarathon. Der Schönbuch-Marathon in Leinfelden-Echterdingen, das man von Stuttgart mit der S-Bahn erreichen kann, ist auf einen Halbmarathon reduziert. Der Ermstal-Marathon (86 Finisher im Jahr 2013) ist für dieses Jahr abgesagt. Der Limes-Marathon in Welzheim (in diesem Jahr 70 Finisher), der ebm-Marathon in Niedernhall (132 Finisher) und der Bottwartal-Marathon in Steinheim (329 Finisher) sind ohne Auto unbequem zu erreichen Der Schwäbische-Alb-Marathon, ein Ultramarathon von 50 Kilometern, ist ziemlich anspruchsvoll. Gut etabliert sind der Heilbronner Trollinger-Marathon (600 Finisher, im nächsten Jahr am 17. Mai) und der Einstein-Marathon in Ulm (875 Finisher am 28. September). Obwohl es scheint, als hätten wir in Deutschland genug Marathons, füllt der neue Marathon also eine Lücke, zumal da er obendrein ein Streckenlauf ist.

Entstanden ist er dank der Initiative der laufenden Bürgermeister, einschließlich Oberbürgermeister, im Remstal. Auf diese Weise haben sich alle kommunalen Partner von Waiblingen bis Schwäbisch Gmünd zusammengefunden. Alle miteinander tragen sie das Projekt. Das hat die Organisation sehr erleichtert, und das bedeutet auch eine beträchtliche Sicherheit für künftige Austragungen.

Die Streckenführung in dem Flußtal war nicht einfach. Man wollte mit Rücksicht auf den Schwierigkeitsgrad die Route nicht hinauf auf die Höhen führen. Verkehrswege durften nur insoweit gesperrt werden, als sie eine Alternative zur Bundesstraße 29 zuließen. Der Kurs ist daher ein Kompromiß. Der Landschaftslauf bietet immer nur abschnittsweise Landschaft, und dann vorzugsweise mit Steigungen. Immer wieder einmal wird an der Rems entlang gelaufen oder sie überquert. Einige Male liegt der Radweg sehr nahe an der Bundesstraße. Einschließlich des Start- und des Zielortes müssen neun Kommunen passiert werden, von denen außer dem Ziel nur Schorndorf eine städtebauliche Qualität bietet. Dafür haben sich jedoch unterwegs Zuschauergruppen gebildet, und viele Balkons und viele Fenster waren mit Winkenden besetzt. Dazu trug, versteht sich, auch das prächtige Wetter bei, mittags allerdings mit etwa 25 Grad schon zu prächtig. Am Ufer der Rems, dort an der nun sehr schön freigelegten Mündung des Josefsbaches, waren die Strandkörbe aufgestellt und belegt. Gleich an dem auffälligen Gold- und Silberzentrum der Schmuckstadt Gmünd, am Eingang der Ledergasse, war das Ziel, und hier war auch der Eingang zum untersten der drei Landesgartenschauteile; die Marathon-Teilnehmer liefen also durch ein Stück „Erdenreich“, wie dieser städtische Teil der 25. und bis zum 12. Oktober laufenden Gartenschau heißt. Über die „Himmelsleiter“, einen neuen Weg durchs Taubental, kann man in den „Himmelsgarten“, das große Schaugelände im Gmünder Ortsteil Wetzgau, gelangen. Wer den 2,5 Kilometer langen Anstieg scheut, kann hinter dem Bahnhof in einen Shuttle-Bus steigen. Das waren am Sonntag beträchtliche Massen, allerdings wohl kaum Läufer. Die meisten Teilnehmer kamen aus dem Remstal und der übrigen Region Stuttgart; doch gab es auch einige, die eine lange Anreise nicht gescheut hatten, um einen neuen Marathon zu erleben.

Dieser neue Marathon ist alles in allem als Erfolg zu bezeichnen. Mit 724 Gemeldeten, davon 551 Finishern, hat er in der Zeit, da die meisten Marathons kaum noch Zuwächse haben, eine ordentliche Stellung behauptet. Die Spitzenzeit war nicht hervorragend; der Spitzenläufer selbst war nicht zufrieden, er war vier Wochen zuvor mit dem Rad gestürzt und hatte sich verletzt. Es ist Richard Schumacher aus Donzdorf bei Göppingen mit 2:44:07 Stunden. Die schnellste Frau, Karin Kern aus Wäschenbeuren bei Gmünd, LV Stadtwerke Tübingen, lief 3:04:32 Stunden (sie hat am 17. Mai auch den Supermarathon des Rennsteiglaufs gewonnen). Beim Halbmarathon nach Urbach (846 Finisher) siegten Marcel Fehr, LG Limes Rems, in 1:08:42 Stunden und Rabea Vögtle, WMF BKK Team AST Süßen, in 1:30:14. Es war auch möglich, den Marathon in einer Staffel zu laufen. Davon machten immerhin 109 Teams Gebrauch. Sieger war die Staffel VfL Waiblingen Leichtathletik in 2:37:37 Stunden.

Gestartet wurde jedoch in nur zwei Blöcken. Die Staffel-, Halbmarathon- und Marathonläufer bis 4:30 Stunden in einem Block zu starten, bremst die „Kurzstreckenläufer“, zumal da auf dem schmalen Radweg hinter dem Startort am Bürgerzentrum lange Zeit an Überholen nicht zu denken war. Die Strecke ist durchgehend asphaltiert; wegen der Steigungen, die sich bis Schwäbisch Gmünd auf weit über 200 Höhenmeter summieren, ist es kein leichter Kurs. Als Mangel kritisierten einige, daß nach der Halbmarathon-Marke die Sportgetränke zur Neige gingen und es „nur“ Wasser gab (was Läufer wie mich nicht im mindesten gestört hätte). Der Mittagstemperatur geschuldet waren Krämpfe und Kreislauf-Probleme.

Ganz sicher haben die beiden unterhaltsamen Moderatoren am Ziel dazu beigetragen, daß wohl zumindest die meisten Läufer einen positiven Eindruck der Veranstaltung erhielten. Die Medaillen wurden von zwei in eine malerische Tracht gekleideten Frauen überreicht. Die Siegerehrung verlief sehr konzentriert. Endlich einmal wirkten die Bürgermeister und Oberbürgermeister nicht nur als Repräsentanten mit, sondern auch als Organisationsleiter und als Läufer in einer achtköpfigen Bürgermeister-Staffel (39. Platz).

Photos: Sonntag

Eintragung vom 23. September 14

Am 21. September um 14.14 Uhr hat die Friedensstafette Flame for peace ihr Ziel, den Elisenbrunnen in Aachen, erreicht. Es ist ein Lauf gewesen, der zu Unrecht in der Laufszene wenig beachtet worden ist. War er Sportlern zu unsportlich? Es war zwar ein Lauf über ungefähr 3000 Kilometer, und täglich mußten 25 bis zu maximal 70 Kilometer bewältigt werden, aber die Tagesdistanz teilten sich mehrere Läufer. Einen Ultramarathon hat wohl keiner zurückgelegt. Zudem gab es zwei lauffreie Tage.

 

Vielleicht auch fehlte schon wegen des fehlenden Wettbewerbs die Verflechtung mit der Laufszene. Es war ein Lauf, der nicht des Laufens wegen stattgefunden hat. Das Laufen war das Medium dafür, daß in dem Jahr, in dem es seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 100 Jahre her ist und 75 Jahre seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, eine politische Botschaft durch die Lande getragen worden ist, symbolisiert durch eine Fackel, die Fackel des Friedens. Die Botschaft lautete: „Die Flamme soll ein deutliches Zeichen des Friedenswillens sein, der die Jugend Europas verbindet und der sie eine gemeinsame Zukunft in Frieden und Freiheit gestalten läßt: ,Das Feuer des neuen, friedlichen Europas gegen das Feuer des alten, kriegerischen Europas – die heilende Kraft des Friedens gegen die zerstörerische Wucht des Krieges. Hierbei verweisen wir auf das Gewesene und immer noch Mögliche und blicken auf das Friedliche, von der Jugend Europas Gewollte.‘

Die Route des Friedenslaufs vollzieht dabei einen Brückenschlag von den Ländern des Balkans, in denen die letzten Kriege auf europäischem Boden geführt wurden, zu den westeuropäischen Ländern, in denen die Grenzen zu den Nachbarn seit Jahren bereits gefallen sind.“

Möglicherweise erinnert sich der eine oder andere Leser an meine Tagebuch-Eintragung vom 4. Februar: Da habe ich über den Plan berichtet, den der ehemalige Leiter der Abendrealschule in Aachen gefaßt hatte, der jetzt 73jährige Heinz Jussen. Er war zur Zeit des Balkan-Krieges bei einem Deutsch-Kurs für Flüchtlinge einem jungen Bosnier begegnet, der seine Eltern in Tuzla in Bosnien verloren hatte. In seiner Betroffenheit organisierte Jussen einen Hilfstransport nach Tuzla, dem in den Jahren danach zehn weitere folgten. Der Balkan-Krieg bewegte ihn, in Aachen eine „Bühne des Friedens“ zu gründen, in der Jugendliche unterschiedlicher Völkerschaften gemeinsam Projekte realisieren.

Der Staffellauf „Flame for Peace“ startete am 28. Juli, dem 100. Jahrestag der Kriegserklärung Österreichs an Serbien, in Sarajevo und führte durch zwölf Länder. Der Ankunftstag war der Weltfriedenstag der UNO. Wie bisher alle derartigen Laufprojekte war auch dieses abenteuerhaft. Ziemlich spät mußte die Absicht, für die Nächtigungen einen Wohnbus zu benützen, aufgegeben und jeweils eine örtliche Gemeinschaftsunterkunft gesucht werden. Die Fahrt nach Sarajevo in vier Fahrzeugen begann mit erheblichen Stauungen auf der Autobahn. In den Balkanländern mußte die Laufroute kurzfristig geändert werden, weil die ursprüngliche Route wegen der Überschwemmungsfolgen noch nicht passierbar war. Einige Male verfehlten Helfer und Läufer einander. Die wenn auch moderaten Leistungen auf diesem Lauf sind hoch zu bewerten, weil sie vielfach bei Regen erbracht werden mußten. Und wenn dann abends keine Dusche und kein warmes Wasser zur Verfügung steht, weiß man, was die Läufer erdulden mußten.

In dem munter geschriebenen Blog über das Laufgeschehen lesen wir über die 30. Etappe Bernau – Bad Tölz „aus dem Polizeibericht“: „Miesbach, 27.8. Auf der B 472 zwischen Miesbach und Waakirchen wurde am Mittag ein herrenloser 73jähriger aufgegegriffen. Der Mann war in strömendem Regen mit kurzen Hosen auf einem Tretroller (,Kickbike‘) völlig durchnäßt die viel befahrene Landstraße entlang gefahren. Er behauptete, aus Berlin zu stammen und erklärte den Beamten mit großer Ernsthaftigkeit, er gehöre zu einer Läufergruppe aus Aachen, müsse nach Bad Tölz, weil dort ,ein Zittermanni oder so‘ auf ihn warte und er für den Frieden unterwegs sei. Auf Vorhalt, ein Tretroller passe nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu einem Lauf, sprach er von der lodernden Flamme in einer Fackel. Zwischendurch hüpfte er immer wieder von einem Bein auf das andere, angeblich weil er fror. Mobilfon oder Ausweis hatte er nicht bei sich. Polizeipsychologen haben sich seiner angenommen. Ein terroristischer Hintergrund wird vorläufig ausgeschlossen.“

Ein 73jähriger in kurzen Hosen auf einem Tretroller und auch noch herrenlos – das macht man nicht. Und für den Frieden unterwegs sein, wenn es überall auch mit deutschen Waffen knallt? Allerdings, die Beamten kennen offenbar die Laufszene nicht. Läufer wissen: Dies war Peter Bartel, der nicht das erstemal in Gemeinschaft mit Läufern halb Europa mit dem Tretroller durchquerte.

Was sich auch an Zwischenfällen ereignet haben mag, – der Sinn des Unternehmens ist völlig erfüllt worden. Die kleine Läufergruppe wurde von tage- oder wochenweise mitlaufenden Gastläufern begleitet. Auf der letzten Etappe waren es gar etwa 150, die in Aachen vor Hunderten von Zuschauern einliefen. Eine Kooperation mit dem Rhein-Maas-Gymnasium in Aachen, einer der zertifizierten Europaschulen in Nordrhein-Westfalen, wurde eingegangen. An den 55 Etappen-Orten fanden Empfänge statt, Reden wurden gehalten, Bands spielten auf, Zuschauer sammelten sich – das Bewußtsein, was die Kriegsgedenktage bedeuten können, war geweckt. Es ist zu hoffen, daß ein Film das Ereignis weiteren Menschen zugänglich macht. Zahlreiche Videofilme geben bereits einen Vorgeschmack. Heinz Jussen und seine Helfer können zufrieden sein.

Eintragung vom 16. September 14

Nahrungsergänzungsmittel sind im Prinzip überflüssig. Kein Ernährungsfachbuch, keine Ernährungswebsite, in denen nicht stünde, daß wir in Mitteleuropa ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt sind und keiner Supplementierung bedürfen. Dennoch nehmen jede dritte Frau und jeder vierte Mann Nahrungsergänzungsmittel (Nationale Verzehrsstudie). Es hat den Anschein, als ob dabei Sportler – und da wohl auch die Läufer – überdurchschnittlich vertreten wären.

Mehrfach schon ist es passiert, daß sich Leistungssportler, die des Dopings bezichtigt worden sind, damit verteidigten, sie hätten keine Dopingmittel genommen, sondern nur Nahrungsergänzungsmittel. Das muß nicht einmal eine Ausrede sein. Bei der häufigen Inanspruchnahme von Versandfirmen über das Internet ist eine Kontrolle auf einwandfreie Beschaffenheit der Produkte nicht möglich.

Aber auch wenn alles in Ordnung ist, ist nichts in Ordnung. Ernährungsphysiologisch kann ein natürliches Erzeugnis wie Gemüse oder Obst niemals in derselben Qualität, sprich: Zusammensetzung, chemisch reproduziert werden. Zudem sind die Produzenten bei der Wahl von Bestandteilen und ihrer Dosierung völlig frei. Nahrungsergänzungsmittel sind nach der Definition der Hersteller und ihres Verbandes schlicht „Lebensmittel“ (ein Zynismus!). Sie unterliegen nicht den strengen Vorschriften für Arzneimittel, sondern dem weitgefaßten Lebensmittelrecht. Selbst wenn es bei Herstellung und Dosierung der Inhaltsstoffe keine Einschränkungen gäbe, – niemand könnte ohne ständige Kontrolle des Blutbildes die individuelle Dosierung exakt bestimmen. Damit ist auch bei einwandfreien Präparaten ein gesundheitliches Risiko gegeben.

Nicht zum ersten Mal weise ich auf die Problematik von Nahrungsergänzungsmitteln hin (mit der Konsequenz, daß ich in „Mehr als Marathon“ die Vermeidung jeglicher Supplementierung einschließlich sogenannter Sportgetränke und Sportgels empfehle). Nun hat der wissenschaftlich objektive Pressedienst Univadis das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie verbreitet, wonach Nahrungsergänzungsmittel „eine ernste Gefahr für die Leber“ darstellen. Wie Victor Navarro in „Hepatology“ mitgeteilt hat, haben Forscher des Einstein Medical Centers Philadelphia (Pennsylvania) die Fälle von 839 Patienten, die in den Jahren zwischen 2004 und 2013 an acht Referenzzentren des “Drug-Induced Liver Injury Network” behandelt worden sind, untersucht. 45 Fälle von Leberschädigungen wurden danach durch Body-Building-Präparate verursacht, 85 durch andere Supplemente und 709 durch Medikamente. Mittel für Bodybuilder riefen danach eine in der Regel länger andauernde Gelbsucht (91 Tage) hervor, hatten aber keine schweren Schäden oder Todesfälle zur Folge. Durch Kräuter- und Nahrungsergänzungsmittel hingegen kam es bei 13 Prozent zu Lebertransplantationen oder gar Todesfällen. Bei konventionellen Medikamenten passierte das nur bei drei Prozent. Da auch in den USA für Supplemente weniger Sicherheitsnachweise als für konventionelle Pharmazeutika gefordert werden, ist nach Ansicht des Autors die Gefahr schädlicher Nebenwirkungen bei Nahrungsergänzungsmitteln größer.

Die Untersuchung ist ein weiterer Mosaikstein in der kritischen Beurteilung von Nahrungsergänzungsmitteln. Nachzulesen sind die Einwände auf den Websites der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Stiftung Warentest und unzähliger Medizin-Experten. Dennoch werden die Präparate insbesondere von Läufern geschluckt. Ich wage einmal die Hypothese: Es sind wohl auch psychologische Motive, die sie zu Pillen, Tabletten und Kapseln greifen läßt. Wahrscheinlich fehlt ihnen das Bewußtsein ihrer jeweiligen Leistungsstärke; daher glauben sie irrtümlich, dem Training mit solchen Mitteln nachhelfen zu müssen.

Eintragung vom 9. September 14

Eine Marathon-Premiere ist anzukündigen. Zwar steht deren Website schon seit Monaten im Netz, aber es drängt mich, an dieser Stelle auf das Projekt einzugehen, hoffend, daß sich der eine oder andere Leser, der nicht in Berlin läuft, noch zur Teilnahme entschließen kann. Es handelt sich um den Remstal-Marathon östlich von Stuttgart.

Eine Verwechslung wird wohl nicht mehr passieren. In den ersten Nachkriegsjahren war in einer bundesweit verbreiteten Tageszeitung die Überschrift zu lesen: „Der Alte aus dem Rennstall“. Gemeint war Reinhold Maier, der große Liberale, der jedoch mit Pferderennsport nicht das mindeste zu tun hatte. Er stammte aus dem Remstal, und das war in Norddeutschland so unbekannt, daß die Überschrift verunglückte. Reinhold Maier (1889 – 1971) war Ministerpräsident von Württemberg-Baden und nach der Bildung des Bundeslandes Baden-Württemberg bis zum Herbst 1953 dessen erster Ministerpräsident und damit der einzige Liberale, der dieses Amt in einem noch heute bestehenden Bundesland bekleidet hat.

Die Rems ist ein kleiner Fluß, der bei Essingen (nicht zu verwechseln mit Esslingen!) am Fuße der Schwäbischen Alb entspringt und bei Neckarrems nördlich von Stuttgart in den Neckar mündet. Durch das Tal der Rems führen die Bundesstraße 29 und eine Eisenbahnlinie, beides Ost-West-Hauptverkehrswege nach Stuttgart. Und es verläuft eben auch von Waiblingen nach Schwäbisch Gmünd ein Fuß- und Radweg. Auf ihm also wird am 28. September, dem Tag des Berlin-Marathons, der 1. Remstal-Marathon ausgetragen. So lästig im allgemeinen Termin-Überschneidungen sind, – hier haben sie etwas Positives. Wer in Berlin nicht laufen darf, vielleicht weil er es sich zu spät überlegt hat, findet im Remstal eine interessante Alternative.

Es ist ein Streckenlauf. Davon gibt es nicht allzuviele. Mir fallen jetzt nur der Marathon des GutsMuths-Rennsteiglaufs und der Jungfrau-Marathon ein. Gestartet wird in Waiblingen; das ist von Stuttgart-Hauptbahnhof ohne Umsteigen mit der S-Bahn erreichbar. Das Ziel ist in Schwäbisch Gmünd. Für den Rücktransport zum Start wird eine Bus-Verbindung eingerichtet. Man kann jedoch auch mit der Bahn nach Waiblingen oder nach Stuttgart fahren. Zwar kenne ich die Streckenführung nicht, sehr wohl aber das Remstal. Daher kann ich versichern: Es ist eine attraktive Strecke. Sie führt durch ein Gebiet mit weiten Streuobstanlagen (Apfel und Kirsche), hinter Waiblingen vorbei an einem ausgedehnten Weinanbaugebiet, durch Auenwälder und durch die Orte Weinstadt, Remshalden, Winterbach, Schorndorf – die Stadt des Autoerfinders Gottlieb Daimler –, Urbach, Plüderhausen und Lorch, wo man vermutlich von der Laufstrecke hinauf zum Benediktinerkloster aus der Stauferzeit blicken kann. Die Orte sind mehrfach erst durch die Verwaltungsreform zu ihrer jetzigen Einwohnerzahl angewachsen; sie prägen also nicht die Landschaft. Es ist anzunehmen, daß sich hier Zuschauergruppen sammeln werden. Urbach ist das Ziel eines Halbmarathons, der ebenfalls in Waiblingen gestartet wird. Auch ein Staffellauf über die Marathonstrecke wird ermöglicht.

Der Lauf wird von den beiden Stadtverwaltungen Waiblingen und Schwäbisch Gmünd veranstaltet. Damit besteht die Chance einer präzisen Vorbereitung, einer professionellen Organisation und die Gewähr, daß die Marathon-Veranstaltung auch in den künftigen Jahren ausgetragen wird. Absicht der Veranstalter ist es, in diesem Jahr die Heimattage Baden-Württemberg in Waiblingen und die 25. Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd miteinander zu verbinden.

Die Strecke ist relativ flach – ganz flach ist in dem Hügelland nicht zu schaffen –, steigt um etwa 100 Höhenmeter und ist größtenteils asphaltiert. Für den Halbmarathon hat man 4 ½ und für den Marathon bis zu 7 Stunden Zeit. Auch das ist zu begrüßen. Vor wenigen Jahren noch hätte ich mich zur Teilnahme angemeldet; jetzt bleibt mir nur, mir die Veranstaltung anzusehen. Das werde ich sehr gern tun.

Eintragung vom 2. September 14

Am 1. September hat sich zum 75. Mal der Tag gejährt, an dem Hitler den Zweiten Weltkrieg lostrat. Ein merkwürdiges Gefühl: So ist das also, wenn man Geschichte selbst erlebt hat. Hundert Jahre ist es her, daß der Erste Weltkrieg entfesselt wurde.

Noch immer diskutieren Historiker darüber, wie es dazu kommen konnte. Mußte die Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaars unweigerlich mit einem Krieg, in der Folge mit etwa neunzehn Millionen Toten, gestraft werden? Stand die Mehrzahl der Deutschen zu dem Kriegseintritt ihres Staates? Zwar ist von einem Historiker hinterfragt worden, ob die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich wirklich so groß gewesen sei wie behauptet. Tatsache ist aber, daß sich unendlich viele junge Männer freiwillig zu den Fahnen meldeten, zahlreiche Intellektuelle die verbale Munition lieferten und selbst Sozialdemokraten zu den Fahnen eilten. Zu den Kriegsfreiwilligen zählte auch mein Vater, damals 19 Jahre alt. Wenige Monate später traf ihn in den belgischen Ardennen ein Granatsplitter am Kopf – Hirnverletzung. Sie prägte ihn fürs Leben. Er war nur eingeschränkt erwerbsfähig, litt immer wieder unter Kopfschmerzen und war zuweilen schwierig im Umgang. Seine Kriegsbeschädigung wurde mit 30 Prozent eingestuft. Das bewahrte die Weimarer Republik vor einer Rentenzahlung. Erst als die Nazis den neuen Weltkrieg vorbereiteten, wurde die Kopfverletzung meines Vaters als Schwerkriegsbeschädigung (50 Prozent) anerkannt, und er erhielt eine kleine Rente. Das war nach seiner langjährigen Arbeitslosigkeit. Die Folgen der Kriegsbeschädigung meines Vaters trafen auch meine Mutter und mich. So also wirkte sich der Erste Weltkrieg, obwohl ich erst acht Jahre nach seinem Ende geboren wurde, auch auf mich aus.

Darüber, weshalb sich bei Kriegsausbruch so viele junge Männer freiwillig zum Militär meldeten, habe ich reflektiert. Ich meine, ein Grund war der Militarismus mit der Beeinflussung der Kinder. Beispielhafte Stichworte nur: Werkzeuge des Militärs wie Trommel, Trompete und Gewehr dienten als Spielzeug; Bleyle erfand den Matrosenanzug; seit dem deutsch-französischen Krieg wurde der Sedanstag gefeiert. Von der suggestiven Beeinflussung durch sogenannte patriotische Literatur muß man gar nicht reden. So wie Intellektuelle dem militaristischen Zeitgeist erlagen, dürften wohl erst recht junge Menschen verführt worden sein, selbst solche, die wie mein Vater dem Kleinbürgertum angehörten und mit den Linken sympathisierten. Mein Vater trat immerhin der USPD bei, der 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, den ultralinken Sozialdemokraten also.

Ich fürchte, daß viele Freiwilligen-Meldungen bei Kriegsausbruch der puren Abenteuerlust zuzuordnen sind. Man stelle sich vor: Der Militarismus hat Kinder jahrelang auf Krieg vorbereitet, und das Deutsche Reich hat, von Strafaktionen abgesehen, seit 1871 keinen Krieg mehr geführt. Ein eintöniges Leben in Armut – denken wir an die Mietskasernen in Berlin! – lag vor Menschen wie meinem Vater. Nun der Aufbruch, eine neue Bewußtseinslage. „Jetzt wollen wir sie dreschen!“ Das martialische Wort Wilhelms II. dürfte die Stimmung getroffen haben. Die Kreide-Aufschriften auf Truppentransportzügen deuten darauf hin, daß der Krieg von vielen jungen Leuten als Abenteuer empfunden wurde, als Aufbruch in eine wenn auch mit Blut zu erkaufende Freiheit.

Wir leben wieder in einer Zeit, in der gleich an mehreren Orten der Welt Konflikte blutig ausgetragen werden. Die Gefahr ist groß, daß auch Deutschland in diese Konflikte hineingezogen wird. Ich meine jedoch, daß heute die Bewußtseinslage eine andere ist als 1914. Wir haben trotz Neonazis keinen Militarismus mehr, erst recht keine militaristische Erziehung. Die Folgen von Kriegen stehen auch den Nachgeborenen vor Augen. Die Lust am Abenteuer? Abenteuer werden heute ausgelebt; die Chancen sind vielfältig. Eine davon ist der Sport.

Na endlich, werden manche an dieser Stelle sagen, hat er den Bogen geschlagen von traurigen Jubiläen zu dem, was uns wirklich interessiert, dem Laufen. Der Bogen mag etwas gewaltsam erscheinen, aber mir ist das so durch den Kopf gegangen.

Im Jahr 1939 war im Gegensatz zum Beginn des Ersten Weltkriegs von Kriegsbegeisterung nichts zu spüren, dagegen bei Älteren schlimme Befürchtungen. Die fünfundzwanzig Jahre nach dem Ersten Weltkrieg sind ja nicht gar so lang gewesen. Als der Krieg begann, war ich dreizehn Jahre alt. Ich weiß noch genau: Ich hatte die Vorstellung, ich würde an diesem Krieg glücklicherweise nicht beteiligt sein. Das war ein riesengroßer Irrtum; der Krieg dauerte mehr als fünfeinhalb Jahre. Ich wurde eingezogen, für den Krieg etwas ausgebildet und an die ständig zurückweichende Ostfront geschickt. Die Folgen: Zwei Verwundungen und sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der ich jedoch, dank meiner kriminellen Energie, schon im September 1945 entlassen wurde.

Auf diese Weise also habe ich persönlichen Anteil an den Jahrestagen der beiden Weltkriege. Die Zahl der Menschen, die solches von sich behaupten können, wird immer geringer. Um mit einem treffenden Zitat zu sprechen: Und das ist auch gut so.

Eintragung vom 26. August 14

Während des Berliner Mauerweglaufs (vorangegangene Eintragung) drängte sich mir das Thema auf: Zum Laufen reisen. Sehr viel früher war das anders; als ich 1978 den New York-Marathon lief, wunderte sich selbst ein amerikanischer Läufer, mit dem ich sprach, darüber, daß da Menschen aus Deutschland eigens zu einem amerikanischen Marathon flogen. Heute gehört der Lauftourismus, einschließlich des Ferntourismus, zum Bild bedeutender Laufereignisse. Niemand wundert sich darüber. Ungewohnt ist aber wohl, daß auch Zuschauer wie ich zu Laufveranstaltungen reisen.

In der Vergangenheit hat so mancher etwas jüngere Läufer auf meine Aktivität geblickt, um auf diese Weise zu erfahren, wie seine Läuferkarriere verlaufen könnte. Der Schlußpunkt mag unterschiedlich terminiert sein; manche ziehen sich, gezwungenermaßen oder freiwillig, schon als Siebziger vom Laufsport zurück. Einige wenige schaffen es, auch mit neunzig noch einen Marathon zu laufen. Fest steht jedoch: Der Schlußpunkt kommt – früher oder später.

Vor vielen Jahren sprach mich einmal, als ich alle naselang einen Marathon lief, ein nichtlaufender Kollege darauf an, was ich denn machen wolle, wenn ich nicht mehr laufen könne. Offenbar schien ihm das ein Argument gegen Laufen als Alterssport zu sein. Meine Antwort damals lautete: So lange wie nur irgend möglich laufen! Was danach kommen würde, darüber machte ich mir noch keine Gedanken. Eines war sicher: Das Laufen würde ich nicht durch Briefmarkensammeln ersetzen. Nun schaue ich einige Male im Jahr bei Laufwettbewerben zu. Wenn sich beim Berlin-Marathon Hunderttausende an die Straße stellen, warum sollte ich mich dann zurückziehen? Zur Kesch-Hütte werde ich wahrscheinlich nicht mehr empor wandern, um einen Höhepunkt beim K 78 des Swiss Alpine zu erleben. Aber ein Stadtmarathon oder eben der Berliner Mauerweglauf eignet sich hervorragend dazu, unmittelbaren Kontakt zur Laufszene zu halten.

Gewiß, das geht nicht ohne Emotionen ab. Doch das ist ja nicht die einzige Belastung im höheren Alter. Einen Unterschied habe ich bemerkt: Es fällt mir leichter zuzuschauen, wenn ich den beobachteten Lauf einst selbst schon gelaufen bin. Wenn ich dagegen einen Lauf beobachte, den es „zu meiner Zeit“ noch nicht gab, kommt so etwas wie Wehmut auf. Da stellt sich – wie beim Mauerweglauf – das Gefühl ein: Wieder ein Lauf, der mir verschlossen bleibt!

Was lernen wir daraus? In der aktiven Zeit keinen Lauf auslassen, den wir laufen wollen und können!

Eintragung vom 19. August 14

Nach der dritten Veranstaltung läßt sich dieses Resümee ziehen: In nicht mehr als drei Jahren hat der Mauerweglauf ein Profil gewonnen, das ihn vermutlich in eine Reihe mit den berühmten Läufen der Welt stellt. Es ist nicht die Teilnehmerzahl, die das bewirkt hat, sondern der Charakter des Laufes. Er ist ein vitales Denkmal. Die Idee, die Dr. Ronald Musil auf einer Marathonreise im Gespräch mit Alexander von Uleniecki geäußert hat, nämlich auf dem Mauerweg rund um das ehemalige Westberlin einen Ultralauf zu veranstalten, hat sich nicht nur als tragfähig erwiesen, sondern auch als ein lebendiger Beitrag, Geschichte erlebbar zu machen.

Der von dem Europa-Abgeordneten Michael Cramer initiierte Gedenkweg auf oder an dem von Walter Ulbricht verantworteten „Todesstreifen“ um Westberlin hat zudem ziemlich zufällig die Länge von ungefähr 100 Meilen. Mit einem Wettbewerb über diese Strecke ist daher ein wichtiger sportlicher Impuls gegeben worden. Die 100 Kilometer sind die große Herausforderung für Ultraläufer. Was kommt danach? Der 24-Stunden-Lauf und seine Unterteilungen? Das Laufen auf einer winzigen Runde als ein purer Ausdauertest ist nicht jedermanns Geschmack. Die sinnvolle Steigerung des 100-km-Laufs auf 100 Meilen ist daher die nächste Herausforderung für Ultraläufer. Gleichzeitig bauen sie die Brücke zu dem angloamerikanischen Standard. Rein sportlich gesehen, ist der Mauerweg eine eher leichte Strecke und daher für den Sprung von 100 Kilometern zu 100 Meilen geeignet.

Die Qualität des Laufes und der Organisation scheint sich herumgesprochen zu haben. Schon nach der ersten Wiederholung im vorigen Jahr ist der Austragungsrhythmus auf den jährlichen Termin verkürzt worden. Die Zunahme der Teilnehmerzahl einschließlich der Öffnung auf Staffeln – sogar für Zehnerstaffeln – spricht dafür, daß die Bedeutung des Laufes erkannt worden ist. In diesem Jahr, am 16. August, sind 278 Einzelläufer am Start gewesen. Allerdings ist damit das Limit von 500 noch nicht erreicht worden, was jedoch im Hinblick auf die Teilnahmechancen in den kommenden Jahren nicht so schlecht ist. Der Ruf der Veranstaltung hat sich in der Welt verbreitet; aus nicht weniger als 21 anderen Nationen waren Läufer erschienen. Erstaunlich auch das Medien-Interesse. Das hatten wir uns nicht vorstellen können. Keine Rede davon, daß noch Kritik an der Streckenlänge geäußert worden wäre. Der Ultralauf ist in der Reihe der Sportdisziplinen angekommen.

Die dreißigstündige Laufveranstaltung am 16. Und 17. August hat einen ganz besonderen Knall-Effekt geboten: Der Brite Mark Perkins (M30) legte die 160,9 Kilometer in 13:06:52 Stunden zurück; das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4:53 min/km. Der Streckenrekord vom vorigen Jahr ist damit um fast 3 Stunden unterboten worden. Auf dem zweiten und dritten Platz liefen ein: der Mailänder Marco Bonfiglio (M35) in 14:04:27 Stunden und das DUV-Mitglied Patrick Hösl (M40) in 15:19:46 Stunden. Die schnellste Frau ist Grit Seidel (W40) in 18:16:29 Stunden gewesen; darüber wird sich ihr Verein, die profilierte LG Nord Berlin-Ultrateam, besonders freuen. Zweite ist Martina Schliep (W45) vom veranstaltenden Verein LG Mauerweg Berlin e. V. in 18:59:19 gewesen, die ihre Leistung vom vorigen Jahr um etwa 7 Minuten verbesserte, Dritte die Kanadierin Veronique Bourbeau (W40) in 21:19:32 Stunden.

Von den 278 Einzelläufern sind 211 (183 Läufer und 28 Läuferinnen) ins 100-Meilen-Ziel gekommen – ein Zeichen dafür, daß auch so mancher 100-Meilen-Einsteiger am Start war. Auch diejenigen, die vorher ausgeschieden sind, haben jedoch eine Urkunde über ihre Leistung erhalten. Vom Start weg führte der Japaner Tsutomu Nagata; die ersten 15 Kilometer legte er in 1:08 Stunden zurück. Doch der hoffnungsvolle Anfang zerbröselte, als sich Magenbeschwerden einstellten. Nagata traf in 16:50:59 Stunden ein. Während sich die letzten über die Tartanbahn schleppten, setzte er auf dem Sportgelände zu einem veritablen Sprint ins Ziel an. Er war damit so rasch, daß ich dem mit der Kameraeinstellung nicht nachkam. Den ersten wiederum habe ich verpaßt, weil ich mit einer so frühen Ankunft nicht gerechnet hatte. Die Älteste, Sigrid Eichner, bald 74 Jahre alt, brauchte 28:12:04 Stunden, war also, wie sie angekündigt hatte, nicht unter den letzten. Ihren neuerlichen Erfolg krönte sie mit dem öffentlichen Beitritt zur LG Mauerweg. Die Startnummer 1, der Sieger im vorigen Jahr, Peter Flock (M40) von Lauffeuer Fröttstädt (Thüringen), schaffte es in 15:51:50. Die Leistung Alexander von Ulenieckis (M45) von der LG Mauerweg Berlin ist besonders zu würdigen: Er war an der Vorbereitung am Freitagnachmittag beteiligt, lief die 100 Meilen in 26:18:24 Stunden, fand eine Stunde Schlaf und moderierte dann am Sonntag von 14 Uhr an die gesamte Siegerehrung. Wieder ist unter den Finishern ein blinder Läufer gewesen. Einer der Läufer war Prof. Dr. med. Hans Drexler (M60), die „Lahmsogge“ (25:39:30), ein anderer Dr. med. Hans-Werner Rehers (26:46:00); er hatte im vorigen Jahr einer gestürzten Läuferin Erste Hilfe geleistet, sie ins Krankenhaus begleitet und erst nach einer zufriedenstellenden Diagnose drei Stunden später den Lauf fortgesetzt und noch bis Zielschluß beendet.

Bemerkenswert ist das Staffelprojekt von Thomas Kaupel (Sportclub Lebenshilfe und Karower Dachse). Von den zehn Staffelläufern haben fünf eine Beeinträchtigung, drei davon sind blind.

Der 3. Mauerweglauf war dem Maueropfer Peter Fechter gewidmet, der 1962 in der Nähe des Checkpoints Charlie ums Leben kam. Der 18jährige Maurergeselle Fechter und sein Kollege Helmut Kulbeik hatten längere Zeit schon die Absicht, die DDR zu verlassen. Am 17. August 1962, ein reichliches Jahr nach Errichtung der Mauer, versuchten beide, die Mauer in der Zimmerstraße zu überklettern. Während dies Kulbeik gelang, wurde Fechter noch auf der Mauer von Schüssen, die ohne Vorwarnung abgegeben worden waren, getroffen und fiel auf Ostberliner Gebiet zurück. Fast eine Stunde blieb er bewegungsunfähig liegen. Weder Westberliner Polizisten noch die Grenzposten der DDR halfen ihm. Auch die amerikanischen Besatzungssoldaten verweigerten die Hilfe, weil sie beim Vordringen auf Ostberliner Gebiet Konsequenzen befürchteten. Wie wir in Wikipedia lesen, warfen ihm Westberliner Polizisten Verbandspäckchen zu. Fechters Hilferufe führten dazu, daß sich auf der Westseite eine empörte Menschenmenge sammelte. Schließlich holten ihn Grenzsoldaten der DDR aus dem Todesstreifen. Doch Peter Fechter verblutete; die Charité konnte ihm nicht mehr helfen. Kommentar in Wikipedia: „Der Tod von Peter Fechter führte der westdeutschen Bevölkerung in zuvor unerreichter Deutlichkeit die Grausamkeit des Schießbefehls vor Augen. Auch von der Untätigkeit der Besatzungssoldaten waren viele enttäuscht.“ Der Filmemacher Wolfgang Schoen hat über Peter Fechter und sein Schicksal einen Film hergestellt; ein Ausschnitt daraus ist während der Siegerehrung gezeigt worden.

Eine weitere direkte Beziehung zur Mauer bot die Streckenführung durch das Asisi-Panometer. Der persischstämmige Architekt und Maler Yadegar Asisi, 1955 in Wien geboren, in der Ausbildung Grenzgänger zwischen Dresden und Westberlin, hat unweit des Checkpoints Charlie ein realitätsgetreues Riesen-Panorama eines Grenzstreifens geschaffen. Das 900 Quadratmeter große Rundbild, 15 Meter hoch und 60 Meter lang, zeigt die Sebastianstraße in Kreuzberg mit einem Blick auf die Grenzbefestigung und in den Ostsektor. Asisi hat für seine Darstellung einen Novembertag in den achtziger Jahren gewählt, die er selbst in Berlin erlebt hat. Inzwischen ist aus dieser eindrucksvollen Darstellung ein ganzer Betrieb geworden. In Leipzig und Dresden befinden sich in stillgelegten Gasometern weitere Panoramen. Die Läufer freilich werden auf ihrer Route durch das Rundbild keinen Blick auf die Details gehabt haben; aber sie werden auf jeden Fall einen atmosphärischen Eindruck und damit auch einen Eindruck von der Realität vor über 25 Jahren erhalten haben. Als „offizieller Asisi-Läufer“ ist Oliver Liebert (M40), ein Stuttgarter, der seit zwanzig Jahren in Berlin lebt, filmisch begleitet worden; seine Zeit: 20:18:35.

Erst aus der Website des Mauerweglaufs haben wir erfahren, daß ein Läufer, der zuletzt in Lübars nördlich von Berlin registriert worden war, verloren gegangen war. Er hatte sich 15 Kilometer weit von der Strecke entfernt; ein Schleusenwärter entdeckte ihn.

Die Markierung ist zwar ausgezeichnet – mit weißen Pfeilen auf dem Boden und kleinen Klebezetteln – Orientierung bieten auch die 3,60 Meter hoch, in Mauerhöhe, angebrachten Mauerwegschilder, aber Verlaufen ist nicht ganz auszuschließen. Das Wetter war zum Laufen gerade recht; am Abend jedoch prasselten Regenschauer. Um diese Zeit war ich in Sacrow. Der Verpflegungspunkt lag am Schloß, in dem in diesem Jahr Bach-Konzerte stattfinden. Tafeln erläutern, wie aus dem in der DDR-Zeit völlig verwilderten Park wieder ein Kleinod gemacht worden ist.

Wer den Mauerweglauf zum drittenmal erlebt hat, wird beobachtet haben, wie die Organisation immer weiter verbessert worden ist, obwohl bereits beim erstenmal ein hohes Niveau vorhanden war. Etwa 300 Helfer sind jedesmal an der Veranstaltung beteiligt; sie bringen, wie sich auch im Kontakt mit den Läufern zeigt, ein hohes Engagement mit. Der Mauerweglauf, getragen von einem Verein mit etwa 90 Mitgliedern, ist zu einer Institution geworden, die nicht mehr wegzudenken ist.

Photos: Sonntag

Eintragung vom 12. August 14

Es war Mitte der siebziger Jahre, da machte mich der Chef vom Dienst (so lautet eine Funktionsbezeichnung bei der Tageszeitung, in diesem Fall der „Stuttgarter Zeitung“) mit seiner Ärztin bekannt. Bei damals so merkwürdigen Menschen wie mir drängten sich dann ein paar Worte auf, die eine Ärztin interessieren mußten. Heinz Schlegel also, der Chef vom Dienst, erklärte, ich sei Marathonläufer. Ja, ich sei sogar schon 100 Kilometer gelaufen. Da hatte die Ärztin schon ihre Diagnose bereit: Dann müsse ich damit rechnen, spätestens im Alter eine Arthrose zu bekommen.

Das war wohl der Stand der Allgemeinmedizin zum Laufen. Ich ließ mich dadurch nicht unsicher machen, und ich tat gut daran. Nun habe ich also die durchschnittliche Lebenserwartung um einiges überschritten, das durchschnittliche Laufpensum wohl auch; von einer Arthrose bin ich nicht heimgesucht worden.

Dagegen gibt es eine Menge Menschen, die in ihrem Leben keinen Laufsport betrieben haben und an einer Arthrose leiden. Für die Behandlung von Arthrosen werden in der Bundesrepublik, so habe ich gelesen, jährlich 6 Milliarden Euro ausgegeben. Jeder zweite über Fünfundsechzigjährige ist an einer Arthrose erkrankt. Heilbar ist eine Arthrose nicht; am Ende steht häufig – allzu häufig? – der Ersatz des betroffenen Gelenks durch ein künstliches. Die Benützungsdauer beträgt etwa fünfzehn Jahre. Wenn ich mit sechzig – weil ich ja soviel gelaufen bin, wenn auch längst nicht soviel wie Christian Hottas, Horst Preisler, Sigrid Eichner und drei, vier Dutzend andere – ein künstliches Kniegelenk erhalten hätte, würde ich jetzt dem dritten Austausch entgegensehen. Ob der menschliche Körper wohl drei Kniegelenk- oder Hüft-Operationen verkraften würde? Schließlich muß ja ein Gelenk-Ersatz mit erhalten gebliebenem Knorpel verbunden werden.

Dennoch, nicht nur durch Fehlstellungen, sondern mittelbar auch durch Sport kann eine Arthrose entstehen. Insofern hat jene Ärztin, die mir damals die falsche Prognose gestellt hatte, nicht das Blaue vom Himmel herab gelogen, sondern war nur einer unzulässigen Gedankenverkürzung zum Opfer gefallen. Beim Sport kann man sich verletzen – das ist jährlich bei zwei Millionen Deutschen der Fall ––, Sportverletzungen jedoch bedeuten ein hohes Arthrose-Risiko. Nach Ansicht von Orthopäden steigt nach einer Meniskusentfernung oder einer Kreuzbandbehandlung die Gefahr einer Arthrose auf bis zu 80 Prozent. Orthopäden und Unfallchirurgen raten daher Sporttreibenden, sich regelmäßig von einem Facharzt auf Gelenkerkrankungen und Achsfehlstellungen untersuchen zu lassen und sich vor Verletzungen zu schützen.

Provoziert nicht gerade der Ultralauf Verletzungen? Das Thema ist beim Deutschen Kongreß für Orthopädie und Unfallchirurgie im vorigen Jahr behandelt worden. Dabei ist konstatiert worden: Menschliche Gelenke können selbst extremen Dauerbelastungen wie etwa dem Europe Foot Race standhalten. „Wie eine Studie zu diesem Ultramarathon zeigte, weisen die Fußgelenke der Läufer selbst nach mehr als 4500 Kilometern quer durch Europa keine Schäden auf“, hat Dr. med. Johannes Flechtenmacher aus Karlsruhe, niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, berichtet (er ist Co-Autor des Fachbuches „Praktische Röntgendiagnostik. Orthopädie und Unfallchirurgie“, 2014) . „Nach etwa 2000 Kilometern erholte sich der Gelenkknorpel sogar trotz fortbestehender Laufbelastung.“ Sport sei jedoch nur solange gesund, wie Gelenke dabei nicht beschädigt würden oder keine Vorerkrankung aufwiesen.

Das ist leider nicht der Fall. Im Breitensport ziehen sich innerhalb von fünf Jahren 2,5 Prozent der Sportler erhebliche Verletzungen zu. Betroffen sind häufig die Gelenke, insbesondere Hüfte, Knie, Sprunggelenk und Schulter. Allerdings hängt das Verletzungsrisiko maßgeblich von der Sportart ab, und es liegt nahe, daß sich ein Läufer eher eine Arthrose im Knie zuzieht als an der Schulter.

Sport, so man ihn selbst betreibt und nicht nur zuschaut, dient nicht nur dem Vergnügen, sondern ist auch ein Therapeutikum, selbst und gerade bei Arthrose. Funktionsfähige Gelenkknorpel erneuern sich durch Bewegung. „Menschen mit Arthrose bewegen sich zu wenig“, lautet die Überschrift einer Pressemitteilung zum nächsten Kongreß für Orthopädie und Unfallchirurgie. „Meist hindern Schmerzen die Patienten, sich regelmäßig zu bewegen“, erklärt Professor Dr. phil. Klaus Bös, ehemaliger Leiter des Instituts für Sportwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie. „Doch dadurch geraten sie in einen Teufelskreis: Schont sich der Arthrose-Patient, wird weniger Gelenkflüssigkeit produziert, und die Knorpel werden rauh und spröde, was wiederum zu mehr Verschleiß und Schmerzen führt.“

Ein anderes Therapeutikum ist die Ernährung. Doch welcher Orthopäde empfiehlt schon die Umstellung auf vollwertige Ernährung? Das hat er nicht gelernt.

Eintragung vom 5. August 14

Ich gestehe, wenn ich mich über ein Buch informieren möchte, klicke ich amazon.de an; man muß ja danach nicht unbedingt dort kaufen, wenn man Einwände gegen den amerikanischen Konzern hat. Doch zu einer allgemeinen Information, nämlich bibliographischen Angaben und vielleicht auch Leser-Rezensionen, ist das Klicken auf Amazon, wenn es sich nicht gerade um antiquarische Titel handelt, schon hilfreich. Man kann ja danach in die Buchhandlung gehen, zumal wenn der Buchhändler ein Läufer ist.

 

Das Buch, das vor mir liegt, ist jedoch bei Amazon nicht verzeichnet. Das hat seinen Grund. Nicht weil es privat verlegt ist, sondern weil das Interesse wahrscheinlich sehr eingeschränkt ist und wohl nur einen sehr eng begrenzten regionalen Leserkreis anspricht. Dabei klingt der „Klappentext“ auf der vierten Einbandseite durchaus gut, auch wenn ich Laufen nicht bloß, wie behauptet, für einen Trend ansehe und es durchaus eine Menge Literatur gibt, die den Spaß am Laufen betont: „Laufen ist voll im Trend und sollte Spaß machen. Es gibt sehr wenig Literatur, die diesem Anspruch gerecht wird. Das vorliegende Buch schließt diese Lücke und führt den Leser durch die bewegte Geschichte des Marathonteams Hoyerswerda und seines Vereins Lauftreff Lausitz. Dieser spektakuläre Weg verbindet die Region mit den großen Marathonläufen der Welt.

Abseits der Ideallinie schildert es spannend und nachhaltig den Läufer-Alltag und den ,Runners Heaven“, den Läufer-Himmel zwischen Berlin, Boston, New York und Tokio. Man erlebt den Anstieg zum Kilimanjaro und man stürzt in die tragischen Umstände der Vereins-Krise.“

Die Wahrheit ist: Es handelt sich um eine schlichte Vereins-Chronik. Wenn ich die Informationen der „Lausitzer Rundschau“ richtig deute, ist das Buch in 200 Schwarzweiß-Exemplaren und 50 Exemplaren einer meist farbig illustrierten „Vorzugsausgabe“ erschienen. Da ich das Buch erst jetzt, nach vier Jahren, bekommen habe, ist anzunehmen, daß die geringe Auflage, die dank dem Digitaldruck ja wirtschaftlich möglich ist, nicht ausverkauft ist.

„Vereins-Chronik“ bedeutet: Es wird geschildert, wie sich in Hoyerswerda ein vierköpfiges Marathonteam gebildet hat, das dann durch neun weitere Mitglieder verstärkt worden ist. Sein Verein ist der 1999 gegründete Lauftreff Lausitz e. V. Manfred Grüneberg, der den Verein leitet, beschreibt präzise die Wettkampfaktivitäten der Gruppe und zieht Folgerungen, zum Beispiel: „Als der große Lauf des Marathonteams begann, waren wir bei den meisten Leuten in Hoyerswerda als Exoten verschrien. Zwanzig Jahre später hat der Laufboom das Lausitzer Seeland spürbar beeinflußt. Angebot und Nachfrage werden sich in den nächsten Jahren verdoppeln.“

Ja, gewiß. Nur fragt sich eben: Wen außer den Beteiligten interessiert das Auftreten einiger Läufer aus derselben ostsächsischen Stadt auf den großen Laufveranstaltungen der Welt? Dennoch, ich habe das Buch von Anfang bis zu Ende gelesen. Es war für mich interessant zu erfahren, wie Läufer aus der ehemaligen DDR das Erlebnis und die Bedingungen klassischer Laufveranstaltungen empfunden haben. Deshalb also erwähne ich diese über 300seitige reich illustrierte Schrift im DIN-A4-Format.

Allerdings, die vielen Namen entsprechen wieder dem Charakter einer Vereins-Chronik. Offenbar sind die Texte auch nicht sonderlich geprüft worden. Darauf deuten die Eingabefehler hin und das Fehlen von Absätzen; manche Texte ziehen sich absatzlos über drei Seiten. Clarence de Mar hat 1911 den Boston-Marathon erstmals gewonnen; das Bild mit ihm ist also nicht beim ersten Boston-Marathon 1897 entstanden. Der Bieler 100-Kilometer-Kurs verläuft nicht im Jura, sondern in der Region Seeland, und etwas über 600 Höhenmeter auf einer solchen Strecke sind nun wahrhaftig, anders als im Bericht, kein Alpentrail. Der Buchtitel „Irgendwann mußt du nach Biel“ ist wieder einmal ziemlich verfremdet: „Einmal kommst du nach Biel“. „Bordelais“ kommt von Bordeaux, schreibt sich also ohne U. Unter einem Reizwolf versteht man einen Reißwolf. Ich betone, ich habe nicht auf Fehler hin gelesen.

Die vielen Namen…, die vielen Zeiten… Das ist Vereins-Chronik. Und auf den Bildern immer wieder Manfred Grüneberg. Was an der Vereinskrise „tragisch“ gewesen ist, hat sich mir nicht erschlossen; nur mein – boshaftes? – Vorurteil hat sich bestätigt: Jeder Verein erlebt seine Krisenzeit.

Dennoch, jeder Stadtarchivar wird sich freuen, wenn er einen solchen Bericht über eine prägende Aktivität ins Regal stellen kann. Deshalb habe ich zum Zwecke der Nacheiferung über das Buch geschrieben, auch wenn es nur äußerlich ein richtiges Buch ist.

Eintragung vom 29. Juli 14

Klick. Ein Bild. Erinnerungen tauchen auf; der Swiss Alpine, auch wenn ich ihn nur im Internet verfolgt habe, wird lebendig. Allerdings, wenn ich die jüngste Veranstaltung am 26. Juli betrachte, – da hält sich Wehmut in Grenzen. Es sei, sagte Andrea Tuffli, in den 29 Jahren der am meisten verregnete Swiss Alpine gewesen. Das spiegelt sich wohl auch in diesen Zahlen wieder: 2013 liefen 878 K78-Teilnehmer ins Davoser Ziel, in diesem Jahr 692. 105 Läufer und 32 Läuferinnen, die zum K 78 gestartet waren, beendeten den Lauf in Bergün und wurden für den C 42 gewertet, 15 K78-Läufer und 3 K78-Läuferinnen hörten gar schon in Filisur auf und erhielten die Urkunde für den K 30. 14 Läufer und 20 Läuferinnen, die zum C 42 gestartet waren, ließen es ebenfalls mit dem K 30 (jetzt 32,9 km) bewenden.

Diese Möglichkeit der Umstufungen hat es in der vorliegenden Form erstmals in diesem Jahr gegeben. Insofern macht die Verlegung des C 42 auf dem Abschnitt vom Wiesner Viadukt an – mit dem Ziel Bergün statt Tiefencastel – durchaus Sinn.

Ohnehin ist es ja die im Vorfeld des Swiss Alpine Marathons vielleicht meistgestellte Frage der langjährigen Interessenten: Was hat er in diesem Jahr geändert, der Andrea? Grundsätzlich, finde ich, sind seine Änderungen immer wohlbegründet. Für die Verlegung der Route – mit dem Aufstieg zum Sertigpaß – auf den Weg über die Kesch-Hütte und den Scalettapaß sprach einiges, für die Rückverlegung über den Sertigpaß aber auch, selbst wenn man einen Widerspruch herauslesen sollte. In diesem Jahr sind jedoch auch konzeptionelle Erwägungen umgesetzt worden, die Verringerung des Asphaltanteils. Damit vollziehen sich die Anstiege hinter Davos und nach Bergün wieder auf Wanderwegen. Eine weitere Attraktion ist hinzugekommen, nämlich nach dem Wiesener Viadukt der Abstieg und der Weg unter dem Landwasserviadukt hindurch, einer technischen Sehenswürdigkeit, dessen Abbildung in vielen Schweiz-Reklamen zu sehen ist. Auch diesen Weg habe ich früher schon auf meinen Wanderungen kennengelernt.

Einspruch erhebe ich gegen den Slogan, den die sonst seriöse Presse-Beauftragte verwendet hat: „Der Swissalpine kennt keine Altersgrenze“. Doch, die kennt er sehr wohl. Das fängt doch schon mit der Selektion der nach den Regeln zu langsamen Läufer an. Man muß nur den Kampf „Hasihumpels“ – oder war es die „Powerschnecke“? – des Professors Dr. med. Hans Drexler vor der Kesch-Hütte nachlesen. Ich stimme ihm völlig zu – ich kenne das; ich habe mich hier auch schon aussortieren lassen müssen. Wer dann seine Herausforderung reduziert und das nächste Jahr erst den K 42, dann den C 42, den K 30, den Halbmarathon oder auch nur das Walking wählt, wird eines schönen Jahres ebenfalls auf Zeitgrenzen stoßen. Diese Zeitgrenzen sind so geartet, daß sie alten Läufern – selbst solchen, die gerade erst ins Pensionsalter getreten sind – Probleme bereiten. Nicht nur, daß auch der Swiss Alpine sehr wohl Altersgrenzen setzt; diese Grenzen sind, im Verhältnis zu den Anforderungen, um einiges enger als bei Straßenläufen. Alles ausprobiert!

Hans Drexler hat auf seiner unterhaltsamen Website „Powerschnecke“ nach dem 28. Swiss Alpine versichert, er werde nicht mehr nach Davos kommen. Dabei ging es wohl nicht nur um die nach seiner Auffassung frühe Zeitkontrolle an der Kesch-Hütte und die Tatsache, daß er mit dem Zieleinlauf nach 13:58 Stunden (zu meiner Zeit war der Zielschluß nach 12 Stunden!) nicht mehr gewertet worden ist, sondern auch um das, was ihm anderntags in Clavadel widerfahren ist. Da sprach ihn ein Einwohner an, der offenbar durch Herumerzählen erfahren hatte, wer dieser störrische Hans Drexler sei; seine Strafpredigt gipfelte darin, solche Leute wie den Professor wolle man hier nicht haben.

Ich meine, wer Hans Drexler – zehn SAD-Teilnahmen – so kommt, hat zunächst einmal keinerlei Humor, kennt ihn offenbar nicht und schädigt das Ansehen der SAD-Organisation. Hans Drexler jedoch möchte ich entgegnen: Es gibt Gründe, weshalb man einen Lauf nicht mehr besuchen möchte, vielleicht weil die Zeitgrenzen zu eng sind oder weil man vermehrt andere Veranstaltungen kennenlernen will; das was sich, nach der humorvollen Schilderung auf der Seite „Powerschnecke“, vor einem Jahr ereignet hat, scheint mir jedoch kein Grund zu sein, nicht mehr zum SAD zu fahren. Eines Tages wird man zwar ohnehin aufhören müssen, aber bis dahin winken Erlebnisse, die man sich nicht durch andere vermiesen lassen sollte.

Nächstes Jahr jährt sich der erste Swiss Alpine zum dreißigsten Mal. Es wäre schön, wenn Hans Drexler diese runde Zahl zu gegebener Zeit würdigen würde – so bilderreich wie immer und genauso frech wie bisher. Es ist die lustigste Seite auf unserem Gebiet. Manche wissen es nur nicht.

Photos: Sonntag

Eintragung vom 22. Juli 14

Was wohl ist das Bemerkenswerteste am 24-Stunden-Lauf in Dettenhausen? Mehrerlei. Jeder kann mitmachen, wirklich jeder, der laufen oder gehen kann. Auf diese Weise traben hier Kinder eine oder mehrere Runden, und man trifft ebensogut einen Läufer, der 200 Kilometer oder mehr zurücklegt. Bei diesem Konzept hätte ich im Prinzip ebenfalls mitmachen können. Startgeld wird nicht erhoben, allenfalls werden Spenden gesammelt. Firmen finanzieren den Aufwand an Verpflegung und Technik. Die Veranstaltung ist zwar nicht bestenlistenfähig, aber sie läßt sonst, im Hinblick auf die technischen und organisatorischen Voraussetzungen, keine Wünsche offen. Diese bemerkenswerte Veranstaltung also hat am 19./20. Juli bereits zum zehntenmal stattgefunden.

Dettenhausen ist eine räumlich ausgedehnte Gemeinde im Schönbuch, einem kleinen Naturpark südlich von Stuttgart. Sie hat zwei Museen, ein Freibad und einen erst stillgelegten, dann wiedereröffneten Bahnanschluß (nach Böblingen). Für das Navigationssystem im Auto sollte man sich notieren: Pfrondorfer Straße. Denn im Ort weist nichts auf das Ereignis hin, und das Zentrum, das Vereinsheim des VfL Dettenhausen, kennen wohl nur die örtlichen Teilnehmer. Ich habe mir die Veranstaltung eine Zeitlang angesehen.

Könnte sich also ein Dorf rühmen, daß da ein Spartathlon-Kämpe von vor 25 Jahren am Wegesrand stand und photographierte? Nicht im mindesten – Schnee von gestern. Das Dorf kann sich vielmehr dessen rühmen, daß ein Spartathlon-Finisher von 2008 und 2010 den Lauf gewonnen hat. Im vorigen Jahr war er beinahe ebenso gut, aber er kam mit seinem Sohn, und der hat gewonnen und hält mit 215 Kilometern den Streckenrekord. In diesem Jahr startete der Vater allein als Einzelläufer und legte 205 Kilometer zurück. Bei dieser Hitze! Das ist schon bemerkenswert.

Bemerkenswert ist auch der Ursprung des Laufes. Im Jahr 2002 spulte hier, auf einer Runde von 1,2 Kilometern, der Ultraläufer Joachim Hauser seine Runden bis zu 206 Kilometer in 24 Stunden ab. Joachim Hauser hat zwei Transeuropaläufe beendet. Von wegen Subkultur – wir sind integriert, und wir integrieren andere. Joachim Hauser ist seit vorigem Jahr dank einstimmiger Wahl Vorsitzender des VfL Dettenhausen.

Im Jahr 2005 ist der erste öffentliche 24-Stunden-Lauf in Dettenhausen veranstaltet worden. Mit ihm wollte man, wie es heißt, eine Plattform schaffen, um die gesamte Bevölkerung einzubeziehen: „Dettenhausen bewegt sich“, heißt das Motto. Der Zweck scheint erreicht zu sein, wenn man die Kinder, die niedrigen Kilometerzahlen vieler Einzelläufer und die große Zahl von Staffelläufern berücksichtigt. Bei der Jubiläumsveranstaltung 2014 ist mit 467 Läufern und Walkern der Teilnehmerrekord erzielt worden. Zwar ist eine ganze Anzahl Gemeldeter – vermutlich wegen der Hitze – nicht erschienen; aber immerhin waren 181 Einzelläufer und -Walker auf der Strecke, von denen allerdings nur ein kleiner Teil die 24 Stunden ausschöpfte.

Die 1,6 Kilometer lange Strecke war witzig strukturiert; auf Hinweistafeln las man: Am VfL-Tempodrom, Eckberg-Gerade, Monte Schützenhaus 437 m ü. M., Auf dem Holzweg, Im kalten Loch und Schinderbuckel. Die Anspielungen zeigen: Die flache Strecke ist ganz so flach auch wieder nicht. Die Rundenzählung geschieht nun elektronisch. Für die Nacht sind auf dem Weg am Waldrand Lampen aufgestellt und Leitungen verlegt; am Sportgelände sind Fackeln entzündet worden. Ich war zwar in der Nacht nicht dabei, aber ich kann mir vorstellen, daß die Nachtläufer ein magisches Erlebnis hatten.

Die höchste Kilometerzahl erzielte der 54jährige Ungar Janos Zahoran aus Békéscaba, der mit seinem Sohn Adam auch in früheren Jahren schon hier gewesen ist, mit 205,096 Kilometern; in diesem Jahr lief Adam Zahoran, der in Deutschland arbeitet und der LG Würzburg angehört, die 100 Kilometer in Husum und ist mit 7:09:03 Stunden prompt Deutscher Meister geworden. Also kann sich Dettenhausen auch rühmen, daß auf der Jubiläumsveranstaltung ein veritabler Deutscher Meister im 100-Kilometer-Straßenlauf in einer VfL-Mannschaft am Start war. Die beiden nächsten Plätze belegten der 53jährige Reinhold Lamp aus Schwendi mit 162,092 Kilometern und der 34 Jahre alte Harald Lange aus Bad Homburg mit 158,784 Kilometern; in der Frauenklasse siegten die 46jährige Sabine Engel aus München mit 178,632 Kilometern, der zweithöchsten Kilometerzahl, die ebenfalls 46jährige Brigitte Mollnar aus Ginsheim-Gustavsburg mit 167,054 Kilometern und die 40 Jahre alte Silke Nonnweiler aus Dudweiler mit 120,742 Kilometern. Am Mannschaftswettbewerb beteiligten sich immerhin 27 Mannschaften.

Die Wege zu Start und Ziel sind kurz. Man kann sein Zelt auf dem Sportgelände aufstellen, das Auto, wenn man rechtzeitig da ist, am Sportgelände parken, seine eigene Verpflegungsstation an der Strecke aufbauen, sich durch eine Dusche an der Strecke erfrischen und Angehörige in der Vereinsgaststätte – Verzeihung! – deponieren. Wenn man das Bild dieser Veranstaltung zusammenfassen will: Die Idee des Transeuropaläufers Joachim Hauser hat Früchte getragen.

Photos: Sonntag

Eintragung vom 15. Juli 14

Vielleicht sollte ich mich ja entschuldigen: Zum drittenmal schreibe ich in diesen Wochen über Fußball. Aber kann man denn nach dem Sonntag, dem 13. Juli, und der Jubelfeier in Berlin so einfach zur Tagesordnung und sei es zur Ordnung eines Tagebuches übergehen? 35 Millionen, so heißt es, haben das Spiel der Mannschaft von Deutschland gegen die von Argentinien im Fernsehen verfolgt, einschließlich Verlängerung. Auch ich, größtenteils jedenfalls. Ich mochte es nicht ertragen, daß möglicherweise 80 Millionen abzüglich Säuglinge und ein paar Demente einen Informationsvorsprung vor mir haben würden. Außerdem kann ja ein fußballdummer Mensch wie ich vor dem Bildschirm noch etwas lernen.

Gänzlich ungebildet bin ich nicht. Die Frage von Marianne „Macht ein Kopfball nicht dumm?“ konnte ich ohne weiteres mit „Ja“ beantworten. Deshalb muß man ja den Spielern viel Geld zahlen, damit sie später auch ohne Beruf auskömmlich leben können.

Freilich, zu scharfsinnigen Analysen wie die von Moderatoren, Fußballtrainern und fast 80 Millionen anderen Fachleuten bin ich nicht fähig. Allenfalls daß ich zustimmen kann, wenn mir einer der Genannten sagt, die Argentinier seien gefährlich.

Doch das ist gar nicht mein Thema. Ich habe am Sonntagabend wie immer die Fernsehnachrichten gesehen: Fußball… Danach erst kam’s: Am Samstag 60 Todesopfer im Gazastreifen, bisher wahrscheinlich zusammen 184, vor allem Zivilisten. Wieder ein Toter in der Ostukraine. Über den Bürgerkrieg in Syrien hat sich in meiner Zeitung vom Montag kein Wort gefunden – Gewöhnung an 180.000 Todesopfer und an 9 Millionen Menschen auf der Flucht? Afrikaner leben in Flüchtlingszelten, wenn sie denn überlebt haben. Was geschieht im Irak, was in Afghanistan?

Für uns hier alles halb so wichtig. Wir sind Weltmeister.

Nun ja, ich will nicht der ewige Miesepeter sein. Vielleicht wohnt dem Fußball wirklich eine integrative Kraft inne – bis zur nächsten Schlägerei im Stadion.

Vielleicht ist dies wirklich eine bemerkenswerte Mannschaft mit einem bemerkenswerten Trainer. Vielleicht haben wir sogar gelernt zu feiern. Da könnten wir uns womöglich für Laufveranstaltungen etwas abgucken.

Eintragung vom 8. Juli 14

Ich muß warnen: Diese Eintragung enthält Veränderungen auf dem Laufmedienmarkt, und ich kommentiere sie. Aber ich habe nicht recherchiert (außer im Internet). Anrufe schienen mir sinnlos zu sein, weil ich niemals die komplette Wahrheit erfahren würde. Niemand, der mit mir darüber spräche, könnte für die Öffentlichkeit mitteilen, wie sich alles wirklich verhalten hat. Wäre ich selbst in dieser Lage, würde ich mich genauso verhalten, verhalten müssen – mit Rücksicht auf die Betroffenen.

Fangen wir mit der deutschen Ausgabe von „Runner’s World“ an! Dort hat zu Jahresbeginn der Chefredakteur gewechselt. Es ist ein guter Wechsel. Erinnern wir uns an den Anfang: Thomas Steffens, seinerzeit "Redaktor" beim schweizerischen „Läufer“, der später in „Fit for Live“ aufgegangen ist, hat die deutsche Ausgabe von „Runner’s World“ auf die Beine gestellt. Es war von Anfang an eine deutsche Laufzeitschrift und nicht etwa die Blaupause der amerikanischen „Runner’s World“, in der einst der Ostküsten-„Runner“ aufgegangen war. Die deutsche Ausgabe von „Runner’s World“ schmückt sich gern mit dem Titel „größte Laufzeitschrift der Welt“. Wahrscheinlich ist das die amerikanische „Runner’s World“ wirklich, die deutsche Ausgabe aber ist es nicht.

Offenbar hat man in der Zentrale angestrebt, nicht nur den Titel „Runner’s World“ zu einer die Erdteile überspannenden Marke zu machen, sondern auch die Inhalte der elf nationalen Ausgaben dem amerikanischen Original anzugleichen. Dies jedoch kann man nur strukturell erreichen. Würden die nationalen Inhalte vernachlässigt, könnte dies unweigerlich Leser kosten. In diesem Konflikt zwischen Loyalität und eigenem Konzept ergab es sich, daß sich für Thomas Steffens beim Berlin-Marathon gerade eine Chance bot, „auf der anderen Seite“ tätig zu sein. Diese Chance hat er wahrgenommen.

Sein Nachfolger wurde Dr. Frank Hofmann. Er hatte seine journalistische Laufbahn beim Motorpresse-Verlag in Stuttgart begonnen, war Redakteur bei „Motorrad“, Ressortleiter Reise bei „Auto, Motor und Sport“, Ressortleiter Sport, Auto, Verkehr und Technik beim „Stern“, ging zu „Men’s Health““, wo er 1999 Chefredakteur und Herausgeber wurde, war Chefredakteur von „Men’s Car“, gründete „Best Life“ – und er lief. Im Jahr 2007 übernahm er die Chefredaktion der deutschen „Runner’s World“, die von München nach Hamburg umziehen mußte. Das Blatt wurde streng gestylt. RW sollte von der ersten bis zur letzten Seite dem Leser nützlich sein. Dem fiel auch meine Kolumne zum Opfer. Daher kann ich nicht objektiv sein. Ich möchte mein Urteil über die letzten sieben Jahre RW auf den Satz verkürzen: Fortan vermißte ich den Stallgeruch. Als Autor trat Frank Hofmann mit dem monatlichen Editorial und gelegentlichen Interviews in Erscheinung. Für den Chefredakteur einer Läuferzeitschrift scheint mir das zu wenig zu sein. Ich habe eigene negative Erfahrung: Ich habe einige Jahre lang eine Tauchsportzeitschrift redigiert – zwar mit der Kontrolle durch einen Tauchlehrer, aber ich weiß inzwischen, daß man bei einem Special Interest-Objekt vor allem ein eigenes Profil in seinem Special Interest-Gebiet haben sollte. Das läuferische Profil und der Kontakt zur Szene schienen mir bei Hofmann zu fehlen, wiewohl sich eine Marathon-Bestleistung von 3:01 gut anhört.

In Heft 1/2014 wurden wir durch die Mitteilung überrascht, daß Dr. Frank Hofmann „das Team gewechselt“ habe. Das war’s. Den Hintergrund las man anderswo. Dr. Hofmann hatte in der Zeit bei „Runner’s World“ das „spirituelle Laufen“ entdeckt; er war, verkürzt dargestellt, vom Freidenker zum aktiven Christen geworden (öfter passiert das ja wohl in der umgekehrten Richtung). Nachzulesen ist diese Christwerdung auf seiner Website „Spirituelles Laufen“. Über sein Buch dieses Inhalts, „Marathon zu Gott“ (2011) – seit Mai gibt es auch ein BoD-Buch „Spirituelles Laufen“ von Regina Tödter – , hätte man früher vielleicht bei „Runner’s World“ etwas erfahren können; doch Hofmann hat die Buchbesprechungen in der Print-Ausgabe abgeschafft. Jetzt also läuft Dr. Frank Hofmann für den evangelischen Verein „Andere Zeiten“.

Die Entscheidung des deutschen Franchise-Verlages, den bisherigen stellvertretenden Chefredakteur, Martin Grüning, der von Anfang an die Seele der deutschen RW- Ausgabe gewesen ist, zum Chefredakteur zu machen, findet meine volle Zustimmung. Tatsächlich ist das Blatt in dessen erstem halben Jahr als Chefredakteur nach meiner Meinung wieder „szenenäher“ geworden. Es ist vielleicht nicht mehr so ordentlich strukturiert, so windschlüpfig wie in der vorangegangenen Phase, aber es bietet einen besseren Querschnitt durch die unterschiedlichen Facetten des Laufens. Das hätte man wahrhaftig auch schon im Jahr 2007 haben können. Das jetzige Team mit dem Ausstattungsexperten Urs Weber, einer stellvertretenden Chefredakteurin, Britta Ost, und dem erfahrenen Claus Dahms, der die umfangreiche Website leitet, berechtigt zu der Erwartung, daß sich künftig hier auch die sehr lauferfahrenen Leser besser zu Hause fühlen werden als in den vergangenen Jahren.

Die zweite Nachricht ist im Grunde noch keine Nachricht: Der Markt der Laufzeitschriften verringert sich demnächst. Die Mediadaten von „Laufzeit“ sind für das Jahr 2014 erneuert worden; sie enthalten, ebenso wie der Themenplan, den Zeitschriftentitel „Laufzeit – Condition“. Eine Fusion, so scheint es. Die Praxis der Fusionen zeigt, daß dabei ein Partner die Oberhand bekommt oder der schwächere Partner sogar ganz untergeht. Erinnert sei daran, daß die „Condition“, die vermutlich älteste Laufzeitschrift zumindest in Europa, einmal „Sport Special“ zugeschlagen worden war. Das war den Lesern als eine Art nonplusultra der Entwicklung verkauft worden. Als sich die Vereinigten Fachverlage in Mainz des offenbar unrentablen Objektes, das sich auf „Condition“ reduziert hatte, entledigten, schwebte sie zunächst in der Luft. Der Herausgeber IGL entschloß sich, sie dem Meyer & Meyer Verlag zu übergeben. Der – ebenso wie der Spiridon-Verlag – wollte sie haben, und dort war sie schon zweimal gewesen. Mir schien mit dem dritten Wechsel zu M & M die Weiche gestellt. Ich hatte mir sogar vorstellen können, daß der Meyer & Meyer Verlag durch einen weiteren seiner zahlreichen Zukäufe oder seine Übernahmen die „Condition“ aufstocken würde. In den Mediadaten wurde die Auflage – wahrscheinlich die Druckauflage – mit 15.000 angegeben. Wie hoch die verbreitete Auflage ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich fürchte, daß sie um einiges unter der Druckauflage liegt. Der Bezug durch IGL- und DVLÄ-Mitglieder dürfte zu vernachlässigen sein.

Unklar ist mir immer gewesen, wer die „Condition“ mache. In den Mediadaten ist unter „Ansprechpartnern“ lediglich die für Marketing zuständige Mitarbeiterin angegeben. Die „Ansprechpartner“ auf der Verlags-Website nennen zwar vier Geschäftsführer des Verlages, aber nur zwei Redakteure. Der Verlag unterhält zur Zeit acht Zeitschriften. In den Mediadaten wird der Zusammenschluß mit der „Laufzeit“ noch nicht erwähnt, während die „Laufzeit“-Mediadaten die Auflage für 2014 auf 28.000 erhöht haben; die tatsächlich verbreitete Auflage wird mit kontrollierten 27.500 angegeben. Das ist auf dem Markt der Laufzeitschriften ein Wort, übertrifft die sechsmal jährlich erscheinende „Aktiv laufen“ und erreicht fast die Druckauflagenhöhe des jungen „Trail-Magazins“. „Runner’s World“ verkauft fast 50.000 Exemplare und ist damit die größte Laufzeitschrift in Deutschland. „Running“ hat laut Mediadaten eine Druckauflage von 40.000 bis 60.000. „Spiridon“ hält eine Nischenposition, aber unter Manfred Steffny eine durchaus gesicherte.

Wie das Heft „Laufzeit – Condition“ vom September 2014 an aussehen wird, müssen wir abwarten. Die Fragezeichen meines Textes werden dann wohl eine Antwort finden.

Eintragung vom 1. Juli 14

Am 12. Juli findet der 3. Herzog-Georg-Lauf statt. Wen interessiert das? Und überhaupt, wer ist Herzog Georg? Was hat er mit dem Laufen zu tun? Es ist ungewöhnlich, eine Laufveranstaltung mit einem aristokratischen Namen zu belegen; die Aristokratie ist schließlich in Deutschland seit 1918 nur noch Bestandteil einer Subkultur. Laufen als Alltagskultur jedoch hat erheblich später begonnen.

Läufer müssen Herzog Georg nicht kennen, andere schon, insbesondere Menschen, die mit Literatur und Kunst zu tun haben. Herzog Georg II. ist der „Theaterherzog“. Er war 48 Jahre lang der Regent eines der zahlreichen deutschen Mini-Länder. Sein Ländchen hieß Sachsen-Meiningen.

Meiningen wollte ich immer schon einmal kennenlernen. Seit Jahren verbinde ich die Teilnahme an einem Angebot des GutsMuths-Rennsteiglaufs mit einer Besichtigung oder einer Besichtigungsreise. Das fing in Eisenach an und erstreckte sich bis Weimar. Ein Ende ist nicht abzusehen; nicht selten tauchten Erinnerungen an meine Thüringen-Radfahrt in der jungen DDR auf. In diesem Jahr also Meiningen. Der Anlaß war der 100. Todestag des Herzogs Georg II.

Dass die Wiederkehr seines Todestags im Gegensatz zu biographischen Daten seiner Standesgenossen öffentlich begangen wird – in Meiningen gar mit Veranstaltungen, die sich durch das ganze Jahr ziehen –, hat seinen Grund. Georg II. war nicht nur ein umsichtiger und liberaler Regent, dessen Spuren in Meiningen allerorten zu entdecken sind; sein Name ist vor allem auch in die Theatergeschichte eingegangen. Wenn heute überregional von Meiningen die Rede ist, dann wegen seines Theaters und dessen künstlerischen Beiträgen in der Vergangenheit.

Noch bevor Georg II. nach dem Rücktritt seines Vaters, Bernhard II., 1866 die Regentschaft übernahm, hatte er auf das Hoftheater Einfluß genommen. Das war 1831 eröffnet und von jährlich wechselnden Theatergesellschaften bespielt worden. Eine solide, erstklassige Ausbildung, Jura- und Geschichtsstudium, Studium der Schönen Künste, Unterricht durch Hofmaler und Bühnenbildner, Reisen durch ganz Europa und Kontakte zu Künstlern, befähigte ihn dazu. Als Regent ließ er keinen Zweifel daran, daß sein persönliches Engagement dem Hoftheater gehörte. Dabei konzentrierte er sich ganz auf das Schauspiel. Ein festes Ensemble wurde gebildet. „Georg II. strebte eine Erneuerung der darstellenden Kunst an“, lesen wir in der Darstellung des Meininger Theaters. „Sein Hauptanliegen war, die philosophischen, dramaturgischen, dekorativen und schauspielerischen Elemente in seiner Arbeit zu einem Gesamtkunstwerk zu vereinen, wobei er großen Wert auf eine detailgetreue historische Ausstattung und eine wirklichkeitsgetreue Spielweise legte. Das Resultat waren aufsehenerregende Inszenierungen, mit denen die Meininger zwischen 1874 und 1890 durch ganz Europa reisten. So wurde das Meininger Theater zur Wiege des Naturalismus und des kritischen Realismus auf der Bühne und in der Bühnenliteratur.“ Ein Theaterbrand 1908 führte dazu, daß aus der Ruine ein völlig neues Theatergebäude in klassizistischem Stil entstand, das vor einigen Jahren restauriert und technisch modernisiert worden ist. Nach dem Untergang der deutschen Monarchie übernahm der Staat das Herzogliche Hoftheater. Meiningen, eine Residenzstädtchen von knapp 21.000 Einwohnern, wäre schwerlich dazu in der Lage gewesen. In Anbetracht der Rolle, die das Haus theatergeschichtlich gespielt hat, bleibt es von Schließungsplänen verschont. Es gehört zu den 13 historischen Theatern in Deutschland, die sich zu einer europäischen Gesellschaft – mit einer Woche der Historischen Theater im September – zusammengeschlossen haben.

Nun also ist wohl klar, daß Herzog Georg II. nicht irgend ein Kleinstaaten-Fürst war, sondern einer, der sich, wieder anders als seine Standesgenossen, nicht mit Kanonen, sondern durch künstlerische Verdienste in die Geschichte eingeschrieben hat. Sein 100. Todestag am 25. Juni ist daher mit einem Festakt, einer Kranzniederlegung und einem Festkonzert begangen worden. Wenn seiner in Meiningen so intensiv gedacht wird, warum nicht auch mit einer Laufveranstaltung? Zum drittenmal wird der Herzog-Georg-Lauf gestartet; eine Runde von 4 Kilometern vorwiegend durch den Schloßpark und den Englischen Garten ist dreimal zurückzulegen. In diesem Jahr ist der Lauf Bestandteil eines „Triathlons“, des „Meiningman“, von Wettbewerben, die an drei verschiedenen Terminen im Juli ausgetragen werden. Der Lauftag umfaßt Kinderläufe, einen Jedermann-Lauf und den Hauptlauf, der um 22 Uhr gestartet wird. Sicher, es ist kein Lauf, von dem Laufmagazine Notiz zu nehmen hätten; aber, so finde ich, es ist eine liebenswerte Form des Gedenkens.

Photos: Sonntag

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