Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 25. März 14

Ich wage mal die Behauptung (obwohl durch sie „Irgendwann mußt du nach Biel“ und „Sonntags Tagebuch“ ziemlich abgewertet werden): In keiner anderen Sportart wird soviel geschrieben wie im Laufsport. Ich habe den Eindruck, daß gerade Läufer eine hohe Affinität zum Schreiben über ihren Sport haben. Nicht nur der Büchermarkt ist im Hinblick auf Laufbücher nahezu unüberschaubar geworden. Zeitschriften und das Internet bieten jedem Verbreitungsmöglichkeiten. Eine Anzahl Autoren publiziert in Verlagen, die sich von ihren Autoren finanzieren lassen, oder bringt ihre Produkte in Eigenregie heraus und sei es mit dem Schreibtischdrucker.

So vielfältig die Verbreitung der Produkte auch ist, – so eindeutig ist die schreibtechnische Tendenz: Wenn man von Fachbüchern absieht, gehen die Autoren fast immer von ihren jeweils eigenen Erlebnissen aus. Nicht der soundsovielte New York City-Marathon wird geschildert, sondern wie XY den soundsovielten New York City-Marathon bewältigt hat. Auf diese Weise stellt sich nicht selten eine gewisse Gleichförmigkeit der Produkte ein, zumal wenn die Schreiber keine oder nur wenig Schreiberfahrung haben.

Es liegt auf der Hand, daß in Anbetracht des dicht besetzten Laufbuchmarktes ganze Bücher, die sich allein durch die Betrachtungsweise des Autors, nicht jedoch thematisch oder stilistisch unterscheiden, nur eine ziemlich eingeschränkte Verbreitung finden. Selbst wer seine Lauferlebnisse als Handfertigung verschenkt, stellt damit keineswegs sicher, daß dieser Ausdruck auch vom Beschenkten gelesen wird.

Aus der Fokussierung auf die Erlebniswelt des Lauf-Autors ergibt sich, daß im Grunde vor allem Prosa und Lyrik als Darstellungsweisen in Frage kommen. Aphorismen werden nach meiner Kenntnis wohl allein von einem einzigen Autor verfertigt. Das Angebot an Lyrik scheint heute verschwindend gering zu sein. Das wundert nicht. Die Gedichte, die von Laufzeitschriften abgedruckt worden sind, vermochten kaum, auch nur mittelmäßige literarische Ansprüche zu decken. Offenbar waren für den verantwortlichen Redakteur wohl Autor (Bezieher der Zeitschrift!) und Laufthema der einzige Grund, ein Lauf-Gedicht abzudrucken. Einem Prosatext übers Laufen kann man meistens ein Quentchen Information entnehmen, bei einem Gedicht hingegen fällt selbst dieses Lesemotiv weg. Auf diese Weise erklärt sich, daß der 1985 von Manfred Steffny herausgegebene Band „Lauf-Lyrik“ der einzige auf dem deutschsprachigen Markt geblieben ist (wer neugierig ist, – das bald dreißig Jahre alte Bändchen wird derzeit in 15 Exemplaren gebraucht angeboten).

Nun haben wir also 50 Jahre Laufbewegung und ungezählte belletristische Veröffentlichungen übers Laufen – aber alles in Prosa! Da gibt es doch außer der Lyrik und den Aphorismen noch etwas. Richtig, das Drama! Ist denn nicht jeder Laufwettbewerb, den wir leistungsorientiert bestreiten, ein persönliches Drama? Habe ich denn nicht von der „Katharsis“ im Ultramarathon gesprochen? Dennoch, ich kenne nur ein einziges Stück, das vom Laufen handelt und auch in Deutschland aufgeführt worden ist: „Marathon“, geschrieben von zwei Briten, Tony Dunham und Robert Sian. Das liegt solange zurück, daß die beiden den Eintritt in die digitale Welt nur minimal geschafft haben. Offenbar ist das Stück Anfang der achtziger Jahre entstanden. Beide Autoren sind vom Fach. Tony Dunham hat, so habe ich gelesen, 28 Theaterstücke geschrieben; seit 1989 lebt er als Autor, Regisseur und Schauspieler in Köln. Robert Sian hat 2012 bei „Marathon Five-0“ am Fakkelteater Zwarte Zaahl zu Antwerpen Regie geführt.

„Marathon“ – ein Titel, den man wenigstens nicht übersetzen muß – ist Anfang der neunziger Jahre von dem Sportjournalisten Michael Kunst ins Deutsche übertragen und von der „Comedia Colonia“ in Köln und in einigen kleinen Theatern in München und Frankfurt am Main aufgeführt worden. In Berlin ist es 2006 von Jirk Schwedon und Sascha Gluth unter der Regie von Jörg Steinberg gespielt worden. Von dieser Inszenierung werden Ausschnitte bei Youtube gezeigt.

„Marathon“ ist ein satirisches Zwei-Personen-Stück; zwei Läufer bereiten sich auf einen London-Marathon vor, der eine hoch engagiert, der andere widerwillig, er wird mitgezogen. Hintergründige Spannung gewinnt das Stück dadurch, daß der widerwillige Marathonläufer Robert dem ambitionierten Fred die Freundin ausspannt. Die Dialoge der beiden Läufer spielen sich beim gemeinsamen Training ab.

Ich habe die Läufer-Satire damals zweimal gesehen und war beim zweitenmal noch immer begeistert über das witzige Stück. Zum drittenmal konnte ich die Aufführung nicht besuchen. Obwohl die Zahl der Marathonläufe noch stieg und die Zahl der City-Marathon-Teilnehmer erheblich wuchs, scheint dieses einzige Läufer-Stück von den Bühnen verschwunden zu sein.

Beim Nachdenken ist mir jedoch ein kritischer Gedanke gekommen: So sehr die unterschiedlichen Charaktere der beiden Läufer Spannung und Witz erzeugen, für so unwahrscheinlich halte ich, daß Robert ein Läufer ist, und zwar einer, der sich auf den ersten Marathon vorbereitet. Mag es diesen Läufertyp auch geben, – wer jedoch, was bei einem Marathon-Novizen anzunehmen ist, seit zwei Jahren läuft, ist mit Begeisterung dabei. Anderenfalls, meine ich, würde er nicht mehr laufen. Die Zeit der Vorbereitung auf den ersten Marathon reicht, Gefallen am Laufen zu finden. Selbst wenn man dann wie Robert doch nicht zum Marathon starten will, ist man inzwischen zum Läufer geworden. Robert ist kein Couch-Potatoe mehr; der Gegensatz zum ambitionierten Fred schwindet. Damit jedoch löst sich auch der Handlungsbogen auf, und die Situationskomik ist völlig verblaßt.

Da kommen wir zum Kernproblem der Tatsache, daß Laufen kein Bühnenthema ist. Wir sind einander viel zu ähnlich, es gibt keine Gegensätze, an denen sich Komik und Witz entzünden könnten. Wir taugen einfach nicht zur Bühnendarstellung. Die Drehbühne, die es uns erlaubt, technisch präzise auf der Stelle zu laufen, liefert uns keine Handlung. Wenn wir „dichtend“ über Laufen schreiben, sind wir nach wie vor darauf angewiesen, in uns hinein zu horchen und das, was wir fühlen und erleben, anderen in Prosa mitzuteilen, allenfalls ein Gedicht zu verfassen oder einen Aphorismus zu ersinnen.

Eintragung vom 18. März 14

Die FC-Bayern-Fans und andere konnten es sich wohl zunächst nicht vorstellen: Ihr Verein ohne einen Präsidenten Uli Hoeneß. Dann, als Hoeneß die hinterzogene Steuersumme von 3 auf über 28 Millionen Euro schnellen ließ, kippte wohl die allgemeine Stimmung. Als jedoch Hoeneß entgegen der Erwartung die Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten annahm und von seinen Ämtern zurücktrat, lautete das öffentliche Urteil: Respekt! Bayern-Fans bekundeten ohnehin weiterhin ihre Solidarität mit Uli Hoeneß.

Ich selbst muß mich einer Meinung zu den bei dieser Gelegenheit gerühmten Verdiensten des bisherigen Bayern-Präsidenten enthalten, weil ich mich nicht mit Fußball befaßt habe. Mir geht vielmehr anderes durch den Kopf: Die 3 Millionen und auch nicht die 28 Millionen sind nicht das Vermögen des Fußballfunktionärs, sondern allein dessen Steuerschuld, wahrscheinlich die höchste, die vor einem deutschen Gericht verhandelt worden ist.

Kurz zuvor war es zu einem Steuer-Prozeß gegen einen anderen Prominenten gekommen. Der ehemalige langjährige Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, Dr. Theo Sommer, mußte sich wegen Steuerhinterziehung verantworten. Er hatte Einnahmen aus Honoraren im Ausland nicht angegeben. Seine Steuerschuld betrug für die Jahre 2005 bis 2011 knapp 650.000 Euro. Der Fall ging mir deshalb nahe, weil ich beruflich mit Theo Sommer zusammengearbeitet habe. Er war Lokalredakteur bei der „Rems-Zeitung“ in Schwäbisch Gmünd, als ich dort 1953, ebenfalls als Lokalredakteur, eintrat. Nachdem er – von 1958 an als politischer Redakteur – zur „Zeit“ gegangen war, hatte er mir die Mitarbeit, später sogar eine Redakteursstelle bei der „Zeit“ angeboten. Die Mitarbeit an einem der renommiertesten deutschen Presseorgane nahm ich liebend gern an; nach Hamburg zu gehen, widerstrebte mir jedoch. Von 1973 bis 1992 war Sommer Chefredakteur der „Zeit“, danach einige Jahre Mitherausgeber.

Aus der langjährigen Zusammenarbeit weiß ich: Sommer ist weder Krimineller noch Schmarotzer. Seine Einlassung vor Gericht, er habe sich nicht um seine Finanzen gekümmert und in der fraglichen Zeit unter anderem fünf Bücher geschrieben, halte ich für ehrlich. Allerdings hatte er, wie ich jetzt gelesen habe, bereits im Jahr 2000 wegen einer nicht versteuerten Einnahme von 10.000 Euro ein Bußgeld zahlen müssen. Die 650.000 Euro Steuerschuld muß er nun mit der Verurteilung zu einem Jahr und sieben Monaten Gefängnis büßen; die Freiheitsstrafe wird zur Bewährung auf drei Jahre ausgesetzt. Tragikomisch ist, daß schon unsere gemeinsame Verlegerin in Schwäbisch Gmünd 1956 wegen Steuerhinterziehung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war. Nach meiner Erinnerung konnte damals für eine solche Freiheitsstrafe keine Bewährungsfrist eingeräumt werden; die Verlegerin wurde von ihrem Hausarzt für haftunfähig erklärt, was sie allerdings bei der weiteren Leitung von Verlag und Druckerei wohl nicht behinderte.

So – Dr. Sommer also wegen 650.000 Euro zu einem Jahr und sieben Monaten sowie 20.000 Euro Geldstrafe verurteilt, Uli Hoeneß, der allerdings den Versuch der Selbstanzeige unternommen hat, dagegen zu drei Jahren und sechs Monaten – für eine Steuerschuld, die über 43 Mal höher als die Sommersche Schuld ist. Fürwahr, ein Urteil, das, auch wenn die Freiheitsstrafe nicht ausgesetzt werden kann, nicht anders als milde zu bezeichnen ist. Um auf eine Steuerschuld von 650.000 Euro zu kommen, muß man als Journalist ein beträchtliches Format haben und eine Menge leisten. Das ist bei dem im 84. Lebensjahr stehenden Dr. Sommer der Fall; seine Einnahmen sind wacker erschrieben worden, seine politische Kompetenz ist ehrlich erworben.

Uli Hoeneß ist von Beruf Fußballspieler, der nach zehn Jahren zum Fußball-Management übergegangen ist. Seine Einnahmen sind, so habe ich gelesen, zu einem Vermögen von 150 Millionen Euro, an anderer Stelle auch 200 Millionen Euro angewachsen. Gewiß, darin sind auch die Einnahmen aus den Gewinnen der Wurstfabrik Howe enthalten, die er 1985 zusammen mit einem Partner gegründet hat und von seinen beiden Kindern geleitet wird (Jahresausstoß im Jahr 2012: 10.000 Tonnen). Aber im Prinzip ist das Vermögen – Börsenzockerei hin oder her – dem Fußball zu danken. Dr. Sommer hat, um seine Steuerschuld zu begleichen, seine und die Altersversorgung seiner Frau einbringen und seine Ferienwohnung auf Sylt verkaufen müssen. Um den Lebensunterhalt von Uli Hoeneß muß man sich wohl keine Gedanken machen.

Wenn ich also die Voraussetzungen der beiden Steuerhinterziehungsfälle vergleiche – den von Alice Schwarzer könnte man auch noch heranziehen –, die Managementleistung des Fußballers und die intellektuelle wie gesellschaftliche Leistung des Schreibers, dann finde ich, daß der Fußball sozial und wirtschaftlich weit überbewertet ist. Wenn wir bei der Kategorie des Sportes bleiben, – beim Fußball wird vor allem der Marktwert entgolten; der ist unvergleichlich höher als selbst eine Spitzenleistung beim Marathon. So sehr der Laufsport auch an Öffentlichkeit gewonnen hat, – finanziell ist er, gemessen an Fußball oder Formel 1, unterbewertet. Der Fall Hoeneß ist Anlaß, dies wieder einmal festzuhalten.

Die antike Führungsmaxime „Brot und Spiele“ heißt heute wahrscheinlich: Minilohn und Fußball.

Eintragung vom 11. März 14

Am Vorabend der Eröffnung der Winter-Paralympics in Sotschi hat uns die ARD einen sehenswerten Film gezeigt: „Gold – Du kannst mehr als du denkst“.

 

„Gold“ signalisiert uns, daß es um Goldmedaillen im Hochleistungssport geht. Der Film porträtiert drei Behindertensportler der höchsten Leistungsklasse, den australischen Rennrollstuhlfahrer Kurt Fearnley, dessen Beine von Geburt an verkümmert sind, die deutsche Schwimmerin Kirsten Bruhn, die seit einem Motorradunfall im Alter von 21 Jahren querschnittsgelähmt ist, und den kenianischen Marathonläufer Henry Wanyoike, der im Alter von 19 Jahren über Nacht erblindete und Weltrekorde im 5000- und 10000-Meter-Lauf der Blinden errungen hat. Vielen nicht nur in der Laufszene ist er durch das von Bengt Pflughaupt mitverfaßte Buch „Mein langer Lauf ins Licht“ (2. Auflage, Herder-Verlag) bekannt. Das ZDF hat im vorigen Jahr ein Porträt von ihm gesendet.

Der Film der ARD weckt Emotionen, spekuliert aber nicht im mindesten auf unser Mitleid. Man muß nicht einmal selbst Sport treiben, um von der Dokumentation des Trainings von Behinderten gefesselt zu sein. Das Lebensmotto „Du kannst mehr als du denkst“ ist überzeugend in Handlung umgesetzt. Michael Hammon, der Regisseur, und sein Team haben dazu über ein Jahr lang in Schleswig-Holstein, Berlin, Australien, Kenia und London gedreht. Im vorigen Jahr ist der Film auf der 63. Berlinale vorgestellt worden; die Zuschauer, einschließlich des Bundespräsidenten, brachen am Schluß in Standing ovations aus. Ein reichliches Jahr, nachdem er in die Kinos gegangen war, hat ihn die ARD zur besten Sendezeit gezeigt.

Wir konnten das soziale Umfeld der drei behinderten Sportler erleben, ihre Rehabilitation und ihr Training. Aufnahmen von Rehabilitationsmaßnahmen bei anderen Behinderten demonstrieren ganz ohne Zeigefinger, welch weiten Weg die Spitzenathleten zurückgelegt haben. Kirsten Bruhn hat den Vorzug gehabt, daß ihr Vater Schwimmtrainer ist. Kurt Fearnley bewegt sich trainingshalber auf Händen durch crossähnliches Gelände. Aus der Läuferkarriere Wanyoikes, die nach der Betreuung durch die Christoffel-Blindenmission möglich war, wird auch jene einzigartige Schlüsselszene aus seinem ersten internationalen Wettkampf im Jahr 2000, den Paralympics in Sydney, wiedergegeben: Sein damaliger Begleiter konnte infolge einer Malaria-Erkrankung die Geschwindigkeit bei einem 5000-Meter-Lauf nicht mehr durchhalten; das führte dazu, daß Henry Wanyoike, der sich die Führung erkämpft hatte, ihn an dem 40 Zentimeter langen Führungsseil ins Ziel hinter sich herzog, geleitet von Richtungsangaben des Publikums. Er siegte mit 15:46 Minuten, wenige Sekunden über dem Weltrekord für Blinde.

Höhepunkt des Films sind die Wettkämpfe der Paralympics in London. Während Kirsten Bruhn und Kurt Fearnley tatsächlich Medaillen erringen konnten, mußte der 38jährige Heny Wanyoike wegen einer Verletzung im Marathon aufgeben; es war seine vierte Teilnahme an Paralympics und hätte sein erster Marathon dabei werden sollen. Auch daran zeigt sich, wie hart auch und gerade im Behindertensport Siege erkämpft werden müssen.

Ich habe den Eindruck gewonnen, daß bei den Paralympics noch der Geist des Sports, der einst die Olympischen Spiele ausgezeichnet hatte, lebendig ist.

Eintragung vom 4. März 14

Der Laufmarkt? Das Thema ist doch geklaut! Ja, das ist wahr. Die Wahrheit ist aber auch, daß ich längst schon auf den „Laufmarkt“ von Dr. Roland Döhrn eingehen wollte. Den letzten Anlaß hat eine Nachricht der German Road Races e.V. gegeben; am 28. Februar hat dieser Dienst der Interessensgemeinschaft der Straßenläufe den Februar-Newsletter von Roland Döhrn verbreitet. In ihm vergleicht der Herausgeber sein statistisches Ergebnis des Laufjahrs 2013 mit den gleichen Fakten des Jahres 2003. Die Bilanz eines Zehn-Jahr-Abschnitts in der doch relativ jungen Geschichte der Laufbewegung hat schon eine starke Aussagekraft.

Wie wäre es denn, wenn wir ganz von vorn begännen? Ich bin sicher, es gibt Leser, die mit dem Namen Döhrn nichts anfangen können und vielleicht auch die täglichen Nachrichten der German Road Races nicht oder nicht täglich anklicken. Roland Döhrn, Jahrgang 1954, ist Wirtschaftswissenschaftler, Diplom-Volkswirt, promoviert an der Ruhr-Universität Bochum, seit 2010 Honorarprofessor (Lehrstuhl Ökonometrie) an der Universität Duisburg-Essen und seit 1978 in unterschiedlichen Funktionen am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen tätig. Seine Themen sind nicht so, daß es einen Läufer unweigerlich vom Stuhl ziehen würde: Wachstum und Konjunktur, internationale Wirtschaftsbeziehungen, „sektorale Strukturanalysen“. Na ja. Doch gerade das, was in seinem Curriculum vitae nicht auftaucht, ist für uns außerordentlich wichtig. Im Jahr 2006 begann er, sich mit dem Laufmarkt zu befassen, einer Art wirtschaftlicher Grundlagenforschung. Das fängt mit einer ganz simplen Erfassung an: Wieviele Menschen in Deutschland laufen Marathon?

Die Frage ist nicht neu. Erstmals hat sich ihrer Günter Otte angenommen, der mit seiner Frau Brigitte alten Läufern als Photograph von Läufern bei Wettkämpfen (alles schwarzweiß!) in Erinnerung sein wird. Jahrelang hat er den „Marathon-Spiegel“ herausgegeben, in dem vor allem die jeweiligen Bestzeiten registriert sind. Den „Marathon-Spiegel“ gibt es noch immer, seit Jahren als Website. Der Trainer und Lauf-Versandhändler Peter Greif hat ebenfalls eine Marathon-Statistik angelegt, ebenso Herbert Steffny sowie Olaf Meißner (www.marathon-Ergebnis.de). Auch bei diesen Anbietern liegt das Schwergewicht auf der Erfassung der Bestzeiten. Professor Döhrn geht es im Gegensatz dazu darum, möglichst exakte Teilnehmerzahlen zu registrieren. Danach sind nach seiner Angabe über 95 Prozent der Teilnehmer an deutschen Marathons erfaßt, beim Halbmarathon ungefähr 90 Prozent der Teilnehmer, bei 10-Kilometer-Läufen entsprechend weniger. Alles in allem, so teilt er mit, dürften knapp 40 Prozent der erwachsenen Teilnehmer an Volksläufen in Deutschland bei ihm zahlenmäßig erfaßt sein. Die Ergebnisse des Jahres 2013 stehen wieder in einer Druckschrift, die im Februar erschienen ist.

Ein Vergleich der Zahlen mit den Angaben vor zehn Jahren, also dem Jahr 2003, zeigt einige ganz offensichtliche Tendenzen, die der Verfasser in seinem Newsletter vom Februar 2014 mit den folgenden Informationen wiedergibt: 2003 gab es gut 4.000 Teilnehmerinnen an Frauenläufen in Deutschland; im vorigen Jahr waren es 23.000, eine ziemlich große Dunkelziffer nicht mitgerechnet. Im Jahr 2003 nahmen schätzungsweise 2.700 Läufer an Firmenläufen teil, im vorigen Jahr waren es 170.000, die in der Datenbank von Läufermarkt erfaßt sind. Das Marktsegment sei jedoch inzwischen derart unübersichtlich, daß er, Roland Döhrn, kaum noch schätzen möge, wie viele in der Datenbank fehlten. Etwa 23.500 Läufer nahmen im vorigen Jahr an Hindernisläufen teil; diese Gattung habe es vor zehn Jahren noch gar nicht gegeben.

Beim Ultramarathon zählte Professor Döhrn für das Jahr 2003 etwa 3.300 Finisher – grundsätzlich zählt er immer nur Finisher und nicht Anmelder oder am Start Stehende. Im Jahr 2013 waren es 7.000 Teilnehmer an deutschen Ultramarathons. Man könne sicher sein, daß diese Zahl in diesem Jahr abermals steigen werde. „Der Rodgau-Marathon legte mit dem Teilnehmerrekord von fast 600 Finishern einen glänzenden Jahresauftakt hin. Die Ulmer Laufnacht – sie war 2013 abgesagt worden – findet wieder statt, am Südrand des Ruhrgebiets laufen die Vorbereitungen für einen neuen 100-km-Lauf, und noch mehr Marathonveranstalter dürften entdecken, daß der Ultramarathon eine gute Ergänzung zum Marathon ist.“

Das Resumee des Vergleichs: „Ein Viertel der in meiner Datenbank erfaßten Laufteilnehmer nahm 2013 an Wettkampftypen teil, die es 2003 entweder nicht gab oder gewissermaßen noch in den Kinderschuhen steckten. Das ist eigentlich der beste Beleg dafür, wie interessant und spannend es ist, sich mit der Laufszene als Markt zu befassen, wie ich es mit meinen Analysen tue.“

Hinzuzufügen ist: Wir haben es hier mit Daten zu tun, die unbedingt wissenschaftlichen Kriterien genügen. Sie belegen auch, welche Wirtschaftskraft die Laufbewegung generiert, wobei manche Faktoren, insbesondere die Marathon-Reisen mit Hotelübernachtungen und Verpflegung, überhaupt nicht erfaßbar sind.

Eintragung vom 25. Februar 14

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte, am 10. Dezember vorigen Jahres hat sie begonnen. Da habe ich mich über die mangelnde Verständlichkeit mancher Darsteller in Fernsehfilmen beklagt. Bestätigt wurde diese Kritik außer durch meine Frau von zwei Lesern, darunter einem Mediziner, der sich flugs an den Verband der HNO-Ärzte wandte und von dort die Nachricht bekam, das Problem sei bekannt.

Eine neue Wendung. Ein Leser teilte mit: „Das Problem mit der schlechten Verständlichkeit von Filmen liegt nicht an den Schauspielern, sondern an Ihrem modernen Fernseher. Die Lautsprecher sind nach hinten oder unten gerichtet und erfüllen ihren Zweck nur eingeschränkt. Mit entsprechender Suche findet man im Internet doch einige Betroffene und dazu auch Lösungsvorschläge, das Problem zu beseitigen.“ Nicht nur, daß der Leser weitere Zeugen in Anspruch nehmen kann, – er selbst ist auch, wie sich herausstellt, für das Problem hoch kompetent.

Ich kann ihm also vertrauen. Auch der Hinweis auf das moderne Fernsehgerät trifft auf mich zu. Es hat einen flachen Bildschirm und stammt von einem Produzenten, der die hochwertigsten (und teuersten) Geräte in Deutschland erzeugt.

Wäre das Problem also aufgeklärt? Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß die Ursache offenbar mehrdimensional ist. Gewiß doch, die Lautsprecher im Flachbildschirm sind nach hinten gerichtet. Aber ich habe dennoch die Übertragungen aus den Sportstätten und dem Studio in Sotschi einwandfrei verstanden. Der Sonntagabend war gewissermaßen ein Test-Fernsehabend. Da sahen wir, Marianne und ich, den ZDF-Film „Der Wagner-Clan“. Meine Frau versicherte, sie habe nur etwa ein Drittel der gesprochenen Texte akustisch verstanden. Das trifft auch auf mich zu. Wieder einmal zeigte sich, daß Fernsehfilmproduzenten an der Ausstattung nicht im mindesten sparen. Gespart wird jedoch an der Darbietung, der Verständlichkeit. Während heutzutage die Bühnenbilder im Theater zu äußerster Abstraktion tendieren (wahrscheinlich unter dem Zwang der Haushaltspläne), wird in der Darstellung ein plumper Naturalismus praktiziert. Dargestellt wird, wie wir im Alltag sprechen. Da kommt es fast immer allein auf Kommunikation an; jedoch wie immer wir uns im Alltag artikulieren, – wir werden von unseren Gesprächspartnern wohl zumeist verstanden. Was aber soll diese Art der Trivial-Kommunikation in der Bühnen- und der Filmdarstellung? Da wird gehaspelt und gehetzt, gemurmelt und verschluckt. Das wirkt ja alles ganz alltagsnah; doch der Inhalt des Sprechtextes geht völlig unter.

Auf den Spielfilm „Der Wagner-Clan“ folgte am Sonntag eine Dokumentation über die Familie Richard Wagner. Hier wiederum habe ich alles verstanden, und dies trotz nach hinten gerichteten Lautsprechern im Flachbildschirm. Da wurde ja auch nicht „dargestellt“, sondern mitgeteilt.

Nun regt sich in der Klage über die offenbar mangelhafte Sprecherziehung von Ausbildungsinstituten und die Nachlässigkeit oder gar Maniriertheit von Regisseuren die blanke Empörung. Dem Theater kann man fernbleiben, wenn einem die fehlende Sprechtechnik nicht paßt; aber dem Fernsehen? Mit Hilfe der Gebühren für jeden Haushalt sind wir Zwangskunden der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Als Kunden erheben wir unsere Stimme, vernehmlich und wohl artikuliert: Wir wollen akustisch bis zur letzten Silbe wahrnehmen können, was dargestellt wird. Schluß mit dem Genuschel!

Eintragung vom 18. Februar 14

Das Gebiet der Inka soll zuletzt größer gewesen sein als das des Römischen Reiches; es reichte vom heutigen Ecuador bis in die Gebiete von Argentinien. Weit mehr als in den vorangegangenen indigenen Kulturen war der Staat durchorganisiert. Einen Überblick vermittelt die Ausstellung „Inka – Könige der Anden“ im Stuttgarter Linden-Museum. Sie ist in diesem völkerkundlichen Museum, das nach dem Initiator, Graf Linden, benannt ist, bis zum 16. März zu sehen. Danach wird sie vom 11. April bis zum 23. November im Ausstellungszentrum Lokschuppen Rosenheim gezeigt.

 

Weshalb schreibe ich an dieser Stelle darüber? Was haben die Inkas mit dem Laufen zu tun? In der Zeit der Inka-Herrschaft vom 13. bis zum 16. Jahrhundert ist vom Pazifik bis hinauf in die Anden der größte Teil der 40.000 Kilometer Straßen angelegt worden, von denen noch heute etliche für den Viehtrieb benützt werden. Darauf ist ein organisatorisch hoch entwickeltes Stafettensystem praktiziert worden.

Vom Ozean bis in die Hauptstadt Cuzco, 3500 Meter hoch gelegen, und zu dem jeweiligen Aufenthaltsort des Inka-Herrschers verkehrten ständig Boten. Für sie waren entlang der Strecke Unterkünfte angelegt worden, an denen die eintreffenden Boten durch frische Boten abgelöst wurden. In der Regel war alle 30 Kilometer ein solches Rasthaus zu erwarten. Die Länge der Etappen richtete sich jedoch nach den topographischen Gegebenheiten; die schwierigsten Streckenabschnitte waren zum Beispiel für einen Boten nur 800 Meter lang. Anstiege führten immer in direkter Linie auf den Bergrücken; Serpentinen waren nicht bekannt. Mit Hilfe der Stafetten konnte die Anden-Strecke von 5200 Kilometern innerhalb von drei, höchstens fünf Tagen zurückgelegt werden. Daher war es möglich, nicht nur Nachrichten, sondern gelegentlich auch Fisch für die Tafel des Inka-Herrschers zu transportieren.

 

Die laufenden Fußboten, die Chasqui, waren deshalb notwendig, weil den Indios weder Pferd noch Wagen bekannt waren; die Lamas und verwandte Tierarten können in beschränktem Umfang nur Lasten transportieren, nicht jedoch Reiter. Jahrzehntelang hatte die Ethnologie die Ansicht vertreten, die Indios hätten keine Schrift gehabt. In den letzten dreißig Jahren ist diese Lehrmeinung großer Zurückhaltung gewichen. Es ist durchaus möglich, daß geometrische Figuren, die Tocapu-Muster in Textilien, kommunikative Bedeutung gehabt haben; wir wissen es nur nicht. Statistische Angaben wie Zahlen, zum Beispiel Mengenangaben von Ernten oder die Stärke von Feinden, sind in „Quipus“, Knotenschnüren, ausgedrückt worden. Diejenigen, die diese Knotenschnüre „lesen“ konnten und möglicherweise auch eine schriftähnliche Kommunikation beherrscht haben, sind jedoch sämtlich von den spanischen Konquistadoren umgebracht worden.

Bisweilen sind Nachrichten auch mündlich weitergegeben worden; in diesem Fall liefen der abzulösende Bote und der frische Bote solange gemeinsam, bis der neue Bote die mündliche Nachricht auswendig gelernt hatte. Wir wissen dies aus den Aufzeichnungen von spanischen Besatzern, die noch das Inka-Reich und sein Botensystem erlebt hatten. Die Boten rekrutierten sich aus jungen Männern des ganzen Inka-Reiches. Falsche Kommunikation oder die Nichterreichung des Ziels wurden mit dem Tode bestraft.

Indianische Knotenschnüre sind in einigen wenigen Museen, vor allem in Berlin sowie in München und Stuttgart, vorhanden; Beispiele sind in der jetzigen Ausstellung des Linden-Museums ausgestellt. Insbesondere das Stafettensystem und die Quipos haben mich in das Linden-Museum geführt. Freilich, ein solches Spezial-Interesse kann auf einer solchen Ausstellung nur sehr eingeschränkt bedient werden. Die Ausstellung „Inka – Könige der Anden“ vermittelt eine Gesamtschau aller indigenen Lebensgebiete. Als solche gilt die Ausstellung, für die auch Exponate aus Südamerika ausgeliehen worden sind, als hervorragend, wenn nicht sogar als eine der bisher umfassendsten Inka-Ausstellungen weltweit.

Verständlicherweise konnten Aktivitäten aus den Kulturen vor der Inka-Zeit nicht dargestellt werden. Es gibt jedoch kaum noch einen Zweifel daran, daß auch vordem das Laufen eine Rolle gespielt hat, sei es zur Nachrichtenübermittlung, sei es aus kultischen Gründen.

Als der Münchner Diplom-Ingenieur und Patentanwalt Dr. Georg von Breunig Ende der siebziger Jahre nach einem Südamerika-Aufenthalt in einer Piper über die Linien von Nazca flog, die noch immer Rätsel aufgeben, durchzuckte ihn die Idee, diese geometrischen Figuren, die über drei Dutzend Abbilder im Wüstensand und die scheinbar endlosen Linien bis zum Horizont – maximal 12 Kilometer lang - könnten Laufwettkämpfen gedient haben. Er begann, „Feldforschung“ im Sinne des Wortes zu treiben, indem er mutmaßliche Wendemarken vermaß und im Museumsmagazin in Lima Keramiken der Nazca-Kultur mit Läufermotiven entdeckte.

 

Von Breunig publizierte seine Hypothese in einer venezuelischen wissenschaftlichen Zeitschrift und wandte sich an die deutsche GEO-Redaktion. Diese rief bei mir an, dem schreibenden Marathon- und Ultramarathonläufer. Ich wurde nach Nazca (Peru) geschickt, damit ich dort durch eigene Anschauung Grundlagen recherchieren sollte. Der GEO-Autor Hoimar von Ditfurth wolle über das Laufen schreiben und eine Sendung machen. So geschah es; sein Beitrag „Warum der Mensch zum Renner wurde“ in GEO (Dezember 1981) ist noch heute lesenswert.

Wie ging es weiter? Der Erhaltung der Linien von Nazca, die erheblich bedroht gewesen sind, hat die Dresdener Mathematiklehrerin Maria Reiche (1903 – 1998) ihr Leben gewidmet. Ich lernte sie 1981 kennen. Sie war 1932 nach Peru gekommen, um als Hauslehrerin die Kinder des deutschen Konsuls zu erziehen. Nach Deutschland mochte sie wegen der Naziherrschaft nicht zurück. Sie schlug sich unter anderem mit anthropologischen Übersetzungen durch, bis sie den amerikanischen Bewässerungsspezialisten Professor Paul Kosok kennenlernte. Er interessierte sie für die Linien von Nazca. Kosok hatte vermutet, die Linien könnten einen astronomischen und kalendarischen Hintergrund haben.

 

Diese Annahme versuchte Maria Reiche Zeit ihres Lebens durch Messungen und Berechnungen zu erhärten. Von 1946 an lebte sie im Gebiet der Linien. Sie legte verwehte Spuren frei, versuchte, die Linien zu überwachen, entdeckte Figuren im Sand, ließ einen Stahlturm für Touristen errichten und hielt Vorträge. In ihren letzten Lebensjahren übernahm ihre jüngere Schwester, Dr. Renata Reiche, diese Arbeit. Zu einem wissenschaftlichen Ergebnis, das die Bedeutung der Linien hätte erklären können, hat diese Feldforschung nicht führen können. Aber Maria Reiche bewirkte, daß die Linien von Nazca, die schon durch die Panamericana zerschnitten worden waren und schließlich durch die Umsetzung von Bewässerungsplänen ganz zerstört worden wären, 1978 zur Schutzzone und 1994 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. In hohem Alter erhielt sie öffentliche Anerkennung, von fünf Universitäten die Ehrendoktorwürde, das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, peruanische Auszeichnungen und eine kleine Pension. Straßen und Schulen sind nach ihr benannt, ein kleines Museum ist eingerichtet.

Dr. Georg von Breunigs Hypothese von den Laufwettkämpfen in der Wüste ist wenigstens in die Veröffentlichungen über die Linien von Nazca eingegangen. Später, als er das physikalische Weltbild Einsteins wissenschaftlich in Zweifel zu ziehen begann, haftete ihm der Ruf einer schillernden Persönlichkeit an. Er ist im Alter von 78 Jahren gestorben, ebenso wie Jahre zuvor Professor Dr. Hoimar von Ditfurth.

In Dresden ist 1994 ein Verein Dr. Maria-Reiche gegründet worden, der ihr Andenken pflegt und sich vor allem mit den Linien von Nazca befaßt. Der Verein trägt damit dazu bei, die wissenschaftliche Arbeit über die Linien von Nazca lebendig zu halten.

Die Inka-Ausstellung in Stuttgart ist Anlaß, hier demnächst einen Kongreß der Inka-Forschung zu veranstalten. Er macht, ebenso wie die Literaturliste im Ausstellungskatalog, deutlich, wie sehr sich die Inka-Forschung in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat. Wir haben Anlaß, auch die Botenläufer des Stafettensystems als unsere läuferischen Ahnen anzusehen.

Photos (4): © Sonntag

Eintragung vom 11. Februar 14

Zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi und Umgebung fällt mir nichts mehr ein. Es ist ja alles gesagt: Ein Sportgelände gegen die Natur gebaut, Ausbeutung der Arbeiter, Enteignung von Anwohnern, die teuersten Spiele der Geschichte, ein Denkmal, das Putin für sich selbst errichten ließ, Korruption… Im Grunde ist das alles schon im Ansatz angelegt – dadurch, daß die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees bei der Vergabe nach politischen und wirtschaftlichen Gründen entscheiden. Nun wäre das ja eine Angelegenheit des IOC; doch die Finanzierung liegt nicht beim IOC, sondern bei dem jeweiligen Gastland.

Politisch entschieden wird im Zweifelsfall gegen die Bevölkerung. Denn niemand braucht die riesigen Anlagen. An den leeren Plätzen in Sotschi zeigt sich, daß selbst das Interesse an sportlichen Spitzenleistungen an seine Grenzen stößt. Das olympische Stadion in Athen verrottet vor sich hin; das „Vogelnest“ in China ist eine Sehenswürdigkeit, nichts sonst. Das olympische Stadion in München wäre längst ein Fußballstadion wie andere multifunktionale Stadien auch, wenn nicht der Neubau eines Fußballstadions durchgeboxt worden wäre. Im Prinzip ist es ein architektonisches Denkmal. Andere Beispiele für die ökonomische Verschwendung beim Bau olympischer Anlagen ließen sich wahrscheinlich leicht finden. Die – längst vergessene – Bewerbung von fünf Städten in der Bundesrepublik um die Kandidatur zu Olympischen Spielen kann man nur als ökonomischen Unfug bezeichnen.

Vor Jahrzehnten schon, als die Weichen zum Wirtschaftsunternehmen Olympische Spiele gestellt worden waren, habe ich mich gegen diese Form der Olympischen Spiele ausgesprochen, wenngleich ich damals ein ungutes Gefühl hatte: Wie kann ein Mensch, der Ausdauersport betreibt, gegen Olympische Spiele sein? Es war für mich überraschend, daß ich Gesinnungsgenossen fand. Ihrer werden wohl immer mehr. Nicht jeder, der die Fernsehübertragungen aus Sotschi wahrnimmt, ist ein Freund Olympischer Spiele.

Auch ich schalte das Fernsehgerät ein. Ich lehne es ab, Sportler zu boykottieren, wenn ich das IOC und das Gastgeberland meine. Ein Land, für das zum Beispiel der „Stern“ einmal Spenden gesammelt hat, leistet sich eine Veranstaltung für 40 oder 50 Milliarden Euro – so genau kennt man den Betrag ja nicht. Mag damit auch Geld verdient werden, – eine sinnvolle Investition ist es nicht.

Jetzt also haben die Berichterstatter das Wort und vor allem das Bild; jetzt also sitze ich vor dem Fernsehgerät und schaue mir eine Sportart wie Snowboarding an. Dabei wird mir wieder klar, daß Spitzensport und Breitensport entgegen einem beliebten Glaubenssatz nichts miteinander zu tun haben; wer das noch behauptet, hängt einer Illusion nach. Ich halte die Artistik, die uns beim Snowboarding gezeigt wird, für hochgefährlich. Wikipedia bestätigt: Die Verletzungsquote entspricht etwa vier bis sechs Verletzungen pro 1000 Personen am Tag; sie ist damit etwa doppelt so hoch wie die von Skiläufern. Olympisches Snowboarding ist die Formel 1 im Schnee. Jedoch kommt dort niemand auf die Idee, Amateure in die Boliden zu setzen. Das Snowboard ist eine Alternative zum Ski, und sie ist wahrscheinlich reizvoll für junge Menschen; aber die Artistik des Hochleistungssports, die Luftsprünge, Drehungen und Überschläge, eignet sich kaum als Muster für den Breitensport. Rennrodeln, wo kann man das als Breitensportler betreiben?

Wenn ich daran denke, daß schon der Marathon, dann der Ultralauf, der Berglauf und der Extremlauf in Medien als riskant eingestuft worden sind, kann ich mich über die kritiklose Akzeptanz halsbrecherischer Übungen am Berghang nur wundern. Ein Prozeß des Nachdenkens wird sicher noch kommen, aber wahrscheinlich erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen sein wird. Nachdenken erfordert manchmal eine lange Zeit; aber es wird kommen. Auch über Olympische Spiele ist schließlich nachgedacht worden – mit negativem Ergebnis, wie sich an der Befragung in Oberbayern gezeigt hat.

Verfolgen wir also die sportlichen Leistungen im Fernsehen, freuen wir uns mit den Siegern, teilen wir die Enttäuschung mit denjenigen, die nicht gesiegt haben; aber vergessen wir das Nachdenken nicht!

Eintragung vom 4. Februar 14

Je weiter das Jahr voranschreitet, desto mehr werden wir wahrscheinlich daran erinnert, daß es ein Jubiläumsjahr ist, wenngleich eines mit zwei traurigen Gedenktagen: Hundert Jahre ist es her, daß der Erste Weltkrieg ausbrach, fünfundsiebzig Jahre, daß mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg begann. Soviel dazu, was „der Mensch“ aus der Geschichte zu lernen bereit ist. Was hat das mit der Thematik dieses Tagebuchs zu tun?

Am 28. Juli, dem Jahrestag des Kriegsbeginns 1914, wird in Sarajevo, dem Ort, in dem die Ermordung des österreichischen Thronfolgers den Kriegsanlaß lieferte, eine Läufergruppe starten; ihr Ziel ist Aachen, die Stadt des internationalen Karlspreises für Verdienste um die Einigung Europas. Ein solcher Fernlauf ist, wie wir alle wissen, längst nicht mehr ungewöhnlich; aber die Botschaft ist es: ein Lauf für den Frieden, ein Lauf mit einer politischen Botschaft also. Im allgemeinen haben solche Fernläufe einen rein sportlichen Grund, nämlich weite Strecken zurückzulegen, einen ganzen Kontinent zu durchqueren, eine neue gigantische Herausforderung zu bestehen. Nicht selten finden solche Läufe zu Partnergemeinden statt. Wenn wir an den Spartathlon denken, ist auch der geschichtliche Hintergrund der Anlaß einer Laufveranstaltung. Der Mauerweglauf in Berlin, der von diesem Jahr an jährlich ausgetragen werden soll, erinnert uns daran, daß geschichtliche Erinnerung auch in eine politische Botschaft münden kann.

Der Lauf von Sarajevo nach Aachen transportiert primär eine solche politische Botschaft. Seine Website heißt: http://flameforpeace.de Die Flamme des Friedens soll im Gedenken an zwei Weltkriege auch durch Ländereien getragen werden, die erst in der jüngsten Vergangenheit unter blutigen Auseinandersetzungen, unter Krieg und Völkermord gelitten haben und noch längst nicht zur Ruhe gekommen sind.

Das Ziel in Aachen hängt mit der Person des Initiators zusammen. Heinz Jussen, 72 Jahre alt, ist Pädagoge und hat zuletzt die Abendrealschule in Aachen geleitet. In dieser Eigenschaft, als an seiner Schule Deutsch-Kurse für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien gegeben wurden, erlebte er bei der Begegnung mit einem jungen Bosnier, der seine Eltern in Tuzla in Bosnien verloren hatte, das Gefühl starker Betroffenheit. Spontan entschloß er sich, einen Hilfstransport nach Tuzla, das damals eingeschlossen war, zu organisieren. Aus dem Unternehmen wurden, wie er in einem Interview der „Aachener Zeitung“ erzählte, elf Hilfstransporte. Jeder führte in lebensbedrohliche Situationen. Heinz Jussen erlebte den Balkan-Krieg. Das motivierte ihn, in Aachen ein Friedenstheater-Festival, „Bina Mira“ (Bühne des Friedens), ins Leben zu rufen. Seine Absicht war vor allem, Jugendliche unterschiedlicher Völkerschaften in einem Projekt zur Zusammenarbeit zu bewegen.

Für dieses Jahr hat er einen Friedensstaffellauf geplant, bei dem eine Fackel über etwa 2700 Kilometer getragen wird. Die Kerngruppe werden 20 Läuferinnen und Läufer sein, von denen drei gemeinsam immer auf der Strecke sein werden. Gelaufen wird möglichst abseits der Straßen. Die Teilnehmer werden in einem Hotelbus nächtigen, der die gesamte Strecke zurücklegen wird. Die Breitenwirkung wird dadurch erreicht, daß alle interessierten Läufer aufgerufen sind, die Gruppe über eine oder mehrere Etappen zu begleiten. Voraussetzung ist, 10 Kilometer in einer Stunde laufen zu können und je Lauftag einen Beitrag von 20 € zu überweisen. Einzelheiten und das Anmeldeformular sind der Website zu entnehmen. Die Etappenorte sind je 30 bis 60 Kilometer voneinander entfernt.

Aus der Durchsicht der Unterlagen habe ich den Eindruck gewonnen, daß das Unternehmen professionell durchdacht und geplant ist. Öffentlichkeit wird durch Zeremonien in den 55 Städten bewirkt, in denen die Läufer Station machen. Hier ist Gelegenheit für einheimische Läufer, die Staffelläufer zum jeweiligen Veranstaltungsort zu begleiten. Am 21. September, dem Weltfriedenstag der UNO, wollen die Staffelläufer in Aachen ankommen. An diesem Tage beginnt das 6. Bina-Mira-Friedenstheaterfestival. Der Präsident des europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat die Schirmherrschaft übernommen. Mir ist es ein Bedürfnis beizutragen, den Friedensfackellauf bekannt zu machen. Die Veranstaltung verdient es, zu einer Läuferdemonstration zu werden.

Eintragung vom 28. Januar 14

Damals stand ich mit meinem Thema ziemlich allein. Jetzt hingegen haben sich die „Welt“, „Bild“, die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten, die DLV-Website Laufen.de und werweißnochwer damit beschäftigt. Das Thema: Marathon-Training für Arbeitslose. Vor sechzehn Jahren, im April 1998, machte ich in meiner damaligen Kolumne in „Runner’s World“ einen Vorschlag. Das Thema war „Leistungssport im Alter“; weshalb starten alte Menschen bei Wettkämpfen? Meine Antwort war: Solche Wettkämpfe seien eine psychophysische Herausforderung; der psychische Anteil sei für uns Ältere vielleicht noch höher als der physische. „Deshalb ist es ein Staatsverbrechen“, schrieb ich, „fünf Millionen Arbeitslose (Anmerkung: So viele waren es damals) sich selbst zu überlassen und zu meinen, die Alimentierung durch das soziale Netz genüge. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er gewinnt seinen Lebenssinn durch Aktivität. Lieber sollte man Beschäftigungslose fürs Arbeitslosengeld einen Oder-Deich bauen lassen. (…) Man sollte Arbeitslose Marathon laufen lassen (Marathon ist hier selbstverständlich nur eine Chiffre); das stärkt zwar nicht die Brieftasche, wohl aber das Lebensgefühl. Doch diese Gedanken müssen verfetteten Hirnen abstrus erscheinen.“

So war es wohl auch, und dies leider auch bei vermutlich nicht verfetteten Hirnen. Ein Leser beschimpfte mich in einem Brief an die Redaktion: „Mein lieber Mann, was Ihr Kolumnist Sonntag da losläßt, liest sich auf den ersten Blick wie eine sektiererische Verhohnepipelung von Millionen Menschen, die ohne Arbeit sind.“ Mein Vorschlag würde ja wohl das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen. Nein, tut es nicht; die Alimentierung bewirkt dies aber auch nicht. Es ging mir um den Ansatz, eine der größten psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit zu mildern.

Ein Zeitsprung zum Januar 2014: Der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Ulrich Walwel, hat angeregt, daß Hartz-IV-Bezieher zum Beispiel für einen Marathon trainieren könnten. Das bei ihnen oft angeschlagene Selbstvertrauen könne durch „soziale Aktivierung“ wiederaufgebaut werden. Es sei ein Modell, das schon in den Niederlanden praktiziert werde. Walwel ist für sein Statement nicht nur nicht beschimpft worden, sondern hat von Experten Zustimmung bekommen. Thomas Drabinski (Universität Kiel) erklärt: „Körperliche Fitness stärkt das Selbstbewußtsein. Arbeitslose für sportliche Aktivitäten zu motivieren, hilft, wieder fit für den Arbeitsmarkt zu werden. Dazu gehört zum Beispiel auch Lauf-Training für einen Marathon.“ Auch der SPD-Gesundheitsexperte Edgar Franke sieht darin ein „gutes Angebot für Langzeitarbeitslose“. Die Sprecherin der Gesetzlichen Krankenversicherung, Ann Marini, sagte: „Die körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit von Arbeitslosen ist für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt enorm wichtig.“ Arbeitslose sollten durch die Kooperation (von Gesetzlicher Krankenversicherung und Bundesagentur für Arbeit) motiviert werden, an gesundheitsfördernden Maßnahmen wie etwa Bewegungs- oder Streßbewältigungskursen teilzunehmen.

An diese Diskussion hat sich am 19. Januar die DLV-Website Laufen.de angehängt. Der Trainer Andreas Butz hat flugs sechs Gründe für das leistungsorientierte Lauftraining von Arbeitslosen artikuliert: Laufen gebe dem Tag Struktur, es bringe Arbeitslose in Form, sei wertvoll für die Psyche, befreie sie aus der Isolation, schließe eine Lücke im Lebenslauf und sei, materiell gesehen, günstig. Er hat von Lesern Zuspruch erhalten.

An der Diskussion und der Zustimmung – bis auf die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten – ist zu erkennen, daß eine Entwicklung stattgefunden hat: Marathon wird nicht nur toleriert – was im Hinblick auf die Verunglimpfungen des Marathons, zuletzt durch die AOK 1993, schon einmal ein Fortschritt ist –, sondern auch sogar als Element der Lebensgestaltung und des sozialen Lebens anerkannt.

Eintragung vom 21. Januar 14

Sicher, es wäre auch einfacher und billiger gegangen, aber ob das Ergebnis so überzeugt hätte? Die Bieler Lauftage haben ein Unternehmen für Marktforschung beauftragt, zu einer Anzahl Fragen die Meinung der Teilnehmer des Jahres 2013 zu erkunden. Nach 54 Jahren einer Veranstaltung mag das erlaubt sein, auch wenn das durch Startgebühren und Sponsorenbeiträge finanziert wird. Es geht um den Kurs in den kommenden Jahren.

Aussagekräftig ist die Studie: Von den 1594 Aufgeforderten haben 60 Prozent die Fragen beantwortet. 63 Prozent davon haben am 100 Kilometer-Lauf, 28 Prozent am Marathon- oder Halbmarathonlauf und 8 Prozent am Erlebnislauf oder an anderen Kategorien teilgenommen; 1 Prozent war als Betreuer unterwegs. Etwa 4 von 10 waren erstmals bei den Bieler Lauftagen; das stützt die Angabe des Veranstalters, daß jährlich ein Drittel der Bieler 100-km-Teilnehmer zum erstenmal die 100 Kilometer laufe. Im Einzelnen: 38 Prozent gaben an, das erstemal in Biel zu starten; das kann freilich auch bedeuten, daß zumindest ein Teil schon woanders 100 Kilometer gelaufen ist. Da Biel jedoch ein typischer Einsteigerlauf ist, dürfte dieser Teil nach meiner Einschätzung jedoch sehr gering sein. 42 Prozent der Befragten sind schon in früheren Jahren den 100-Kilometer-Lauf in Biel gelaufen, 19 Prozent den Marathon oder den Halbmarathon, 7 Prozent den Erlebnislauf oder eine andere Kategorie; 3 Prozent waren als Betreuer in Biel.

Das Gesamt-Ergebnis ist überwältigend, wenn auch nicht überraschend: 95 Prozent bewerten die Bieler Lauftage als sehr gut (51 Prozent) oder gut (44 Prozent) und nur 4 Prozent als genügend. Ungenügend bis sehr schlecht fand keiner der Befragten die Veranstaltung.

Der Informationskanal ist eindeutig definiert: 77 Prozent bevorzugen das Internet. Davon halten 50 Prozent die Veranstalter-Website für sehr wichtig und 21 Prozent für wichtig. Für 57 Prozent sind die Ausschreibungen sehr wichtig oder wichtig; es folgen Freunde und Bekannte mit 53 Prozent. Laufführer sind für 39 Prozent eine sehr wichtige oder wichtige Informationsquelle über Veranstaltungen. Der Datasport-Newsletter (Internet-Rundbrief der von den Bieler Lauftagen engagierten Anmelde- und Ergebnis-Agentur) hat einen sehr wichtigen oder wichtigen Informationsanteil von 36 Prozent, der Newsletter von 39 Prozent, Social Media wie Facebook, Twitter etc. von 22 Prozent. Zeitungsartikel werden von 31 Prozent als sehr wichtig oder wichtig angesehen, Swiss Runner’s Magazin von 27 Prozent. Flyer spielen für 27 Prozent eine sehr wichtige oder wichtige Rolle, Plakate für 19 Prozent, Fernsehen und Radio für je 15 Prozent. Inserate – der Herausgeber dieses Magazins wird es mit Ingrimm vernehmen – bringen es auf 18 Prozent.

Zwei Drittel der Befragten haben im Vorfeld der Veranstaltung Informationen über die Bieler Lauftage 2013 der Website entnommen, 53 Prozent den Ausschreibungen. Für 50 Prozent waren Freunde und Bekannte die Quelle, der Datasport-Newsletter für 30 Prozent, ein Laufguide für 26 Prozent. Es folgen der Newsletter mit 24 Prozent, Swiss Runner’s Magazin mit 23 Prozent, Inserate und Plakate mit je 15 Prozent, Social Media mit 13 Prozent, Webseiten von Partnerveranstaltungen 9 Prozent.

Etwa ein Drittel der Befragten ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Biel gereist, 45 Prozent mit dem eigenen Auto, 1 Prozent mit dem Fahrrad, 3 Prozent mit dem Flugzeug.

Zur Veranstaltung: Die Frage lautete „Wie bewerten Sie gesamthaft betrachtet die Bieler Lauftage 2013 hinsichtlich…“ 81,1 Prozent halten die „Signalisation/Wegleitung“ (Startnummerausgabe, Startbereich) für sehr gut oder gut, ebenso 83,3 Prozent die Einrichtungen beim Startbereich, 83,9 Prozent die Organisation am Start. Die Streckenführung wird von 90,5 Prozent als sehr gut (55,2) oder gut (35,3) beurteilt, die Streckensicherung von 86,6, die Verpflegung/Getränke von 85,9, die Organisation/Gestaltung des Zielbereichs von 80,2, die Einrichtungen im Zielbereich von 77,1 Prozent, jeweils sehr gut oder gut. Die Festwirtschaft steht mit 72,1 Prozent an letzter Stelle. Mein persönlicher Kommentar: Der Prozentsatz klingt zwar auch noch gut, wenngleich mit 688 Antworten zurückhaltend bewertet; aber ich halte die Festwirtschaft für verbesserungsfähig. Das Angebot hier ist schlicht und teuer.

Die hohe Nutzung der Website des Veranstalters wird durch diese Zahlen erhärtet: 40 Prozent besuchten sie mehr als 10 Mal, 27 Prozent 6 – 10 Mal, 28 Prozent 2 – 5 Mal. „Bei einem Großteil der Teilnehmenden differenziert sich die Webseite nicht von anderen Webseiten. Gesamthaft wird die Webseite jedoch eher als besser empfunden. Leichtes Optimierungspotential: Suchfunktion und Übersichtlichkeit.“ So fassen die Marktforscher das Befragungsergebnis zusammen.

75 Prozent haben die Ausschreibung der Bieler Lauftage im Internet wahrgenommen, 49 Prozent haben diese über die Postzusendung erhalten und 16 Prozent bei Freunden und Bekannten bekommen oder gesehen. Das Design (Attraktivität) wird von 85,2 Prozent als sehr gut oder gut empfunden. Die Verständlichkeit wird mit 86,7 Prozent als sehr gut oder gut bewertet, die Übersichtlichkeit von 82,5, die Vollständigkeit der zu diesem Zeitpunkt benötigten Informationen von 80,7 Prozent. Gesamthaft betrachtet, finden 21,5 Prozent die Ausschreibung sehr gut, 64,3 Prozent gut, 11,4 Prozent genügend; 2,7 Prozent ungenügend, schlecht oder sehr schlecht.

Unter den Sponsoren hat die schweizerische Post mit 61 Prozent Nennungen den höchsten Aufmerksamkeitswert erzielt, Brooks steht mit 36 Prozent auf dem zweiten Platz. Die Post nimmt auch bei anderen Fragen nach Sponsoren den obersten Platz ein.

Wie setzen sich die Teilnehmer im Jahr 2013 zusammen? 22 Prozent, der höchste Anteil, haben in den letzten 12 Monaten an 3 – 4 Laufveranstaltungen teilgenommen, 18 Prozent an mehr als 10, 17 Prozent an 7 – 8, 16 Prozent an 1 Veranstaltung. Das Preis/Leistungsverhältnis wird überwiegend als gut (44 Prozent) und sehr gut (19 Prozent) bezeichnet. Sehr schlecht finden es 1 Prozent, schlecht 2 Prozent. Im Vergleich zu anderen Laufveranstaltungen meinen 52 Prozent, das Preis/Leistungsverhältnis in Biel sei gleich gut, 30 Prozent halten es für besser.

Etwa 6 von 10 Teilnehmern möchten wieder in Biel starten, nämlich 56 Prozent als Läufer, 2 Prozent als Erlebnisläufer und 1 Prozent als Betreuer. 8 Prozent wollen nicht wieder nach Biel kommen, 34 Prozent wissen es noch nicht.

Erstaunlich ist, daß 87 Prozent der Befragten Lust hätten, die Bieler Lauftage einmal als Helfer zu erleben.

Angesichts dieses Umfrageergebnisses könnten sich die Verantwortlichen in Biel, voran Jakob Etter, befriedigt zurücklehnen. Ich habe den Eindruck, sie werden es nicht tun.

Eintragung vom 14. Januar 14

Marianne stand hinter dem Vorhang und wunderte sich. Eben hatte ich auf dem Gehweg die Redakteurin verabschiedet und war ins Haus gegangen, und schon eilte ich auf den Gehweg zurück, schritt auf die Redakteurin zu, drückte ihr die Hand, sagte „Dankeschön“ und begab mich wieder ins Haus. Und zum drittenmal dieselbe Zeremonie. Marianne wunderte sich. Aber Fernsehen ist so.

Wenn man früher ein Buch veröffentlicht hatte, war die Arbeit getan. Der Autor konnte warten, bis ihm der Verlag, wenn er Glück hatte, Belege von Rezensionen zuschickte. Das konnte lange dauern. Heute gehen der Streß des Schreibens und der Streß des Korrigierens und der letzten Durchsicht nahtlos in den Streß der Werbung durch den Autor über. Na ja, als Streß habe ich’s nicht empfunden, aber ich mußte aktiv sein. Im Grunde ist’s eine leichte Übung. Man muß im Prinzip nur auf Fragen antworten. Gut ist’s dennoch, den Überblick zu behalten.

 

Hätte ich jemals gedacht, daß meine Lauffrühzeit einmal ein Thema werden könnte? Die Redakteurin fragte mich gezielt nach den sechziger und siebziger Jahren. Sie mußte sich ganz bewußt in eine Zeit versetzen, die sie nicht erlebt hatte, eine Zeit, in der wir Läufer völlige Außenseiter waren. Die Zurufe… Welche? Das Zählen… Was haben wir geantwortet? Wie haben wir reagiert?

Das war eine erhellende Stunde für mich. Spätestens jetzt ist mir klar geworden, daß wir etabliert sind, daß Laufen eine Alltagserscheinung geworden ist. Sicher, das habe ich vorher gewußt; aber jetzt habe ich es auch gefühlt. Die geänderten Zeiten sind im Unterbewußtsein angekommen.

Lauf-Anekdoten? Tja, eine habe ich jetzt produziert. Mitten im Satz brach ich ab. Ich fühlte um den Bauch herum eine Leere; meine Trainingshose war gerutscht und drohte, auf die Knöchel zu sinken. Offenbar hatte ich die Schleife des Gürtelbandes zu locker gebunden. Die Redakteurin verzichtete, obwohl beruflich dazu gehalten, dankenswerterweise auf gänzliche Enthüllungen.

Anderntags kommentierte eine Nachbarin bei meiner Frau den Fernsehbesuch damit: Ich sei ja wohl einer derjenigen, die dafür gesorgt hätten, daß es so viele Laufverrückte gebe. Vielleicht hatte sie auch hinter der Gardine gestanden; auf eine Beleidigung war sie jedoch nicht aus – sie läuft ebenfalls, wenn sie auch als Gesundheitsläuferin nicht so „laufverrückt“ ist, wie ich es jahrzehntelang gewesen bin.

Eintragung vom 7. Januar 14

Der Deutsche Olympische Sportbund – an die erweiterte Bezeichnung muß ich mich noch immer gewöhnen – hat, wie er am 4. Januar mitgeteilt hat, eine Expertise zum Thema Medikamentenmißbrauch im Breiten- und Freizeitsport vorgelegt. Das geschieht nicht von ungefähr, sondern folgt offensichtlich einem vor Jahren schon begonnenen Konzept. Die letzte Initiative war ein Expertengespräch am 17. September 2012, das die Grundlage der jetzigen Expertise bildet.

Damals ist Wert auf die begriffliche Klärung gelegt worden: Doping ist ein Verstoß gegen sportliche Regeln und wird bestraft; Medikamentenmißbrauch ist nicht strafbar und im Freizeitsport weit verbreitet. Nach der jetzt vorliegenden Expertise zeigen Untersuchungen, „daß fast die Hälfte aller Ausdauersportler (Marathonläufer etc.) vor wichtigen Laufveranstaltungen zu Schmerzmitteln greifen“. Dieser Prozentsatz erscheint mir zwar sehr hoch gegriffen, wenn ich daran denke, daß dies zu keiner Zeit ein Gesprächsthema auf Laufreisen, in der Garderobe oder am Start gewesen ist, sollte aber auf jeden Fall Anlaß zum Nachdenken geben. Mehrere Studien geben den Anteil von Anabolika-Nutzern in Fitness-Studios zwischen 13 und 16 Prozent an. Wenn man von mehr als sieben Millionen registrierten Fitness-Studio-Besuchern ausgeht, kommt man auf mehrere hunderttausend User. Dagegen wären 50.000 Marathonläufer eine Minderheit.

Dennoch, es ist Zeit zu handeln. Ich halte es für völlig intolerabel, daß sich in den Startbeuteln des New York-Marathons die Probe eines Schmerzmittels befunden hat. Dies kommt nachgerade einer Aufforderung gleich und zeigt wohl auch, wie verbreitet der Schmerzmittel-Gebrauch in den USA, auch bei den Läufern, sein dürfte. Da die Marathone von New York und Berlin zu den „big five“ gehören, sollte es möglich sein, daß der Berlin-Marathon“, dessen Gesundheitsservice zu Recht gelobt wird, eine Initiative startet: Schmerzmittel haben im Läuferbeutel nichts zu suchen! In Anbetracht der hohen Startgebühr in New York dürfte auch kein wirtschaftlicher Druck bestehen, mit der pharmazeutischen Industrie zu kooperieren.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, der Allgemeine Deutsche Automobil-Club und der Deutsche Olympische Sportbund haben vor einiger Zeit ein Faltblatt mit „Tipps gegen Medikamentenmißbrauch in Alltag und Freizeit“ herausgegeben. Darin wird ausdrücklich gewarnt: „Nehmen Sie vor und während Belastungen im Ausdauerbereich wie beispielsweise Marathon keine Schmerz- oder Grippemedikamente ein. Nachhaltige Schäden sind zu befürchten. Machen Sie eine Sportpause, wenn Sie Antibiotika einnehmen.“ Mehr als 1,5 Millionen Menschen in Deutschland seien abhängig von Medikamenten.

Die jetzige Expertise des DOSB weist darauf hin, daß der Anteil der Nutzer, die ihre leistungssteigernden Medikamente über einen Arzt beziehen, bei rund 30 Prozent liege. Auch mir selbst ist es vor Jahrzehnten schon passiert, daß mir ein laufender Arzt ein Medikament verschrieb, das ich vor Wettkämpfen nehmen solle; nach meiner Erinnerung war es Diclophenac. Ich war so naiv, das Rezept in der Apotheke vorzulegen. Nachdem ich den Beipackzettel gelesen hatte, verzichtete ich auf die prophylaktische Einnahme. Ich gestehe: Genommen habe ich es später, als ich eine schmerzhafte Verletzung hatte.

Könnte man sich vom Deutschen Verband laufender Ärzte eine breitere Wirkung versprechen, wäre es eine Aufgabe des Verbandes, seine Mitglieder vor Rezepten ohne medizinische Notwendigkeit zu warnen. Sinnvoll wäre es, wenn die GRR, der deutsche Verband der Marathonveranstalter, in dieser Beziehung aktiv würde. Warum nicht sollten Marathonveranstalter in ihren Ausschreibungen vor der prophylaktischen Einnahme von Schmerzmitteln warnen? Warnungen bedeuten zwar noch keine Problemlösung, aber sie könnten das Problem in der Öffentlichkeit bewußt machen.

Nach meiner Ansicht wird die Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme vor Wettkämpfen durch die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel oder durch Substitution, zum Beispiel durch Eiweiß, geweckt und gefördert. Diese Mentalität, man könne, indem man etwas schluckt, seine Leistung verbessern, senkt die Schwelle zum Medikamentenmißbrauch.

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