Laufen, Schauen, Denken

Sonntags Tagebuch

Eintragung vom 27. Dezember 16

Friedrich Marquardt, der uns am 2. November verlassen mußte, ist der erste 24-Stunden-Läufer in der Bundesrepublik gewesen, nicht hingegen der erste deutsche Einzelläufer auf der 24-Stunden-Strecke. Diese Mitteilung habe ich auf meine Eintragung vom 22. November erhalten. Meiner Eintragung fehlte also der Hinweis, daß es bereits vor ihm deutsche Einzelläufer bei den 24 Stunden gab. Jedoch war Friedrich Marquardt der erste Deutsche, der in Mörlenbach gestartet ist und damit den Grund gelegt hat für die Ausbreitung des 24-Stunden-Laufs in der Bundesrepublik. Das ist mit der Verleihung der DUV-Ehrenmitgliedschaft gewürdigt worden.

Wer waren nun die anderen Deutschen, die 24 Stunden lang als Einzelläufer ihre Runden drehten? Matthias Holtermann, der mir auf meine einschlägige Eintragung geschrieben hat, kann Auskunft geben und sie mit Listen belegen. Danach sind bereits im Mai 1975 drei Deutsche als Einzelläufer bei den 24 Stunden von Le Mans (Frankreich) gestartet, nämlich Jochen Gossenberger aus Karlsruhe (Jahrgang 1937), mit immerhin 178,570 Kilometern - ein Verwandter Ernst van Aakens - , Eugen Hutmacher aus Dettenhausen im Schönbuch (Jahrgang 1915) mit 164,414 Kilometern und Alfred Panek (Jahrgang 1934) ebenfalls mit 164,414 Kilometern. Le Mans hatte bereits einen Ruf als Austragungsort von Motorsportrennen über 24 Stunden. Die 24-Stunden-Wettbewerbe mit Motorkraft sind also für Läufer kopiert worden – so wie anderswo Ausdauerwettbewerbe nach dem Vorbild von Pferderennen ausgetragen worden sind.

Im Jahr 1979, dem Jahr, als Friedrich Marquardt als erster deutscher Einzelläufer in Mörlenbach startete, liefen nicht nur wieder Gossenberger und Hutmacher in Niort (Frankreich) die 24 Stunden – am 24./25. November -, sondern auch Rudolf Kuntz aus Wetzlar (Jahrgang 1941) mit 203,800 Kilometern, Joseph Gruild (Jahrgang 1934) mit 137,400 Kilometern, Kurt Felle (Jahrgang 1941) mit 125,800 Kilometern, Helmut Breinig und Hans Portz (Jahrgang 1951) mit je 44,800 Kilometern.

Eine persönliche Erinnerung: Es war die Zeit, in der mein frankophiler Kollege Hans Blickensdörfer (1923 – 1997), Spezialist für Fußball und die Tour de France, Schriftsteller, Mitarbeiter von L’Equipe, mir vorhielt, die Franzosen seien zu klug, um solche Dinge zu machen wie ich, der ich zum 100-Kilometer-Lauf gefunden hatte; ihm war entgangen, daß es die Franzosen waren, die den 24-Stunden-Lauf für Einzelläufer geschaffen hatten.

Eintragung vom 20. Dezember 16

Der 24. Dezember ist ein Tag von besonderer Eigenart. Nein, das ist kein Predigtbeginn, sondern eine Definition. Der Tag hat den Charakter eines Feiertags, ohne einer zu sein. Die gesetzlichen Feiertage in Deutschland entstammen bis auf drei dem christlichen Kirchenjahr, das nach wie vor unseren Kalender prägt. Danach ist der Heilige Abend kein Feiertag; doch er hat sich dazu entwickelt.

Weihnachten, der Feiertag zur Geburt Jesu Christi, begann um Mitternacht. Daher sind die Messen nach katholischem Ritus ursprünglich um Mitternacht abgehalten worden. Eindrucksvoll hat einen solchen nächtlichen Kirchgang in der Steiermark Peter Rosegger (1843 – 1918) geschildert. Der Tag selbst war ein Arbeitstag wie jeder andere. In meiner Jugendzeit hatten die Geschäfte ganz normal bis zum Abend geöffnet.

Mehr und mehr sind die mitternächtlichen Christmessen vorgezogen worden, zuweilen auch zusätzlich – also: erst in die Kirche, danach Einbescherung. Die Geschäfte schlossen früher; der Tag des Heiligen Abends entsprach im Ablauf einem Samstag. Die Industrialisierung brachte es wohl mit sich, daß der Tag gänzlich für arbeitsfrei erklärt worden ist, sofern nicht im Schichtbetrieb gearbeitet wird.

Nun haben wir die Situation, daß eine Menge Arbeitnehmer am Heiligen Abend einen arbeitsfreien Tag hat. Womit verbringen sie den Tag? Mit dem Schmücken des Weihnachtsbaums? Die unausgefüllte Zeit hat in Haushalten mit klassischer Rollenverteilung dazu geführt, daß hierzulande viele Männer vormittags das Haus verlassen, sich mit Freunden zu einem lockeren Umtrunk treffen oder umgekehrt bei einem lockeren Umtrunk Bekanntschaften knüpfen.

Offenbar ist diese Situation – ein Tag mit einem Programm; das allein den Abend, den Heiligen Abend, ausfüllt – im Laufsport fast völlig unerkannt geblieben. Mag ja sein, daß viele an diesem Tage streßfrei ihr Trainingsläufchen machen. Aber von den Veranstaltern wird der Tag als Feiertag respektiert, obwohl er das gesetzlich nicht ist. Silvester hingegen, der Tag, an dem sich eine ähnliche Lage bietet, ist als Veranstaltungstag vereinnahmt worden. Vielleicht hat hier das Argument gezündet, das Laufjahr am letzten Tag des Jahres mit einem Laufwettbewerb abzuschließen; andere wiederum lockt es, das neue Jahr mit einem Laufwettbewerb ohne ernsthaften Anspruch zu beginnen. Da weder Silvester noch Neujahr eine religiöse Bedeutung hat, gibt es für Veranstalter kein inneres Hemmnis, den Tag für einen Wettbewerb zu nutzen, oder für Lauftreffs, eine Kompensation für ein Übermaß an Nahrungszufuhr zu bieten.

Religiöse Gründe gäbe es auch für den Heiligen Abend nicht; der Tag ist ja kein Feiertag; eine Pflicht, an diesem Tage einen Gottesdienst zu besuchen, besteht nicht, wenngleich die Kirchen zu keinem Zeitpunkt so gut gefüllt sind wie am Heiligen Abend. Ein gesetzlicher Feiertag ist der 24. Dezember auch nicht. Dennoch, der Heilige Abend ist nahezu laufveranstaltungsfrei.

 

Nahezu… In der Pfalz, in Hoppstädten-Weiersbach, im Ortsteil Neubrücke an der Nahe, wird zum fünfzehnten Mal ein Heiligabend-Marathon – Start um 8.15 Uhr morgens – veranstaltet, der Bärenfelslauf. Eine Strecke von etwa 8,5 Kilometern wird fünf Mal zurückgelegt. Zielschluß ist nach knapp sechs Stunden; einer, der fast sieben Stunden unterwegs war, ist aber auch gewertet worden. Der Bärenfelslauf ist der einzige DLV-genehmigte Volkslauf am 24. Dezember. Bei knapp 90 Finishern kann man es sich leisten, Nachmeldungen auch eine halbe Stunde vor dem Start noch anzunehmen.

Wie bin ich auf dieses Thema gekommen? Offenbar ist die weihnachtliche Zeitreserve für einen Marathon auch anderen aufgefallen. Michael Kiene, der jüngst seinen 500. Marathon gelaufen ist, hat für den 24. Dezember zum 1. Northeimer Heiligabend-Marathon eingeladen, einem eher intimen Ereignis – Teilnehmer-Limit: 24 Starter. Auch hier ist der Start früh genug, daß weder Christbaum-Schmücken noch Bescherung darunter leiden dürften. In diesem Sinne allerseits frohe Weihnachten!

Eintragung vom 13. Dezember 16

Es war ein Tag, an dem sich an die 60 Läufer versammelten – aber diesmal liefen sie nicht. Das ist in Zeil am Main, dem Ort, in dem seit dem Jahr 2004 der Waldmarathon gestartet wird, schon ziemlich ungewöhnlich. Der ungewöhnliche Anlaß: Hubert Karl, unter anderem Initiator des Zeiler Waldmarathons, stellte am 9. Dezember seinen Lauffreunden sein Buch vor, ein Buch; das an Hand seiner Laufbiographie als rotem Faden eine Lebens- und Gesundheitshilfe geben will. Der Titel sagt es: „Lebensprinzip Bewegung“ (eine Besprechung in LaufReport wird folgen). Da ich das Vorwort geschrieben habe, konnte ich Zeuge dieser Präsentation sein.

Da es ein sehr persönliches Buch ist, einige Worte über den Verfasser, dem ich unter anderem bei der Umrundung von Sylt und vor allem im Jahr 1992 beim Spartathlon begegnet bin. Neun Jahre zuvor war er von einem Fußballspieler, der Kondition erwerben wollte, zum Läufer geworden. Kaum daß er eine Stunde ununterbrochen laufen konnte, regte ihn im Oktober 1983 eine Reportage im ZDF über den ersten Spartathlon, jenen Lauf auf den Spuren des griechischen Boten Pheidippides von Athen nach Sparta, dazu an, selbst einmal diese Strecke zu bewältigen. Am Spartathlon teilzunehmen, bevor man auch nur den ersten Marathon gelaufen ist, –- das ist schon ungewöhnlich. 1992, im dritten Jahr nach dem ersten Ultralauf, war es soweit.

Für mich ebenfalls, jedoch im Gegenteil den ersten Abschied im Läuferleben zu nehmen. Ich erreichte zwar alle Kontrollpunkte in der vorgeschriebenen Durchlaufzeit, bummelte dann aber notgedrungen so sehr, daß ich in Sparta verspätet – zwanzig Minuten, vielleicht auch eine halbe Stunde später – bei der Leonidas-Statue eintraf. Ich wurde noch durch Sparta begleitet – das Bild, an das ich mich nicht erinnern konnte, ist in Hubert Karls Buch enthalten –, jedoch nicht mehr gewertet. Nach meinem dritten Spartathlon-Finish gab es keine Fortsetzung mehr. Hubert Karl hingegen legte mit 34:24 Stunden den Grundstein zu einer bisher einzigartigen Leistung; in diesem Jahr hat er zum zwanzigstenmal den Spartathlon beendet.

Diese quantitative Weltbestleistung ist nur das ungewöhnlichste Merkmal seiner Läuferbiographie. Das muß man lesen; Hubert Karl hat seine läuferischen Unternehmungen sehr übersichtlich dargestellt. Inzwischen ist er ein Laufprofi geworden – keiner, der es auf Bestleistungen bei anspruchsvollen Läufen abgesehen hätte, sondern einer, der immer die sozialen Beziehungen im Blick gehabt hat. Nach seiner Ausbildung als Lauftherapeut hat er aus seinem Wissen und seinen Erfahrungen einen Beruf gemacht. Das Buch ist die mentale Krönung seiner Laufbiographie. Es ist anzunehmen, daß Interessenten für seine Kurse, Seminare und Vorträge darin nachschlagen werden, was er denn so zu bieten habe. Die ersten Lesungen sind bereits terminiert.

Photo: Sonntag

Eintragung vom 6. Dezember 16

Die Uhren stehen still, man vernimmt schweren Atem. So wäre die Situation vor vielleicht zwanzig Jahren gewesen. Und heute? Die öffentlichen Kommentare zu der Nachricht, daß Olympische Spiele vorerst bis 2024 ohne ARD und ZDF stattfinden werden, klingen eher verhalten. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß uns die exakten Informationen fehlen. Wir wissen: Das Internationale Olympische Comitée hat in diesem Jahr dem US-amerikanischen Konzern Discovery Channel die Übertragungsrechte für die Zeit bis 2024 eingeräumt, macht 1,3 Milliarden Dollar. Der Konzern wollte dann bei den Sublizenzen für ARD und ZDF ordentlich zulangen und verlangte 150 Millionen Dollar, 50 Millionen mehr, als die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten zu geben bereit waren. Die Verhandlungen scheiterten, weil die Anstalten schon mit Rücksicht auf die Zwangs-Gebührenzahler ihr Angebot nicht erhöhen mochten.

Erstmals sind die deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die ja immerhin, wie sich in der Gebührenerhebung ausdrückt, der medialen Grundversorgung dienen sollen, ihrer Teilhabe an Olympischen Spielen beraubt. Ich vermute, auch nach dem Jahr 2024 werden sie es sein. Eurosport müßte schon eine sehr schlechte Qualität liefern, wenn sich eines fernen Tages an dem Wechsel etwas ändern sollte.

Wer also künftig in Deutschland Übertragungen von Olympischen Spielen in deutscher Sprache erleben möchte, muß den privaten Nischensender Eurosport auf dem Schirm haben. Ich gehöre zu denjenigen, für die das private Fernsehen gar nicht existent ist – aus dem konzeptionellen Grund, daß die Privatsender bemüht sein müssen, mit ihrer Programmgestaltung auf hohe Zuschauerquoten abzuzielen, und aus dem subjektiven Grund, daß ich die Werbeeinblendungen verabscheue. Diese grundsätzliche Haltung dürfte bisherige ARD- und ZDF-Sportzuschauer veranlassen, Eurosport allenfalls sehr dosiert in Anspruch zu nehmen.

Ich meine, daß das IOC mit seiner Medienpolitik einen Fehlgriff in eigener Sache getan hat, indem es dazu beigetragen hat, die deutschen Zuschauer von ARD- und ZDF-Olympiasendungen abzuwerben und damit in Kauf zu nehmen, daß ein Teil von ihnen womöglich ganz auf den Empfang von Olympia-Sendungen verzichtet. Hinzu kommt, daß sich dies in einer Zeit ereignet, in der Live-Sendungen ohnehin mit einer zeitlichen Differenz von acht Stunden und damit zu nachtschlafender Stunde ausgestrahlt werden.

Die Wettbewerbe der Olympischen Spiele sind darauf angelegt, sich mit den Sportlern seiner Nation zu identifizieren. Dieser Prozeß wird erschwert, vielleicht sogar verhindert, wenn die nationalen öffentlich-rechtlichen Anstalten, die das mediale Auftreten nationaler Sportler ermöglicht haben, ausgeschaltet sind. Ob Eurosport diese Verbindung pflegen kann, bleibt abzuwarten.

Vielleicht jedoch ist mein Kommentar völlig überflüssig, weil mit Olympischen Spielen ohnehin kein Zuschauer-Interesse mehr zu erwecken ist. Mit der Kommerzialisierung hat der Niedergang begonnen. Meine kritische Haltung, die ich schon vor Jahrzehnten geäußert habe, ist inzwischen, befördert durch die regelmäßigen Doping-Skandale, nahezu Allgemeingut geworden. Der gegenwärtige Status, der offenbar für die Mehrzahl der Deutschen gilt: Wenn schon Olympische Spiele, dann um Himmelswillen nicht in Deutschland. Olympische Spiele, die wie die nächsten vier nur eingeschränkt von medialem Interesse sind, vergrößern die Distanz.

Eintragung vom 29. November 16

Auf den Text über die Etablierung der 100 Meilen in Deutschland habe ich eine Zuschrift des Inhalts erhalten, ich hätte STUNT 100 vergessen. Ich habe zwar nicht den Anspruch auf eine vollständige Aufzählung der 100-Meilen-Läufe in Deutschland erhoben – dann hätte ich auch die 100 Meilen der Sri-Chinmoy-Bewegung erwähnen müssen – , aber ich bin für den Hinweis dankbar. Erst daraufhin habe ich die Website der Veranstaltung aufgerufen und schlage nun vor, es mir gleich zu tun.

Weshalb, obwohl sich die Seite an höchstens zwei Dutzend Läufer richtet? Ich habe mich gut unterhalten und denke, es wird anderen ebenso gehen.

Zunächst einmal: Das englisch-deutsche Wörterbuch braucht man nicht dazu; man muß sich nicht die in Frage kommende Bedeutung von „stunt“ heraussuchen. STUNT ist schlicht die Abkürzung von Sibbesser Tag und Nacht Trail. Wäret Ihr darauf gekommen? Sibbesse, ein Förderstützpunkt der DUV, liegt im Kreis Hildesheim. Wer mit dem Zug anreist, muß in Hildesheim ein Taxi nehmen. Damit ist schon angedeutet, daß Sibbesse nicht gerade ein Verkehrsknotenpunkt ist und die 100-Meilen-Strecke kein Schlängelpfad durch Hochhaus-Panoramen. Es sind vier verschiedene Runden, die gemeinsam haben, daß sie den Sportplatz berühren. Zusammen sind 4377 Höhenmeter zu überwinden. Das hat auch mich überrascht. Der Chef-Organisator Hans-Jürgen Köhler mahnt: „Unterschätze das Leine-Bergland nicht!“

Doch ich will hier nicht die Ausschreibung abschreiben. Das macht schon deshalb keinen Sinn, weil es sich um einen Einladungslauf handelt. Ich möchte vielmehr dazu auffordern, einen Teil der Ausschreibung zu lesen, auch wenn man noch nie 100 Meilen gelaufen ist und das auch nicht beabsichtigt. Der Teil unter „Tipps & Tricks“ heißt „Sinnloses…“

Darin hat Hansi Köhler einige Richtlinien gegeben, wen er in Sibbesse erwartet und wen nicht, zum Beispiel: „Wenn du nur die allergeringste Sorge hast, dich zu verlaufen, komm nicht. Wenn du eine Crew brauchst, komm nicht. Wenn du jemand bist, der herumjammert, komm nicht. – Anmerkung: Diese Kriterien sind geklaut vom amerikanischen 100-Meiler ,Wild Oak‘. Sie sprechen uns allerdings voll aus der Seele und deshalb möchten wir sie hier übernehmen.“

In den Zehn Geboten des STUNT 100 heißt es: „Du sollst nicht jammern. Du sollst nicht aufgeben. Du sollst nicht abkürzen. Du sollst nicht Beschwerde führen wegen des Wetters oder der Streckenmarkierung. Du sollst unter keinen Umständen einen Blog betreiben, solange du nicht willens bist, den STUNT bedingungslos zu bejubeln.“ Also ich bejuble den STUNT erst einmal. Ehrlich. wenn ich an meine Anfangszeit als Marathonläufer denke und die bedingungslose Unterordnung unter DLV-Regeln, tun mir die „geklauten Sinnlosigkeiten“ der STUNT-Ausschreibung richtig gut.

Schade, daß ich den STUNT nicht als Läufer kennenlernen konnte…

Eintragung vom 22. November 16

Der Ultramarathonlauf in Deutschland hat sich hoch entwickelt. Einen Grundstein dafür hat Harry A. Arndt gelegt. Anlaß, dies zu würdigen, ist sein achtzigster Geburtstag am 26. November 2016. Zu anderer Gelegenheit hat die LaufReport-Mitarbeiterin Elke Händel ein Porträt geschrieben, dem ich die folgenden Fakten entnehme.

  Ein selbstbestimmtes Leben konnte Harry Arndt erst von 1960 an führen. Aus einer unbeschwerten Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof bei Lodz, das damals zu 21 Prozent von Deutschen bewohnt war, hatte ihn der Krieg gerissen. Die Eltern waren enteignet worden. Mutter und Schwester waren in einem Arbeitslager in der Nähe. Die couragierte Mutter erreichte mit einem Schreiben, daß ihr Sohn eine polnische Schule besuchen konnte. 1949 durften Mutter und Sohn in die Sowjetische Besatzungszone ausreisen.

In Potsdam und Leipzig absolvierte Harry Arndt ein Lehramtsstudium. Als die Stasi seine Mitarbeit forderte, setzte er sich in die Bundesrepublik ab. Hier studierte er in München und Frankfurt a. M. Pädagogik, Chemie, Geographie und Sport. Die Staatsexamen legte er, wie ich bei Elke Händel lese, „mit Auszeichnung“ ab. In Frankfurt lernte er seine spätere Frau kennen.

Laufsport betrieb er zunächst des Ausgleichs wegen, erkannte aber bald die sozialintegrative Wirkung des Sports. An der Gebeschus-Schule in Hanau organisierte er eine freiwillige Sport-AG Laufen und gründete dann 1975 den späteren Schul-Sport-Club Hanau-Rodenbach, der sich mit zahlreichen Meistertiteln zu einem der erfolgreichsten Laufsportvereine entwickelte.

Zum Ultralauf fand Harry Arndt 1982. Da lief er nach nur sechswöchiger Vorbereitung die 100 Kilometer in Vogelgrün (Elsaß) in 7:01Stunden. Damals lernte ich ihn kennen. Wir waren, ebenso wie andere bundesdeutsche Ultraläufer, der Meinung, daß wir uns organisieren sollten. Ende 1985 ergriff er die Initiative und lud etwa 20 von uns zu einem Treffen in sein Haus in Rodenbach ein; wir gründeten die Deutsche Ultramarathon-Vereinigung. Auf eigenen Wunsch ließ er sich zum Sportwart wählen; der Sporthistoriker Dr. Karl Lennartz übernahm den Vorsitz. Als Sportwart arbeitete er das Regelwerk für den Ultramarathon aus und kümmerte sich um die präzise Streckenvermessung. Sein Ziel war es, den Ultralauf zu einer Wettbewerbsdisziplin zu machen und dem DLV zu unterstellen. Ich neigte wie der damalige Geschäftsführer, Horst Hofmeyer, zum Erlebnislauf. Harry tolerierte das und räumte dem Erlebnislauf durchaus einen Platz in der DUV-Zielsetzung ein. Ich denke, wir alle haben mit beidem recht gehabt. Die 10 Runden des 100-km-Laufs in Rodenbach, den Harry ins Leben rief, wurden zum Austragungsort der späteren Deutschen 100-km-Meisterschaften. Andererseits zeigte sich, daß die Masse der Mitglieder nur sehr sparsam an Meisterschaften teilnimmt und dem Erlebnislauf den Vorrang einräumt.

Harry Arndt hat in der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung als Sportwart und später als Präsident grundlegende Pionierarbeit geleistet. Aus seiner Biographie in der Jugendzeit wird verständlich, daß es nicht immer einfach war, mit ihm zu arbeiten. An der Schule war er bemüht, Schüler mit Immigrationshintergrund zu integrieren; das ist mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande anerkannt worden. Manchesmal hat Harry bedauert, daß ihm die Verbands- und Verwaltungsarbeit soviel Zeit geraubt habe, die er lieber für sein eigenes Training und seine sportliche Leistungsentwicklung gehabt hätte. Doch unter dem Strich hat er für den Ultramarathon Einzigartiges geleistet. Schnelle Zeiten werden vergessen, Harry Arndts Beitrag zur Ultralauf-Bewegung bleibt unvergessen. Sein Geburtstag ist die Gelegenheit, ihm dafür zu danken. Einzubeziehen sind seine Frau Sigrid und seine beiden Söhne Sascha und Carsten, denen er die Freude am Laufen vermittelt hat. Wir wünschen Harry Arndt, daß er die Früchte seiner Arbeit noch viele Jahre erleben kann.

*

Ein Tagebuch hat helle und dunkle Seiten. Am 2. November ist Friedrich-Wilhelm Marquardt gestorben, Ehrenmitglied der DUV seit 1998. Friedrich-Wilhelm Marquardt.aus Hamburg, 80 Jahre alt, ist der erste deutsche 24-Stunden-Läufer gewesen. Von 1969 an war in Mörlenbach ein 24-Stunden-Lauf veranstaltet worden. Solche Veranstaltungen waren Läufe für ganze Staffeln. 1979 erschien Friedrich-Wilhelm Marquardt in Mörlenbach und wurde gefragt, zu welcher Staffel er gehöre. „Ich bin die Staffel“, erwiderte er. Tatsächlich war Marquardt 24 Stunden lang auf der Strecke (191 km). Er war damit der erste deutsche 24-Stunden-Läufer. Horst Preisler folgte ihm. Mein erster 24-Stunden-Lauf war 1984 in Mörlenbach – von den 24 Stunden regnete es 23 ½ Stunden. Marquardts Laufliste in der DUV-Statistik ist lang. Er war deutscher Rekordhalter im 24- und im 48-Stunden-Lauf. Bei mehreren Läufen bin ich ihm begegnet. Trotz seiner Leistungsstärke war er von angenehmer Bescheidenheit. Ein Stück Laufgeschichte ist mit ihm dahin gegangen.

Eintragung vom 15. November 16

Es gab eine Zeit, in der die einstige Bundesrepublik von der europäischen Karte der Ultramarathons nahezu gestrichen werden mußte. Die wenigen Ultrastrecken konnte man sich auch bei schlechtem Gedächtnis leicht merken. Und heute? Unmöglich, alle Ultramarathons in Deutschland – es sind nach dem DUV-Kalender etwa sechzig – fehlerfrei und vollständig zu nennen.

Im Lauf der Zeit ist eine für uns neue Streckenlänge etabliert worden, die 100 Meilen. Der Berliner Mauerweglauf, wo sich die Streckenlänge aus den historischen Spuren der einstigen Grenzbefestigung ergab, hat wahrscheinlich dazu beigetragen, die 100 Meilen in einem Land mit metrischem System populär zu machen. Davor gab es bereits die 100 Meilen beim Chiemgauer Berg-Ultra. Der Thüringen-Ultra hat eine Verlängerung auf 100 Meilen. Hinter KuSu(H)rvival verbirgt sich ein 100-Meilen-Lauf im Kraichgau nordöstlich von Karlsruhe, der bisher sieben Mal stattgefunden hat. Vor drei Jahren sind der Pfälzer Weinsteig-Ultra-Trail und der Schönbuch-Ultra-Trail gegründet worden. Wer eine Teilnahme beabsichtigt, sollte berücksichtigen, daß manche 100-Meilen-Läufe wie der zuletzt genannte Einladungsläufe sind.

Auf dieses Thema der 100 Meilen komme ich nicht zufällig. Vielmehr hat mich die Veranstaltung Taubertal 100 Anfang Oktober darauf gebracht. Hubert Beck bietet für nächstes Jahr außer den 100 Kilometern erstmals auch 100 Meilen an; das hat er schon vor Jahren im Auge gehabt. Die Strecke auf dem Radweg durchs Taubertal von Rothenburg o. T. nach Wertheim wird dazu nach Karlstadt (25 Kilometer nördlich von Würzburg verlängert. Da der Taubertal-Radweg in Wertheim endet, wo die Tauber in den Main mündet, wird dann der Main-Radweg einbezogen. Das bedeutet für die 100-Meilen-Läufer etwa 500 Höhenmeter mehr. Das Rittermahl auf Burg Wertheim dürfte ihnen entgehen. Zielschluß ist um 8 Uhr morgens, also nach 26 Stunden.

Man kann gespannt sein, ob sich der Trend zu längeren Strecken beim vierten Taubertal 100 widerspiegeln wird. Das erste Indiz: Für die 100 Meilen haben sich bereits fünf Läufer angemeldet, für die 71 Kilometer einer, für die 100 Kilometer dreizehn. Als weiteres Indiz für das Interesse an 100 Meilen ist sicher zu werten, daß die 350 limitierten Startplätze des Mauerweglaufs innerhalb von zwei Tagen vergeben waren und Anmeldungen nur für die Warteliste angenommen werden können.

Eintragung vom 8. November 16

Gemeinhin interessiert hierzulande der Waterfront-Marathon in Toronto nicht, zumal da er schon am 16. Oktober stattgefunden hat. Doch festzuhalten ist: Er hat einen neuen Weltrekord gebracht. Nein, nicht an der Spitze der 3849 Läuferinnen und Läufer (2:08:25), sondern in einer Altersklasse, in M75+, der höchsten. Der erste der drei über Fünfundsiebzigjährigen hatte die Startnummer 85 – sein Lebensalter. Der in England geborene Kanadier Ed Whitlock ist den Marathon in 3:56:33 Stunden gelaufen. Damit hat er den Weltrekord in M85 von 4:34:55 um über eine halbe Stunde verbessert.

Das ist bei weitem nicht sein erster Altersweltrekord. Ich schreibe jetzt bei LaufReport ab; vor zwei Jahren hat Christian Werth einen Überblick gegeben. Im Jahr zuvor war Ed Whitlock einen Marathon in 3:41:58 gelaufen, und 2011 hatte er den Weltrekord der 80 Jahre alten und älteren Läufer auf 3:15:54 gesetzt. Nach Werth wären das nach der Umrechnungsformel der „World Masters Athletics“ umgerechnet auf die Hauptklasse 2:11:35. Als Dreiundsiebzigjähriger hat er mit 2:54:48 oder umgerechnet 2:03:57 theoretisch Haile Gebrselassie (2:03:59) geschlagen. Über 40 Altersrekorde hat Whitlock aufgestellt. Da bei ihm keine Zweifel am Geburtsdatum (6. März 1931) bestehen, hat er, wenn er gesund bleibt, die Chance, als Hundertjähriger eine unanfechtbare Marathon-Zeit zu erreichen.

Ed Whitlock ist in einem Vorort von London geboren und ging nach Schule und Universität – er ist Ingenieur – nach Kanada; er lebt in Milton, Ontario. In der Jugend hatte er erfolgreich Crosslauf betrieben, gab jedoch in Kanada das Laufen auf. Erst im Alter von 41 Jahren nahm er das Training zunächst für Mitteldistanzen wieder auf. Motiviert wurde er durch seinen jüngsten, damals 14 Jahre alten Sohn, der ein Jahr lang für einen Marathon täglich lief.

Vor acht Jahren hatte ihm sein Arzt, wie ich „Focus“ entnehme, eine Arthritis im rechten Knie diagnostiziert und mitgeteilt, damit könne er an keinem Laufwettbewerb mehr teilnehmen. Whitlock bewies das Gegenteil. Allerdings erlebte er in Toronto nach der Halbmarathon-Distanz eine Krise. Einem Reporter von „Runners‘ World“ gestand er: „Ich dachte, das wird ein Desaster. Ich lag weit hinter der Vier-Stunden-Marke.“ Doch er schaffte es – und noch dazu den deutlichen Alters-Weltrekord.

Auch weiterhin strebt er Rekorde an. Wer ihn im Video laufen sieht, zweifelt nicht daran, daß er sein Leistungsniveau altersgemäß halten kann. Whitlock ist 1,70 Meter groß und wiegt nur 51 Kilogramm. Zum Vergleich: Mein Minimalgewicht im Erwachsenen-Leben betrug bei 1,65 Meter Körpergröße 56 Kilogramm. Was wir gemeinsam haben und ihn mir doppelt sympathisch macht, ist: „Ich höre nicht auf das, was Lauftrainer sagen. Ich vertraue nicht auf Physios, Eisbäder, Massagen, Tempoläufe und Laufuhren“ („Runners‘ World“).

Eintragung vom 1. November 16

Diese Eintragung enthält einen Fehler, muß einen Fehler enthalten, denn sie eilt den Fakten voraus: Die USA haben einen neuen Präsidenten. Vielleicht, ja hoffentlich ist dieser Satz falsch und muß heißen: Die Amerikaner haben eine Präsidentin.

Sportpuristen, also jene, die den Sport von Politik freihalten möchten, seien beruhigt: Ich schreibe hier nicht über die Präsidentenwahl in den USA, deren Wahlkampf manche von uns beunruhigt hat. Ich schreibe über einen Marathon und widerlege damit die Ansicht, daß erst in unserer Zeit der Sport politisiert worden sei. Auch die Olympischen Spiele im Dritten Reich waren nicht der Auftakt zur Politisierung.

Am 12. Februar 1909 fand in Brooklyn, seit 1834 ein Borough von New York, ein Marathon statt, nebenbei: ein City-Marathon also, den es mithin nicht erst seit 1976, seit Fred Lebows Premiere, gibt. Der 12. Februar jenes Jahres war kein beliebiges Datum. Es war der hundertste Geburtstag von Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der USA, einem der bedeutendsten Präsidenten, dem ersten der Republikanischen Partei übrigens, einem, der die Abschaffung der Sklaverei in den USA durchgesetzt hat. Er war leider auch der erste amerikanische Präsident, der ermordet worden ist.

Zu seinem hundertsten Geburtstag ertönten nicht nur Böllerschüsse, sondern es wurde auch, an einem Freitag, ein Marathon veranstaltet. Es war die Zeit, in der an der Ostküste der USA zahlreiche Marathons ins Leben gerufen wurden. Auch Washingtons Geburtstag wurde im Sinne des Wortes laufend, marathonlaufend, begangen, und zwar bereits zehn Tage später. Der Marathon durch Brooklyn fand jährlich bis 1915 statt. Da die Temperaturen im Februar mehrfach auf etwa null Grad gefallen waren, entschlossen sich die Veranstalter, auf diesen Termin zu verzichten. Auch bei dem ersten Termin war es kalt, wie man an der Kleidung der Läufer und der Zuschauer erkennt.

Gestartet worden war der Marathon mit 164 Läufern in der Thirteens Armory in Crown Heigh, beobachtet von etwa 8000 Zuschauern. Die Strecke maß nur 39 Kilometer. Sieger war James A. Clarke, ein amerikanischer Langläufer (Geburts- und Todesjahr nicht bekannt). Mit 2:46:52 Stunden setzte er den damaligen Weltrekord im Marathon, der jedoch ein knappes Vierteljahr später ebenfalls in New York um etwa 48 Sekunden und im Mai 1909 in London um über 4 Minuten unterboten wurde.

Weshalb krame ich in der Sportgeschichte? Die jetzige Präsidentenwahl ist ja eher ein zufälliges Datum. Ganz einfach, aus einem persönlichen Grunde. Mir ist ein zeitgenössisches Photo in die Hände gefallen. Ich habe es vor etwa elf Jahren über ebay gekauft.

 

Ich nahm damit ein Angebot aus den USA wahr; die Kopie eines sogenannten Vintage Photos (ursprünglich Weinertrag, gebraucht für: altes Modell). Die Kopie ist 46 mal 21 Zentimeter groß und von sehr guter Aufnahme-Qualität. Das Bild (aus technischen Gründen oben und rechts angeschnitten) zeigt den Brooklyn-Marathon bald nach dem Start. Man sieht eine dicht gedrängte Menschenmenge, die das Publikumsinteresse an ähnlichen Standpunkten bei unseren heutigen Marathons weit in den Schatten stellt. Man erkennt zudem: Auch die Amerikaner waren einmal schlank.

Photo: Library of Congres

Eintragung vom 25. Oktober 16

In einem halben Jahrhundert haben sich die Auffassungen gesunder Ernährung so kontrastreich wie nur möglich geändert, jedenfalls in der allgemeinen Anschauung. Dazu haben die Medien beigetragen. Sie haben unkritisch die jeweils neueste Theorie verbreitet.

In der Laufszene begann es mit Ernst van Aaken. Seine Anschauung lautete: Man kann alles essen – nur wenig! Uns leuchtete das auf Anhieb ein. Da wir ihm im Hinblick auf das Laufen zu Recht voll vertrauten, hielten wir ihn auch auf diesem Gebiet für kompetent. Seine Folgerung konnte er aus dem Anblick der Menschen auf der Straße ableiten; sie waren fast alle dünn, hatten sie doch seit Jahren kaum einmal Gelegenheit, zuviel zu essen. Die Zuteilung auf Lebensmittelkarten, Massenverpflegung, häufig körperliche Beanspruchung im Krieg, danach Mangel an Lebensmitteln, wenn nicht gar Hungersnot bewirkten, daß die Menschen nicht dazu kamen, Fett anzusetzen. Das änderte sich, als es den Deutschen besser ging, sie sich eine üppigere Ernährung leisten konnten, die sitzende Berufstätigkeit zunahm und in den sechziger Jahren obendrein die Massenmotorisierung einsetzte. Die Menschen in den Industriegesellschaften begannen dick zu werden, sofern sie nicht wie die Läufer für einen Ausgleich zwischen Nahrungsbedarf und -verbrauch sorgten.

Das Übergewicht ist längst zu einem hochrangigen medizinischen Problem geworden. Und da geht es los. „Alle Forschungsergebnisse zeigen: Nur Fett macht dick“ (SDR1-Ratgeber: „Pfundskur ‚96 – Lust auf Leben“). Die wenigen, die sich nicht darauf einließen, sondern sogar das genaue Gegenteil behaupteten (,Fett macht nicht fett“) wurden nicht ernst genommen. Der Ernährungspsychologe Prof. Dr. Volker Pudel, der einige Jahre auch in der Deutschen Gesellschaft für Ernährung tätig war, konzipierte ein Programm gegen den nach seiner Ansicht – und der einiger amerikanischer Wissenschaftler – zu reichlichen Fettverzehr. Einige Krankenkassen wie die AOK Baden-Württemberg realisierten seine „Fettaugen“-Aktion – nicht mehr als 60 Gramm Fett am Tag –, die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt SDR1 machte sich, statt kritisch zu hinterfragen, zum Propagandisten von Pudels Behauptungen. Einem „PfundsKur“-Koch, verantwortlich für die Verpflegung von 2000 Arbeitnehmern, „ist es gelungen, Alltagsgerichte konsequent fettarm zu kochen“ (sein Kochbuch ist 2003 erschienen). Die Stiftung Warentest prädikatisierte die PfundsKur mit „uneingeschränkt empfehlenswert“. Die Margarine-Industrie rieb sich die Hände. 1996 stellte Pudel die Frage „Wieso sollte jeder Deutsche täglich 20 Minuten joggen? Solche Standardtips sind unmenschlich, weil Menschen ganz unterschiedliche Potentiale, Wünsche, Erbanlagen, Verhaltenserfahrungen und Meinungen haben.“ Fünf Jahre später tat er sich mit dem Sport-Professor Wolfgang Schlicht zusammen, der sich bei den PfundsKur-Lesern unter anderem danach erkundigte, ob sie joggten, und Punkte dafür vergab.

Die PfundsKur mit der Fettreduktion war noch nicht auf dem Müll, da ereilte uns das Gegenteil, die Minimierung von Kohlenhydraten, die Low-Carb-Diät. Sie geht zwar bis ins 19. Jahrhundert zurück, ist aber in den siebziger Jahren durch den amerikanischen Arzt Robert Atkins populär geworden und dient als Grundlage verschiedener Spezial-Diäten wie der von Prof Nicolai Worm (Logi-Methode, bei der die glykämische Last, die Geschwindigkeit, mit der die Kohlenhydrate den Blutzucker erhöhen, das wichtigste Kriterium ist) und von Dr. Ulrich Strunz, der insbesondere die Eiweiß-Zufuhr erhöhen möchte. Vor „Eiweiß-Mast“ hat hingegen Prof. Dr. Lothar Wendt (1907 – 1989) noch in der Zeit relativ sparsamer Ernährung gewarnt; sein Sohn, Prof. Dr. Thomas Wendt – Internist und unter anderem auch Sportmediziner –, hat die Untersuchungen seines Vaters weitergeführt. Anhänger einer gesundheitsbetonten Ernährung beziehen sich nach wie vor auf die Forschungsergebnisse von Lothar und Thomas Wendt, die wiederum von der herkömmlichen Ernährungswissenschaft nicht akzeptiert werden. Eine Reduktion der Kohlenhydrate und Erhöhung des Eiweiß-Anteils liegen auch der seit einigen Jahren empfohlenen Paläo-Diät, einer Annäherung an die mutmaßliche Ernährung in der Steinzeit, zugrunde.

Nun sind wir also durch. Außer Vitaminen und Mineralstoffen gibt es nichts in der Ernährung, was in den letzten Jahrzehnten in zu hoher Menge nicht als schädlich bezeichnet worden ist. Aufhören zu essen ist ja wohl auch keine Lösung.

Ist dies die einzige Pointe? Ich schneide dieses Thema deshalb an, weil jetzt eine Untersuchung der Sydney University veröffentlicht worden ist, die genau die Low-Carb-Diät unterminiert. Die australischen Forscher haben herausgefunden, daß Kohlenhydrate die Produktion eines nützlichen Hormons fördern, des FGF 21 (Fibrolast Growth Factor 21), das eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielt, ja, als „Jungbrunnen“-Hormon bezeichnet worden ist. Die Internet-Seite „Merkur.de/Gesundheit“ formuliert kurz und bündig: „Kohlenhydrate vom Speiseplan zu streichen, macht nach Ansicht von Forschern des Charles Perkins Centers der University of Sydney keinen Sinn. Im Gegenteil: eine Ernährung mit Kohlenhydraten hilft bei der Gewichtsabnahme und verlängert das Leben.“ Und zwar eben deshalb, weil wenig Proteine und viele Kohlenhydrate in Tierversuchen zu einer hohen Ausschüttung des Hormons FGF 21 führten. „Eine Ernährung, die sich danach richten würde, wäre am vorteilhaftesten für unsere Gesundheit und ein langes Leben, sagt die Hauptautorin Dr. Samantha Solon-Biet.“

Wen diese Zusammenfassung voller Widersprüche – Fett reduzieren, Kohlenhydrate reduzieren, Eiweißmast vermeiden, Eiweiß-Zufuhr erhöhen – nun vollends ratlos macht, sei auf die Vollwerternährung, die echte, von Dr. Max Otto Bruker definiert – hingewiesen. Dr. Bruker hat ganz simple Ernährungsprinzipien aufgestellt und klinisch geprüft; seine wissenschaftliche Grundlage war Werner Kollaths „Die Ordnung unserer Nahrung“. Wer sich informieren möchte: Der authentische Klassiker der Vollwerternährung ist Brukers „Unsere Nahrung – unser Schicksal“.

Eintragung vom 18. Oktober 16

In den siebziger Jahren habe ich den Ultramarathon als Subkultur des Laufens bezeichnet. Wer damals die Ultrastrecke lief, war ein Außenseiter. Die 100 Kilometer waren keine leichtathletische Disziplin. Ich habe selbst erlebt, wie in einer Läuferversammlung mit Manfred Steffny der lokale Versammlungsleiter, ein Läufer, der sich dem DLV verdingt hatte, auf die Frage eines Teilnehmers, der sich offenbar eine Standortbestimmung versprach, eine überaus distanzierende Antwort gab. Das veranlaßte Manfred Steffny intervenierend zu einer korrekten und im Effekt positiven Definition des Ultralaufs. Versteht sich, daß der Ultralangstreckenlauf im Sportteil der Tageszeitungen nicht vorkam.

In jener Situation konnte ich mir nicht im entferntesten vorstellen, was sich in unserer Zeit ereignet hat, daß nämlich Ausrichter von Marathons die Marathondistanz zusätzlich auf eine Ultradistanz verlängern würden. Vorausgegangen war eine Phase der Emanzipation von starren Regeln. Der Marathon mußte nicht mehr 42,195 Kilometer lang sein. Beim Rennsteig-Marathon waren es bis zu diesem Jahr ein paar hundert Meter mehr. Der Schwäbische-Alb-Marathon war, bevor er zum 50-Kilometer-Lauf geworden ist, 44 Kilometer lang. Läufe wie der Swiss Alpine entzogen sich ohnehin jedem Vergleich. Den wirklich engagierten Läufern, denen es um das Erlebnis und vielleicht die persönliche Leistungskurve ging, war das nur recht.

Als dann Laufveranstalter ihre Marathonstrecke um einen Ultra-Teil erweiterten, war das zunächst ein Experiment. Es hat sich bald als erfolgreich herausgestellt. Zu den Veranstaltern, die früh schon den neuen Trend erkannten, gehört das rührige OK des Bottwartal-Marathons. Das Bottwartal ist eine Landschaft im württembergischen Weinanbau-Gebiet zwischen der Schillerstadt Marbach am Neckar und Heilbronn. Der Startort ist seit vorigem Jahr Steinheim an der Murr. Hier ist 1933 der Schädel des „Homo steinheimensis“, einer Frau, die hier vor etwa 250.000 Jahren gelebt hat, gefunden worden – der drittälteste Fund der Menschheitsgeschichte. Der 50-Kilometer-Lauf trägt daher die Bezeichnung „Urmensch-Lauf“.

 

Anders als bei verlängerten Marathons verläuft die Ultrastrecke nur zu einem kleinen Teil auf dem Marathon-Kurs. Sie bezieht im Gegensatz zum flachen Marathon die Höhenregion des Tals ein und berührt die Burg Lichtenberg, die weit im Tal zu sehen ist. Obwohl es also ein anspruchsvoller Lauf ist, haben ihn am 16. Oktober immerhin 123 Läuferinnen und Läufer beendet, dies in Anbetracht von 304 Marathon-Finishern. Mehr als 150 Teilnehmer werden auf der Ultrastrecke nicht zugelassen.  Ein Name zumindest ist Information: Michael Sommer hat ihn in 3:53:48 Stunden gewonnen, so wie im vorigen Jahr den Marathon; die Österreicherin Carmen Sevignani siegte in 4:27:08.

Mit dem Bottwartal-Marathon verbinden mich Erinnerungen. Nicht nur, daß ich beim ersten Marathonlauf im Jahr 2004 dabei war. In meiner Frühzeit bei der „Stuttgarter Zeitung“ besuchte ich dreimal Burg Lichtenberg und schrieb darüber, zum Beispiel: „…ist es so sehr erfreulich, daß sich in einer der ältesten und besterhaltenen Burgen Südwestdeutschlands, auf Lichtenberg im Bottwartal, öffentliche Förderung und private Initiative begegnen. Der Burgherr, Baron von und zu Weiler, hat vor zwei Monaten (Anmerkung. Im Mai 1959) Tür und Tor geöffnet und, einer Anregung von Besuchern und Freunden der Burg folgend, eine Gaststätte eingerichtet. Gewiß werden, wie sich bereits gezeigt hat, die gastronomischen Aspekte von Autofahrern und Wanderern – in dieser Landschaft kann man noch erholsam wandern – nicht geringgeschätzt, zumal da hier die in ausgezeichneten Lagen auf den Hängen unterhalb der Burg gedeihenden Gewächse ausgeschenkt werden; der besondere Reiz der Einkehr aber besteht darin, daß man Muße und Bequemlichkeit dazu hat, die Anlage der Burg, die wie wenige derartige Bauwerke ein authentisches Zeugnis der Ritterzeit darstellt, zu betrachten und von einer der Nischen oder vom Turm den Blick schweifen zu lassen: über Oberstenfeld mit der Nonnenstiftskirche St. Johannes Bapt. und der Peterskirche, über Beilstein und die turmgekrönten Hügel der Umgebung, bei klarem Wetter bis zum Schwarzwald und zum Odenwald, im Süden bis zur Alb und zur Nadel des Stuttgarter Fernsehturms, im Nordosten über die Wälder der Löwensteiner Berge.“

Freilich, eine rasche Einkehr muß man sich heute verkneifen. Die Burg bleibt bei Anmeldung der Verköstigung von Gesellschaften, etwa einer Hochzeit, vorbehalten. Denkbar wäre jedoch, daß sich eine Laufgemeinschaft nach der Teilnahme an einem Lauf des Bottwartal-Marathons hier zum Schlemmen und unbeschwerten Genießen der Landschaft trifft. Zu bestimmten Terminen ist sonntags eine geführte Besichtigung der Burganlage möglich. Wer bei einer Laufveranstaltung das Ambiente schätzt – auch für nichtlaufende Familienangehörige – ist im Bottwartal richtig.

Photos: LaufReport Archiv (3)

Eintragung vom 11. Oktober 16

Wie seit bald fünfzig Jahren hat am zweiten Oktober-Sonntag in Bräunlingen bei Donaueschingen der Schwarzwald-Marathon stattgefunden. Im September-Heft einer Laufzeitschrift habe ich dies gelesen: „In jener Zeit hatte sie (Anmerkung: eine Läuferin, von der dieser zitierte Bericht handelte) auch noch miterlebt, wie beim ,4. Schwarzwald-Marathon‘ in Bräunlingen/Donaueschingen am 10. Oktober 1971 die mitlaufenden Frauen lediglich innerhalb der Männer-Wertung geführt werden durften!“

Ich bin nun nicht etwa beauftragt, eine Gegendarstellung abzugeben. Vielmehr: Ich möchte die Situation damals schildern, und vor allem möchte ich dazu beitragen, den Schwarzwald-Marathon von dem Verdacht zu befreien, er habe, wie der zitierte Text möglicherweise nahelegt, sich besonders diskreditierend gegenüber Frauen verhalten. Das genaue Gegenteil ist richtig.

 

Den Begründern des Schwarzwald-Marathons, Roland Mall (Jahrgang 1914) und seiner Frau Charlotte, kommt das Verdienst zu, erstmals auf der Welt Frauen den Zugang zum Marathon eröffnet zu haben. Ende April 1945 hatte Roland Mall aus seiner Artilleriestellung im brennenden Berlin die Siegereiche des Olympiasiegers Hans Woellke, der 1943 gefallen war, entdeckt; neun Jahre zuvor war er bei den Olympischen Spielen in Berlin Augenzeuge der Leistungen des Kugelstoßers Woellke gewesen. Im Anblick der Siegereiche habe er, schrieb mir Mall 1983, das Versprechen abgelegt, sollte er heil aus dem Inferno in Berlin herauskommen, wolle er sich für den Wiederaufbau des Sports einsetzen, denn nach seiner Überzeugung könne es allein dem Sport gelingen, über die Grenzen hinweg menschliche Kontakte wiederherzustellen.

Bereits im September 1945 hatte er das Glück, heimkehren zu dürfen. Zusammen mit einigen Gleichgesinnten gründete er die Sportvereinigung Donaueschingen, deren Vorsitz er übernahm. Zugleich war er Sportwart der Fachabteilungen Leichtathletik, Ski und Schwimmen. Dabei gewann er Eindrücke von der Ausdauerfähigkeit der Skiläuferinnen, die sich in der schneelosen Zeit mit Feld-, Wald- und Wiesenläufen vorbereiteten. Im Jahr 1951 waren die Skiläuferinnen der SV bei der ersten Deutschen Skimeisterschaft im Damen-Skilanglauf Vizemeister geworden. Als für 1968 der erste Schwarzwald-Marathon mit dem Start in Bräunlingen vorbereitet wurde – ursprünglich hätte es ein 100-Kilometer-Lauf sein sollen –, war es für den Ski-Sportwart naheliegend, bei den Skilangläuferinnen, auch bei deren ausländischen Clubs, für die Teilnahme zu werben. Der Deutsche Ski-Verband leistete dazu Hilfe. Auf diese Weise standen am 6. Oktober 1968 gleich 51 Frauen aus fünf Ländern am Marathon-Start.

„Mit keinem Wort war bei dem seinerzeitigen Vereinsantrag auf Veranstaltungsgenehmigung durch den DLV von dem geplanten Frauenstart die Rede gewesen“, schrieb Roland Mall. „Nicht einmal der Badische Leichtathletik-Verband wußte etwas davon. So hatte sich die DLV-Genehmigung nur auf den Männerlauf bezogen. Dieser Genehmigungsvermerk war indes auf der Ausschreibung so plaziert worden, daß Nichtinformierte meinen mußten, dieser gelte auch für den Frauenmarathon.“

 

Sicherheitshalber wurde der Zielschluß auf zehn Stunden festgesetzt, so daß man das Ziel auch wandernd hätte erreichen können. In der Tat traf der letzte meiner Altersgruppe 1915 – 1927 nach 8:04:20 Stunden ein. „Natürlich ist dem DLV das Unternehmen der Schwarzwälder nicht verborgen geblieben. Doch da ein späteres Veto genauso ausgeblieben war wie eine gravierende Frauenausfallziffer, hatte man bereits im November 1970 den Antrag auf DLV-Genehmigung des Frauenlaufs gestellt. Es zeugt von dem aufgeschlossenen Sinn des damaligen Sportwarts Heinz Fallak, daß er diesem Antrag am 27. Januar 1971 entsprochen hat. Somit ist der DLV im ganzen internationalen Verbandssektor der erste Landesverband gewesen, der einen Frauenmarathon genehmigt hat. Wesentliche Verbandsimpulse dazu waren aber auch von den DLV-Vizepräsidenten Ilse Bechthold, Frankfurt a. M., und Helmut Rang, Karlsruhe, ausgegangen. Speziell die Erstgenannte hat sich dadurch in das Buch der Sportgeschichte eingeschrieben, daß sie gegen den massivsten Widerstand anderer Landesverbände den Langstreckenlauf der Frauen für den ganzen IAAF-Bereich durchgedrückt hatte.“

  In der Tat gab es anfangs keine gesonderte Frauenwertung. Die Frauen wurden wie die Männer in vier Altersklassen gewertet. Auf der gemeinsamen Liste waren die Namen der Frauen unterstrichen; ihre jeweilige Plazierung war nicht beziffert. Bereits in der Ausschreibung zum 3. Schwarzwald-Marathon, also nach der DLV-Genehmigung der Frauen-Teilnahme, war jedoch angeführt: „Damen und Herren: getrennte Wertung“. Vom 4. Marathon liegt mir keine komplette Liste vor, sondern nur die meiner Altersklasse; sie enthält keine Frauennamen. Ich habe den Verdacht, die am Anfang zitierte Läuferin habe ihre Aussage an Hand der Einlaufliste gemacht, die bis zum heutigen Tage nicht zwischen den Geschlechtern unterscheidet. Wie auch immer, – im Jahr 1974 wurde beim 7. Schwarzwald-Marathon erstmals in der Sportgeschichte ein verbandsoffizieller Ländervergleichskampf der Frauen im Marathonlauf ausgetragen. 1975 schrieb der DLV als erster Verband in Europa und nach den USA als zweiter in der Welt die erste Nationale Meisterschaft der Frauen im Marathonlauf aus und übertrug, um die Pionierleistungen der Schwarzwälder zu würdigen, die Ausrichtung der SV Donaueschingen.

1973 bereits hatte der Verein Ernst van Aaken bei der Vorbereitung seines ersten Marathons allein für Frauen unterstützen können. Als bis zum Nennungsschluß nur drei Meldungen vorlagen, konnten ihm die Organisatoren des Schwarzwald-Marathons Adressen der inzwischen dreistelligen Zahl von Marathon-Teilnehmerinnen zur Verfügung stellen, so daß Ernst van Aaken persönliche Einladungen vornehmen konnte und 32 Frauen am Start waren.

  Eine weitere Pionierleistung bestand darin, daß 1972 mit Hilfe der Firma Kienzle die elektronische Datenerfassung eingeführt wurde. Mit über 2000 Teilnehmern war der Schwarzwald-Marathon damals der teilnehmerstärkste Marathon der Welt. Der Teilnehmer-Rekord wurde 1986 mit 2802 Marathon-Läufern erreicht. Die Zunahme der Marathon-Veranstaltungen, insbesondere die Einführung von City-Marathons von 1981 an, bewirkte allerdings starke Teilnehmerrückgänge. Am 9. Oktober, beim 49. Schwarzwald-Marathon, waren 241 Männer und 56 Frauen am Start.

Der inzwischen eingeführte Halbmarathon und der 10-Kilometer-Lauf haben einen Ausgleich geschaffen. Offenbar neigen Frauen zu den kürzeren Strecken; zum Halbmarathon sind 582 Männer und 267 Frauen gestartet, zum 10-Kilometer-Lauf 203 Männer und 101 Frauen. Allerdings, beim Essen-Marathon um den Baldeney-See, dem ältesten noch bestehenden deutschen Marathon, der ebenfalls am 9. Oktober stattgefunden hat, liefen 538 Männer und 136 Frauen.

Wer sich beim Lesen gewundert hat, weshalb denn ein so kleiner Lauf ausgerechnet zur 49. Wiederholung gewürdigt werde: Ich habe die Hoffnung, daß sich einige Leser den Termin im nächsten Jahr notieren, um bei der Jubiläumsveranstaltung dieses ersten deutschen Frauen-Marathons zu starten. Der Schwarzwald-Marathon ist immerhin der erste noch bestehende deutsche Marathon mit Volkslaufcharakter und obendrein ein klassischer Naturmarathon.

Photos: privat (1), Sonntag (3)

Eintragung vom 4. Oktober 16

Auch an dieser Stelle – vielleicht auch: gerade an dieser Stelle – ist eine Personalie einzutragen. Im Zusammenhang mit dem Berlin-Marathon ist Manfred Steffny, der Verleger und Chefredakteur von „Spiridon“, mit dem Horst-Milde-Award ausgezeichnet worden. Der Anlaß war sein 75. Geburtstag am 14. August, den er – wie könnte es anders sein! – bei den Olympischen Spielen verbracht hat.

  Meine ganz persönliche Laudatio: Wenn ich zurückdenke, bald fünf Jahrzehnte zurück – solange kenne ich ihn –, meine ich, ihm wäre die Auszeichnung als erstem zugekommen. Er ist derjenige, der zu den Grundsteinlegern der Laufbewegung, so wie sie sich heute präsentiert, zählt. Er ist gelaufen, als ich noch nicht einmal zu den Zuschauern gehörte. Ich bin sicher, die Jury hat mir, als sie im Stiftungsjahr 2014 den Horst-Milde-Award zunächst einmal mir zugedacht hat, einen Altersbonus gewährt. Ich habe als Schreiber vorwiegend nach außen gewirkt. Das war nur zu einem kleinen Teil mein Verdienst; vielmehr hatte ich das Glück, berufliche Verbindungen zu Redaktionen gehabt zu haben, die sich aufgeschlossen zeigten, als ich anfing, über das Laufen zu schreiben.

Manfred Steffny dagegen war schon Läufer, bevor er das Laufen zum Thema seines Berufslebens machte. Er war Sportjournalist, bevor er sich auf das Laufen spezialisierte. Seine Karriere ist geradlinig verlaufen, wenn auch nicht ohne Hemmnisse. Die Auseinandersetzung mit Arthur Lambert, dem Präsidenten der IGÄL (Interessengemeinschaft älterer Langstreckenläufer), führte dazu, daß ihm die Redaktion der „Condition“ entzogen wurde. Lambert war mit der Themenwahl Steffnys nicht einverstanden und warf ihm zudem vor, er wolle sich der von der IGÄL herausgegebenen „Condition“ bemächtigen. Wenn es so gewesen sein sollte, war der Rauswurf sicher keine akzeptable Lösung. Ernst van Aaken solidarisierte sich mit dem von ihm damals hochgeschätzten Manfred Steffny. Beide gründeten, da der Titel „Neue Condition“ urheberrechtlich nicht durchging, unterstützt von dem Laufschuhhersteller Eugen Brütting, die Zeitschrift „Spiridon“ (den Titel, den Vornamen des ersten Olympia-Marathon-Siegers, hatte bereits eine Laufzeitschrift in der französischen Schweiz getragen). Die „Condition“ verkam flugs zum langweiligen Vereinsblatt; bei allen Verdiensten Lamberts – zum Supervisor eines fähigen Sportjournalisten taugte er nicht. Andererseits war Ernst van Aaken, der sich seines Wertes für den Laufsport durchaus bewußt war, auch kein angenehmer Partner für einen Journalisten. Es ist geradezu tragisch, daß van Aaken später mit Manfred Steffny brach; seine Vorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.

Aus bescheidenen Anfängen entwickelte sich „Spiridon“ bald zu einem erstrangigen Fachmagazin. Ganz sicher ist es der Kompetenz Manfred Steffnys zu danken, daß es diesen Rang, auch wenn der Verleger Steffny die Auflagenhöhe nicht konkurrenzfähig machen konnte, vierzig Jahre lang gehalten hat.

Manfred Steffny ist zeitlebens ein Einzelkämpfer gewesen – ein Solist, kein Dirigent. Immer wieder entwickelte er neue Ideen; einige davon haben die Laufbewegung bereichert. Seine Erfahrungen als Trainer gab er in Laufseminaren weiter. Er rief Veranstaltungen ins Leben, bot Reisen für Läufer an und eröffnete einen Versandhandel für Läufer. Unter der Fülle von Ideen und Aktivitäten litt allerdings nicht selten die Beständigkeit; der Road Runners Club, den er als Konkurrenz zur IGÄL gegründet hatte, stand im Grunde nur auf dem Papier. Wer sich dem Verleger Steffny anvertraute, mußte seine Vorstellungen von einem Verlag begraben. Manfred Steffny delegierte nicht – schon weil das Geld gekostet hätte. Im Grunde fehlte ihm der kaufmännische Partner, der schrittweise Investitionen vorgenommen hätte. Der Markt war da.

Im Rückblick erkenne ich: Was ich kritisiere, gilt auch für mich. Auch ich habe verlegerische Ambitionen gehabt, bin aber über Ansätze nicht hinausgekommen. Wahrscheinlich können Autoren keine Verleger sein.

Manfred Steffny habe ich über Ernst van Aaken kennengelernt. Als „Spiridon“ erschien, setzte ich sofort auf diese Zeitschrift. Für deren positive Entwicklung sprachen die Kompetenz Manfred Steffnys und der Niedergang der „Condition“. Das änderte nichts daran, daß ich später die Redaktion der „Condition“ übernahm. Ich war zuvor zwar zum stellvertretenden Chefredakteur von „Spiridon“ ernannt worden, aber der Titel stand nur auf dem Papier. Ich wollte jedoch, was jeder Autor möchte: Gestalten… Funktionär zu werden, kam nicht in Frage. Dagegen sprach schon meine kritische Haltung zum DLV. Außerdem reizte mich die Herausforderung, ein Vereinsblatt zu professionalisieren.

Doch hier ist die Rede von Manfred Steffny. Was scheint mir bei ihm am wichtigsten für die Zukunft zu sein? Seine Bedeutung als fachkundiger Autor seit Beginn der modernen Laufbewegung. Die Fachkunde – einschließlich des Stoffsammelns – zeigt sich in jedem Heft von „Spiridon“ und in seinen Büchern. „Marathon-Training“ (15. Auflage) ist, so alt es auch ist (1977), noch immer ein Buch, das angehende Marathonläufer, die sich informieren möchten, in die Hand nehmen.

Manfred Steffnys 75. Geburtstag ist eine Marke, kein Endpunkt. Die Wahl des Horst-Milde-Award-Preisträgers hat den Wichtigsten der frühen Laufszene, der bis heute aktiv sein kann, getroffen.

Photo: LaufReport-Archiv

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