Marathon in Frankfurt - Stand 2006

Ein Vierteljahrhundert deutsche Citymarathongeschichte

von Ralf Klink - Fotos: Gustav E. Schröder
Part 1:
1981-1985
Part 2:
1987-1991
Part 3:
1992-1996
Part 4:
1997-2001
Part 5:
2002-2006
Part 6:
2007-2011

1992-1996 – Auf neuen und alten Pfaden

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„Als wir in Frankfurt im Mai 1981 den legendären Hoechst-Marathon auf die Beine gebracht haben, war er eine Pioniertat: der erste Stadtmarathon in der Bundesrepublik. Und jetzt? Pioniere können es nun mal nicht lassen, in Neuland vorzustoßen.“ So kündigen die Macher des Frankfurter DB-Marathons in ihrer Ausschreibung für das Jahr 1992 eine Änderung an, die für einigen Gesprächsstoff in der Laufszene sorgt: Ein sieben Stunden lang offenes Ziel.

Erstmarathonis hätten so nicht ständig den Druck des Besenwagens im Genick. Marathon-Senioren könnten auch weiterhin am Lauf teilnehmen. So lauten die Begründungen für die neue Idee. Selbst das Wort „Marathon-Walking“ darin taucht auf.

Das, was heutzutage angesichts von sechs und mehr Stunden Zielöffnung kaum mehr auffallen würde, ist zu jener Zeit regelrecht revolutionär. Schließlich kommt in den Augen der größtenteils sportlich ambitionierten Läufer der Achtziger und frühen Neunziger in dem Zeitbereich, während dem heutzutage das Hauptfeld der Citymarathons ins Ziel trudelt, sowieso nur noch „Not und Elend“.

Die Zahlen der Läufer unter drei und über vier Stunden sind jedenfalls recht ähnlich. Der große Pulk läuft irgendwo dazwischen. Wer gar viereinhalb Stunden oder mehr für die Strecke benötigt, ist spätestens auf der zweiten Hälfte jedenfalls ziemlich alleine unterwegs. Und nun noch einmal zwei Stunden mehr! „Was hat das denn noch mit Marathonlaufen zu tun?“ ist eine oft gestellte Frage in den Diskussionen.

Auf der anderen Seite versucht Frankfurt allerdings die Leistungsläufer anzulocken. Auch die zweite größere Neuerung wird offensiv beworben - eine völlig umgestaltete Strecke, die deutlich flacher und damit schneller als die alte sein soll. So ganz freiwillig ist die Änderung nicht. Die Sperrung der Friedensbrücke, die in den vergangenen fünf Jahren jeweils auf den ersten Kilometern überquert wurde, macht sie einfach nötig.

Doch man hat die Gelegenheit genutzt und gleich ein ganz neues Konzept umgesetzt. Die bei vielen Läufern ungeliebten, weil leicht welligen nördlichen Stadtteile sind entfallen. Dafür ist der Ausgangspunkt der ersten Marathons in der Mainmetropole – Höchst - wieder im Programm. Überhaupt ähnelt der Kurs ein wenig dem des schon fast legendären Vorgängers. Denn auf der einen Mainseite geht es in den westlichen Stadtteil, auf der anderen zurück in die Innenstadt. Nur wird die Runde im Gegensatz zum Hoechst Marathon nun gegen den Uhrzeigersinn absolviert.

Das Marathonzentrum ist zwar nach wie vor die Festhalle. Start und Ziel haben sich allerdings ebenfalls bewegt. Begann man 1991 noch vor dem Hauptbahnhof und lief an der Festhalle über die Ziellinie, ist es diesmal genau umgekehrt. In der Kaiserstraße werden die letzten Meter nun mit direktem Blick auf die über hundert Jahre alte Verkehrsdrehscheibe des Sponsors mitten in der Innenstadt absolviert. Ein im Vergleich zum Hof des Messegeländes deutlich spektakulärerer Zieleinlauf, zumal man zum Abschluss fast zehn Kilometer durch die Zuschauerschwerpunkte der City läuft.

Einen Strich durch die Rechnung macht Organisatoren und Marathonis allerdings das Wetter. Denn schon bei der Startaufstellung regnet es dicke Tropfen. Und bis zum Zielschluss um 17 Uhr wird es nicht mehr aufhören. Kühl ist es Ende Oktober ja sowieso meist und so sind die äußeren Bedingungen an diesem Tag alles andere als gemütlich. Die am Straßenrand stehenden Fans empfinden das sogar noch stärker als die Läufer, die sich ja durch Bewegung zumindest etwas aufwärmen können.

Bei den Eliteläufern setzt man auch 1992 wieder auf einheimische Namen. Konrad Dobler, vor zwei Jahren am Main siegreich, führt die Startliste an. Stephan Jäger und Martin Grüning, die Zweiten von 1991 bzw. 1988, sind darin zu finden. Und mit Steffen Dittmann steht dort zudem noch ein weiterer starker Deutscher, der im Vorjahr den DB Marathon gewinnen konnte, allerdings nicht den von Frankfurt, sondern den ebenfalls von der Bahn gesponserten Lauf von München.

 

Dittmann und Dobler sind es, die das Rennen bis in die Schlussphase zu einem Krimi machen. Von Lokalmatador Kurt Stenzel als Hase über die erste Hälfte geführt, lösen sich die beiden wenig später aus einer Gruppe mit Martin Grüning, dem Dänen Ole Hansen und dem Norweger Frank Björkli. In strömendem Regen laufen sie bis kurz vor dem Ziel neben- und hintereinander. Denn trotz mehrerer Versuche gelingt es keinem der Beiden sich vom Begleiter zu lösen. Erst auf dem letzten Kilometer schafft es Dittmann, die entscheidende Attacke zu setzen.

Mit 2:12:59 hat der Berliner im Ziel am Hauptbahnhof dann schließlich siebzehn Sekunden auf den zum Schluss etwas resignierenden Dobler herausgelaufen. Martin Grüning sorgt nach 2:13:43 für den zweiten deutschen Dreifacherfolg hintereinander. Während aus der ehemaligen Kopfgruppe Jäger und Hansen das Ziel nicht erreichen, rettet sich Frank Björkli in 2:15:35 zwei Sekunden vor dem zweiundzwanzigjährigen Dirk Nürnberger ins Ziel.

Frankfurt-Marathon 92: (v.l.) Konny Dobler, Steffen Dittmann, Martin Grüning
Foto: Gustav E. Schröder

Noch enger geht es um die nächsten beiden Plätze zu. Uwe Honsdorf, der als Sieger der ersten beiden Mittelrheinmarathons auch 2005 und 2006 noch erfolgreich ist, und der Schwede Anders Szalkai werden in 2:19:50 zeitgleich registriert. Das Zielgericht setzt Honsorf allerdings vor den jungen Skandinavier mit ungarischen Wurzeln, der im nächsten Jahrzehnt der beständigste schwedische Marathonläufer sein wird. Der Pole Janus Wojcik kommt trotz widriger Bedingungen mit 2:19:55 ebenfalls noch unter 2:20 ins Ziel.

Nicht ganz die Spannung des Männerrennens können die Damen aufbauen. Nachdem anfangs Anne van Schuppen aus den Niederlanden das Tempo bestimmt, übernimmt auf der zweiten Hälfte die Norwegerin Bente Moe das Kommando und löst sich von ihren Verfolgerinnen. Mit 2:32:36 wird sie vom Publikum in der Kaiserstraße empfangen. Claudia Metzner vom Dortmunder Stadtteilverein Teutonia Lanstrop, schiebt sich mit dem stärksten Schlussabschnitt noch an van Schuppen vorbei und verkürzt auch den eigentlich schon deutlichen Rückstand zur Siegerin Moe wieder auf Sichtweite. Ganz kann sie die Lücke nicht mehr schließen, doch mit 2:33:20 und Rang zwei darf die Marathondebütantin dennoch recht zufrieden sein.

Anne van Schuppen muss dagegen ihrem hohen Anfangstempo Tribut zollen, bricht etwas ein und landet in 2:37:06 auf dem dritten Platz. Die Russin Elena Sipatowa wird dahinter nach 2:38:54 gestoppt. Auf Gesamtrang 261 geht Marianne van de Linde (Niederlande, 2:41:52) im dichten Männerfeld – zwischen 2:40 und 2:50 fällt im Schnitt jede zweite Sekunde ein Zieleinlauf an - als Fünfte schon fast unter. Sigrid Wulsch von der LG Menden ist zwei Monate vor ihrem Wechsel in die W40 mit 2:42:09 auch nur unwesentlich langsamer, aber in der Gesamtliste schon neun Plätze weiter hinten zu finden.

Der Dauerregen kann dem hohen Leistungsniveau nichts anhaben, vielleicht ist er sogar verantwortlich für die Rekordmarke beim „neuen“ Frankfurt Marathon. 1145 Zeiten unter der Drei-Stunden-Schallmauer sind ein Wert, der nur am Main von den Hoechst Marathons drei bis fünf übertroffen wurde. In den Folgejahren wird man dieses Ergebnis auch nie wieder erreichen können.

Und was ist mit der Neuerung des sieben Stunden offenen Ziels? Nun, gerade einmal 129 unter 6435 Läuferinnen und Läufern lassen sich über die bisherige Schlussmarke von fünf Stunden Zeit. Und auch jenseits der vier Stunden ist mit insgesamt 1207 langsameren Ergebnissen keine wirkliche Veränderung erkennbar. Die Idee kommt wohl einfach ein knappes Jahrzehnt zu früh. Schon ein Jahr später wird in Frankfurt wieder nach 5:30 mit dem Abbau begonnen.

Die zweite „Innovation“, der Zieleinlauf am Bahnhof im Herzen der Stadt, hat ebenfalls keine Zukunft. Und das ist hauptsächlich dem wirklich miserablen Wetter geschuldet. Nur mit dünnen Folien bedeckt warten die vor Nässe und Kälte bibbernden Marathonis nämlich viel zu lang auf die Busse, die sie den knappen Kilometer zurück zur Festhalle bringen sollen und dann noch völlig überfüllt sind.

Bei schöner Witterung wäre das kein großes Problem, unter diesen Bedingung regt sich heftiger Unmut. Zumal man mit der sogenannten B-Ebene unter dem Bahnhof und seinem Vorplatz, durch die das Läuferfeld zur Bushaltestelle geschleust wird, eigentlich eine optimale, warme und trockene Fläche für eine erste Versorgung und die Ausgabe von Kleiderbeuteln hätte. Ein Lapsus in der Planung, der gleich wieder das Aus für den neuen Zieleinlauf bedeutet. Schon in der Ergebnisliste des Jahres 1992 kündigen die Marathonmacher an, dass im Folgejahr das Ziel direkt vor dem Messeturm zu finden sein wird.

 

Kam schlecht an, die Ton-Medaille 1992

Auch eine dritte Änderung kommt nicht wirklich gut an. Erstmals sind die Medaillen nämlich nicht aus Metall sondern aus Ton. Zur Unterstützung des Marathons in Riga hat man sie in Lettland bestellt. Allerdings ist damit die Serie mit dem Marathon-M in bisher einheitlichem Format unterbrochen, was einigen Sammlern gar nicht gefällt. So bietet man dann in der Ergebnisliste auch an, für Interessierte die Medaillen in der üblichen Form nachprägen zu lassen. Bis 1999 werden alle weiteren Auszeichnungen dann wieder in die Reihe passen.

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Zum letzten Mal prangt das DB der Bahn auf der Ausschreibung des Frankfurt Marathons. Und innen wird wieder einmal verkündet, dass der neue Kurs noch schneller als alle bisherigen sei. Etwas anders als im Vorjahr sieht der abgedruckte Streckenplan dann auch wirklich aus. Statt gleich auf den Weg nach Höchst zu gehen, kreisen die Marathonläufer nämlich erst einmal acht Kilometer um und in der Frankfurter City, überqueren dabei zweimal den Main und nehmen dann die kilometerlange, fast kerzengerade Mainzer Landstraße hinüber in den Vorort in Angriff.

Im Gegensatz zum Vorjahr ist der Schlenker um das Rebstockbad entfallen, der die Gerade in zwei kürzere Hälften aufteilte. Und so durften die Marathonis nun volle sieben Kilometer über die breite, windanfällige Ausfallstraße laufen. Praktisch ununterbrochen vom Anfang an der Alten Oper bis zum Ende in Höchst wie diesmal wird sie zwar nie wieder auf dem Streckenplan stehen. Doch bis heute sorgen mehrere - zudem auch noch zuschauerarme - Geradeauskilometer auf der Mainzer Landstraße für den einen oder anderen Fluch im Feld.

Am Rückweg hat sich nicht viel geändert. Doch die Schlenker in der Innenstadt sind weniger geworden. Die bekannten Landmarken Römerberg und Zeil gehören noch dazu. In der Folgezeit wird man beide allerdings einem noch schnelleren Kurs als dem doch ohnehin schon „Schnellsten“ des Jahres 1993 opfern.

Weiter optimiert hat man den Blockstart, mit dem man vor Einführung der Chipzeitmessung versucht, halbwegs gleiche Laufbedingungen für die gesamte Läuferschar zu schaffen. Auf den beiden mehrspurigen Richtungsfahrbahnen der Theodor-Heuss-Anlage vor der Messe werden zwei Startsäulen mit mehreren jeweils etwa tausend Köpfe starken Gruppen gestellt, die dann im Minutenabstand auf die Marathondistanz geschickt werden. Am Ende zieht man  dann die Wartezeiten der Blocks von den gestoppten Zeiten ab und erhält fast so etwas wie eine Nettozeit. Ein noch nicht perfektes System, zumal die sofort in eine Kurve hinein führende Strecke gleich hinter der Startlinie schon wieder für den nächsten Stau sorgt. Doch minutenlange Wartezeiten bei laufender Uhr gehören so zumindest der Vergangenheit an.

 

Fast alle bekannten deutschen Marathon-Herren haben die Frankfurter diesmal an den Start gebracht. Da ist der Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele von Barcelona Stephan Freigang, der nach eher durchwachsenen Saison noch einmal ein Ausrufezeichen setzen will. Da ist Lokalmatador Kurt Stenzel, der im laufenden Jahr in Hannover Deutscher Meister werden konnte. Da ist Konrad Dobler, im Vorjahr Zweiter und vor drei Jahren Sieger in Frankfurt, der sich - wie Stenzel auch – im Sommer bei der WM in Stuttgart im Vorderfeld platzierte. Und da ist Herbert Steffny, Dreifachsieger 1985, 1989 und 1991 in der Mainmetropole, der wieder einmal in einem ungeraden Jahr in Frankfurt dabei ist.

Doch nur einer von ihnen ist dafür vorgesehen, um den Sieg mitzulaufen – Stephan Freigang. Dobler und Stenzel sollen den Cottbuser als Edelhasen über die erste Streckenhälfte geleiten. Und Herbert Steffny läuft als Struwwelpeter verkleidet als Schrittmacher der Drei-Stunden-Gruppe im Kilometerschnitt von 4:15 über die Strecke. Ein Job, den er mit einer Endzeit von 2:59:22 dann auch perfekt erledigt.

Frankfurt-Marathon 93: Stephan Freigang
Foto: Gustav E. Schröder

An der Spitze sorgen zuerst einmal zwei Tansanier mit hohen Nachmelderstartnummern für Verwirrung. Juma Nyampanda und Mohammed Isaa rennen ein Stück vor der eigentlichen Spitzengruppe her, um dann bei Halbmarathon urplötzlich stehen zu bleiben. Ein Trainingslauf unter Wettkampfbedingungen und eine Eigenwerbung vor laufenden Kameras, aber dennoch eine recht seltsame Einlage.

Dahinter haben sich bei den beiden hochkarätigen Tempomachern neben Freigang unter anderem auch noch der Pole Karol Dolega und der Norweger Terje Næss sowie Adri Hartveld und Gerard Kappert aus denn Niederlanden einsortiert. Von diesem Quintett wird das Rennen nach dem Ausstieg der Hasen bestimmt. Weiterhin ist das Tempo hoch. Zuerst müssen die beiden Holländer passen. Jenseits der Dreißig-Kilometer-Marke verliert dann der Skandinavier Næss langsam den Anschluss. Und in Sachsenhausen kurz vor Kilometer 35 schüttelt Freigang schließlich auch seinen letzten Begleiter ab.

Bis zum Ziel an der Messe kann er den Vorsprung auf über eine Minute ausbauen und in 2:11:53 die bis dahin zweitbeste Siegerzeit am Main abliefern. Einzig der Äthiopier Nedi war bei seinem Erfolg 1984 noch schneller. Karol Dolega wird mit 2:12:59 als Zweiter gestoppt. Nur knapp dahinter läuft Terje Næss nach 2:13:11 ein, dem es trotz aller Bemühungen nicht mehr gelingt, den verlorenen Kontakt zum Polen wieder her zu stellen. Gerard Kappert (2:14:23) auf Rang vier verliert nicht allzu viel auf der zweiten Hälfte. Sein Landsmann Adri Hartveld (2:19:16) lässt einer 1:06 für den ersten Halbmarathon allerdings eine 1:13 folgen und muss sich fast noch dem Schweden Lars Andervang (2:19:36) beugen, der sich am Anfang viel stärker zurück gehalten hatte.

Was Terje Næss (noch) versagt bleibt, gelingt Sissel Grottenberg im Frauenrennen. In 2:36:50 sorgt die norwegische Vielstarterin, die fast zwei Jahrzehnte lang bei vielen großen Stadtmarathons immer wieder im Vorderfeld, aber eben fast nie ganz oben landet, für einen ihrer wenigen Siege. Erwehren muss sich die siebenunddreißigjährige Skandinavierin nach langem Sololauf einer noch drei Jahre älteren Läuferin. Sigrid Wulsch von der LG Menden erzielt als W40erin mit 2:37:41 eine neue persönliche Bestzeit und wird Zweite.

Mieke Hombergen aus den Niederlanden lässt nach 2:38:19 Birgit Schuckmann ganze acht Sekunden hinter sich. Romy Lindner (Blau-Weiß Auerbach), die auf dem ersten Drittel der Strecke mutig versucht hatte, das Tempo von Grottenberg mit zu gehen, wird am Ende für ihr hohes Risiko nicht belohnt und muss sich in 2:41:24 mit Rang fünf begnügen.

Bei kühlen und zum Teil auch feuchten Bedingungen, die allerdings bei weitem nicht so extrem ausfallen wie im Vorjahr, werden insgesamt 5794 Läufer in die Ergebnisliste aufgenommen, rund siebenhundert weniger als im Vorjahr.

 

Frankfurt Marathon 1993: (v.l.) Sigrid Wulsch, Sissel Sofie Grottenberg und Mieke Hombergen
Foto: Gustav E. Schröder

Als letzte Läuferin unter vier Stunden taucht dort der Name „Sylvia Schenk“ auf. Die inzwischen zur Frankfurter Sportdezernentin aufgestiegene frühere deutsche Meisterin über 800m absolviert wie schon im Jahr zuvor jenen Lauf, an dessen Wiedergeburt sie nach dem Ende des Höchst Marathons als Mitglied einer Initiativgruppe maßgeblich beteiligt war. Ihre spätere sportpolitische Karriere als Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer wird im Streit um das richtige Vorgehen im Kampf gegen Doping mit ihrem Rücktritt enden.

Ein wenig chaotisch verläuft der erstmals ausgetragene Minimarathon für Kinder und Jugendliche über gut vier Kilometer. Vermutlich durch einen platzenden Luftballon, den viele als Startschuss interpretieren, werden die Nachwuchsläufer viel zu früh auf die Strecke entlassen, mischen sich mit dem Marathonis und werden deshalb von den Ordnern teilweise falsch eingewiesen. Etliche laufen deshalb die doppelte Distanz und biegen erst als das Marathonfeld wieder in Nähe der Messe vorbei kommt, in Richtung Ziel ab. Es wird leider nicht das letzte Mal sein, dass in Frankfurt eine Fehlleitung beim Mini-Marathon für Diskussionen sorgt.

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Neun Jahre musste man in Frankfurt warten, bis die Deutschen Meisterschaften an den Main zurück kehren. Doch 1994 ist es wieder soweit. Die nationalen Titelträger werden nach 1985 zum zweiten Mal im Rahmen des Citymarathons ermittelt. Und fast scheint es, als ob das Läufervolk nur darauf gewartet habe. Mit über 1600 Meldungen alleine für diese Meisterschaften kann der DLV eine neue Rekordzahl vermelden. Kein Vergleich zu den noch wenige Jahre zuvor meist üblichen Meisterschaften auf dem Dorf, bei denen man schon froh war zweihundert Teilnehmer zusammen zu bekommen. Rund 1300 der Gemeldeten tauchen am Ende dann auch in der Ergebnisliste auf.

Doch die Quantität sagt noch nichts über die Qualität des Feldes aus. Zumindest aus nationaler Sicht, denn von den in den letzten Jahren in Frankfurt auf dem Siegertreppchen stehenden deutschen Herren ist einzig Stephan Freigang dabei, der einen Zweijahresvertrag mit den Veranstaltern abgeschlossen hat. Der Rest verzichtet aus den unterschiedlichsten Gründen auf die Titelkämpfe.

Das Frauenfeld ist aus heimischer Sicht auch nur unwesentlich besser besetzt. Selbst wenn die Überraschungszweite des Vorjahres Sigrid Wulsch wieder in der Startliste auftaucht, richten sich die Augen dennoch hauptsächlich auf die Debütantin Kathrin Weßel, der man als mehrfache Meisterin über die 25 Stadionrunden auf der Straße ebenfalls einiges zutrauen darf.

Schon als das Feld nach der noch einmal verlängerten Startrunde durch die Innenstadt bei zehn Kilometern wieder in der Nähe der Messe vorbei kommt, hat sich an der Spitze die Dreiergruppe zusammengefunden, aus der die Platzierungen vergeben werden.

Zusammen mit den Tempomachern Jens Karraß und Tendai Chimusasa machen sich Freigang, der aus dem Vorjahr schon bekannte Terje Næss und der Tscheche Karel David auf den leicht veränderten Weg nach Höchst.

Die stramme Marschtabelle zielt auf eine Zeit von 2:10 hin, die Freigang für die Optimalförderung auf die im Folgejahr anstehende WM erreichen muss. Bis zur Hälfte der Distanz liegen sie noch fast genau im optimistischen Plan, der ja immerhin einen neuen Streckenrekord bedeuten würde. Doch dann kommt Sekunde um Sekunde zusätzlich zusammen. Die Gruppe nimmt das Tempo des Hasen nicht mehr an. Als der aus Simbabwe stammende, aber viel im Odenwald bei Wolfgang Heinig trainierende Chimusasa nach über dreißig Kilometern seine Arbeit beendet, ist die hochgerechnete Endzeit schon bei 2:12 angelangt.

Und Freigang kann nicht einmal diesen Wert erreichen. Von Seitenstichen geplagt muss er wenig später seine beiden Mitstreiter ziehen lassen und sogar einige Schritte gehen. Wenig später schüttelt der Vorjahresdritte Næss auch David ab und läuft in 2:13:19 einen sicheren Sieg nach Hause. Eine sogar acht Sekunden schwächere Zeit als 1993, aber eben der erste Platz statt Rang drei. Karel David lässt auch noch einige Federn und kämpft sich mit 2:15:49 ins Ziel.

Der Deutsche Meistertitel in 2:16:35 ist für Stephan Freigang kein wirklicher Trost. Und der Erfolg in der Teamwertung mit dem SC Cottbus kann ihn ebenfalls wenig aufheitern. Das hochgesteckte Ziel in einem auf ihn zugeschnittenen Rennen hat er klar verfehlt.

 

Frankfurt Marathon 1994: (v.l.) Karel David, Terje Næss und Stephan Freigang - Foto: Gustav E. Schröder

Francis Naali aus Tansania wird in 2:17:22 Vierter vor dem Litauer Pavelas Fedorenka (2:18:13). Dahinter spurten Klaus-Peter Nabein (LAC Quelle Fürth), Uwe Honsdorf (Rot-Weiß Koblenz) und Hans Hopfner (SV Kay) um die restlichen beiden Podestplätze in der Meisterschaft. Der  frühere Mittelstreckler Nabein hat bei seinem ersten Marathon nach 2:18:48 das bessere Ende für sich, Honsdorf holt sich drei Sekunden dahinter Bronze. Für den Bayern Hopfner bleibt weitere zwei Sekunden später nur ein undankbarer vierter Platz.

Was den Männern trotz Planung und Tempomachern nicht gelingt, fällt bei den Frauen völlig unerwartet und eher zufällig ab – ein neuer Streckenrekord. Franziska Moser aus der Schweiz, nur mit einer 2:33:09 als Hausrekord angereist, läuft ihn im Alleingang heraus. Ihre Konkurrentinnen hat sie schon früh im Startgetümmel verloren, ist überrascht, dass sie als Führende angekündigt wird. An ihre eigentlich geplante Marschtabelle auf eine Zeit unter 2:30 hält sie sich nicht ganz, ist ständig einige Sekunden schneller.

Doch der befürchtete Einbruch bleibt bei der Juristin aus, die eine Teilzeitstelle bei einer Großbank hat und keineswegs als Vollprofi trainiert. Auf 2:27:44 drückt sie ihre und die Frankfurter Bestzeit. Den Schweizer Landesrekord holt sie sich bei ihrem Lauf in die Weltspitze ebenfalls.

Ein wenig unorthodox für reine Straßenläufer ist ihre Vorbereitung. Denn im Juli hat sie den damals noch 67 Kilometer langen Swiss Alpine Marathon in Davos hinter Seriensiegerin Birgit Lennartz als Zweite beendet. Und zwei Monate vor ihrem noch überraschenderem Sieg in New York drei Jahre später gewinnt „Fränzi“ Moser den Jungfrau Marathon.

Gerade einmal 35 Jahre alt wird sich die Schweizerin im Winter 2002 bei einem Lawinenabgang während einer Skitour tödliche Verletzungen zuziehen.

Mehr als sechs Minuten später ist mit Anita Håkenstad (2:34:01) wieder einmal eine Norwegerin als Zweite auf dem Treppchen. Kathrin Weßel vom OSC Berlin ist als Deutsche Meisterin mit ihren 2:36:29 wie ihr männliches Pendant Freigang wenig zufrieden. Lange liegt sie auf Platz zwei, um dann auf den letzten zehn Kilometern einzubrechen und mehr als drei Minuten auf Håkenstad zu verlieren.

 

Auch der vierte Platz geht in den hohen Norden. Grete Kirkeberg, die Frankfurt-Siegerin von 1988, wird mit 2:38:21 acht Sekunden vor der Polin Irena Czutta im Ziel registriert. Die Sächsin Romy Lindner holt sich in 2:38:48 Platz sechs in der Gesamt- und Platz zwei in der Meisterschaftswertung. Manuela Veith vervollständigt nach 2:41:24 das Podest der DM.

Trotz typischem Frankfurt-Wetter mit kühlen Temperaturen und böigem Wind, der den Läufern insbesondere auf der offenen Mainzer Landstraße unangenehm ins Gesicht bläst, sorgen die Meisterschaften noch einmal für einen Leistungsschub. Von 7162 Läuferinnen und Läufern im Ziel – davon mit 829 erstmals mehr als zehn Prozent Frauen - unterbieten 1088 die drei Stunden. Zum letzten Mal in der fünfundzwanzigjährigen Geschichte des Frankfurt Marathons liegt man damit jenseits der Tausendermarke. In den nächsten Jahren werden die Felder deutlich langsamer werden.

Frankfurt-Marathon 94: Kathrin Weßel
Foto: Gustav E. Schröder

Interessant aus heutiger Sicht ist, dass die Kommentatoren das niedrige Niveau der Meisterschaften beklagen. Nur 41 deutsche Läufer unter 2:30 erscheint ihnen erschreckend wenig. Im Jahr 2005 gibt es allerdings während des ganzen Jahres weniger Ergebnisse in diesem Zeitbereich als bei der Marathonmeisterschaft 1994 in einem einzigen Rennen.

Erstmals werden übrigens die kompletten Ergebnisse am nächsten Tag als Sonderbeilage der Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht. Und so mancher Kioskbesitzer in Rhein-Main-Gebiet, der sonst eher das Blatt mit den großen Buchstaben und den vielen bunten Bildern verkauft, wundert sich an jenem Montag über das plötzliche rege Interesse an der sonst eher wie Blei im Regal liegenden FAZ.

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Fast ist man es ja schon gewohnt, dass es in jedem Jahr beim Frankfurter Marathon, der diesmal nach dem aktuellen Sponsor formal korrekt „Eta-Marathon“ heißt, Neues zu vermelden gibt. Auch für 1995 haben sich die Organisatoren natürlich etwas ausgedacht. Die Elitefrauen dürfen sich nämlich in diesem Jahr eine Viertelstunde vor dem Männerfeld auf ihren Weg durch die Mainmetropole machen.

Aussagen wie die von Vorjahressiegerin Franziska Moser, die angab, ihre Konkurrentinnen während des Rennens eigentlich nie gesehen zu haben, oder von Claudia Metzner, die 1992 als Zweite meinte, sie habe Bente Moe vielleicht auch noch einholen können, wenn sie als Frau klar erkennbar gewesen wäre, haben die Marathon-Macher zum nachdenken gebracht. Schließlich gehen die Frauen im Männerfeld tatsächlich fast völlig unter. Nun also will man ihnen die verdiente Bühne für ihre Leistungen bieten.

Aber wo zieht man die Grenze? In Frankfurt meint man, bei einer Vorleistung von 3:10 einen vernünftigen Wert gefunden zu haben. Während die wirklichen Eliteläuferinnen reine Frauenrennen allerdings sehr wohl gewöhnt sind, kennen die aus der Volkslaufszene stammenden Marathonias eigentlich nur gemischte Läufe. Sie pflegen sich an größeren Männerpulks gleicher Leistungsstärke zu orientieren.

Jetzt sollen sie aber mehr oder weniger alleine durch die Straßen laufen, mit der sicheren Aussicht von den flottesten der Herren bald eingeholt und anschließend durchgereicht zu werden. Nicht allen gefällt diese Perspektive. Die Meinungen der schnellen Damen gehen auseinander. Und so haben die Organisatoren wieder einmal für Gesprächsstoff während der Vorbereitungsläufe gesorgt.

 

Über noch etwas anderes wird ebenfalls geredet. Erstmals wird in Frankfurt die Zeitnahme ausschließlich durch den Champion-Chip erfolgen. Noch ist die Verbreitung des neuen Systems in der Läuferschaft recht gering und so müssen massenweise Leihchips ausgeteilt werden. 35 Mark Pfand und 5 DM Miete sind dafür fällig. Zusatzkosten, über die sich mancher aufregt. Liegen die Meldegebühren doch ohnehin schon bei 55 Mark.

Die persönlichen Meldeaufkleber, die man zugeschickt bekommt, wenn man den Chip nach dem Rennen nicht zurückgibt und damit kauft, mögen im Zeitalter des Internets als Hauptmeldemedium überflüssig wirken. Doch noch vor einem Jahrzehnt sind sie eine massive Arbeitserleichterung für die Datenerfasser in den Organisationsbüros. Schließlich müssen sie nun nicht jedes Mal wieder alles neu eingeben. Die Chipnummer reicht und Name, Adresse, Verein und Jahrgang können von nun an aus der Datenbank zugespielt werden.

Frankfurt-Marathon 95: Oleg Otmakov
Foto: Gustav E. Schröder

Eine auch ein Jahrzehnt später nicht wirklich geklärte Frage, nämlich die, ob eine Ergebnisliste nach Brutto- oder Nettozeiten aufgebaut werden soll, entscheiden die Frankfurter im ersten Jahr der Chipmessung zu Gunsten der reinen Laufzeit. Eigentlich auch nur ein konsequentes Weiterdenken der Blockstarts der Vorjahre, bei denen bei ganz exakter Betrachtung die Ergebnisse aus fünf separaten, im Minutenabstand gestarteten Rennen vermengt wurden. Im Jahr 1995 gibt es eben nicht fünf sondern fünfhundert unterschiedliche Startzeiten.

Wieder einmal sind die Schirme aufgespannt, als sich die Läufer zur Startaufstellung vor der Messe versammeln. Und die Spitzen der Hochhäuser, zwischen denen man hindurchlaufen wird, sind oft nur zu erahnen. Doch sind die zweistelligen Temperaturen nicht ganz so unangenehm wie schon bei einigen anderen Austragungen.

So haben die schnellen Frauen dann auch meist eher die leichte Laufbekleidung gewählt, als sie um 9:45 den vierzehnten Frankfurter Marathon eröffnen. Erstmals ist es den Organisatoren gelungen, mit Katrin Dörre-Heinig die Grand Dame der deutschen Marathonszene zu verpflichten. Fast ist die gebürtige Leipzigerin, die unter anderem dreimal in London erfolgreich war, sogar so etwas wie eine Lokalmatadorin. Schließlich wohnt sie seit einigen Jahren im nahegelegenen Odenwald. Nach einer Operation an der Ferse im Frühjahr ist allerdings nicht klar, wie weit sie schon wieder in Form gekommen ist.

Außerdem ist mit der im Vorjahr erfolgreichen Franziska Rochat-Moser eine auf dem Papier etwa ebenbürtige Konkurrentin eingeladen. Ein spannender Zweikampf scheint sich anzubahnen. Mit Birgit Jerschabek und Claudia Lokar hat man sogar eigens zwei Tempomacherinnen abgestellt.

Doch aus dem erhofften Duell wird nichts. Schnell verliert die Schweizerin den Anschluss, hat nach extrem flotten ersten zehn Kilometern an der Spitze, die auf eine Zeit von 2:23 hinaus laufen, schon Rückstand von einer Minute und gibt zwei Kilometer später mit Kniebeschwerden auf.

Katrin Dörre-Heinig wird von ihren Begleiterinnen noch immer auf Kurs 2:26 zur Halbmarathonmarke gebracht. Doch nachdem sich Jerschabek und Lokar bei Kilometer 26 verabschieden, verwandelt sich das vermeintliche Privileg der führenden Frauen, alleine an der Spitze zu laufen, zum großen Handicap. Denn das letzte Drittel der Distanz muss die Neu-Hessin im Trikot des LAC Quelle Fürth / München völlig alleine bestreiten. Von Manuela Veith, der zweiten Schweizerin Elisabeth Krieg und Anita Håkenstad auf den nächsten Plätzen droht nicht die geringste Gefahr. Die sind kilometerweit zurück.

Und nun wird Dörre-Heinig auch Opfer des eigenen, höchst riskanten Anfangstempos. Die Kilometerzeiten werden deutlich langsamer, das Ergebnis für die zweite Hälfte fällt rund fünf Minuten höher aus. Jedenfalls bleiben die 2:31:33, nach denen sie am Ende ins Ziel kommt, ein ganzes Stück hinter der eigentlichen Vorgabe.

Manuela Veith liegt als Zweite mit 2:37:57 allerdings bereits mehr als sechs Minuten hinten. Die inzwischen für den ABC Ludwigshafen startende Rheinhessin ist trotz einem Alter von gerade einmal einundzwanzig Jahren bereits eine erfahrene Marathonläuferin. Schließlich hat sie ihr erstes Rennen über die klassische Distanz schon als Neunjährige hinter sich gebracht. Mit beständigen Leistungen wird sie in der Folge auch zu Einsätzen bei internationalen Meisterschaften kommen. Genau die Einlaufreihenfolge von Frankfurt 1995, nämlich Dörre-Heinig vor Veith wird sich 1998 und 1999 noch zweimal beim Hamburg Marathon wiederholen, bevor Manuela als inzwischen verheiratete Frau Zipse im Jahr 2000 den Spieß umdrehen kann.

Durch Elisabeth Krieg auf Rang drei kommt in 2:38:34 zumindest eine Eidgenössin aufs Siegerpodest, das Anita Håkenstad (2:40:00) im Gegensatz zum Vorjahr verwehrt bleibt. Galina Borouk bringt nach 2:40:31 erstmals Weißrußland in die vorderen Ränge der Frankfurter Ergebnislisten. Und mit Ai Sugihara (2:41:04) taucht auch zum ersten Mal eine Läuferin aus der großen japanischen Marathonszene am Main auf. Die frühere Frankfurt-Siegerin Sissel Grottenberg landet nach 2:41:50 dahinter auf Platz sieben.

 

Frankfurt Marathon 1995: (v.l.) Manuela Veith Katrin Dörre-Heinig mit Tochter Katharina und Elisabeth Krieg
Foto: Gustav E. Schröder

Lange Zeit sieht es nach einen Doppelsieg für die Odenwälder Trainingsgruppe aus. Denn an der Spitze des Männerrennens kommt als erster Tendai Chimusasa aus Zimbabwe vom Ausflug nach Höchst in die Frankfurter City zurück. Im Vorjahr noch als Hase eingesetzt ist der Afrikaner diesmal einer der Topfavoriten. Als er in Sachsenhausen alleine in Führung liegend an Dörre-Heinig vorbei zieht, scheint der Marathon auch bei den Männern schon entschieden.

Doch der Mann mit dem Hammer wartet noch auf den nach vielen Siegen bei kürzeren Straßenläufen in Deutschland recht bekannten und beliebten Chimusasa. Zuerst schiebt sich von hinten der Russe Oleg Otmakov wieder heran und geht in Führung. Dann stürmt der Kenianer Elija Lagat vorbei. Und schließlich ist es Tekeye Gebrselassie, der Bruder des großen Haile, der den Simbabwer passiert. Kurz vor dem Ziel überspurtet auch noch Klaus-Peter Nabein den fast stehenden Chimusasa, dem in 2:15:26 nur Rang fünf bleibt.

 

Oleg Otmakov nimmt ihm innerhalb weniger Kilometer rund drei Minuten ab, wird in 2:12:35 gestoppt. Doch ganz sicher kann sich der Russe seines Sieges bis zum letzten Meter auch nicht sein, denn von hinten fliegt Lagat herbei. Gerade einmal vier Sekunden sind es am Ende, die den Marathon zu Gunsten des Russen entscheiden.

Auch um Platz drei wird heftig gespurtet. Wie schon im Vorjahr spielt der Fürther Nabein seine Mittelstreckenqualitäten aus und fängt in 2:15:00 Gebrselassie mit genau dem gleichen Abstand wie zwischen den ersten Beiden gerade noch ab. Steffen Dittmann, der inzwischen für den TuS Solbad Ravensberg laufende Sieger von 1992, wird in 2:15:38 Sechster. Vorjahressieger Terje Næss steigt genauso aus wie Lokalmatador Kurt Stenzel.

Privatier Tendai Chimusasa mit Familie

Mit 6623 Läuferinnen und Läufern im Ziel fällt der fast zu erwartende Rückgang nach der Meisterschaft nicht allzu groß aus. Ganz langsam fangen sich die Verhältnisse allerdings an zu verschieben. Der immer noch recht hohen Zahl von 809 Zeiten unter drei Stunden stehen inzwischen 1473 über vier Stunden entgegen. In den sechzig Minuten dazwischen gehen die Zieleinläufe schneller als im Sekundentakt vor sich.

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Vielleicht verdankt Marathon einen Großteil seiner Popularität, auf jeden Fall aber die krumme Distanz von 42,195 Kilometern jenem Zusammenbrechen des Italieners Dorando Pietri kurz vor der Ziellinie bei den Olympischen Spielen 1908 in London. Von eifrigen Helfern wieder auf die Beine gestellt und die letzten Schritte ins Ziel geleitet, musste er anschließend disqualifiziert werden. Der Amerikaner Hayes wurde zum Olympiasieger. Die Geschichte ging weltweit durch die Presse und richtete das Augenmerk auf den Marathonlauf. Revancherennen über genau die gleiche Streckenlänge zementierten nach und nach jenen zufällig entstandenen Wert, der sich aus dem Abstand zwischen dem Startplatz vor Schloss Windsor und dem Ziel an der königlichen Loge im Olympiastadion ergab.

Fast genauso ergeht es dem Sieger des Frankfurt Marathons von 1996. Fünfzig Meter vor dem Ziel beginnt der völlig entkräftete Martin Bremer leicht zu schwanken. Mit letztem Willen rettet er sich bis zum ihm entgegen gehaltenen Zielband. Doch das Zerreißen fällt diesmal aus. Direkt auf der Zeitmessmatte, die bei 2:13:38 piept, kommt der Sechsundzwanzigjährige endgültig ins Straucheln und landet auf dem Bauch. Ein Drama, das aber in diesem Fall für den Führenden zumindest noch gut ausgeht.

Die Stecke hätte allerdings nicht nur wegen des Zielsturzes nicht mehr viel länger sein dürfen. Denn von hinten hat sich der Japaner Ryukji Takei genähert. Ganze vier Sekunden später läuft er am auf dem Boden liegenden Bremer vorbei.

 

Dabei hat Bremer sich gerade erst vor dem Marathon wieder aufgerappelt. Eine zweijährige Sperre nach einer positiven Probe auf das Hormon Testosteron, das auch ein Jahrzehnt später noch die Gemüter bewegen wird, hat er gerade abgebrummt. Und durch einen Start als „Volksläufer ohne Verein“ während seiner Sperre beim dann prompt von ihm auch noch gewonnenen Nürburgringlauf hat er für weiteren Unmut gesorgt.

Mit einem mutigen Tempolauf von der Spitze, nur bis zur Halbmarathonmarke vom erfahrenen Hasen Jens Karraß begleitet, hat der Marathondebütant die Konkurrenz zermürbt und schnell abgehängt. Rund eine Minute liegt er schon nach einem Drittel der Strecke vor dem Japaner, der ebenfalls seinen ersten Marathon bestreitet. Ein Abstand, der bis kurz vor dem Ziel so bestehen bleibt.

Frankfurt Marathon 1996: Martin Bremer
Foto: Gustav E. Schröder

Und auch der Dritte, Artur Osman aus Polen, wagt sich in Frankfurt zum ersten Mal an die 42,195 Kilometer, die er nach 2:16:27 hinter sich gebracht hat. Philip Rist aus der Schweiz wird in 2:17:35 Vierter, während sich der zweitbeste Deutsche Heiko Klimmer vom USV Halle in 2:18:20 den Äthiopier Girma Gaba gerade einmal sechs Sekunden vom Leib halten kann.

Der Läufer mit der Startnummer 1 kommt erst auf Rang 14 ins Ziel. Doch „Altmeister“ Konrad Dobler (2:26:13) läuft den Frankfurter Marathon nach dem Ende seiner internationalen Karriere hauptsächlich wegen der Polizeimeisterschaften, die er dann auch sicher gewinnt.

Bei weitem nicht so dramatisch wie bei den Herren geht es bei den Damen zu, die nach dem Versuch eines separaten Starts im Vorjahr nun wieder gemeinsam mit den Männern auf die Strecke gehen. Das anfängliche Pärchen Katrin Dörre-Heinig und Ursula Jeitziner hält nur bis zur Hälfte der Strecke, dann ist die Odenwälderin wieder alleine vorne. Das zweite Solo beim zweiten Start am Main endet diesmal etwas schneller. 2:28:33 zeigen die Uhren an, als die Athletin des LAC Quelle Fürth im Gegensatz zum Herrensieger das Zielband auch durchläuft.

Die Schweizerin Jeitziner verliert auf Dörre-Heinig ab der Halbmarathonmarke über vier Minuten. Ihr zweiter Platz in 2:32:52 ist allerdings auch nie in Gefahr. Heather Turland, die dahinter nach 2:34:10 ins Ziel kommt, ist nach der Neuseeländerin Gillian Drake bei der Premiere des Hoechst Marathons wohl die am weitesten angereiste Platzierte bisher. Schließlich stammt sie aus dem fernen Australien. Nur noch die Russin Albina Galliamova unterbietet in 2:39:56 hauchdünn die 2:40. Elena Zuchlo aus Weißrußland (2:46:22) und Bernadette Hudy vom LLC Marathon Regensburg (2:46:54) sind die beiden restlichen Frauen unter 2:50.

Insbesondere im Frauenbereich fällt der leistungsmäßige Vergleich zum Vorjahr deutlich schwächer aus. Gerade einmal 13 anstelle von 23 Läuferinnen 1995 knacken die drei Stunden. Doch auch bei den Herren werden mit 470 Zeiten unter der magischen Marke deutlich weniger gute Ergebnisse erzielt. Und das obwohl die Gesamtzahlen nur auf 6243 Teilnehmer zurückgehen. Im Prinzip fehlen also einzig und allein die Leistungsläufer. Die nur vier Wochen vorher in Berlin ausgetragenen Deutschen Meisterschaften können allerdings durchaus noch als Ursache für diese Entwicklung gelten. Noch, denn die Zeiten werden sich in den nächsten Jahren ändern. An der Spitze und in der Breite.

Part 1:
1981-1985
Part 2:
1987-1991
Part 3:
1992-1996
Part 4:
1997-2001
Part 5:
2002-2006
Part 6:
2007-2011

Bericht Ralf Klink - Fotos Gustav E. Schröder

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