Es geschah am hellichten Tag aber es ist , wie es so schön heißt, "nix passiert": "Nix" das heißt: keine Vergewaltigung, kein Mord. Sondern nur eine unsittliche Belästigung. Ich war um die Mittagszeit auf einem keineswegs einsamen Feldweg in Stadtnähe unterwegs, als ein Radfahrer von hinten kam. Er versuchte, mich "unsittlich" zu berühren, und machte mich an: "Willst du mit mir ficken?". Als ich ihn energisch angiftete "Hau bloß ab! Aber schnell!", drehte er sogar sofort ab und verschwand (ohne dass ich Lust hatte, ihn zu verfolgen).
Einige Stunden später war ich auf dem Polizeirevier. Warum? Ja, warum eigentlich? Ich dachte mir, vielleicht schnappt die Polizei den Typ irgendwann wegen eines anderen Falles, und dann soll dokumentiert sein, dass dieser Mann noch weitere sexuelle Belästigungen auf dem Kerbholz hat. Außerdem wollte ich meine Wut und Empörung über die Art Entwürdigung loswerden, und so eine Anzeige erschien mir der kultivierte Weg dazu.
Schon nach wenigen Minuten auf der Wache hatte ich das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Denn die sehr verständnisvollen Beamten machten mir Hoffnung: "Sie sind schon die Fünfte innerhalb weniger Tage mit einer solchen Anzeige. Wir haben da auch jemanden in Verdacht. Der war schon einmal in dieser Art auffällig. Die Beschreibungen passen jeweils auf diesen Mann." Später habe ich erfahren, dass der Verdächtige es gewesen war. Ich habe aber offiziell weder von der Polizei noch von einem Gericht etwas gehört.
Die Sache hatte ich schon fast vergessen ... bis fünf Monate später ein Brief kam. Etwas unbeholfen handgeschrieben, ein Mann als Absender, dessen ausländisch klingenden Name ich nicht kannte. Der Inhalt sinngemäß zitiert in schlechtem Deutsch: "Sehr geehrte Frau K., ich möchte mich entschuldigen für das, was ich letzten November Ihnen angetan habe (...) Ich befinde mich deshalb zur Zeit in Behandlung (...) Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an" u.s.w. Ich musste erst mal eine Weile nachdenken, bis ich drauf kam, dass der Mann die Belästigung meinte und dass er der Täter war. Nett, dass es ihm leid tut. Nett, dass er sich an mich wendet. Aber: Woher hat dieser Mann meine Privatadresse?
Etwa zwei Tage lang hing ich am Telefon, fragte mich von der Polizei (die die Adressen der betroffenen Frauen natürlich in ihren Akten, aber nicht an den Täter direkt weitergegeben hatte) bis zu verschiedenen Gerichtsinstanzen und zum Verteidigungsanwalt durch. Durch den Datenschutz war es schwierig, etwas über den Täter herauszufinden. Aber aus Versprechern und Andeutungen erhielt ich dann doch einige Informationen: Außer den Anzeigen in meinem Ort gab es auch Vorfälle in Nachbarorten, die schlimmer waren als mein Fall. Dazu lief gerade ein Verfahren beim Jugendgericht. Der 20-jährige Angeklagte hat dabei Einsicht in die Akte: Und dort stehen alle Frauen, die ihn angezeigt haben, mit Namen und Adresse! Im Rahmen einer Therapie sollte nun der Täter allen Betroffenen einen Brief schreiben, in dem er seine Betroffenheit zeigt das macht sich auch für den Richter gut und lässt auf ein milderes Urteil hoffen.
Ich habe zwar erfahren, dass es eine Gerichtsverhandlung gab. Da der Täter alle Vorfälle gestanden hatte, wurden die Frauen und Mädchen nicht als Zeuginnen geladen. Das ist gut gemeint von dem Richter, weil dadurch den Betroffenen die unangenehme Auseinandersetzung vor Gericht mit dem Täter erspart blieb. Aber es war wiederum für mich nicht möglich, im Nachhinein zu erfahren, welche Strafe "mein" Täter bekommen hatte. (Auf nicht ganz legalen Umwegen habe ich es dann doch erfahren können ...)
Nebenbei habe ich auch herausgefunden, dass er einen ebenfalls wegen Körperverletzung vorbestraften älteren Bruder hat, dass er 800m von meinem Wohnhaus weg wohnt, übrigens direkt neben der Grundschule - mit Blick auf den Schulhof. Über die Tatsache, dass dieser Täter nun weiß, wo ich wohne, habe ich mich sehr aufgeregt, wollte die Geschichte am liebsten an die Öffentlichkeit bringen, habe aber dann aus Angst doch geschwiegen.
Fassen wir zusammen: Da hat ein auffälliger Wiederholungstäter, der aus einem - sagen wir schwierigen - familiären Umfeld kommt, die Möglichkeit, die Namen und Adressen der Frauen, die ihn angezeigt haben, zu erhalten, während die Opfer wegen Datenschutz kaum etwas über den Täter erfahren dürfen. Ein Skandal? Nein, rechtmäßig und legal. Für mich bleibt ein mulmiges Gefühl: Was ist, wenn der Typ eines Nachmittags mit einem Blumenstrauß vor der Tür steht, sich entschuldigt und fragt: "Darf ich kurz reinkommen?"...
Aufgezeichnet von Birgit Schillinger
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