Udos Welt

Folge 5: Last exit Schümmerich

Am Tag des Dorflaufs machte ich mich frühmorgens nach Schümmerich auf, um die Strecke zu inspizieren. Der Start war erst um zwei, aber die ersten Absperrbänder hingen schon. Ich prägte mir jedes Detail ein, sämtliche Kurven, jeden einzelnen Kanaldeckel. Dann fuhr ich zu Julia und klingelte.

"Hallo, Uwe!", begrüßte sie mich überrascht.

"Udo. Ich dachte, es ist vielleicht besser, wenn du nicht selbst zum Start fährst. Die Muskulatur soll ja locker bleiben."

"Fahren? Den einen Kilometer wollte ich eigentlich zum Warmlaufen nutzen. Moni holt mich gleich ab."

Moni, klar. Die Schwarzhaarige. Bis sie eintrudelte, machte ich Julia mit den Tücken der Strecke vertraut. Erklärte, wo ein guter Punkt zum Überholen war, an welchen Stellen sie aufpassen und wo sie mit ihren Kräften haushalten musste.

"Du, ich kenne den Lauf", unterbrach sie mich. "Hab schon drei Mal teilgenommen."

"Ja, aber so eine neutrale Außensicht kann vielleicht neue Akzente setzen."

"Quatsch nicht rum, Uwe!"

Julia war nervös, man sah es sofort. Nur deshalb ließ sie mich so abblitzen. Kein Wunder, ihr saß diese Petra im Nacken. Links zwickte der Ehrgeiz, rechts lauerten die Versagensängste. Verstehe ich doch, Kleine!

Dann kam Moni. Diesmal alles Natur um die Augen. Seit es Aussicht auf Teilnahme am Wilsdorfer Volkscross gab, war sie so was von scheißfreundlich zu mir. "Na, starten wir?", meinte sie.

 

Ich fuhr alleine zur Laufstrecke zurück. Viel los war immer noch nicht. In kleinen Grüppchen wurde durch die Schümmericher Gassen geschlurft, ab und zu fielen ein paar heisere Grußworte, eine Stimmung wie beim Seniorennachmittag im Gemeindezentrum Oberstolzenbach. Später gesellten sich drahtige Jungs mit verspiegelten Brillen hinzu, am Handgelenk Pulsuhren in Übergröße. Eine Mischung von Kampfer, Kokos und Kartoffelsack hing in der Luft.

Das Publikum kaute Kaugummi und trank Kölsch. Ich suchte mir einen Platz gegen Ende der Runde, die viermal durchlaufen werden musste, an einem kleinen Anstieg. Kurz vorm Start noch einmal Aufregung, weil sich ein vollbeladener Trecker auf die Strecke verirrt hatte und erst umständlich in eine Seitenstraße manövriert werden musste.

Aber dann kamen sie. Die Spitze des Feldes wurde von drei Hungerhaken und einem Nachwuchskicker gebildet, die ich nicht weiter beachtete. Wo blieb meine Amazone? Tatsächlich, da war sie schon. Und wie angekündigt hatte sie die Führung übernommen! Ich schnappte nach Luft. Julia trug wieder bauchfrei, eine kurzes rotes Höschen diesmal und ein Oberteil in gleicher Farbe. Wilde Entschlossenheit im Blick, rannte sie vorbei. Zwanzig Meter hinter ihr versuchte eine knochige Blonde Schritt zu halten. Das musste Petra sein. Die schwarze Moni folgte mit großem Abstand.

"Man sollte eine Straße nach ihr benennen", seufzte ich. Mein Nebenmann lupfte die Brauen.

In Runde zwei zog sich das Feld auseinander. Vom Fußballer nichts mehr zu sehen, Julia dagegen hatte ihren Vorsprung ausgebaut. "Fünfzig Meter auf Petra!", brüllte ich, so laut ich konnte. Julia schaute auf, erkannte mich und verzog ihr Gesicht zu einem knappen Lächeln. Fast wäre ich auf die Strecke gestürzt. Unter ihren Armen zeichneten sich große dunkle Flecken ab - Wasserzeichen übermenschlicher Anstrengung. Dass ein so zierlicher Körper so viel Schweiß produzieren kann! Diese Frau war ein Wunder.

Runde drei sorgte für eine Vorentscheidung im Männerrennen, Julias Vorsprung aber war plötzlich geschrumpft. Dieses blonde Gift namens Petra musste etwas genommen haben. Hoffentlich gab es Dopingkontrollen! Wo blieben die Schümmericher Streckenordner, dass sie das Weib aus dem Verkehr zogen?

"Der Abstand wird größer!", brüllte ich aus Leibeskräften. "Du schaffst es!" Julias Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie kein Wort verstanden. Keuchend schleppte sie sich den Anstieg hoch, eine Haarsträhne lag quer über ihrer Stirn. Feuchten Auges sah ich ihren Waden nach. Ich hätte sie anknabbern können!

"Die Petra macht's", urteilte mein Nebenmann und war sich ein paar Chips in den Rachen. "Optimale Renneinteilung, die Frau."

"Wetten, dass nicht?", hielt ich dagegen. "Was setzt du ein, du Wurm?" Der Typ tippte sich an die Stirn und ging.

Bevor Julia ein letztes Mal an mir vorbeikam, waren all meine Fingernägel draufgegangen. Aber es half nichts, Blondie Petra hatte sich an die Spitze gesetzt. Sie fegte hügelan, dass einem Hören und Sehen verging. Und während Julia unten um die Ecke bog, wurde sie von einer weiteren Konkurrentin überholt. Meine Göttin schien am Ende ihrer Kräfte. Sie war bleich, ausgepowert, zermürbt, eine geschlagene Kriegerin. Und sie war wunderschön. Das Publikum munterte sie auf, spornte sie an - sie reagierte nicht. Quälte sich nur noch die Straße hoch. Ihr Blick klebte am Asphalt.

"Ich liebe dich trotzdem", flüsterte ich.

Da schnellte ihr Kopf nach oben. Sie sah mich an. Julia!

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