Udos Welt

Folge 6: Siegerehrung

"Beim diesjährigen Schümmericher Dorflauf geht der Sieg in der weiblichen Hauptklasse an Julia Opden- …"

"Yeah!", schrie jemand an unserem Tisch und sprang auf. Ballte die Fäuste. Trommelte auf der Tischplatte herum. "Yeah!"

Der Jemand war ich. Julia verdrehte nur die Augen.

"… an Julia Opdenhoven von der LG Oberstolzenbach in einer Zeit von …"

"Sag's nicht!", knirschte Julia.

"… einer Zeit von 46 Minuten und 32 Sekunden. Herzlichen Glückwunsch!"

"Wie peinlich!", hauchte meine Göttin und kroch zur Bühne.

"46 Minuten", brüllte ich durch das Festzelt. "Habt ihr gehört, ihr Luschen? Zehn Kilometer in einer Dreiviertelstunde! Wer von euch schafft das mit dem Fahrrad? Hoch die Arme!"

"Halt's Maul und setz dich!", fauchte Julias Freundin, die schwarzhaarige Moni.

Halt's selber, du Sumpfschildkröte. Ich wollte alles genau sehen: wie sie Julia einen Lorbeerkranz ins Haar drückten, die Konfettimaschine anwarfen, wie schwitzende Ordner den Fanmob von der Bühne drängten. Nationalhymne wäre auch nicht schlecht. Wo blieb der Bundespräsident?

 

"Schnellste in der Altersklasse W 30 wurde …"

Was, waren jetzt schon die Omas dran? Sieg in der Kukidentklasse? Was fällt euch ein, Schümmericher Fußvolk? Zehn Minuten Ovationen für Julia waren das Mindeste! Autogrammstunde, Pressekonferenz! Da kam sie angetrottet, meine Heldin, umweht von Reibekuchendunst. In der Hand ein gelbes Frotteehandtuch und eine Flasche Duschgel. Ehrung nannten sie das in Schümmerich? Eine Demütigung war es!

"Wer hat dieses Schmierentheater verbrochen?", schäumte ich. "Sag es mir, und ich lasse ihn das Duschzeug austrinken!"

Julia schwieg. Stattdessen brach Moni in Jubel aus. Mit ihrem Schleichkatzentempo, acht Minuten langsamer als Julia, hatte sie es zu Platz drei in der W 30 gebracht. Wo blieb da die Gerechtigkeit? Ein Handtuch bekam das Weib auch noch, allerdings ein kleines und in verdammt hässlichem Pink.

"46 Minuten", quasselte ich weiter, weil eben Petras Namen ausgerufen wurde. Die blonde Hexe krebste bereits in der W 40 herum! "Von so einer Zeit träumen andere nur, Julia. Sensationell ist das!"

"Hör auf! Letztes Jahr war ich eine Minute schneller. Außerdem ist die Strecke zu kurz."

"Wieso zu kurz? Sie hat genau zehn Kilometer. Steht in der Ausschreibung."

"Sie ist nicht amtlich vermessen. Es fehlen ungefähr 200 Meter."

Mir blieb der Mund offen stehen. 200 Meter, und die fehlten einfach? Was war denn das für eine Schummelei? Meine Kunden würden sich bedanken, wenn ich einen Kaufpreis mal eben so aufrundete. 98.000 Euro? Machen wir 100.000, weil Sie es sind! Wirklich wahr, diese Läufer arbeiteten mit allen Tricks. Für die fehlenden 200 Meter warfen sie wahrscheinlich eine Extraportion Glenbuterol ein. Oder nahmen eine Abkürzung durchs Dorf, weil die Strecke eh nicht stimmte. Nächstes Mal würde ich dieser Petra genau auf die Finger gucken. Beziehungsweise auf die Füße.

"Schick, dieses Pink", schwärmte Moni und schnüffelte an ihrem Bonsaihandtuch. "Zuhause hab ich einen Lippenstift in derselben Farbe."

Wenn Blicke töten könnten, wäre das Weib in diesem Moment vor meinen Augen verdampft. Ihre Freundin machte gerade die Krise ihres Lebens durch, und sie war mit ihren Gedanken im Schminkschrank. Aber was willst du von einer erwarten, die 54 Minuten für zehn Kilometer braucht? Für neun Komma acht Kilometer!

"Was hast du mir in der letzten Runde eigentlich zugerufen?", fragte mich Julia.

"Ich?"

"Ja, irgendwas war da. Bloß verstanden hab ich's nicht."

Ich wurde rot. "Hab ich vergessen."

"Schon klar. Ich muss furchtbar ausgesehen haben. Wie der letzte Mensch! Knallrote Backen, krumme Haltung, Flecken im Gesicht …"

"Ach was! Wunderbar hast du ausgesehen, Julia! Perfekt!"

Moni kicherte sich eins. Julia aber stand auf und zischte: "Weißt du, was, Udo? Verarschen kann ich mich alleine!"

Schwupp, war sie weg. Ihr Frotteehandtuch ließ sie einfach liegen. Und ich? Ich war der glücklichste Mensch im gesamten Schümmericher Festzelt.

Julia hatte mich Udo genannt. Zum allerersten Mal!

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