Udos Welt

Folge 4: Vergesst Latex!

Auch wenn Julia noch nichts von ihrer Eigenschaft als Laufbotschafterin wusste, verhielt sie sich bereits so. Jedem, der ihr beim Joggen begegnete, zeigte sie, welcher Glückszustand sich durch etwas Bewegung erreichen ließ. Sie lächelte selig. Ihre Augen glänzten. Ihr Pferdeschwanz wippte, und die Hüften schaukelten von rechts nach links. Gegen sie war der Dalai Lama ein Nörgelotto. Eine verbiesterte Ledersohle! Und dabei fand sie sogar noch Gelegenheit, sich mit ihrer Laufpartnerin, der Schwarzhaarigen, zu unterhalten. Julia war fast zu schön für diese Welt.

Ihre Anschrift hatte ich mir, zusammen mit ihren Meldedaten, noch beim Schützenfest geben lassen. Wegen der Tombola, erklärte ich. Supergewinne für alle Voranmelder. Daraufhin nannte mir auch die andere ihre Adresse. Beide wohnten in Schümmerich. Jeden Tag fuhr ich nach der Arbeit zu Julias Haus und wartete, ob sie herauskäme. Schon beim dritten Versuch: Bingo! Es war heiß, ich schwitzte trotz offener Fenster, meine Göttin aber hüpfte gutgelaunt vor die Tür und streckte sich. Sie trug eine schwarze Tight, die bis knapp über ihre Knie reichte, ein eng anliegendes Bustier in Mintgrün und eine Schirmmütze. Meine Blicke wanderten zwischen ihrem Bauchnabel und einer kleinen Tätowierung an ihrer Schulter hin und her, bis meine Brille beschlug. Mit den Daumen rückte sie ihr Oberteil zurecht, dann trabte sie los. Ich mit dem Wagen hinterher, Nase an der Windschutzscheibe. Sie lief bis zum Haus ihrer Freundin, klingelte, anschließend zogen beide ab in den Wald.

Wow!

An diesem Tag blieb ich noch lange in meinem Wagen sitzen. Jeder hat so sein Erweckungserlebnis. Der eine in Damaskus, der andere in Canossa oder meinetwegen auf dem Gipfel des Everest. Ich hatte meines auf dem Schümmericher Waldparkplatz. Julia war schon beim Schützenfest das gewesen, was man eine Traumfrau nennt. Aber jetzt, in Laufklamotten, verlieh sie dem Begriff eine ganz neue Dimension. Um sie herum war eine Aura, eine elektrische Spannung. Sie schwebte geradezu über den Waldboden. Und wie ihre Brüste schwangen! Diese Funktionswäsche, die sich an ihre Haut presste, dass man jede Ausbuchtung sah, unten schwarz, oben mintgrün - das hatte nichts mehr mit den Baumwollsäcken gemein, die sich die Steinzeitläufer beim ersten Volkscross übergeworfen hatten. Das hier war Sex, purer, harter Sex, Joggerfetischismus in freier Wildbahn. Vergesst Latex!

Noch immer sah ich die Umrisse von Julias Körper vor mir. Wie konnte man nur so begehrenswert sein? Dem Aufruhr in meinem Innern wurde ich erst Herr, als ich mir schwor, den 19. Wilsdorfer Volkscross zu einem glücklichen Ende zu bringen. Zur Not alleine. Julia würde mein Maskottchen sein, mein Aushängeschild, mein Glücksbringer.

 

Das Gesicht des Laufs! Und sie würde die Damenwertung gewinnen, gegen diesen Konkurrentenwitz von Petra, gegen ihre Freundin mit der Wimpernattrappe sowieso, einfach gegen alle. Dafür würde ich sorgen. Vor allem aber würde ich als Hauptsponsor sie hinter der Ziellinie in die Arme schließen.

Bei diesem Gedanken bekam ich eine Ganzkörpergänsehaut. Ich drehte den Zündschüssel und düste mit 150 Sachen nach Wilsdorf zurück.

Folge 5: Last exit Schümmerich HIER

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