Udos Welt

Folge 3: Die Botschafterin

Gleich am nächsten Morgen rief ich den Vorsitzenden des Wilsdorfer Sportvereins an. Seine Tochter spielte die Unwissende: Was, bitte, solle ihr Vater sein? Vorsitzender? Um Gottes willen, er stelle in seiner Freizeit zwar eine Menge Unsinn an, aber das gehe nun eindeutig zu weit.

"Er hat doch studiert", sagte sie vorwurfsvoll.

Ich ließ nicht locker. "Sein Name steht im Vereinsregister, junge Frau."

"Papa!", rief sie nach hinten - so, wie man einen Halbwüchsigen ruft, der wieder was verbrochen hat.

"Einer musste es ja tun", entschuldigte sich der Vorsitzende ein paar Augenblicke später. "Wir waren zu acht bei der Wahl, und alle anderen hatten schon ein Ehrenamt."

"Warum richten Sie den Wilsdorfer Volkscross nicht mehr aus?"

"Den was?"

"Den Volkscross. Ende August, den Waldlauf."

"Ach, das Ding. Tja, da müssen Sie die Leichtathletikabteilung fragen."

"Und an wen wende ich mich in diesem Fall?"

"Keine Ahnung." Der Vorsitzende begann herumzudrucksen. Seines Wissens bestehe die Leichtathletikabteilung aus zehn, höchstens zwölf eingetragenen Mitgliedern, alle jenseits der fünfzig, und ihr Leiter sei letztes Jahr an einem Herzinfarkt gestorben. Beim Joggen. Das sei auch der Grund, warum man den Wilsdorfer Volkscross still und leise zu Grabe getragen habe.

 

"Weil der Abteilungsleiter beim Joggen tot umgefallen ist?"

"Nein, wegen des Mitgliedermangels", antwortete der Mann hastig, und ich hörte regelrecht, wie er errötete. "Mit so wenigen Helfern kann man keinen Volkslauf ausrichten."

"Warum springen die anderen Abteilungen nicht ein?"

"Die Kegler sind noch älter, von denen springt keiner mehr. Und die Turner liegen mit den Leichtathleten im Clinch, seit kürzlich ein Fass Kölsch aus dem Vereinsheim verschwand."

"Kürzlich?"

"So vor fünf, sechs Jahren, würde ich sagen."

"Okay." Ich atmete tief durch. Dann fing ich an, dem Mann zu erklären, warum der Wilsdorfer Volkscross unbedingt wiederbelebt werden müsse. Der Lauf habe einen glänzenden Ruf, von der Strecke schwärmten die Kenner. Weit und breit gebe es nichts Vergleichbares. Wenn man es richtig anstelle, könne man sogar Geld damit verdienen. Kohle, capito? Der Verein werde neue Mitglieder gewinnen und die sieche Leichtathletikabteilung vor dem sicheren Tod bewahrt. Um es kurz zu machen: Ich packte den Vorsitzenden mit beiden Fäusten bei seiner Ehre.

Das Problem war nur: Er hatte keine.

"Mir wäre es recht, wenn wir die Leichtathleten abwickeln könnten", sagte er weinerlich. "Eine Abteilung und jede Menge Stress weniger."

"Jammerlappen! Ich werde dafür sorgen, dass der Volkscross auch in diesem Jahr durchgeführt wird. Mit neuem Teilnehmerrekord!"

"Hals- und Beinbruch. Irgendwo im Vereinsheim müsste ein Tausenderpack Sicherheitsnadeln rumfliegen. Das schenken wir Ihnen."

Noch am selben Tag druckte ich mir die Ergebnisliste des letzten Volkscross aus dem Internet aus und kontaktierte jeden, der Wilsdorf als Heimatort oder -verein angegeben hatte. Das waren genau vier Personen. Sie alle fanden die Idee, den Lauf weiterzuführen, klasse, gaben mir so kurzfristig aber null Chance.

"Die Läufer haben ihre Jahrespläne längst gemacht", meinte der eine. "Da passt eine Zusatzveranstaltung nicht mehr rein. Wenn sie überhaupt wahrgenommen wird."

"Ich werde die Szene mit Werbung überschütten. In Zeitungen, Laufmagazinen, im Radio, an den Bundesstraßen - überall. Zur Not pinsele ich Kühe mit unserem Logo an."

"Man braucht einen Sponsor", sagte der zweite. "Ohne Sponsor geht heutzutage nix."

"Hab ich. Das Immobilienbüro Udo Pönzgen. Solide, liquide, nachhaltig."

"So ein Lauf lebt von der Attraktivität", meinte der dritte. "Von einem Alleinstellungsmerkmal. Und das hat der Wilsdorfer Volkscross nicht."

"Hat er doch", grinste ich. "Eine Botschafterin. Wegen der werden uns die Leute die Bude einrennen. Sie heißt Julia und trägt die Startnummer 1."

Folge 4: Vergesst Latex! HIER

© copyright
Die Verwertung von Texten und Fotos, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne Zustimmung der LaufReport.de Redaktion (Adresse im IMPRESSUM) unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.