Udos Welt

Folge 2: Schützenfest

Julia lernte ich bei einer Stange Kölsch in Schümmerich kennen, als gerade Schützenfest war. Ein echtes Zuckerschnittchen. Und dann dieser Glanz in ihren Augen! Erst glaubte ich, das kommt vom Kölsch. Aber dann erzählte sie ohne jeden Stolperer vom Schümmericher Dorflauf nächste Woche, für den sie gemeldet hatte. Sie erzählte es einer Freundin, so einer Schwarzhaarigen mit angeklebten Wimpern. Ich stand bloß dabei und konnte den Blick nicht von ihr wenden.

"Diesmal zeige ich's der Petra", sagte Julia kämpferisch. "Ehrlich!"
"Zwei Minuten gibst du der!", rief ihre Freundin mit erhobenem Glas.

Die Gelegenheit nutzend, stieß ich mit an. "Ich bin übrigens der Udo."

"Hi", machten beide gleichzeitig. Und schon ging es wieder um Petra und den Dorflauf. Julia ballte die Fäuste. Gleich vom Start weg wollte sie hohes Tempo anschlagen, um ihre Konkurrentin zu demoralisieren. In Runde zwei die Zermürbungstaktik, in Runde drei der finale Knockout. Runde vier werde zum Triumphzug durch jubelnde Schümmericher Massen.

"Zwei Minuten", nickte ihre Freundin. "Mindestens."

"Mindestens", seufzte Julia und trank.

"Soll ich uns drei Hübschen noch ein Bier holen?", warf ich ein.

"Nö", sagte Julia. Die Schwarzhaarige verzog bloß das Gesicht. Ich meine, das muss man sich einmal vorstellen: Da haben sie im ganzen verdammten Jahr ein einziges Mal Schützenfest in Schümmerich, und dann fällt diesen Schneegänsen nichts besseres ein, als über Renntaktik zu quatschen!

Aber da waren ja noch diese Blitze in Julias Augen.

"Die hat zu viel trainiert, die Petra", meinte sie siegessicher.

Die andere wandte mir ihren Rücken zu. "Übertrainiert, aber hallo."

"Lauft ihr auch beim Wilsdorfer Volkscross mit?", fragte ich, und ich schwöre euch, es war mein letzter Versuch bei den zwei Tussis.

"Nun ist aber gut, Dicker!" Das war natürlich die mit der Wimpernprothese. Mit der rechten Hand fing sie ein Gewedel an, als könne sie mich mal eben aus Schümmerich hinausfegen. Julia aber starrte mich an. Und wie sie das tat! Mit einem Mal hatte sie mich wahrgenommen. Du bist ja ein menschliches Wesen, sagte ihr Blick.

Wohnst auf demselben Planeten wie ich!

 

"Was heißt: auch?" Stirnrunzelnd fuhr sie mit der Zunge über ihre Lippen. "Läufst du denn mit?"

"Warum nicht?", gab ich achselzuckend zurück. Mann, kam das vielleicht cool rüber! Supercool war das! Warum nicht? Darauf musste man erst einmal kommen, wenn man wie ich 105 Kilo durch die Gegend wuchtete. "Ja, warum nicht?", wiederholte ich und tat, als würde ich ernsthaft über eine Antwort nachsinnen. "Früher war ich regelmäßig dabei. Und dieses Jahr? Mal sehen."

"Wann findet der denn statt, der Lauf?"

Ich nippte an meinem Kölsch, um Zeit zu gewinnen. In welcher Jahreszeit hatten wir damals den Bauschutt entsorgt? Frühling, Herbst? Es hatte geregnet. Bei uns in Wilsdorf regnete es auch im Sommer. "Bisschen Zeit ist noch", meinte ich schließlich.

"Ende August", meldete sich Julias Freundin. Dabei machte sie ein richtiges Klugscheißergesicht. "Jedenfalls war es letztes Jahr so. Dieses Jahr soll er ausfallen, habe ich gehört."

"Hast du gehört?", spielte ich Echo.

"Kaum noch Teilnehmer. Lahme Orga."

"Oh, Mann!", lamentierte Julia. "Den Volkscross wollte ich so gerne mal mitlaufen."

"Kannst du auch", rief ich und richtete mich auf. Wäre doch gelacht, sich von einer mit Lidhaartoupet die Butter vom Brot nehmen zu lassen! "Der Wilsdorfer Volkscross findet statt, so wahr ich hier stehe! Ende August auf der alten Waldstrecke. Mit Sägemehlmarkierung, genau wie früher."

"Echt?" Julia schenkte mir ein Lächeln, dass es mich schier umhaute.

"Na, klar! Wir vom Volkscross-Rettungsteam haben gesagt, so ein Lauf darf nicht sterben. Tradition, versteht ihr? Alles bleibt, wie es war, nur das Drumherum muss anders werden. Eventmäßiger, damit die Leute wieder kommen."

"Und warum steht nichts davon im Volkslaufkalender?" Argwöhnisch klimperte die Schwarze mit ihren Plastikwischern.

"Kokolores", winkte ich ab. Volkslaufkalender! War das alles, was die Hexe zu bieten hatte? "Unser Rettungsteam hat sich doch gerade erst gegründet. Wenn die Werbung anläuft, ist ein Tsunami nix dagegen. Was wir bieten, bietet kein Lauf in der Region. Der in Schümmerich schon mal gar nicht." Ich zählte an meinen Fingern ab: "Tolle Siegerpreise, Antrittsprämien, Tombola, Firmenwertung, Kinderbetreuung, alles dabei. Die Leute werden uns die Bude einrennen!"

"Und wo kann man sich anmelden?", hauchte Julia, die an meinen Lippen hing.

Ich zückte einen Zettel. "Bei mir natürlich."

"Dann schreib auf: Julia Opdenhoven, Jahrgang 1983."

"Du kriegst die Startnummer 1, Schätzchen", grinste ich.

Da bekam sie den Mund nicht mehr zu.

Folge 3: Die Botschafterin HIER

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