Udos Welt

Udo Pönzgen ist selbsternannter Laufphilosoph. Wo andere schwitzen, grübelt er. Wo andere trainieren, wälzt er die schwersten Gedanken. Mit seinen 105 Kilo Lebendgewicht scheint er für solche Aufgaben geradezu prädestiniert. Trotzdem macht ihm in Sachen Laufsport keiner was vor, denn da ist ja noch Julia, Udos federleichte Traumfrau. Zusammen gehen sie durch Dick und Dünn, ergründen Runner's High und philosophische Tiefen. Irgendwann aber wird Udo den Offenbarungseid leisten und einen Schritt vollziehen müssen, wie ihn schon so viele vor ihm wagten: den Schritt über die Ziellinie eines 10-km-Laufs.

Folge 1: Der Schogger

Meinen ersten richtigen Läufer sah ich mit vierzehn. Das war, als wir aus unserem Ölkeller eine Sauna machten. Dabei fiel jede Menge Bauschutt an, und irgendwo musste das Zeug ja hin.

"Kommt in den Wald", meinte mein Vater. Warum für teuer Geld einen Container mieten, wenn man die Natur hinterm Haus hatte? Machte bei uns in Wilsdorf jeder so.

Am Sonntagmorgen wurde also der Anhänger vollgeladen, und ab damit ins Grüne. Es regnete, prima. Keine Spaziergänger unterwegs. Als wir mitten im Wald ausstiegen, traten wir in Häufchen von Sägemehl, noch ziemlich trocken. Mein Vater sah sich um. Aber nirgendwo frisch gefällte und zerteilte Baumstämme. Schade eigentlich, wo wir schon mal mit dem Anhänger da waren.

Wir hatten eben damit begonnen, unseren Schutt den Hang hinunter zu kippen, als wir Schritte hörten. Ein Typ in Sportklamotten kam uns entgegengekeucht. Und das bei dem Regen! Mein Vater glotzte, der Läufer glotzte auch, rannte aber weiter.

"Das war'n Schogger", sagte mein Vater mit einer Miene, die ausdrückte: Gibt's die also wirklich! Dann begann er zu schimpfen: "So ein Idiot! Kann der am heiligen Sonntag nicht zuhause bleiben wie andere Leute auch? Los, pack an, damit wir die Sache hinter uns bringen."

 

"Warum hatte der Schogger eine Nummer auf der Brust?", wollte ich wissen.

"Frag nicht, sondern mach hin, Junge!"

Und wir machten hin. Kippten den ganzen Dreck über die Böschung, dass es nur so staubte. Gleich darauf hörten wir wieder Schritte und sahen durch den Staub einen zweiten Läufer um die Ecke biegen. Hinter ihm einen dritten. Und in ihrem Schlepptau eine ganze Horde von Läufern und Läuferinnen, alle mit einer Nummer vorm Latz und verzerrtem Gesicht. Manche sabberten. Damals dachte ich noch, das sei wegen unseres Anhängers.

Auch meinem Vater entglitten die Gesichtszüge. Der Staub vom Bauschutt stand als graue Wolke über uns. Einige der Läufer blökten uns an, wir würden sie behindern, dabei war es doch genau umgekehrt. Anstatt unserer Arbeit nachzugehen, mussten wir warten, bis alle vorüber waren. Immer wenn wir dachten, jetzt ist Schluss, kam noch eine Tante oder ein Opa angewackelt. Einer der letzten war unser Bürgermeister, Startnummer 100. Ich glaube, es war ihm peinlich, dass er so langsam war. Jedenfalls glotzte er noch dämlicher als die Läufer vor ihm. Es regnete ja auch.

Das war der 1. Wilsdorfer Volkscross, und mein Vater bekam eine Anzeige wegen Müllfrevels. Kurz danach wurde unser Bürgermeister mit Rekordergebnis wiedergewählt. Am Crosslauf nahm er allerdings nie wieder teil, sondern gab nur noch den Startschuss. Habe ich mir sagen lassen.

Ich selbst mache nämlich seither um alles, was mit Laufen zu tun hat, einen großen Bogen. Nicht ums Verrecken würde ich mir so eine alberne Startnummer ans T-Shirt pinnen und zusammen mit hundert anderen Irren durch den Regen rennen. Jedenfalls dachte ich bis vor kurzem so.

In einigen Wochen jedoch steht der 19. Wilsdorfer Volkscross an, und ich, Udo Pönzgen, werde teilnehmen. Mittlerweile trainiere ich sogar dafür. Dass es so weit kommen konnte, ist einzig und allein Julias Schuld.

Folge 2: Schützenfest HIER

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