Die Herren über die Zeit

2.000 Bilder pro Sekunde für das Foto-Finish

von Wolfram Marx

Solch eine Dramatik im Kampf um die Medaillen hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Vier Läufer hatten beim Finale über 100 Meter der Männer bei den Europameisterschaften in Barcelona mit 10,18 Sekunden bis auf die Hundertstelsekunde die gleiche Zeit. Mit bloßem Auge war nicht zu sehen, wer von den vier Läufern nun Silber und wer Bronze geholt hatte. So musste das Zielfoto die Entscheidung bringen und am Ende waren es Tausendstel, die über die Medaillengewinner hinter Europameister Christophe Lemaitre entschieden. Möglich macht dies die Technologie aus der Schweiz von Swiss Timing. "Entscheidend ist das erste Überqueren der Ziellinie, genau die ersten acht Millimeter. Für das Foto-Finish haben wir auf jeder Seite der Ziellinie eine Kamera, mit denen wir 2.000 Bilder pro Sekunde machen", sagt Swiss Timing-Chef Peter Hürzeler. Mit diesen Fotos können die Platzierungen entschieden werden. Das Aufstellen und Ausrichten der Scan'O'Vision-Kameras kann mehrere Stunden dauern, es ist echte Millimeterarbeit, vier Offizielle sind dafür verantwortlich.

 

"Beide Kameras müssen innerhalb einer Tausendstelsekunde liegen", erklärt Hürzeler. "Die Athleten müssen beim Zieldurchlauf beide Kameras abdecken. Es hat schon Fälle gegeben, bei denen Athleten die Zeit nur mit ihren Haaren gestoppt haben." In Barcelona waren es am Ende sechs Tausendstel, die über die Platzierungen von Mark Lewis Francis (Großbritannien) mit 10,172, Martial Mbandjock (Frankreich) mit 10,173, Francis Obikwelu (Portugal) mit 10,174 und Dwight Chambers (Großbritannien) mit 10,178 entschieden.

Nur mit dieser Genauigkeit ist es möglich, innerhalb von Sekunden die Zeiten und Platzierungen der Athleten zu haben. Jeder Läufer wird mit der Kamera aufgenommen, wenn er über die Ziellinie läuft. Dann sind alle Athleten auf dem Zielfilm zu sehen und zwar über einer Zeitskala, die die Zeit zwischen Startschuss und seiner Zielüberquerung anzeigt. Das Zielfoto schließlich wird dann aus den einzelnen der Tausenden von Fotos zusammengesetzt, die beim Überqueren der Ziellinie durch die Läufer gemacht werden. Das Zielfoto zeigt also die Zeit zwischen den Athleten als räumlichen Abstand an. Neben den beiden Zielkameras, aber kurz hinter den Kameras, stehen an jeder Seite der Laufbahn noch zwei Paare Fotozellen. Daher ist die beim Durchlaufen der Fotozellen ausgelöste Zeit, die die korrigiert werden muss, denn es zählt die aus den Zielkameras. Entscheidend ist immer die Zeit auf dem Foto-Finish, denn nur dann ist der exakte Moment zu sehen, wenn die Brust des Läufers die Ziellinie überquert und das ist der nach IAAF-Regeln entscheidende Körperteil.

Um Fehler in diesem komplexen System auszuschließen, arbeitet Swiss Timing nie mit dem regulären Strom, die Systeme der Schweizer laufen immer nur mit Batterien und Akkus, um vor Stromausfällen geschützt zu sein. Ein Einsatz von drahtlosem Funk kommt nicht in Frage, die Datenübertragung erfolgt grundsätzlich per Kabel. Das System wird jeden Tag neu eingestellt. Auch die Startpistole wird jeden Tag eingestellt. Dafür wird sie an der Ziellinie abgeschossen und die Flamme muss die Linie in 0,0000 Sekunden überschreiten.

Um die Zeiten den Athleten zuordnen zu können, werden Transponder eingesetzt. Diese wiegen weniger als neun Gramm und werden auf der Rückseite der Startnummer angebracht. Die mehrfach einsetzbaren Transponder kosten pro Stück 400 Euro und sorgen für eine schnelle Übermittlung aller Zwischenzeiten. Diese können nun wesentlich schneller als zuvor den entsprechenden Athleten zugeordnet werden. An der Laufbahn sind Antennen montiert, die sofort nach Überlaufen der entsprechenden Marken ein Zwischenergebnis und die Zwischenzeiten übermitteln. "Die Transponder sind wesentlich genauer als die bei den Marathons eingesetzten Chips, denn sie messen bis auf die Hundertstelsekunde genau", erklärt Hürzeler. Die Ergebnisse im Ziel werden sofort mit dem Foto-Finish abgeglichen. Ausgegeben werden die Transponder an die Athleten vor dem Wettkampf im Call Room. Dort wird an der Transponder Station auch sofort überprüft, ob der richtige Athlet den ihm zugewiesenen Transponder erhalten hat.

Bis es zu dieser Genauigkeit kam und die Zeiten so schnell weiter gegeben werden konnten, mussten die Schweizer einen langen Weg zurücklegen, denn sie sind schon lange dabei. Bereits 1932 waren sie bei den Olympischen Spiele in Los Angeles mit von der Partie. 1945 wurde erstmals eine Fotozelle eingesetzt, derjenige, der den Faden zerriss, hat die Zeit ausgelöst. Ein Jahr später kam dann erstmals eine Zielfilmkamera zum Einsatz. Bei den Olympischen Spielen in London 1948 wurde die Zielfilmkamera eingesetzt, jedoch nur inoffiziell. Entscheidend war damals immer noch die Handzeitstoppung. Vier Jahre später gab es dann in Helsinki eine quarzgesteuerte Anlage, die Hundertstel anzeigen konnte. In den ersten Jahrzehnten lag die Zeitmessung bei den Spielen bei Longines und Omega, 1972 wurde dann Swiss Timing gegründet. Wobei das Unternehmen, das zur Swatch-Gruppe gehört, aber nicht nur bei der Leichtathletik für die Zeiten- und Weitenmessung sorgt. Auch beim Schwimmen, bei den Bob- und Rodelwettbewerben, dem Radsport, Skispringen, Basketball, Turnen, Eiskunstlaufen und Handball sorgt Swiss Timing für die Ergebnisermittlung und -übertragung. Die digitale Zielkamera Scan'O'Vision wurde erstmals 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona eingesetzt. Seit 2001 ist Swiss Timing offizieller Zeitnehmer für die Olympischen Spiele, 2005 schließlich wurde die Sportabteilung von Omega in Swiss Timing integriert.

Bericht von Wolfram Marx
Foto: Swiss Timing

Informationen unter www.swisstiming.com

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