Entwicklung der Volkslaufszene Rastatt/Baden-Baden

Lange im Dornröschenschlaf, nun erwacht

von Hannes Blank im April 2020 

Grundsätzlich scheint es so zu sein, dass Ballungsräume Läufer anziehen und in wenig besiedelten Gegenden nur wenige Volksläufe stattfinden. Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Initiativen von Einzelnen, oft im Verbund mit Vereinen, Firmen oder Institutionen sind oft die Motoren einer lebendigen Läuferszene, unabhängig von der Bevölkerungszahl. Verschiedene Regionen rufen verschiedene Assoziationen hervor. Läufer denken bei Erwähnung des Thüringer Walds an den GutsMuths-Rennsteiglauf, wer in Frankreich laufen will, muss die Hürde nehmen, ein "Certificat medical" mitzubringen und Großstädte haben für den Veranstalter oft den Nachteil, dass für Volksläufe feste Absperrungen notwendig sind, die ausgeliehen und aufgestellt werden müssen.

Die Region Rastatt/Baden-Baden im Südwesten von Deutschland schlummerte lange Zeit im Dornröschenschlaf, was das Laufen betrifft. In dieser Gegend gingen die altersschwachen Kurgäste lieber spazieren. Oder sie gehen, ganz Gegenteil, mit Höchstgeschwindigkeit, wie es Top-Geher Carl Dohlmann (SC Heel Baden-Baden) beweist. Oder es wird erfolgreich dem Fußball hinterhergerannt, wie die mehrmalige DFB-Pokalfinalteilnahme des Bundesligisten SC Sand beweist. Wer an Rastatt/Baden-Baden dachte, dachte nicht an den Laufsport.

Heel-Lauf Baden-Baden: 2019 wurde das Ziel in die Innenstadt verlegt

Eingerahmt wird die Region im Süden vom Dreikönigslauf in Achern, der bald 30 Jahre alt wird, und im Norden vom Herbstlauf der TG Ötigheim, der im Jahre 2019 schon mit der 44. Ausführung glänzte, beide mit 10km-Läufen. Im Westen begrenzen Rhein und Staatsgrenze die Ambitionen, im Osten sind es die schwarzwaldbergigen Läufe des TV Bühlertal.

Darin, im flachen Inneren des Dreieckes Achern-Ötigheim-Bühlertal, gab es lang Zeit nur zwei Läufe, obwohl die Region wirtschaftlich gesehen keine schwache ist (Rundfunk, Automobilzulieferer, Baden Airpark, Druckereien und natürlich der Tourismus rund um Spielcasino und Kurhaus): Da ist zunächst die fast 50 Jahre alte Veranstaltung des Vereins "Breitensport Sinzheim", die einfach nur "Sinzheimer Volkslauf" heisst. Sie bot neben 5km und 10km-Lauf bis 2016 auch einen Halbmarathon an. Etwa die Hälfte der HM-Strecke lag (vom Startpunkt aus gesehen) jenseits der Autobahn A5: Einsam war es dort zu laufen, aber auch schön. Aber die sinkenden Teilnehmerzahlen beendeten die Ausschreibung des Halbmarathons. Stattdessen gibt es in Sinzheim inzwischen im Mai zusätzlich einen Frauenlauf, den "Ladies Run", der sensationell startete (400 Teilnehmerinnen) und sich inzwischen bei einer Zahl von um die 200 Läuferinnen befindet. "Das ist stark wetterabhängig", wie Organisationschef Werner Schmitt von Breitensport Sinzheim berichtet. Er sieht einen Trend, dass die Teilnehmer auf den Volksläufen "nicht nur Bestzeiten" erzielen zu wollen. Der traditionelle Lauf in Sinzheim im Herbst bleibt aber vorerst einer, der noch ganz "old school" ist und ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hat. Er ist quasi der läuferische Herbsthighlight der Region.

Extrem Cross Wintersdorf: Diese Wasserpassage ist noch harmlos

Die zweite traditionsreiche, tragende Säule des Laufsports in der Region ist der Volkslauf in Rastatt-Rheinau im Frühjahr. Zunächst vom Turnverein des Rastatter Stadtteils Rheinau getragen, übernahm ihn vor ein paar Jahren die Laufgruppe des Laufwelt-Ladens in Rastatt-Wintersdorf. Doch durchgestartet war man schon zuvor: Da wechselte der Start- und Zielbereich nämlich zum weitläufigen Mercedes-Benz-Kundencenter am Rande von Rastatt. Diese Zusammenarbeit ist eine Erfolgsstory, was man nicht unbedingt erwarten konnte, treffen doch dort quasi Fußgänger auf Autofahrer. Der Lauf "Rund um Mercedes-Benz", immer im März, ist in erster Linie ein Lauf durch die Rheinauen, auch wenn es zunächst nicht danach klingt. Anfangs fanden sich dort nur wenig Topläufer ein, inzwischen hat sich der Lauf unter den Schnellen des Landes herumgesprochen, auch wenn sie nicht jedes Jahr dabei sind. Der Ironman-Sieger Sebastian Kienle ist ein Fan von "Rund um Mercedes-Benz" und es finden sich zunehmend Topläufer der LG Region Karlsruhe dort ein. Die Teilnahmegebühr liegt zwar etwas über dem Durchschnitt, aber die angebotene Infrastruktur mit dem großen Parkplatz, den Duschcontainern, der großen Halle usw. ist top - der Lauf wird über viele Wochen hinweg akribisch vorbereitet.

Die Laufwelt in Rastatt-Winterdorf, Orga-Partner von Mercedes-Benz beim Werkslauf, will nicht nur Laufschuhe verkaufen, sie engagiert sich auch organisatorisch in vielen Läufen in der Region - was von den schicken Laufschuhläden in bester Innenstadtlage selten praktiziert wird. Der Silvesterlauf vor der Ladentür schien 2019 auf der Kippe zu stehen, weil es sich als sehr schwierig gestaltete, an diesem Termin genug Helfer zu finden. Doch es wurde die Lösungsformel gefunden, den Lauf nicht exakt am Silvestertag auszurichten, sondern immer am letzten Sonntag im Jahr. Am 29.12.2019 fand dann tatsächlich bei sonnig-schönsten Winterwetter erfolgreich der jüngste Wintersdorfer Silvesterlauf statt. Neben 5km und Halbmarathon kann man dort auch 10500m laufen, was etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber von den Läufern gut angenommen wurde.

Werksbesichtigung im Laufschritt: Rastatter Volkslauf rund um das Mercedes-Benz-Kundencenter

Ins Herz der Stadt Baden-Baden gelangte der Heel-Lauf, ein Hochsommerlauf mit 5er und 10er, der seit 2019 beide Ziellinien im Zentrum der Kurstadt hat. Der Heel-Lauf ist der einzige Startgebühr-freie Lauf der Region. Mit der Verlegung vom flachen, im Mittelteil sehr naturnahen Kurs zum Lauf in die Innenstadt hinein kamen ein paar Höhenmeter dazu. Auch die Logistik für die Läufer mit den Shuttlebussen wurde ein wenig komplizierter. Aber mit dieser Verlegung waren die Läufer im Stadtbild für einen halben Tag nun richtig präsent, was natürlich einen großen Popularitätsschub bewirkte. Der Lauf ist noch nie ein "schneller" gewesen, schon wegen der hohen Temperaturen, sondern ein Lauf für alle, die einen der beiden angebotenen Strecken einfach nur bewältigen können. Die Teilnehmerzahlen sind sehr gut, insgesamt finden sich inzwischen um die 1000 Läufer zum Heel-Lauf ein.

Der badische Leichtathletikverband bietet noch einen Firmenlauf in Rastatt an, ein läuferisches Schmankerl ist indes eher der "Extrem Cross Winterdorf" (immer im August). Die fünf Runden á etwa 2000m sind gespickt mit allerlei Hindernissen. Die Strecke, auf dem Gelände eines Kieswerks gelegen, bietet weit mehr als ein einfacher Crosslauf: Die Anstiege sind fieser, die Hindernisse höher und die Wasserpassagen erheblich tiefer als gewöhnlich. Ein Sommer-Schinder-Spaß, könnte man sagen, bei dem meistens ein Crossläufer aus dem nahen Frankreich triumphiert.

Heel-Lauf 2019: Ziel-Premiere in Zentrum von Baden-Baden

Nicht unerwähnt sollte zum Schluss der Lauf auf den Baden-Badener Merkurberg hinauf Anfang Oktober, der 2020 zum 6. Mal stattfinden soll. Für einen Berglauf (9,5km Länge, 420 Höhenmeter) ordentliche 150 bis 200 Teilnehmer finden sich dort ein. Ein eher ruhiger, naturnaher Lauf ohne viel Tamtam.

Aus der Distanz betrachtet, ist die Region Rastatt/Baden-Baden insgesamt betrachtet schon immer etwas verschlafen gewesen. In puncto Laufsport hat sie in den letzten Jahren stark aufgeholt. Eine richtige "Sportregion" ist sie deswegen aber noch lange nicht, das muss man einfach nüchtern feststellen. Ein Beispiel dafür: Als die Baden-Badener Bank Grenke vor wenigen Jahren einen neuen Ausrichtungsort für ihr großes und renommiertes Schachturnier suchte, kam sie nicht in Baden-Baden oder Rastatt unter. Die 64-Felder-Denker treffen sich nun in der Schwarzwaldhalle in Karlsruhe. Beim Laufsport stößt die Region mittlerweile an eine natürliche Grenze: Die Zahl der Läufer und Läuferinnen, die immer wieder gerne einen Volkslauf mitmachen, ist endlich. "Jeder hat ein bisschen Schwund, weil es mehr Läufe gibt", berichtet Laufwelt-Lauftrainer Axel Hansert-Berger. Die Laufsport-Zukunft der Region kündigt derzeit keine großen Veränderungen an, man darf also auf Beständigkeit hoffen.

Bericht und Fotos von Hannes Blank

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