Vorbericht zur Deutschen Meisterschaft im 100 km Lauf am 21.9.2019 in Kandel

Ein subjektiver Blick zurück auf die Anfänge des Hunderters

Träume vom unendlichen Laufen

von Günter Krehl (6.9.2019)

 

Ein Verteidigungsminister (m/w/d) sollte meiner Meinung nach mindestens den Grundwehrdienst absolviert haben, besser er/sie war Berufsoffizier. Ein Gesundheitsminister (m/w/d) sollte lange als praktizierender Arzt gearbeitet haben. Ein Kultusminister (m/w/d) müsste aus dem pädagogischen Bereich stammen, große Erfahrung als Lehrer haben und unter keinen Umständen zeitgleich Präsident eines Bundesligavereins sein. Ein Laufreporter, der über einen 100 Kilometer-Lauf berichtet, muss alternativlos mindestens einmal erfolgreich diese Strecke bewältigt haben, in meinem Fall ist das zwischen 1971 und 1985 immerhin 14 Mal der Fall gewesen.

Schon als ich als kleiner Junge mit Gummistiefeln über den Acker lief, träumte ich vom "immer so Weiterlaufen", Tag und Nacht, konnte mir damals natürlich nie die unendlichen Distanzen vorstellen, die man dabei zurücklegen hätte können. Erst im Sportstudium hörte ich von dem "sagenumwobenen" Biel mit seinem Hunderter.

Petra und Günter Krehl im Ziel des Senator Forstner 100 Kilometer Laufes in Illertissen 1974

Tatsächlich war ein Kommilitone dort marschierenderweise erfolgreich gewesen. Ein Traum war daraufhin geboren. "Irgendwann musst du nach Biel" war in meinem Kopf, obwohl Werner Sonntag sein magisches Büchlein noch gar nicht geschrieben hatte, weil er sich zu dieser Zeit auch erst in seinen läuferischen Anfängen befand.

Vor 50 Jahren gab es noch keine Literatur über das lange Laufen und man konnte sich nicht vorstellen, dass man später einmal in einer Flut von Veröffentlichungen und Erlebnisberichten beinahe "untergehen" würde. So bleibt dem Laufreporter wohl das Privileg, dass seine Zulassungsarbeit mit dem Titel "Volkslauf" zu den ersten "wissenschaftlichen" Arbeiten über ausdauernden Sport und die Schilderung seines ersten Hunderters wohl der erste gebundene Erlebnisbericht eines Ultrarennens bleiben werden.

Ich stieß bei meinen Recherchen auf das erste Ultrarennen auf deutschen Boden und beschloss, um die theoretische Arbeit mit Praxiserfahrung zu bereichern, am 4. September 1971 in Unna an den Start zu gehen. Meine längste Wettkampfdistanz betrug bis dahin 20 Kilometer und ich beschloss, mich einigermaßen ernsthaft vorzureiten.

 

Wie wenig wir damals als intervalltrainierte Leichtathleten vom Ausdauertraining Ahnung hatten, zeugt davon, dass mir ein wöchentlicher Zehner und zwei 90-Minuten-Läufe als gute Basis für das Abenteuer erschienen. Aus Sparsamkeitsgründen war ich mit völlig ungeeigneten Bundeswehrsportschuhen unterwegs und hatte schon nach 20 Kilometer auf der ungewohnten Asphaltpiste steife Beinmuskeln. Erstaunlicherweise löste sich die Verkrampfung und es folgte eine traumhafte Passage an Hochöfen vorbei durch die westfälische Nacht. Marathon war ein Hochgefühl und nach lockeren 50 Kilometern in knapp unter 5:20 hoffte ich auf eine sub10. Die letzten 30 Kilometer fühlen sich wie Napoleons Rückzug aus Russland an. Organisch noch relativ frisch, wollten die Beine einfach keine schnellen Gehschritte mehr hergeben. Die letzten 200 m konnte ich dann doch ins Ziel laufen, es war mein schnellstes Tempo im gesamten Rennen.

Helmut Urbach 2015 beim Bieler Hunderter

Mit 11:30:54 beendete ich diese Jugendsünde. Weit vor mir gewann die 53jährige Eva-Maria Westphal die Frauenwertung in persönlicher Bestzeit von 10:11:51. Die Hamburgerin war die große Pionierin auf dieser Distanz, noch viele Jahre war sie über den Hunderter und die Marathondistanz erfolgreich, obwohl sie körperlich nicht die besten Voraussetzungen dafür mitgebracht hatte. Anders dagegen der Gesamtsieger Helmut Urbach, gertenschlank und mental stark, lag der König von Biel (7 Siege) in 6:57:55 (inoffizielle Weltbestzeit) eine knappe Stunde vor seinem ersten Verfolger. 2016 wagte sich der Porzer noch einmal nach Biel und bewältigte bravourös die Distanz in 18:33:18. Der 75jährige Urbach lief 4 x Weltrekord (6:40:03) und ist bis heute ein rühriger und motivierender Veranstalter von Straßenläufen in Köln.

Der Autor im Ziel der legendären Wasserschlacht 1980 in Biel Laufreporter Krehl (33) beim Seniorenmarathon auf der legendären Waldrunde in Rodenbach

Meine kurze Hunderterlaufbahn fand 1973 in Biel seinen Fortgang. Meine Frau hatte ein Jahr zuvor auch mit dem Laufen begonnen. Mit einem Kollegen wollten wir die Strecke gemeinsam bewältigen. Der Lehrer war ein vielseitiges Sporttalent mit läuferischer Erfahrung. Sein Weißbrotgenuss vor dem Start zwang ihn allerdings schnell zu immer längeren Geh- und Stehpausen. So quälten wir uns aus falsch verstandener Solidarität durch die Nacht und die Hitze des folgenden Tages. Bei Kilometer 90 legte ich mich mit einem Kreislaufzusammenbruch in den Schatten eines Baumes und wurde später gemeinsam mit meinem Kollegen zum Ziel gefahren, das meine Frau in gut 18 Stunden schon bald erreicht hatte. Sie musste mich dann 4 Stunden später zu meiner Ausstiegsstelle zurückfahren, die Startnummer hatte ich vorsorglich nicht abgegeben. So staunten die langsamen Marschierer am späten Abend nicht schlecht, dass ein "verrückter Nachzügler" im Fünferschnitt an ihnen vorbei "flog" in Richtung Biel. Mit 22:17:46 verbuchte ich meine Negativrekordzeit, war aber froh, angekommen zu sein. Wie bitter aufgeben ist, musste ich über diese lange Strecke schmerzlicherweise später noch 4 Mal erleben.

Deutsche Marathonmeisterschaft 1984 in Kandel bei großem Wärmeeinbruch. Leistungsstarke Gruppe auf der Rennpiste im Bienwald Deutsche Marathonmeisterschaft 1984 Zieleinlauf im Stadion noch auf Asche

Schon 1985 beendete ich meine Hunderter"karriere" mit meinem 14. erfolgreichen und einzigen halbwegs schnellen Rennen. 1971 rief der Visionär Jean Ritzenthaler den schnellen Marathon im französischen Neuf-Brisach ins Leben und hatte ein Jahr später die ersten drei Frauen auf französischem Boden am Start, darunter die "Gottlose von Boston", Kathy Switzer. Visionär des Dauerlaufes für Frauen war der Waldnieler Arzt Dr. Ernst van Aaken, der nicht nur die ersten Marathonläufe nur für Frauen, sondern auch 100 Meilen für das angeblich schwache Geschlecht ins Leben rief. Nach seinem Vorbild zauberte Ritzenthaler in Vogelgrun nahe Neuf-Brisach einen 12,5 Kilometer langen Rundkurs, der acht Mal zu durchlaufen war.

100 km in Vogelgrun 1985: Zwei Runden bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt bleibt das Netzhemd noch unter Langarm versteckt 100 km Vogelgrun: Dem noch gültigen Calwer Kreisrekord entgegen - und dem Ende der Hunderterkarriere

Nach kurzer Nacht auf Feldbetten in einer alten Turnhalle klingelte um 3.00 Uhr der Wecker. Eine Scheibe Brot und etwas Wasser zum Frühstück, danach leichtes Warmlaufen und -gehen. Um 5.00 Uhr erfolgte der Start des 8. Hunderters von Vogelgrun bei idealen 2°. Hinter Bernard Rosetti (6:45:42) lief der Pfälzer Herbert Cuntz sensationelle 6:49:25 bei seinem Debüt. Mit großem Kampfgeist und hitzebeständig wie später Michael Sommer sollte dieser Lauf der Beginn einer großen Ultrakarriere sein. Trotz gesundheitlicher Einschränkungen wurde der eiserne Pfälzer Ende August dieses Jahres mit 51 Minuten in der M70 Pfalzvizemeister über 10 Kilometer. Ich war an jenem 7. September als Gesamtsiebter mit 7:33:26 recht zufrieden, hätte mir allerdings nicht träumen lassen, dass es mein letztes erfolgreiches Rennen über diese Distanz bleiben würde. Als Läufer, der die Marathondistanz ganz ohne Flüssigkeit bewältigen musste, waren mir entsprechende Zeiten auf den Ultradistanzen einfach nicht möglich gewesen. Seltsam, dass mein relativ leicht zu unterbietender Kreisrekord noch immer Bestand hat.

 

So blieb es leider ein Traum, eines Tages auch bei Deutschen Meisterschaften erfolgreich antreten zu können. Der einzige Versuch endete 1994 in Neuwittenbek nach 70 Kilometer kläglich. Ich war äußerst vorsichtig angelaufen, hatte erst 30 Minuten vor meinem Desaster noch leichtfüßig meinen Teamkameraden Antonio Antunes überholt und nahm Kurs auf eine hohe Siebenerzeit. Innerhalb weniger Minuten war die gesamte Beinmuskulatur so verkrampft, dass selbst die größte Willensanstrengung kein Weitergehen mehr zuließ. Antunes erreichte nach 8:25:09 als Sieger der M60 das Ziel und wurde der erste Ostelsheimer, der den Deutschen Meistertitel erringen konnte.

Antonio Antunes läuft bei der DM in Kiel-Neuwittenbek als erster Ostelsheimer Goldmedaillengewinner (M60) durchs Ziel

Später gab es für unseren kleinen Verein weit mehr als 30 Goldmedaillen auf Bahn, Straße, am Berg und im Gelände in der Einzelwertung und im Team. Über die bis dahin längste DLV-Strecke gab es erst wieder Medaillen in Rot und 2 Jahre später gewann Friedemann Hecke die M55 in Berlin.

 

Neben Ernst van Aaken war der Hanauer Lehrer Harry A. Arndt die treibende Kraft in der Ultralaufszene. In Rodenbach gründete er seinen Schulsportverein, der noch heute als Talentschmiede in ganz Deutschland bekannt ist. Arnd lief zwischen 1971 und 1997 selber mindestens 37 Hunderter, davon 17 mit teilweise tiefen Siebenerzeiten. Zwei Mal blieb er unter dieser Marke und lief in Genf mit 6:49:17 seine persönliche Bestzeit. Viel mehr als herausragender Athlet machte er sich aber 1985 als Gründungsmitglied und späterer Sportwart der Deutschen Ultramarathonvereinigung (DUV) einen Namen. Zusammen mit van Aaken veranstaltete er in Hanau-Rodenbach von 1975 bis 1986 den Frauen- und Seniorenmarathon. Die schnelle Waldstrecke über 4 Runden konnte ich 1979 und 1980 selber in Augenschein nehmen. Parallel wagte sich der Pädagoge 1984 an die inoffizielle Deutsche Meisterschaft über 100 Kilometer.

Monika Kuno (8:09:57) und Manfred Träger (6:45:20) hießen die Sieger und Harry Arndt lief mit 6:58:55 als 4. durchs Ziel. Nach drei erfolgreichen Veranstaltungen unter der Regie der DUV übernahm bereits 1987 der DLV die Meisterschaft. Natürlich war Rodenbach Ausrichter dieser besonderen Premiere und der Saarländer Werner Dörrenbächer (6:34:45) und die Ulmerin Hanni Zehender (8:13:22) waren die ersten Deutschen Meister. Ab 1991 in Scheeßel waren dann endlich auch die neuen Bundesländer im Boot.

Insgesamt sechs Mal fanden die Titelkämpfe in Rodenbach statt, in Rheine-Elte und Grünheide-Kienbaum gab es 4 Austragungen. Jeweils drei Mal waren Neuwittenbek und Leipzig Gastgeber. Mit wenigen Ausnahmen fanden die Rennen auf schnellen Strecken statt, die in der Regel 10 oder 20 Mal zu durchlaufen waren. Leider hatten die Athleten oft mit hohen Temperaturen zu kämpfen, da doch einige Austragungen in den Sommermonaten stattfanden.

Monika Kuno, heute Dewald, beim Monschau Marathon 2019 Der heutige DUV Sportwart, neunfache Meister und einstige Weltklasseläufer, gewinnt bei der DM in Rot 2015 noch die Silbermedaille

Als die Meisterschaft 1987 in Rodenbach mit 293 Teilnehmer im Ziel so vielversprechend begann, träumte ich mit vierstelligen Zahlen für die Zukunft. Leider kratzen mit Unna 1989 (197), und Rodenbach 1996 (196) 2006 (193) nur noch drei Austragungen an der Zweihundertergrenze. Es pendelte sich anfangs auf durchschnittlich 150 Starter ein, um dann sogar mehrmals zweistellige Ergebnisse im Zieleinlauf zu haben. Nach Bad Neuenahr-Ahrweiler (94) im Jahre 2009 wurde das Ende der Meisterschaft eingeläutet, 2010 fand sie nicht mehr statt. Im zähen Ringen gab es dann aber 2011 in Jüterborg erfreulicherweise eine Fortsetzung. Allerdings bedeuteten 48 Teilnehmern den absoluten Tiefstand in der 32jährigen Meisterschaftsgeschichte. Rodenbach (92) sorgte im Jahr darauf für eine leichte Erholung und in Leipzig 2016 (104) und Rheine 2018 (109) wurde man wieder dreistellig. Mag zwar die Quantität fehlen, für Spitzenqualität war in all den Jahren stets gesorgt. 2015 erlebte ich in St. Leon-Rot als Betreuer meiner Ostelsheimer Ultras auf toller Strecke bei guten Bedingungen und exzellenter Organisation ein wunderbares Lauffest. Höhepunkt aus Ostelsheimer Sicht waren 2 Gold-, eine Silber- und eine Bronzemedaille, die drei meiner Laufkameraden erringen konnten. Unverhofft kam der "Verlegenheitsultra" Johannes Vaeth zum Sieg in der M55, Friedemann Hecke, mit 73 Ultras unser weitaus erfahrenster Langdistanzler, gewann Silber in der M50. Zusammen mit Frank Sommer gewann das Seniorenteam Gold und wurde in der Durchlaufwertung mit Bronze geehrt. So war der 50%ige Ausfall der 6köpfigen Mannschaft an diesem Tag gut zu verkraften gewesen.

DM Rot 2015: 6 aktive und 1 Betreuer, das Team des VfL Ostelsheim vor dem Start. Resultat 4 Medaillen für die Ostelsheimer: Friedemann Hecke (2. M50), Johannes Vaeth (1. M55) und Frank Sommer (mit den anderen 1. Seniorenteam, 3. Männermannschaft)

1992 war der Beginn einer vierjährigen Hunderterserie im Nordschwarzwald. In Pfalzgrafenweiler begann gleichzeitig eine Ultralaufbahn die seinesgleichen wohl schwerlich finden wird. Die 40 Minuten Anfahrt nahm ich gerne in Kauf, um den Einlauf des haushohen Favoriten und mehrfachen Deutschen Meisters Heinz Hüglin zu erleben. Der Ettenheimer siegte mit 7:19:24 auch relativ sicher, aber Platz zwei ging an einen zwar leichtfüßig aber unauffällig agierenden Debütanten. Mit 7:33:37 hatte er meine bei idealen Bedingungen erzielte Bestzeit nur um 11 Sekunden verfehlt. Zwar hatte sich Michael Sommer im Jahr zuvor mit 2:32:05 schon erstmals in die Württembergische Marathonbestenliste eingetragen, den Swiss Alpin erfolgreich bewältigt und im Frühjahr in Kandel seine Zeit um 6 Sekunden verbessert, niemand konnte jedoch erahnen, dass dieser 7. Juni 1992 die Grundsteinlegung für eine nun schon 27 Jahre dauernde Ultrakarriere bedeutet. So gut wie kein anderer kam er mit Hitze und bergigen Strecken zurecht, zudem ist er ein Wunder der Regeration. Einmal startete er sechs Tage nach Biel beim Warmbronner Volkslauf. Im Vorfeld hatte ich mir deshalb gute Chancen erhofft. Nicht nur mich deklassierte der für das EK Schwaikheim startende Athlet, er gewann das Rennen mit großem Vorsprung.

Insgesamt wurde Michael Sommer zwischen 1995 und 2008 neun Mal Deutscher Meister, von 2003 bis 2008 sechs Mal in Folge. Seine Bestzeit von 6:42:45 (Winschoten 1995) steht zwar deutlich im Schatten des Deutschen Rekordes von Kazimierz Bak (1994/6:24:29) und der Meisterschaftsbestleistung von Rainer Müller vom LTF Marpingen 1999 in Troisdorf (6:26:56), seine 54 Hunderter, davon genau die Hälfte unter 7 Stunden, sind aber eine nicht zu überbietende Superleistung. Auch international war der Schwabe sehr erfolgreich, wurde unter anderem 1994 in Japan Mannschaftsweltmeister und hat sich erst 2016 aus der Nationalmannschaft verabschiedet. Als Sportwart der DUV setzt er sich für die schon stark verbesserte Kooperation mit dem DLV ein. Immerhin fand vor wenigen Tagen die 24-Stunden Meisterschaft erstmals unter der Regie des Leichtathletikverbandes statt. Vor Ort bestaunte Sommer die Leistungen der Athleten, war er selbst doch nie länger als 7:40 Stunden laufenderweise aktiv. Nicht eingeschlossen in diese Statistik ist die mehrmalige Teilnahme am Trans-Alpine Run. Derzeit ist er wieder mit Andre Collet (2016 Deutscher Meister in Berlin mit 6:44:54) als Partner in den Alpen aktiv.

v.l.: Birgit Lennartz-Lohrengel, Tanja Hooß und Constanze Wagner 2008 in St. Wendel Birgit Lennartz-Lohrengel siegt beim Heilbronner Trollinger Marathon 2005

Bei den Frauen dominierte Birgit Lennartz-Lohrengel viele Jahre die Szene. Sie war 1989 Deutsche Marathonmeisterin, gewann 7 Mal Biel und 10 Mal den Rennsteiglauf. Ihre Statistik weist 23 Hunderter aus, davon lief sie 13 unter acht Stunden. Ihre Bestzeit erzielte sie bei der DM in Rodenbach 1990, die 7:18:57 waren damals Weltbestzeit und sind noch heute Deutscher Rekord, den davor Maria Bak mit 7:30:32 hielt. Viele Jahre blieb die Bestleistung unerreicht bis 2018 Nele Alder Baerens mit 7:22:41 sich beachtlich nähern konnte. Auf Rang fünf liegt übrigens Constanze Wagner von LaufReport mit 7:32:17, gelaufen auf der schwierigen Strecke von Neuwittenbek 1998. Einen Rang dahinter platziert sich mit 7:38:10 Tanja Hooß geborene Schäfer, die mit sieben Siegen sogar eine Meisterschaft mehr als Lennartz-Lohrengel aufweisen kann.

Neben all den herausragenden Sportlern, die diese Distanz prägten - viele mit ebenfalls grandiosen Leistungen müssen unerwähnt bleiben - lieferte eine Frau von der IGL Reutlingen eine schier unglaubliche Serie ab. Gudrun Kurtz (früher Müller) lief zwischen 1985 und 2006 jedes Jahr genau einen Hunderter und ab 1987 war sie ununterbrochen 20 Mal am Start der Deutschen Meisterschaft. Sie blieb fünf Mal unter 9 Stunden, ihre Bestzeit lief sie 1992 mit 8:30:56 in Rheine-Elte. In Unna wurde sie 1989 Gesamtvierte und holte in den Altersklassen W35 bis W55 insgesamt 9 Gold-, 6 Silber- und 3 Bronzemedaillen. Nur zwei Mal musste sie sich mit Rang vier zufrieden geben. Zusammen mit ihrem Mann Gernot, der 1988 in Hamm 7:57:23 lief, ist sie noch heute auf kurzen Strecken in der W70 aktiv.

Alle Läufe von Gudrun Kurtz Gudrun Kurtz 2017 beim Zehner in Nagold. 20 Mal ununterbrochen bei DM 100 km aktiv mit 9 Gold, 6 Silber- und 3 Bronzemedaillen

Kandel ist für mich immer der schnellste Marathon der Welt gewesen, immerhin konnte ich da meine beiden besten Läufe absolvieren. 1985 lief ich 2:28:08 und war ein Jahr später bis Kilometer 35 ziemlich zeitgleich mit der Hoffnung auf Bestzeit. Bei Kilometer 40, dort wo jetzt auch die Meisterschaftsläufer auf die lange Gerade am Waldrand einbiegen werden, zeigte meine Uhr 11 Sekunden Rückstand. Damit war der Traum von einer erneuten Bestzeit vorbei. Während der vielfache Seniorenweltmeister Walter Koch noch einmal aufdrehte, wie er es beinahe immer konnte und mit 2:27:47 mir wie so oft auf den letzten Kilometern die Fersen zeigte, kämpfte ich mich ohne letzte Willensanstrengung ins Ziel. Dass ich nur 4 Sekunden langsamer als im Vorjahr war, konnte ich eigentlich nicht glauben und ärgere mich noch heute, dass ich zu früh resigniert hatte.

Die Strecke des Hunderters in Kandel ist schnell, aber wenig windgeschützt und nur teilweise schattig. Sie ist fünf Kilometer lang und muss folglich 20 Mal durchlaufen werden. Der Start befindet sich im Stadion (Marathonziel), entgegen des Uhrzeigersinns verlässt man die Bahn beim "Marathontor", nicht beim Haupteingang, wo die Marathonläufer auf die Kunststoffbahn einbiegen und ihre letzten 300 Meter in Angriff nehmen. Einst gab es in Kandel einen leistungsstarken 25-Kilometerlauf, bei dem man das Stadion in westlicher Richtung verlassen und später wieder betreten musste. Die Ultras nehmen nun die letzten 3 Kilometer des Marathonlaufes unter die Füße. Der Oberkandeler Deich führt erst über freies Feld, dann etwa 300 Meter in den Wald hinein zur Wende. Auf dem Rückweg gibt es diese Passage als Begegnungsverkehr, ehe es rechts ab geht, wie bei den früheren Marathonrennen. Auf der langen Gerade am Waldrand und an einem "legendären" Schafstall vorbei haben Generationen von Langstrecklern verzweifelt um Bestzeiten gekämpft. Im Gegensatz zu den Marathonläufern müssen die Hunderter die Anlage nicht umrunden und können wieder durchs gleiche Tor zu den Verpflegungsständen an der Rundbahn gelangen.

Am 11. März 1984 hatte es am frühen Morgen minus 8° und mit Sonne gab es später beste Laufbedingungen. Auf der aufgetauten Aschenbahn verloren wir im tiefen Matsch leider noch wertvolle Sekunden. Es fühlte sich an wie Laufen auf Kaugummi, trotzdem wühlte ich mich mit neuem Rekord (2:31:25) ins Ziel. Fünf Wochen später war die Bahn staubtrocken, wir hatten aber bei der zusätzlich ausgetragenen DM unter einem plötzlichen Wärmeeinbruch zu leiden, der mich weit mehr als 2 Minuten gekostet hat. Später wurde bis zum Bau der Kunststoffbahn das Ziel nach außerhalb des Stadions verlegt.

Roland Schmidt Streckenplan der deutschen Meisterschaft in Kandel 2019
Ausführliche und einladend präsentierte Laufankündigungen im LaufReport HIER

Als Gründer des Bienwaldmarathons 1976 war der Lehrer Roland Schmidt mit seinem Team stets Garant für unzählige Wettbewerbe in der Stadt. Neben der langen Strecke, auf der zwei Mal die Deutsche Meisterschaft ausgetragen wurde, gab es eine separate Deutsche Seniorenmeisterschaft über 25 Kilometer. Diese Distanz wurde im Zuge der allgemeinen Umstellung auf Halbmarathon verkürzt. Leider gibt es den Zehner nicht mehr. Selbst war Schmidt ein begeisterter Läufer, auf seiner Paradedisziplin 5.000 m gewann er bei der Seniorenweltmeisterschaft eine Bronzemedaille. Mit seiner Grundschnelligkeit konnte er auf der Nebenstrecke Marathon immerhin auch eine 2:30er Zeit erlaufen. Um eine läuferfreundliche und bestens organisierte Veranstaltung braucht man sich also keine Sorgen zu machen.

Drei Tage vor Meldeschluss sind leider erst 57 Starter verzeichnet, bleibt zu hoffen, dass noch viele Kurzentschlossene dazu stoßen und am 21. September um 6 Uhr eine dreistellige Läuferschar im Bienwaldstadion an der Startlinie steht.

Bericht von Günter Krehl

Fotos von Günter Krehl und LaufReport-Archiv

Zu aktuellen Inhalten im LaufReport HIER