Covid 19 - Pierre-Emmanuel Alexandre läuft den NeckarsteigNeun Etappen auf einen Streich |
von Marcus Imbsweiler im Juli 2020 |
Die Corona-Krise zeitigt ungewöhnliche Folgen, auch im Laufsport. Ausgefallene Volksläufe lassen sich zwar nicht ersetzen, im Einzelfall aber durch Solorides kompensieren - etwa durch das Projekt von Pierre-Emmanuel Alexandre, den Neckarsteig an einem Stück zu laufen.
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"Nachdem alle Wettkämpfe dieses Jahr abgesagt wurden, wollte ich mir ein eigenes Ziel setzen", so der 27-Jährige im Vorfeld. "Ich bin gespannt zu sehen, wie mein Körper reagieren wird, da ich noch nie so lange gelaufen bin." Dass er mit dieser Idee nicht allein war, zeigt der LaufReport-Bericht von Holger Czäczine über Max Kirschbaum. Martin Schedlers Saarland-Umrundung brachte es sogar in die überregionalen Zeitungen. Pierre dürfte LaufReport-Lesern als Sieger des Heidelberger Trail-Marathons 2017 bekannt sein. Völlig überraschend - es war sein erster Marathon überhaupt - bezwang er damals Titelverteidiger und Favorit Florian Neuschwander. 2019 legte er mit dem Sieg auf der Half Distance nach. Seine Bestzeiten stehen bei 32:30 min. (10 km) und 2:34:53 h (Marathon), bloß die ganz langen Kanten fehlen noch in seinem Portfolio - bis jetzt. |
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Touristenattraktion Neckarsteig | Ab Mosbach wurde Pierre-Emmanuel ein Stück von Julian Beuchert (re.) begleitet |
Aber was ist eigentlich der Neckarsteig? Unweigerlich fällt hier der Name eines anderen, ungleich bekannteren Ausdauersportlers: Timo Bracht. Auf Initiative des früheren Triathlonstars, der in der Region lebt und trainiert, wurde vor acht Jahren ein neuer Fernwanderweg von Bad Wimpfen nach Heidelberg eröffnet. Gut 126 Kilometer ist er lang, immer dem Neckarverlauf folgend, in neun Etappen unterteilt. 2018 wurde er zu Deutschlands schönstem Wanderweg gewählt.
Den kompletten Neckarsteig am Stück zu laufen, und das möglichst an einem Tag, bietet sich da an. Aber Achtung: Der Wanderweg trägt seinen Namensbestandteil "Steig" nicht umsonst. Das Höhenprofil besteht aus vielen Zacken und Wellen; ständig geht es vom Neckarufer hoch auf die umliegenden Höhen und wieder zurück auf Flussniveau. Dahinter steht die Idee, am Ende jeder der neun Einzeletappen auch Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten, und die finden sich nun mal meist in den Ortschaften am Neckar.
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Beliebtes Ausflugsziel im Neckartal ist der Dilsberg |
Auf den ersten 20 Kilometern von Bad Wimpfen über Gundelsheim und Neckarzimmern halten sich die Strapazen noch in Grenzen, bevor auf dem Weg nach Mosbach die Höhe von 300 Metern über Null erstmals überschritten wird. Bei Neckargerach (40 km) beschreibt der Steig scheinbar unmotiviert eine markante Westschleife: Hier hat man Gelegenheit, das frühere Flussbett zu erkunden. Anschließend geht es gleich zwei Mal hoch bis auf fast 400 m und dazwischen jeweils kräftig wieder bergab, eine Flussüberquerung inklusive. Anschließend ist Eberbach erreicht, die Heimat des Neckarsteig-Erfinders Bracht - noch genau 50 km bis ins Ziel.
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Das Auf-Ab-Spiel wiederholte sich stetig - der Bodenbelag wechselte ständig |
Das Auf-Ab-Spiel wiederholt sich nun stetig: hoch auf 428 m kurz vor Hirschhorn, rasant runter zum Fluss, gleich wieder auf 450 m und in Serpentinen abwärts nach Neckarsteinach. Von der dortigen Schleuse, dem tiefsten Punkt der Strecke (111 m), sind es zwar nur noch gut 20 km nach Hause, aber die haben es in sich. Über die mittelalterliche Feste Dilsberg geht es ins Tal nach Neckargemünd und dann über gut 10 km zum Königstuhlgipfel, dem Heidelberger Hausberg. Hier steht man auf 568 m, schaut in die Rheinebene - und hat auf dem finalen Kilometer noch einmal 350 Höhenmeter bergab zu bewältigen.
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Auf Christian Alles und Holger Exner vom engelhorn
sports team sowie einige Mitglieder der Bergziegen Heidelberg konnte Pierre-Emanuel
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Unterwegs auf einem der schönsten Wanderwege Deutschlands |
Für Pierre Alexandre begann der Tag früh: um fünf Uhr Abfahrt in Durlach, wo er seit März mit Freundin und Laufpartnerin Sophie Crommelinck lebt, Punkt sechs Uhr Start am Bahnhof Bad Wimpfen. "Es war kalt", erinnert sich Pierre, "ich hätte Handschuhe gebrauchen können." Dann fiel auch noch sein GPS aus, so dass er keine Orientierung hatte, wie schnell er unterwegs war. Erst an der Zwischenstation Gundelsheim wusste er, dass er 10 min. unter Plan lag. Angepeilt war eine Endzeit von etwa 13 Stunden, im Vordergrund aber stand das Ankommen.
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An allen Etappenendstellen standen Essen und Getränke bereit | Pierre mit seinen wechselnden Begleitern |
Die anfängliche Kälte war bald vergessen, ab jetzt wurde die Hitze zum Problem. Vor allem die Höhenpassage rund um Neunkirchen machte Pierre zu schaffen: "Es gab kaum Schatten." Immerhin war er hier nicht mehr allein auf sich gestellt. Seit Mosbach leistete ihm Julian Beuchert Gesellschaft - derselbe Beuchert, mit dem er 2019 ein enges Duell um den Trail-Cup ausgefochten hatte. An diesem Tag stellte sich der deutsche Triathlet dem französischen Läufer als Schrittmacher zur Verfügung, und das Tempo blieb unverändert hoch.
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Eintauchen in die Natur | Teuflische Überraschung; Grobschotter im Wald |
Auch Pierres Freundin Sophie bewältigte die Strecke, wenn auch nicht zu Fuß, sondern per Mietauto auf der Straße. Sie war an allen Etappenendstellen vor Ort, um Essen und Getränke bereitzustellen, psychologischen Beistand zu leisten und natürlich auch, um Freunde per social media auf dem Laufenden zu halten. Ein paar aufmunternde Worte, die wichtigsten Infos zur nächsten Etappe - und weiter ging's.
In Eberbach verabschiedete sich Beuchert, dafür bekam Pierre Gesellschaft durch Christian Alles und Holger Exner vom engelhorn sports team sowie durch einige Mitglieder der Bergziegen Heidelberg. Bergqualitäten waren vor allem beim Anstieg zum Stückberg kurz vor Hirschhorn und dahinter in Richtung Grein gefragt. Allerdings machten gerade die abwechslungsreiche Landschaft und der ständig wechselnde Untergrund die Strapazen für Pierre erträglich. Nur die Hitze blieb weiterhin ein Problem.
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Es gab kaum Schatten: die Hitze wurde zum Problem |
Zeitlich hatte sich die Gruppe mittlerweile längst ein großes Polster erlaufen. Unter 13 Stunden würde Pierre auf jeden Fall bleiben, sogar unter 12 Stunden war noch möglich. Das Aufraffen zur letzten Etappe nach kurzer Rast in Neckargemünd fiel jedoch besonders schwer. "Da kam ich ganz schlecht ins Laufen", verrät er. In solchen Momenten schlägt die Stunde der Begleiter: nichts erzwingen, Tempo rausnehmen, gemeinsam ein Stück gehen, Kräfte sammeln. Und tatsächlich, auf den letzten schweren Kilometern hoch zum Königstuhl kam die Motivation zurück: "Da habe ich sogar noch mal gepusht. Hier kenne ich die Wege, da bin ich zu Hause."
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Zu Hause ist Pierre eigentlich im westfranzösischen Angers, wo es bekanntlich ja keine nennenswerten Erhebungen gibt. Auf seinen Stationen Straßburg und Heidelberg sammelte er dann Berg- und Trail-Erfahrungen, die er auch in seinem neuen Wohnort am Rande des Nordschwarzwalds gut umsetzen kann. Er arbeitet als Prüfleiter in Niefern bei Pforzheim und schreibt nebenher seine Dissertation im Fach Chemie. Bei km 126 dann die Krönung des Laufs: die Aussichtsplattform auf dem Königstuhl, von der die berühmt-berüchtigte Himmelsleiter steil hinunter zum Schloss führt. Die kennt Pierre ganz besonders gut, allerdings ist er sie im Rahmen des Trail-Marathons stets von unten nach oben gelaufen. Jetzt also abwärts, ohne Druck, aber mit höchster Konzentration - so kurz vorm Ziel stürzen wäre besonders blöd. Am Elisabethentor ist es geschafft: mehr als 3000 Höhenmeter, auf gut 126 km verteilt. Und das in 12 Stunden und ein paar Minuten - Respekt. |
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Bericht von Marcus Imbsweiler Zu aktuellen Inhalten im LaufReport HIER |
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