15.03.03 - 31. Shamrock Marathon Virginia Beach

Kenianer und irische Amerikaner

Marathon und Amerika – bei dieser Kombination denken die meisten wohl an die Weltklasserennen von Boston, New York oder Chicago. Weitgereisteren sind vielleicht auch die Massenveranstaltungen in Los Angeles oder Honolulu ein Begriff. Mit mehr als 300 Läufen über die klassische Distanz jedes Jahr in unterschiedlichsten Größen - die meisten mit eigener Internetseite - und bei immer noch steigender Tendenz haben die Vereinigten Staaten aber auch darüber hinaus ein riesiges Angebot für reisefreudige Marathonis zu bieten.

Zwar werden das ganze Jahr über an jedem Wochenende etliche Marathons ausgetragen, diese sind aber aufgrund der klimatischen Unterschiede sehr ungleich verteilt. Für Marathonsammler bietet sich deshalb fast immer die Möglichkeit, in der gleichen Region in relativ kurzer Zeit gleich mehrere Rennen zu bestreiten. Während die Rennen im tropischen Florida fast ausschließlich in den Wintermonaten Dezember bis Februar stattfinden, bietet das arktische Alaska nur im Sommer Gelegenheit zum Laufen. In Neu-England stehen die meisten Veranstaltungen im berühmten Indian Summer im Kalender. Und die Wüstengebiete im Südwesten haben natürlich eine ganz andere Marathonsaison als die immer wieder von eisigen Wintern bedrohten Prärien im Norden.

 
Letzte Minuten vor dem Start Boardwalk-Running

März bis Mitte April und Mitte Oktober bis Ende November ist die hohe Zeit der Marathons in der sogenannten Middle Atlantic Region. Das Gebiet, das aus den Bundesstaaten Virginia, Maryland, Delaware, New Jersey sowie dem östlichen Pennsylvania besteht, kann man durchaus als das Kernland und die geschichtsträchtigste Region der USA bezeichnen. Hier entstanden die ersten europäischen Siedlungen, hier wurden die Unabhängigkeitserklärung und die amerikanische Verfassung formuliert, aus dieser Gegend stammten fast alle Präsidenten in den ersten Jahrzehnten des jungen Landes und hier - an der Grenze zwischen Norden und Süden - wurde im Bürgerkrieg besonders heftig gekämpft. Auch die nach der Unabhängigkeit von England neugegründete Hauptstadt – ursprünglich District of Columbia genannt, später aber mit dem Namen des ersten Präsidenten George Washington versehen - findet sich dort.

Genau in dieser Hauptstadt lag allerdings in diesem Jahr das Loch in der ansonsten lückenlosen Marathonkette der mittleren Ostküste. Eine Großveranstaltung mit sechs- bis siebentausend Teilnehmern war nach Ausbruch des Irakkrieges nicht mehr denkbar. Drei Tage vor dem Startschuss wurde die Veranstaltung offiziell abgesagt – sehr zum Leidwesen der schon angereisten Teilnehmer, allerdings angesichts der seit längerem angespannten Lage nicht völlig unerwartet.

Wohl dem, der in dieser Situation einen weiteren Marathon zu Auswahl hatte. Die eine Woche später angesetzten Marathons in Frederick / Maryland und Cape May County / New Jersey konnten jedenfalls eine erhebliche Zahl an Nachmeldern verzeichnen. Schon eine Woche vorher hatte auch der Shamrock Marathon in Virginia Beach dreihundert Kilometer südöstlich von Washington plangemäß stattgefunden.

 
Strandläufer her ... ... und Strandläufer hin.

Virginia Beach trägt seinen Namen vollkommen zu recht. Im Staat Virginia gelegen zeichnet sich die Stadt durch einen etwa dreißig Kilometer langen und teilweise mehrere hundert Meter breiten Sandstrand aus. Aus dem kleinen Badeort ist in den letzten Jahrzehnten die größte Stadt des Bundesstaates mit über vierhunderttausend Einwohnern geworden. Davon ist jedoch nichts zu spüren, denn das gesamte Stadtgebiet besteht aus dem üblichen amerikanischen Siedlungsbrei mit Einfamilienhäusern und Shopping-Malls. Einen Stadtkern, wie man ihn in Europa gewohnt ist, sucht man vergeblich. Einzig am Strand selbst ändert sich das Bild. Fünf Kilometer lang reiht sich hier Hotel an Hotel. Zwischen Beton- und Sandburgen verläuft in gleicher Länge die breite und schnurgerade Strandpromenade, die zwar noch immer als Boardwalk (= Bretterweg) bezeichnet wird, allerdings längst asphaltiert ist.

Fünf Kilometer verkehrsfreie Laufstrecke stellen für amerikanische Langstreckler einen fast schon paradiesischen Zustand dar. In der vollständig aufs Automobil ausgerichteten US-Gesellschaft sind die bei uns oft direkt hinter dem Haus beginnenden Feld- oder Waldwege undenkbar. Entweder findet man absolute Wildnis oder dichte Straßennetze vor. Den meisten amerikanischen Läufern bleibt also nur das Training entlang oft dichtbefahrener Highways. Nicht umsonst ist auf der anderen Seite des großen Teiches der Begriff „Road Running“ gebräuchlich, während man in Deutschland meist völlig zurecht von „Waldlauf“ spricht.

Natürlich nutzen auch die Organisatoren des Shamrock Marathon diese optimale Laufstrecke für ihre Veranstaltung. Neben den klassischen 26 Meilen und 385 Yards – mit der für europäische Läufer so magischen Zahl 42,195 können nur wenige Amerikaner etwas anfangen – steht auch noch ein Lauf über acht Kilometer auf dem Programm. Seltsamerweise gibt es über diese Distanz, die zwar ungefähr, aber eben nicht genau fünf Meilen entspricht, in den USA etliche Rennen und sogar eigene Rekordlisten. Mit über 2600 Teilnehmer werden in Virginia Beach auf dieser Strecke die Zahlen des Marathons um mehr als das Doppelte übertroffen.

Der Start ist erfolgt Vanman auf amerikanisch Spitze des 8-Km-Laufs

Die Erklärung des auf den ersten Blick seltsamen Namens „Shamrock Marathon“ liegt in der terminlichen Nähe des Laufes zum St. Patricks Day am 17. März. Zum Feiertag des irischen Nationalheiligen entdecken viele Amerikaner ihre keltischen Wurzeln. Grün-weiß geschmückte Häuser und irische Fahnen zählen zum normalen Straßenbild. Auch der Marathon setzt voll auf die irische Karte. Internetseite, Ausschreibung und Medaille ziert ein irischer Kobold. Der Start und alle Verpflegungsstellen werden durch grüne und weiße Luftballons markiert und viele der eifrigen Helfer haben sich grün-weiß maskiert. Sogar der Ansager gibt sich als Kobold und hüpft in der entsprechenden Verkleidung wie aufgezogen auf dem Startpodium herum. Was hat nun aber „Shamrock“ mit all dem zu tun? Ganz einfach. In Irland wird mit diesem Wort das als Nationalsymbol geltende Kleeblatt bezeichnet.

Starts bei Rennen in Amerika unterscheiden sich wesentlich von denen in Europa. Das hängt nicht nur mit der wie bei jedem größeren Ereignis in den Vereinigten Staaten kurz zuvor gesungenen Nationalhymne zusammen, bei der praktisch das ganze Feld mit der Hand auf dem Herz fast andächtig zuhörend verharrt - ein für Deutsche extrem gewöhnungsbedürftiger Patriotismus, für Amerikaner völlig normal. Aber auch nach dem Ende der Hymne kommt keinerlei Gedränge auf. Sicherlich mögen die extrem breiten und schnurgeraden amerikanischen Straßen, auf denen auch das größte Feld leicht in Rollen kommt, und die in Virginia Beach angewendete Chipzeitmessung dabei eine Rolle spielen. Der Hauptgrund ist aber die Einstellung der Läufer, denen es fast allen nur ums „Finishen“ und nicht um Zeiten oder Plätze geht. Oft sind sogar in der ersten Reihe noch Plätze frei. Nichts für Langschläfer sind Startzeiten in den USA. In Virginia Beach ist sie auf 7:30 festgelegt, aber auch sonst wird kaum ein Lauf nach acht Uhr gestartet.

Statt eines Schusses werden die zwölfhundert Marathonläufer mit einer Signalhupe auf die Reise geschickt. Grob gesprochen kann man den ihnen bevorstehenden Kurs als Wendepunktstrecke mit Einführungsschleife bezeichnen. Start und Ziel befinden sich etwa einen Kilometer vom Strand entfernt beim Convention Center - einer großen Mehrzweckhalle, in der auch Startnummernausgabe, Marathonmesse und Siegerehrung ihre Heimat haben. Von dort geht es erst mal auf direktem Weg in Richtung Atlantik. Kurz vor dem Erreichen des Strandes führt der Kurs nach rechts und auf der von Hotels und Souvenirgeschäften geprägten Parallelstraße nach Süden. Bei Meile zwei am Ende des Hotelviertels schwenkt das Feld auf die hier beginnende Strandpromenade ein und läuft zurück nach Norden. Etwa in der Mitte des Boardwalks ist die „Einführungsrunde“ beendet. Die eine halbe Stunde später startenden Acht-Kilometer-Läufer dürfen hier zurück zum Ziel abbiegen. Die Marathonis begeben sich nach etwa fünf Kilometern nun auf den Wendepunktteil.

Unplugged an der Strecke Verpflegung: Helfer satt 2. Marathon Susan Graham-Gray 2:57:00

Dieser hat in etwa die Form eines gespiegelten „P“, denn am Wendepunkt bei Meile vierzehn ist man nur wenige hundert Meter von Meile sieben bzw. einundzwanzig entfernt. An die Meilenangaben muss man sich gewöhnen. Nur ganz wenige große Marathons in den USA markieren zumindest jeden fünften Kilometer. Bei allen anderen hilft nur Umrechnen.

Am nördlichen Ende des Boardwalks beginnt eine schnurgerade Hauptstraße durch Wohngebiete. Vierzig Blocks lang kann man anhand der Straßenschilder der einfach nur durchnummerierten Seitensträßchen die zurückgelegte Strecke nachvollziehen. Noch stellt diese Passage kein Problem dar, bei schwindenden Kräften auf dem Rückweg ist es allerdings nicht mehr ganz so einfach, mehrere Kilometer weit nach vorne blicken zu können.

Auf Höhe der 82th Street fängt der zweite von drei etwa gleichlangen Teilen des Wendepunktkurses an. Die Straße verlässt die Häuser und verläuft für die nächsten gut drei Meilen durch einen Feuchtwald. Etwas erinnern die Überschwemmungsflächen an einen tropischen Mangrovendschungel. Schlagartig hat sich der Lauf in einen Landschaftsmarathon verwandelt. Zuschauer, die bisher zwar nicht in Massen aber doch in erkennbarer Zahl am Straßenrand standen, gibt es hier natürlich keine mehr. Nur an den im Abstand von etwa zwei Meilen eingerichteten Verpflegungsstellen sorgen die „Volunteers“ für Stimmung.

Das letzte Drittel bis zur Wende spielt sich größtenteils im Fort Story ab, einer Art Kaserne mit angeschlossenem Truppenübungsplatz, mit der die Einfahrt zur riesigen Chesapeake Bay geschützt wird. Noch kurz vor dem Start waren alle Läufer erneut darauf hingewiesen worden, ihre Nummer auch ja sichtbar zu tragen, da sie sonst nicht aufs Militärgelände gelassen würden. Ganz so streng wird es nicht gehandhabt, auch innerhalb des Zauns stehen ein paar Fans, aber die bewaffneten Wachposten sind inmitten der leichbekleideten Läufer doch ein nachdenklich stimmendes Bild. Hinter Posten und Zaun erinnert nichts mehr an die Army. Die Straße führt weiter durch den Wald, der irgendwann in Dünengelände übergeht. Erst kurz vor der Wende unterhalb der beiden Leuchttürme weisen Baracken wieder darauf hin, dass man in einer Kaserne läuft. Hier tragen auch die Helfer an der Verpflegungsstelle Uniform. Noch einmal kurz um einige Hütchen herum und der lange Umweg zurück zum Ziel beginnt.

 
Volunteers machen Stimmung Zieleinlauf-Kanal

Gute und auch ganz öffentlich ausgeschriebene Preisgelder ziehen insbesondere auf der Kurzdistanz natürlich einige leistungsstarke Laufprofis an die Atlantikküste. Der Marathon ist davon aber nicht ganz so betroffen. Zwar siegte durch Fred Getange in 2:25:55 auch hier ein Kenianer, mit Keith Kimmons aus Tennessee (2:26:39) und dem Kalifornier Dai Roberts (2:28:09) folgten dann aber zwei Amerikaner auf den Plätzen. Durchaus beachtenswert die Leistung der Frauensiegerin Stacie Alboucrek, die unter nahezu optimalen Bedingungen bei fast wolkenlosen Himmel und Temperaturen um 15 Grad mit 2:39:49 schon als Zwölfte des Gesamteinlaufes ins Ziel kam. Am Meer ist natürlich immer mit Wind zu rechnen, an diesem Samstag hielt allerdings auch er sich in Grenzen.

Betrachtet man die Ergebnisliste, entdeckt man in dem fast rein amerikanischen Rennen kaum mehr als eine Handvoll ausländischer Teilnehmer. Ralf Bartsch war während des Rennens mit Flagge auf dem Trikot zwar gut als Deutscher zu erkennen, in den Ergebnissen ist er allerdings deutlich schwerer als Europäer auszumachen. Der Marinesoldat arbeitet beim NATO-Flottenkommando im benachbarten Norfolk, hat deshalb natürlich auch eine Adresse in Virginia und landete trotz Problemen auf den letzten Kilometern mit 3:07:07 noch auf Rang 57.

Ganz anders sehen die ersten Plätze auf den acht Kilometern aus. Die ersten drei – Linus Maiyo (22:27) vor Francis Komu (22:28) und Moses Macharia Mwangi (22:41)  - und sieben der ersten zehn Läufer stammen aus Kenia. Hierzulande am bekanntesten dürfte der Läufer auf dem zehnten Rang sein. Der in Belgien geborene Eddy Hellebuyck gewann in früheren Jahren schließlich gleich mehrfach den Nürburgringlauf. Inzwischen in Albuquerque / New Mexico zu Hause und amerikanischer Staatsbürger konnte er mit 23:57 in der gut dotierten Masterswertung den zweiten Platz erreichen.

Ziel-Tunnel von Virginia-Beach Pokale, doch wie daheim muss man da auch vorne sein!

Noch internationaler war der Einlauf bei den Frauen. Zwar stammt die Siegerin Gladys Asiba (25:46) ebenfalls aus Kenia, der Läuferin auf Platz zwei dürfte das irische Ambiente des Laufes aber durchaus vertraut vorgekommen sein. Breeda Dennehy (25:55) kommt nämlich von der grünen Insel. Nur eine Sekunde später hatte Tatyana Pozdnyakova das Podest vollständig gefüllt. Trotz eines Wohnortes in Florida kann sie angesichts ihres Namens die osteuropäische Herkunft nicht verheimlichen.

Ein Tipp für Reiselustige sei noch erwähnt. Die Kombination von Marathons in Virginia Beach und Washington ist jedes Jahr gleich zweimal möglich. Ende Oktober findet in Washington ein weiterer Lauf statt, dessen Ausrichter allerdings das Marine Corps (die Marine Infanterie der US-Streitkräfte) ist – in der aktuellen Lage vielleicht nicht ganz die richtige Wahl. Eine Woche zuvor führt der zweite Marathon von Virginia Beach über eine der spektakulärsten Strecken überhaupt. Siebzehn Meilen - also mehr als fünfundzwanzig Kilometer - lang ist die Kombination aus Brücken und Tunneln, mit der die Mündung der Chesapeake Bay überbrückt wird. Die erste Hälfte des Rennens verläuft über diese Meisterleistung der Bauingenieurkunst, während der Streckenverlauf am Ende in etwa dem des Shamrock Marathons entspricht.

Bericht von Ralf Klink

Fotos von Heinrich Weber und Ralf Klink

Informationen unter www.shamrockmarathon.com

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