01. & 02.10.15 - UTAT 2015 - Ultra Trail Atlas Toubkal

Der Ultra Trail Atlas Toubkal - Faszination und Abenteuer pur

von Oliver Karst

Es ist Dienstag - 04:00 Uhr - mein Wecker reist mich aus dem Schlaf. Nun ist es endlich wieder soweit - die Anreise zum UTAT steht an! Dieser Lauf ließ mich bereits in den vorherigen Monaten nicht zur Ruhe kommen. Vor ziemlich genau einem Jahr stand ich am Start für die Königsdistanz über 105km und 6500 positiven Höhenmetern, und musste dann dort leider eine herbe Niederlage einstecken. Mein erster DNF war eher außergewöhnlich... Nach ca. 52km machte mir plötzlich die Höhe sehr zu schaffen und ich fühlte mich körperlich am Ende! Zum ersten Mal musste ich jetzt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und bekam eine "Aufbauspritze". Danach ging es mir ziemlich schnell wieder gut, aber die Startnummer war nun weg und somit das Rennen für mich leider vorbei. Doch die Topografie in diesem Gebiet bietet nicht die Möglichkeit mal schnell auszusteigen. Daher kam ich noch in den Genuss, fast die komplette Strecke - bis KM 89 - "abzuwandern". Diese Odyssee hatte dann ein Ende, als ich das Basiscamp in Oukaimeden nach langen 37 Stunden endlich erreichte. Nur so viel sei vorweg erwähnt…

Wie sieht mein Plan für dieses Jahr aus? Werde ich es wieder versuchen die 105km zu absolvieren oder gehe ich in diesem Jahr die Challenge an? Die Challenge beinhaltet einen Marathon mit knackigen 2600 HM und am nächsten Tag noch einen 26km Lauf mit 1400 HM. Sicherlich eine entscheidende Frage, die ich aber erst vor Ort für mich beantworten wollte!

Zuerst einmal stand wieder das große Packen auf dem Plan. Dies ist wirklich schon eine Herausforderung für mich, da ich gerne mal etwas vergesse. Und vor Ort gestaltet es sich eher schwierig bis unmöglich spezielle Läufernahrung etc. zu bekommen. Eine Expo, wie wir sie von europäischen Läufen kennen, gibt es dort nicht.

Die zweite Hürde stellte das gebuchte Gewicht meines Koffers von 15 Kilogramm dar (minimales Übergewicht wird bei Ryanair direkt finanziell bestraft). Glücklicherweise begleitetet mich in diesem Jahr meine Frau, die am 26km Lauf teilnehmen wollte und mir daher im Notfall sicherlich was von Ihrer Verpflegung leihen würde...

Das Abenteuer UTAT 2015 konnte also beginnen...

Aufstehen, anziehen, nochmalige Kontrolle, ob Reisepässe und Flugtickets dabei sind und dann ab ins Auto. Noch schnell unseren Laufkollegen, Dominik Merz, der wie meine Frau Susanne Karst auch für die 26km gemeldet war, einsammeln und ab zum ersten Zwischenziel - einem kleinen verschlafenen Ortsteil von Goldbach. Dort treffen wir uns mit dem deutschen Ansprechpartner des UTAT, Oliver Binz, der in der Ultralaufszene kein Unbekannter ist. Oliver ist für mich mittlerweile ein guter Freund, mit dem ich schon einige gemeinsame Trainings- und Wettkampfkilometer absolviert habe.

Pünktlich um 05:00 Uhr ging die gemeinsame Autofahrt los zum Flughafen Charleroi in Brüssel. Ein Abflug vom viel näher gelegenen Flughafen Frankfurt-Hahn war in diesem Jahr aufgrund der Flugzeiten leider nicht möglich. Nach ca. 4,5 Std hatten wir dann auch endlich das erste Etappenziel erreicht. Dort trafen wir auf Martin Schedler, den aktuellen Deutschen Meister im Ultratrail, mit seiner Lebensgefährtin Manon Mathis. Martin will sich bei der Challenge mit den marokkanischen Favoriten duellieren und Manon die 26km in Angriff nehmen.

Geordnetes Chaos beim Packen Ankunft am Flughafen in Marrakesch
Auf dem Bild (von links nach rechts) Manon, Martin, Oliver B., Oliver K., Dominik, Susanne

Auf geht's nach Marrakesch… Einschecken, Sicherheitskontrolle und es kann losgehen! Oliver B. hatte aus dem "Honig-Dilemma" im letzten Jahr gelernt und in diesem Jahr seine "Bienen-Power" vorschriftsmäßig im Koffer verstaut. Allerdings sollte er diesmal an seinen Trail-Stöcken scheitern, die nicht als Handgepäck durchgingen. Nun schnell noch die Stöcke zum Sperrgepäck und das Boarding konnte beginnen. Nach ca. 3,5 Std hatten wir dann Marrakesch erreicht. Jetzt noch die lästige Passkontrolle am Flughafen hinter sich bringen (das ist schlimmer als in den USA) und dann haben wir schon fast unser Ziel erreicht.

In der Flughafenhalle werden wir bereits sehr freundlich von zwei - der vielen - freiwilligen Helfern in Empfang genommen. Nach kurzer Anwesenheitskontrolle geht es auch schon direkt nach draußen, wo wir uns bei sonnigen 33° Grad vor einem schattigen Empfangszelt, für die 2-stündige Fahrt ins Atlasgebirge mit ausreichend Wasser eindecken konnten. Trinkwasser war zum Glück nie ein Problem, da der Veranstalter uns über die gesamte Zeit mit einem großen Vorrat (bewacht in einem Zelt!) versorgte. Die Busfahrt nach Oukaimeden ist immer schon ein Abenteuer. Der altersschwache, voll beladene Bus, kämpfte sich nach einer Fahrt durch die Vororte Marrakeschs, die Serpentinen hinauf auf ca. 2600 Meter.

Der Weg ins Gebirge wurde durch ein starkes Unwetter mit sehr viel Niederschlag in diesem Jahr noch erschwert. Die verschlammten Straßen konnten rechtzeitig geräumt werden und wir kamen alle - bereits mit sehr schönen ersten Einrücken - im UTAT Camp an. Die Temperaturen waren hier oben spürbar kühler als in Marrakesch. Das sollten wir vor allem in der Nacht zu spüren bekommen. In unserem Zelt wurden Susanne, Dominik und ich bei gefühlten 0° Grad frisch gehalten. Die Anderen hatten es etwas gemütlicher. Für eine Zuzahlung von 80 € p.P. haben Manon, Martin und Oliver B. in der CAF Hütte gekuschelt.

Im großen - orientalisch geschmückten - Essenszelt, gab es dann am nächsten Morgen ein leckeres Frühstück. Fladenbrot mit verschiedenen Marmeladen, leckerer Honig, KIRI-Streichkäse und natürlich der traumhafte marokkanische Minz-Tee sowie Kaffee standen zur Auswahl. Auch das leckere Abendessen wurde in diesem Zelt für alle Teilnehmer serviert. Als Starter gab es immer die wärmende Suppe und dann Reis oder Nudeln mit Gemüse und/oder Hähnchen. Für Mutige gab es zum Nachtisch noch frisches Obst - da mit Leitungswasser gewaschen, bevorzugten wir vorsichtshalber lieber einen abgepackten internationalen Schokoriegel aus der CAF Hütte.

Nach dem Frühstück unternahm unsere kleine Gruppe dann eine Wanderung, um uns etwas zu akklimatisieren. Hier wurde mir bereits wieder klar, warum ich auch in diesem Jahr erneut am Start sein wollte. Diese einzigartige Umgebung sucht seinesgleichen. Diese Farben, diese wunderschöne Landschaft, hat mich sofort wieder in seinen Bann gezogen. Wir liefen 5km entgegengesetzt der morgigen Marathon-Strecke - ein Anstieg von ca. 400 HM. Für mich sollte diese kurze Tour auch der "Weg der Entscheidung" sein - welche Strecke werde ich in diesem Jahr angehen? Wie fühle ich mich, was macht mein rechtes Knie, dass seit einem Sturz beim Chiemgauer 100 schmerzt und wie vertrage ich diesmal die Höhe? Ich habe beim Anstieg die ganze Zeit gegrübelt und es ist mir nicht leicht gefallen… Als wir den höchsten Punkt unserer Wanderroute erreicht hatten, wurde uns ein atemberaubender Anblick geboten. Wir verbrachten dort oben ca. 1 Stunde bevor wir wieder hinab Richtung Camp marschiert sind. Auf dem Rückweg hatte ich dann auch meine Entscheidung gefällt - es sollte in diesem Jahr die Challenge werden! Ich fühlte mich nicht zu 100% fit, mein Knie schmerzte bereits bei diesem Abstieg. Die Wahl fiel mir nicht leicht. Ich war sogar im ersten Moment etwas niedergeschlagen, aber es war angesichts der Umstände die wohl bessere und vernünftigere Entscheidung!

Akklimatisierungswanderung

Nach der fast vierstündigen Tour mussten wir natürlich wieder zu Kräften kommen und steuerten eines der wenigen "Restaurants" in Oukaimeden an. Für kleines Geld kann man dort leckere heimische Gerichte zu sich nehmen.

Am nächsten Tag war es dann endlich soweit! Um Punkt 06:00 Uhr machten sich die Teilnehmer des Marathons mit den Ultraläufern gemeinsam auf den Weg. Ich konnte den Start in diesem Jahr nicht richtig genießen, da ich doch noch immer mit meiner Entscheidung haderte. Egal, jetzt war es eh zu spät - ich war für die Challenge registriert! Ich versuchte mich auf die vor mir liegende außergewöhnliche Strecke einzustimmen und diese in vollen Zügen zu genießen. Spätestens beim Sonnenaufgang waren dann alle Zweifel vergessen! Zu diesem Zeitpunkt lief ich noch mit Oliver B. gemeinsam. Auf 3000 Meter über dem Meer sich an einem wundervollen Sonnenaufgang ergötzen zu dürfen, ist schon etwas ganz Besonderes.

Landestypisch - Eier und Gemüse Tajine Sonnenaufgang

Als wir den ersten Gipfel erklommen hatten, konnten wir es dann ein wenig Rollen lassen. Der Abstieg war technisch nicht so anspruchsvoll und daher gut, um die Kräfte für den kommenden Anstieg von 1300 Höhenmetern auf ca. 8km aufzusparen. Unsere lockere Einheit wurde dann nach ca. 13km durch die Streckenteilung abrupt beendet und wir sollten nun getrennte Wege gehen. Ich war nun auf mich alleine gestellt und folgte meiner blauen Markierung zum ersten Verpflegungspunkt bei 19,5km in Timmichi. Ich nahm mir hier sehr viel Zeit um den Rucksack und meine Speicher wieder aufzufüllen. Es gab Cola, Wasser, Nüsse, Chips und Trockenobst in ausreichender Menge.

Denn jetzt ging der Marathon erst richtig los! Der erste Abschnitt war sehr abwechslungsreich, da wir einige Kilometer entgegengesetzt der 105km Strecke gelaufen sind und uns somit einige Ultra-Läufer wieder über den Weg liefen. Ich passierte einige Berberdörfer und sah Kinder bei der Wallnussernte.

Berberdorf

Danach wurde es steinig und steil. Ich nahm mir Zeit und legte den Wanderschritt ein um Kräfte zu sparen. Der Weg wollte kein Ende nehmen... Sobald man dachte da oben muss das Etappenziel sein, ging es nochmal ums Eck und weiter bergauf. Nichtsdestotrotz…jeder Anstieg hat mal ein Ende, also auch dieser. Überraschenderweise war gerade auch eine Wandergruppe aus Österreich auf dem Gipfel angekommen und hat nun jeden Teilnehmer gebührend gefeiert. Normalerweise feuern nur die freiwilligen Streckenposten und Kinder aus den Berberdörfern uns Läufer hier an.

Anstieg zu KM 28

Der folgende Downhill war technisch anspruchsvoll. Schmale Serpentinen voll mit Geröll erschwerten den Abstieg. Man musste mit seinen Gedanken immer zu 100% auf der Strecke sein und nicht schon vom Zieleinlauf träumen. Die 5km nach Tacheddirt gingen aber trotzdem gefühlt sehr schnell vorbei. Hier gab es sogar nochmal eine kleine Verpflegung, die ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte.

Jetzt nur noch 600HM bergauf, auf den nächsten 5km, und dann beim Downhill ins Ziel rollen lassen. Tja, das "nur noch" blieb mir bereits nach wenigen Metern im Hals stecken. Dieser letzte verflixte Anstieg war schlimmer als der lange vorherige. Es war noch steiniger und steiler als zuvor. Auf der Strecke habe ich noch einen Läufer eingesammelt und wir unterhielten uns, natürlich die erste Zeit auf Englisch (internationales Starterfeld!). Nach ca. 5 Minuten ist uns dann aber aufgefallen, dass wir beide aus Deutschland sind. Da hat wohl die Höhensonne Schuld dran, die gnadenlos auf uns einstrahlte. Endlich, wir erblickten auf dem nächsten Kamm ein kleines Männchen. Jetzt nur noch da hoch und es war fast geschafft. Als wir oben angekommen waren, erkannte ich auch das kleine Männchen. Es war Eliseo, der mir im letzten Jahr die Startnummer abgenommen hatte - ich habe ihm bereits verziehen.

Nur noch knapp 5 km nach unten und das Ziel Oukaimeden ist erreicht. Nach 7Std und 43 Minuten war der Marathon Geschichte. Es war eine schöne, aber auch anspruchsvolle Strecke, die den Läuferinnen und Läufern durchaus einiges abverlangt. Jetzt heißt es schnell regenerieren, um am nächsten Tag für die 26KM mit 1400HM wieder fit am Start zu stehen. Die Regeneration wurde bei mir beschleunigt durch eine heiße Dusche mit anschließender Massage. Ja, sogar im Atlas-Gebirge gibt es Masseure, Osteopathen und ausreichend Mediziner, die sich um jegliche Läufer-Weh-Wehchen vor und nach dem Lauf kümmern. Am Abend durfte ich auch noch den Zieleinlauf von Andy Symonds live erleben. Er absolvierte die 105km Strecke in sagenhaften 13Std 41min.

Ich und Eliseo Ich mit Andy Symonds

Der Start der 26km fand erst um 09:00Uhr statt. Man konnte also diesmal ausschlafen, was Gold wert war. Alles war eigentlich perfekt - meine Frau hatte mit Manon spontan eine Laufpartnerin gefunden, die Sonne schien, die Ausrüstung saß perfekt, nur Oliver Binz war noch nicht im Ziel… Ich machte mir ein wenig sorgen, da ich gehört hatte, dass er starke muskuläre Probleme hätte. In diesem Moment kam er aber auch schon nach 26Std 52min - filmreif, kurz vor dem Start des letzten Rennens - ins Ziel gelaufen. Jetzt kann ich entspannt loslaufen!

Der Lauf begann recht angenehm. Die ersten 5 km waren mir ja auch schon durch unseren Schlussspurt von gestern bekannt. Irgendwie sind alle Strecken miteinander vereint. Nach dem kurzen Anstieg ging es dann rasant bergab. Ich musste es etwas langsamer angehen lassen, da ich mein Knie heute etwas mehr spürte. Daher wurde ich auf diesen 5km von vielen Läuferinnen und Läufern überholt. Die Schönheit der Strecke konnte ich aber umso mehr genießen. Nun ging es immer wieder leicht bergab durch verschiedene Berberdörfer zum Verpflegungspunkt bei KM 16. Das Durchqueren dieser kleinen Dörfer machte mir mal wieder bewusst, wie gut es uns doch geht. Diese Dörfer haben sicherlich ihren gewissen Charme, aber als Europäer kommt einem diese Art zu leben eher befremdlich vor. Es ist bewundernswert zu sehen mit was für einer Freude uns die Berberkinder am Wegesrand zujubeln.

Aufstieg zum Tizi n`Addi

Nach der einzigen Verpflegungsstation waren es noch ca. 10km zu unserem Zielort Oukaimeden mit ungefähr 800 positiven Höhenmeter. Diese Strecke hatte noch drei Anstiege für uns parat. Das erste Drittel war mit gut laufbaren Wegen doch einfach zu bewältigen. Das mittlere Stück war für mich am schwersten, aber dafür landschaftlich einmalig und überwältigend. Ein steiler Anstieg durch kleine grüne Oasen mit vielen hundert Jahre alten Bäumen, die einen kostbaren Schatten warfen.

Das letzte Drittel wurde dominiert von viel Geröll und sehr schmalen Wegen. Zwei große marokkanische Flaggen markierten den letzten zu erklimmenden Gipfel. Der Weg dorthin führte um den Berg herum, auf einem leicht ansteigenden und sehr schmalen Pfad. Wer hier oben ankommt, hat es aber dann geschafft. Dies gilt auch für die 105km Läufer, die gemeinsam mit den 26km Läufern sich den letzten Anstieg teilen. Jetzt nur noch ca.1,5km bergab ins Ziel - geschafft in 04Std 30Min!

Ein steiler Anstieg durch kleine grüne Oasen Imposanter letzter Auf- und Abstieg

Jetzt heißt es nur noch warten auf meine Frau, Manon und Dominik. Dominik erreichte das Ziel nach guten 05Std 31Min. Manon und Susanne kamen am Ende mit 6Std 28Min entspannt und lächelnd ins Ziel gelaufen.

Und nun erst ´mal Beine hochlegen oder nochmals massieren lassen und den letzten Abend hoch oben in Oukaimeden genießen, bevor es nach Marrakesch geht, wo wir noch einen Tag verbrachten. Diese Veranstaltung war wieder einmalig! Ich habe viele tolle und verrückte Leute kennen lernen dürfen.

Manishe Sina (3. Platz Challenge) im Ziel Manon, Martin (3. Platz Challenge) und ich nach getaner Arbeit
Ausführliche und einladend präsentierte Laufankündigungen im LaufReport HIER

Danke UTAT- ich werde nächstes Jahr wieder dabei sein!

Siehe auch weitere Beiträge über den UTAT im LaufReport

Bericht von Oliver Karst - Fotos privat

Nähere Infos unter www.atlas-trail.com oder beim deutschen Ansprechpartner Oliver Binz utat.ger@atlas-trail.com

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