5.10.19 - Stavanger Ryfastløpet Tunnel HalbmarathonRyfastløpet Stavanger - mehr als ein Aha-Erlebnis |
von Thomas Dissser |
Die klassischen Laufstrecken, für die wir uns mit "höher, schneller und weiter" immer wieder neu motivieren, reichen uns schon lange nicht mehr aus. Es muss auch mal durch Parkhäuser, Bergwerkstollen, Schlammlöcher oder über Alpengipfel gerannt werden. Besonders motivierend kann es auch sein, wenn der Lauf nur ein einziges Mal stattfindet. Von diesen Events liest man ärgerlicherweise oft erst danach und hätte gerne daran teilgenommen.
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Durch einen Artikel in unserer Tageszeitung wurden zwei Laufkameraden meines Vereins auf den Bau der weltgrößten Tunnelanlage unter dem Meer im norwegischen Stavanger aufmerksam. Es wurde auch der geplante Lauf erwähnt, der vor der Übergabe an den Autoverkehr stattfinden sollte. Da der Tunnel zufälligerweise 21 km lang ist, zwingt sich ein Halbmarathon geradezu auf. Als Herrenpartie der beiden Läufer geplant, nahm das Ganze schnell das Ausmaß eines Vereinsmarathons an. Plötzlich wollten Vereinskameraden und vor allem auch die Ehegattinnen mit und bei der Feier am Silvesterabend wurde alles Nötige gebucht. Kurz vor Tores- oder besser Tunnel-Schluss, denn das Teilnehmerlimit von 5000 war fast erschöpft. Gerade einmal 100 Deutsche waren schließlich im Ziel, und dabei laut Streckensprecher die größte Läufer-Nation außerhalb Norwegens.
Vereins(halb)Marathon der LG Seligenstadt, von links Rainer Alban, Holger Schneider, Dieter Schipper, Markus und Susanne Wollenweber, Bernd Staudt, Thomas Disser und Gerd Väth |
Zwei Tage vor dem Lauf angereist und noch ausreichend Zeit für die Erkundung der Stadt und Umgebung. Die Bronze-Skulptur der drei Wikinger-Schwerter, die den Einheimischen auch als abendlicher Lauf-Treffpunkt dient, sollte man gesehen haben. Auch die liebenswerte Altstadt am Hafen mit netten Geschäften, Bars und gutem Fischrestaurant lohnen sich. Wen es interessiert, wie Fische in Dosen kommen, kann sich im Konservenmuseum schlau machen.
Das Ölmuseum, in dem die norwegische Erdölförderung erlebbar gemacht wird, wär insbesondere bei Regenwetter einen Besuch wert. Wir nutzen allerdings die Oktober-Sonne für eine Fahrt in den Lysefjord, um die beeindruckende Natur und die imposante Felswand des Preikestolen zu bestaunen. Läufer-freundlich mit dem Schiff, wobei es auch einen schönen Wanderweg gäbe. Muss aber vor dem Lauf nicht sein.
Das Teilnehmerlimit wurde zwischenzeitlich auf 7500 angehoben. So als ob man geahnt hätte, dass doch recht viele nicht antreten würden. Gut 5300 Finisher wurden am Ende gezählt. Die Limitierung hat natürlich organisatorische Gründe, aber auch die Sicherheit war Thema bei den Vorab-Informationen durch den Veranstalter. Es waren keine Trinkflaschen oder Rucksäcke erlaubt. Lediglich eine Handytasche durfte mitgenommen werden. Eine nachvollziehbare Entscheidung, wenn man die besonderen Sicherheitsaspekte in einem Tunnel bedenkt. Vor dem Start und vor dem Tunneleingang sammeln sich die Läufer. Nummeriert und farblich sortiert, jeder findet seinen LKW zur Kleiderbeutelabgabe und seine Start-Welle. Klappt alles bestens. Die Sonne strahlt, und wir laufen gleich in den Tunnel.
Vor dem Start unserer Welle | Erst mal bergab, wir müssen tiefer | Wieso funktioniert die Uhr hier unten? |
Im Vorfeld war ich nicht sicher, wie es sich anfühlt, durch einen Tunnel zu laufen. Und zwar nicht in der bekannten Redensart, wo man einfach die Umgebung nicht wahrnimmt. Diesmal ist es anders, diesen Tunnel kann man für zwei Stunden nicht verlassen. Gut, mit einer kurzen Unterbrechung bei km sechs. Aber es geht gut, die Freude auf den bevorstehenden Lauf ist wie immer so groß und übertrifft alle Gedanken, die man sich vorher gemacht hat.
Nach dem Startschuss geht es erst mal bergab. Und zwar ordentlich, gefühlt zumindest. Auf dem ersten Teilstück des Tunnels sind 100 Höhenmeter, oder sind das Tiefenmeter? Jedenfalls sind diese genauso anstrengend, nur dass es halt zuerst runter und dann wieder nach oben geht.
Frischluft schnappen bei km 6 |
... und wieder in den Tunnel |
Vor dem Start haben wir noch kurz diskutiert, ob und wie unsere Hochleistungs-Sportuhren in der Tiefe funktionieren. Zumindest wenn man wie ich keinen Schrittzähler am Fuß hat und normalerwiese über GPS geortet wird. Dann zeichnen die Uhren halt wenigstens die Zeit auf. Nach den ersten Kilometern wird es doch unheimlich, die Uhr zeichnet die Zeit und auch die Strecke auf, und zwar exakt! Beim km-Schild piepst es wie gewohnt, sogar noch genauer wie bei manchem Stadtmarathon. Das muss wohl an der Breitbandversorgung liegen, das Handy zeigt vollen Ausschlag beim Netz an, und das scheint die App zu übernehmen. Hauptsache es läuft.
Nach diesem Aha-Erlebnis folgt gleich das nächste. Es wummert ordentlich, eine Musikkapelle ist schon von weitem zu hören. Gänsehaut. Klar, bei dieser Akustik. Und was spielen sie? A-HA!
Lüfter sind aus, gefühlter Rückenwind durch das Gefälle | Tiefpunkt (des Tunnels) erreicht - fehlt eigentlich nur die Tunneldisco |
Bei km 6 schnappen wir kurz Luft, eine Tunnelröhre ist zu Ende und die nächste beginnt. Viele Zuschauer nutzen diese einzige Gelegenheit an der Strecke, den Läufern zuzujubeln. 100 Meter weiter kommt die nächste, die 15 Kilometer lange Röhre.
In Sachen Luftzufuhr brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Die ist prima, ebenso die Temperatur von 12 Grad. Die großen Turbinen an der Decke bewegen sich kaum und kommen erst zum Einsatz, wenn der Verkehr rollt. Jetzt rollt es erst mal für die Läufer, kilometerlang mit leichtem Gefälle. Langeweile kommt keine auf, zumindest bei mir nicht. Irgendwas entdeckt man immer, und dann kommt auch wieder ein Sanitätsposten oder eine Verpflegungsstelle. Wir sind in einer von zwei Tunnel-Röhren unterwegs, die zweite wird für Notfälle freigehalten.
Verpflegung und Dixi kein Problem 290 Meter unter dem Meeresspiegel | Licht am Ende des Tunnels |
Der Tiefpunkt der Strecke ist erreicht. Auch mein persönlicher, so tief
unter der Erde war ich noch nie. Hellblau leuchtend und etwas verbreitert, fühlt
es sich wie eine Grotte an. Sehr beeindruckend. Es fehlt noch eine Musikbox,
und die Tunneldisco könnte beginnen.
Nach jedem Tiefpunkt sollte es wieder aufwärts gehen. Hier besonders, aus
292 Metern Tiefe wollen wir schließlich wieder nach oben. Dafür bleiben
5 km, die sehr gleichmäßig ansteigen. Dabei geht den meisten Läufern
in meinem Teil des Feldes die Puste aus und es wird marschiert. Völlig
egal, bei einem Event dieser Art sollte man nicht zu sehr auf die Zielzeit schauen.
Wieder draußen im Sonnenschein | Viele Zuschauer kurz vor dem Ziel |
Irgendwann ist es dann soweit: Licht am Ende des Tunnels. Die Redensart wird Realität. Ich frage mich, ob es jetzt schön ist, wieder draußen zu sein. Oder schade, dass es schon zu Ende ist. Eine kurze Schleife wurde eingebaut, damit auch wirklich 21,0975 km gelaufen werden. Ziel, Medaille, Freude, Laufkameraden suchen.
Von den über 5000 Finishern müssen die meisten wieder zurück nach Stavanger. Shuttle-Busse bringen uns im 5-Minuten-Takt zur Fähre. Erstaunlich, wie viele Läufer auf eine Fähre passen. Deren Tage sind nun gezählt, nach der Freigabe des Tunnels werden sie abgeschafft. Sicher auch ein Verlust von Tradition. Auf der Rückfahrt ist die Dimension der Strecke zu spüren, die man zuvor unter dem Meer zurückgelegt hat. Ein besonderer Eindruck für das Läufer-Leben.
Volles Haus, aber gut organisiert für über 5300 Finisher | Rückweg übers Meer, so weit? |
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Dem Organisations-Team muss man die Note 1 bescheinigen. Vom Abholen der Startnummer bis zum Rücktransport wurde alles bestens erledigt. Keine Selbstverständlichkeit bei einem Event, der nur einmal stattfindet. Sogar sonniges Wetter wurde geboten. Nur nicht im Tunnel.
Bericht und Fotos von Thomas Disser Ergebnisse und weitere Informationen ryfastløpet.no Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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