2. Fjällmaraton Sälen - Schweden (30.08.2014)

Wacklige Bretter und nasse Füße in der skandinavischen Wildnis

von Ralf Klink

Wer sich in Europa auf die Suche nach möglichst unberührter Natur, nach echter Wildnis machen möchte, wendet seinen Blick am besten nach Norden. Denn alleine schon die Zahlen lassen deutlich werden, dass auf dem Kontinent praktisch nirgendwo mehr Platz dafür ist als in Norwegen, Schweden und Finnland. Gerade einmal fünfzehn bis zwanzig Menschen teilen sich dort im Durchschnitt eine Quadratkilometer. Nur das - allerdings ebenfalls im Norden gelegene - Island stößt noch einmal in eine andere Kategorie vor.

Auf wackligen Brettern und manchmal auch mit nassen Füßen läuft man beim Fjällmaraton von Sälen durch die skandinavische Wildnis
 

Allerdings verteilen sich im Inselstaat auch auf ein Areal, das Bayern an Größe deutlich übertrifft, kaum mehr Einwohner, als man in der drittgrößten bayerischen Stadt Augsburg zählen kann. Mit einem Quotienten von gerade einmal drei gehört Island weltweit wirklich zu den absoluten Spitzenreitern und bewegt sich in ähnlichen Regionen wie Australien oder Kanada. Doch auch das Trio vom Festland liegt hinsichtlich der Bevölkerungsdichte gerade einmal bei einem Zehntel der Werte im wesentlich enger besiedelten Mitteleuropa.

Während man hierzulande selbst in ländlicheren Regionen schon nach wenigen Kilometern unweigerlich wieder auf irgendeine Straße oder Bahnstrecke stößt, findet man in Skandinavien tatsächlich noch größere Gebiete vor, die verkehrstechnisch weitgehend unerschlossen sind. Neben endlosen Wäldern und unzähligen Seen gibt es dabei als weiteren Landschaftstyp natürlich auch noch jene baumlosen Kältesteppen, die man in der Schule vielleicht einmal unter dem Begriff "Tundra" kennen gelernt hat.

Zwar stellt man sich diese meist als weitgehend ebene Flächen vor. Doch ist insbesondere die skandinavische Halbinsel - obwohl Finnland ziemlich häufig als fester Bestandteil Skandinaviens gesehen wird, kann man aus streng geographischer Sicht eigentlich maximal einige kleinere Gebiete im Norden dazu rechnen - eben auch ziemlich profiliert, weshalb sich die vermeintlich flache Tundra dort meist eher hügelig oder gar bergig präsentiert.

Da sich "Baumgrenze" nicht nur durch den Breitengrad sondern auch durch die Höhenlage definiert, findet man anstelle einer klaren bestimmten Linie zwischen Wald und Tundra eher einen recht breiten, von Süd nach Nord fast über die gesamte Länge Skandinaviens verteilten Übergangsbereich mit dem Aussehen eines Flickenteppichs vor. Wirklich hoch muss man dabei nicht hinaus. Während in den Alpen Bäume in Lagen von zweitausend Meter vorstoßen können, liegt die maximale Marke in Nordeuropa praktisch überall mindestens eine Kilometer tiefer.

Wettkampfzentrum ist ein "Experium" genannter Bau, der eine eher ungewöhnliche Mischung aus einem Erlebnis-Schwimmbad und einem kleinen Einkaufszentrum darstellt

Es ist deswegen auch keineswegs nötig, bis zum Polarkreis zu fahren, um ein Gefühl für arktische Vegetation zu bekommen. Schon auf der geographischen Breite von Oslo lässt sich zum Beispiel mit der Hardangervidda ein viele tausend Quadratkilometer umfassendes, weitgehend baumloses Hochplateau entdecken, auf dem sich selbst an geschützten Stellen höchstens noch einmal eine Krüppelbirke halten kann.

Ganz ähnlich sieht es in weiten Teilen der "Skanden" - wie man die skandinavischen Berge in Anlehnung an die "Alpen" auch nennt - aus. Denn ausgerechnet die höheren Regionen bestehen hauptsächlich aus eher sanft gewellten Kuppen. Schroffe Spitzen oder wuchtige Gebirgsstöcke, wie man sie in den zentraleuropäischen Massiven zuhauf bewundern kann, findet man im Norden nur in seltenen Ausnahmefällen - und dann in eher abgeschwächter Form - wie zum Beispiel im Jotunheimen-Gebiet oder auf den Lofoten vor.

Durch die kilometerdicken Gletscher, die noch während der letzten, kaum mehr als zehntausend Jahre zurückliegenden Eiszeit Nordeuropa vollständig unter sich begraben hatten, sind sämtliche größeren Höhenunterschiede regelrecht weg gehobelt worden. Deutlich steiler wird es einzig an den Rändern, wo die Eismassen schließlich talwärts flossen und dabei im Westen der Halbinsel die berühmten Fjorde Norwegens schufen.

Doch auch weiter landeinwärts findet sich ein vergleichbares Relief, das allerdings in der Regel etwas weniger spektakulär als bei den tief eingeschnitten Meeresbuchten der norwegischen Westküste ausgeprägt ist. Es reicht jedoch von dort bis weit über die Grenze nach Schweden hinein, wo es dann aber langsam ausläuft, irgendwann mit wenigen hundert Metern Höhe nur noch Mittelgebirgscharakter besitzt und auch praktisch durchgehend bewaldet ist.

Für die kahlen Hochflächen der Skanden benutzt man in Skandinavien allerdings meist nicht die Bezeichnung "Tundra", obwohl es dieser Begriff aus der Sprache der Samen - das für diese Volksgruppe früher übliche, inzwischen aber als abwertend empfundene und deswegen verpönte Wort "Lappen" lebt in der grenzüberschreitenden Region "Lappland" weiter fort - sehr wohl ins Norwegische und Schwedische geschafft hat.

Doch wird "Tundra" eher im wissenschaftlichen Sinne verwendet. Und wenn es doch einmal in der Umgangssprache auftaucht, meint man damit höchstens die Vegetationsformen in der Nähe des arktischen Meeres. Die ziemlich ähnlich bewachsenen, höher gelegenen Bergebiete weiter südlich nennt man dagegen in Norwegen "Fjell" und in Schweden - nahezu gleich gesprochen, aber etwas anders geschrieben - "Fjäll".

Wenn sich eine Laufveranstaltung also "Fjällmaraton" - wie fast immer in Skandinavien wegen der dortigen Rechtschreibregeln ohne "h" geschrieben - nennt, kann man eigentlich davon ausgehen, dass ihre Strecke über die Baumgrenze hinaus führen wird. Erst seit Kurzem existiert ein so bezeichnetes Rennen im Wintersportörtchen Sälen in der mittelschwedischen Region Dalarna. Die Premiere von "tävlingen" - wie ein sportlicher Wettbewerb in Schweden genannt wird - fand gerade einmal im Jahre 2013 statt.

Das Start- und Zielgelände befindet sich auf der Rückseite des Experium-Komplexes

Das ist nicht wirklich ungewöhnlich. Denn obwohl die Hauptstadt Stockholm seit Jahrzehnten bei konstant fünfstellige Teilnehmerzahlen und regelmäßig ausgeschöpften Meldelimit den mit Abstand größten Marathon in Nordeuropa beherbergt, nimmt die Marathonszene im blau-gelben Königreich ansonsten nur sehr langsam Fahrt auf. Der Bruch zu den nächsten Rennen, die meist kaum mehr als einige wenige hundert Sportler am Start begrüßen können, ist schon gewaltig.

Mit dem in diesem Jahr seine Premiere feiernden Marathon im Fährhafen Helsingborg, wird es einige Wochen nach dem Lauf von Sälen erstmals in Schweden überhaupt eine zweite Veranstaltung geben, die über die Marke von tausend Teilnehmern springen kann. Außerdem bleibt abzuwarten, ob dies auch dauerhaft so bleiben wird. Denn mit nicht einmal dreizehnhundert Zieleinläufen bleibt nach Abzug des fast immer zu beobachtenden Einsteigerbonus nicht allzu viel Puffer.

Die Gesamtzahl der Wettbewerbe über die Marathondistanz ist ebenfalls recht überschaubar. Doch während hierzulande einige der Rennen, die in der Welle der Euphorie vor einem guten Jahrzehnt neu entstanden, bereits wieder eingestellt wurden und etliche weitere aus dieser Altersgruppe hart um ihr Überleben kämpfen müssen, sind im "Konungariket Sverige" in den letzten Jahren eine ganze Reihe von neuen Veranstaltungen im Kalender aufgetaucht.

Zwischen ihnen und dem guten Dutzend traditionellen Marathons, mit dreißig, vierzig oder mehr Austragungen klafft allerdings eine gewaltige zeitliche Lücke, in der sich anscheinend kaum Wettbewerbe auf den - angesichts von weniger zehn Millionen Einwohnern auch recht begrenzten - Markt getraut zu haben scheinen. Fast schon jahrzehntelang gab es kaum Veränderungen in den eher festgefügten Strukturen.

Noch etwas ist erstaunlich. Denn obwohl Schweden nun wahrlich nicht unter räumlicher Enge leidet, werden eigentlich alle älteren Veranstaltungen auf mehrfach zu durchlaufenden kürzeren Schleifen oder Wendepunktstrecken abgewickelt, die an den Ortsrändern über Seitenstraßen und Radwege führen. Landschaftsläufe mit großen Runden entdeckt man dagegen hauptsächlich unter den Neueinsteigern aus der jüngeren Zeit.

Die Ortschaft Sälen hat jedenfalls eine ganze Menge Landschaft im Angebot. Weniger als tausend Menschen leben dort dauerhaft. Zwar vervielfacht sich die Bevölkerungszahl während der Saison durch die vielen Urlauber, die sich in den Hotels und Pensionen sowie einer Vielzahl von Ferienhäusern einquartieren. Doch in einem ziemlich weiten Umkreis gibt es ansonsten keine vergleichbaren Siedlungen mehr.

Auf der Rückseite von "Experium" und dem Hotel "Ski Lodge" markieren zwei aufblasbare blaue Säulen den Start und das in Skandinavien "mål" heißende Ziel

Bevor man Malung erreicht, das mit etwa fünftausend Bewohnern für das ländliche Skandinavien durchaus schon etwas größere Ausmaße besitzt, muss man jedenfalls über sechzig Kilometer weit nach Süden fahren. In alle anderen Himmelsrichtungen sind die verglichen mit Sälen nächstgrößeren Orte sogar noch deutlich weiter entfernt. Nach Mora - mit einer Bevölkerung von mehr als zehntausend Menschen tatsächlich eine Stadt - im Osten sind es auf der Straße jedenfalls beinahe einhundert Kilometer.

Oder eben "tio mil". Denn obwohl die wörtliche Übersetzung "zehn Meilen" im Hinblick auf die genauso heißende britische Maßeinheit eine erheblich kürzere Distanz vermuten ließe, werden gerade längere Entfernungen in Norwegen und Schweden gerne auf diese Art angegeben.

Jede skandinavische Meile entspricht nämlich passend zur Weite des Landes vollen zehn Kilometern. So mancher Lauf über diese Strecke trägt im Norden dann auch das Mitteleuropäer anfangs ziemlich verwirrende "mil" im Namen.

Dass in der Kommune "Malung-Sälen", die immerhin eine deutlich größere Fläche einnimmt als das Saarland, nur ungefähr zehntausend Menschen gemeldet sind, ist ein weiterer guter Beleg für den reichlich vorhandenen Platz. Selbst im ohnehin weiträumigeren Schweden gehört sie damit zu jenem Zehntel der Gemeinden, die am dünnsten besiedelt sind. Doch abgesehen von den Regionen "Lappland", "Norrbotten" und "Västerbotten" ganz oben im Norden des Landes ist die Bevölkerungsdichte aber eben auch nirgendwo geringer als im Bergland entlang der Grenze.

Damit ist ein Teil der Position, die Sälen auf der schwedischen Landkarte bezieht, schon einigermaßen gut beschrieben. In Nord-Süd-Richtung liegt der Ort dagegen wesentlich zentraler im Land. Zieht man zwischen den beiden fast auf genau der gleichen geographischen Breite angeordneten Hauptstädten Oslo und Stockholm eine Linie, muss man von dieser noch etwa hundert Kilometer weiter nördlich suchen, um die entsprechende Buchstabenkombination zu entdecken.

Das Start- und Zielgelände befindet sich auch direkt im Auslauf einer der Skipisten von "Lindvallen", einer der weit verstreuten Siedlungsteile von Sälen

Die Nähe zu Norwegen sorgt dafür, dass sich jener internationale Flughafen, von dem aus man die geringste Distanz nach Sälen zu überwinden hat, nicht etwa in den schwedischen Metropolen Stockholm oder Göteborg befindet. Vielmehr ist diesbezüglich die Hauptstadt des Nachbarlandes ganz vorne. Denn statt jener vierzig "Mil", die man von "Stockholm-Arlanda" zu fahren hätte, und den sogar fünfhundert aus "Göteborg-Landvetter" beträgt der kürzeste Weg zwischen dem "Oslo lufthavn" in Gardermoen und dem Wintersportort keine zweihundertfünfzig Kilometer.

Viel näher als hundert Kilometer kommt man mit dem Flieger übrigens auch dann nicht an Sälen heran, wenn man eine Umsteigeverbindung über einen der beiden kleinen Regionalflughäfen Mora und Torsby bucht. Und diese werden zudem eher selten und nur von winzigen Maschinen mit weniger als zwanzig Sitzplätzen angeflogen. Auch mit der Eisenbahn ist in Mora oder in Malung Endstation. Von dort geht es nur noch mit dem Bus weiter. Verkehrstechnisch ist Sälen also durchaus ähnlich abgelegen wie geographisch.

Deswegen hat eine Anreise mit dem Auto - egal, ob von zu Hause mitgebracht oder vor Ort geliehen - einige Vorteile. Insbesondere, da der Fjällmaraton keineswegs im Ortskern - wenn man bei diesem weit auseinander gezogenen Straßendorf wie Sälen überhaupt diesen Begriff verwenden darf - stattfindet. Start und Ziel finden sich in der etwas oberhalb gelegenen Feriensiedlung Lindvallen, die von jener losen Ansammlung von Geschäften, die man mit viel Phantasie als Zentrum bezeichnen könnte, ein halbes Dutzend Kilometer entfernt ist.

Dort gibt es zwar eigentlich sogar noch deutlich mehr Unterkunftsmöglichkeiten als unten im vom Flüsschens "Västerdalälven" durchströmten Tal. Doch sind diese mindestens genauso weit in die auf dieser Höhe noch bewaldete Landschaft verstreut wie der Rest von Sälen. Das ist durchaus typisch für einen skandinavischen Wintersportort. Einen solchen sollte man sich nämlich keineswegs wie eines seiner Gegenstücke in den Alpen vorstellen.

Zusammen hängende, gewachsene Dörfer, durch die man gemütlich bummeln könnte, gibt es jedenfalls kaum unter ihnen. Vieles was auf skandinavischen Landkarten als "Ortschaft" eingezeichnet ist, entpuppt sich in der Realität ohnehin nur als eine um eine Kreuzung herum angeordnete Häusergruppe, die danach schnell und ohne klar definierte Ränder lose ins Gelände hinaus tröpfelt. Es mag vielleicht am reichlich vorhandenen Raum liegen, jedenfalls hält man im Norden in der Regel einen erheblichen Abstand zu seinen Nachbarn.

Selbst in den bekannteren Skiorten lassen sich zudem häufig nicht viel mehr als eine Handvoll Hotels entdecken. Auch in Sälen stellt in dieser Hinsicht keine wirkliche Ausnahme dar. Sogar unter Berücksichtigung aller kleinen Privatpensionen ist nämlich auf der Internetseite des örtlichen Tourismusverbandes diesbezüglich nur eine noch nicht einmal zweistellige Zahl an Alternativen verzeichnet.

Der größte Teil der Bebauung besteht dagegen überall aus hölzernen Ferienhäusern und -hütten, die sich in großem Umkreis und über viele Quadratkilometer entlang der Berghänge verteilen. Rein statistisch gibt es in Norwegen und Schweden für jede zweite Familie eine dieser "hytter" oder "stugor". Und in nicht wenigen Gemeinden - insbesondere natürlich in Urlaubsregionen - übersteigt deren Menge die Zahl der dauerhaft bewohnten Gebäude erheblich.

Die ersten Meter nach dem Start führen durch eine größere Gruppe bunt gestrichener Ferienhäuser

Man kann jedoch diese alle mit einfließen lassen und dennoch werden in skandinavischen Skiorten die Übernachtungskapazitäten verglichen mit den alpinen Zentren des Wintersports nahezu immer mindestens eine Größenordnung kleiner ausfallen. So hat zum Beispiel alleine Zermatt ähnlich viele Gästebetten zu bieten wie die gesamte Region Dalarna zusammen. Und diese zählt immerhin so viele Menschen wie der Kanton Wallis und besitzt eine Fläche, die etwa zwei Dritteln der Schweiz entspricht.

Die Anfahrt zum Startpunkt in Lindvallen führt deswegen auch keineswegs durch geschlossene Bebauung. Die Hütten verstecken sich selbst dann häufig irgendwo hinter Bäumen und Sträuchern, wenn sie von einem Investor in größeren bauähnlichen Gruppen erstellt wurden. Viele sind von der Straße aus hauptsächlich wegen der vielen von ihr abgehenden, geschotterten Zufahrten zu erahnen.

Das Marathonzentrum ist dann allerdings doch etwas größer und nur schwer zu verpassen. Denn der "Experium" genannte Komplex stellt - obwohl eher am Rande gelegen - das Herzstück des Skigebietes dar. Der relativ neue Bau ist eine eher ungewöhnliche Mischung aus einem Erlebnis-Schwimmbad und einem kleinen Einkaufszentrum, an das sich mit der "Ski Lodge" zudem direkt ein großes Hotel anschließt. Dessen Architektur lässt allerdings vermuten, dass es bereits weitaus länger als sein Nachbar an diesem Ort steht.

Weitläufige Parkplätze ringsherum, die auch etliche hundert Läufer mit ihren Fahrzeugen nicht einmal im Ansatz füllen können, sorgen für extrem kurze Wege. Denn die Startnummern werden in der Eingangshalle des Experiums verteilt und das Start- und Zielgelände befindet sich genau auf der Rückseite des Gebäudes. Vom Hintereingang muss man im wortwörtlichen Sinne nur wenige Schritte bis zur Linie machen.

Da die Marathonis nach dem Rennen zudem auch freien Eintritt ins Bad haben und dort nicht nur duschen sondern auch ausschwimmen können, ist die für eine solche Veranstaltung notwendige Logistik eigentlich schon komplett. Die Obergrenze von siebenhundertfünfzig Teilnehmern, die man sich für die zweite Auflage selbst gesetzt hat, ließe sich unter solchen Voraussetzungen wohl sicher auch noch ein wenig erweitern.

Ganz ausgeschöpft wird das Limit zwar nicht, so dass sogar die eine oder andere Nachmeldung vor Ort noch akzeptiert werden kann. Doch am Ende werden weit über fünfhundert Zeiten in der Ergebnisliste aufgeführt sein. Auch die wenigen Aussteiger sind dort nachzulesen. Und zudem tauchen Dutzende Einträge mit dem Zusatz "ej start" - was übersetzt etwa "kein Start" oder "nicht gestartet" bedeutet - auf. Der Zuspruch ist gerade angesichts der nicht unbedingt zentralen Lage Sälens eigentlich ziemlich gut.

Nach drei Kilometer schwenkt die Laufstrecke auf die Hauptstraße ein, die Sälen mit dem norwegischen Wintersportort Trysil verbindet

Allerdings ist nur ein gutes Drittel aller Starter auch wirklich über die Marathondistanz unterwegs. Knapp zweihundert Läufer werden die zweiundvierzig Kilometer hinauf ins Fjäll und wieder zurück bewältigen. Der Rest begnügt sich mit der ebenfalls ausgeschriebenen halb so langen Strecke. Dazu kommt noch "Barnens Fjällmaraton" für die Jüngsten - "barn" bedeutet in skandinavischen Sprachen nämlich "Kind". Doch das Interesse an diesem Rahmenwettbewerb hält sich in ziemlich engen Grenzen.

Allerdings gehen die Schüler auch als Erste auf die Strecke und sind längst fertig, bevor sich das Gelände überhaupt wirklich zu füllen beginnt. Denn bei den Erwachsenen ist der Start - unter anderem wegen der gegenüber dem dicht besiedelten Mitteleuropa natürlich erheblich längeren Anfahrtswege - erst für elf Uhr angesetzt. Dass man im nächsten Jahr den Beginn des Marathons um eine Stunde nach vorne verlegen will, ist für nordische Gepflogenheiten eigentlich viel ungewöhnlicher als diese Startzeit.

Dafür sind die achtzig schwedischen Kronen, die man für das Absolvieren der knapp zweieinhalb Kilometer langen Schülerstrecke bezahlen muss, verglichen mit den sonstigen Startgebühren eher bescheiden. Denn wer bis Ende Mai meldet zahlt für den Marathon fast siebenhundert - den Trick, den Preis fünf Kronen niedriger anzusetzen, um optisch eine bestimmte Marke zu unterschreiten, kennt man auch in Schweden - und für die Halbdistanz fünfhundertfünfzig "svenska kronor".

Bis zur Nachmeldung klettern diese Werte in mehreren Stufen auf wahrlich stolze zwölfhundert und tausend Kronen. Zwar hat die schwedische Währung gegenüber den gleichnamigen Einheiten von Dänemark und Norwegen nominell noch den besten Wechselkurs. Doch bekommt man für einen Euro auch in Schweden nicht einmal zehn Kronen in die Hand gedrückt. Und so liegt selbst der Einstiegspreis - der übrigens für die dritte Auflage weiter angehoben wird - für diesen Landschaftslauf in einem Bereich, den man hierzulande nur von großen Stadtmarathons kennt.

Das Flatterband lässt zwar vermuten, dass die Marathonroute eigentlich neben der Straße verlaufen sollte, doch an einer Lücke in der Absperrung wechselt der Läuferpulk dann doch auf den Asphalt hinüber

Neben dem Eintritt ins Schwimmbad sind im Startgeld immerhin auch ein Funktions-T-Shirt und eine im Ziel verteilte Medaille enthalten. Diese wird später allerdings aus einem ziemlich ungewöhnlichen Material gefertigt sein - nämlich aus "skinn", was auf Deutsch nicht anderes als "Leder" bedeutet. Die Lederverarbeitung hat im Gebiet der Gemeinde Malung-Sälen jedoch eine große Tradition, auf die sich die Organisatoren mit dieser im ersten Moment recht seltsam erscheinenden Wahl beziehen.

Noch bekannter ist die Region Dalarna allerdings für die Fertigung kleiner Holzpferdchen. Die "Dalahästar" - dem "Pferd" bedeutenden schwedischen Wort "häst" lässt sich genau wie dem dänischen und norwegischen "hest" mit etwas Phantasie eine sprachliche Verwandtschaft zum deutsche "Hengst" ansehen - sind längst zum Symbol für ganz Schweden geworden. Und als Souvenir kann mit ihnen wohl höchsten noch der berühmte Elchaufkleber um den Spitzenrang in der Beliebtheitsskala konkurrieren.

Traditionell wurden die eher plumpen und stilisierten Figuren rot gestrichen und anschließend der Sattel und das Zaumzeug in bunten Mustern aufgemalt. Inzwischen gibt es sie allerdings auch in vielen anderen Grundfarben. Wenig überraschend verkaufen sich dabei abgesehen vom Original natürlich die Exemplare in den schwedischen Nationalfarben Blau und Gelb am besten an die Touristen aus aller Welt.

Das T-Shirt wird im Gegensatz zur Medaille bereits mit den Startunterlagen verteilt. Doch da die jeweilige Größe bereits bei der Anmeldung mit angeben werden musste, hat man kaum seine Ziffernkombination genannt und schon ist die alles erledigt. Viele tragen das gerade erhaltene schwarze Leibchen mit dem recht kreativen Veranstaltungslogo - man kann darin nämlich sowohl die Spitze zweier Berge als auf die miteinander verflochtenen Buchstaben "F" und "S" für "Fjällmaraton Sälen" erkennen - anschließend dann auch gleich einmal über die Strecke.

Ein wenig ungewöhnlich sind die "nummerlappar" - wie Startnummern im Schwedischen heißen - ausgefallen. Denn diese sind selbstklebend und sollen direkt auf dem Lauftrikot angebracht werden. Vollständig ausgereift scheint das im Vorfeld als "besonders innovativ" gepriesene neue "självhäftande" System aber dann doch nicht zu sein, wie einige später am Streckenrand liegende Zettel zeigen.

Da man sich bei der Zeitmessung allerdings auf einen zusammen mit der Nummer in "deltagarkuvert" ausgegebenen Chip verlässt, gibt es bei der Auswertung später trotzdem keinerlei Probleme. Er ist an einem Klettband befestigt, das die meisten Läufer wie im Infoblatt gefordert "valfri" rechts oder links am "underarm" tragen. Andere haben es aus alter Gewohnheit aber auch am Fußgelenk befestigt. Dass die Anlage beides verkraftet, ist umso besser.

Anfangs durch den Wald, später vorbei am Hotel "Gammelgården" steigt die Straße langsam, aber beständig an

Nicht nur auf der Rückseite von "Experium" und "Ski Lodge" befinden sich die beiden aufblasbaren blauen Säulen, die den Start und das in Skandinavien "mål" heißende Ziel markieren. Sie stehen auch direkt im Auslauf einer der Skipisten von Lindvallen. Doch zeigt diese schon bei einer kurzen, eher oberflächlichen Betrachtung einen weiteren Unterschied auf, der zwischen den Wintersportgebieten in den Alpen und jenen im skandinavischen Fjäll besteht.

Denn die Hänge in Sälen haben zwar durchaus eine gewisse Steilheit. Die Höhenunterschiede halten sich jedoch in recht überschaubaren Grenzen. Mehr als einige hundert Meter überbrückt man bis zu den Bergstationen der Lifte oder Seilbahnen nicht. Und nicht nur in diesem Fall sondern auch in den meisten anderen Skizentren gibt die topographische Struktur des Gebirges mehr auch gar nicht her. Lange Abfahrten mit vierstelligen Zahlenwerten gibt es im - dafür aber noch immer ziemlich schneesicheren - Norden praktisch nirgendwo.

Die breiten abgerundeten Kuppen und Hochplateaus der Skanden machen es zudem weitgehend unmöglich, Skigebieten aus gleich mehreren Tälern zu erschließen oder auch einfach nur den Berg in unterschiedliche Richtungen hinunter zu fahren. So legen sich die Pisten dann nahezu immer in einem sanften Bogen rund um jene Erhebungen herum, die den Rest des Geländes am deutlichsten überragen. In Sälen ist das keineswegs anders, wie man während des Marathons später ganz gut beobachten können wird.

Obwohl der Fjällmaraton noch im August stattfindet, könnte man sich durch die an diesem Morgen herrschenden Temperaturen schon etwas an Winter erinnert fühlen. Unter zähen Wolken kommt das Quecksilber jedenfalls lange nicht in den zweistelligen Bereich hinein. Erst kurz vor dem Start lässt sich die Sonne dann doch etwas häufiger blicken. Aber selbst dann bleibt es sogar unten im Tal bei Höchstwerten von etwa fünfzehn Grad. Auf den offenen Höhen des Fjälls ist es natürlich noch merklich kühler.

Die meisten Läufer, die sich kurz vor elf am Start einfinden, tragen deswegen dann auch lieber etwas mehr Kleidung am Leib. Neben der Vorsicht wegen möglicher - und in solch ausgesetzten Lagen erheblich unangenehmer werdender - Wetterwechsel dürfte bei manchem Teilnehmer des Vorjahres zudem die Erinnerung an die eher feucht ausgefallene Premiere eine Rolle spielen. Bei der zweiten Auflage der Veranstaltung wird es allerdings zumindest von oben vollkommen trocken bleiben.

Einen Startschuss haben sich die Organisatoren erspart. Nach dem Herunterzählen der letzten Sekunden wird das Feld einfach so auf die Strecke entlassen, die auf den ersten Metern über einen nicht allzu breiten, aber asphaltierten Weg durch eine größere Gruppe bunt gestrichene Ferienhäuser führt. Kurzzeitig geht dieser später zwar in "grus" - wie man in Skandinavien den auch im Straßenbau üblichen Belag aus hart gewalzten Kies und Schotter nennt - über. Doch schon nach dem nächsten Schlenker nach links hat man wieder "asfalt" unter den Füßen.

Kurz hinter "Fjällkyrkan", einer an der Baumgrenze errichteten kleinen Kirche, trennen sich die Wege der Halb- und Vollmarathonis auf dem Parkplatz von "Sälens Högfjällshotell"

Auf einem kurvigen, leicht welligen Zufahrtssträßchen windet sich die Laufstrecke durch weitere im Wald verteilte Ferienhütten. Als dieses an einer größeren Straße endet, ist das Schild mit der "1" längst passiert. Nicht nur im unteren Teil des Kurses sondern auch oben in der Wildnis des Fjälls wird jeder Kilometer weithin sichtbar markiert sein. Dass man diese jedoch keineswegs beim Einhalten eines gleichmäßigen Lauftempos helfen können, wird man angesichts der später belaufenen Trampelpfade schnell begreifen.

Doch erst einmal schwenkt der Kurs auf die Straße ein und ändert dabei seinen zuvor eher nach Norden gerichteten Verlauf in eine westliche Orientierung ab. Da in dieser Himmelsrichtung auch jene höchsten Erhebungen der Region aufragen, von denen die Skipisten herunter führen, erstaunt es wenig, dass es von nun an ziemlich konstant bergan geht. Noch präsentiert sich dieser Anstieg zwar eher sachte, aber man kann ihn eben trotzdem deutlich spüren und sehen.

Gesperrt ist die Straße, die eine von insgesamt drei Zubringern zum Lindvallen-Gebiet darstellt, für den Marathon nicht. Doch selbst wenn gelegentlich tatsächlich einmal ein Auto auftaucht, ist sie alles andere als stark befahren. Zudem gibt es neben ihr auch lange Zeit einen erhöhten Gehweg, auf den die Läufer von einem Ordner beim Einbiegen gebeten werden. Und wenn man nicht gerade überholen will, reicht dessen Breite absolut aus

Als der Bürgersteig nach über einem Kilometer und der Passage von "Sälfjällstorget" - einem weiteren Ferien- und Skizentrum - irgendwann endet, ist das Feld auf der langsam dann doch an Steigungsprozenten zulegenden Laufstrecke bereits so weit auseinander gezogen, dass es sich am linken Straßenrand problemlos hintereinander aufreihen kann, ohne eine echte Behinderung für den Verkehr darzustellen.

Drei - bei einem Lauf, von dem man schon aufgrund seines Namens ein besonders Naturerlebnis erwartet, eigentlich recht unspektakuläre - Kilometer haben die Marathonis insgesamt schon in den Beinen, als sie auf eine noch wesentlich breitere Asphaltpiste treffen, die einen Taleinschnitt zwischen zwei Fjällkuppen hinauf zieht. Wer an dieser Stelle nach rechts abbiegt, würde es per Umgehungstraße zurück ins "Zentrum" von Sälen gelangen.

Nach der Streckenteilung schwenken die Langstreckler auf den am Hotel beginnenden Fernwanderweg "Södra Kungsleden" ein, der anfangs gut ausgebaut und sogar asphaltiert ist

Linker Hand endet die mit der Nummer "66" versehenen Überlandstrecke dagegen nach rund sechzig Kilometern und der Überquerung mehrerer Höhenrücken in Trysil, das fast so etwas wie das norwegische Gegenstück zu Sälen bildet. Doch während im schwedischen Wintersportort keine einzige Ergebung die Tausend-Meter-Marke übertrifft, hat die Konkurrenz jenseits der Grenze mit dem über elfhundert Meter hohen "Trysilfjell" den höchsten Berg in weitem Umkreis zu bieten.

Obwohl es aus den parallel verlaufenden Tälern von "Västerdalälven" und "Trysilelva" nur jeweils eine Anfahrt gibt, existieren übrigens dennoch zwei unterschiedliche Routen zwischen Trysil und Sälen. Denn ziemlich genau in der Mitte teilt sich die Straße nahe der Grenze ohne wirklich erkennbaren Grund - von dichter Besiedlung kann man angesichts von einigen Dutzend Häusern in einem viele Quadratkilometer großen Gebiet nun wahrlich nicht sprechen - noch einmal in einen nördlichen und einen südlichen Ast.

Nach etwa zwanzig Kilometern treffen die beiden weit ausholenden, etwa gleich langen Streckenvarianten auf der anderen Seite dann wieder zusammen. Statt verschiedene Straßen an einem einzigen Grenzübergang zusammen zu führen hat man in diesem Fall also genau das Gegenteil gemacht. Doch gibt es schon seit den Fünfzigern zwischen beiden Nationen keine Kontrollen mehr.

Denn bereits drei Jahrzehnte vor dem in seinem Inhalt durchaus vergleichbaren Schengener Abkommen hatten sich die Staaten Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Island auf eine "Nordische Passunion" geeinigt, die neben offenen Grenzen auch vereinfachte Übersiedlung ermöglichte. Praktisch durch die Hintertür ist aufgrund dieses weitaus älteren Vertrages also das Nicht-EU-Mitglied Norwegen schon relativ früh Teil des Schengen-Raums mit seinem freien Reiseverkehr geworden.

Wirklich kontrollieren ließe sich die längste gemeinsame Landgrenze, die sich zwei Staaten in Europa teilen, aber wohl ohnehin nicht. Wieso man ihren Verlauf genau so festgelegt hat, ist - in dieser Hinsicht unterscheidet sie sich kaum von vielen ihrer Schwestern - nicht immer wirklich einsichtig. Manchmal orientiert man sich an Flüssen oder Kammlinien, manchmal aber auch nicht. Doch da sie größtenteils durch weitgehend weglose Wildnis führt, in die sich immer weniger Menschen verirren, je weiter man nach Norden kommt, spielt es eigentlich auch gar keine Rolle.

Seit zweieinhalb Jahrhunderten ist sie praktisch unverändert. Und schon hundert Jahre zuvor waren zum letzten Mal größere Gebiete vom damals durch den dänischen König regierten Norwegen an das mit diesem seit dem späten Mittelalter ständig rivalisierenden und häufig auch Krieg führenden Königreich Schweden abgetreten worden. Doch obwohl die Regionen nun zugeordnet waren, blieb in den endlosen Wäldern und weiten Tundren vieles eher vage.

Als man auf dem weiten "Östfjället" die letzten Bäume hinter sich gelassen hat, öffnet sich auch der Blick über alle umliegenden Fjällkuppen

Erst Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wurde sie überall genauer vermessen und markiert. Auf welcher Seite der Grenze einer der weit im Land verstreuten Höfe landete, war in der Regel dann davon abhängig, zu welcher Pfarrgemeinde sich seine Bewohner zugehörig erklärten. Denn diese "sogn" - wie der alte Begriff "Kirchspiele" auf Norwegisch lautet - oder "socken" - wie das schwedische Gegenstück genannt wird - konnten ihrerseits wieder eindeutig einem Bistum und dieses dann einem Königreich zugeordnet werden.

Abgesehen davon, dass die Asphaltfarbe leicht anders aussieht und die Schilder, mit denen die die Richtung zu den jeweiligen anzeigen Orten angezeigt wird, nun blau statt gelb ausfallen, bemerkt man es inzwischen eigentlich gar nicht, wenn man von Norwegen nach Schweden hinüber wechselt. Die Tafeln mit der Aufschrift "Riksgräns" oder "Riksgrense" stehen jedenfalls häufig ziemlich einsam in der auf beiden Seiten der Grenze natürlich völlig gleich aussehenden Landschaft.

Kulturell gibt es zwischen beiden Ländern trotz der übereinander gemachten Witze ebenfalls kaum größere Unterschiede. Und selbst die Dialekte gehen ja einander über. Denn obwohl sich verschiedene Schriftsprachen heraus gebildet haben, lassen sich Norwegisch und Schwedisch ähnlich schwer eindeutig voneinander trennen wie die beiden Naturräume. Die Eingruppierung der einzelnen Mundarten erfolgt gerade im Grenzland dann auch oft eher anhand politischer als linguistischer Aspekte.

Man pflegt unübersehbar eine sehr gute Nachbarschaft. An nicht wenigen Häusern lassen sich sowohl norwegische als auch schwedische Fähnchen entdecken. Regionen auf beiden Seiten der Grenze geben zusammen Tourismusprospekte heraus. Und die gemeinsame Zollstation beider Staaten an der Straße zwischen Sälen und Trysil, bei der man im Zweifelsfall etwas anmelden muss, liegt volle zwanzig Kilometer von "Riksgränsen" entfernt auf norwegischem Territorium.

Doch trotzdem und obwohl es aus skandinavischer Sicht eigentlich nur ein Katzensprung über die Grenze wäre, obwohl Oslo auch weitaus näher liegt als Stockholm ist der Fjällmaraton von Sälen eine weitgehend innerschwedische Angelegenheit. Ganze zehn Norweger sind nämlich am Start. Selbst wenn die wichtigsten Informationen auf der Internetseite auch auf Englisch nachzulesen sind, beschränkt sich die Zahl der übrigens Ausländer sogar nur auf zwei. Für die Veranstaltung gibt es in diesem Bereich also eindeutig noch großes Entwicklungspotential.

An der Einmündung wendet sich der Marathon jedenfalls vorerst einmal in Richtung Norwegen. Und erstmals bekommt die Strecke dabei auch ein wenig den Charakter jenes Geländelaufes, den man anhand von Beschreibung und Bildern erwartet hatte. Denn der Kurs nutzt nun nicht mehr direkt den Asphalt der Straße. Er ist vielmehr mit Flatterbändern auf dem daneben verlaufenden Grasstreifen abgesteckt.

Irgendwann endet der Asphalt und die Strecke wechselt auf einen Weg mit dem in Skandinavien "grus" genannten geschotterten Untergrund hinüber

Meist ist der Untergrund nicht allzu uneben und gut zu belaufen. Nur dann wenn wieder einmal einer der unter der Straße hindurch kommenden kleinen Entwässerungsgräben zu queren ist, kommt das Feld etwas ins Stocken. Obwohl in ihnen an diesem Tag nur dünne Rinnsale dem neben der Strecke talwärts sprudelnden Wildbach entgegen fließen, sind die Senken immerhin etwa zwei bis drei Meter breit und einen halben Meter tief, denn natürlich müssen sie auch während der bis in den Frühsommer dauernden Schneeschmelze ihren Dienst tun.

Zum Überspringen sind sie also zu eigentlich groß. Man muss hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Aufgrund der steilen, zum Teil doch recht feuchten und manchmal sogar etwas matschigen Böschungen ist das ohne Reduzierung des Tempos allerdings kaum möglich. Und so schiebt sich der Läuferpulk in einem Ziehharmonikaeffekt vor jedem neuen Graben dichter zusammen, um sich danach erneut zu entzerren.

Unter diesen Umständen verwundert es dann auch nicht, als alle in jenen Moment, in dem sich einmal eine Lücke im Flatterband auftut, irgendwann wieder auf den Asphalt hinüber wechseln. Die anschließend noch über einen Kilometer weiter abgesteckte Markierung daneben lässt allerdings schnell die Vermutung aufkommen, dass die Organisatoren dies vielleicht doch ein wenig anders geplant haben könnten.

Während man entlang der Straße beständig an Höhe gewinnt, verändert sich ganz langsam die Landschaft ringsherum. Zum einen weitet sich der anfangs klar konturierte Geländeeinschnitt, durch den sich Bach und Überlandroute hinauf ziehen, immer mehr zu einem eher sanft gewellten Hochplateau. Doch in den hohen, dichten Nadelwald, der die unteren Regionen dominiert, mischen sich auch immer häufiger Birken. Außerdem sind die Bäume zunehmend niedriger.

Niklas Vangstad kommt zwar aus Sollentuna bei Stockholm, doch kennt er die Region, in der er seinen zweiten Marathon absolvierte durch eine Reihe von Wintersport-Urlauben schon recht gut

Und spätestens als man sich nach fünf Kilometern "Gammelgården" nähert, wird der Wald ziemlich licht. Unweit des kleinen Hotels, dessen Äußeres seinem Namen - der übersetzt nämlich "der alte Hof" bedeutet - durchaus entspricht, steht zudem eine hölzerne Kirche am Straßenrand. Da "Fjällkyrkan" allerdings der Turm fehlt, ist sie bei oberflächlicher Betrachtung nur an dem sie ankündigenden Verkehrschild als Gotteshaus zu erkennen.

Für skandinavische Kirchen ist diese Bauform es keineswegs unüblich. Gerade bei den älteren unter ihnen hat man das Geläut häufig in einem separat und etwas abseits stehenden "Klocktorn" aufgehängt. Doch so weit entfernt wie in Sälen ist er doch ziemlich selten postiert. Denn das winzige, eigentlich nur aus den tragenden Pfosten und eine Dach bestehende Gestell ragt erst hundert Meter später aus den inzwischen meist nur noch Strauchgröße erreichenden Bäumen heraus.

Zu diesem Zeitpunkt sind die Marathonis bereits nicht mehr auf der Hauptstraße unterwegs. Sie sind auf eine parallel verlaufende Zufahrt eingebogen, die einige hundert Meter an einem großen Parkplatz endet. "Sälens Högfjällshotell" heißt das noch größere Touristenzentrum, zu dem er gehört und das neben einer dreistelligen Zahl von Zimmern auch etliche Apartments, mehrere Restaurants und Geschäfte sowie einen Supermarkt umfasst.

Die Bezeichnung "Hochfjäll" ist nicht nur wegen der kahlen Bergkuppen ringsherum absolut passend. Viel höher als jene etwa siebenhundertfünfzig Meter über dem Meer, auf denen das Hotel errichtet wurde, wird die Straße nämlich auf ihrem gesamten Weg bis Trysil nicht mehr vorstoßen. Schon hinter der nächsten Kurve führt die Piste wieder leicht bergab und kommt anschließend in ihrem weiteren Verlauf nicht mehr in den Bereich der Baumgrenze.

Für die Läufer geht es dagegen in der Folge noch ein Stück weiter nach oben. Sowohl Halb- als auch Vollmarathonis werden im Verlauf ihrer Strecken gleich mehrfach in den Bereich der Neunhundert-Meter-Marke vorstoßen. Allerdings klettern erst einmal nur die Langdistanzler weiter nach oben. Denn ungefähr bei Kilometer sechs trennen sich am "Högfjällshotell" die Wege der beiden gemeinsam gestarteten Wettbewerbe.

Die Halbmarathonis schlagen hinter der auf dem Parkplatz aufgebauten ersten von neun "energi- och vätskestationer" - hinter den nach Kraft- oder Pumpwerken klingenden "Energie- und Flüssigkeitsstationen" verbergen sich einfach nur Verpflegungsstellen - einen großen Bogen in der Ferienanlage und laufen in genau umgekehrter Richtung auf einem schmalen Fußpfad wieder ein Stück bergab. Den etwas unterhalb der Zufahrtstraße herrschenden Gegenverkehr von schnelleren Sportlern hatte man auch schon eine ganze Zeit lang beobachten können.

Die Marathonroute dreht dagegen nach rechts ab und wechselt kurz darauf auf die nördliche Seite der Hauptstraße hinüber, wo sie gleich anschließend ein ziemlich einsam in der Landschaft herum stehendes Holzportal unterquert. Der - allerdings gerade geschnittene - Torbogen markiert den Anfangspunkt eines der bekanntesten schwedischen Fernwanderwege, der sich von dieser Stelle über fast fünfunddreißig skandinavische Meilen immer parallel zur Grenze bis zum kleinen Skiort Storlien in der Region Jämtland führt.

Ein längeres leichtes Gefälle bringt die Läufer wieder in baumbestandene Regionen An der zweiten Verpflegungsstelle beginnt nach zehn Kilometern der Rückweg

"Södra Kungsleden" heißt er, was übersetzt "südlicher Königsweg" bedeutet und ihn von seinem noch wesentlich häufiger begangenen und älteren nördlichen Bruder unterscheidet, bei dem man in der Regel den Zusatz einfach weglässt. "Kungsleden" wurde bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von "Svenska Turistföreningen", dem nationalen Wanderverband angelegt. In der Einsamkeit und Weite Lapplands entstanden dabei nicht nur Pfade sondern auch in regelmäßigen Abständen Wanderhütter zur Übernachtung.

Ein Teil der Popularität des Nordastes rührt daher, dass der Weg zu mehr als der Hälfte oberhalb des Polarkreises gelegenen ist. Ein weiterer Aspekt ist sicher auch die Tatsache, dass man auf ihm den höchsten Berg Schwedens, den 2104 Meter hohen "Kebnekaise" passiert. Wer noch nie von diesem Gipfel gehört hat, aber den Namen trotzdem irgendwie zu kennen glaubt, kann sehr wohl recht haben, denn in Selma Lagerlöfs Geschichte von Nils Holgerson und den Wildgänsen heißt die Leitgans "Akka von Kebnekaise".

Jedenfalls gab es in den Siebzigern starke Bestrebungen Kungsleden zu erweitern und durch die entlang der norwegisch-schwedischen Grenze verlaufenden Gebirgszüge weiter nach Süden zu verlängern. Als Resultat dieser Idee wurde Södra Kungsleden ausgebaut und markiert. Der Lückenschluss zwischen Nord- und Südteil, der noch einmal etliche hundert Kilometer zusätzlicher Wanderwege erfordern würde, ist aber bisher noch nicht gelungen.

Eigentlich wirkt die Route, auf der man hinter dem Südportal nun unterwegs ist, nicht wie ein typischer "vandringsled". Schließlich haben die Fernwanderwege in der menschenleeren Wildnis Skandinaviens keineswegs immer den Ausbaugrad, den man aus Mitteleuropa kennt. Der Södra Kungsleden beginnt jedoch mit relativ breitem, asphaltiertem Untergrund und gleichmäßiger, nicht allzu heftiger Steigung, so dass er anfangs eher wie ein Radweg aussieht.

Mit beinahe jedem Höhenmeter, den man auf dieser Piste gewinnt, stehen weniger Bäume an ihrem Rand. Und die noch vorhandenen werden zudem so lange immer niedriger, bis am Ende einzig und allein kniehohe Krüppelbirken übrig geblieben sind. Denn die Rolle der sich am weitesten über die Waldgrenze hinaus wagende Art, die in den Alpen von den Latschenkiefern besetzt ist, wird im skandinavischen Bergland von den "fjällbjörkar" übernommen.

Von "Östfjället" - so heißt diese sich über mehrere Quadratkilometer erstreckende Berggebiet nämlich - öffnet sich deswegen die Sicht über die umliegenden Kuppen, die sich aus den endlos scheinenden Wälder ansonsten nur dort gelegentlich einmal erspähen lassen, wo wieder ein Teilstück komplett "geerntet" wurde. Denn die vollständige Rodung größerer Flächen ist schon alleine aufgrund des dichten Unterbewuchses, der selektiven Einschlag kaum ermöglicht, die in der skandinavischen Forstwirtschaft übliche Methode der Holzgewinnung.

Statt leicht zu laufendem "grus" hat man nun einen mit Steinen und Wurzeln gespickten Trampelpfad unter den Füßen, der volle Konzentration erfordert

Doch auch hinunter in die Täler kann der Blick schweifen. Obwohl dabei selbstverständlich die Senke des nahen "Västerdalsälven" - dass ein "Westtalfluss" östlich des "Ostfjälls" liegt, ist zwar nicht ganz logisch, aber wie man sieht durchaus möglich - optisch dominiert, lassen sich in der Ferne noch weitere erahnen. Verwunderlich ist dies eigentlich überhaupt nicht, wenn man sich ein wenig mit der schwedischen Sprache beschäftigt. Schließlich bedeutet der Name "Dalarna" nichts anderes als "die Täler".

Niklas Vangstad lässt die Augen ebenfalls über die Weite der Landschaft wandern. Schnell ist man sich einig, dass sich nun, nachdem man den Wald hinter sich gelassen hätte, wirklich ein tolles Panorama böte. Die Frage, ob er aus der Region stamme, verneint der in auffälligem Orange gekleidete, hochgewachsene Läufer. Er käme aus Stockholm, schiebt er gleich anschließend als Erläuterung nach.

Gegenüber einem Mitteleuropäer, der sich vermeintlich mit den Feinheiten der schwedischen Verwaltungsgliederung nicht wirklich auskennt, ist das eine völlig ausreichende Antwort. In der Ergebnisliste wird er später allerdings unter "Sollentuna" geführt werden. Und dahinter verbirgt sich eine zwar direkt an die Hauptstadt grenzende und mit ihr verwachsene, aber administrativ selbstständige Vorortkommune.

Niklas kennt die Gegend trotzdem recht gut. Denn im Winter wäre er regelmäßig zum Skilaufen in Sälen. Von seinen winterlichen Ausflügen kann der Mann mit dem blonden Vollbart zum Beispiel berichten, dass man an klaren Tagen von den westschwedischen Fjällhügeln über die kahlen Höhen hinweg problemlos bis zum fünfzig Kilometer entfernten Trysilfjell in Norwegen sehen könne. Während des Marathons ist es dafür dann aber doch ein wenig zu dunstig.

Als er von dem Rennen durch sein Skigebiet erfahren habe, sei für ihn schnell klar gewesen, dass er auch daran einmal teilnehmen wolle. Ein bisschen überraschend ist allerdings, dass er außerdem erläutert, es würde sich beim Fjällmaraton gerade einmal um seinen zweiten Lauf über diese Distanz handeln. Seine Premiere hatte er aber schließlich auch nicht beim "großen" Stockholm Marathon gefeiert sondern beim dortigen Wintermarathon über sechs Runden auf der Djurgården-Insel.

Immer wieder einmal führen im mit zahlreichen kleinen Seen und Hochmooren durchzogenen Fjäll schmale Bohlenwege über feuchte Stellen hinweg

Ob er dann auch an Skilanglaufrennen teilnehme, lautet die nächste, in Skandinavien eigentlich fast logische Frage an Niklas. Obwohl sie auch wieder negativ beschieden wird, ist sie gerade in Sälen beinahe unvermeidlich. Denn immerhin handelt es sich um den Startort des abgesehen von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften wohl prestigeträchtigsten Wettbewerbes auf schmalen Latten, des Wasalaufes.

Bereits seit den Zwanzigern wird "vasaloppet" gelaufen und führt neunzig Kilometer durch die mittelschwedischen Wälder hinüber nach Mora. Inzwischen treten alleine beim Hauptrennen, das traditionell am ersten Märzwochenende stattfindet, am einige Kilometer südlich von Sälen gelegen Startplatz bei der Häusergruppe Berga mehr als fünfzehntausend Sportler an die Linie. Und die zur Verfügung stehenden Nummern sind in kürzester Zeit vergeben.

Nicht anders verhält es sich für die insgesamt achtzehntausend Plätze der beiden in der Woche zuvor ausgetragene Läufe "Öppet Spår", bei denen man die Strecke ohne Zeitnahme bewältigen kann. Dazu kommen noch Wettkämpfe über die Hälfte und ein Drittel der Distanz, Kinderläufe sowie eine Staffel, die zusammen noch einmal genauso viele Teilnehmer bringen. Während des sich nun über eineinhalb Wochen erstreckenden Wasalauf-Programmes zählt man also mehr als siebzigtausend Aktive.

Und auch in den Sommer hat sich die Veranstaltung längst ausgedehnt. Denn seit einigen Jahren kann man die Strecke jeweils Mitte August außerdem noch mit dem Mountain Bike bewältigen. Das Starterfeld fällt dabei kaum kleiner aus. Zuletzt wurden alleine auf der langen Distanz nämlich zwölftausend Radfahrer zugelassen, von denen auch jedes Jahr ungefähr zehntausend wirklich in Mora ins Ziel kommen.

Übrigens macht man es beim norwegischen Wasalauf-Pendant, dem in Lillehammer endenden "Birkebeiner" ganz genauso. Und während "Birkebeinerrennet" mit den Langlaufski ein Jahrzehnt jünger ist als die - betrachtet man die beiden Startorte Sälen und Rena - in der Luftlinie nur hundert Kilometer entfernte Konkurrenz jenseits der Grenze, haben die Norwegen bei "Birkebeinerrittet" der Radfahrer einige Jährchen Vorsprung.

Zufällig findet das Geländerad-Rennen, bei dem man sogar noch einige tausend Startplätze mehr bietet wie bei "CykelVasan", am gleichen Tag wie der Fjällmaraton statt und wird zumindest in den norwegischen Medien auch aufmerksam verfolgt. Am Vortag kommt sogar die - wenn man nicht selbst betroffen ist, sogar ganz amüsante - Meldung, dass sechs Sportler bei der Aufladung ihrer Kohlehydratspeicher vor dem Rennen einen Energiedrink mit einen Rad-Putzmittel verwechselt hätten und deswegen in ärztlicher Behandlung gelandet wären, aus dem Autoradio.

Nachdem man am "Högfjällshotell" wieder auf die Halbmarathonstrecke eingebogen ist führt der Weg in mehreren Stufen bergan und quert dabei auch einige größere Moorflächen

Die Schweden interessiert an diesem Tag aber eher "Finnkampen", der traditionelle Leichtathletik-Länderkampf gegen den Nachbarn Finnland. Die ganz Alten werden sich vielleicht noch erinnern können, dass es solche Veranstaltungen früher auch hierzulande einmal gab. Dass ein solcher Mannschaftswettbewerb aber zur besten Sendezeit am Samstagabend direkt im Fernsehen übertragen werden könnte, scheint inzwischen unendlich weit weg. Allerdings hat Leichtathletik in Skandinavien diesbezüglich doch noch einen deutlich höheren Stellenwert.

Und das Programm der Wasalauf-Familie weitet sich noch weiter aus. Neueste Veranstaltung ist nun ein Ultralauf, für das man den aus Mora stammenden Vorzeigeathleten Jonas Buud - immerhin achtfacher Gewinner des Swiss Alpine Marathon von Davos - als Werbebotschafter und Mitorganisator eingespannt hat. Wie die Skisportler können auch die Läufer dabei zwischen der vollen, neunzig Kilometer langen Strecke und der mit fünfundvierzig Kilometer immer noch über einen klassischen Marathon hinaus gehenden Halbdistanz wählen.

Gerade einmal eine Woche vor der zweiten Auflage des Fjällmaratons feierte "Ultravasan" in nur wenige Kilometer Entfernung eine erfolgreiche Premiere. Wie im Winter waren die zur Verfügung stehenden siebenhundertfünfzig Startplätze auf der Langstrecke schnell vergeben. Es dauerte weniger als eine halbe Stunde. Bei den aufgrund der schwedischen Dominanz im Feld noch einmal nachgelegten zusätzlichen hundert Nummern für Ausländer dauerte es auch nur zwei Tage.

Über siebenhundert Teilnehmer kamen dann auch tatsächlich in Mora ins Ziel - als Erster unter ihnen das Aushängeschild Jonas Buud. Und nachdem auch organisatorisch alles glatt lief, hat man für das nächste Jahr die Zahl der möglichen "deltagare" für beide Läufe auf jeweils fünfzehnhundert vergrößert. Doch auch von diesem erhöhten Kontingent ist der überwiegende Teil schon wieder vergeben.

Es erscheint auf den ersten Blick nicht unbedingt optimal, wenn innerhalb von sieben Tagen zwei Laufveranstaltungen im gleichen Ort stattfinden, die eine recht ähnliche Klientel ansprechen. Dass sich die Teilnehmerzahlen beim Fjällmaraton trotz neuer Konkurrenz mit großem Namen direkt vor der Haustür gegen den hierzulande zu beobachtenden Trend eines Rückganges im zweiten Jahr dennoch verdoppeln, zeigt wie groß der Bedarf nach solchen Rennen in Schweden zu sein scheint.

Langsam nähert man sich ein weiteres Mal der Baumgrenze

Auch für das kommende Jahr sind beide Wettkämpfe wieder im Wochenabstand angesetzt. Notorische Vielstarter haben, wenn ein bisschen Urlaub investieren, also den Vorteil, sich mit einer Anreise gleich doppelt auf die Strecke begeben zu können. Und wenn man davon immer noch nicht genug und vierzehn Tage Zeit hat, gäbe es zuvor ja auch noch "CykelVasan", mit dem die Wasalauf-Sportwoche im August eröffnet wird.

Während des Gespräches mit Niklas Vangstad hat der Asphalt geendet und man ist auf einen gut ausgebauten Schotterweg hinüber gewechselt. Irgendwann steigt dieser dann nach ungefähr acht absolvierten Kilometern auch nicht mehr an, sondern beginnt sich wieder zu senken. Ohne dass man den entscheidenden Punkt wirklich sauber definieren könnte, hat man nämlich zum ersten Mal eine der abgerundeten Fjällkuppen überschritten.

Gut eineinhalb Kilometer führt der Grus-Pfad mit einem angenehmen, gut zu belaufenden Gefälle bergab und verliert dabei etwa siebzig bis achtzig Höhenmeter. Statt "kalfjäll" - eine Bezeichnung, die man auch ohne Schwedisch-Kenntnisse alleine durch den Blick auf die Landschaft verstehen kann - bestimmt nun erneut "fjällbjörkskog" das Bild. Wobei man sich natürlich durchaus darüber streiten kann, ob "Wald" - denn nichts anderes bedeutet "skog" - angesichts eines wenige Meter hohen, lichten Buschwerks bereits der richtige Begriff ist.

Der noch immer mit dem Fahrrad befahrbare Weg endet an einem der typischen kleinen Seen, auf die man in den Senken der weiten Hochflächen immer wieder trifft. Auch das Dach einer Hütte lugt aus den Bäumen heraus. Doch kurz bevor man "Östfjällsstugan" - eine spartanische Unterkunft für Wanderer - erreicht, leiten quer gespannte Flatterbänder die Marathonis nach links, wo die zweite Verpflegungsstelle auf sie wartet.

Die Stärkung kurz vor dem zehnten Kilometer kann nicht schaden. Denn mit entspanntem Laufen und weit in die Landschaft schweifenden Blicken ist es jetzt erst einmal vorbei. Die Strecke wird zwar auch in der Folge noch einige Höhenmeter verlieren. Doch fordert der Untergrund von nun an wirklich vollste Konzentration. Statt festem Kies hat man nämlich jetzt plötzlich quer über den ganzen Weg verlaufende Wurzeln und kopfgroße Steine unter den Füßen

An manchen Stellen lassen sie kaum noch ein Fleckchen ebener Erde übrig, auf das man den Fuß aufsetzen könnte. Und dort, wo man tatsächlich einmal ein Stück über "normalen" Boden unterwegs ist, kommt er zudem häufig recht feucht und rutschig daher. Jeder Schritt will wohlkalkuliert sein, der Versuch einfach "durch zu brettern" würde früher oder später mit einem Sturz enden. Und selbstverständlich sackt das Tempo deswegen merklich ab.

Längst nicht überall haben die Wege während des Marathons einen so guten Ausbaugrad und sind so einfach zu belaufen wie in diesem Abschnitt

Nicht nur an den Bäumen befestige kurze Flatterbandstreifen zeigen allerdings an, wo es entlang geht. Noch immer stehen auch jene roten Andreaskreuze auf zwei bis drei Meter hohen Pfählen am Streckenrand, mit denen in Schweden die Wanderwege durchs Fjäll markiert sind. Sie sind zwar in etwas unregelmäßigen Abständen aufgestellt, aber immer so verteilt, dass man einem Zeichen mindestens ein weiteres zu sehen ist. Zumindest bei einigermaßen akzeptabler Sicht kann man sich also eigentlich nur schwer verlaufen.

Wenn ein solcher Pfad, wie man ihn in den geordneten mitteleuropäischen Wäldern selbst abseits des regulären Wegenetzes kaum noch vorfinden dürfte, von den Skandinaviern tatsächlich als "vandringsled" kategorisiert wird, muss man sich nicht mehr unbedingt wundern, dass die Orientierungsläufer aus dem Norden Europas zur absoluten Weltspitze zählen. Spaß macht es natürlich dennoch, über ihn hinweg zu hetzen. Nach zehn Kilometern ist die Strecke endgültig in der Wildnis angekommen.

Den nächsten Kilometer orientiert sich die Spur in westlicher Richtung. Dann dreht die Strecke nach Süden ab und steuert damit wieder dem Högfjällshotell entgegen. Vorbei an einem weiteren Weiher führt der Kurs. Und gleich mehrere kleine Hochmoore werden durchquert. Auch diese "högmossar" sind für das nordische Fjäll mit seinem sanft gewellten Profil und vielen Senken ziemlich charakteristisch.

Schmale Bohlenwege sorgen dafür, dass man dort nicht im Schlamm versinkt. Auf im Abstand von etwa fünf bis zehn Metern quer gelegte kurze Balken sind jeweils zwei Bretter genagelt, die kaum Platz für zwei Füße nebeneinander bieten. Ganz ohne Gleichgewichtsgefühl geht es deswegen auch bei ihnen nicht. Doch immerhin findet man in diesen Passagen jeweils kurzzeitig einmal ebene Verhältnisse vor.

Drei weitere Kilometer hält sich die Marathonroute noch an die gut markierte, aber mit ständig wechselndem Untergrund über Stock und Stein führende Trittspur. Dann tauchen erste Häuser in Sichtweite auf. "Gruven" heißt diese weitere, etwas westlich des Högfjällshotells gelegene und wie üblich ein bisschen im Wald versteckte Ferienhaussiedlung. Wenig später stößt man auf eine breite Schotterstraße hinaus, die - kurzzeitig auch wieder leicht bergauf - zwischen den "stugor" hindurch führt.

Nach einigen Haken im Wegenetz des Hüttendorfes wird nach fünfzehn Kilometern die Trysil-Straße überquert. Doch auch südlich der Hauptachse nach Norwegen bleibt der man im bebauten Bereich. Die einzelnen "fritidshus" rücken sogar noch etwas enger zusammen. Inzwischen ist der Kurs nämlich wieder am Fuße der Skigebietes "Högfjället" angekommen. Für sich alleine gesehen bietet dieses zwar einige Unterkünfte, aber nur wenige Pisten, die angesichts von nicht einmal zweihundert Metern Höheunterschied auch gerade einmal Mittelgebirgscharakter haben.

Über die niedriger werdenden Fjällbirken wird der Blick auf die abgerundeten Kuppen von Storfjället", "Mellanfjället" und "Hemfjället" frei

Hinter dem gleichnamigen Hotel führt die Strecke zurück zum bereits vom Hinweg bekannten großen Parkplatz, wo die Marathonis sich an der gleich doppelt genutzten Verpflegungsstelle erneut stärken können, um dann - mit etwas Verzögerung durch die ungefähr neun Kilometer lange Zusatzschleife - den zuvor von den Läufern der halb so langen Distanz gelegten Fährten hangabwärts folgen dürfen.

Einige hundert horizontale und zwei Dutzend vertikale Meter später dreht der Weg jedoch irgendwo zwischen der Fjällkirche und dem Hotel "Alten Hof" von der Straße weg und steuert auf im Süden aufragenden Kuppen von "Storfjället", "Mellanfjället" und "Hemfjället" zu. Es sind eigentlich wenig kreative Namen. Denn sie lassen sich einfach mit "Großfjäll", "Zwischenfjäll" sowie "Heimfjäll" übersetzen und beziehen sich nur auf die Ausdehnung und die - immer von Sälen aus gesehen - Lage der drei Gebiete.

Schon neben der Hauptstraße hatte ein Großteil des Pfades auf schmalen Planken über feuchten Untergrund geführt. Und auch nachdem man den Häusergruppe den Rücken gekehrt hat und wieder der skandinavischen Wildnis entgegen läuft, geht es viele hundert Meter ununterbrochen über Holzbohlen. Gleich mehrere Moorflächen werden nun in ziemlich dichter Abfolge auf diese Art gequert.

Dazwischen bringen wurzelgespickten Waldwegen die Marathonis mit kurzen, manchmal aber auch recht steilen Anstiegen zehn oder zwanzig Meter eine Höhenstufe hinauf, wo dann das gleiche Spiel dann mit dem nächsten Hochmoor wieder von vorne beginnt. Am Ende des Rennens wird man schließlich rund zwanzig Prozent der gesamten Distanz auf den zwar ebenen, aber gelegentlich durchaus wackligen Brettern zurückgelegt haben.

Die Auflagen sind dabei eher selten das Problem. Sie scheinen ziemlich regelmäßig erneuert und befestigt zu werden. Nur in wenigen Ausnamefällen entdeckt man vom natürlichen Zerfallsprozess schon ein wenig angegriffene und deswegen eher wenig vertrauenswürdige Altexemplare unter ihnen. Auch nicht unbedingt häufiger sind - selbst wenn sie sich bei den unzähligen im Fjäll liegenden Kilometern Bohlenwegen nicht vollkommen vermeiden - lose Enden, die das Brett beim Betreten leicht nach oben federn lassen.

Nicht nur die Anstiege sondern auch die Tatsache, dass die Strecke häufig nur aus mit Steinen und Wurzeln übersäten Trampelpfaden besteht, sorgen bei vielen schon relativ früh im Rennen für erste Gehpausen

Viel unangenehmer ist allerdings die Tatsache, dass die Balken darunter in einem keineswegs immer wirklich absolut festen Boden verlegt sind. Deswegen sinken sie manchmal bei Belastung so tief ein, dass Wasser über das Holz hinweg schwappt und man trotz scheinbarer Sicherheit dennoch ziemlich nasse Schuhe bekommt. Und selbst wenn die braune Brühe nicht bis zur Oberkannte der Planken kommt, quietscht und knatscht es unter den Füßen vom Allerfeinsten.

Manchmal liegt auch ein Teil des "Spång" - wie die schwedische Bezeichnung für diese Art von Weg lautet - durch das ständige Arbeiten des Moores regelrecht hohl und beginnt dann durch die über ihn hinweg laufenden Sportler wie eine Wippe auf und ab zu schwingen. In solchen Fällen tut man gut daran, den Abstand zu den Vorderleuten etwas größer werden zu lassen. Denn ganz egal, ob man durch diese ungewohnten Vibrationen der Laufstrecke nach der Flugphase einen Moment zu früh oder etwas zu spät Bodenkontakt bekommt, unangenehm ist beides.

Je höher man hinauskommt, umso seltener und kleiner werden allerdings die Moore. Da ist es nur allzu logisch, dass man irgendwann auch nicht mehr allzu häufig über Holz läuft. Langsam, aber sicher führt der Wanderweg, der zwar gelegentlich etwas uneben ist, jedoch einen Ausbaugrad besitzt, mit dem man ihm auch hierzulande diese Bezeichnung noch zugestehen würde, wieder an die Baumgrenze heran. Und natürlich öffnen sich damit auch wieder öfter weite Ausblicke über die wellige Landschaft.

Nachdem man die Achthundert-Meter-Linie des Höhenprofils endlich erreicht hat, führt die Strecke erst einmal ohne größere Steigungen parallel zum Hang weiter

An einer Verzweigung hält sich die Strecke halblinks und wählt damit die erheblich steilere Variante, die innerhalb von nicht einmal einem Kilometers sechzig oder siebzig Metern an Höhe gewinnt. Doch als mit der nächsten Möglichkeit - einer kleinen Wegkreuzung im "fjällbjörkskog" - ein weiterer Linksschwenk erfolgt, wird es deutlich flacher. Denn ziemlich genau entlang der Achthundert-Meter-Linie geht es erst einmal parallel zum Hang weiter.

Die Strecke bringt die Marathonis auf diesem natürlich leicht welligen, aber ohne allzu große Höhenunterschiede verlaufenden längeren Stück hinüber zu einer kleinen Gruppe von verstreuten Gebäuden, die sich beim Näherkommen als die Bergstationen jener Skilifte entpuppen, an deren Fuß man zu Beginn des Rennens vorbei gekommen war. Die letzten zweihundert, leicht ansteigenden Meter nutzt man zur Annäherung sogar eine geschotterte Zufahrtsstraße.

Vor dem Lifthaus zeigen Holzböcke in der Mitte des Weges und zwischen ihnen gespannte Flatterbänder an, dass man an diesem Punkt wohl ebenfalls noch einmal vorbei kommen wird. Dass sich an der Verpflegungsstelle einige der an anderen Startnummernfarben erkennbaren Halbmarathonläufer noch einmal stärken, um sich anschließend in Gegenrichtung auf ihren Schlussabschnitt ins Tal hinunter zu stürzen ist dafür ein anderer guter Beleg.

Noch ein weiterer Versorgungspunkt wird im späteren Verlauf des Rennens gleich zweimal angesteuert werden. Den Organisatoren gelingt es so, mit nur sechs zu besetzenden Posten den Läufern der langen Strecke gleich neun Möglichkeiten zum Auftanken zu geben. Das ist insbesondere deshalb interessant, weil mehrere unter ihnen im nur von wenigen schmalen Pfaden durchzogenen Fjäll nicht mit einem Auto zu erreichen sind.

Immer in Sichtweite zueinander aufgestellte rote Andreaskreuze an langen Stangen geben selbst in unwegsamem Gelände ständig Orientierungspunkte über den Verlauf der Wanderpfade durchs schwedische Fjäll

Dennoch haben die meisten nicht nur Wasser und Sportgetränke - auf Schwedisch "Vatten" und "Sportdryck" -sondern auch feste Nahrung im Angebot. Die vorhandene Vielfalt ist dabei wirklich beeindruckend. Bananen ist man zwar wirklich gewöhnt. Doch außerdem kann man eben auch noch Rosinen und Gurken - beide sind in Skandinavien durchaus übliche Verpflegungsvarianten - auf den Tischen finden.

Man kann zu gesalzenen Chips greifen. Oder aber man kann es sich mit süßen Zimtröllchen - sogenannte "kanelbullar" - gut gehen lassen. Ein Tablett mit Weingummi bietet eine weitere Wahlmöglichkeit. Und wenn alle Stricke kurz vor dem Reißen sind und ein schnell wirkender Energiestoß nötig wird, gibt es auch noch puren Traubenzucker. Das schwarzbraune Getränk in den Bechern daneben hilft in diesem Fall dagegen eher wenig. Denn es handelt sich nicht um die erwartete Cola sondern um warmen Kaffee.

Hinter der Verpflegungsstelle ist es gleich wieder mit den ebenen Bodenverhältnissen vorbei. Denn die Strecke zieht noch vor dem zwanzigsten Kilometer wieder nach rechts weg ins Gelände hinein. Und was man dort vorfindet, hat eher wenig mit einem wirklichen Weg zu tun. An manchen Stellen wäre für diesen Untergrund selbst die Bezeichnung "Trampelpfad" noch eher geschmeichelt. Gäbe es da nicht die allgegenwärtigen Markierungspfähle, könnte es sich häufig genauso gut um eine von Wildtieren gelegte Spur handeln.

Zwischen unzähligen Steinen und gelegentlichen Matschlöchern geht es bergauf. Auch kleine Wasserläufe muss man hie und da mit großen Sprüngen oder kleinen Schrittchen über darin liegende Felsbrocken überqueren. Und an vielen Stellen gibt es gleich mehrere Alternativen zwischen den Andreaskreuzen. Jeder kann sich dort aufgrund persönlicher Vorlieben - zum Beispiel "fest, aber steinig" oder "weich, aber matschig" - seine eigenen Wegkombinationen zusammen basteln.

Bei der Bergstation jener Skilifte, an deren Fuß sie bereits gleich zu Beginn des Rennens vorbei gekommen waren, wartet die nächste Verpflegungsstelle mit wirklich reichhaltiger Auswahl auf die Marathonis

Selbst wenn ersten zehn Kilometer der Laufstrecke eher sanft anfangen, belegt nicht nur diese Passage, dass der Fjällmaraton von Sälen, eindeutig der Kategorie "Traillauf" zuzuordnen ist. Allerdings macht man daraus keineswegs den anderswo gepflegten Kult. Schließlich hat man eine völlig normale Anzahl von Versorgungsstationen aufgebaut, die das Mitführen von Eigenverpflegung - auch wenn viele trotzdem Rucksäcke oder Trinkgürtel tragen - nicht unbedingt nötig erscheinen lassen.

Und Vorgaben zu Ausrüstung oder Pflichtgepäck gibt es schon überhaupt keine. Gerade dann, wenn die Rennen in Mittelgebirgsregionen stattfinden, in denen gefährlich Wetterumstürze eher selten sind, hat man ohnehin gelegentlich den Eindruck, dass es bei ihnen nur darum geht, die elitäre Gruppe der "Trail-Runner" vom "gewöhnlichen" Läufervolk, das "nur" Landschaftsläufe macht, abzugrenzen.

In Sälen belässt man es dagegen bei einer simplen Warnung und einem Appell an die Eigenverantwortung der Teilnehmer. "Vandringslederna uppe på kalfjället är delvis steniga och kan vara hala" ist auf der Internetseite der Veranstaltung zu lesen. Übersetzt bedeutet dies nichts anderes, als dass die Wanderwege oben auf dem Kahlfjäll zum Teil steinig sind und rutschig werden können. Bei schlechtem Wetter solle man entsprechend vorsichtig sein. Und natürlich fehlt auch die Ermahnung nicht, eine den exponierten Hochflächen angemessene Kleidung zu tragen.

Nach der Stärkung an der Liftstation taucht der Marathonkurs endgültig in die skandinavische Wildnis ein, selbst die Bezeichnung "Trampelpfad" wäre für den Untergrund manchmal fast schon geschmeichelt

Während sie sich der Halbzeitmarke des Marathons nähern, haben die Läufer nämlich inzwischen auch wieder die letzten mit viel Phantasie noch unter "Baum" einzuordnenden Pflanzen hinter sich gelassen und sind wieder in typischer Fjäll-Vegetation unterwegs. Seit dem Verlassen Bergstation hat man eine ganze Reihe von Höhenmetern gewonnen. Und auf dem nächsten Kilometer wird dann auch die zweite Spitze des Streckenprofils erreicht.

Das Überschreiten des höchsten Punkts geschieht jedoch erneut eher unmerklich, da dieser sich irgendwo auf dem lang gestreckten und zudem relativ breiten Sattel zwischen "Mellanfjället" und "Hemfjället" befindet. Deren Kuppen liegen ihrerseits auch nur zwei oder drei Dutzend Meter höher als die Laufstrecke, so dass man um sich herum eigentlich nicht viel mehr als ein leicht welliges Plateau entdecken kann.

Zwar sieht das "höjdprofil" des Marathonkurses von Sälen zwar nicht gerade einfach aus. Doch kann es trotz nun durchaus vergleichbarer Vegetation natürlich keineswegs mit einem Berglauf in den Alpen konkurrieren. Nicht einmal vierhundert Meter liegen zwischen seiner tiefsten und seiner höchsten Stelle - ein Unterschied, den man zum Beispiel beim Jungfrau Marathon nur auf den beiden Kilometern zwischen Lauterbrunnen und Wengen überwindet.

Selbst in der Summe der Anstiege landet der Fjällmaraton nur irgendwo zwischen schweren Mittelgebirgsstrecken und leichten - wobei diese Bezeichnung natürlich rein relativ zu verstehen ist - Hochgebirgskursen der gleichen Länge. Dass die Läufer beim Rennen durch die Wildnis von Dalarna trotzdem einen mit diesen Veranstaltungen praktisch vergleichbaren Schwierigkeitsgrad vorfinden, liegt vor allem an den kräfteraubenden Bodenverhältnissen.

Längst nicht jeder Wasserlauf wird von einer Brücke oder einem Steg überquert, gelegentlich helfen nur ein paar große Sprünge von Stein zu Stein

Obwohl es nun tendenziell wieder bergab geht, kann man es wegen des unebenen Untergrundes schließlich nicht einfach entspannt rollen lassen. Auch weiterhin fordert der mit Gesteinsbrocken fast jeder denkbaren Größe gespickte Pfad volle Aufmerksamkeit und ständige Rhythmuswechsel, also sowohl psychische als auch physische Energie. Die Wege, die anfangs so viel Spaß gemacht haben, werden mit zunehmender Müdigkeit immer unangenehmer.

Vier Kilometer nach der vierten Verpflegungsstelle wartet in fast der gleichen Höhenlage - die Marathonroute ist in weitaus kürzerer Distanz, als sie für den Aufstieg zum Maximalniveau benötigt hatte, auf diese zurück gefallen - der fünfte Posten. Auch wenn es anfangs so aussieht, dass dieser nun wirklich mitten im Nirgendwo aufgebaut sei, haben die Organisatoren auch diesmal die Nähe einer Berghütte gewählt. Etwa hundert Meter stößt man nämlich auf "Hemfjällstugan", an der gleich eine ganze Handvoll "vandringsleder" zusammen treffen.

Unter Nutzung dieser Möglichkeiten trennen sich dort auch die Wege von Halb- und Vollmarathon wieder. Seit dem Högfjällshotell waren diese fast neun Kilometer lang gemeinsam verlaufen. Nun dreht die kürzere Strecke nach links zurück, während die Langdistanzler ihren seit Längerem nach Süden orientierte Laufrichtung beibehalten. Damit gehören auch die Doppelschilder der Vergangenheit an, auf denen das obere in Schwarz die zurückgelegten Marathonkilometer, das untere dagegen in Blau die jeweilige Zahl für den Halbmarathon anzeigt.

In der Nähe der einsamen Berghütte "Hemfjällstugan" wartet der nächste Versorgungsposten fernab jeder Straßenverbindung mitten im Fjäll

Da beide Kurse schon einmal getrennt und später wieder zusammen geführt worden waren, wäre es zwar ein gewaltiger Zufall, wenn beide Marken wirklich genau am gleichen Punkt zu finden sein würden. Und dass die Halbmarathonläufer, die an diesem Punkt bereits gut zwei Drittel ihrer Distanz hinter sich gebracht haben, schon einen Kilometer wieder auf den Schlussteil der Marathonstrecke stoßen werden und danach ohne jede Ausgleichschleife genau den gleichen Rückweg zum Ziel einschlagen, macht die Sache mit der Streckenlänge noch suspekter.

Doch ist auf den unebenen und kurvigen Fjällpfaden die Bestimmung exakter Distanzen wohl ohnehin nur schwer möglich. Und die bei Straßenläufen geltenden Vermessungsregeln lassen sich dort schon überhaupt nicht anwenden. In die "Gefahr", die Einhaltung dieser Richtlinien für die Anerkennung irgendeines eines Rekordes am Ende doch belegen zu müssen, dürften die Organisatoren wohl wahrlich nicht kommen.

So legt Øystein Kvaal Østerbø als Sieger des Halbmarathons trotz einer Verbesserung der Veranstaltungsbestmarke um etwas mehr als zwei Minuten auf nun gültige 1:21:24 jedem der einundzwanzig Kilometer durch das schwedische Fjäll über eine Minute langsamer zurück als der Eritreer Zersenay Tadese während seines nach 58:23 endenden Weltrekordlaufes auf dem Asphalt von Lissabon.

Unter "Klubb" wird für Østerbø mit "IFK Lidingö" eindeutig ein schwedischer Verein geführt. Wer sich ein bisschen mit der internationalen Laufszene beschäftigt hat, kennt ihn als Ausrichter des "Lidingöloppet", eines traditionsreichen sportlichen Großereignisses auf der ebenfalls "Lidingö" heißenden Insel im Stockholmer Schärengarten, bei dem alleine im dreißig Kilometer langen Hauptlauf jedes Jahr rund fünfzehntausend Teilnehmer auf die Stecke gehen.

Selbst wenn die Marathonroute hinter der Berghütte tendenziell bergab führt, gibt es eine ganzen Reihe kurzer, aber kraftraubender Gegensteigungen

Doch macht das in seinem Namen gleich dreifach vorkommende Sonderzeichen "ø" ein wenig stutzig. Denn eigentlich wird dieses nur im norwegischen und dänischen Alphabet verwendet. In Schweden nutzt man für den gleichen Laut dagegen das auch im Deutschen übliche Symbol "ö". Und tatsächlich ist Østerbø ein Norweger, der sich der leistungsstarken Trainingsgruppe der Orientierungsläufer aus Lidingö angeschlossen hat.

Auch für den Zweitplatzierte steht nicht nur "IFK Lidingö" sondern wie beim Sieger auch der Zusatz "SOK" - für den Skilang- und Orientierungslauf betreibenden "Skid- och Orienteringsklubb" - in der Ergebnisliste. Doch der Name des 1:21:49 laufenden Nicolas Simonin klingt ebenfalls wenig schwedisch. Angesichts der Tatsache, dass Simonin aus Irland stammt und bei internationalen Meisterschaften in einem grünen Trikot durch die Wälder hetzt, ist dies auch nicht weiter erstaunlich.

Immerhin ist Gustav Nordström, der nach 1:24:08 hinter den beiden Vereinskameraden auf Rang drei landet, tatsächlich ein Schwede. Und auch der für den in der Nähe von Göteborg beheimateten Borås SK startende Mittzwanziger hat schon das Nationaltrikot getragen, allerdings nicht als Orientierungsläufer sondern im Skilanglauf. Kennen muss man ihn aber selbst als Freund des nordischen Skisports nicht unbedingt. Im Normalfall wird er nämlich nur in der "zweiten Liga" des Skandinaviencups eingesetzt.

Während die Erstplatzierten bei den Männern von weiter her kommen, bleibt das Treppchen im Frauenrennen fest in Dalarna-Hand. Helene Söderlund, die nach 1:34:35 mit einem weiteren neuen Streckenrekord als Siegerin einläuft, kommt nämlich genauso von IFK Mora wie die in 1:47:06 gestoppte Dritte Karin Hvittfeldt. Und die sich mit 1:44:08 dazwischen schiebende Jenny Eriksson läuft für den Falu IK aus dem Austragungsort der nächsten Skiweltmeisterschaften Falun.

Die Erste Helene Söderlund ist ebenfalls alles andere als eine reine Laufspezialistin. Denn sie verbindet in ihrer Spezialwettbewerb "Skidorientering" die zwei Sportarten der schnellen Herren. Sogar mehrere Weltmeisterschaftsmedaillen hat sie dabei schon gewonnen. Doch dass ähnlich wie in den beiden Einzeldisziplinen auch die Skandinavier in deren Kombination extrem stark sind, verwundert nicht unbedingt.

Nach vielen Trampelpfaden und Bohlenwegen, die bei jedem Schritt volle Aufmerksamkeit erfordern, ist die auf Schotterstraßen absolvierte Schleife durch das Ferienhausgebiet "Hemfjällstangen" trotz etlicher Höhenmeter eine echte Erholung

Noch eine andere Ehrung lässt sich im Lebenslauf von Helene Söderlund entdecken. Denn vor einigen Jahren war sie "kranskulla" bei Wasalauf. Bei dieser eigentlich nur in Schweden üblichen Tradition wartet kurz vor dem Ziel eine sogenannte "Kranzfrau" in Tracht, um dem Ersten bereits vor dem Einlauf den Siegerkranz umzuhängen. Das geht natürlich nur dann, wenn es nicht zu einem Sprint kommt.

Obwohl dieser Brauch auch bei vielen anderen Veranstaltungen wie zum Beispiel dem Stockholm Marathon oder dem Lidingöloppet übernommen wurde, wird er beim Wasalauf ganz besonders gepflegt. Nachdem das Rennen auch für Frauen geöffnet ist gibt es mit dem "kransmas" - wie "kulla" ist "mas" ein Dialektausdruck aus Dalarna, der es in der Kombination mit Kranz aber auch in die schwedische Schriftsprache geschafft hat - einen männliches Gegenpart, der sich um die Siegerin kümmert.

Traditionell werden junge, aber bereits erfolgreiche Ausdauersportler aus der Region für diese Aufgabe ausgewählt. Und so lässt sich in den von den Organisatoren des "vasaloppet" eigens gepflegten Listen nicht nur der Name "Söderlund" nachlesen. Ende der Neunzigerjahre kann man dort unter anderem auch ein Eintrag entdecken, der "Jonas Buud" lautet. Knapp zwei Jahrzehnte später wird ihm bei der Premiere des Ultralaufes dann selbst ein Siegerkranz umgehängt.

Nach der Streckenteilung führt die Marathonroute weiter bergab. Zumindest sagen dies sowohl das von den Veranstaltern veröffentlichte Profil als auch die Landkarte. Durch einige kleine Gegensteigungen, die sich zwischendurch in den Weg stellen, ist der subjektive Eindruck allerdings gelegentlich ein etwas anderer. Doch gibt es andererseits nun manchmal sogar auch steinarme, weiche und leicht fallende Abschnitte des Pfades, auf denen man Lauftempo kurzzeitig einmal erhöhen kann, bis die nächste "Geländeprüfung" ansteht.

Der Verpflegungspunkt am Anfang und Ende dieses vier Kilometer langen Schlenkers kann aufgrund der Streckenführung gleich zweifach genutzt werden

Die irgendwie nicht mehr ganz so spärliche Vegetation ringsherum belegt zusätzlich, dass man tatsächlich wieder weiter nach unten kommt. Das Waldstück, das einen guten Kilometer hinter der Hemfjällhütte auftaucht, ist dann allerdings doch weniger der schon erreichten Baumgrenze geschuldet als vielmehr einer gegen Witterungseinflüsse relativ gut geschützten Lage am Fuße des "Zwischenfjälls" und einem dort entlang fließenden Bach, den man auf einem Steg überquert.

Schnell zieht die Laufstrecke dann auch erneut ins Freie hinaus und lässt die sich ziemlich idyllisch zwischen den Bäumen versteckende Schutzhütte "Mellanfjälsstugan" gleich wieder hinter sich. Mehrere Moorflächen werden auf schnurgeraden, viele hundert Meter langen Plankenwegen durchquert, die an der einen oder anderen Stelle erneut für etwas Feuchtigkeit in Schuhen und Strümpfen sorgen.

Dazwischen warten aber auch kurze, eher felsige Hügel. Denn die Höhenkurve zeigt hinter dem vor kurzem passierten Kilometer fünfundzwanzig noch einmal einen kleinen Ausschlag nach oben. Langsam werden die Bergbirken ringsherum dann allerdings doch höher und dichter. Und irgendwann trifft der zwischen ihnen hindurch führende Pfad auf eine breite Schotterstraße, an der ein weiteres buntes Verpflegungsbuffet auf die Läufer wartet.

Der Rückweg beginnt wieder mit einem extrem unebenen Trampelpfad durchs Buschwerk, führt dann aber ein weiteres Mal hinauf ins "kalfjäll"

Nach erfolgter Stärkung können sie sich anschließend auf genau diesem "grusväg" ein wenig von der mühsamen Fjälldurchquerung erholen. Zum einen hat man schließlich endlich wieder einmal einen sowohl festen als auch ebenen Boden unter den Füßen, der praktisch keinerlei Ansprüche an Balance und Trittsicherheit stellt. Zum anderen besitzt das Sträßchen aber auch ein wirklich ordentliches Gefälle, so dass auf den nächsten beiden Kilometern die Schwerkraft ordentlichen Zusatzschub gibt.

Erst rund achtzig Höhenmeter tiefer endet kurz vor der Dreißig-Kilometer-Marke der schwungvolle Abstieg. Dass dieser allerdings mit einer anschließenden ähnlich langen Steigung erkauft worden ist, war schon bei Beginn klar. Denn an der Versorgungsstation konnte man auch aus der Gegenrichtung eintreffende Marathonis entdecken. Und da die ziemlich genau vier Kilometer lange Schleife zudem ungefähr in Form einer Acht konzipiert ist, hatte man zwischendurch noch ein weiteres Mal Blickkontakt mit bereits wieder nach oben kletternden Läufern.

Das Netz der Schotterpisten, auf dem man unterwegs ist, zieht sich durch das Ferienhausgebiet "Hemfjällstangen", das mit seinen zwei- bis dreihundert im dichten Wald verstreuten Hütten am Südhang des Sälenfjälls klebt. Zwar wird die Topographie danach nur unwesentlich flacher. Doch reichen die Kuppen nicht mehr über die Waldgrenze hinaus. Und da dies nicht nur für die Gemeinde sondern auch für den Rest des Landes gilt, findet sich in ganz Schweden nirgendwo weiter südlich als in Sälen ein Kahlfjällgebiet.

Zwei Drittel des erst vorsichtig beginnenden und nach einem Linkschwenk in Richtung Hochplateau dann deutlich an Schärfe zulegenden Anstieges sind bereits bewältigt, als zwischen den "stugor" eine weitere kleine Holzkirche am Streckenrand zu entdecken ist, die auf den Nichtskandinaviern nur sehr schwer über die Zunge kommenden Namen "Gammelsätersfjällets fjällkyrka" hört. Die Bezeichnung bezieht sich auf eine - etwa mit "Fjäll der alten Alm" zu übersetzende - Bergkuppe, die kaum zwei Kilometer nordwestlich der Kirche liegt.

Nachdem die Läufer die letzten Bäume hinter sich gelassen haben, liegen ihnen die fast endlosen Wälder der Provinz Dalarna regelrecht zu Füßen

Mit dem Erreichen der Verpflegungsstation an der Nahtstelle zwischen Ferienhäusern und Wildnis ist die Steigung noch längst nicht zu Ende: Nur setzt sie sich nun wieder auf den schon zur Genüge bekannten schmalen, steinigen Pfaden fort. Vom tiefsten Punkt der Schleife hat man rund einhundertfünfzig Höhenmeter nahezu ununterbrochene "stigning" zu bewältigen, bevor es auf dem dreiunddreißigsten Kilometer wieder etwas flacher wird.

Doch wird man für die Mühen reichlich belohnt. Dort beginnt nämlich der vielleicht spektakulärste Teil der gesamten Strecke. Der Weg verläuft nun genau dort, wo die sanft gewellte Hochfläche in den wesentlich steileren Abhang übergeht, mit dem der Bergrücken auf der Ostseite zum Tal des "Västerdalälven" hinunter fällt. So sind die Ausblicke über die Landschaft Dalarnas noch weitaus imposanter als bei der Überquerung von "Östfjället".

Ungefähr drei Kilometer läuft man in der Folge ohne größere Höhenunterschiede auf einem lang gestreckten Kamm entlang. Doch auch dieser Abschnitt ist keineswegs einfach. Denn die Wegverhältnisse sind zumindest aus subjektiver Sicht die vielleicht schlechtesten bisher. Häufig hat man auf den tief eingegrabenen und von Längsrillen durchzogenen Pfaden wirklich nur noch die Wahl zwischen groben Felsbrocken oder tiefem Matsch.

Und wo es Holzbohlenwege gibt, stehen diese regelmäßig so tief unter Wasser, dass man nach - allerdings nicht immer zu findenden - Alternativen Ausschau hält. Dass diese dann im Zweifelsfall mitten durchs Gelände führen und meist auch nicht viel trockener ausfallen, steht auf einem anderen Blatt. Wem es bis zu diesem Punkt tatsächlich gelungen war, Nässe und Dreck auszuweichen, muss spätestens jetzt den Versuch aufgeben, mit sauberen Schuhen zurück nach Hause zu kommen.

Dieser Streckenabschnitt ist der wohl spektakulärste im gesamten Rennverlauf

Im Gegensatz zu den ersten Begegnungen lässt sich beim Lauf über die "vandringsleder" kaum noch echte Freude empfinden, sie werden inzwischen viel eher zu einer echten Tortur. Da ist man ist schon froh, als bei Kilometer sechsunddreißig beim Aufstieg zum Hemfjäll in kürzester Zeit noch einmal fünfzig Höhenmeter erklettert werden müssen. Schließlich kann man nun zumindest in den mittleren und hinteren Regionen des Feldes ohne schlechtes Gewissen in den Gehschritt verfallen.

In knallgelbem Trikot und ebenso greller Kappe marschiert Johan Stern die im Vergleich zum Rest der Strecke relativ steile Rampe empor. Nachdem man sich zuvor schon einige Male gegenseitig überholt hatte, kommt man nun miteinander ins Gespräch. Wie im Norden eigentlich vollkommen normal wird es auf Englisch geführt, auf das fast alle Skandinavier sofort hinüber wechseln, wenn man sich als "Tyska" zu erkennen gibt, der nur "lite Svenska" spricht.

Wie Niklas Vangstad nennt Stern ebenfalls Stockholm als seinen Herkunftsort. Doch auch bei ihm zeigt die Ergebnisliste später, dass es sich in Wahrheit um eine der Vorortgemeinden namens "Nacka" handelt. Im Gegensatz zum Mann aus dem genau auf der anderen Seite der Hauptstadt gelegenen Sollentuna hat Johan allerdings den im Juni veranstaltetet Stockholmer Stadtmarathon bereits absolviert. Gleich mehrere Male ist er zudem nach eigenen Aussagen schon beim Klassiker in Lidingö dabei gewesen.

Und auch von seinem Start beim New York Marathon im Vorjahr erzählt Johan. Nun sei es sein Traum, einmal in Hongkong zu laufen. Die Vermutung, dass dies eventuell mit seinem Stammbaum zu tun hat, scheint nicht völlig abwegig. Denn obwohl er einen recht skandinavisch klingenden Namen führt, würde man ihm wohl kaum die Filmrolle eines Wikingers anbieten. Ein gewisser asiatischer Einschlag lässt sich in seinen Gesichtszügen nämlich nicht verleugnen.

Die relativ steile Rampe, die sich sechs Kilometer vor dem Ziel noch einmal vor den Läufern aufbaut, überwindet Johan Stern wie so viele andere auch nur noch im Gehschritt

Oben auf dem Hemfjäll wartet am höchsten Punkt bei fast neunhundert Metern über dem Meer eine ziemlich in der nun völlig offenen Landschaft ziemlich einsam wirkende Verpflegungsstelle. Bei schönem Wetter ist der Ausblick von dort oben natürlich phantastisch. Die Vorstellung, in dieser exponierten Lage als Helfer bei Regen, Kälte und Wind stundenlang Getränke an die Läufer ausgeben zu müssen, ist allerdings weit weniger gemütlich.

Danach senkt sich die Laufstrecke bald wieder ab. Nur noch fünf Kilometer hat sie schließlich, um zum mehr als dreihundert Höhenmeter weiter unten gelegenen Ziel in Lindvallen zu kommen. Doch wird das Gefälle recht schnell schwächer. Und nachdem man einen weiteren kleinen See passiert hat, folgen erste kleine Gegensteigungen. Zwar trifft man im Fjäll auf viele dieser kleinen Wasserflächen. Aber der "Stensjö" ist dann doch ziemlich außergewöhnlich.

Denn viele Dutzend - wenn nicht sogar Hunderte - Steinmännchen hat man um ihn herum und sogar mitten in ihm errichtet. Wie in den Alpen sind diese aus Felsbrocken aufgeschichteten Haufen in Skandinavien sowohl als Wegmarken als auch als sogenannte "Topprösen" auf den höchsten Punkten von Bergen üblich. Am "Steinsee" erfüllen sie allerdings keinen tieferen Sinn und sind nur eine Art Dekoration.

Deswegen bietet sich dieser seltsame Weiher zum Beispiel als Ziel von Familienwanderungen an. Der Weg, der ihn mit dem Skigebiet verbindet, das den Marathonis als nächstes Zwischenziel dient, ist schließlich nun auch wieder deutlich besser ausgebaut. Zu glauben, man können ihn ganz ohne Balanceübungen über die wackligen Bretter von Bohlenwegen und die Gefahr, sich nasse Füße zu holen, entlang spazieren, wäre dann allerdings doch ein wenig zu vermessen.

Der "Stensjö" mit seinen vielen Dutzenden - wenn nicht sogar Hunderten - von Steinmännchen bildet das nächste Zwischenziel ... … bevor an der schon bekannten Liftstation der kurze, aber extrem steile Abstieg hinunter nach Sälen beginnt

Die Strecke hinüber zur schon bekannten Bergstation zieht sich jedoch ziemlich in die Länge. Fast zwei Kilometer muss man vom See noch laufen, bis man sie erreicht. Längst ist in diesem Moment das Schild mit der "39" passiert, was für den Schluss des Rennens nicht gerade zuversichtlich stimmt. Obwohl es zwischendurch immer wieder einmal leicht bergab gegangen war, muss man auf den bis zum Ziel verbleibenden zweieinhalb Kilometern schließlich noch immer weit über zweihundert Höhenmeter hinunter.

Tatsächlich stürzt die Schotterpiste, auf der man den Abstieg in Angriff nimmt, vom oberen Ende des Skilifts keineswegs sanft und mit zweistelligen Prozentwerten ins Tal hinunter. Es ist - ganz egal ob Gefälle oder Steigung - der mit Abstand steilste Teil der gesamten Strecke. Und was selbst mit frischen Beinen nicht unbedingt ein Vergnügen wäre, tut mit von vierzig schweren Kilometern ziemlich ermüdeten Muskeln eigentlich nur noch weh.

Nach einer richtungsumkehrenden Serpentine am Hang schwenkt der Weg mit seiner zweiten Kurve sogar zum Abschluss sogar in die direkte Falllinie ein, um neben einer der in den Wald hinein geschlagenen Skiabfahrten den Häusern entgegen zu eilen. Schon mit Kilometer einundvierzig ist man so bei der Talstation des Liftes anzukommen, dem man erst wenige Minuten zuvor noch deutlich weiter oben begegnet war.

Beschränkt man sich nur den optischen Aspekt, ist es aber vielleicht gar nicht einmal so schlecht, dass man erst so spät - nimmt man auch den Bereich auf dem "Berg" hinzu, sind es gerade einmal die letzen vier Kilometer - wieder in den Bereich des Skigebietes kommt. Schließlich stellen die vielen sich den Hang entlang ziehenden Pisten und Lifte doch einen deutlichen Bruch zum nur von wenigen Trampelpfaden erschlossenen Fjäll dar. Eigentlich lässt sich ohnehin nur wenig finden, was trostloser sein könnte als eine Wintersportanlage im Sommer.

Der Schlussteil des Rennens führt erneut durch die bunt gestrichene Ferienhaus-Gruppe, die man schon am Anfang passiert hat

Im Auslauf des Abfahrt warnen große Schilder die Marathonis vor Radlern und umgekehrt. Denn man muss eine Piste kreuzen, auf der sich Downhill-Spezialisten mit Integralhelmen, Knie- und Ellenbogenschonern eine eigens für sie angelegte Slalomstrecke noch viel wilder zu Tal stürzen, als es die schnellsten Läufer jemals tun könnten. Allerdings haben sie sich mit großer Wahrscheinlichkeit den Berg nicht einmal aus eigener Kraft erarbeitet sondern sich per Seilbahn hinauf bringen lassen.

Nachdem man den Parkplatz am Fuß der Lifte überquert hat, windet sich der Marathonkurs etwas oberhalb der Wege und Straßen, über die man aus Lindvallen hinaus gelaufen ist, zwischen den Holzhäusern entlang. Auf seinem letzten Kilometer geht es dabei nun auch nicht mehr nur bergab. Vielmehr muss man zwischendurch auch an der einen oder anderen Bodenwelle noch einmal einige Meter nach oben.

Erst kurz vor dem Ziel trifft man an den bunt gestrichenen Häusern, die man gleich nach dem Start passiert hatte, auf schon bekannte Pfade. Eine letzte kurze, aber steile Abwärtsrampe bringt die Läufer zu ihnen hinunter. Von dort hat man, wie die kleine Tafel am Streckenrand verkündet, noch "250 m" bis zum "mål". Gleichzeitig registrieren die über den Weg verlaufenden Kabel den jeweiligen Chip. Diese "förvarning" ermöglicht es den Sprechern fast jeden Teilnehmer persönlich zu begrüßen.

Noch etwa zwei Dutzend Halbmarathonläufer sind unterwegs, als sie mit Erik Anfält von Örebro AIK bereits den Schnellsten auf der doppelt so langen Distanz feiern können. Mit einer Zeit von 2:51:28 kann dieser dabei nicht nur seinen Vorjahressieg wiederholen sondern außerdem die damalige Leistung noch einmal um ziemlich genau drei Minuten verbessern und nur dreiundzwanzig Minuten über dem eigenen Hausrekord auf einer flachen Strecke bleiben.

Mit nahezu ebenem Asphalt unter den Füßen kann man zumindest die letzten Meter wieder einigermaßen locker laufen

Auf Rang zwei folgt in 2:55:05 ein weiterer Sportler von IFK Lidingö SOK. Und auch der Dritte im Bunde der Insel-Orientierungsläufer ist kein Schwede. Giancarlo Simion stammt, wie sein Name schon vermuten lässt, aus Italien, für das er zumindest bei den Junioren ebenfalls schon an Weltmeisterschaften teilgenommen hat. Dass auch bei David Kasselstrand, der in 3:09:05 Dritter wird, im Verein "Gamleby OK" das entsprechende Kürzel auftaucht, ist ein weiteres Indiz dafür, wie sehr das unebene Sälener Geläuf den Querfeldeinspezialisten entgegen zu kommen scheint.

Für den vierten Streckenrekord im vierten Wettbewerb sorgt nach 3:32:13 Sofie Johansson. Sie kennt das Gefühl, in Sälen ganz oben zu stehen, ebenfalls bereits von der Premiere. Da sie als Schwedin für den Namdal løpeklubb aus Norwegen läuft, bildet sie außerdem - wenn auch mit genau umgekehrten Vorzeichen - die Entsprechung zum Ersten auf der Halbdistanz Øystein Kvaal Østerbø. Dass übrigens auch sie eigentlich aus dem Lager der Orientierungsläufer stammt, überrascht nun wirklich niemanden mehr.

Bevor Malin Fyhr in 3:40:53 als Zweite der zweiundvierzig Marathonfrauen - was einer Quote von weit mehr als zwanzig Prozent entspricht und hierzulande nur von Berlin überboten werden kann - über die Linie läuft, sind beinahe neun Minuten vergangen. Und Hanna Smedstad auf Platz drei lässt anschließend noch einmal genau so lange auf sich warten. Denn für sie wird von den Zeitnehmern im Ziel eine 3:50:19 notiert.

Die Heimatorte der beiden zeigen erneut, wie sehr die Laufszene in Schweden auf einen solchen Naturlauf durch die einzigartige Landschaft der skandinavischen Berge gewartet zu haben scheint. Denn sie heißen "Uppsala" sowie "Bräkne-Hoby" und sind mehr als dreihundert bzw. sogar über sechshundert Kilometer von Sälen entfernt. Der Fjällmaraton ist eindeutig weit mehr als nur eine regionale Angelegenheit und wirkt weit über Dalarna hinaus als Anziehungspunkt.

Recht ungewöhnlich ist die Medaille, die man als Belohnung für die Anstrengungen im Ziel erhält, sie ist nämlich nicht aus Metall sondern aus Leder gefertigt
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Doch so weit verteilt die Heimatorte der schwedischen Teilnehmer auch sein mögen, international bekommt das Rennen bisher leider kaum Beachtung geschenkt. Man darf dies zwar durchaus als ein wenig unverdient bezeichnen. Aber so schnell wird der Fjällmaraton von Sälen seine Position als ziemlich geheimer Geheimtipp für absolute Skandinavien-Liebhaber vermutlich nicht abschütteln können.

Dabei kann die Veranstaltung neben einer schon bei der zweiten Auflage vollkommen routiniert wirkenden Organisation eben auch dem erfahrensten Bergläufer aus Mitteleuropa neue und völlig andere Eindrücke bieten. Wer sich in die nordische Wildnis begeben möchte, sollte allerdings auf keinen Fall Angst vor nassen Füßen oder wackligen Brettern haben. Diese gehören schließlich zum Naturerlebnis im Fjäll einfach dazu.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Info & Ergebnisse www.fjallmaratonsalen.se

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