19.10.08 - 25. Reims Marathon

Reims für alle Beine

von Ralf Klink

Wenn in Europa bei einem Marathon der Streckenrekord auf 2:07:53 verbessert wird und gleich fünf Läufer unter 2:10 ins Ziel kommen, sollte man eigentlich annehmen, dass es sich dabei um eine größere und international bekannte Veranstaltung handelt. Doch Hand aufs Herz, wer hat hierzulande schon einmal vom Marathon in Reims gehört.

Die wenigsten werden ja wissen, wo Reims überhaupt liegt. Okay, Frankreich. So weit kann man noch kommen. Aber dann wird es doch schon etwas schwerer, die Zweihunderttausend-Einwohner-Stadt genauer auf der Landkarte zu lokalisieren. Nun, Reims entdeckt man gut hundert Kilometer östlich von Paris direkt an den in Richtung Deutschland führenden Auto- und Eisenbahntrassen.

Und Reims befindet sich mitten in der Champagne, jener Landschaft, die dem weltweit als Luxusgetränk geltenden Schaumwein den Namen gab. Denn nur in der Champagne darf auch Champagner erzeugt werden. Der Name ist geschützt. Alle sonstigen nach der "méthode champenoise" - auch diesen Begriff dürfen die anderen nicht mehr benutzen - in der Flasche gegärten Sekte heißen in Frankreich "Crémant".

Wer jetzt allerdings überall in der Region riesige Rebflächen erwartet, sieht sich ein wenig getäuscht. Denn nur ein kleiner Teil der Gegend ist wirklich vom Weinbau geprägt. In weniger als einem Fünftel aller Gemeinden gibt es überhaupt Winzer. Und nicht einmal auf zwei Prozent der Champagne wachsen tatsächlich Trauben. Hauptsächlich bestimmen dagegen weite Acker- und Weideflächen das Bild des ziemlich unspektakulären Hügellandes.

Die Lage von Reims ist dazu passend genauso wenig spektakulär. Die wichtigste und größte Stadt der Region - allerdings nicht die Hauptstadt, das ist Chalons-en-Champagne - breitet sich in einer weiten Ebene entlang des eher kleinen Flüsschens Vesle aus. Das nach ihr benannte Mittelgebirge "Montagne de Reims" - angesichts einer maximalen Höhe von nicht einmal dreihundert Metern eine fast schon übertriebene Bezeichnung - beginnt sich erst rund zehn Kilometer von der Stadt entfernt aus der Landschaft zu erheben. Hier wachsen dann auch die Trauben für den in Reims hergestellten Champagner.

Schon der Weg, den das Wasser des Vesle bis zum Meer nimmt, zeigt ihre eher geringe Bedeutung. Denn sie mündet in die Aisne, die wiederum in die Oise und diese dann in die Seine, die schließlich den Ärmelkanal und damit das Meer erreicht. Schiffbar ist der teilweise nur wenige Meter breite Fluss nicht. Dafür gibt es den Canal de l'Aisne à la Marne. Und diesem Kanal wird man in Laufe des Marathons immer wieder begegnen. Ungefähr ein Drittel der Strecke wird er Begleiter der Läufer auf der langen Strecke sein.

Am Marathon-Startplatz vor der Kathedrale Palais de Justice Startvorbereitung auf französisch

Denn nicht nur ein Marathon wird an diesem Tag in Reims ausgetragen. Auch ein Halbmarathon und ein Zehner, eine Schülerstaffel und ein Jugendrennen finden im Rahmen der Großveranstaltung statt. Und wie anderswo auch ist die eigentliche Hauptstrecke teilnehmermäßig längst zum Rahmenprogramm mutiert. Trotz eines insgesamt fünfstelligen Anmeldeergebnisses kommt man auf der Königsdistanz gerade einmal mit Mühe und Not über die Marke von tausend Zieleinläufen.

Grob gesprochen führt die Verdoppelung der Streckenlänge in Reims jeweils zur Halbierung der Teilnehmerzahl. Den 1031 Marathonis des Jahres 2008 stehen nämlich 2412 Halbdistanzler und sogar 4044 Läufer über 10 km gegenüber. In Frankreich lässt sich also zumindest an Einzelbeispielen ebenfalls die hierzulande bekannte Entwicklung beobachten.

Allerdings nennt man die seit einem Vierteljahrhundert bestehende Veranstaltung in der Metropole der Champagne inzwischen in fast schon bemerkenswerter Ehrlichkeit auch nicht mehr "Marathon de Reims". Das ganze heißt ein wenig bescheidener "Reims à toutes jambes". Ein nettes Wortspiel, denn diese Redewendung kann eben nicht nur "für alle Beine", "auf allen Beinen" oder "mit allen Beinen" sondern im übertragenden Sinne ungefähr auch noch "so schnell wie möglich" bedeuten.

Und fast den ganzen Sonntag über wird in der Stadt dann auch Bewegung sein. Denn jede Distanz hat eine eigene Startzeit, wobei die kürzeste Strecke der Erwachsenen, also der Zehner um 9:25 den Anfang macht. Der Halbmarathon folgt dann um 10:05 und die Marathonis gehen erst um 10:35 auf ihre lange Reise.

Eine absolut saubere Trennung der Felder, bei der selbst die Schnellsten eigentlich keine Chance haben, den Schwanz der vor ihnen gestarteten Meute noch zu erreichen. Das Durchkämpfen zwischen langsameren Pulks entfällt. Und alle Sieger können, ohne dabei in der Masse eines anderen Laufes unterzugehen, am "Parc des Expositions" den ihnen gebührenden Applaus erhalten.

Das außerhalb des eigentlichen Stadtkerns in einem Gewerbegebiet am östlichen Rand gelegene Messezentrum bietet den Organisatoren eine nahezu ideale Logistik. Mehrere Hallen geben Raum für Startnummernausgabe, Umkleiden, Kleiderbeutelaufbewahrung, sowie einen Verpflegungsbereich und Duschen nach dem Lauf. Auch andere Veranstalter nutzen ja gerne die in ihrer Stadt vorhandenen Ausstellungsgebäude.

Doch natürlich gerät man, was den Einlauf betrifft, damit genau in jenen Zwiespalt zwischen repräsentativ und praktisch, vor dem man als Ausrichter eines Marathons meist steht. Denn ein Ziel auf dem Hof eines Messegelände - so geeignet es auch immer sein mag - hat eben doch nicht den gleichen Charakter, als wenn man die letzten Meter mitten im Zentrum der Stadt zurücklegen kann.

Parkplätze für Autos gibt es außerhalb jedenfalls erheblich mehr. Und das hat durchaus seine Wichtigkeit, denn das öffentliche Nah- und Fernverkehrsnetz ist im weitläufigen Frankreich deutlich weniger dicht geknüpft als im deutschsprachigen Raum. Die Franzosen bevorzugen jedenfalls zumeist das eigene Auto.

Und irgendwie entspricht es schon ein wenig dem Klischee vom wilden französischen Fahrstil, wenn man die leicht chaotischen Verhältnisse bei der Parkplatzsuche am Wettkampftag erlebt. Abstellflächen gäbe es ja um den Parc des Expositions und auf den umliegenden Firmenarealen genug. Die eher wenigen und schmalen Straßen sind allerdings kaum geeignet, die nahezu gleichzeitig anrollenden Hundertschaften von Fahrzeugen aufzunehmen. Zumal einige Zufahrten auch schon für die Rennen gesperrt sind.

Jedenfalls sind am Ende sämtliche Grünstreifen und Bürgersteige in weitem Umkreis zugeparkt. Aber es geht irgendwie, jeder findet schließlich doch ein Plätzchen. Und die durchaus anwesende Polizei drückt bei Nichtbeachtung von Halteverboten an diesem Tag halt nicht nur ein sondern gleich beide Augen zu.

Während die große Masse der über zehn Kilometer antretenden Läufer sich an diesem klaren aber noch ziemlich kühlen Morgen schon zum Start begibt, tröpfeln die Marathonis langsam bei den im Hof stehenden Bussen ein. Denn währen die kurzen Distanzen in einer Nebenstraße des Messegeländes auf den Weg geschickt werden, haben die Rémois - wie die Bewohner der Stadt heißen - zumindest für den Start des Marathons dann nämlich doch die repräsentative Variante gewählt.

Am Marathon-Startplatz vor der Kathedrale - nun geht´s bald los

Als ob der Aufwand von so vielen verschiedenen Rennen und den dazu gehörenden unterschiedlichen Strecken, die sich zum Teil überlappen, mal ineinander und auch mal wieder auseinander laufen, um zumindest am Ende dann doch alle an der Messe anzukommen, nicht schon groß genug wäre, lässt man den Marathon auch noch von Punkt zu Punkt laufen.

Dass man damit natürlich weiteren logistischen Aufwand produziert, wird dadurch etwas gemildert, dass die Stadt selbst mit ihrer Verwaltung voll in die Organisation integriert ist und sogar als Ausrichter auftritt. Vielleicht ist auch gerade deshalb das Startgeld mit 26 Euro für einen Stadtmarathon wirklich überraschend niedrig. Die Probleme, die andere Veranstalter mit komplizierten Genehmigungsverfahren haben, dürften hier jedenfalls ziemlich entfallen.

Einige kleine Details lassen auch erkennen, dass das örtliche Tourismusbüro im Vorfeld mit eingebunden war. Denn dass den Startunterlagen für den deutschen Gast ein Faltplan von Reims ausgerechnet in der deutschen Variante beigelegt wurde, hat sicher durchaus etwas mit Absicht zu tun.

Auch die Internetseite von "Reims à toutes jambes" bietet zumindest alle wichtigen Informationen auf deutsch. In einem guten Deutsch wohlgemerkt. Und nicht in jener weit verbreiteten Art von Übersetzungen Wort für Wort, bei denen sich vor Grausen oft die Fußnägel kringeln und die manchmal zu wirklich wilden Stilblüten führen. Da werden dann aus "trois tours" zum Beispiel durchaus auch gerne einmal "drei Drehungen" anstelle von "drei Runden".

Hier muss man jedenfalls nicht wie bei vielen anderen Marathon-Homepages weltweit auf die Originalsprache, die man, selbst wenn man sie gar nicht richtig beherrscht, trotzdem oft besser versteht, oder zumindest die oft nicht ganz so schlimme englische Version zurückgreifen. Die Rémois geben sich wirklich alle Mühe, um ausländische Gäste anzulocken. Großen Erfolg haben sie damit allerdings nicht.

Ob es an der ein wenig abschreckenden Vorgabe für ein ärztliches Gesundheitszeugnis liegt, das von allen verlangt wird, die keine "licence" des französischen Leichtathletikverbandes besitzen? Die Veranstalter können dafür eigentlich gar nichts. Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Regelung, die im Zuge des staatlichen Eingreifens in die Dopingskandale der Tour de France entstanden ist.

Und ganz so drastisch, wie es sich im ersten Moment liest, wird es dann auch nicht gehandhabt. Selbst wenn der deutsche DLV-Startpass nicht jedes Jahr neu beantragt werden muss, wie es bei der Lizenzierung in Frankreich Pflicht ist, genügt er in der Regel voll und ganz.

Dennoch übersteigt die Zahl der Kenianer, die in Reims antreten, die der Deutschen deutlich. Alleine beim Marathon sind allerdings auch gleich rund zwei Dutzend Läufer aus dem afrikanischen Hochland dabei. Zum Jubiläum - im Jahr 2008 findet die fünfundzwanzigste Auflage statt - hat man nicht gekleckert sondern richtig geklotzt. Denn etliche dieser Ostafrikaner können zudem auf Zeiten unter 2:10 verweisen. Der Streckenrekord sollte doch bitteschön schon fallen.

Dabei liest sich die Siegerliste von Reims ohnehin nicht schlecht. Bekannte Namen wie der Pole Leszek Beblo tauchen da auf. Oder auch der französische Haudegen Dominique Chauvelier. Damit nicht genug, man findet zum Beispiel in der Aufreihung auch Vanderlei de Lima. Jener Brasilianer, der bei den Olympischen Spielen in Athen Dritter wurde und vor allem durch die Attacke des verwirrten Iren auf ihn noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Und außerdem lassen sich darin auch noch ein ehemaliger und ein aktueller Europarekordler finden. 1993 gewann in Reims der Belgier Vincent Rousseau, der zwei Jahre später in Berlin mit 2:07:20 so schnell war wie noch kein Europäer vor ihm.

Erste Begegnung Halbmarathon (unten) - Marathon (oben) nach 2 Kilometern Mairie von Cormontreuil nach vier Kilometern Auf Staffel wartende Kinder bei Kilometer sechs

Und im Jahr 2000 stand Benoit Zwierzchiewski in der Metropole der Champagne ganz oben. Der Franzose "Benoit Z.", wie er wegen seines nicht nur für seine Landsleute nahezu unaussprechlichen Nachnamens im allgemeinen genannt wird, egalisierte dann 2003 in Paris exakt die 2:06:36, die der Portugiese Antonio Pinto drei Jahre zuvor in London hingelegt hatte.

Nicht ganz so spektakulär ist die Liste bei den Frauen. Doch auch von den beiden ebenfalls bereits in der französischen Hauptstadt erfolgreichen Judit Nagy und Beatrice Omwanza haben Interessierte sicher schon gehört. Die in den letzten beiden Jahre im Reims siegende Kenianerin Martha Komu tat es ihnen 2008 nach und belegte zudem bei Olympia Rang fünf.

Auch wenn man nicht unbedingt mit Masse aufwarten kann, Klasse bot der Marathon von Reims in dem knappen Vierteljahrhundert seines Bestehens jedenfalls ziemlich oft. Und nicht selten bewiesen die für die Top-Athleten Verantwortlichen mit der Verpflichtung späterer Stars ein ziemlich gutes Händchen.

Nur wenige Meter von der Kathedrale entfernt halten die Busse. Für den Start haben sich die Streckenplaner nun wirklich die absolut wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt ausgesucht. Notre-Dame de Reims zählt nicht nur aus architektonischem Blickwinkel zu den bedeutendsten gotischen Kirchen des Landes. Jahrhunderte lang wurden in ihr auch die französischen Könige gekrönt. Auf der UNESCO-Liste des "patrimoine mondial" ist sie jedenfalls schon fast so lange verzeichnet, wie um sie herum Marathon gelaufen wird.

Direkt mit der reich, ja fast übermäßig durch Skulpturen verzierten Hauptfront im Rücken wird gestartet. Ein perfektes Bild für die Fotografen, denen die massigen Türme der Kathedrale einen nahezu idealen Hintergrund liefern. Dass die ursprünglich geplanten Turmspitzen nie verwirklicht wurden, ist dabei eher von Vorteil. Denn wenn die Kirche statt 80 über 120 Meter hoch wäre, müsste man sich schon ganz schön verbiegen, um alles auf einmal ins Objektiv zu bekommen.

Dass sie dieses Weltkulturerbe aber überhaupt knipsen können, ist nicht vollkommen selbstverständlich. Denn im Ersten Weltkrieg wurde die Kathedrale tagelang von deutscher Artillerie beschossen, dadurch in Brand gesetzt und schwer beschädigt. Militärisch absolut wertlos, aber natürlich dennoch nicht ganz unbeabsichtigt. Auch der Rest der Stadt bekam einiges ab. Mehr als die Hälfte aller Gebäude war schließlich zerstört.

Direkt vor Reims waren die Truppenbewegungen zum Halten gekommen. Deutsche und Franzosen hatten sich an der Front eingegraben und lagen sich dann jahrelang in immer besser ausgebauten Stellungen gegenüber. Quer durch die ganze Champagne zog ein dichtes Bunker- und Grabensystem, in dem bei sinnlosen Angriffen Hunderttausende verbluteten.

Nach Ende des ersten großen Krieges wurde zwanzig Jahre am Neuaufbau der Bischofskirche gearbeitet. Und kaum war sie 1938 wieder eingeweiht, schossen Deutsche und Franzosen erneut aufeinander. Diesmal kam die Stadt zwar deutlich besser weg, doch dafür wurde in ihr das Ende der Auseinandersetzung, die am Ende einen noch viel, viel höheren Blutzoll gefordert hatte, besiegelt. Im alliierten Hauptquartier vom Reims wurde nämlich am 7. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutsche Wehrmacht unterzeichnet.

Die Zeiten haben sich erfreulicherweise ziemlich geändert. Inzwischen gibt es kaum noch eine französische Stadt, die nicht mit einer deutschen Partnergemeinde verschwistert wäre. Reims ist es zum Beispiel mit Aachen, wo es ja ebenfalls einen auf der Welterbeliste stehenden Dom gibt.

Ein wenig frostig ist es schon noch, selbst wenn die Sonne den Morgennebel endgültig verjagt hat. Und so halten sich die meisten Marathonis dann doch möglichst lange auf dem sonnenbeschienenen Platz vor der Kathedrale auf. Die schattige Startstraße ist unter diesen Bedingungen jedenfalls deutlich weniger anziehend. Im positiven Bereich mögen die Temperaturen sein, zweistellig sind sie bei weitem noch nicht.

Die Zehner haben zu diesem Zeitpunkt ihr Rennen allerdings größtenteils schon hinter sich. Und schlecht können die Bedingungen für sie nicht sein. Denn Simon Munyutu, der zwar einen afrikanischen Namen, seit einiger Zeit aber einen französischen Pass hat, knallt eine 29:56 auf den Asphalt. Der gebürtige Kenianer vertrat seine neuen Farben bereits beim Marathon in Peking.

Über Vesle nach etwa acht Kilometern in Taissy In Saint-Leonard nach gut acht Kilometern

Sylvain Pohu und Florent Paroli laufen da trotz 32:26 und 33:05 bereits in einer ganz anderen Liga. Juniorin Mathilde Belin hat mit ebenfalls recht überzeugenden 36:48 sogar einen noch größeren Vorsprung vor Delphine Bollot (40:21) und Virginie Meslin (41:17).

Die auf ihren Start wartenden Marathonis bekommen von all dem nichts mit. Denn die kurze Strecke gelangt nicht einmal in die Nähe der Kathedrale. Von der Messe wären es ohnehin schon knappe fünf Kilometer bis zu diesem Platz. Doch schon ein Stück zuvor dreht der Kurs ab, führt über einer Wendeschleife und dann wieder zurück zum Parc des Expositions.

Diese Streckenführung kann man auf dem Plan sogar noch ohne größere Probleme nachvollziehen. Die einzige Frage ist, ob die Schleife links- oder rechtsherum gelaufen wird. Beim Halbmarathon sieht das schon ein wenig komplizierter aus. Denn neben einer Runde um die Innenstadt gibt es da auch noch einen Schlenker auf die andere Seite des Ausstellungsgeländes.

Und bei der Streckenkarte des Marathons muss man dann endgültig kapitulieren. Denn aus einem regelrechten Netz von roten Linien lässt sich irgendwie überhaupt kein System herauslesen. Eine durchgängige Schleife, die all diese Stücke zu einem Ganzen zusammen fügen könnte, bekommt man so richtig nicht zusammen.

Doch es gibt sie natürlich. Der Plan stimmt. Allerdings ist der Knoten wirklich nur mittels der kleinen bunten Pfeile, die zumindest die bei der Startnummernausgabe ausgehängte große Karte zieren, zu entwirren. Da werden einige Streckenteile nämlich einfach, etliche zweifach und manche sogar dreifach absolviert. Da läuft man die Runde einmal mit dem und einmal gegen den Uhrzeigersinn. Und eine Straße passiert man sogar viermal, dreimal davon allerdings in der selben Richtung.

Doch wenn man das ganze Streckengewirr erst einmal durchschaut hat, ist es auf einmal gar nicht so unlogisch, wie man zuerst meinen konnte. Unterschiedliche Farben für die verschiedenen Distanzen, die sich überall durchziehen, sorgen zudem für bessere Orientierung. Da wird nämlich grundsätzlich immer mit grün verwendet, wenn sich etwas auf den Zehner bezieht. Dem Halbmarathon ist dagegen rot zugeordnet.

Und nicht nur auf der Internetseite wird für den Marathon durchgängig mit blau gearbeitet. Auch Startnummern und Kilometermarkierungen sind in dieser Farbe gehalten. Hoch über der Straße flattern die meist an einer Laterne befestigten blauen bzw. roten und grünen Fahnen mit den Zahlen als ungefährer Anhaltpunkt. Der gleichfarbige Strich auf dem Boden markiert dann die exakte Stelle, an dem man den nächsten Tausender beendet hat.

Als die Marathonis die blaue "1" erreichen, haben sie den eigentlichen Stadtkern schon verlassen und laufen zum ersten Mal am Kanal entlang. Und zwar gleich einmal auf das Messegelände zu. Denn die Schleife führt am Anfang aus Reims hinaus und kehrt erst nach einem Dutzend Kilometern in die Nähe des Zentrums zurück.

Es herrscht Linksverkehr. Und auf der Gegenspur schwillt der Strom der Halbmarathonläufer, die inzwischen das erste Viertel ihrer Distanz bewältigt haben und nun ihrerseits auf die Stadt zusteuern, immer stärker an. Die Schnellsten sind auf diesem Begegnungsstück zwar schon durch, das Hauptfeld kommt dort drüben aber gerade erst.

Etwa einen Kilometer lang kann man die entgegen kommende Läufermasse beobachten, dann schwenkt man über sie hinweg. Eine Brückenrampe bringt den noch einigermaßen dichten Marathonpulk nach oben, während der bisherige Gegenverkehr die untere Variante nutzen muss.

Über den Canal de l'Aisne à la Marne hinweg führt die Brücke und damit der Kurs. Und wenig später unter der parallel zum Wasserweg mitten durch die Stadt schneidenden Autobahn hindurch. Ein typischer Vorort nimmt die Läufer auf. Wenig besonderes, völlig unspektakulär. Wohnhäuser unterschiedlicher Größe, ein wenig Kleingewerbe, dann mal wieder ein paar Gärten. Der größte Teil der Strecke wird später einen ähnlichen Charakter haben.

Zweite Begegnung Halbmarathon - Marathon nach 14 Kilometern Kapelle der École St. Joseph bei km 15 Begegnung der Spitzengruppe bei Kilometer 21 (bzw. km 33)

Ein Ortsschild mit der Aufschrift "Cormontreuil" zeigt an, dass man Reims gerade verlassen und die Nachbargemeinde erreicht hat. Eine wirkliche Grenze ist jedoch nicht zu erkennen. Die beiden gehen einfach ineinander über, sind längst vollkommen miteinander verwachsen. Nur die nach etwa fünf Kilometern passierte, blumen- und fahnengeschmückte "Mairie", die Bürgermeisterei, deutet darauf hin, dass man hier seine Selbstständigkeit behauptet hat und noch nicht von der Großstadt geschluckt wurde, auch wenn man mit ihr im Verband "Reims Metropole" eng zusammen arbeitet.

Der Übergang nach Taissy, einem weiteren Dorf im Umland, ist zwar schon ein kleines bisschen deutlicher. Ein großer Kreisel und eine Brücke über die Autobahn grenzen es von Cormontreuil doch etwas ab. Doch wirklich "über Land" kommt man auch hier nicht.

Dutzende Kinderhände recken sich den Marathonis entgegen, als sie am Straßenrand "Taissy" lesen können. Es ist einer der Wechselpunkte der Staffel, bei der sich jeweils 20 Kinder einer Grundschule die lange Strecke aufteilen. Und die letzten beiden Kilometer geht es dann mit allen zusammen dem Ziel entgegen.

Während sie darauf warten, endlich selbst losrennen zu dürfen, feuern sie vom Straßenrand aus mit großer Begeisterung das Läuferfeld an. Es sind die stimmungsmäßigen Höhepunkte der Strecke. Denn außer an ein paar strategisch günstigen Kreuzungen, die gleich mehrfach angesteuert werden und an denen sich die übliche Begleiterschar von Freunden und Verwandten einfindet, ist unterwegs meist recht wenig los.

Allerdings ist man in dieser Hinsicht aus Deutschland, wo selbst mittelgroße Marathonrennen oft - wenn auch nicht überall - einiges Publikum anziehen und gelegentlich sogar zu regelrechten Straßenfesten werden, auch ein wenig verwöhnt. Im Ausland sind in der Regel meist doch wesentlich weniger Zuschauer unterwegs. Und manchmal - gerade in südlicheren Gefilden - können Läufer und Helfer sogar froh sein, wenn sie nicht von aufgebrachten Autofahrern wegen der Sperrungen wüst beschimpft werden.

Das ist in Reims zwar kein Problem. Da ist die Abriegelung der durchgängig autofrei gehaltenen Laufstrecke mustergültig geregelt. Und an den paar Stellen, an denen der Straßenverkehr kreuzen kann, sorgen Polizisten für absolute Ordnung und Vorrang für die Marathonis. Doch Menschenmassen stehen eben auch keine an der Seite. Die Einwohner der Stadt akzeptieren den Marathon, aber sie feiern ihn nicht unbedingt. "Reims auf allen Beinen" gilt eben nur für die Läufer.

Überhaupt ist der Charakter dieses Marathons doch ein wenig ein anderer als es deutsche Gäste von Zuhause gewohnt sind. Die Ergebnisliste erinnert jedenfalls an eine Periode, die inzwischen doch schon einen Moment vergangen ist. Die Hälfte des Feldes ist jedenfalls schon deutlich vor 3:45 im Ziel. Nur etwa ein Viertel lässt sich mehr als vier Stunden Zeit. Und länger als fünf Stunden braucht wirklich nur noch ein Dutzend.

Dafür kommen allerdings - selbst wenn man die ostafrikanischen Profis einmal abzieht - noch immer mehr als fünfzig Läufer mit einer zwei vor dem Doppelpunkt ins Ziel. Als letzte die Vierte im Frauenfeld Murielle Brionne, die allerdings nicht auf eigene Rechnung unterwegs ist, sondern als Zugläuferin Dienst tut und diesen Job mit 2:59:57 perfekt erledigt.

Auch die Gruppen dahinter werden durchgängig von Damen geführt. Und zwar von in Frankreich durchaus bekannten Damen. So gibt die französische Meisterin des Jahres 2008 Laurence Klein das Tempo für 3:15 vor. Und die Vizemeisterin Stéphanie Briand trägt die Fahne für die 3:30 über die Strecke.

Bezeichnend dass die letzte Gruppe auf die vier Stunden zusteuert und dahinter keine weiteren Schrittmacher mehr eingesetzt werden. Nicht nur aufgrund der hervorragenden Ergebnisse in der Spitze ist der Marathon von Reims doch eher ein Leistungslauf als ein Breitensportereignis.

Noch eine dritte Gemeinde passiert der Marathon nach guten acht Kilometern. Und zwar nahezu vollständig, denn Saint-Léonard besteht eigentlich nur aus einer einzigen Straße. Keine hundert Einwohner sind in ihm zu Hause, doch eingemeindet wurde es bisher dennoch nicht. Zwischen Vesle und Canal de l'Aisne à la Marne mitten im Grünen gelegen bildet das kleine Dörfchen mit seinen Feldsteinhäusern einen ziemlichen Kontrast zu dem Industriegebiet in das man nach der Kanalüberquerung wenig später hinein läuft.

Begegnung mit der Spitzengruppe bei Kilometer 21 (bzw. km 33)In rot Sieger David Kiyeng, daneben David Kemboi (Vierter)dahinter Vincent Kipruto (Dritter) und Alex Kirui (Fünfter) Gegenverkehr am Canal de l'Aisne à la Marne (km 25 / km 30) Verpflegung am Canal de l'Aisne à la Marne (km 25 / km 30)

Langsam nähert man sich wieder dem Messegelände. Doch zuerst einmal nähert man sich der Zehn-Kilometer-Marke. Und nahezu geschlossen rauscht das große ostafrikanische Kontingent in ungefähr dreißigeinhalb Minuten an diesem Punkt vorbei. Innerhalb von drei, vier Sekunden sind rund zwanzig Mann durch.

John Komen, Vincent Kipruto, David Kemboi, Alex Kirui, Abraham Chelanga, Thomson Cherogony, Philip Biwott, Jonathan Kipkosgei, Duncan Koech, Isaiah Kosgei heißen sie. Oder - um zumindest ein wenig Abwechslung in die kenianischen Armada zu bringen - auch Teshome Gelana und Lemma Debelu aus Äthiopien.

Namen, die wirklich nur den absoluten Experten irgend etwas sagen. Und doch ist nahezu jeder von ihnen für eine 2:10 oder besser gut. Schnell genug um in den Bereich des Streckenrekords zu laufen. Den hält seit dem Vorjahr David Kiyeng mit 2:09:08. Und auch er ist wieder dabei, schwimmt aber zur Zeit noch unauffällig mit der großen Meute durch das doch recht große Gewerbegelände.

Bei weitem nicht so dicht ist die Spitzengruppe bei den Frauen. Hier laufen Agnes Kiprop, Rael Nguriatukei und Susan Kurui aus - wie sollte es eigentlich auch anders sein - Kenia nach 37:16 über die Zwischenzeitmatte. Und damit scheint der Streckenrekord der Russin Alla Zhilayeva, der seit 1995 auf 2:27:38 steht, zu diesem Zeitpunkt schon außer Reichweite zu sein. Dazu hätten die jungen Damen dann doch mehr als zwei Minuten schneller sein müssen.

Die nur eine Lampe von der blauen "11" entfernt hängende rote "4" zeigt, dass vor einiger Zeit hier auch die Halbmarathonläufer auf ihrer Einführungsschleife vorbei gekommen sein müssen. Es geht wieder auf den Stadtkern zu, auch wenn es noch einen Moment dauern wird bis man ihn erreicht.

Links schimmert wieder das Wasser des Canal de l'Aisne à la Marne in der Sonne, die inzwischen doch recht hoch gestiegen ist und die Luft auch deutlich erwärmt hat. Längst herrschen zum Laufen wirklich angenehme, ja fast perfekte Bedingungen.

Und rechts müsste der Parc des Expositions liegen. Ja richtig, kurz darauf kommen auf der Gegenspur die Mitteldistanzler von ihrem Stadtausflug zurück und biegen - aus ihrer Sicht - nach links ab. Nur um direkt danach unter einem Bogen hindurch zu laufen, der in großen Lettern den letzten Kilometer verkündet. Bis sie dort wieder angelangt sind, stehen den Langstrecklern noch annähernd dreißigtausend Meter bevor.

Die schnellsten Halbmarathonis bekommt allerdings keiner mehr zu Gesicht. Selbst für die Marathonspitze sind sie etwas zu flott unterwegs. Schon nach 1:02:02 piepen für Dieudonné Disi aus Ruanda die Chipmatten. Der schon ein Jahr zuvor erfolgreiche Läufer aus dem - in Europa leider hauptsächlich wegen eines Bürgerkriegs bekannten - afrikanischen Kleinstaat muss sich jedoch ganz schön lang machen, um seine kenianischen Konkurrenz abzuhängen.

Samuel Kosgei hat im Ziel gerade einmal drei Sekunden Rückstand. Und auch Alan Ndawa ist mit 1:02:20 nicht unbedingt weit weg. Noch sechs weitere Athleten bleiben unter dreiundsechzig Minuten. Von denen stammt nur der Vierte, der Äthiopier Getnet Dagim nicht aus der Läufernation Nummer eins. Luka Kanda, Leonard Langat, Patrick Kimeli, Patrick Korir und Wilson Kipkogei werden noch von einigen ihrer kenianischen Landsleute gefolgt, bevor mit dem Duathleten Benjamin Grenetier auf Rang fünfzehn in 1:07:11 der beste Franzose ins Ziel kommt.

Sogar noch ein wenig enger ist der Einlauf bei den Frauen, wo sich Gladys Cherono aus Kenia und Shewaye Kebede aus Äthiopien bis zum letzten Meter einen heißen Kampf liefern. Die Kenianerin ist am Ende mit 1:11:42 gerade einmal einen Schritt bzw. eine Sekunde schneller als Kebede.

Und auch die Dritte Elisabeth Chelegat, wenig überraschend ebenfalls aus Kenia kann sich bei ihrer 1:12:42 nicht wirklich ausruhen. Denn mit der Britin Louise Damen (1:12:59) sitzt ihr die an diesem Tag schnellste Europäerin doch ein bisschen im Nacken.

Kurz vor Kilometer fünfzehn verabschiedet sich der Marathonkurs vorerst einmal vom Kanal und dreht an jener bereits auf den Anfangskilometern passierten Kreuzung nach rechts ab, um einen ganz großen Bogen um die Innenstadt zu schlagen.

Unter Kongresszentrum hindurch km 26 Unter Brücke bei km 26 Blick auf die Kathedrale bei km 26

Noch immer herrscht Gegenverkehr. Und das wird - nur abhängig davon wie schnell man ist - auch noch eine ganze Zeit so bleiben. Denn während die Halbmarathonläufer die Runde im Uhrzeigersinn in Angriff genommen haben, gehen die Langstreckler erst einmal gegen den Zeigerlauf über diese Schleife.

Es sind anfangs recht breite Straßen, über die man da geleitet wird, durchaus geeignet auch zwei sich begegnende größere Felder aufzunehmen. Doch führen sie nicht mehr in den Altstadtkern mit seinen doch eher engen Gassen hinein. Nun ist Reims als kleine Großstadt sowieso kein Ort, wo man von Sehendwürdigkeit zu Sehenswürdigkeit spazieren kann. Ein paar interessante Bauwerke gäbe es aber doch noch zu entdecken.

Doch weder den römischen Triumphbogen "Porte de Mars" noch das Hôtel de Ville, das in der Renaissance erbaute Rathaus, bekommt man zu Gesicht. Weder die Place Royale noch die Place du Forum, wo es eine bemerkenswerte halbunterirdische römische Galerie zu bestaunen gibt, wird angesteuert.

Und auch nicht die Basilika Saint-Remi, neben dem Kathedrale und dem daneben liegenden Bischofspalast "Palais du Tau" das dritte auf der UNESCO-Liste verzeichnete Gebäude der Stadt. Außer um Notre-Dame de Reims macht der Marathonkurs um fast alle anderen "monuments" einen großen Bogen. Der Start - oder vielmehr das Warten darauf - wird der optisch eindrucksvollste Moment des ganzen Rennens bleiben.

Es sind hauptsächlich Wohngebiete, durch die man da - auf später auch gelegentlich etwas schmaler werdenden Straßen - läuft. Ab und zu auch einmal ein Bürogebäude oder ein Supermarkt. Und zwar nicht nur von französischen Firmen wie "Carrefour" oder "Casino". Nein, die bekannten Schriftzüge der beiden größten deutschen Discounter mit ihren jeweils vier Buchstaben lasen sich unterwegs ebenfalls entdecken. Auch in dieser Beziehung wächst Europa anscheinend immer enger zusammen.

Kurz vor der Halbzeitmarke - inzwischen hat man den Bogen schon zu mehr als der Hälfte hinter sich und die andere Seite der Stadt erreicht - ist erst einmal Schluss mit möglichem Gegenverkehr. Der Kurs macht einen jener Schlenker, die den Streckenplan auf den ersten Blick so unübersichtlich machen.

Mitten in den Kreis, den man da um den Stadtkern schlägt, hinein führen nun mehrere Kilometer. Eine kleine Runde in der großen Runde. Denn nur eine Querstraße von dem Punkt, an dem man sie verlassen hat, ist man wieder auf der Hauptroute gelandet. Auf dem Rückweg, wenn man an der gleichen Ecke noch einmal vorbei kommt, wird sich das später sehr gut erkennen lassen. Dann entfällt dieser Umweg nämlich und man läuft einfach geradeaus.

Noch immer sind in der afrikanischen Meute, die dem Führungsfahrzeug hinterher jagt, mehr als zwei Dutzend Beine in Bewegung. Und bis auf Teshome Gelana, dem sein später mit einer 2:23 auf Rang siebzehn einlaufender Landsmann Lemma Debelu inzwischen abhanden gekommen ist, sind es nur Kenianer, die nach 1:04:18 den Rekord noch immer voll im Visier haben.

Bei den Frauen ist dagegen schon so etwas wie eine Vorentscheidung gefallen. Denn Agnes Kiprop hat das Tempo deutlich angezogen und mit einer 1:15:49 für die erste Hälfte nun rund zwei Minuten zwischen sich und ihre Verfolgerrinnen gelegt. Und auch Rael Nguriatukei hat Susan Kurui bereits ein Stück hinter sich gelassen.

Nach knapp 25 Kilometern - man ist inzwischen übrigens wieder einmal am Kanal angelangt - sind die Marathonis wieder im Begegnungsverkehr. Und wenig später sind sie auch am fünften Verpflegungspunkt angelangt. Obwohl es sich aufgrund der mehrfach belaufenen Streckenteile durchaus anbieten würde, die Tische an geeigneten Ecken aufzubauen, die dann gleich doppelt oder dreifach angesteuert werden könnten, hält man sich strikt an die offizielle Regelung, die eine Versorgung alle fünf Kilometer vorsieht.

Allerdings ist man in dieser Hinsicht beim französischen Verband ohnehin immer etwas penibler. Und so kann es dann durchaus sein, dass eine der Getränke- oder der dazwischen postierten Schwammstellen schon wieder abgebaut wird, wenn man das zweite Mal an ihr vorbei kommt.

Hinter der blauen Fahne mit der "25" stehen jedoch auf beiden Seiten der Straße Tische. Was aber hauptsächlich daran liegt, dass auf der Gegenspur nur wenig entfernt auch die "30" am Lampenmast flattert. Zumindest an diesem Posten braucht man nur einen großen Schlauch. Denn das flüssige Angebot an den Versorgungsstellen ist eher spärlich. In Bechern gibt es nichts anderes als Leitungswasser.

Wer auf das sonst meist verteilte Zuckerwasser gar nicht verzichten möchte, kann es sich jedoch selbst anrühren. Da liegt doch tatsächlich purer Würfelzucker auf den Tischen. Wenn das die selbsternannten Sportwissenschaftler, die mit angeblich ständig neuen Geheimrezepten Leistungsschübe versprechen, sehen könnten.

Doch es gibt ja auch Obst. Und das nun wirklich in mannigfaltiger Form. Nicht nur Bananen, nein auch frische Orangen und Äpfel. Dazu noch Dörrobst in zwei bis drei unterschiedlichen Varianten. Wer hier alles durchprobieren möchte, muss sich schon etwas mehr Zeit lassen. Etwas ungewohnt mag diese Zusammenstellung vielleicht sein, aber eigentlich ist sie trotzdem vollkommen ausreichend.

3:45 Gruppe nach 29 Kilometern am Canal de l'Aisne à la Marne Wieder über den Canal de l'Aisne à la Marne km 27 Bei Kilometer 38

Die Zahlen an den Laternen haben es ja schon verkündet. Es geht langsam auf die Wende zu und dann wird die ganze Runde noch einmal in anderer Richtung retour folgen. So wird dann auch das futuristische Kongresszentrum, das wie ein gelandetes Raumschiff direkt über der Straße sitzt, gleich zweifach innerhalb kürzester Zeit unterlaufen.

Wenig später hat man auch wieder die Kathedrale im Blick. Von links war nämlich am Anfang die Startgerade auf die nun zum zweiten Mal belaufene Straße eingemündet. Drei, vier Einmündungen später, ist man an jener Kreuzung angekommen, von der auf dem Streckenplan in alle vier Richtungen Linien abgehen.

Denn Links beginnt die Innenstadtrunde, von rechts kommt man in Kürze von der Wendeschleife zurück. Man ist genau auf jenem Teilstück angelangt, dass man gleich viermal unter die Füße nimmt. Geradeaus würde es nun zum Ziel gehen, wenn man nicht noch ein Drittel der Distanz vor sich hätte.

Also schwenkt der Kurs erneut auf der schon bekannten Brücke über den Kanal, hält sich dann aber statt links noch zwei weitere Male scharf rechts. Und mit der nächsten Brücke ist man wieder da, wo man die Wendeschleife begonnen hat. Von nun an gibt es auf der Strecke kaum noch Neues zu entdecken, fast alles kennt man schon. Nur die Perspektive ist eine andere.

So langsam kristallisiert sich nun doch heraus, wer denn das Rennen wirklich gewinnen könnte. Denn die Spitzengruppe ist inzwischen nur noch ein Sextett. David Kiyeng, John Komen, Vincent Kipruto, David Kemboi, Alex Kirui und Abraham Chelanga sind die sechs. Noch immer ist das Tempo absolut gleichmäßig auf eine 2:08:30 ausgerichtet und der Streckenrekord kommt langsam wirklich in Reichweite.

Dahinter mühen sich Thomson Cherogony und Duncan Koech um Anschluss, während Teshome Gelana, Philip Biwott, David Rutoh, Jonathan Kipkosgei und Peter Nkayazwar zwar noch Sichtkontakt haben, jedoch schon deutlich abreißen lassen mussten. Doch auch weiterhin liegt ein Dutzend Läufer innerhalb einer einzigen Minute.

Das Frauenrennen ist dagegen so gut wie entschieden, denn Agnes Kiprop hat sich inzwischen fast vier Minuten abgesetzt. Doch auch im Männerfeld ist die Jagd nun endgültig eröffnet. Denn Vorjahressieger David Kiyeng übernimmt jetzt langsam das Kommando und verschärft das ohnehin schon scharfe Tempo noch weiter.

Und als es nach 37 Kilometern auf eine jener beiden kleinen Zusatzschleifen geht, die man vom Hinweg noch nicht kennt, hat er nur noch einen einzigen Begleiter. Zusammen mit Vincent Kipruto kann er noch einmal einen Blick auf die Kathedrale werfen, die sich für ein kurzes Stück direkt in Laufrichtung über die Dächer der Stadt erhebt. John Komen und David Kemboi haben wohl eher einen Blick für das rund zehn Sekunden vor ihnen liegende Duo.

Nicht ganz zu unrecht. Denn Kipruto kann das Höllentempo von Kiyeng, der über die letzten Kilometer im Drei-Minuten-Schnitt hinweg rast, am Ende doch nicht mitgehen. Und ausgerechnet der noch als Junior startende John Komen fängt seinen Landsmann dann doch noch ab. 2:07:53, 2:08:06 und 2:08:16 lauten die Zeiten im Ziel für die Kenianer.

Auch David Kemboi bleibt mit 2:08:40 unter dem alten Rekord. Alex Kirui kommt in 2:09:38 noch unter 2:10 an. Und die Zeiten von Abraham Chelanga (2:10:28), Thomson Cherogony (2:10:45) und Teshome Gelana, dem als bestem Nichtkenianer 2:11:50 gerade einmal zu Platz acht reichen, hätten wohl nahezu überall in der Welt bei Läufen ähnlicher Größenordnung locker zum Sieg genügt. Reims erlebt an diesem Tag wirklich ein Leistungsfeuerwerk. Erst mit dem siebzehnten Läufer steht ein Ergebnis über 2:20 in der Liste.

Zieleinlauf im Parc des Expositions

Doch danach wird es erst einmal dünn. Denn Frauensiegerin Agnes Kiprop kann mit 2:32:37 bereits Gesamtneunzehnte werden. Erst einen Rang dahinter kommt David Lescarmontier in 2:34:14 als bester Nichtafrikaner auf das Messegelände. Rael Nguriatukei lässt mit ihrer 2:39:15 nur noch vier weitere Herren vor, muss sich aber auf der zweiten Streckenhälfte nach der einbrechenden Susan Kurui (2:47:21) nicht mehr umsehen.

Dass danach mehr französische "veterans", wie man die Starter in den Altersklassen im Nachbarland nennt, als Hauptklassenläufer unter der Drei-Stunden-Marke bleiben, zeigt, dass sich zumindest in dieser Hinsicht die Marathonszene von der deutschen dann doch nicht zu sehr unterscheidet. Zumal die M40er mit fast vierhundert Teilnehmern weit über ein Drittel des Feldes ganz alleine stellen.

Nicht nur für die Schnellen wartet im Ziel der Sieger-Champagner. Denn alle Marathonis werden dort nicht nur mit einer Medaille belohnt. Eine Flasche des edlen Getränks kann gegen Vorlage der Startnummer nach dem Rennen in den Messehallen abgeholt werden. Dort wo man schon vor dem Rennen das an alle ausgeteilte und für alle Strecken auch gleiche "Reims à toutes jambes"-T-Shirt abholen konnten.

Hält man nun die Startgebühr von nur 26 Euro dagegen, hätte man auch ohne den Marathon fast schon ein Geschäft gemacht. Zumal man auch noch einige Tage nach dem Rennen eine Zeitung mit der Ergebnisliste im Briefkasten hat. Kleine Details, die man bei der Bewertung dieses Marathons sehr wohl berücksichtigen sollte.

Sicher ist der Marathon von Reims kein absolutes Muss für Läufer. Sicher ist das Spektakulärste an der Strecke der Start. Und sicher ist das Prickelndste der Veranstaltung der im Ziel ausgegeben Champagner. Doch irgendwie ist dies auch ein solide organisiertes Großereignis mit breitem Streckenangebot. Durchaus typisch für die französische Laufszene. Und was auf diesem Kurs möglich ist, belegen die Ergebnisse des Jahres 2008 recht eindrucksvoll.

Vielleicht sind demnächst bei "Reims à toutes jambes" dann ja auch nicht nur die Läufer sondern die ganze Stadt "auf allen Beinen".

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Ergebnisse ratj.fr/resultats

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