12.9.10 - 10. Norderney Marathon

Einmaliges Landschaftspanorama: Der Marathon auf Norderney

von Michael Schardt

Es gibt ja bei Menschen die seltsamsten Ausprägungen, zum Beispiel wenn es um seine Sammelleidenschaft geht. Da werden die merkwürdigsten Dinge mit einer Beharrlichkeit und Akribie zusammengetragen, die immer wieder verwundern lässt. Auch beim Reisen ist so etwas zu beobachten. So wurde mir eine Frau bekannt, die alle Hauptstädte Europas besucht haben wollte, und die etwas säuerlich beim Zerfall der Sowjetunion wurde, da jetzt noch einige schwerer zu erreichende Länder dazukamen so kurz vor Erreichen ihres Ziels. Mit einem Mann, der sich in den Kopf gesetzt hatte, alle Länder der Erde bereist zu haben, kam ich vor Jahren in meiner Tätigkeit als Verleger zusammen. Wir haben ein Buch zusammen gemacht über seine Reiseleidenschaft. Ihm fehlte zu der Zeit noch Somalia, alle anderen Länder hatte er besucht, und dazu noch über 100 Inseln. Das Buch ist erschienen, nach Somalia hat er es vor seinem Tod nicht mehr geschafft - das war und ist zu gefährlich. Aber den Titel des weltweit weitgereistesten Menschen konnte er für sich beanspruchen.

Wie es Menschen gibt, die niemals an einen Urlaubsort zweimal fahren, gibt es solche, die immer am selben Ort ihre Ferien genießen. Auch beim Laufen gibt es so was. Es gibt einen Läufer, der schon 160 Marathons absolviert hat, aber jeden in einer anderen Stadt, dann gibt es welche, die nur einmal im Jahr einen Lauf bestreiten, aber immer am gleichen Ort. Wieder andere wollen in jedem Bundesland wenigstens einen Marathon absolviert haben, oder über jede erdenkliche Strecke wenigsten einmal einen Wettbewerb bestritten haben.

Wenn sich nun einer vornehmen würde, wenigstens alle deutschen Inselmarathons einmal gelaufen zu sein, dann hätte es dieser Läufer relativ einfach, denn soweit ich sehe, gibt es derer nur drei: auf Helgoland, auf Usedom und auf Norderney. Man könnte, wenn man so will, auch noch den Rügenbrücken-Marathon dazunehmen, der zu einem Großteil, aber nicht vollständig über die größte deutsche Insel verläuft, dann wären es eben vier, also für laufende "Kleinsammler" selbst innerhalb eines Jahres recht locker zu schaffen.

Eine Fahrt auf der Fähre ist für einen Insellauf obligatorisch.
Anfahrt mit Blick auf Norderney. Dorthin darf man sein Auto mitnehmen, anders als auf den anderen ostfriesischen Inseln
Walker, die auch die 21 km absolvierten, passieren das schicke Norderneyer Konversationshaus, der Ort der Kleiderbeutelabgabe

Das besondere dieser Inselmarathons, und damit werben die Veranstalter auch mit Recht, ist hauptsächlich die einmalige Landschaft, durch die die Strecke führt, aber auch die An- und Abreise mit dem Schiff, was schon Urlaubsstimmung aufkommen lassen kann. Bezeichnend für die bei Läufern beliebte Andersartigkeit eines solchen Marathons mag sein, dass im Verlaufs des Jahres 2010 von allen 19 Marathons im deutschen Nordwesten allein der sehr schwer zu laufende Helgoland-Marathon, der im Mai stattfindet, als einziger deutliche Zuwächse bei den Finishern aufweisen kann. Das hat der hier zu beschreibende Norderney-Marathon allerdings trotz des Jubiläums - es war die 10. Veranstaltung - leider nicht geschafft.

Mit nur 41 Marathon-Finishern, worunter drei Frauen zu finden waren, konnten die Organisatoren nicht einmal die schon geringe Zahl des Vorjahres (46) erreichen. Im Halbmarathon (161 Finisher) gab es noch deutlichere Verluste mit rund 15 Prozent. Der Versuch, mit zwei neuen Streckenangeboten die Gesamtfinisherzahl zu steigern, gelang ebenso nicht. Beim neuen Jedermannslauf über 12 km nahmen nur 23 Läufer teil, der Kinderlauf brachte in etwa die gleiche Läuferschar auf die Strecke. Was ja bei anderen Marathons - etwa in Münster - oft beeindruckend gelingt, nämlich Aktive für die Staffel zu mobilisieren, das klappt auf Norderney auch nur etwas. Sieben Staffelteams mit vier Läufern kamen ins Ziel.

Alles in allem ist diese Entwicklung für Norderney zu bedauern, denn den Läufern wird einiges geboten, allem voran ist da die Strecke zu nennen. Der Marathonkurs besteht aus zwei identischen Halbmarathonrunden über den westlichen Teil des 6000 Seelen zählenden Eilands, das mit rund 200.000 Besuchern pro Jahr die Rangliste der beliebtesten ostfriesischen Inseln anführt und damit das Sylt des Nordwestens genannt werden darf.

Zwei Zelte bildeten das Orga-Zentrum des Laufs, am Vortag ist es noch läuferfrei
Das Aufstellen des Zielbogens macht bei Wind etwas Mühe Doppelt genäht hält besser, das etwas umständlich anzubringende Transpondersystem zur Zeiterfassung

Gestartet wird der Marathon um zehn Uhr auf dem zentralen Kurplatz vor dem prächtigen Konversationsgebäude, das auch als Kleiderbeutelaufbewahrungsstätte fungierte. Eine Startlinie gibt es nicht. Als Startmarkierung muß man sich eine Linie denken, die genau am Treppenaufgang des Konversationsgebäudes liegt. Nach Verlassen des weiträumigen Kurplatzes, auf dessen Wiese auch die Zelte der Startausgabe stehen und wo auch eine Mini-Pasta-Party am Vortag des Laufes organisiert wurde, läuft man durch die Kurparkanlagen und über die Südstraße Richtung Alter Postweg. Sehr schnell kommt man dann auf den Deich der Inselsüdseite, auf dem dann zunächst ein kleineres Stück bis zur ersten Verpflegungsstation bei km vier zurückzulegen ist. Es folgt dann das einzige Stück, das für etwa 1000m auf unbefestigtem Untergrund, nämlich auf einer Wiese, verläuft. Hernach geht es wieder auf den Deich, durch eine einmalige Dünenlandschaft am Flugplatz vorbei und in einer langgezogenen Linkskurve zur zweiten Verpflegungsstelle bei km neun. Diese Stelle ist auch gleichzeitig der Startpunkt des 12 km Jedermannslauf und die Wechselstelle für die Staffelläufer, die jeweils mit dem Bus hierhergebracht werden.

Bis dahin weist die Strecke bis auf kleine Deicherhebungen ein flaches Profil auf und verläuft durchweg in Richtung Osten. Dann, an der Wechselmarke, erfolgt der Richtungswechsel. Es geht nun permanent nach Osten zurück Richtung Ziel. Kennzeichnend ist ferner, dass die ersten neun Kilometer offen auf dem Deich verlaufen, und damit windanfällig sind, während der Rest der Strecke weitgehend auf dem Zuckerpad durch die Dünen verläuft und windgeschützt ist. Auf beiden Runden wurden die Läufer auf ihren ersten neun Kilometern von kräftigem Rückenwind unterstützt, während auf den letzten 12 km der eigentliche Gegenwind von den Dünen abgehalten wurde. Das ist günstiger als noch im letzten Jahr. Da mußten die Aktiven zuerst mit kräftigem Gegenwind und starkem Regen kämpfen, um dann wenig vom Rückenwind zu profitieren.

Start des Halbmarathons mit ca. 180 Läufern Schon beim Start des Marathons führt der leichtfüßige Frank Themsen aus Bremen

Nach der zweiten Verpflegungsstelle geht es am von allen Seiten sichtbaren Leuchtturm vorbei in Richtung Wasserwerk und bei den Weißen Dünen auf den Zuckerpad. Auf diesem Abschnitt ist die Strecke besonders reizvoll, aber auch durch ständige Hügelchen schwieriger. Insgesamt dürften pro Runde so sechzig bis achtzig Höhenmeter zusammenkommen. Dann ist kurz die Nordhelmsiedlung zu durchqueren, bevor es auf den letzten knapp drei Kilometern über - so die Veranstalter - "eine der schönsten Strandpromenaden Deutschlands in Richtung Kurplatz" ins Ziel geht. Auf der breiten Promenade, die wegen ihrer schiefen Lage und des nun greifenden Gegenwindes gar nicht so leicht zu laufen ist, gibt es zumindest in der ersten Runde dann doch auch einige applaudierende Zuschauer auf einer ansonsten eher menschenleeren Naturstrecke. Richtiger Zuschauerzuspruch ist dafür aber im Zielbereich zu spüren, wo auch der Kinderlauf für Belebung sorgt.

Auf der zweiten Runde gab es dann für die Mehrzahl der Marathonis und die sich nun ebenfalls auf der Strecke befindlichen Halbmarathonläufer der große Regen. Binnen kurzer Zeit war man durchnässt und es bildeten sich in den Senken des Zuckerpads knöcheltiefe Großpfützen, die man nicht trockenen Fußes umlaufen konnte. So wurde der Marathon noch ein Kampf mit den "Naturgewalten" und eine feuchte und irgendwie einsame Angelegenheit, denn die Zuschauer waren nicht nur auf der Promenade weitgehend verschwunden, sondern besonders auch im Ziel. Um so wohltuender war da die anschließende Schwimmeinheit und Dusche im wunderschönen Kurbad der Insel, das die Läufer kostenfrei benutzen durften. Da waren die Strapazen schnell vergessen, und die tollen Eindrücke einer der schönsten Marathonstrecken in Deutschland überwogen eindeutig und nachhaltig.

Zwei Türme: der echte Leuchtturm und die Bushaltestelle "Leuchtturm"
Da durfte auch dieser Läufer vorbeijoggen Und Manni und Thorsten

Dominiert wurde der Marathon von Anfang an vom für die LG Bremen-Nord startenden Frank Themsen, der ein Vielläufer auf hohem Niveau ist. Er fuhr in diesem Jahr den neunten Gesamtsieg auf Norderney in einer Zeit von 2:48:28 ein. Nur 2009 hatte der leichtfüßige Mann, der am 19.9. bereits wieder in Bremen über die Königsdisziplin innerhalb der Norddeutschen Meisterschaft startet, als Gesamtzweiter das Nachsehen. Themsen gewann mit deutlichem Vorsprung vor Joerg Rohlfing (LG Elmhausen) in 3:04:54 und Günther Remmers (Marathon Mülheim) in 3:15:15. Bei den Frauen konnte sich Anke Rohde von der LG Diemelsee in 3:44:02 klar von ihren beiden einzigen weiblichen Konkurrentinnen Kirsten Feldhoff (vereinslos, 4:31:04) und Monique Medema (vereinslos, 4:33:34) absetzen.

Die weiteren Sieger auf den anderen Strecken waren im Halbmarathon Thomas Bürger (TVK 1877 Essen, 1:24:44) vor Michael Radziewski (1:28:47) und Frank Breidenbach (Union BW Bielefeld, 1:30:32). Bei den Frauen siegte Bettina Pilney (LT SV Ems Jemgum, 1:38:21) vor Claudia Schäffner (Hellruners Hemingen, 1:40:44) und Almuth Maaß (LG Ostfriesland, 1:40:47). Die Staffel wurde von Marathon Ibbenbüren (3:30:36) vor der Stadt Oldenburg (3:32:38) und Betriebssportgruppe Aurich 1 (3:50:43) dominiert. Die Sieger des Jedermannslauf heißen Dieter Wietkamp (53:01) und Silvia Klemm (Tus Norderney, 1:02:24). Daneben wurde auch noch ein Halbmarathon im (Nordic)-Walking ausgetragen.

Halbmarathonläuferin auf der Strecke
Der neunmalige Norderney-Gewinner Frank Themsen führt nach ca. 30 km souverän den Marathon an

In seiner nun zehnjährigen Geschichte hat der Norderney-Marathon einige Veränderungen erlebt. Neue Strecken wurden eingeführt, der Startplatz sinnvollerweise ins Zentrum der Stadt verlegt, und man hatte in 2010 die ursprüngliche Strecke noch einmal leicht verändert. Dabei könnte ein kleiner Messfehler entstanden sein, denn die Zeit meines jeweils letzten Rundenkilometers war rund 100 Sekunden schneller als die sonst durchgängig konstant durchlaufenen Kilometer. Eine entsprechende Anfrage an den Organisator wurde bisher nicht beantwortet. Wenn dies der Fall sein sollte, ist das irgendwie etwas ärgerlich, denn beim Marathon erwartet man eine exakt vermessene Strecke. Ein weiterer kleiner Kritikpunkt bei einer ansonsten perfekt organisierten und mit bestens ausgestatteten Versorgungsständen versehenen Veranstaltung ist anzubringen: In der Ausschreibung wird das Finishershirt als im Startpreis integrierte Leistung dargestellt, dies sogar explizit an zwei Stellen. Tatsächlich aber wurde es dann vielen Läufern nicht oder nicht ohne zusätzliche zehn Euro Kaufpreis ausgegeben.

Ein Highlight an der Strecke waren sicher die Hilfskräfte und Streckenposten, die wirklich bei jedem vorbeikommenden Läufer klatschten, selbst da noch, als sie Opfer des starken Regens geworden waren. Positiv auch die souveräne Moderation im Ziel und die flotte Durchführung der Siegerehrung, die Verpflegung nach getaner Läuferarbeit und der wunderbar angelegte Zielbereich.

Nach dem großen Regen war der Zielkanal "zuschauerfrei"
Auch diese Gruppe freut sich im Ziel über die bewältigten 12 km des neu ins Programm genommenen Jedermannslaufs

Wenn einem insgesamt so viel Gutes widerfährt, dann muss man fragen dürfen, worin die Ursache für die geringe Beteiligung liegt, unabhängig von dem überall konstatierten Rückgang der Teilnehmerzahlen im Marathonbereich. Ein Grund dürfte in der aufwendigen Anreise liegen. Um am Marathon teilnehmen zu können bei Anreise am Veranstaltungstag, da hätte man die früheste Fähre nehmen müssen. Rechnet man eine Autoanreise von sagen wir einer Stunde mit ein, dann hätte man um vier Uhr aufstehen müssen, oder gar noch früher. Das mutet sich kaum jemand zu. Also heißt die Devise: mindestens am Tag vorher anreisen. Aber da stellte sich das Problem, dass es kurz und mittelfristig absolut keine Unterkünfte mehr zu finden gab, weil die Insel von Besuchern des sogenannten Klubwochenendes (vornehmlich Kegelklubs) vollständig ausgebucht war. In der Grundschulturnhalle, die der Veranstalter für 5 Euro zur Verfügung stellte, wollte aber auch niemand schlafen, denn die blieb vollständig leer. Dieses Problem der ausreichenden und erschwinglichen Übernachtung haben die Organisatoren aber im Blick. Man will den Marathon eventuell zeitlich verlegen auf ein Wochenende, an dem Norderney nicht vollständig in der Hand von stark alkoholisierten Großgruppen aus dem Ruhrgebiet liegt.

Dass Norderney nämlich viele Läufer anziehen kann, dass zeigt sich beim dem Marathon wenige Wochen vorgelagerten Straßenlauf mit über 1000 Teilnehmern, die dann bequem nachmittags mit der Fähre anreisen können und dann dort über Nacht bleiben oder die eigens gecharterte Spätfähre nehmen. Etwas unglücklich war deshalb auch, den Jedermannslauf erst sehr spät ausgeschrieben zu haben, weil man fürchtete, dass dieser sich negativ auf den Straßenlauf auswirken könnte. Überhaupt scheint mir eine aktivere Werbung für den Norderney-Marathon und eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber den Medienvertretern - Infos waren nicht leicht oder gar nicht zu bekommen - der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Denn tatsächlich sieht man fast nirgendwo Flyer herumliegen, Anzeigen in Laufkalendern geschaltet und Vorberichte in Fachmagazinen und inselübergreifenden Zeitungen lanciert.

Nicht jeder Marathon kann und muss überleben, es gibt derer vielleicht zu viele in deutschen Landen. Aber der Norderney-Marathon, der darf nicht sterben, denn er ist so einmalig wie die Landschaft, durch die er führt. Wünschen wir also dem Team um Cheforganisator Helge Plavenieks, der selbst ein hervorragender 800m Läufer ist, alles Gute für die nächste Dekade seines Norderneyer Marathons.

Bericht von Michael Schardt
Fotos © von Jörg Hasenfratz (Norderneyer Badezeitung),
Simone Stolle, Michael Schardt

Ergebnisse www.norderney-marathon.de

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