43. Two Oceans Marathon Kapstadt (7.4.12) |
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Zwei Ozeane im Regen |
von Ralf Klink
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Samstag 07.04.2012, 6:26 Uhr - Main Road, Newlands, Kapstadt
Aus den Boxen erschallt seit kurzem "Chariots of Fire". Und ungefähr
sechzehntausend Beine nehmen langsam ihre Arbeit auf. Gerade eben haben nämlich
sie das Signal erhalten, dass sie loslegen dürfen. Im Gegensatz zum Comrades
Marathon, wo die meist für eine leichte Gänsehaut sorgende Melodie
direkt vor dem Start eingespielt wird, begleitet sie das Läuferfeld beim
Two Oceans Marathon hinaus auf die ersten Meter der Strecke.
Sechsundfünfzig Kilometer gilt es in den nächsten Stunden zu bewältigen. Denn entgegen seiner Bezeichnung "Marathon" ist der Two Oceans ein lupenreiner Ultra. Und zwar der neben dem legendären Comrades wohl größte, bedeutendste und zudem auch am besten dotierte überhaupt. Dass beide im gleichen Land veranstaltet werden, ist alles andere als Zufall. Beim Laufen auf Strecken, die über die Marathondistanz hinaus gehen, ist Südafrika schließlich eindeutig die Nummer eins.
Donnerstag 05.04.2012, 8:00 Uhr - Simon's Town
"We need the rain". Die junge Frau, die an diesem warmen, aber recht
windigen Morgen auf dem Balkon der Bed-and-Breakfast-Unterkunft im Kapstädter
Vorort Simon's Town das Frühstück serviert, macht eine ziemlich klare
Aussage. Und zwar "urgently", also "dringend". Viel zu lange
sei es im Südwestzipfel Südafrikas trocken und heiß gewesen.
Es hätte im nun zu Ende gehenden Sommer Tage gegeben, da wären die
Gärten sogar bei Regen berieselt worden.
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Vierzig Kilometer südlich des Zentrums von Kapstadt bietet das Hafenstädtchen Simon's Town eine ruhige, landschaftlich schön gelegene Alternative zum Trubel der Großstadt |
Fast klingt es allerdings auch wie eine Entschuldigung im Voraus. Denn sie hat gerade auf die Frage, ob bis zum Samstag ähnlich böiges Wetter vorhergesagt sei, geantwortet, dass der Wind sich zwar legen solle, dafür aber Kälte und Niederschläge angekündigt würden.
Es wäre jetzt eben langsam Herbst und da schlüge auch in Südafrika die Witterung um. Und rund ums Kap der Guten Hoffnung fielen die Winter eben doch eher feucht aus.Die beiden neugierigen Gäste am Frühstückstisch oberhalb des Hafens haben einen guten Grund für ihre Erkundigungen. Es handelt sich beim betreffenden Samstag nämlich um den Ostersamstag. Und an diesem findet in Cape Town traditionell der Two Oceans Marathon statt. Eine kleine Diskussion, ob dafür lieber Hitze und Wind oder Kühle und Regen vorzuziehen sei, schließt sich zwar an, ändert aber an den wenig sonnigen Aussichten nicht viel.
Samstag 07.04.2012, 5:20 Uhr - M3, Newlands, Kapstadt
Es ist entgegen der Wettervorhersage trocken, als die Läufermassen im Kapstädter
Stadtteil Newlands eintreffen, wo der Two Oceans Marathons etwa zehn Kilometer
außerhalb des Zentrums beginnen und enden wird. Fast alle kommen dabei
mit dem eigenen Auto. Und entsprechend groß ist das Durcheinander, das
auf den Straßen rund um die beiden etwa zwei Kilometer auseinander liegenden
Start- und Zielbereiche herrscht.
Die Wahl der Örtlichkeiten lässt allerdings auch kaum eine andere Alternative bei der Anreise zu. Denn zum einen gibt es in Newlands sowie den benachbarten "suburbs" Rondebosch und Claremont nicht im Entferntesten ausreichend Hotelkapazitäten. Diese findet man hauptsächlich in der Innenstadt und den an der Küste gelegenen Vororten.
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Tief unter den Hängen des Tafelberges erstreckt sich das Zentrum Kapstadts in der sogenannten "City Bowl" |
Zum anderen ist der öffentliche Nahverkehr in Kapstadt zwar für südafrikanische Verhältnisse noch einigermaßen gut ausgebaut. Mit den aus Europa gewöhnten Standards kann man das allerdings keinesfalls vergleichen. Neben einigen wenigen, einer S-Bahn ähnelnden Zuglinien und einem eher löchrigen Busnetz übernehmen aber auch in Cape Town die in Südafrika allgegenwärtigen Kleinbus-Sammel-Taxis einen großen Teil der Last.
Am frühen Morgen besteht ohnehin praktisch keine Möglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln etliche tausend Sportler rechtzeitig zum Start zu transportieren. Die beiden in der Nähe des Starts gelegenen Bahnhöfe der Southern Line, die vom Zentrum Kapstadts zu den südlich gelegenen Badeorten verläuft und damit für viele Kilometer immer in der Nähe der Laufstrecke bleibt, sind um diese Uhrzeit jedenfalls bisher kaum angefahren worden.
Doch wenn alle Läufer praktisch gleichzeitig mit dem Auto anreisen, ist das Chaos vorprogrammiert. Also stauen sich die Fahrzeuge auf der an dieser Stelle autobahnartig ausgebauten Straße mit der Nummer M3 hinter den Ausfahrten rund um die University of Cape Town, die das Zielgelände beherbergt, weit zurück.
Insbesondere wenn man von Norden, also aus der Innenstadt oder dem Hinterland kommt, geht eigentlich gar nichts mehr. Auto an Auto schiebt man sich - wenn überhaupt - immer nur einige Meter vorwärts. Aus südlicher Richtung läuft der Verkehr auch nicht wirklich flüssig, aber immerhin noch deutlich besser. Neben der ruhigeren, landschaftlich schönen Lage sicher ein Argument, lieber in den Orten der unteren Kaphalbinsel wie Muizenberg, Fish Hoek, Simon's Town oder Nordhoek Quartier zu nehmen.
Langsam wird der eine oder andere doch nervös. Der Start rückt näher. Und das Durcheinander an den Zufahrten wird eher größer als kleiner. Zwar sind am Universitätsgelände und in umliegenden Schulen ausreichend Parkplätze vorhanden und markiert. Sogar einen Pendelservice zu den etwas weiter entfernten von ihnen hat man organisiert. Nur nützt das alles wenig, wenn man aufgrund des Staus fast nicht - oder nur mit beträchtlichem Zeitaufwand - zu ihnen gelangen kann.
Donnerstag 05.04.2012, 9:55 Uhr - Good Hope Center, Kapstadt
Auf und vor der Treppe hinauf zum Eingang der Good Hope Centers hat sich bereits
eine dichte Menschentraube versammelt und wartet darauf, dass sich die Türen
zur Marathonmesse öffnen. Denn erst um zehn Uhr beginnt diese offiziell.
Und wenn schon die Pünktlichkeit in Südafrika keine Selbstverständlichkeit
ist, die Wahrscheinlichkeit, dass am Kap etwas früher als geplant beginnt,
geht gegen null.
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Kurz vor der Öffnung der Marathonmesse im Good Hope Centre wartet bereits eine große Zahl Läufer auf Einlass |
In Kapstadt gilt das ganz besonders. Schließlich hat die "mother city", die älteste Stadt des Landes den Ruf, von der Mentalität her ganz besonders entspannt zu sein. In Johannesburg - dem geschäftstüchtigen Wirtschaftszentrum in der Provinz Gauteng im Nordosten - würde gearbeitet, sagt ein südafrikanisches Bonmot, in Cape Town würde dagegen gelebt. Das dem Mittelmeer nicht unähnliche Klima sorgt auch für eine mit Südeuropa vergleichbare Grundeinstellung bei den Bewohnern.
Und ganz egal wo man sich in der Stadt auch befindet, das Wasser ist - selbst wenn es aufgrund der aus der Antarktis kommenden Benguela-Strömung eher niedrige Temperaturen hat - ja maximal einige Kilometer entfernt. So gehören Schilder mit der Aufschrift "gone sailing" oder "gone fishing" zumindest als Zimmereschmuck fast schon zur Grundausstattung eines Hauses in Kapstadt. Und bei schönem Wetter den ganzen Tag nur im Büro mit Arbeit zu verbringen, wäre doch eigentlich eine Schande.
Auch auf die vor dem Ausstellungs- und Konferenzzentrum Wartenden scheint an diesem Tag die Sonne. Und obwohl man sich schon im Herbst der Südhalbkugel befindet, hat sie spürbar noch erhebliche Kraft. Der Tafelberg scheint zum Greifen nah, zumal sich keine einzige Wolke an seinem lang gezogenen Gipfelplateau verfangen hat. Das ist durchaus erwähnenswert. Denn sogar wenn ringsherum strahlender Sonnenschein herrscht, wird es nämlich oft vom sogenannten Tischtuch komplett eingehüllt.
Samstag 07.04.2012, 6:15 Uhr - Main Road, Newlands, Kapstadt
Relativ früh erschallt "Shosholoza" aus den Lautsprechern. Wie
beim Comrades gehört das Volkslied, das früher hauptsächlich
schwarze Berg- und Eisenbahnarbeiter gesungen hatten, auch beim Two Oceans zum
Startritual. Schließlich ist dieser kanonartige Wechselgesang zumindest
im Bereich des Sports fast so etwas wie eine alternative Nationalhymne.
Aber rund zehn Minuten vor dem Start kommt er noch relativ unerwartet. Vielleicht stimmen deshalb so wenige mit ein. Doch die ausgewählte Version - oder die Aussteuerung der Anlage - eignet sich auch wirklich nicht besonders zum Mitsingen. Das Wummern der Bässe übertönt jedenfalls oft die Worte. Selbst wenn man möchte, findet man eigentlich gar keinen richtigen Einsatz.
An die Gänsehaut-Atmosphäre beim Comrades, wenn vor dem Start mindestens die Hälfte des versammelten Feldes den eigentlich recht einfachen und auch für Ausländer schnell zu lernenden, sich ständig wiederholenden Text intoniert, kommt man an diesem Tag in Kapstadt jedenfalls nicht im entferntesten heran.
Donnerstag 05.04.2012, 10:10 Uhr - Good Hope Center, Kapstadt
Während die gemeldeten Südafrikaner sich auf der Empore des Good Hope
Center brav in eine lange Schlange einreihen müssen, um ihre Startunterlagen
in Empfang zu nehmen, genießen ausländische Teilnehmer eine Sonderbehandlung.
Für sie gibt es nämlich einen eigenen Schalter in einer anderen Ecke
der Halle.
Das hat durchaus auch damit zu tun, dass man die nicht gerade übermäßig vielen Gästen aus Übersee - weniger als zehn Prozent der Läufer stammen nicht aus Südafrika - angemessen empfangen möchte. Schließlich hätte man sicher nichts dagegen, wenn der Anteil ein wenig steigen würde. Und für die Mundpropaganda kann ein guter Ruf nicht schaden.
Doch haben die Ausländer eben auch deutlich mehr bei der Anmeldung bezahlen müssen. Denn während ein Einheimischer für gerade einmal 185 Rand - also weniger als zwanzig Euro - am Ultramarathon teilnehmen darf, berappen Meldewillige von anderen Kontinenten dagegen volle achthundert.
Beim Halbmarathon, der seit 1998 das Programm ergänzt und dessen Startnummern an einer dritten Seite des Obergeschosses abgeholt werden können, liegen die Werte bei 95 und 450 Rand. Weitere hundert sind dann noch unabhängig von Distanz und Herkunft fällig, wenn man keinen der neuen Zeitmesschips besitzt, die anstelle des altbekannten Champion-Chips beim Two Oceans verwendet werden.
Aber selbst für neunhundert Rand - was beim aktuellen Wechselkurs knapp neunzig Euro Startgeld entspricht -ist das Preis-Leistungs-Verhältnis nach hiesigen Maßstäben durchaus in Ordnung. Denn als Gegenwert erhält man ja nicht die Teilnahme an einem normalen Marathon sondern an einem sechsundfünfzig Kilometer langen Rennen mit mehr als dreißig Verpflegungsstellen.
Auch ein Funktionsfaser-T-Shirt ist in der Meldegebühr enthalten. Aber um dieses zu erhalten muss man dann doch wieder auf die "südafrikanische" Hallenseite. Die Ausgabestelle befindet sich nämlich direkt hinter dem dortigen Meldeschalter. Immerhin darf man in die Überholspur und braucht sich dann nicht doch noch an die in den letzten Minuten nicht unbedingt kürzer gewordene Schlange anstellen.
Samstag 07.04.2012, 5:35 Uhr - University of Cape Town
Stoßstange an Stoßstange rollen die Fahrzeuge langsam über
die durchs Universitätsgelände führende Ringstraße. Sie
folgen den Signalen von zahllosen, entlang der Straße postierten Helfern,
die sie mit Taschenlampen solange weiter winken, bis die nächsten freien
Parkplätze erreicht sind. Diese werden so systematisch aufgefüllt.
Und effektiver, als wenn jeder Fahrer selbst auf die Suche ginge, ist das Verfahren
auf jeden Fall.
Doch wirklich zügig geht es aufgrund des großen Andranges trotzdem nicht voran. So greift zunehmend Nervosität um sich. Die Ultramarathonis haben zwar noch über eine Dreiviertelstunde bis zu ihrem Start. Doch die Läufer der Kurzdistanz sollen bereits um sechs Uhr auf die Strecke geschickt werden. Und längst nicht alle von ihnen haben bei der Anreise ausreichend viel Zeit für diese Schleichfahrt einkalkuliert.
Wer eine Abstellmöglichkeit gefunden hat, hält sich dann in der Regel auch gar nicht lange auf und begibt sich so schnell wie möglich auf den Weg. Selbst wenn dieser nicht ausgeschildert ist, kann man sich dabei kaum verlaufen. Zu viele Menschen strömen in diesen Minuten die Straßen zum ein wenig unterhalb des Universitätsgeländes befindlichen, rund zwei Kilometer entfernten Startbereich hinab. "Immer der Masse hinterher" lautet die in diesem Fall problemlos funktionierende Methode.
Freitag 06.04.2012, 9:25 Uhr - Victoria & Alfred Waterfront, Kapstadt
Ein wenig erhöht steht Stefanie Schultzen am Mikrofon und begrüßt
die an der Victoria & Alfred Waterfront versammelten Läufer zum "International
Friendship Run". Im Organisationsteam des Two Oceans ist sie für das
Marketing zuständig. Und außerdem hat sie vor einigen Jahren diesen
Begegnungslaufes am Karfreitag initiiert.
Die Waterfront als Veranstaltungsort ist dabei sicher gut gewählt. Schließlich gehört das zu einem Einkaufs- und Unterhaltungskomplex umgestaltete ehemalige Hafengelände, das einst nach Königin Victoria und ihren Sohn Alfred benannt wurde, inzwischen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kapstadts. Zudem ist es auch von außerhalb relativ einfach zu erreichen und bietet in seinen Parkhäusern mehr als genügend Stellplätze.
Auf den im Normalfall hervorragenden Blick über die Stadt auf den Tafelberg müssen die Läufer an diesem Morgen allerdings verzichten. Denn nach strahlendem Sonneschein am Vortag versteckt sich Kapstadt nun unter Nebel und Dunst. Nicht einmal die von der Waterfront gar nicht weit entfernten Hochhäuser des Stadtzentrums zeigen sich.
Schultzen strahlt dennoch. Freudig berichtet sie, dass erstmals die tausend zur Verfügung stehenden Startnummern komplett ausgebucht seien. Denn für die Teilnahme am Friendship Run muss man noch einmal separat melden und enthält dann im Gegensatz zu vielen anderen Frühstücksläufen großer Marathons tatsächlich eine unterwegs zu tragende Nummer. Die Sprecher werden trotzdem nicht müde zu betonen, dies solle "a run, not a race" werden.
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Am auffällig lackierten Leuchtturm von Green Point beginnt der Rückweg ... | wenig später lässt sich im nahegelegen Park eine Gruppe Kinder von den Läufern abklatschen |
Ausländern entstehen zusätzlich zu den bereits bezahlten Startgeldern für den Hauptlauf keine weiteren Gebühren, der Freundschaftslauf ist - allerdings nur bei entsprechender Meldung - inklusive. Südafrikaner müssen dagegen weitere siebzig Rand opfern. Doch einige südafrikanische Fahnen im ziemlich bunten Läuferfeld belegen, dass etliche Einheimische dies durchaus auch getan haben.
Immerhin bekommen alle, die mitmachen ein weiteres T-Shirt. Für die "overseas entries" wird dadurch das Leistungspaket ohne weitere Kosten noch einmal aufgebessert. Zumindest bei diesem Teil der Veranstaltung sind sie wohl tatsächlich in der Überzahl. Und die Farben und Aufschriften der getragene Kleidungsstücke lassen zudem ziemlich viele verschiede Nationen erahnen. Nicht alles hat dabei rein sportlich-funktionellen Ursprung. Manches erinnert durchaus auch ein wenig an einen Karnevalsumzug.
Mit einer so großen und so vielfältigen Teilnehmerschaft sei ein Traum für sie in Erfüllung gegangen, erklärt Stefanie Schultzen am Mikrofon. Und beginnt dann jedes Land einzeln willkommen zu heißen. Die Reihenfolge orientiert sich an der Größe der Starterkontingente. Und wenig überraschend wird Deutschland fast ganz zum Schluss aufgezählt.
Doch ließ sich das angesichts des vielen sichtbaren Schwarz-Rot-Gold schon beim schweifenden Blick über die anwesenden Läufer vermuten. Bei den verschiedenen Wettbewerben werden dann beinahe dreihundert Deutsche ins Ziel kommen. Ungefähr hundertdreißig davon alleine beim Ultra - dreimal so viele, wie der am Kap noch deutlich populärere Comrades anzieht. Auch Schweizer und Österreicher sind mit zehn bzw. fünfzehn Läufern auf der Ultrastrecke in einem dazu ganz gut passenden Verhältnis vertreten.
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Der Begrüßungslauf endet, wo auch begonnen, an der Victoria & Alfred Waterfront |
Samstag 07.04.2012, 5:55 Uhr - Newlands Avenue, Kapstadt
Die Fahrzeugtür steht weit offen. Und aus dem Inneren dringen flotte afrikanische
Rhythmen. Das Autoradio ist auf volle Lautstärke gedreht. Davor ist ein
Läufer mit einem eher unüblichen Aufwärmprogramm beschäftigt.
Denn im Takt der Musik scheint er dabei zu sein, seine noch müden, steifen
und kalten Muskeln etwas beweglicher tanzen.
Auch wenn nur wenige der Vorbeikommenden ein wenig mitwippen, erregt er damit keineswegs größeres Aufsehen. In einem Land, in dem zum Beispiel auf den Tribünen von Sportstadien aber auch auf Parteitagen oder politischen Demonstrationen mit schöner Regelmäßigkeit getanzt wird, ist es einfach nur völlig normal.
Und es gibt sogar südafrikanische Politikkommentare, die behaupten, einer der Gründe, warum Jacob Zuma es so leicht gehabt hätte, Thabo Mbeki von seiner Position als ANC-Chef und südafrikanischer Präsident zu verdrängen, sei darin zu suchen, dass der steife Jurist Mbeki bei solchen Gelegenheiten nicht habe singen und tanzen können. Und wenn man südafrikanische Nachrichten sieht, scheint es gar nicht so unwahrscheinlich, dass daran sogar ein Körnchen Wahrheit ist.
Die Vorstellung, wie europäische Politiker auf einer solchen Kundgebung aussehen könnten, hat jedenfalls etwas durchaus Amüsantes.
Samstag 07.04.2012, 6:00 Uhr - Main Road, Newlands, Kapstadt
Während sich weiter hinten noch die Ultramarathonis gemäß den
auf ihren Startnummern aufgedruckten Buchstaben in die jeweiligen Blöcke
einsortieren, ist das erste Rennen des Tages gerade eröffnet worden. Punkt
sechs Uhr hat man das Halbmarathonfeld auf die Reise geschickt. Doch noch eine
ganze Zeit werden Nachzügler, die es nicht rechtzeitig zum Start geschafft
haben, dem Feld hinterher eilen.
Gemerkt hat man bei den schon im Pulk ihrer Startgruppen stehenden Langstrecklern davon aber kaum etwas. Die beiden Startzonen liegen nämlich zwar auf der gleichen Straße aber einige hundert Meter auseinander. Der Aufstellungsraum der Halben endet noch deutlich vor der Kreuzung, hinter der sich die Startlinie des Ultramarathons befindet.
Längst ist auch in Kapstadt der Halbmarathon die teilnehmerstärkere der beiden Distanzen. Die sechzehntausend zur Verfügung stehenden Plätze waren dort frühzeitig vergeben, während die Meldungen zum Ultra lange dahin dümpelten. Und selbst wenn der Eingang zum Ende hin noch einmal deutlich anzog, blieb man mit etwas über neuntausend auch diesmal wieder unter der auf elftausend angesetzten Maximalzahl hängen.
Dem immer größer werdenden Andrang beim Halbmarathon hat man mit einer in vielen Teilen neuen Streckenführung Rechnung getragen. Sie soll angeblich gut für viele "personal bests" sein. So zumindest behaupten es die Organisatoren. Der Blick auf das Profil lässt dabei gewisse Zweifel aufkommen. Schließlich bewegt sich der Kurs zwischen vierzig und zweihundert Metern Höhe, ist also nicht unbedingt als wirklich flach zu bezeichnen.
Das mag durchaus daran liegen, dass man in Südafrika im Gegensatz zu Mitteleuropa nicht unbedingt möglichst ebene Rekordpisten hat. Gerade ein "standard marathon" ist am Kap weniger Selbstzweck, bei dem man eine Bestzeit jagt, sondern dient den meisten eher der Vorbereitung auf den unbestrittenen Saisonhöhepunkt, den ziemlich bergigen Comrades. Da kommt es auf ein paar Hügel nicht unbedingt an.
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Alt und Neu verbinden sich in Kapstadt zu einer interessanten und an jeder Ecke anderen Mischung |
Doch schwingt dabei wohl auch ein bisschen jener Großspurigkeit mit, ohne die es - wie viele glauben - im Werbegeschäft nicht mehr geht. Ganz unbescheiden nennt sich der Two Oceans ja "the world's most beautiful marathon". Der Comrades geht mit dem nicht weniger pompösen Spruch "the ultimate human race" auf Läuferfang.
Die Jagd nach ständig neuen Superlativen mag jenseits des Atlantiks in Nordamerika noch wesentlich extremer sein. Doch ein wenig davon lässt sich eben auch in Südafrika entdecken. Mit britischem Understatement hat der vom Moderator in schöner Regelmäßigkeit wiederholte Satz, man schaue bei SABC das "ohne jeden Zweifel beste Frühstücksfernsehen der Welt" jedenfalls nicht viel zu tun.
Samstag 07.04.2012, 6:20 Uhr - Main Road, Newlands, Kapstadt
Was beim Comrades der nachgemachte Hahnenschrei ist, nämlich ein unverzichtbarer
Bestandteil des Startrituals, stellt beim Two Oceans das Blasen des Fischhornes
dar. Fast kann man sogar vermuten, dass man sich am nicht nur längeren
sondern auch weiterhin deutlich größeren Bruder ein Beispiel genommen
hat. Schließlich ist das zweitwichtigste Ultrarennen Südafrikas ursprünglich
nur als Trainingslauf für den Klassiker zwischen Pietermaritzburg und Durban
gedacht gewesen.
Also trötet in der Main Road von Newlands wieder einmal das Fischhorn, mit dem man einst angeblich den Hausfrauen anzeigte, dass es frischen Fisch zu kaufen gab. Man könnte meinen, ähnliche Geräusche schon einmal in Verbindung mit Südafrika gehört zu haben. Vielleicht reicht die Geschichte der hierzulande inzwischen geächteten, am Kap aber weiterhin geliebten Vuvuzela ja doch weiter zurück, als man denkt.
Mittwoch 03.04.2012, 18:30 Uhr - Beaufort West
"Prost." Der Mann am Nebentisch im Speiseraum des Guest-Houses - was
man zwar wortwörtlich mit "Gasthaus" zu übersetzen wäre,
aber ein einfacheres Hotel meint - im vierhundertfünfzig Kilometer von
Kapstadt entfernt mitten in der Karoo-Halbwüste gelegenen Städtchen
Beaufort West hat erkannt, dass die beiden Gäste wohl gerade Deutsch miteinander
geredet haben, und hebt als Gesprächseröffnung sein Bierglas zum Trinkgruß.
"Wo wollt ihr denn morgen hin?" fragt er, ohne damit im Entferntesten das Gefühl zu vermitteln, er wolle nur seine Neugier befriedigen. "Cape Town" lautet die wahrheitsgemäße Antwort und schon befindet man sich mitten im Gespräch über die auch seiner Meinung nach vermutlich schönste und faszinierendste Stadt Südafrikas.
Irgendwie fallen dabei dann die Worte "Two Oceans", was der Unterhaltung noch einmal eine deutliche Wende gibt. Ein Läufer ist er zwar nicht, aber natürlich kennt er sich bezüglich einer der wichtigsten Sportveranstaltungen des Landes recht gut aus. Wie lange das Rennen ist und wo es entlang führt, muss ihm jedenfalls keineswegs mühsam erklärt werden. Diesbezüglich kann er ganz gut mitdiskutieren.
Der Vergleich hinkt zwar wegen der deutlich dünneren Besiedlung in Südafrika ein wenig, doch jenseits des Dunstkreises der jeweiligen Metropole dürfte sich hierzulande wohl niemand für eine einige Tage später stattfindende Laufveranstaltung interessieren. Und eine halbe Tagesreise entfernt schon überhaupt nicht.
"Good luck to you" verabschiedet er sich nach dem Essen. Nun ja, schaden können solche Wünsche nie.
Samstag 07.04.2012, 6:24 Uhr - Main Road, Newlands, Kapstadt
Nun ist sie doch da, die Gänsehaut. Denn die Worte "Nkosi Sikelel'
iAfrika" haben die südafrikanische Nationalhymne eingeleitet. Und
von jetzt an wird eifrig und lautstark mitgesungen. Durch die Dunkelheit des
noch nicht wirklich beginnenden Morgens klingt ein aus vielen tausend Stimmen
bestehender Chor.
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Zu Füßen des Tafelberges haben die niederländischen Kolonialherren im siebzehnten Jahrhundert das "Castle of Good Hope" errichtet |
Selbst wenn das frühere Kirchenlied einst ein Symbol des Widerstandes gegen das Apartheidsystem war, gegen die Zeile "Gott schütze Afrika" können sogar die verbohrtesten Buren nur schwer Einwände erheben. Aber längst hat diese anfangs von vielen abgelehnte Melodie eine ziemlich breite Akzeptanz in allen - auch den ursprünglich europäischstämmigen - Bevölkerungsteilen gefunden.
Dass man es 1997 mit der alten Hymne "Stem van Suid-Afrika" verschmolzen hat, die in der Umbruchphase einige Jahre parallel verwendet wurde und nun nach einem Melodiewechsel im zweiten Teil auch zwei Strophen beisteuert, hat dabei sicher nicht geschadet. Insgesamt finden sich nun Passagen aus fünf verschiedenen Sprachen in ihrem Text.
Doch ohnehin ist es aus der Sicht eines fernen Beobachters durchaus faszinierend, wie schnell sich zumindest bezüglich der nationalen Symbole ein neues südafrikanisches Selbstverständnis heraus gebildet hat. Kaum länger als eine halbe Generation hat es gedauert. Und vielleicht haben gerade die vielen Kompromisse geholfen, die man dabei gemacht hat, ohne den eigenen Ansatz mit allen Mitteln durch zu drücken.
Die bunte Flagge, die neben den "afrikanischen Farben" Schwarz, Grün und Gelb auch die - zufällig identischen - Farben der früheren Kolonialmächte Niederlande und Großbritannien zeigt, flattert jedenfalls nicht nur überall an den Masten sondern schmückt auch als Aufnäher so manches Läufertrikot.
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Die alte Festung und der dort vorgeführte Wachwechsel gehören zu den wichtigsten touristischen Attraktionen Kapstadts |
Samstag 07.04.2012, 6:55 Uhr - Wynberg, Kapstadt
Ein Teil des Feldes hat "happy birthday" angestimmt und gratuliert
damit unüberhörbar einem Mitläufer zum Geburtstag. Beim Chor
handelt es sich um einen der vollbesetzten "Sechs-Stunden-Busse" -
wie man in Südafrika die von einem Zugläufer geführten, auf eine
bestimmte Endzeit abzielenden Gruppen - nennt. Und das Geburtstagskind ist ausgerechnet
der "bus driver", also der Tempomacher. Es handelt sich um Axel Rittershaus,
einen Deutschen mit Wohnsitz Kapstadt.
Ausgerechnet an seinem Jubeltag als "Busfahrer" hat er sich zur Verfügung gestellt und trägt das als Erkennungsmerkmal dienende, an einer langen Stange befestigte Fähnchen durch die Vororte, die den ersten Teil des Rennens prägen. Und dass auch niemand diesen Geburtstag übersieht, hat er auf dem Rücken zusätzlich ein Schild mit der entsprechenden Aufschrift dabei. Als selbstständiger Unternehmensberater kann er sich natürlich entsprechend in Szene setzen. Der lautstarke Gesang seines "Gefolges" belegt, dass er damit durchaus Erfolg hat.
Die Marke von sechs Stunden ist nicht nur - fast überall sonst auf der Welt - als reine Zahlenspielerei interessant. Denn die Farbe der Medaillen ist nach Zeiten gestaffelt. Wer hinter den ersten zehn, mit goldenen Plaketten ausgezeichneten Männern und Frauen noch unter vier Stunden läuft bekommt eine silberne. Zwischen vier und fünf Stunden ist sie silbern mit einem Bronzerand. Und unter sechs Stunden erhält man halt noch eine Bronzemedaille, während in der letzten Stunde nur noch blau lackierte ausgegeben werden.
Vom "schönsten Marathon der Welt" ist übrigens zu diesem Zeitpunkt erst einmal wenig zu sehen. Und das hat weniger mit der erst langsam endenden Dunkelheit zu tun als vielmehr damit, dass die Viertel, durch die Strecke praktisch immer geradeaus und in leichten Wellen vom Zentrum der Kapstadt weg nach Süden verläuft, nicht wirklich spannend, interessant oder gar unverwechselbar sind. So wie auf der Main Road in Newlands, Claremont, Wynberg oder den noch folgenden Plumstead und Retreat sieht es in der Metropole eben an vielen Stellen aus.
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Am Start in Newlands ist es noch trocken ... |
... doch als die Läufer nach fünfzehn Kilometern am Bahnhof von Muizenberg das Meer erreichen, hat der Himmel seine Schleusen schon weit geöffnet |
Samstag 07.04.2012, 7:04 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Es ist noch nicht einmal richtig hell geworden, da beginnen die als Zielgerade
dienenden Rugbyplätze der University of Cape Town, bereits, sich zu beleben.
In herrliche Lage unterhalb der altehrwürdigen Universitätsgebäude
am Fuß der Rückseite des Tafelbergs bieten sie bei Licht einen optisch
wirklich imposanten Einlauf.
Doch um den ersten Sieger des Tages gebührend auf Zelluloid und Silikon bannen zu können, müssen noch einige Scheinwerfer helfen. In angesichts der bei rund dreihundert zu bewältigenden Höhenmetern nicht unbedingt flachen Strecke hat Xolisa Tyali den Halbmarathon in durchaus achtbaren 1:04:52 hinter sich gebracht und zerreißt das ihm entgegen gehaltene Zielband. Es ist eine völlig normale Siegerzeit für ein Rennen, dass über die Jahre stets mit Zeiten von 1:03 bis 1:05 gewonnen wurde.
Nur sieben Sekunden später ist mit Joel Mmone auch der Zweite im Ziel. Und Lucky Mohale vervollständigt nach 1:05:07 bereits das Siegerteppchen. Noch beim Einbiegen auf das Sportgelände hatten diese Drei sogar mehr oder weniger gleichauf gelegen, bevor sich Tyali mit einem energischen Schlusspurt dann doch einigermaßen klar absetzen konnte.
Mit Tshamano Setone (1:05:20) und David Manya (1:05:48) bleiben zwei weitere Läufer unter sechsundsechzig Minuten. Sechs weitere kommen in den nächsten sechzig Sekunden ins Ziel. Acht von ihnen stammen aus Südafrika, zwei aus Zimbabwe, einer aus dem vollkommen von Südafrika umschlossenen Lesotho. Erst auf Rang dreizehn wird mit Amos Maiyo dann der erste und einzige Kenianer verzeichnet.
Angesichts einer solchen Leistungsdichte kann man sich schon die Frage stellen, weshalb bei internationalen Rennen in Europa und Nordamerika nahezu überall alleine Athleten aus Kenia und Äthiopien dominieren und die durchaus ebenfalls talentierten Läufer aus dem südlichen Teil des Kontinents bei Managern und Veranstaltern kaum Beachtung finden. Fast scheint es, als ob die südafrikanische Laufszene ein wenig in ihrem eigenen Saft schmort und von den Entwicklungen im Rest der Welt ziemlich abgekoppelt ist.
Samstag 07.04.2012, 7:10 Uhr - Plumstead, Kapstadt
Die beiden Läufer mit der Aufschrift "Stellenbosch" auf dem dunkelblau-hellgrünen
Trikot zeigen sich ziemlich überrascht. "Kennt ihr Joachim Kempf?"
sind Jasper und Schalk Cloete nämlich gerade gefragt worden. Jenen Winzer
und Kellermeister aus Großheubach in "Germany", der im Jahr
2009 für einige Monate in ihrer Heimatstadt lebte, um die südafrikanischen
Methoden zur Herstellung guter Tropfen kennen zu lernen.
In dieser Zeit startete Kempf bei seinen Rennen in Südafrika für den "Stellenbosch Atletiekklub", dem die beiden ebenfalls angehören. Und seitdem taucht das für deutsche Verhältnisse eher ungewohnte Oberteil auch hierzulande ab und zu an einer Startlinie auf. Nur einige Wochen vor dem Two Oceans hatte er es auch wieder einmal am Kap ausgeführt und während eines Urlaubs den West Coast Marathon von Langebaan bestritten.
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Vom Cape Point bieten sich bei schönem Wetter wirklich herrliche Blicke über die Kaphalbinsel |
Klar kenne man den "winemaker", den sie wegen des sowohl für Afrikaans-Muttersprachler - zu denen die beiden angesichts ihres Akzents eindeutig gehören - als auch für Englischsprachige extrem schwer richtig zu formulierenden Vornamens meist alle nur "Jay" - also "J" - nannten und nennen. "But he is in a different league", schiebt Jasper sofort nach, der sei in einer ganz anderen Liga unterwegs.
Schließlich hat Kempf für den ansonsten eher breitensportlich aufgestellten Laufclub von Stellenbosch die erste und einzige Silbermedaille beim Two Oceans geholt, als er die Strecke in weniger als vier Stunden absolvierte. Und das ist deutlich wichtiger als der Marathonvereinsrekord, den der Deutsche seit seinem Aufenthalt in der nach Cape Town zweitältesten Stadt Südafrikas ebenfalls hält.
Samstag 07.04.2012, 7:15 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Zehn Minuten nach dem Herrensieger ist auch die schnellste Frau von der Halbmarathonstrecke
zurück. Genau 1:15:00 benötigt die einunddreißigjährige
René Kalmer für ihren nach 2010 zweiten Erfolg beim Two Oceans.
Während im Männerrennen jedoch bis zum letzten Meter gespurtet werden
muss, kann sie sich allerdings deutlich früher freuen, denn Vereinskollegin
Irvette van Blerk folgt als Zweite erst in 01:16:20
Auf Platz drei kommt in 1:18:28 die einzige Nicht-Südafrikanerin unter den ersten zehn, Rutendo Nyahora aus Zimbabwe. Auch Zintle Xiniwe bleibt mit 1:19:37 noch unter achtzig Minuten, deren Unterbietung die 1:20:03 laufende Christine Kalmer, die Schwester der Siegerin um ganze vier Sekunden verpasst. Alle fünf übrigens - und die nächsten beiden Läuferinnen noch dazu - starten für einen der in praktisch jeder Provinz existierenden Nedbank Running Clubs. Die grünen Trikots dominieren unübersehbar.
Wie Xolisa Tyali hat auch René Kalmer Olympia-Ambitionen. Doch im Gegensatz zu ihrem männlichen Gegenpart, der auf eine Teilnahme hofft, hat sich Kalmer für den Marathon entschieden und zudem die Qualifikation nach einer 2:29:59 im letzten Herbst bereits in der Tasche. Der Two Oceans ist da nicht mehr als ein Bestandteil ihres Vorbereitungsprogramms. Zwei Wochen später wird sich auch Irvette van Blerk als Achtzehnte beim London Marathon das Ticket zu einer zweiten Reise in die britische Hauptstadt im Sommer sichern.
Samstag 07.04.2012, 7:35 Uhr - Retreat, Kapstadt
Die aufgehende Sonne hat sich im Osten einen Weg durch die Wolkendecke gebahnt
und strahlt nun die westlich des Läuferfeldes viele hundert Meter hoch
aufragenden Berge mit ihrem warmen Licht direkt an. Es sind ungewöhnliche,
fast unwirkliche Farben, die dabei entstehen. Denn über die Ausläufer
des Tafelberges schwappen bereits bedrohlich dunkle Wolken.
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Im strömenden Regen wirken sogar die bunten Umkleidekabinen am Strand von St. James trist und grau | Selbst die Gipfel der nahegelegene Berge lassen sich manchmal kaum noch erkennen |
Schon alleine deshalb muss man diese Eindrücke so schnell wie möglich aufsaugen. Sie dürften, wie der vorsichtigen Blick nach rechts belegt, schließlich ziemlich vergänglich sein. Dort oben scheint es nämlich schon zu regnen. Und tatsächlich fallen wenig später auch auf der Straße die ersten Tropfen. Dem zwei Tage zuvor gehörten "we need the rain" möchte man in diesem Moment ein "aber doch nicht jetzt" entgegen rufen.
Samstag 07.04.2012, 7:50 Uhr - Ortseingang Muizenberg
"Kennst du mich noch?" Julian Karp, dreht ein wenig den Kopf in Richtung
Fragesteller und scheint zu überlegen. Bevor der mit seiner langen, inzwischen
schon ein wenig ergrauten Mähne leicht zu erkennende Vielstarter eine gar
zu negative Antwort geben kann, bekommt er ein "wir sind vor ein paar Jahren
beim Pensinsula Marathon zusammen gelaufen" nachgeschoben.
Er erinnert sich nicht an die gemeinsam mit dem deutschen Gast im Jahr 2009 absolvierten Kilometer, wie seine Erwiderung, "dann hat dir die Strecke so gut gefallen, dass du zurück gekommen bist" untrüglich zeigt. Denn tatsächlich ist man auf dem üblichen Kurs des "Halbinsel-Marathons" unterwegs, der für etwa die Hälfte der Distanz mit dem des Two Oceans identisch ist und vom Zentrum Kapstadts nach Simon's Town führt.
Doch in jenem Jahr lief man wegen größerer Baumaßnahmen an der Hauptstraße und im traditionellen Startbereich, an dem für die Fußball-Weltmeisterschaft ein neues Stadion errichtet wurde, eine ganz andere, wesentlich spektakulärere Strecke über die südliche Kaphalbinsel. Doch wie auf den meisten schönen Kursen waren dabei recht viele Höhenmeter zu überwinden und die Zeiten fielen deutlich schlechter aus.
Die an einem schnellen Qualifikationsrennen für Two Oceans und Comrades interessierte Laufgemeinde am Kap drängte die Organisatoren nach Abschluss der Arbeiten auf eine Rückkehr zur alten Strecke. Und so wird das Rennen nun wieder vor dem "Cape Town Stadium" in Green Point gestartet und führt wie der Two Oceans entlang der Main Road aus der Stadt hinaus.
Freitag 06.04.2012, 9:40 Uhr - Uferpromenade Green Point, Kapstadt
Schon einen Tag vor dem Rennen ist Axel Rittershaus mit der langen Fahne des
Sechs-Stunden-Tempomachers unterwegs. Beim Friendship Run testet er schon einmal
die doch etwas sperrig wirkende, aber auch aus etwas größerer Entfernung
kaum zu übersehende Konstruktion. Und natürlich hat er deshalb gleich
Gesprächspartner, denen er auf Deutsch und Englisch seine kommende Aufgabe
erklären kann.
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Am nordwestlichen Eckpunkt der Tafelbucht findet sich die Uferpromenade von Green Point mit dem markanten Leuchtturm |
Entlang der Uferpromenade der Stadtteils Green Point - auch sonst eine ziemlich beliebte Laufstrecke - führt die zwar mit fünf Kilometern angegebene, vermutlich jedoch mindestens tausend Meter längere Schleife erst einmal von der Waterfront weg. In großem Bogen verläuft sie rund um das zur Fußball-Weltmeisterschaft neu erbaute Stadion von Kapstadt herum. Der auffällige, mit seiner diagonalen Lackierung ein wenig an eine Zuckerstange erinnernde Leuchtturm, der die nordöstlichste Ecke der Tafelbucht markiert, bildet dabei den Umkehrpunkt.
Samstag 07.04.2012, 7:55 Uhr - Ortseingang Muizenberg
Der Regen ist eher noch stärker geworden. Und so wie die dicken, schweren
Wolken über die Berge herüber treiben, sieht es auch nicht so aus,
als ob er schnell wieder enden könnte. Julian Karp hat mit bisher vierzehn
Two Oceans und neunzehn Comrades Marathons nun wahrlich genug Routine, um es
einigermaßen gelassen zu sehen. Alles sei in Ordnung, solange man wenigstens
bis zum Start trocken bliebe, meint er. Und hat damit irgendwie wohl sogar recht.
Freitag 06.04.2012, 16:30 Uhr - Cape Point
"Ihr macht doch sicher auch morgen mit beim Two Oceans?". Aufgrund
welcher Beobachtungen der Mitarbeiter der südafrikanischen Nationalparkbehörde
SANPARK, der am Cape Point die Zu- und Abfahrt zu den stark frequentierten Parkplätzen
regelt, das vermutet, bleibt zwar sein Geheimnis. Aber natürlich hat er
recht.
Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit an diesem Tag, rund um die beiden hoch über dem Ozean auf steilen Felsen thronenden Leuchttürmen Läufer anzutreffen, relativ hoch. Schließlich gehöret dieser Ort - selbst wenn er rund fünfzig Kilometer südlich des Stadtzentrums zu finden ist - fast schon zum Pflichtprogramm eines jeden Kapstadt-Besuchs. Und neben einer vierstelligen Zahl ausländischer Gäste zieht das Rennen natürlich auch viele Teilnehmer aus anderen Regionen Südafrikas an.
Er wäre am nächsten Tag ebenfalls beim Two Oceans Marathon dabei, erzählt der Wildhüter freudestrahlend. Gerade ihm sollte jedoch klar sein, dass er keineswegs zwei Ozeane zu sehen bekommt. Denn der südlichste Punkt Afrikas liegt keineswegs an dieser dramatisch ins Meer stürzenden Felsspitze sondern knapp zweihundert Kilometer entfernt im Osten von Kapstadt. Und nicht der Indische Ozean wird neben dem Atlantik während des Rennes passiert sondern nur die weit geschwungene False Bay.
Selbst wenn er optisch eindeutig diesen Anschein vermittelt, stellt Cape Point sogar nicht einmal die Südspitze der Kaphalbinsel dar. Aufgrund ihrer leichten Bogenform ragt nämlich eine ungefähr zwei Kilometer entfernte Ecke noch etwa hundert Meter weiter in Richtung Pol hinaus. Doch neben einem flachen, steinigen Strand und einem Schild, das verkündet, dass man sich an dieser Stelle am Kap der Guten Hoffnung befände, gibt es dort wenig zu sehen.
Da sind die über zweihundert Meter hohen Klippen am Cape Point dann doch wesentlich spektakulärer. Dennoch ist der Parkplatz natürlich gut gefüllt. Denn auch auf das Foto, bei dem sie hinter der bekannten Holztafel stehen, verzichten Touristen eben selten.
Samstag 07.04.2012, 8:00 Uhr - Muizenberg Station
Mehr als fünfzehn Kilometer ist man meist durch besiedeltes Gebiet und
weitgehend geradeaus gelaufen. Doch wenn man den auffälligen, inzwischen
beinahe hundert Jahre alten Backsteinbau der Muizenberg Station mit dem auffälligen
Uhrturm zu Gesicht bekommt, wird praktisch schlagartig die zweite Phase des
Rennens eingeläutet.
Denn an diesem Bahnhof trifft die Straße nicht nur auf die bisher zwar parallel, aber in einem gewissen Abstand verlaufende Zuglinie. Genau dort schwenkt die Strecke auch von Süd auf Südwest. Vor allem wird aber an diesem markanten Punkt auch die False Bay erreicht, also der "erste" der beworbenen "Two Oceans". Für die nächsten Kilometer wird das Rennen ihrem Küstenverlauf folgen.
Ob die beiden Stellenboscher Jasper und Schalk Cloete deshalb kurz in Jubel ausbrechen, ist nicht ganz klar. Vermutlich wollen die beiden allerdings doch nur auf einem Foto belegt haben, wie gut sie sich zu diesem Zeitpunkt noch fühlen. Doch mit kaum mehr als fünfundzwanzig Prozent der Distanz in den Beinen sollte das auch wirklich nicht anders sein. Alles bisher war ohnehin nichts anderes als Warmlaufen.
Die Cape Flats, die sich als flache Landbrücke zwischen der schroffen Kaphalbinsel und den ersten Hügeln des östlich der Metropole beginnenden Weinlandes erstrecken, hat man damit ebenfalls hinter sich gelassen. Nur noch ein schmaler Streifen bleibt jetzt zwischen dem Meer und den praktisch direkt ans Ufer heran rückenden Bergen.
Samstag 07.04.2012, 7:58 Uhr - Anstieg zum Chapman's Peak Drive
Während das große Feld kaum das erste Viertel der Strecke hinter
sich gebracht hat, ist die Spitze schon an der Halbzeitmarke bei Kilometer achtundzwanzig
angekommen. Als Erster passiert Tshepo Masebi in 1:32:23 die Zeitnahme an diesem
Punkt. Doch natürlich ist noch überhaupt nichts entschieden. Nicht
einmal eine Vorentscheidung bahnt sich damit an. Innerhalb einer Viertelminute
rauschen schließlich mehr als dreißig Läufer über die
Messmatte.
Samstag 07.04.2012, 8:05 Uhr - Rhodes Cottage, Muizenberg
Das kleine Häuschen am Straßenrand fällt eigentlich nicht weiter
auf. Doch es hat historische Bedeutung. Denn in ihm verbrachte an der Wende
zum zwanzigsten Jahrhundert - in einer Zeit, in der Muizenberg das führende
Seebad des Landes und Wohnsitz großer Teile des lokalen Geldadels war
- eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte Südafrikas
die letzten Lebensjahre, nämlich Cecil Rhodes.
Als Siebzehnjähriger erstmals in die Kapkolonie gekommen, schaffte er es sich durch den allmählichen Zukauf von Schürfrechten auf den Diamantenfeldern in Kimberley die von ihm gegründete Firma de Beers zum Monopolisten und sich selbst zu einem der reichsten Männer des Kontinents zu machen. An vielen der Goldminen rund um Johannesburg war Rhodes ebenfalls finanziell beteiligt.
Doch hatte er eben auch politische Ambitionen. So dehnte er das britische Herrschaftsgebiet im Süden Afrikas auf die heutigen Staaten Sambia und Zimbabwe - die als Kolonien ihm zu Ehren lange die Namen Nord- und Süd-Rhodesien trugen - sowie Botswana aus und war einige Jahre Premierminister der Kapkolonie.
Auch deren Vereinigung mit den Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Transvaal unter dm Union Jack strebte er an. Die Realisierung dieser Idee nach dem Ende des zweiten Burenkrieges erlebte Rhodes allerdings nicht mehr. Genauso wenig wie die von ihm erträumte durchgängig Achse "von Kairo bis zum Kap", die nach dem ersten Weltkrieg entstand, als die Briten das bis dahin deutsche Tansania als noch fehlenden Mosaikstein ergänzen konnten.
Hundert Jahre zuvor wurde in Muizenberg tatsächlich Weltgeschichte geschrieben, als dort 1795 in der Bucht gelandete britische Invasionstruppen auf niederländische Verteidiger trafen. Das Gefecht wird zwar - auch wegen der historischer Bedeutung - im Englischen als "battle of Muizenberg" bezeichnet, doch war es keineswegs eine echte Schlacht sondern eine sechswöchige Serie von kleinen Scharmützeln.
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Victoria & Alfred Waterfront hat man ein ehemaliges Hafengelände zu einem Einkaufs- und Unterhaltungskomplex umgestaltet |
Sechzehnhundert Briten standen nur einige hundert Niederländer gegenüber. Und auf beiden Seiten wurden weniger als zehn Gefallen gezählt. Doch die Kolonie musste schließlich kapitulieren und das Kap bekam einen neuen Herrn. Ein Beispiel dafür, dass auch relativ kleine Ereignisse in der Folgezeit ziemlich große Auswirkungen haben können.
Donnerstag 05.04.2012, 12:00 Uhr - Castle of Good Hope, Kapstadt
Die Wachablösung, die von Soldaten wie jeden Tag um zwölf Uhr im Innenhof
des Castle of Good Hope vorgeführt wird, ist unschwer als reines Spektakel
für die anwesenden Besucher zu erkennen. Schon alleine, dass bei jeder
einzelnen Aktion von einer Sprecherin am Mikrofon ganz genau erklärt wird,
was da denn nun gerade passiert, belegt das deutlich.
Und verglichen mit der Perfektion, mit der die Rotröcke der einstigen Kolonialmacht ihre Posten vor dem Buckingham Palast ablösen, wirkt die Aufführung fast ein wenig liebevoll amateurhaft. Zwar knallen auch in der Festung am Kap eifrig die Hacken. Aber an die exakte Präzision und Bewegungssynchronität der britischen Kollegen kommt man doch eher selten heran.
Ohnehin marschieren gerade einmal zwei Hände voll, im hinteren, nicht zugänglichen Teil der Anlage stationierte Soldaten ein kurzes Stück durch den Hof, und verschwinden dann auch recht schnell wieder. Wirklich zu bewachen gibt es in der über dreihundert Jahre alten Anlage nichts. Für das Regionalkommando der mit gerade einmal dreißigtausend aktiven Soldaten recht kleinen südafrikanischen Armee braucht man den Aufwand jedenfalls sicher nicht.
Doch bei weitem nicht nur wegen dieser Vorführung ist der Besuch des Forts, das entgegen seines Namens mit einer mittelalterlichen Burg wenig zu tun hat und auch nicht am Kap der Guten Hoffnung sondern am Fuße des Tafelbergs, liegt, durchaus lohnenswert. Schließlich handelt es sich um das älteste erhaltene Gebäude europäischen Ursprungs in Kapstadt und ganz Südafrika. Und alleine der Blick, den man von den rundherum begehbaren, massiven Wällen auf diesen "table mountain" und die Hochhäuser der Innenstadt hat, ist fast schon den Eintritt wert.
Gemäß der im zweiten Teil des siebzehnten Jahrhunderts üblichen Festungsarchitektur ist das Castle als regelmäßiges Fünfeck mit weit hinausragenden Eckbastionen angelegt. Diese Form ist so markant, dass sie sogar von der südafrikanischen Luftwaffe jahrzehntelang als Hoheitszeichen auf ihren Flugzeugen angebracht wurde.
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Die knallbunten Häuser im malaiischen Viertel Bo-Kaap sind Anziehungspunkt für Touristen und Fotografen |
Sechs Fahnen wehen nebeneinander über dem Haupteingang. Fahnen, in denen sich die Geschichte des Forts, Kapstadts und auch Südafrikas spiegelt, zeigte doch jede von ihnen zumindest für eine Zeit den jeweiligen Herren an. Die aktuelle Flagge des Landes mit den liegenden grünen Y lässt sich ziemlich leicht identifizieren und bildet den einen Endpunkt der Reihe. Am anderen Ende scheinen die niederländische Trikolore und auch der britische Union Jack beim ersten Hinsehen im Wechsel jeweils gleich doppelt aufzutauchen.
Doch ist das aktuelle rot der Niederländer in der äußersten Flagge noch orange, die Hausfarbe der in der "Republik der Sieben Vereinigten Provinzen" meist dominierenden Adelsfamilie der Oranier. Deswegen heißt sie auch "Prinsenvlag". Und auch der britischen Fahne daneben, die nach dem Gefecht von Muizenberg über dem Kap gehisst wurde, fehlen noch die Irland symbolisierenden, erst Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ergänzten roten Diagonalstreifen.
Dass die niederländische Flagge - nun in der immerhin seit über zweihundert Jahren festgeschrieben heutigen Version - noch ein weiteres Mal auftaucht, liegt an einem Friedensvertrag zwischen Großbritannien und dem napoleonischen Frankreich, in dem die Kapkolonie noch einmal an das französisch besetzte Niederlande zurück gegeben wurde. Doch nach dem Wiederaufflammen des Konfliktes zwischen den beiden Großmächten endete dieses kurze Intermezzo nach nur drei Jahren mit der endgültigen Annexion durch die Briten.
Die sechste Flagge ist jene der "alten" südafrikanischen Republik, die sich wieder die alte Prinsenvlag zum Vorbild genommen hatte, im Mittelfeld aber neben einem kleinen Union Jack in gleicher Größe auch noch die alten Fahnen der Burenrepubliken Transvaal und Oranje-Freistaat zeigt, und damit auf die Entstehung Südafrikas in seinen heutigen Grenzen aus dem Zusammenschluss dieser Staaten mit den britischen Küstenkolonien anspielt.
Selbst wenn man es kaum noch glauben mag, wenn man das inzwischen von dichter Bebauung umgebene Gelände sieht, lag die Befestigungsanlage die längste Zeit ihres Bestehens direkt an der Tafelbucht. Heute findet man diese aber in rund einem Kilometer Entfernung und die Schiffe im nach Durban zweitwichtigsten Hafen des Landes legen ein ganzes Stück weiter nördlich an. Im letzten Jahrhundert wurde das Gelände dazwischen nämlich nach und nach zur Landgewinnung aufgeschüttet.
Samstag 07.04.2012, 8:10 Uhr - St. James
Eigentlich sind sie nur ein kleines Detail, das man leicht übersehen kann.
Doch praktisch kein Reiseführer über Kapstadt oder Südafrika
kommt ohne ein Bild der knallig bunten Umkleidekabinen aus, die sich am Strand
von St. James aufreihen. In jeweils unterschiedlichen Kombinationen aus den
Farben rot, blau, grün und gelb sind ihre Wände, Dächer, Türen
und Treppen gestrichen.
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Der Chapman's Peak Drive ist die bekannteste Panorama-Straße Kapstadts und zudem ein wichtiger Bestandteil der Strecke Two Oceans Marathons |
Zusammen mit dem hellen Sand und der türkisen False Bay bilden sie aber auch ein wirklich lohnendes Fotomotiv. Bei strahlendem Sonnenschein wohlgemerkt. Im strömenden Regen, der sich über die Läufer auf der Uferstraße ergießt, sind sie jenseits der Bahnlinie noch viel, viel schwerer auszumachen als ohnehin schon. Und farbenfroh wirken sie ebenfalls nicht unbedingt. Es gibt Momente, da ist eben alles trist und grau.
Samstag 07.04.2012, 8:15 Uhr - hinter Sunnydale
Sieben Läuferinnen haben gemeinsam die Halbzeitmarke in knapp 1:50 erreicht.
Neben Elena Nurgalieva, die als eine der beiden aufgrund ihrer vielen Siege
in Südafrika ziemlich bekannten "russian twins" diesmal ohne
ihre schwangere Schwester antreten muss, haben sich an der Spitze die ebenfalls
aus Russland stammende Natalia Volpina, die Südafrikanerinnen Tshifhiwa
Mundalamo und Paulina Njeya, Mamorallo Tjoka aus Lesotho sowie Samukeliso Moyo
und Lizih Chokore aus Zimbabwe zusammen gefunden.
Eine knappe Minute später kommt die Amerikanerin Devon Crosby-Helms als Einzelkämpferin vorbei. Und auch die noch einmal über eine Minute zurück liegende Adinda Kruger hat keine Begleiterin mehr. Das Führungsfeld bei den Damen ist weit weniger kompakt als der an dieser Stelle noch ziemlich dichte Pulk bei den Männern.
Samstag 07.04.2012, 8:15 Uhr - Kalk Bay Station
Die Bauarbeiten auf der Hauptstraße in Kalk Bay waren schon in den vergangenen
Tagen ein Ärgernis. Denn nur äußerst schleppend ließ sich
der kleinen Badeort an der False Bay durchqueren. Und wer in den Süden
der Kaphalbinsel gelangen wollte, musste deshalb deutlich mehr Zeit mitbringen.
Zwar gibt es zwei einigermaßen akzeptable Alternativen zur flachen Küstenstraße, deren Verlauf auch der Two Oceans Marathon folgt. Doch wirklich optimal ist keine von ihnen. Beide sind landschaftlich beinahe noch schöner, aber eben auch mit deutlich mehr Höhenmetern und engen Kurven gespickt. Den - außerdem auch noch mautpflichtigen - "Chapman's Peak Drive" entlang der Westküste werden die Läufer später noch kennen lernen.
Und der "Ou Kaapse Weg" schraubt sich in der Mitte der Halbinsel bis auf dreihundert Meter nach oben. Als der "Chappie" vor einigen Jahren wegen Erdrutschen längere Zeit gesperrt werden musste, war diese "alte Kapstraße" sogar einmal als Ausweichstrecke für den Two Oceans im Gespräch. Zur Freude von Läufern und Verantwortlichen konnte die Originalroute dann aber doch noch belaufen werden.
Wirklich ungewöhnlich sind solche Baustellen natürlich nicht. Gerade auf vielbefahrenen Überlandstraßen wären manchmal sogar noch deutlich mehr von ihnen nötig. Denn einige dieser Asphaltpisten warten - als Teststrecken für die Haltbarkeit der Stoßdämpfung und der Reaktionsschnelligkeit des Fahrers - mit Schlaglöchern von bis zu einem Quadratmeter Größe und zehn Zentimeter Tiefe auf.
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Am Greenmarket Square verschmelzen europäische Kolonialbauten und afrikanische Marktstände zu einer faszinierenden Mischung |
Aber an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt hätte man sie nun wahrlich
nicht gebraucht. Auf der durch das Abhobeln des alten Belages nun deutlich tiefer
liegenden Straße haben sich nämlich aufgrund des nun schon seit einer
halben Stunde ununterbrochen prasselnden Regens tiefe Pfützen gebildet,
in die man gelegentlich sogar bis zu den Knöcheln eintauchen kann. Da bleibt
kein Schuh trocken.
Freitag 06.04.2012, 9:50 - Green Point Park, Kapstadt
Eine lange Reihe Kinder erwartet die Teilnehmer des Friendship Runs und streckt
ihnen erwartungsfroh die Hände zum Abklatschen entgegen. Ein wenig ungewöhnlich
ist es schon, bei einem Lockerungsläufchen solche Anfeuerung zu bekommen.
Doch ist diese Begeisterung ansteckend und zaubert auch den letzten bisher eher
verbissen drein Blickenden ein Lächeln ins Gesicht.
Der Two Oceans Marathon ist in der Stadt - selbst wenn er sie nicht so vollkommen in Beschlag nimmt, wie es der Comrades in Durban tut - sehr wohl ein wichtiges Thema. Und da die Rennen in einer ganz anderen Ecke der riesigen, in der Fläche ungefähr dem Großherzogtum Luxemburg oder dem Saarland entsprechenden Stadtgebietes ausgetragen werden, haben die Kinder vielleicht gar keine Chance diese an der Strecke zu erleben. So bekommen sie wenigstens einen kleinen Ersatz.
Samstag 07.04.2012, 8:30 Uhr - Fish Hoek
Am Ortseingang von Fish Hoek hat sich die Main Road von der Küste verabschiedet.
Eine Häuserreihe versperrt die Sicht auf die False Bay, als man sich dem
Halbmarathonpunkt nähert, der sich im Zentrum des früher selbstständigen,
inzwischen aber nach Kapstadt eingemeindeten Städtchens mit dem aus zwei
verschiedenen Sprachen zusammen gesetzten Namen.
Das im sonnenverwöhnten Südafrika als extrem ungemütlich empfundene Regenwetter mag durchaus viele davon abgehalten haben, an die Strecke zu kommen. Doch ganz ohne Zuschauer muss man in Fish Hoek trotzdem keineswegs auskommen. Der Two Oceans ist eben doch ein Ereignis, das sich viele nicht entgehen lassen wollen.
Ein großer Kreisel am Ende der von Geschäften gesäumten Durchfahrt schließt das Kapitel "False Bay" beim Two Oceans Marathon dann endgültig ab. Denn während die Main Road nach links weiter dem Küstenverlauf folgt und mit Glencairn und Simon's Town den letzten der wie Perlen an der Schnur aufgereihten Orte der Southern Peninsula entgegen strebt, um anschließend Kurs aufs Kap der Guten Hoffnung zu nehmen, dreht die Laufstrecke nach rechts ins Landesinnere weg. Die Kommetjie Road nimmt die Ultramarathonis für die nächsten Kilometer auf.
Samstag 07.04.2012, 8:35 Uhr - Kommetjie Road, Fish Hoek
Hinter dem Kreisel steigt die Straße spürbar an. Wirklich flach war
die Main Road zwar die wenigste Zeit. Immer wieder hatte sie leichte Wellen.
Doch nun gilt es dreißig oder vierzig Höhenmeter in einem Stück
zu bewältigen. Der Anstieg ist zwar nicht allzu steil, doch er zieht sich.
Erstmals kommt man nicht mehr mit etwas Schwung im normalen Laufrhythmus über
die Kuppe hinweg. Nun muss man tatsächlich ein wenig mehr Kraft einsetzen.
Dennoch fällt die Durchquerung der Cape Pensinsula von der False Bay zum Atlantik - denn genau diese hat man gerade in Angriff genommen - eigentlich überraschend harmlos aus. Denn während sich ansonsten die Ausläufer des Tafelsberges wie ein steinernes Rückgrat über die Kaphalbinsel ziehen, erstreckt sich zwischen Fish Hoek und dem Örtchen Kommetjie an der Westküste eine klar erkennbare Senke. Für den Two Oceans Marathon hat man sich also die niedrigste Stelle ausgesucht.
Am Straßenrand fallen seit längerem Plakate mit abhängig von
der jeweiligen Position immer neuen Sprüchen auf, die von den Organisatoren
zur Ablenkung und Motivation der Läufer im Vorfeld an Laternenpfählen
oder Verkehrsschildern angebracht worden sind. An der Kommetjie Road kann man
da zum Beispiel das für diesen Abschnitt ziemlich passende Wortspiel "Ocean
Two Ocean" lesen.
Samstag 07.04.2012, 8:40 Uhr - Kommetjie Road, Fish Hoek
Das dunkelgrün-gelbe Laufhemd von Greig Tanner ähnelt farblich dem
Trikot der Springboks, der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaf. Doch
trägt er keineswegs eines der auch abseits der Stadien überall als
normale Freizeitbekleidung zu sehenden Oberteile. Sein Bluffs AC aus der Nähe
von Durban hat sich nur - vermutlich eher zufällig - für die gleichen
Farben entschieden.
Schon eine Dreiviertelstunde zuvor hatte er beim kurzen, auf Englisch geführten Gespräch mit Julian Karp am Ortseingang von Muizenberg ein paar Sätze beigesteuert. Nun, nachdem man sich im Anstieg zur Kuppe der Kommetjie Road wieder über den Weg gelaufen ist, will er zeigen, dass er durchaus auch ein bisschen Deutsch kann. Schließlich habe er ein halbes Jahr in Göppingen gelebt und gearbeitet.
Und so geht die Unterhaltung in einem für Außenstehende sicher ziemlich merkwürdig klingenden Kauderwelsch vonstatten. Natürlich geht es auch um jene Themen, die man nach einigen Läufen in Südafrika längst kennt. Den Comrades zum Beispiel, der beim üblichen Frage-und-Antwort-Spiel immer ganz oben auf der Liste steht.
"Hast du ihn schon mal mitgemacht?" Diesem Satz kann man als ausländischer Besucher kaum entgehen. Und nach dem schon fast automatisierten "ja, zweimal" ist man bei südafrikanischen Läufern meist endgültig als einer der ihren akzeptiert. Für den aus der dortigen Region stammenden Tanner gehört der traditionsreiche Ultra jedenfalls wie selbstverständlich zum Pflichtprogramm eines jeden Jahres. Eine Permanent-Nummer hat er bisher sich allerdings noch nicht erarbeitet.
Eine andere Frage ist eher überraschend. So erkundigt sich der gute Greig bei seinem aus der "Frankfurt region" stammenden Gesprächspartner doch tatsächlich, ob es eine ganz bestimmte Kneipe in der Mainmetropole noch gäbe. Dort hätte er nämlich während seines Aufenthaltes einmal einen ziemlich schönen Abend verbracht.
Die Antwort, dass es davon alleine im Rhein-Main-Gebiet etliche tausend gäbe
und man - insbesondere als Sportler - schließlich nicht jede von ihnen
kennen könne, leuchtet ihm angesichts der anscheinend recht guten mit dem
europäischen Gaststättenwesen gemachten Erfahrungen dann aber doch
ein.
Donnerstag 05.04.2012, 14:00 Uhr - Long Street, Kapstadt
Entlang der historischen Long Street reihen sich in größtenteils
aus der viktorianischen Zeit stammenden Bauten Straßencafés, Kneipen,
Unterkünfte für Rucksackreisende, Antiquitäten- und Trödelläden
aneinander. Auf dem Gehsteig unter den schmiedeeisernen Balkonen, die man sich
durchaus auch in New Orleans vorstellen könnte, ist ständig Bewegung.
Touristen und Einheimische, Ausgeflippte und Angepasste, Büroangestellt
im feinen Anzug und Hippies in bunten Klamotten begegnen sich.
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Entlang der historischen Long Street reihen sich in viktorianischen Bauten Straßencafés, Kneipen und Unterkünfte für Rucksackreisende aneinander |
Die Long Street ist vielleicht die typischste Kapstädter Straße
überhaupt. Wohl nirgendwo sonst kann man so gut erkennen, wie sich aus
vielen völlig unterschiedlichen Quellen langsam eine gemeinsame Kultur
herausbildet. Im Gegensatz zur zwar durchaus sehenswerten, aber eben doch eher
kommerziellen und sterilen Victoria & Alfred Waterfront ist man auf dieser
Straße mittendrin im südafrikanischen Leben.
Samstag 07.04.2012, 8:45 Uhr - Fisch Hoek, Kapstadt
Als die Kommetjie Road in einen lang gezogenen Bogen ein wenig nach links abdreht,
verlässt die Laufstrecke sie wieder und führt weiter geradeaus in
ein Wohngebiet hinein. Dass die Straße dort ein wenig schmaler ist, spielt
angesichts des nach fast zweieinhalb Stunden doch schon recht auseinander gezogenen
Feldes keine große Rolle mehr.
Die Kuppe der Kommetjie Road hat man zu diesem Zeitpunkt bereits überwunden.
Erst einmal geht es leicht bergab und ohne größere Höhenunterschiede
weiter. Dafür wird der Regen, der sich für einen kurzen Moment etwas
zurückgehalten hatte, nun wieder stärker. Die Hoffnung, dass es im
Laufe des Rennens vielleicht doch noch einmal aufklaren könnte, schwindet
immer mehr.
Samstag 07.04.2012, 8:50 Uhr - Sunnydale, Kapstadt
Fast scheint es so, als hätten die Organisatoren wirklich an alles gedacht.
Denn dort, wo man nach dem Verlassen des Wohngebietes wieder auf die Hauptstraße
stößt, fällt ein kleines Detail ins Auge. Denn nur etwa zweihundert
Meter bleiben, um die Straße in der Nähe des Einkaufszentrums von
Sunnydale diagonal zu kreuzen, bevor es schon wieder in die Zufahrt zum Chapman's
Peak Drive geht.
Und dabei würden die wie vielerorts in Südafrika aus dem Mittelstreifen
heraus ragenden Katzenaugen gefährliche Stolperfallen darstellen. Also
hat man sie an dieser Stelle mit kleinen tellerförmigen Kunststoffscheiben
abgedeckt. Man müsste sich schon ziemlich anstrengen, um an ihnen trotzdem
noch hängen zu bleiben.
Donnerstag 05.04.2012, 11:15 Uhr - Good Hope Center, Kapstadt
Der Läufer, der sich eben an den Tisch dazu gesetzt hat, eröffnet
das Gespräch mit der Frage "Und? Wie oft wart ihr schon dabei?"
Er selbst hätte bisher elf Two Oceans Marathons mitgemacht, schiebt er,
ohne die Antwort überhaupt abzuwarten, nach. Anscheinend geht er davon
aus, Stammgäste, wie er selber einer ist, vor sich zu haben. Denn in diesen
Bereich des Good Hope Center, in dem es umsonst Kaffee und Plätzchen, Kaltgetränke
und Häppchen gibt, kommt unter anderem hinein, wer am Eingang eine sogenannte
"Blue Number" vorzeigen kann.
Wie in Südafrika üblich bekommt jeder, der ein Rennen zehnmal erfolgreich absolviert hat, eine feste Startnummer, die sogenannte "permanent". Wie fast bei allem, war auch hierbei der Comrades der Vorreiter. Dort sind diese Nummern im Gegensatz zu normalen Startnummern grün unterlegt, um das Wortspiel mit dem "Evergreen" zu symbolisieren. Beim Two Oceans ist sie zur Unterscheidung dagegen stets blau.
Als er dann hört, dass man das Rennen noch gar nicht bzw. bisher nur einmal absolviert hat, ist er im ersten Augenblick zwar ein wenig überrascht. Doch dann besinnt er sich schnell, dass ja auch internationale Gäste mit ihrer orangefarbenen Nummer Zutritt erhalten. "Wo kommt ihr denn her?" geht die Unterhaltung, wie erwartet weiter.
Samstag 07.04.2012, 8:55 Uhr - hinter Sunnydale
"You've lost your international status", witzeln Jasper und Schalk
Cloete. Doch haben sie damit keineswegs unrecht. Denn die orange Farbe, an der
Starter von jenseits der südafrikanischen Grenzen noch am Start leicht
zu erkennen waren, ist inzwischen vollkommen aus den beiden Startnummern heraus
gewaschen.
Während das Grün der Einheimischen - und ebenso das Blau der Dauergäste
- problemlos dem Regen widersteht, hat man beim Druck der - bei genauerem Hinsehen
tatsächlich aus einem etwas anderen Material bestehenden - Nummern für
Ausländer anscheinend wasserlösliche Farbe verwendet.
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Axel Rittershaus (mitte in grün) führt seinen Sechs-Stunden-Bus die ersten Steigungen zum Chapman's Peak Drive hinauf | Oben angekommen liegt den Läufern der kilometerlange Strand von Nordhoek zu Füßen |
Mit dem Einsetzten des Regen hatte sie schon begonnen, sich in Richtung Trikot und Hose zu verabschieden. Nun ist von der Hintergrundeinfärbung nichts mehr zu sehen. Und sogar die Zahlenkombination - selbst wenn sie sich ein wenig hartnäckiger auf dem Papier hält - hat längst etwas unscharfe Konturen. Auch in dieser Hinsicht war man also wohl auf so ein Wetter nicht wirklich eingestellt.
Bei der Zeitmessung ist das Ganze kein großes Problem. Für diese benutzt man ja einen auch unter diesen Bedingungen funktionsfähigen Chip. Und nach nun schon über einer Stunde Dauerregen sind selbst die breiten Ablaufspuren, die sich anfänglich über den Stoff der Laufbekleidung zogen, schon beinahe wieder verschwunden. Aber ein wenig ärgerlich ist der kleine Lapsus dennoch irgendwie.
Das würde jetzt eigentlich nach einem Halbmarathonläufer aussehen, frotzeln Jasper und Schalk - ein in diesem Moment irgendwie absolut passender Vorname - weiter. Die hatten nämlich farblich nicht unterlegte Nummern erhalten. Das wäre in diesem Fall aber der völlig falsche Kurs, der richtige Abzweig sei doch bereits kurz nach dem Start gewesen.
Dann wäre es aber langsam wohl allerhöchste Zeit, zurück zum
Universitätsstadion zu kommen, bekommen sie als ebenso wenig ernstgemeinte
Antwort. Schließlich wäre dort ein Zielschluss von drei Stunden vorgegeben.
Und da das kürzere Rennen bereits seit sechs Uhr im Gange ist, blieben
da jetzt nicht mehr allzu viele Minuten. Der "Lange" hat nach etwa
siebenundzwanzig absolvierten Kilometern dagegen eigentlich gerade erst richtig
begonnen.
Sonntag 07.04.2012, 11:30 Uhr - Franschhoek
Die Kundin in der auch am Ostersonntag geöffneten Drogerie mit angeschlossener
Apotheke schaut ein wenig mitleidig auf die wund gescheuerte Ferse, die dem
Verkäufer von einem der beiden anderen Anwesenden auf der Suche nach einer
Behandlungsmöglichkeit präsentiert wird. "Das ist sicher vom
Two Oceans gestern". Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.
Sie wäre auch schon mehrfach mitgelaufen und sie könne sich gut vorstellen, welche Auswirkungen der Dauerregen und die Feuchtigkeit am Vortag gehabt haben könnten. Über die Tatsache, dass auch der eher ungelenken Gang der zwei europäischen Besucher ein ziemlich eindeutiges Indiz für diese Behauptung geliefert haben dürfte, redet sie nicht.
Auch einen Tag nach dem Rennen hat sich das Wetter keineswegs wirklich gebessert. Regenpausen und heftige Güsse wechseln sich in relativ kurzen Abständen ab. So muss der kleine Bummel durch "Franzoseneck" - denn so ließe sich Franschhoek etwa übersetzen - immer wieder unterbrochen werden, um sich irgendwohin ins Trockene zu flüchten.
Die bereits 1688 von französischen Hugenotten gegründete Ortschaft zählt wie das benachbarte Stellenbosch, zu dem sie seit einem guten Jahrzehnt verwaltungsmäßig gehört, zum Kernland des südafrikanischen Weinbaus. Noch einiges an alter Bausubstanz ist erhalten. Selbst wenn die Atmosphäre dank etlicher Straßencafés manchmal durchaus etwas von Frankreich hat, dominiert allerdings auch in Franschhoek dabei eher der kapholländische Stil mit seinen markanten Giebelhäusern.
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Außerhalb des historischen Stadtzentrums wachsen rund um die Adderley Street moderne Hochhaustürme empor |
Französisch spricht drei Jahrhunderte nach der Ankunft der hugenottischen Religionsflüchtlinge ohnehin niemand mehr. Nur die Namen vieler Südafrikaner belegen noch den französischen Einfluss auf die Entwicklung der damals noch niederländischen Kolonie. "Louis Joubert", "Francois de Villiers", "Pierre du Plessis" oder "Jacques le Roux" sind jedenfalls rund ums Kap völlig normal. Und selbst das auf den ersten Blick nicht unbedingt nach einer Herkunft aus Frankreich aussehende "Pienaar" lässt sich zum Beispiel auf "Pinard" zurück führen.
Samstag 07.04.2012, 9:05 Uhr - Anstieg zum Chapman's Peak Drive
Auch er sei schon zweimal in Deutschland gewesen, berichtet Jasper Cloete. Gelaufen
wäre er dort aber noch nicht. Denn bei seinem ersten Besuch vor vielen
Jahren hatte er die Sportart noch gar nicht für sich entdeckt. Und als
er dann vor einigen Jahren auf einem Kongress in Leipzig war, hatte er den nur
zehn Tage zuvor gelaufenen Comrades noch frisch in den Beinen.
Ein paar Worte Deutsch sind hängengeblieben. Allerdings gibt die präsentierte Auswahl "Bier" und "Schweinshaxe" bezüglich des Bildes, das man im Ausland von "Germany" hat, irgendwie schon zu denken. Auch "Kartoffel" kennt Jasper noch. Und muss angesichts des Zufalls, dass genau in diesem Moment ein Verpflegungsstand auftaucht, an dem neben Getränken auch Kartoffeln - in Südafrika als Wettkampfnahrung durchaus üblich - ausgegeben werden, selber schmunzeln.
Samstag 07.04.2012, 9:11 Uhr - Anstieg zum Constantia Nek
Die Spitzengruppe bei den Frauen ist an der Marathonmarke auf zwei geschrumpft.
Nur noch die beiden Russinen Elena Nurgalieva und Natalia Volgina liegen vorne.
Zwar kommen beide aus dem gleichen Land, doch da sie für verschiedene Rennställe
starten - wieder einmal sind es die beiden wichtigsten Mr Price und Nedbank
- kann man nicht davon ausgehen, dass es so abläuft wie bei vielen bisherigen
Two Oceans und Comrades Marathons, bei denen Elena mit ihrer Zwillingsschwester
bis zum Schluss gemeinsam lief und man manchmal schon den Eindruck einer Absprache
über die jeweilige Siegerin bekommen konnte.
Die für Toyota laufende Mamorallo Tjoka aus Lesotho besitzt mit einer Viertelminute Rückstand immerhin noch losen Kontakt zu den beiden Osteuropäerinnen. Die eine weitere Minute zurück liegenden Tshifhiwa Mundalamo und Samukeliso Moyo habe den Anschluss dagegen wohl endgültig verloren.
Die übrigen Läuferinnen, die noch bei Halbzeit so mutig mitgegangen waren, wie Lizih Chokore, die noch eine Woche zuvor beim Long Tom Marathon über einundzwanzig Kilometer gesiegt hatte, sind noch weiter abgehängt. Adinda Kruger und die Amerikanerin Devon Crosby-Helms, die nun gemeinsam unterwegs sind, beginnen dagegen Plätze gut zu machen.
Samstag 07.04.2012, 9:15 Uhr - Chapman's Peak Drive
Das hatte man nun wahrlich nicht unbedingt erwartet. Im Anstieg zu Chapman's
Peak Drive ertönt auf einmal das aus der fernen Heimat altbekannte "Zicke
Zacke". Und die vielstimmige Antwort lässt darauf schließen,
dass es sich dabei keineswegs nur um Deutschsprachige handeln kann. Schon alleine,
weil das, was eigentlich ein "hoi" sein sollte, mit so ziemlich jedem
nur denkbaren Vokal ausgesprochen wird.
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Ob alter Schiffsbug, Statuen der südafrikanischen Nobelpreisträger oder eine riesige Skulptur aus Cola-Kisten, an der Waterfront gibt es verschiedenste Arten von Kunst |
Profi-Motivationstrainer und Freizeit-Tempomacher Axel Rittershaus hat versucht
seinem Sechs-Stunden-Bus zur Auflockerung einen deutschen Schlachtruf beizubringen,
was zumindest zum Teil gelungen sein dürfte. Der Mehrzahl seiner "Mitfahrer"
scheint es auch zu gefallen. Wie viele allerdings deswegen in den zweiten, wenig
später folgenden Bus umgestiegen sind, lässt sich wohl kaum ermitteln.
Und an den Feinheiten wird Rittershaus auf jeden Fall noch ein bisschen arbeiten
müssen.
Samstag 07.04.2012, 9:30 Uhr - Chapman's Peak Drive
Schon seit einigen Minuten hat man den kilometerlangen Strand zwischen Nordhoek
und Kommetjie im Blickfeld. Doch da sich die Straße in leichten Kurven
immer weiter am Hang hinauf windet wird die Aussicht beinahe mit jedem Schritt
besser. Die Unwahrheit haben die am Beginn der Steigung passierten Sponsoren-Schilder
mit der Aufschrift "Warning: Captivating views ahead" ganz sicher
nicht gesagt.
Dennoch sind die "fesselnden, hinreißenden Ausblicke" auf Sand,
Meer und Berge durch das nun wieder in voller Kraft von oben kommende Wasser
ein wenig getrübt. Schon die Hügel am anderen Ende des Strandes sind
nur recht unscharf zu erkennen. Und die Wolken am Himmel verheißen nicht
Gutes. Auch den zweiten der beiden "Ozeane" wird man wohl einzig und
allein im Regen zu Gesicht bekommen.
Samstag 07.04.2012, 9:35 Uhr - Chapman's Peak Drive
"Wenigstens werdet ihr nicht so nass", möchte man den acht Läufern
zurufen, die in der traditionellen Raupe stecken und sich trotz der auf den
Schultern zusätzlich ruhenden Kilogramm den Anstieg hinauf kämpfen.
Der Sponsor Old Mutual lässt jedes Jahr - übrigens nicht nur bei diesem
Rennen - dieses mit ihren Firmenfarben und Logos versehene Gestell aus Draht
und Stoff über die Strecke tragen.
Die Schwierigkeit besteht aber nicht nur in der Sperrigkeit und dem Gewicht der Gerätschaft. Auch die Koordination von so vielen in nicht gerade langsamem Tempo hintereinander Laufenden ist sicher eine ziemliche Herausforderung. Zum Genießen der Aussicht haben die von einigen Ersatzleuten begleiteten Träger also noch weniger Muße als alle anderen, die in diesem Moment den Berg hinauf keuchen.
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Trotz Regen ist die Aussicht auf Wasser, Sand und Berge noch immer ziemlich beeindruckend |
Sonntag 07.04.2012, 14:00 Uhr - L'Agulhas
Die Erwähnung des Begriffs "Two Oceans" gegenüber dem Eigentümer
des Guest Houses in L'Agulhas, dem südlichsten Ortschaft Afrikas, führt
keineswegs zu energischem Widerspruch, dass doch eigentlich erst an diesem Punkt,
am Kap Agulhas und nicht etwa in Kapstadt die beiden Ozeane aufeinander treffen
würden, sondern zu einer interessierten Nachfrage.
Wie es denn während des Rennens so gewesen sei, erkundigt er sich, außer nass natürlich, denn das sei ihm schon bekannt. Und ob man denn wenigstens ein bisschen den Chapman's Peak Drive habe genießen können. Er ist kein Läufer, aber den Streckenverlauf kennt er trotzdem ziemlich genau und kann problemlos mitreden, als die Sprache auf andere markante Stellen des Kurses kommt.
Und natürlich gibt es noch ein weiteres Thema. Eigentlich ist es in Südafrika unvermeidlich, wenn es ums Laufen geht. "Zum Comrades müsst ihr auch mal". Da sei man bereits gewesen, und zwar in den letzten beiden Jahren, bekommt er zu hören. Und schon wird über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden großen Ultras des Landes diskutiert.
Nach vielen ähnlichen Erlebnissen sollte man eigentlich daran gewöhnt
sein, auf welches Interesse diese Veranstaltungen in Südafrika auch bei
Nicht-Läufern stoßen. Und dennoch ist man immer wieder aufs Neue
überrascht. Dass es draußen gerade einmal wieder wie aus Eimern schüttet
und man sowieso nicht viel machen kann, lässt die lockere Unterhaltung
dann noch einige Minuten länger dauern.
Samstag 07.04.2012, 9:40 Uhr - Chapman's Peak Drive
Links unten das Meer und rechts die fast senkrechte Felswand, seit die Chapman's
Peak Drive wirklich parallel zur Küste verläuft, ist er noch spektakulärer
geworden. Es lässt sich kaum verheimlichen, dass er an vielen Stellen regelrecht
in den steil abfallenden Berg hinein geschlagen werden musste.
Manchmal läuft man sogar unter leichten Überhängen durch. Am markantesten ist das am sogenannten "half tunnel". Denn dort ragt die Wand nicht nur ein Stück über die Straße hinaus. Zum Schutz vor Steinschlag hat man in einer Kurve den Asphalt sogar komplett mit einer längeren Galerie überbaut.
Den Helfern, die an diesem Punkt Getränke ausgeben, kommt das an diesem Tag sicher nicht ungelegen. Denn während sich ihre Kollegen an den anderen Posten stundenlang nass regnen lassen müssen, konnten sie ihre Tische als einzige im Trockenen aufbauen. Auch so mancher der Vorbeikommenden mag geneigt sein, sich unter dem schützenden Dach ein wenig länger aufzuhalten. Doch andererseits ist es eigentlich völlig egal und auch längst zu spät. Bis auf die Haut durchnässt ist man ja ohnehin schon.
Samstag 07.04.2012, 9:55 Uhr - Chapman's Peak Drive
Auch hinter der Lawinengalerie hat sich die Straße weiter am Hang empor
gearbeitet. Denn bis zum Scheitelpunkt des Chapman's Peak Drive musste man noch
ein ganzes Stück Strecke und zudem etliche Höhenmeter zurück
legen. An einem Felsdurchbruch mit einer kleinen Parkbucht hat man ihn nun -
selbst wenn man es angesichts der Aussicht kaum glauben mag - noch weit unter
der Zweihundert-Meter-Marke aber doch erreicht.
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An manchen Stellen ist der Chapman's Peak Drive regelrecht in den steilen Hang hinein geschlagen worden |
Jenseits des Engpasses ändert sich das Bild augenblicklich. Obwohl sich von der Straße immer noch ein beeindruckendes Panorama bietet, sind die Hänge - sowohl ober- wie auch unterhalb der Läufer - längst nicht mehr so steil wie zuvor. Statt wie bisher dramatisch zum Meer hin abzustürzen, neigen sie sich deutlich sanfter dem Wasser entgegen.
Doch blickt man eben jetzt auch nicht mehr auf den offenen Atlantik. Man ist
vielmehr an der Hout Bay angekommen, einer auf drei Seiten von Land umgebenen
Bucht, die man auf den nächsten vier Kilometern zur Hälfte umrunden
darf, um hinunter zur gleichnamigen Ortschaft zu gelangen.
Samstag 07.04.2012, 9:58 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Bei den Olympischen Spielen von Moskau war Vladimir Kotov für die damals
noch existierende Sowjetunion Vierter im Marathonlauf. Doch nicht etwa deswegen
ist er in Südafrika, wo er inzwischen zu Hause ist, extrem populär.
Es hat neben vielen Erfolgen bei kleineren Rennen am Kap vor allem drei Siege
beim Comrades zu Buche stehen.
Schon bei seinen Erfolgen in den Jahren 2000, 2002 und 2004 war er jenseits der Vierzig. Das letzte Mal gewann er im Alter von sechsundvierzig Jahren gegen zum Teil kaum halb so alte Konkurrenz. Aber noch immer mischt er in der südafrikanischen Laufszene fleißig mit.
Zwar reicht es nun nicht mehr für die absolute Spitze, doch in seiner Altersklasse M50 ist der inzwischen Sechsundfünfzigjährige - gewertet wird nur in Zehnerschritten - absolut überlegen. Und nur ganz knapp schrammt Kotov dabei an einem Platz unter den ersten Fünfzig vorbei. Gerade einmal 3:32:44 hat er benötigt, als er auf dem Rugbyfeld der Universität ins Ziel läuft, und hat damit mehr als zwanzig Minuten Vorsprung vor dem Zweiten.
Dieser wird übrigens Shaun Meiklejohn heißen und ebenfalls ein früherer
Comrades-Gewinner - derjenige des Jahres 1995 - sein. Immerhin noch fünftausend
Rand Siegprämie bzw. dreitausend Rand Platzprämie werden sich die
beiden damit verdienen. Denn auch in den Altersklassen sind Preisgelder ausgelobt.
Samstag 07.04.2012, 10:00 Uhr - Chapman's Peak Drive
Es mag durchaus Tage geben, an denen die selbst für Südafrika - wo
vieles doch ein wenig anders ist als in Europa oder Nordamerika - ziemlich ungewöhnliche
Wettkampfverpflegung reißende Abnehmerschaft gefunden hätte. Der
Ostersamstag des Jahres 2012 zählt eher nicht dazu. Denn was bitte soll
man bei Temperaturen von wenig mehr als zehn Grad und Dauerregen bitteschön
bloß mit Speiseeis.
Das eine oder andere Eis werden die Helfer trotzdem los. Zumindest für
einen Zuckerstoß ist es ja vielleicht ganz gut. Den könnte man sich
allerdings auch mit der an den Versorgungsposten ausgegebenen Cola oder Elektrolytgetränken
holen. Die oft geäußerten Bedenken, dass man ständig nachfüllen
müsse, wenn man einmal damit angefangen habe, sind beim Two Oceans leicht
zu entkräften. Bei mehr als dreißig Verpflegungsstellen kann man
selbst als Marschierer nach höchsten zwanzig Minuten wieder pappig-süße
Flüssigkeiten zu sich nehmen.
Samstag 07.04.2012, 10:07 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Am Ende hat Elena Nurgalieva wie von den meisten erwartet dann doch noch alles
klar gemacht und sich die ausgelobten 250.000 Rand Preisgeld gesichert. In 3:41:54
gewinnt sie den Two Oceans Marathon schließlich deutlicher, als es die
Zwischenzeiten lange hatten vermuten lassen. Dreieinhalb Minuten verliert die
lange gleichaufliegende und nun nach 3:45:27 einlaufende Natalia Volgina auf
dem letzten Viertel der Stecke noch auf Nurgalieva.
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Zwischen Fels und Meer verläuft die spektakuläre Panoramastraße mit ständig neuen phantastische Aussichten die Küste entlang |
Rang drei geht - nach dem Rennverlauf eher überraschend - mit 3:47:29
an die defensiver angehende Devon Crosby-Helms. Mamorallo Tjoka, die Vierte
in 3:48:48, und Samukeliso Moyo, die mit 3:49:08 Fünfte wird, hat die für
das Nedbank-Team angeworbene Amerikanerin noch eingesammelt. Die Südafrikanerin
Tshifhiwa Mundalamo ist sogar auf Platz neun durchgereicht worden. Als beste
Einheimische läuft deshalb nach 3:50:11 Adinda Kruger auf dem Universitätssportplatz
ein.
Samstag 07.04.2012, 10:10 Uhr - Chapman's Peak Drive
Die Musikkapelle, die versucht mit schmissigen Rhythmen den Läufern ein
wenig zusätzlichen Schwung zu geben, ist eigentlich zu bedauern. Da sie
die Hände für ihre Instrumente brauchen stehen ihre Mitglieder ziemlich
ungeschützt im prasselnden Regen herum. Nur der kleine Strohhut und die
vom Sponsor Old Mutual gestellten, grünen Uniformen halten die Nässe
ein wenig fern. Doch Spaß scheinen sie trotzdem zu haben.
Da der insgesamt fast zehn Kilometer lange Chapman's Peak Drive nur an den
Enden Zufahrten hat und während des Rennens komplett gesperrt ist, haben
Zuschauer keine Chance, ihn zu erreichen. Die Läufer bleiben auf der Panoramastraße
außer an den Verpflegungsständen praktisch ohne Anfeuerung. So haben
die Organisatoren dann auch an dieser Stelle eine Band postiert. Und der von
ihr gespielte Cape-Jazz macht tatsächlich die schon etwas müden Beine
wieder deutlich lockerer. Hinunter nach Hout Bay kann man es nun rollen lassen.
Samstag 07.04.2012, 10:40 Uhr - Ausgang Hout Bay
Der Weg hinaus aus Hout Bay sei eine der "toughest sections" der Strecke,
hatte die mit den Startunterlagen kostenlos ausgegebene Hochglanz-Rennbroschüre
im Vorfeld verkündet. Unter anderem, weil er nahezu komplett der Sonne
ausgesetzt wäre. Nun, an diesem ziemlich feuchten Tag ist das auch in diesem
Abschnitt wahrlich kein Problem.
Doch auch ohne das vom Himmel brennende Zentralgestirn stellt die Passage tatsächlich einen psychologischen Knackpunkt dar. Kilometerlang ist es nun vom Chapman's Peak Drive bergab hinunter nach Hout Bay gegangen. Und im kompakt bebauten Ortskern ist die Strecke dann zwar ebener geworden, doch wurde man trotz strömenden Regens von einer jubelnden Zuschauermenge empfangen.
Nun allerdings fehlen beide Schwung gebende Aspekte. Die Bebauung weicht immer öfter zurück und lässt sich hinter Bäumen und Büschen oft nur noch erahnen. Das Publikum ist längst deutlich spärlicher. Und den spektakulärsten Teil beim "world's most beautiful marathon" hat man mit der in den Fels geschlagenen Küstenstraße jetzt definitiv hinter sich. Für den Rest des Laufes wird man das Meer sogar überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.
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Immer höher winden sich die Strecke und Läufer entlang der Felswand bis zum hundertsechzig Meter über dem Meer gelegenen Scheitelpunkt hinauf |
Doch dafür rückt die Marathonmarke näher, haben die langsam müder werdenden Beine bereits vierzig harte Kilometer bewältigt. Und der längere und schwerere der beiden großen Anstiege - der hinauf zum Constantia Nek - steht trotzdem noch bevor. Andererseits lässt er gleichzeitig jedoch auch irgendwie weiter auf sich warten. Die letzte Herausforderung der Strecke will einfach nicht beginnen. Für Kopf und Körper wird es im Moment deshalb gleichermaßen zäh.
Samstag 07.04.2012, 10:45 Uhr - Anstieg zum Constantia Nek
Langsam dreht die Straße nach rechts und behält diese leichte Kurve
solange bei, bis sie eine Neunzig-Grad-Drehung vollendet hat und auf östliche
Richtung eingeschwenkt ist. Die Markierung mit der "42" taucht am
Straßenrand auf. Wäre es ein ganz normaler Marathon, hätte man
es jetzt geschafft. Beim Two Oceans sind allerdings erst drei Viertel der Distanz
bewältigt. Noch fehlen vierzehn Kilometer.
Und nun beginnt die Strecke auch tatsächlich zu steigen. Anfangs ist es eher vorsichtig, aber eben doch spür- und sichtbar. Bis zum höchsten Punkt der Strecke am Constantia Nek - eine kleinen Passhöhe zwischen dem Tafelberg und seiner kaum niedrigeren südlichen Verlängerung - wird man innerhalb von nur vier Kilometern nun insgesamt rund zweihundert Meter erklettern müssen.
Verglichen mit dem Chapman's Peak Drive ist die Steigung zum Constantia Nek
eher unscheinbar. Und außerhalb Südafrikas wird sie in der Berichterstattung
deshalb oft vernachlässigt. Zu sehr dominieren dort die Bilder der spektakulären
Küstenstraße. Doch nicht nur bezüglich der reinen Zahlenwerte
stellt Constantia Nek die wahre Klippe des Two Oceans dar. Das Rennen beginnt
eigentlich erst jetzt richtig.
Samstag 07.04.2012, 8:45 Uhr - Anstieg zum Constantia Nek
Wie zu erwarten war hat der "Chappie" noch lange keine Vorentscheidung
bewirkt. An der Marathonmarke sind noch immer zehn Läufer an der Spitze
zusammen. Gerade einmal 2:20:32 haben sie in diesem Moment benötigt. Sieben
weitere Athleten kommen zudem noch vorbei, bevor der Sekundenzeiger eine volle
Umdrehung vollendet hat.
Die bekanntesten Namen in der Kopfgruppe haben dabei wohl der dreifache Comrades-Sieger Stephen Muzhingi aus Zimbabwe und Gert Thys, der mit seiner 1999 in Tokio erzielten 2:06:33 noch immer den südafrikanischen Marathonrekord hält. Sind schon diese beiden hierzulande nur echten Spezialisten ein Begriff, hat man von Odwa Tunyiswa, Tsotang Maine, Henry Moyo, Lebenya Nkoka, Mthandazo Qhina, Collen Makaza, Bongumusa Mthembu und Vusi Malobola definitiv noch nie gehört.
Insgesamt fünf Südafrikanern stehen je zwei Läufer aus Zimbabwe und Lesotho sowie einer aus Malawi gegenüber. Während sich weltweit Kenianer und Äthiopier bei den internationalen Marathons miteinander balgen, zieht es die angesichts solcher Durchgangzeiten gewiss nicht schlechten Athleten aus dem Süden des Kontinents eher an die Fleischtöpfe der südafrikanischen Ultrarennen.
Wie der für das Team "Bluff Meats F1" startende Muzhingi sind aber auch alle anderen bei den von großen Firmen finanzierten Rennställen aus Südafrika unter Vertrag. Mit vier Athleten in der absoluten Spitze hat Nedbank - die zum gleichen Bank- und Versicherungskonzern wie Old Mutual, der Namensponsor der Two Oceans gehört - gegenüber dem mit nur drei Sportlern vertretenen großen Rivalen Mr Price dabei leicht die Nase vorn.
Allerdings tragen von den nächsten Verfolgern gleich fünf das rote
Trikot der Bekleidungskette, so dass man einen klaren Sieger dieses Duells,
das sich durch parktisch alle Rennen am Kap zieht, noch nicht ausmachen kann.
Die deutlich kleineren, aber qualitativ hochwertig besetzten Mannschaften von
Toyota und der Krankenversicherung Bonitas sind zudem ebenfalls noch vorne vertreten.
Samstag 07.04.2012, 10:55 Uhr - Anstieg zum Constantia Nek
Die Ordnerin gibt sich im Anstieg zum Constantia Nek größte Mühe.
Immer wieder ertönt ihr "runner please keep to the left". Unterstützend
dazu winkt sie eifrig mit ihrer roten Fahne in die entsprechende Richtung. Die
rechte Fahrspur ist nämlich an dieser Stelle kurzzeitig für Autos
reserviert, um den Anwohnern des in Teilen einzig und allein über diese
Straße zu erreichenden Wohngebietes die Möglichkeit zur Ein- und
Ausfahrt zu geben.
Obwohl es inzwischen spürbar bergan geht, findet eine Läuferin genug Luft ihr ein lautes und fröhliches "good morning Marshall, thank you" zuzurufen. In Südafrika ist so ein Dankeschön an die Helfer völlig normal. Viele Male registrieren wird man es unterwegs. Doch wann hat man in Europa so etwas zuletzt gehört?
Hierzulande bekommen die Freiwilligen höchstens noch den Ärger zu spüren, wenn etwas nicht so funktioniert, wie erwartet. "Nett g'schent is g'lobt g'nuch", soll man ja angeblich in Schwaben sagen, "nicht geschimpft ist genug gelobt". Doch würde man den Württembergern ziemlich Unrecht tun, diesen Satz nur auf sie zu beschränken. Diese Haltung ist wesentlich weiter verbreitet.
Insbesondere, wenn man gleich mehrere Veranstaltungen in Südafrika zum
Vergleich hat, ist der Unterschied offensichtlich. Eine Haltung "ich hab
ja dafür bezahlt, das ist doch eine Selbstverständlichkeit" gibt
es am Kap nicht. Vielleicht sind dafür auch ein wenig die noch deutlich
intakteren Vereinsstrukturen verantwortlich, die durch die südafrikanische
Lizenzierungspflicht begründet sind. Denn die meisten kennen auch die andere
Seite, weil sie bei den Läufen ihres Clubs selbst als Helfer in die Organisation
eingebunden sind.
Samstag 07.04.2012, 10:55 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Die außerhalb Südafrikas vielleicht bekannteste Teilnehmerin des
Ultramarathons hat ihr Rennen beendet. Beachtliche 4:29:51 hat Zola Pieterse
für ihre Premiere beim Two Oceans nur benötigt. Pieterse? Wer ist
denn das? Die soll bekannt sein?
Nun vielleicht bringt ja der auch für südafrikanische Verhältnisse eher ungewöhnliche Vorname den einen oder anderen auf die richtige Fährte. Denn es handelt sich um die frühere Zola Budd, die als jugendliche Barfußläuferin in den Achtzigern etliche Weltklassezeiten erzielt hatte. Unter anderem unterbot sie 1984 mit 15:01 den Weltrekord über fünftausend Meter.
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Mehr als zwei Kilometer geht es zum Abschluss auf der breiten Schnellstraße M3 dem Ziel entgegen |
Da der Apartheidstaat Südafrika jedoch vom Welt-Leichtathletikverband
suspendiert war, wurde die neue Bestzeit nicht anerkannt. Um auch international
antreten zu dürfen, beantragte Budd die britische Staatsangehörigkeit,
was zu ersten Kontoversen führte, und wurde kurz darauf auch für die
Olympischen Spiele in Los Angeles nominiert.
Das Rennen über dreitausend Meter - die damals noch längst Bahnlangstrecke bei den Frauen - wurde von der Presse zum großen Duell zwischen der Altmeisterin Mary Decker und dem aufstrebenden Wunderkind Budd hoch gejubelt.
Doch von dem Augenblick, als die amerikanische Lauf-Ikone Decker bei einer - wie die meisten meinen selbstverschuldeten - Kollision mit der Neu-Britin zu Fall kam und ausschied, wurde diese vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen. Am Ende gewann weder die gestürzte Amerikanerin noch die entnervte Zola Budd sondern die Rumänin Maricica Puica.
Wirklich glücklich wurde Budd in der neuen Heimat nie. Zwar wurde sie
zweimal Crosslauf-Weltmeisterin und holte sich mit 14:48 auch den - nun offiziell
anerkannten - Weltrekord über fünftausend Meter. Doch vor den Spielen
des Jahres 1988 wurde ihr vorgeworfen, bei einem Besuch in ihrer Heimat an einer
Sportveranstaltung teilgenommen zu haben. Zumindest forderten einige afrikanische
Staaten deswegen eine Sperre ein.
Zum wiederholten Mal zwischen die Mühlsteine der Politik geraten, ging Budd entnervt zurück nach Südafrika und zog sich mit gerade einmal zweiundzwanzig Jahren vom Wettkampfsport zurück. Vier Jahre später trat sie in Barcelona noch einmal im - nun wieder zugelassenen - südafrikanischen Team an, schied aber sang- und klanglos im Vorlauf aus.
Knapp drei Jahrzehnte später ist das einstige Wunderkind nun Fünfte
der W40 beim Two Oceans. Und in der Startliste des diesjährigen Comrades
Marathons lässt sich der Name "Zola Pieterse" ebenfalls entdecken.
Samstag 07.04.2012, 11:15 Uhr - Kuppe von Constantia Nek
Wie üblich sind die letzten Meter des Anstieges zur Passhöhe mit Gittern
abgesperrt. Aber nicht nur wegen der Barrieren erinnert die Atmosphäre
an dieser Stelle im Normalfall entfernt an eine Bergetappe der Tour de France.
Diesmal fällt der Jubel jedoch längst nicht so lautstark aus wie sonst.
Schließlich sind aufgrund des Wetters diesmal deutlich weniger Schaulustige
zu diesem - dank einer auf der Kuppe abzweigenden Straße - für Zuschauer
ziemlich gut zu erreichenden Punkt gekommen.
Die Sprecher am Streckenrand geben sich zwar größte Mühe, doch
richtige Partystimmung will irgendwie nicht aufkommen. Dennoch steigt im Läuferfeld
die Euphorie. Die letzte große Hürde ist nun überwunden, die
letzten zehn Kilometer haben begonnen. Und von nun an wird es zudem hauptsächlich,
wenn auch nicht ausschließlich bergab gehen. Das Ziel kommt langsam aber
sicher näher.
Samstag 07.04.2012, 11:20 Uhr - Kuppe von Constantia Nek
Ein neugieriger Läufer fragt vorsichtig den gerade auf seine Uhr blickenden
"bus driver" des zweiten, nicht von Axel Rittershaus gefahrenen Sechs-Stunden-Busses,
ob man denn noch gut in der Zeit läge. Die Antwort fällt fast ein
bisschen zu optimistisch aus. "Leute, wir haben es geschafft", verkündet
der Angesprochene nämlich ziemlich vollmundig. Die Euphorie hat anscheinend
auch ihn ein wenig gepackt.
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Im Abstand von jeweils nur einem Kilometer sind die letzten Verpflegungsstände aufgebaut |
Zwar sind knappe zehn Kilometer durchaus in fünfundsechzig Minuten zu
bewältigen. Doch sind sie eben keine Selbstverständlichkeit, wenn
man bis zu diesem Punkt schon beinahe fünf Stunden unterwegs war. Sich
zurück lehnen und es von nun an etwas ruhiger angehen lassen, darf man
da eigentlich nicht. Und zu viel kann noch passieren. Auch die nach dem langen
Anstieg so herbei gesehnten Gefällepassagen bergen schließlich ihre
Tücken, wenn man sie mit inzwischen ziemlich müden Muskeln in Angriff
nimmt.
Sonntag 07.04.2012, 14:00 Uhr - Napier
Die staksigen Bewegungen beim Aussteigen waren wohl doch ein wenig zu verräterisch.
Jedenfalls ist die Frau, die sich an der gegenüber liegenden Zapfsäule
der Tankstelle im kleinen Städtchen Napier ihr Auto betanken lässt,
sich ziemlich sicher. "Ihr wart doch gestern beim Two Oceans dabei?"
Wie schnell man denn gewesen sei, fragt sie nach und kann die ihr darauf genannten
Zeiten sogar einigermaßen einordnen.
Auch wenn in diesem Moment die Sonne an diesem äußerst wechselhaften Tag kurzzeitig die Wolken durchbrochen hat, ist natürlich sogleich wieder das Wetter während des Rennens Thema. Dass aus dem Winter kommende Europäer zehn bis fünfzehn Grad sogar bei Regen als nicht ganz so grausam empfinden wie von einem langen und heißen Sommer verwöhnter Südafrikaner muss - selbst wenn es danach anstandslos akzeptiert wird - jedes Mal aufs neue erklärt werden.
Die Frau drückt dem Tankwart mit dem bereits ziemlich lückenhaften
Gebiss einen Bündel Geldscheine in die Hand, die dieser an der gut gesicherten
Kasse abliefert, um anschließend mit dem Wechselgeld zurück zu kommen
- die Abläufe beim Tanken am Kap sind für an Selbstbedienung gewöhnte
Europäer anfangs ein wenig überraschend - und verabschiedet sich freundlich.
Sie tut dies aber nicht ohne eine "good recovery" - also "gute Erholung" - zu wünschen. Doch ist dies überhaupt nötig, wenn man als unverkennbarer Teilnehmer am Two Oceans überall so positiv aufgenommen wird?
Samstag 07.04.2012, 11:35 Uhr - Rhodes Drive, Kapstadt
Ein Wortschwall in Afrikaans bricht aus der kleinen, schon etwas ältere
Läuferin in einem der vielen grünen Nedbank-Trikots heraus. So seltsam
ist das gar nicht. Denn in der Kapstadt umgebenden Provinz Western Cape ist
die aus dem Niederländischen entstandene Sprache die mit Abstand am meisten
gesprochene. Über die Hälfte der Bewohner sind mit ihr aufgewachsen.
In der Metropole selbst ist Englisch zwar Nummer eins, hat aber gegenüber
Afrikaans nur ein kleines Übergewicht.
Doch der fragende Blick und die hoch gezogenen Schultern ihres Mitläufers, dem diese Worte eigentlich gelten sollten, lässt den Redefluss schnell stocken. Sie müsse es schon mit Englisch versuchen, wird sie aufgeklärt, denn sie hätte sich einen Besucher aus Deutschland ausgesucht. "I am from Germany and do not speak any Afrikaans".
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Die wellige Schlussgerade zwingt viele zum Wechsel zwischen Lauf- und Gehphasen |
Wie bei fast allen - in der Regel mehrsprachigen - Südafrikanern ist das Umschwenken nicht das geringste Problem. Und so berichtet sie noch einmal, diesmal eben in Englisch, wie froh sie sei, dass es nach dem langen, kräftezehrenden Anstieg endlich bergab ginge. Sie würde nämlich ohnehin wesentlich lieber Hügel hinunter als hinauf laufen. Angesichts des in diesem Moment recht angenehm zu bewältigenden Gefälles erhält sie volle Zustimmung.
Samstag 07.04.2012, 11:40 Uhr - Rhodes Drive, Kapstadt
Aus dem "downhill" direkt hinter Constantia Nek ist wieder ein "uphill"
geworden. Eine Gegensteigung hat den schönen Schwung ziemlich schnell gebremst.
So leicht will der unter dichten Bäumen - statt als Schattenspender helfen
sie diesmal eher als Regenschirm - am Hang verlaufenden Rhodes Drive seine Höhenlage
nicht preis geben. Mit leichten Wellen wird die Strecke noch eine Zeit lang
in der Nähe der Zweihundert-Meter-Marke bleiben.
Eine einsame Zuschauerin am Rand wiederholt zur Anfeuerung der in diesem Moment größtenteils wieder zu Gehern mutierten Läufer im ständigen Wechsel immer wieder zwei Worte. "Go, ry, go, ry". Beides bedeutet allerdings ungefähr das Gleiche, wie man bei der Fahrt durch Südafrika schnell lernt.
Denn exakt diese Englisch-Afrikaans-Kombination taucht auf jenen Verkehrsschildern
auf, die an nur einspurigen Baustellen signalisieren, dass man nach langer Wartezeit
nun wieder los- oder eben ohne zu stoppen gleich durchfahren kann. Und genau
dieses "Nicht-Anhalten" dürfte wohl von der begeisterten Ruferin
gemeint sein.
Samstag 07.04.2012, 9:14 Uhr - Rhodes Drive, Kapstadt
Von der einstigen Kopfgruppe sind nach Constantia Nek nur noch versprengte Reste
übrig. Doch geht das Rennen bei Kilometer fünfzig nun auch wirklich
in die Endphase. Als Allererster hat Collen Makaza, aus Zimbabwe in 2:48:37
die Zeitmessung ausgelöst: Doch sein Landsmann Stephen Muzhingi - wohl
auch der Topfavorit auf den Sieg - folgt nur zwei Sekunden dahinter.
Eine weiter Sekunde später ist Gert Thys, 2:48:40 über die Matte
gehuscht und hat damit im Vorbeilaufen einen neuen Altersklassen-Weltrekord
in der M40 aufgestellt. Danach werden die Löcher aber schon größer.
Jeweils zwanzig bis dreißig Meter liegen vor und hinter den als Einzelkämpfern
ankommenden Henry Moyo, Mthandazo Qhina und Bongumusa Mthembu.
Samstag 07.04.2012, 11:50 Uhr - Rhodes Drive am Kirstenbosch Botanical Garden
Wieder einmal hat man sich einen schönen Spruch einfallen lassen. "Don't
stop to smell the flowers" steht nämlich auf den Plakaten, als der
National Botanical Garden von Kirstenbosch passiert wird. Am Osthang des Tafelberges
ist er alleine schon durch seine Lage ein herausragender Vertreter seiner Zunft.
Doch auch das Konzept ist ein wenig anders als bei den meisten Gärten. Denn gezeigt werden einzig und allein heimische Pflanzen. Allerdings gibt es davon wahrlich mehr als genug. Alleine auf dem Tafelberg wurden angeblich mehr verschiedene Arten gezählt als auf den gesamten britischen Inseln. Viele davon findet man zudem nirgendwo sonst.
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Pinguine, Klippschliefer und Paviane, die Tierwelt der Kaphalbinsel ist überraschend vielfältig |
Die Pflanzenwelt ist so einzigartig und vielfältig, dass Botaniker die
nur einen kleinen Teil Südafrikas umfassende Kapregion als ein eigenes
Florenreich "Capensis" definiert haben. Gerade einmal sieben davon
gibt es weltweit. Und alle anderen haben enorme Ausmaße. "Paläotropis"
besteht zum Beispiel aus Südasien und ganz Afrika - einmal abgesehen von
dessen Spitze. "Holarktis" umfasst sogar das komplette Nordamerika,
Europa und den nördlichen Teil Asiens.
"Fynbos" - übersetzt etwa "feines Gebüsch" - nennt man die dort vorherrschende, eigentlich eher unspektakuläre Vegetationsform. Niedrige, immergrüne Bäume und Sträucher, Gräser und Heidekräuter dominieren. Doch so wie sie im botanischen Garten von Kirstenbosch dargeboten wird, kann man sich für sie durchaus begeistern. Natürlich bleibt so kurz vor dem Ziel niemand mehr stehen. Doch so mancher Läufer besucht den National Botanical Garden vor oder nach dem Rennen.
Samstag 07.04.2012, 11:58 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Eine Stunde nach der außerhalb Südafrikas bekanntesten Teilnehmerin
Zola Pieterse ist nun auch der im Land selbst populärste Starter angekommen.
Gary Kirsten hat für die sechsundfünfzig Kilometer 5:33:11 benötigt.
Dass man diesen Namen hierzulande noch nicht gehört hat, ist allerdings
wenig verwunderlich.
Denn bei Kirsten handelt es sich um den südafrikanischen Nationaltrainer im Kricket, einer Sportart also, die außerhalb des einstigen Empire nicht das geringste Interesse hervor ruft und deren Regeln ohnehin praktisch niemand sonst versteht. Nicht nur im einstiegen Mutterland sondern auch in Neuseeland, Australien oder Südafrika ist Kricket dagegen extrem populär.
Und insbesondere auf dem indischen Subkontinent zieht der so langweilig erscheinende Sport die Massen in den Bann. Spiele der indischen Profiliga, in der auch Südafrikaner aktiv sind, werden am Kap sogar in einem der vielen Sportkanäle live übertragen. Allerdings lassen sich dort durchaus auch europäische Fußballspiele entdecken.
Obwohl beim Publikumsinteresse in Südafrika kein Sport so dominiert, wie
es hierzulande der inzwischen alles andere vollkommen an den Rand drängende
Fußball tut, muss man aber dennoch Kricket wohl eher als die Nummer drei
hinter den etwa gleichwertigen Rugby und "Soccer" bezeichnen. Und
Two-Oceans-Teilnehmer Gary Kirsten ließe sich nicht unbedingt mit Jogi
Löw vergleichen sondern - natürlich nur vom Stellenwert - vielleicht
doch eher mit Heiner Brand.
Samstag 07.04.2012, 12:00 Uhr - M3, Newlands, Kapstadt
Der Endspurt hat begonnen. Und zwar nicht nur für die Läufer, die
nun auf der M3 die letzten drei Kilometer in Angriff nehmen. Auch die Wolken
haben beschlossen noch einmal wirklich alles zu geben. In dicken Tropfen prasselt
es aus ihnen auf die nun deutlich weniger durch Bäume geschützten
Marathonis nieder.
Es ist ein heftiger Guss zum Abschluss, der nun auch die letzten bis dahin noch trocken gebliebene Textilfasern vollständig durchweicht. In den Schuhen quietscht das Wasser. Dort wo die leicht wellige Schnellstraße ansteigt, kommen dem Marathonfeld manchmal sogar regelrechte Bäche von oben entgegen gelaufen.
Von nun an ist nur noch eine Fahrspur für das Rennen abgesperrt. Auf der zweiten rollt direkt daneben der Verkehr weiter in Richtung Stadtzentrum. Und als vom Himmel nicht schon Regen genug herunter käme, sorgen diese Autos natürlich für zusätzliches Spitzwasser von der Seite. Selbst von den Wetterforschern für diesen Tag Niederschläge angekündigt worden waren, nein, so hatte man sich das ganz sicher nicht vorgestellt.
Donnerstag 05.04.2012, 14:30 Uhr - Greenmarket Square, Kapstadt
Wie immer herrscht am Greenmarket Square ein ziemliches Gewimmel. In den nicht
unbedingt breit ausgefallenen Durchgängen zwischen den Ständen der
fliegenden Händler tummeln sich Touristen, die bei ihnen "typisch
afrikanische" Souvenirs wie aus Holz geschnitzte Tierfiguren, Trommeln
oder bunt bemalte Tücher erwerben wollen. Rundherum laden Straßencafés
bei herrlichem Sonnenschein zum Verweilen ein.
Umgeben ist der quadratische, kopfsteingepflasterte Platz von aus den Zwanziger-
und Dreißigerjahren stammenden Hotels und Geschäftshäusern sowie
Kolonialbauten wie dem Old Town House, das einige Zeit als Rathaus diente, oder
der neugotischen Methodistenkirche. Vielleicht nur an wenigen Stellen der Stadt
verschmelzen europäische und afrikanische Einflüsse zu einer so faszinierenden
Mischung.
Ohnehin ist Cape Town nicht nur die älteste sondern wohl auch die europäischste Stadt im ganzen Land. Während Johannesburg in vielem doch recht nordamerikanisch wirkt, könnte man sich einiges in Kapstadt durchaus auch am Mittelmeer, auf den britischen Inseln oder in den Niederlanden vorstellen. Doch bereits im nächsten Moment wird man eines besseren belehrt und findet sich schon wieder mitten in Afrika.
Angeblich ist die Metropole bei Filmteams nicht nur wegen des meist guten Wetters
so beliebt sondern auch deshalb, weil man sie - vielleicht einmal abgesehen
von Taiga, Tundra und Polarregionen - so ziemlich für jedes Land, das sie
gerade darstellen soll, eine passende Hintergrundkulisse liefern kann. "Vielfältig",
"interessant", ja sogar "spannend" sind Attribute, die man
Kapstadt problemlos zugestehen kann.
Samstag 07.04.2012, 12:05 Uhr - M3, Newlands, Kapstadt
"Welcome to sunny South Africa", begrüßt der Läufer
in Rot den aufgrund von Startnummer und Trikotaufdruck als Ausländer identifizierten
Mitstreiter. Als dezente Ironie kann man diese Äußerung angesichts
der äußeren Bedingungen wohl kaum bezeichnen. Aber immerhin hat Pieter
Botha seinen Humor noch nicht ganz verloren.
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Auch bei Regen meist deutlich bunter als in Mitteleuropa sind die südafrikanische Lauffelder |
Grauenhaft findet er diese Verhältnisse allerdings dennoch, wie er unumwunden zugibt. Für sonneverwöhnte Südafrikaner sei Dauerregen und solche Temperaturen der blanke Horror. Und nur für den Comrades und den Two Oceans würde er bei so einem Wetter überhaupt an den Start gehen.
Weil es am Morgen noch trocken war - und vielleicht auch, weil er es gar nicht
anders kennt - ist Botha allerdings trotzdem mit Kappe und Sonnenbrille unterwegs.
Zumindest trägt er die "sunglasses" nicht vor den Augen sondern
hat sie nach oben auf die Mütze geschoben. Dem ganzen die Krone setzt allerdings
auf, dass er ausgerechnet auch noch für den "Sunward Athletics Club"
startet.
Samstag 07.04.2012, 12:10 Uhr - M3, Newlands, Kapstadt
Hinter dem Schild mit der "55" haben die Streckenarchitekten noch
eine kleine Gemeinheit für die müden Läufer parat. Denn um zum
dem so herrlich oben am Hang gelegenen Universitätsgelände zu gelangen,
muss man eben noch einmal etwas bergauf. Eine halben Kilometer lang ist dieser
letzte Anstieg. Und noch einmal ungefähr zwanzig Höhenmeter steuert
er zur Gesamtsumme bei.
Im Vergleich zu Chapman's Peak Drive und Constantia Nek ist das zwar keine wirklich heftige Rampe sondern nur ein kleiner Hügel. Doch ihre Lage so kurz vor dem Ziel macht sie irgendwie doppelt schwer. Erst an der Einfahrt zu den Sportplätzen endet die Steigung. Zumindest die letzten Meter werden nun flach sein. Man sieht sich schon locker und leicht ins Ziel traben.
Donnerstag 05.04.2012, 13:00 Uhr - Company's Garden, Kapstadt
Er ist die grüne Lunge und gleichzeitig auch die Ruhezone der Kapstädter
Innenstadt. Während rundherum - wie in großen Metropolen üblich
- ständig alles in hektischer Bewegung zu sein scheint, geht es im Company's
Garden deutlich geruhsamer zu. Seinen Namen hat die lang gezogene Anlage mitten
im Zentrum von der "Vereenigde Oost-Indische Compagnie" jener niederländischen
Handelsgesellschaft, die am Kap eine Niederlassung zu Versorgung ihrer nach
Ostasien fahrenden Schiffe gegründet hatte.
Der Company's Garden diente den ersten Siedlern der Kapkolonie tatsächlich anfangs als Gemüsebeet. Doch inzwischen ist daraus längst ein an manchen Stellen tropisch wirkender Park geworden, unter dessen weit ausladenden Bäumen man gemütlich herum schlendern oder ausruhen kann. Dort wo die Gestaltung ein wenig offener ist, hat man den Tafelberg direkt vor sich.
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Das Zielgelände auf den Rugby-Plätzen ist nach stundenlangen Regenfällen ziemlich aufgeweicht |
Rundherum befindet sich das Regierungsviertel mit Parlamentsgebäude und dem Sitz des südafrikanischen Präsidenten, das Nationalmuseum, die Nationalbibliothek und die Nationalgalerie sowie die anglikanische St. George's Cathedral und die Slave Lodge, in der früher die Sklaven der Compagnie untergebracht waren und die heute ein Museum zu diesem Thema beherbergt. Für Kapstadt-Besucher ist der üppig grüne Company's Garden also absolutes Pflichtprogramm.
Samstag 07.04.2012, 12:20 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Grün ist nur noch wenig auf dem Sportgelände, als das Mittelfeld des
Ultramarathons dort ankommt. Der lang gezogene Einlauf über die Rugbyplätze
besteht vielmehr aus kaum noch etwas als tiefem Matsch. Schließlich mussten
sie bisher schon eine fünfstellige Zahl von Läufern verkraften.
Samstag 07.04.2012, 12:20 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Grün ist nur noch wenig auf dem Sportgelände, als das Mittelfeld des
Ultramarathons dort ankommt. Der lang gezogene Einlauf über die Rugbyplätze
besteht vielmehr aus kaum noch etwas als tiefem Matsch. Schließlich mussten
sie bisher schon eine fünfstellige Zahl von Läufern verkraften.
Nun sind die mit dem ovalen Sportgerät tätigen Modellathleten nicht ganz so pingelig wie hoch bezahlte Fußballprofis was den Untergrund für ihre Aufeinandertreffen bei Matches angeht. Doch wie die Plätze der Universität in diesem Moment aussehen, wird auch dem schlammerprobtesten Rugbyspieler kaum gefallen.
Nach sechsundfünfzig Kilometern auf Asphalt stellen der schmierige und rutschige Boden auf einmal ganz andere Anforderungen an die Muskulatur. Für die meisten ist es eine echte Herausforderung. Vor Jahrzehnten gab es im Fernsehen einmal das "Spiel ohne Grenzen", bei dem man oft und gerne mit Schmierseife nachhalf, um die Sache etwas schwieriger zu machen. Ein wenig nachfühlen, wie das für die Beteiligten gewesen sein muss, kann man in diesem Moment schon.
Mit dem Betreten dessen, was noch vor wenigen Stunden ein Rasen war, versucht also jeder der Läufer nichts anderes mehr, als irgendwo Stellen zu finden, an denen man halbwegs sicheren Stand haben könnte. Die beste Chance dafür gibt es noch direkt an den Absperrgittern. Und so bilden sich an den äußeren Rändern der Zielgerade regelrechte Ketten von hintereinander laufenden Ultramarathonis.
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Ganz egal ob als Einzelkämpfer oder im Sieben-Stunden-Bus (mitte), die letzten Meter führen für allen durch tiefen Matsch |
Wer zum ersten Mal beim Two Oceans dabei ist, läuft leicht Gefahr die über die Strecke führende, eigens aus Metallgestänge zusammen gebaute Fußgängerbrücke, mit dem eigentlichen, beinahe zweihundert Meter weiter hinter gelegenen Ziel zu verwechseln. Doch auch alle, die diese Tücke des Einlaufes kennen, sind an diesem Tag leicht verdutzt. Denn nach dem Durchqueren des erstens Bogens ist am Ende der Geraden kein zweiter mehr zu sehen. Wo ist denn nun die Linie?
Beim Einlauf der Halbmarathonis waren die Ziel-Aufbauten noch vorhanden. Aber
dann hatte eine Windböe das Gerüst zum Einsturz gebracht - und das
obwohl das schlechte Wetter im Vorfeld angekündigt war, wie eine Zeitung
am nächsten Tag süffisant kommentieren wird. Glück im Unglück
hatte man, dass wenigstens niemand beim Zusammenbruch verletzt wurde.
So endet der Two Oceans Marathon irgendwie dann doch ein wenig überraschend. Denn erst einige Meter, bevor man die Ziellinie überschreitet, kann man ihre Position wirklich exakt ausmachen. Mit der Medaille um den Hals geht es nun um nichts anderes mehr, als so schnell wie möglich in trockene Bekleidung zu kommen.
Samstag 07.04.2012, 9:32 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Als Führender ist Stephen Muzhingi auf die Sportplätze gelaufen. Doch
in der Neunzig-Grad-Kurve, die ihn von der Einfahrt auf die Zielgerade bringe
soll, ist er nun gestürzt. Die leichten Rennschuhe haben mit dem feuchten
Untergrund nicht wirklich gut zusammen gepasst und beim Abbiegen ist er mit
dem Standbein voll weg gerutscht.
Schnell hat er sich wieder aufgerappelt und läuft weiter. Doch ist Muzhingi in diesem Moment sicher nicht böse, dass er sich schon einen Vorsprung erarbeitet hat und es nicht zu einem engen Schlussspurt kommt. Es hätte ansonsten die alles entscheidende Situation sein können.
Samstag 07.04.2012, 9:33 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Es hat gereicht für Stephen Muzhingi, zu groß war der Abstand zu
seinen Verfolgern. Der unfreiwillige Kniefall konnte den in 3:08:07 erlaufenen
Sieg nicht mehr gefährden. Henry Moyo als Zweiter liegt mit 3:08:34 fast
eine halbe Minute zurück. Muzhingis Landsmann Collen Makaza vervollständigt
nach 3:08:44 ein Siegertreppchen ohne Südafrikaner. Und bei gerade einmal
drei der letzten zehn Rennen blieb damit der Erfolg im Land.
Dem vierzigjährigen Gert Thys bleibt es in 3:09:41 vorbehalten, als erster Einheimischer die Ziellinie zu überqueren. Hinterher wird er sich bitter darüber beklagen, dass sein Antrag auf einen Radbegleiter, der an mehreren Punkten seinen Insulinspiegel messen sollte, abgelehnt worden sei. Doch selbst für die Spitzenläufer gibt es keine Ausnahmegenehmigung zur Regel "no mobile seconding". Mit Bongumusa Mthembu (3:10:15) und Mthandazo Qhina (3:10:58) gehen immerhin auch die nächsten beiden Plätze an Südafrikaner.
Samstag 07.04.2012, 13:21 Uhr - Sportgelände der University of Cape Town
Rund einen Monat vor seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag kommt Kurt Wollenweber
zum zweiten Mal innerhalb einer Woche bei einem südafrikanischen Rennen
über sechsundfünfzig Kilometer ins Ziel. Und wie sieben Tage zuvor
schafft er es knapp vor dem Cut-Off. Diesmal überquert er nach 6:56:38
die Linie und bleibt damit etwas über drei Minuten unter der Sollzeit.
Lange habe er sich unterwegs am "Sieben-Stunden-Bus" orientiert, der etwa eine Minute zuvor mit mehreren Dutzend Passagieren über den Matsch des Sportgeländes gerollt ist. Auch dieser Busfahrer hat den ihm anvertrauten, auf der welligen Strecke nicht unbedingt einfachen Job also ziemlich gut hin bekommen.
Samstag 07.04.2012, 13:22 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Der Musikverantwortliche hat den "Final countdown" aufgelegt. Denn
dieser hat begonnen. Schon seit längerem gibt der Sprecher ja bekannt,
wie viele Minuten bis zum Zielschluss nach sieben Stunden noch bleiben. Und
der Bus, der vielen Wackelkandidaten geholfen hat, die Vorgabe zu unterbieten,
ist auch schon angekommen. Es wird langsam Ernst. Weniger als drei Minuten verbleiben
noch.
Falls man das schmale, aber mehrere hundert Meter lange Universitätssportgelände nun noch nicht betreten hat, wäre das auch bei normalen Verhältnissen schon eine Herausforderung. Der tiefe Matsch, in den sich der Rasen verwandelt hat, nachdem jetzt schon weit über vierzigtausend Füße über ihn hinweg getrampelt sind, macht die Aufgabe jedoch doppelt schwer.
Entspannt sind die Gesichter der Vorbeilaufenden in diesem Moment meist nicht mehr. Die beständig lauter werdenden Anfeuerungsrufe von den - aufgrund des Wetters im Gegensatz zu sonstigen Jahren keineswegs voll besetzten - Tribünen entlang der nicht enden wollenden Zielgerade, nehmen viele wohl gar nicht wahr.
Erst kurz vor oder nach dem Überqueren der Ziellinie wandeln sich die verbissenen Mienen dann doch zu einem Lächeln. Es hat gereicht. Zwar knapp, aber es hat gereicht. Eine der weitgehend blau eingefärbten Medaillen, die in der letzten Stunde des Rennens ausgegeben werden, ist der Lohn für die Anstrengungen.
Für die noch ein bisschen weiter zurück Liegenden tickt die Uhr dagegen
immer erbarmungsloser weiter herunter.
Samstag 07.04.2012, 13:24 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Wie ein Verrückter spurtet Neil Zietsman auf das aufgrund der fehlenden
Aufbauten nur schwer exakt zu lokalisierende Ziel zu. Die vom Streckensprecher
in immer kürzeren Abständen bekannt gegebenen Sekunden bis zum Cut-Off
rinnen ihm davon. Aber noch hat er eine Chance und die scheint er unbedingt
nutzen zu wollen.
Die Zuschauer hintern den Absperrungen schreien sich fast die Lunge aus dem Leib, um ihm zu helfen. Die Werbebanden am Rand werden zu Trommeln umfunktioniert. Und tatsächlich reicht es für den Läufer aus George an der bekannten Garden Route, wenn auch nur hauchdünn. Bei 6:59:58 bleibt die Uhr für ihn stehen. Nur eine einzige Sekunde mehr hätte er sich noch erlauben dürfen.
Mit Platz 7682 liefert er den abschließenden Eintrag in die Ergebnisliste. Der Zufall will es, dass der Allererste im Ziel registrierte Läufer - Halbmarathonsieger Xolisa Tyali - und der Letzte der Wertung das gleiche Trikot tragen, denn auch Zietsman startet für einen der Nedbank-Clubs.
Samstag 07.04.2012, 13:25 Uhr - Sportgelände der University of Cape
Town
Mit gesenkten Köpfen schleichen vereinzelte Läufer durch den Matsch
des Sportplatzes. Sie sind die geschlagenen Helden, die von der Dramaturgie
südafrikanischer Laufveranstaltungen verlangt werden. Nicht einmal eine
Minute hat ihnen am Ende gefehlt. Obwohl auch sie die sechsundfünfzig Kilometer
hinter sich gebracht haben, wird ihnen die Medaille verwehrt bleiben.
Immer wieder ist diese Erbarmungslosigkeit, mit der am Kap das Ziel geschlossen wird, hierzulande heiß diskutiertes Thema, wenn es im Gespräch um Rennen in Südafrika geht. Im Land selbst dagegen stehen diese Regelungen nicht im Entferntesten zur Debatte. Niemand betrachtet sie als "unfair" und "ungerecht" oder gar "bösartig" und "gemein".
Sicherlich kennt man es auf der einen Seite gar nicht anders, man ist einfach daran gewöhnt. So mancher einheimische Sportler ist vollkommen erstaunt, wenn er hört, dass man es fast überall sonst diesbezüglich nicht ganz so genau nimmt. Doch besteht die große Herausforderung für Südafrikaner eben nicht nur darin, eine Strecke zu bewältigen, sondern darin, dies in einer bestimmten Zeit zu tun.
Samstag 07.04.2012, 19:00 Uhr - Simon's Town
Mit der üblichen Floskel "how are you today?" begrüßt
Celestine Mbuyi die beiden Gäste im Cafè Pescado. Die stets fröhliche
Bedienung hat sich Laufe der letzten Tage, in denen sie regelmäßig
in dem urigen Restaurant im Zentrum von Simon's Town zum Abendessen aufgetaucht
sind, ein wenig angefreundet.
Eigentlich erwartet sie auf die in Südafrika recht übliche Redewendung gar keine Antwort. Aber sie erhält diese trotzdem. Ein wenig "stiff" - also steif - seien die "legs" nach dem Two Oceans Marathon schon. Deswegen habe man diesmal auch auf den etwa einen Kilometer langen Spaziergang vom oben am Hang gelegene Guest House verzichtet und sei mit dem Auto da.
Die Verabschiedung eine gute Stunde später lautet diesmal dann auch nicht "bis morgen". Denn der Kapstadt-Aufenthalt geht langsam zu Ende, noch einiges anders steht in den nächsten Tagen auf dem Reiseplan der großen Tour durch Südafrika. Ein wenig kann Celestine es immerhin verstehen, als sie die geplante Route erfährt, die noch einmal einiges von der erstaunlichen Vielfalt des Landes zeigen wird.
"Kommt ihr nächstes Jahr wieder?" Eigentlich würde man auf der einen Seite ja ganz gerne. Alleine in der Region Kapstadt könnte man schließlich problemlos zwei bis drei Wochen verbringen, ohne dass es auch nur im Entferntesten langweilig werden würde. Und so schlecht wie dieses Mal kann das Wetter beim Two Oceans ja nicht immer sein. Aber der Flug ist eben auch ganz schön weit und nicht unbedingt billig.
"Irgendwann bestimmt" lautet also die vorsichtige Antwort. Denn der Two Oceans ist vielleicht nicht unbedingt der "schönste Marathon der Welt", wie die Werbeleute glauben machen wollen, aber er ist eben dennoch ziemlich reizvoll. Und Kapstadt gehört ohnehin zu den faszinierendsten Metropolen. Ganz sicher käme man dann auch wieder nach Simon's Town und ins Café Pescado. Es ist eine Aussage, die Celestine wenigstens halbwegs zufrieden stellt.
Draußen hat der Himmel übrigens gerade wieder einmal seine Schleusen geöffnet. Die False Bay, einer der beiden "Ozeane" liegt erneut im Regen.
Teil 1: Laufen in Südafrika 2012 - Long Tom Marathon Sabie - Lydenburg HIER
Teil 3: Laufen in Südafrika 2012 - Slow Mag Marathon Benoni HIER
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Bericht und Fotos von Ralf Klink Ergebnisse und Infos www.twooceansmarathon.org.za Zurück zu REISEN + LAUFEN aktuell im LaufReport HIER |
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