24.1.2010 - Gran Canaria Maratón

Ein Marathon bei 20 Grad

von Ralf Klink

"Un Maratón a 20 grados", im ersten Moment scheint es schon eine ziemlich gewagte Aktion zu sein, mit diesem Werbeslogan auf Läuferfang zu gehen. Schließlich sind langfristige Wettervorhersagen für viele Monate mit einer solchen Genauigkeit selbst unter dem Einsatz jener enorm leistungsfähigen Rechner, die inzwischen von den Meteorologen benutzt werden, einfach nicht zu treffen. Und auch rückblickende Statistik bringt da im Normalfall überhaupt nichts. Viel zu groß sind die zufälligen Ausschläge, die das Thermometer an einem bestimmten Tag über die Jahre immer wieder macht.

Auf den zweiten Blick ist das exakte Eintreffen einer solchen Prognose so ungewöhnlich dann aber doch nicht. Denn bei der Laufveranstaltung, die sich unter der genannten Überschrift vermarktet, handelt es sich um einen Marathon auf Gran Canaria. Und es gibt zumindest im europäischen Raum kaum eine Region, in der man eine mit so großer Wahrscheinlichkeit zutreffende Aussage bezüglich der voraussichtlichen Witterung machen kann, wie auf den Kanaren.

Die "Inseln des ewigen Frühlings" – wie einer der Beinamen des kanarischen Archipels lautet – sind nämlich dank der nach ihnen benannten Meeresströmung das ganze Jahr über klimatisch extrem stabil. Quecksilberausschläge nach oben oder unten gibt es kaum. Selbst im Winter sinken die Temperaturen nur selten weit unter zwanzig Grad ab. Und im Sommer steigen sie genauso selten über die Marke von dreißig Grad an.

Dabei würde man aufgrund der geographischen Breite durchaus anderes erwarten. Streng genommen gehören die Kanaren nämlich nicht zu Europa sondern zu Afrika. Schließlich finden sie sich weit vom auch schon nicht unbedingt kalten Mutterland vor der Küste von Südmarokko. Und dort kann es in der – je nachdem von welcher der Inseln man ausgeht – nur ein- bis dreihundert Kilometern entfernten Sahara doch deutlich heißer werden.

Kilometer 23 liegt direkt am Yachthafen Und bei Kilometer 4 beim Einkaufszentrum "El Muelle"(zu Deutsch "Die Mole") stecken Wale den Kopf in den Sand ... ... beim Marathon im Winter mit zwanzig Grad Außentemperatur

Aus sieben Haupt- und einigen kleineren Nebeninseln besteht der Archipel. Gran Canaria liegt räumlich ziemlich genau in der Mitte der Kette, wenn auch mit Fuerteventura und Lanzarote nur zwei andere große Eilande im Osten, mit Teneriffa, La Palma, La Gomera und El Hierro jedoch vier im Westen von ihr zu finden sind. Und entgegen des Namens ist sie auch nicht die größte unter ihnen. Das "Gran" ist wohl eher eine Folge der zentralen Position und der daraus resultierenden Bedeutung.

Rund vierzig Prozent der gut zwei Millionen Einwohner der Inselgruppe lebt dann auch auf der "großen Kanare". Und von diesen wieder fast die Hälfte in deren Hauptstadt Las Palmas, womit die Metropole Gran Canarias auf der Liste der zehn größten spanischen Gemeinden landet. Und wie es sich für eine Stadt dieser Größenordnung inzwischen fast schon gehört, hat auch Las Palmas nun einen eigenen Citymarathon.

Nach acht Jahren, in denen man den halb so langen "Gran Canaria Medio Maratón" ausrichtete, bieten die Organisatoren 2010 erstmals auch einen Wettbewerb über die volle Distanz an. Folgerichtig ist dann auch das "Medio" aus dem Namen der Veranstaltung verschwunden, selbst wenn der Halbmarathon weiterhin im Angebot bleibt.

Die Konstellation mit gemeinsam ausgetragenem Halb- und Ganzmarathon auf einer entweder ein oder zweimal zu absolvierenden Runde ist für spanische Verhältnisse allerdings eher untypisch und vermutlich auch ein wenig der Historie geschuldet. Im Gegensatz zu Deutschland ist nämlich bei den Iberern meist tatsächlich nur ein Marathon drin, wenn außen "Maratón" drauf steht.

Doch ohnehin ist die Struktur ein wenig anders als bei vielen anderen spanischen Rennen. Schließlich ist Gran Canaria im Rest von Europa hauptsächlich als Urlaubsziel bekannt. So ist nicht nur der Ausländeranteil höher als sonst üblich, man versucht sogar ganz bewusst – zum Beispiel mit mehrsprachigen Informationen auf der Internetseite, eine Kooperation mit einem Reiseunternehmen oder eben auch dem schon erwähnten Werbespruch – Lauftouristen anzusprechen.

Und da nicht alle aus einer von weit her angereisten Gruppe tatsächlich über die volle Distanz gehen wollen, sind der Halbmarathon sowie der ebenfalls angebotene Lauf über fünf Kilometer als Alternative durchaus willkommen. Auch dass die Veranstaltung eben nicht als "Maratón de Las Palmas" sondern als "Gran Canaria Maratón" vermarktet wird, ist vermutlich zumindest zum Teil mit dieser internationalen Ausrichtung zu begründen.

Gran Canaria

Dennoch – und darauf legt man durchaus Wert – ist das Ganze keineswegs von außen übergestülpt und importiert. Der Marathon wird eben nicht – wie es gerade bei noch exotischeren Reisezielen oft der Fall ist – durch eine Agentur aus dem Ausland veranstaltet, die ihre Teilnehmer dann gleich selbst mitbringt. Es ist und bleibt bei aller Internationalität des Starterfeldes in der Organisation eine rein spanische Angelegenheit. Der Inselrat von Gran Canaria und die Stadtverwaltung Las Palmas zeichnen gemeinsam für die Ausrichtung verantwortlich.

Und genauso ist der Marathon auch keineswegs ein aus der Marketing-Ecke heraus entwickelter Schnellschuss, sondern mit einer soliden Vorbereitung und einer langen Vorlaufzeit ausgestattet. Denn bereits ein Jahr zuvor war man sich sicher, den halben zu einem vollen Marathon auszuweiten. Deshalb nutzte man den Lauf im Januar 2009 auch schon als Generalprobe für Strecke und Infrastruktur.

Die ist eigentlich gar nicht schlecht. Rund um einige Gebäude, die von der Inselverwaltung belegt sind, gibt es genug kleinere Plätze, um ein Zelt für die Startnummernausgabe und einige Pavillons für die Marathonmesse aufzubauen. Angesichts der auch im Winter auf den Kanaren herrschenden Temperaturen ist es auch kein Problem, dies alles mehr oder weniger im Freien abzuwickeln. Beide sind bereits am Vortag des Rennens geöffnet.

Gerade einmal fünfundzwanzig Euro bezahlt man bis zwei Wochen vor dem Start für die Marathonmeldung, fünf Euro weniger für den Halben. Und selbst mit dem Spätmeldezuschlag von zehn zusätzlichen europäischen Währungseinheiten liegt man damit auf den Kanaren weit unter den hierzulande üblichen Werten.

Die Gegenleistungen sind durchaus beträchtlich. Wenn man sich in der Warteschlange weit genug nach vorne gearbeitet hat, um von dem an Zelteingang postierten Wachmann nach der Startnummer gefragt und nur bei wieder frei gewordenem Schalter des entsprechenden Nummerkreises eingelassen zu werden, wenn man anschließend noch seinen Ausweis als Beleg vorgezeigt hat, dass man auch wirklich derjenige ist, der man vorgibt zu sein, wird man wie üblich mit einem Beutel bedacht.

Doch darin sind keineswegs irgendwelche wertlosen Probepäckchen und Werbegeschenke der Sponsoren, die von Veranstalterseite manchmal dann – peinlich genug – als "interessante Gi-ve-Aways" angepriesen werden. Beim Ausräumen stellt man nämlich fest, dass da nicht nur das in der Ausschreibung versprochene T-Shirt – natürlich aus Funktionsfaser – hineingepackt wurde. Passend dazu gibt es auch noch eine kurze Laufhose, ein Paar Socken und eine Kappe mit dem Marathonlogo.

In einem Schulhof kann man Nudel fassen Bei der "Fiesta de la Pasta" spielt eine kanarische Musikgruppe auf

Und eine Medaille kann man natürlich nach dem Lauf im Ziel ebenfalls in Empfang nehmen. Dieses ist inklusive Zuschauertribüne sowie dem Podest für Ansage und Siegerehrung direkt vor den Verwaltungshochhäusern auf der Straße errichtet. Der Aufwand, den man dabei treibt, ist jedenfalls ziemlich beachtlich und wirkt absolut professionell.

Nebenan findet sich zudem das "Centro Insular de Deportes". Im "Inselsportzentrum" trägt unter anderem Basketball-Erstligist CB Gran Canaria vor bis zu fünftausend Zuschauern seine Heimspiele aus. Im Jahr 2014 wird die Halle auch einer der Spielorte der an Spanien vergebenen Basketball-Weltmeisterschaften sein. Und gerade um die Ecke liegt dann auch noch das "Colegio Iberia". Der Sportplatz dieser Schule wird jedenfalls vom Marathon ebenfalls in Beschlag genommen.

Dort kann man sich zwischen zwölf und sechszehn Uhr auch gleich noch die ebenfalls im Startgeld enthaltene Portion Nudel abholen und dabei den schwungvollen Klängen einer kanarische Musikgruppe lauschen. Nicht völlig ungewöhnlich ist diese im ersten Moment recht früh wirkende Uhrzeit der "Fiesta de la Pasta" für spanische Verhältnisse. Auch bei anderen iberischen Veranstaltungen kann man zu ähnlicher Zeit seine Kohlenhydratspeicher auffüllen.

Insgesamt ein Marathon der kurzen Wege an einem wirklich gut gewählten Austragungsort, wären da nicht – zumindest aus dem Blickwinkel der deutschsprachigen Läuferszene – zwei erkennbare Schwachpunkte. Denn obwohl das Sportzentrum eigentlich über alle nötigen Räumlichkeiten verfügen müsste, sind weder Umkleiden noch Duschen für die Läufer ausgewiesen. Nur ein über eine schmale und deshalb zum Teil doch recht belebte Treppe erreichbarer Kellerraum wird zur Kleideraufbewahrung benutzt.

Das ist zwar nicht unbedingt schön, doch eben international auch nicht überall üblich. Eine viel größere Tücke ist jedoch die Parkplatzsituation. Denn eine große Freifläche, auf der man alle mit dem Auto anreisenden Teilnehmern einen Stellplatz bieten könnte, gibt es in der Nähe nicht. Und so kurven all diejenigen, die nicht im direkten Umfeld wohnen oder sich vorausschauend dort ein Hotel genommen haben, erst einmal durch die Straßen, um irgendwo am Rand eine Parkzone zu entdecken.

Für die kleine Marathonmesse genügen ein paar Pavillons Auf der Straße direkt vor der Inselverwaltung wird gestartet

Allerdings ist die nicht immer wirklich zufrieden stellende Verkehrlage ein grundsätzliches Problem von Las Palmas. Denn eng und gedrängt geht es in der Inselhauptstadt eigentlich fast überall zu. Und das lässt sich beim Blick auf die Karte auch recht einfach mit ihrer geographischen Lage begründen.

Fast rund ist Gran Canaria und hat dabei einen Radius von knapp fünfundzwanzig Kilometern. Woraus sich aus einer nach einer vielleicht noch aus der Schulzeit bekannten Formel zur Flächenberechnung von Kreisen ziemlich genau die Größe von ungefähr fünfzehnhundert Quadratkilometern ergibt. Nicht nur die äußere Form sondern auch das in der Inselmitte bis knapp unter eine Höhe von zweitausend Meter aufragende, nach allen Seiten abfallende Gebirgsmassiv deutet eindeutig auf den vulkanischen Ursprung hin.

Ganz im Nordosten dockt allerdings ein zweiter deutlich kleinerer Kreis an den großen an. Wie eine Miniaturausgabe der eigentlichen Insel wirkt er. Nur ein an seiner engsten Stelle kaum zweihundert Meter breiter Landstreifen stellt die Verbindung zu dieser Halbinsel her. An diesem Isthmus und von dort ausgehend in V-Form entlang der nach Süden und Westen weiter verlaufenden Küsten erstreckt sich Las Palmas.

Eingekeilt zwischen Atlantik und den schon kurz hinter der Stadt beginnenden Bergen gibt es so natürlich wenige Möglichkeiten, sich wirklich in die Breite auszudehnen. Entweder wächst man also die Hügel hinauf oder entlang der schmalen, dafür aber noch einigermaßen ebenen Uferstreifen. Große unbebaute Flächen lassen sich unter solchen Umständen im Stadtkern natürlich nicht finden.

Dass auch noch die beiden wichtigsten Inselstraßen – nämlich genau entlang der beiden sich bei Las Palmas treffenden Küstenlinien – mitten dort hinein führen, lässt die Lage auch nicht besser werden. Erst die vor wenigen Jahren fertig gestellte Umgehungsautobahn, die im Stadtrandbereich die Verbindung zwischen den beiden Schnellstraßen GC1 und GC2 herstellt, hat hier für etwas Entlastung gesorgt.

Außerdem versucht man inzwischen auch mit einem erweiterten Angebot an Buslinien die Situation zu entschärfen. Dank recht regelmäßig verkehrender gelber Stadt- und grüner Überlandbusse kann man auf Gran Canaria als Tourist nun auch ohne Mietwagen auf eigene Faust kreuz und quer über die Insel unterwegs sein.

Dabei verpasst man allerdings das Erlebnis einer eigenen Fahrt über die vielen kleinen und kleinsten Bergsträßchen. In unzähligen Kurven windet sich ein regelrechtes Netz von ihnen kreuz und quer durch das gebirgige Zentrum und entlang der spektakulär ins Meer stürzenden Westküste.

Gran Canaria

Obwohl auf dem Eiland bei einem Durchmesser von fünfzig Kilometern praktisch jeder Ort von jedem anderen innerhalb von hundert Straßenkilometern zu erreichen ist, dauern die Fahrten deshalb manchmal trotzdem stundenlang. Abseits der Küstenautobahnen geht es auf Gran Canaria ziemlich langsam voran.

Einigermaßen schwindelfrei muss man dabei schon sein. Und zwar nicht nur wegen der steilen Abgründe, an denen die Straßen gelegentlich vorbeikommen. Die sind zumeist, wenn auch nicht immer ja mit Leitplanken gesichert. Doch auch die ständigen, in dichter Abfolge vor dem Fahrzeug auftauchenden Kehren könnten bei empfindlichen Mägen irgendwann Wirkung zeigen.

Viele Hunderte von ihnen hat man am Ende einer Tour hinter sich. Und bei Ungeübten stellt sich vom vielen Kurbeln mit dem Lenkrad am nächsten Tag vielleicht sogar ein ordentlicher Muskelkater in den Armen ein. Doch als Belohnung warten eben auch grandiose Ausblicke über die gesamte Insel. Angesichts tiefer Canyons und bizarrer Felsformationen aus rotem Gestein wähnt man sich dabei oft eher in Utah, Arizona oder Kalifornien, in Australien oder Südafrika als in einem Lieblingsreiseziel für Badeurlauber.

Es ist eine dramatische Achterbahnfahrt, die man in den Bergen mitmachen kann. Ein stetiges mit vielen Höhen und Tiefen versehenes Auf und Ab, bei dem immer neue überraschende Wenden dafür sorgen, dass man irgendwann völlig die Orientierung verliert und keine Ahnung mehr hat, wohin die Reise denn gerade geht. Und nicht immer enden die Wege dann auch wirklich in der Richtung, in die sie anfangs gezeigt haben oder von denen man glaubte, in die sie führen.

Die Radfahrer haben gerade auch deshalb Gran Canaria für sich entdeckt. Immer wieder begegnet man ganzen Gruppen von ihnen auf den Passstrassen. Bei angenehmen Temperaturen so viele Höhenmeter sammeln kann man im Winter der Nordhalbkugel schließlich nur an wenigen Orten.

Auch den Wanderern bietet die Insel etliche lohnende Touren mit meist ziemlich beeindruckenden Ausblicken. Die um diese Zeit des Jahres blühenden Mandelbäume geben ihnen gerade im Januar und Februar noch eine ganz besondere Note. Im zentralen Bergland ist inzwischen ein recht gut markiertes, weitläufiges Wegenetz angelegt, das nahezu alle Seitentäler erschließt.

Aber zunächst wird gestartet Nach dem Start schlägt man zuerst einem kleinen Bogen um die Comandancia de Marina An einem mit einem überdimensionalen Kunstwerk verzierten Kreisel biegt man auf die Uferstraße ein

Zudem sind auch für Autofahrer mehrere interessante "Rutas" ausgeschildert, auf denen man das wirklich sehenswerte Gran Canaria abseits der Ferienzentren ansteuern kann. Man setzt auf der Insel längst nicht mehr nur auf die Strandurlauber. Auch der "tourismo rural", der ländliche Tourismus wird ein wenig gefördert. Als kleinen Erfolg dieser Maßnahmen kann man jedenfalls vermelden, dass zumindest die drohende völlige Überalterung und Entvölkerung der kleinen Bergdörfer gestoppt werden konnte.

Dennoch ist das natürlich die absolute Ausnahme. Noch immer wird das große Geld mit den Feriengästen nicht in den Bergen sondern am Meer verdient. Und so ist dann auch auf nahezu allen Reiseführern über Gran Canaria entweder ein Foto der Dünen von Maspalomas oder manchmal auch nur ein Badestrand auf der Titelseite abgebildet

Mit Mallorca teilt die vermutlich zweitbeliebteste Ferieninsel deutscher Urlauber das traurige und unverdiente Schicksal einzig und allein als Badparadies wahrgenommen zu werden, während die wirkliche Schönheit der Insel meist übersehen wird. Ein klein wenig besser als derjenige von "Malle" – das sich als Ziel für Radler oder Wanderer ebenfalls durchaus anbieten würde – mit seinem berüchtigten "Ballermann" ist der Ruf von Gran Canaria allerdings noch.

Das Publikum auf der Kanareninsel setzt sich eben dann doch etwas anders zusammen. Insbesondere im Winterhalbjahr ist es zudem eher älter und gesetzter. Und auch wenn die meisten Marathontouristen selbst schon längst die Veteranenklassen erreicht haben, ziehen sie den Altersschnitt im Charterflieger noch immer ein Stück nach unten.

Während die letzten von ihnen am späten Samstagnachmittag ihre Startunterlagen abholen, werden mehrere Rennen für Schüler gestartet. Zwischen 250 Metern für die ganz Kleinen und immerhin schon zwei Kilometern für die Zwölf- und Dreizehnjährigen stehen dabei auf dem Programm. Alle noch älteren Jugendlichen treten am nächsten Tag dann beim Volkslauf, der "Carrera Popular", über fünf Kilometer an.

Der wird um 9:05 – also fünf Minuten nach den gemeinsam auf die Reise geschickten Halb- und Vollmarathonläufern – gestartet. Wirklich lange hell ist es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Erst eine gute Stunde zuvor hat sich die Sonne erstmals über dem Horizont blicken lassen. Allerdings sind die Tage auf den Kanaren Ende Januar dennoch fast schon wieder elf Stunden lang. Bis es abends wirklich wieder dunkel ist, zeigt der kleine Zeiger der Uhr bereits auf die Sieben.

Zu Hause in Deutschland läuft dann schon die Tagesschau. Denn die Inselgruppe ist der einzige Teil Spaniens, in dem nicht die Mitteleuropäische Zeit gilt. Auf Gran Canaria ticken die Chronometer nach Greenwich Time, was zwar noch immer nicht der eigentlich richtigen Zeitzone entspricht, nach der man gegenüber Mitteleuropa zwei Stunden Verschub hätte, aber dennoch deutlich besser passt.

Eine Spur ist den Läufern vorbehalten und mit Hütchen und Gittern gut gesichert Der kleine Alcaravaneras-Strand liegt direkt am Hafen "El Muelle" - "Die Mole" heißt das Einkaufszentrum, dass man nach Kilometer vier passiert

Bereits am doch noch relativ frühen Morgen entsprechen die Temperaturen trotzdem beinahe den versprochenen Werten. Die Marke von zwanzig Grad ist zwar nicht ganz erreicht. Weit darunter steht das Quecksilber jedoch nicht. Die sich daraus ergebende Befürchtung, dass es noch deutlich wärmer werden könnte, ist allerdings unbegründet. Denn nicht nur zwischen den Jahreszeiten sind die Klimaunterschiede gering, auch zwischen Tag und Nacht bewegt sich das Thermometer auf den Kanaren in der Regel nur wenige Striche nach oben oder unten.

So herrscht dann hinsichtlich der Bekleidungsauswahl auch ziemliche Einigkeit, als sich die rund fünfzehnhundert Halb- und Ganzmarathonis am Start einfinden. Ungefähr ausgeglichen ist das Verhältnis von kurzärmligen T-Shirts und Trägerhemden. Und über die Entscheidung für kurze Hosen gibt es ohnehin keine Debatten.

In mit unterschiedlichen Farben klar markierten und von Helfern im Zugang auch kontrollierten Startblöcken erfolgt die Aufstellung. Ob man diese "Cajónes" – was übersetzt in diesem Fall etwa "Fach, Pferch" heißt, unter anderen Umständen aber durchaus auch einmal "Schublade" bedeuten kann – angesichts noch einigermaßen überschaubarer Teilnehmerzahlen wirklich braucht, kann man zwar diskutieren. Allerdings zeigt der ziemlich flüssige Start, bei dem auch die Hinteren binnen einer Minute in Bewegung sind, dass sie auf keinen Fall schaden.

Nach dem kleinen Bogen, den man direkt nach dem Start um das Gebäude der Comandancia de Marina schlägt, verläuft der Kurs erst einmal einen Kilometer auf der Calle Luis Doreste Silva immer geradeaus in Richtung Norden. Parallel zur direkt an der Uferfront verlaufenden Schnellstraße ist sie eine aus verkehrstechnischer Sicht ziemlich geschickt gewählte Alternative.

Im Normalfall rollen auch auf ihr die Fahrzeuge ziemlich dicht. Oft steht man sogar mehr als man voran kommt. Doch am Sonntagmorgen ist das nicht ganz so schlimm. Da ist eine Vollsperrung wesentlich leichter zu ertragen als auf der Hauptpiste "Gran Canaria eins". Davon, dass auf der allerdings zu so früher Stunde auch noch nicht allzu viel los ist, können sich die Läufer wenig später überzeugen.

Denn auf dem zweiten Kilometer gelangt man dann doch direkt zur eigentlich durch die vielspurige Stadtautobahn vom Rest von Las Palmas abgeschnittenen Uferpromenade. Der Durchgangsverkehr muss dafür allerdings trotzdem nicht gestoppt werden. Der fließt nämlich an der Querungsstelle in einer Unterführung unter dem Kreisel durch, um den das Feld nun eine neunzig Grad Drehung vollführt.

Beim Torre Woermann sind die obere Stockwerke irgendwie seltsam zur Seite abgeknickt Marathonsiegerin Ture Chaltumoha noch vor Halbmarathonsiegerin Ana Burgos

Gleich mehrere dieser wie fast überall auf der Insel mit überdimensionalen Kunstwerken in der Mitte verzierten Kreisel sorgen dafür, dass die Fahrzeugkarawane lange Zeit kreuzungsfrei auf Las Palmas zurollen kann, andererseits allerdings auch in regelmäßigen Abständen Möglichkeiten bestehen, über Auf- und Abfahrtsrampen die Autobahn in die Stadt hinein zu verlassen.

Diese stellen auch für die Läufer ziemlich schnell wieder die Verbindung zur Hauptstraße her, der sie nun vorerst auf der äußersten rechten Spur weiter folgen werden. Doch ist der Verkehr zum einen wie schon erwähnt noch ziemlich gering und zum anderen durch eine schier endlose Reihe von Hütchen ganz sauber von der Marathonstrecke getrennt.

Über die Absperrungen kann man sich während des gesamten Rennens ohnehin nicht im Geringsten beklagen. Da haben die Organisatoren wirklich ganze Arbeit geleistet. Die Zahl der über die Stadt verteilten orangegestreiften Kegel geht wohl in die Tausende. Überall, wo man mit motorisiertem Verkehr in Verbindung kommen kann, sind zudem gleich mehrerer Ordner oder sogar Polizisten postiert.

Doch scheint sich die Stadt mitsamt ihrer Bewohner auch gut auf die Großveranstaltung eingestellt zu haben. Denn eher selten begegnet man auch auf nur zum Teil für die Läufer freigehaltenen Straßen einem Auto. Und selbst wenn der eine oder andere dann mit der Durchfahrt einmal einen Moment warten muss, bis sich eine entsprechend große Lücke im Marathonfeld bietet, wird das recht locker und ohne große Aufregung ertragen.

Vorbei am Yachthafen der Stadt führt die Strecke. Dahinter schließt sich der kleine Alcaravaneras-Strand an. Dass dieser nahezu völlig unbevölkert ist, liegt nicht nur an der Uhrzeit. Hauptursache ist der nicht etwa sonnige sondern ziemlich bedeckte Himmel. Dieser wird auch das ganze Rennen über erhalten bleiben. Zugesagt sind schließlich nur die zwanzig Grad, von Sonneschein war nie die Rede.

Und bei weitem nicht alle der aus dem kalten Mittel- und Nordeuropa angereisten Lauftouristen sind darüber wirklich böse. Auch ohne Sonne ist es schließlich schon warm genug, mit ihr könnte es des Guten – also der hohen Temperaturen – vielleicht doch etwas zu viel werden. Die mehreren kurzen Schauer, die am Vortag über der Stadt herunter gingen, bleiben den Marathonis allerdings ebenfalls erspart. Und ganz so trist wie zu Hause ist das Grau von Las Palmas sowieso nicht.

Eigentlich ist diese Wetterlage völlig normal, ja fast zu erwarten. Denn zum einen ist der Winter sowieso die niederschlagsreichste Jahreszeit auf den Kanaren. Zum anderen gibt es auf den Inseln aber auch jeweils eine eher trockene Seite im Südwesten und eine eher feuchte Seite im Nordosten. Und wie schon erwähnt liegt Las Palmas ja ganz im Nordosten von Gran Canaria.

Gran Canaria

Nicht nur auf die Temperaturen kann man sich also ziemlich gut verlassen. Das gilt genauso für die Bewölkung. Der nahezu beständig aus nordöstlicher Richtung wehende Passatwind bringt nämlich regelmäßig Wolken mit, die dann an den in der Mitte der Inseln aufragenden Bergmassiven hängen bleiben und oft auch abregnen.

Der Norden und Osten ist deshalb deutlich grüner als die ziemlich kahlen Hänge der gegenüberliegenden Inselseite. Denn dort im Windschatten der Gipfel kommen die Wolken eher selten an. Dafür zeigt sich aber im Süden und Westen an mehr als dreihundert Tagen im Jahr die Sonne zumindest für einige Zeit am Himmel. Und im Sommer fällt auf dieser Ecke der Insel manchmal sogar monatelang überhaupt kein richtiger Niederschlag.

Ein Phänomen, das keineswegs nur auf die Kanaren begrenzt ist, sondern für das es über den Globus verteilt viele weitere Beispiele gibt. Es tritt überall dort auf, wo relativ hohe Gebirgszüge mehr oder weniger direkt aus dem Meer ragen und sich dabei einer Luftströmung entgegen stellen. Gerade Vulkaninseln sind für solche Effekte sogar prädestiniert.

Nachdem man auch die sich hinter hohen Mauern versteckende Basis der spanischen Marine passiert hat, trennen sich Uferstraße und Promenade. Die Läufer halten sich rechts und folgen der Zweiteren entlang des Hafenbeckens, in dem Passagierfähren und Kreuzfahrtschiffe zu liegen kommen.

Gegenüber auf der Stadtseite zeigen zwei auffällige Hochhäuser, dass man inzwischen im eigentlichen Zentrum von Las Palmas angelangt ist. Einer von ihnen ist der in ungewohnt zylindrischer Form errichtete Turm des Hotels Los Bardinos. Der andere ist der Torre Woermann, der zwar einen rechteckigen Grundriss hat, dessen obere Stockwerke dafür aber irgendwie seltsam zur Seite abgeknickt sind.

Die kurze Pflasterpassage endet an der Zufahrtsstraße zum Einkaufszentrum "El Muelle". "Die Mole" heißt nicht nur so, sondern ist auch auf dem Beginn einer richtigen Hafenmole erbaut. Der Puerto de la Luz, also der "Lichthafen" von Las Palmas schließt nämlich praktisch ohne Übergang direkt an die Innenstadt an.

Die schon erwähnte Halbinsel namens La Isleta bildet zusammen mit dem Isthmus eine kleine Bucht und damit einen natürlichen Ankerplatz. Allerdings ist seine Kapazität durch Kunstbauten über die letzten beiden Jahrhunderte deutlich erweitert worden. Inzwischen zählt er zu den fünf größten Häfen Spaniens und seine Kaianlagen sind immer weiter ins Meer hinaus gewachsen.

Zwar haben die Kanaren weder als Produzent noch als Verbraucher der verladenen Handelsgüter eine besondere Bedeutung. Doch als Umschlagplatz von anschließend wieder in alle Himmelsrichtungen weiter verteilten Waren bieten sie sich aufgrund ihrer Lage geradezu an. Und viele Schiffe bunkern hier auch noch einmal Treibstoff, bevor sie den Ozean überqueren.

Der Hafenleuchtturm wird nach neun Kilometern umlaufen Das Castillo de la Luz schützte den Hafen nicht nur vor äußeren Angreifern sondern auch gegen Aufstände der Urbevölkerung An der Playa de Las Canteras verlaufen drei Kilometer auf jeder Runde

Erst durch das Wachstum des Hafens und die sich daraus ergebende Rolle als Handelszentrum wurde innerhalb von nur gut einhundert Jahren aus dem nicht einmal zwanzigtausend Einwohner zählenden Las Palmas eine zwanzigmal größere Metropole, in der nun fast ein Fünftel aller Canarios lebt.

Den Hafenbetrieb ein wenig näher in Augeschein nehmen können auch die Marathonis, denn der Kurs führt sie mitten in das keineswegs hermetisch abgeschirmte Gelände hinein. Nur einige Meter von der Strecke entfernt stapeln sich schon die Container. Auch Tankanlagen und Lagerhallen können sie auf den nächsten Kilometern noch zur Genüge besichtigen. Rund ein Viertel der Runde führt nämlich durch und um den Puerto.

Der größte Teil davon besteht aus einem Wendepunktstück, auf dem man – selbst wenn eine Grünanlage in der Mitte ab und zu die Sicht etwas versperrt – das entgegenkommende Feld einmal genauer in Augenschein nehmen kann. Von den Nationalitäten her ziemlich bunt gemischt ist es nämlich. Neben natürlich vielen Spaniern kann man da unter anderem die Trikots britischer und deutscher Clubs entdecken. Eine größere polnische Gruppe war schon am Vortag und am Start nicht zu übersehen.

Und auch die schwedischen Farben sind angesichts einer eher geringen Einwohnerzahl des Landes gar nicht schlecht vertreten. Doch gerade für die Skandinavier, bei denen es im Winter nicht nur kalt sondern eben auch ziemlich dunkel ist, sind die Kanaren um diese Jahreszeit ein lohnendes Ziel. Ein, zwei Wochen in der Sonne können die – angesichts von nur wenigen Stunden Tageslicht fast unvermeidbare – Winterdepression schließlich schon ein wenig abmildern.

So landen dann nahezu täglich Flieger aus Stockholm, Oslo und Kopenhagen auf dem fünfundzwanzig Kilometer südlich von Las Palmas gelegenen Flughafen der Insel. Und gerade aus der letztgenannten Stadt ist das zumindest vom optischen Eindruck her stärkste ausländische Kontingent angereist.

Denn wieder einmal sind die – wie üblich nahezu alle in ihren Landesfarben angetretenen – Dänen schon da, wenn man zu einem internationalen Marathon kommt. Wohl kaum einem der Teilnehmer des Gran Canaria Marathons begegnet unterwegs kein Mitläufer mit dem skandinavischen Kreuz in "røde" und "hvide" oder der Aufschrift "Denmark" auf dem Hemd.

Ziemlich international besetzt ist auch die Spitze, was bei großen Rennen angesichts der ostafrikanischen Übermacht fast schon unüblich ist. Doch in Las Palmas hat man mit James Kipkosgei Kuto nur einen einzigen Kenianer am Start. Und er läuft am Hafen nicht einmal als Erster vorbei. Der kanarische Lokalmatador Miguel Angel Vaquero Agama hat rund zwanzig Sekunden Vorsprung herausgeholt, steuert dabei aber auf eine für ihn eigentlich kaum mögliche Endzeit von unter 2:12 zu.

Eine gute Minute hinter Kipkosgei Kuto folgt Kristoffer Sterlund aus Schweden auf Rang drei. Der Pole Marek Jaroszewski bringt als Viertplazierter schon die vierte Nationalität in die Aufzählung und kann als einziger noch die mutig anlaufende Äthiopierin Ture Chaltumoha hinter sich lassen.

Kunstvoll geschnitzte Holzbalkone sieht man häufig auf den Kanaren Auf der Uferpromenade gibt es zum zweiten Mal fruchtige Verpflegung An Betten- und Sandburgen geht es vorbei

Die ersten Fünf-Kilometer-Abschnitte absolviert das zierliche Persönchen jedenfalls jeweils in einem Schnitt – im Spanischen recht passend "Ritmo" genannt – von unter 3:40 und hält damit sogar die Führende im Halbmarathon Ana Burgos, immerhin eine frühere zweifache Olympiateilnehmerin im Triathlon, ein paar Meter auf Distanz.

Diese hat ihrerseits allerdings auch schon einen klaren Vorsprung vor Teresa Linares Hernandez und Maria Del Pilar Ramos Guanche. Als Zweite im Marathon rennt die einheimische Triathletin Aroa Merino Betancort durch den Hafen von Las Palmas. Die in der W45 startende Saarländerin Heike Angel liegt zwar auf Rang drei, verliert aber schon in der Anfangsphase eine Dreiviertelminute pro Kilometer auf die Spanierin vor ihr.

Scheinen bei den Frauen sowohl im halben wie auch im vollen Marathon die Würfel schon fast gefallen zu sein, geht es in der Halbmarathonspitze bei den Männern ziemlich spannend zu. Denn zusammen mit Miguel Angel Vaquero Agama – was schon zeigt, dass er dabei ist etwas zu überziehen – hat sich dort eine Dreiergruppe eingefunden. Die außerhalb Spaniens völlig unbekannten Pablo Villalobos und Ciro Zapico Rodriguez gehören dazu.

Der dritte Mann ist allerdings auch hierzulande etlichen geläufig. Denn es ist José Manuel Martínez, den man eher unter seinem Spitznamen "Chema" kennt. Im Jahr 2002 wurde er in München vor Dieter Baumann Europameister über zehntausend Meter. Und nach dem Ende der spanischen Langstreckenherrlichkeit gehört er zu den wenigen Iberern, die auch heute international noch mithalten können, wie ein achter Platz beim WM-Marathon von Berlin belegt.

Schon im Vorjahr bei der Generalprobe zur Marathonpremiere war Martínez Erster gewesen. Nun ist er wieder dabei. Entsprechend oft wird sein Name auch vor dem Start in den Mund genommen. Ein wenig anders als aus dem Mund deutscher Sportreporter hört sich die Aussprache allerdings schon an. Die Betonung liegt im Spanischen nämlich eindeutig auf der zweiten Silbe.

Das Begegnungsstück endet kurz vor dem auf einem Kreisel stehenden Leuchtturm, der deshalb durchaus auch schon einmal als "Faro de la Rotonda" bezeichnet wird. Und nur wenig später passiert man auf dem Rückweg in die Innenstadt das Castillo de la Luz, das noch deutlich länger als das Leuchtfeuer über den Hafen wacht.

Die kleine Festung findet sich schon mehr als fünfhundert Jahre an dieser Stelle. Doch sie diente beleibe nicht nur zum Schutz der Bucht vor äußeren Feinden, wie jenen englischen und niederländischen Piraten, von denen Las Palmas gelegentlich heimgesucht wurde. Ursprünglich war sie auch Rückzugspunkt für die spanischen Herren der Inselgruppe. Denn erst kurz zuvor – im Jahr 1483 – hatten diese endgültig die Regentschaft über Gran Canaria erlangt.

An der Playa de Las Canteras

Das in der Antike bereits vorhandene Wissen um die Existenz der Inseln war im Mittelalter nämlich wieder verloren gegangen. Erst im frühen vierzehnten Jahrhundert kam mit dem Genueser Lancelotto Malocello wieder ein Europäer auf die Kanaren. Zumindest war er der Erste, dessen Besuch belegbar ist. Die Bezeichnung für die nordöstlichste Insel Lanzarote, auf der er landete, geht angeblich auf eine Lateinisierung seines Namens zurück. Übrigens gibt es auch im Norden von Gran Canaria ein genauso heißendes Dörfchen.

Dem zu diesem Zeitpunkt keineswegs unbewohnten Archipel blieb noch eine kleine Schonfrist. Noch einige Dekaden lang konnten die Fürsten der aus Nordafrika eingewanderten und mit den dortigen Berbern verwandten ursprünglichen Altkanarier – der manchmal auch verwendete Begriff Guanchen bezeichnet eigentlich nur die Einwohner von Teneriffa – ihre Macht ohne größere Probleme behaupten. Nur gelegentlich tauchte einmal ein Schiff vor ihren Inseln auf.

Doch ab 1402 begannen die kastilischen Könige die Eroberung der Kanaren voran zu treiben. Fast könnte man von einer Art Probelauf für die nachfolgende Kolonisierung Amerikas sprechen. Fast einhundert Jahre dauerte es zwar, bis mit Teneriffa auch die letzte Insel endgültig unterworfen werden konnte. Aber nur wenige Generationen später war von der Kultur der Urbewohner nichts mehr übrig, ihre Sprache verloren, sie selbst völlig assimiliert und mit den Spaniern vermischt.

Die manchmal auch geäußerte These, dass die Altkanarier wie einige Völker in Lateinamerika versklavt und später völlig ausgelöscht worden seien, lässt sich spätestens nach genetischen Untersuchungen nicht mehr halten. Denn diese haben ergeben, dass noch immer weit über die Hälfte aller Einwohner des kanarischen Archipels ihren Stammbaum zumindest teilweise auf die ursprüngliche Bevölkerung zurück führen kann.

Schnurgerade führt die Straße auf die Playa de Las Canteras zu. Der Strand der sich nur wenige hundert Meter vom Hafen entfernt auf der anderen, der westlichen Seite des schmalen Landstreifens, den das Stadtzentrum einnimmt, über mehrere Kilometer die Küste entlang ausdehnt, wird im Werbematerial der Tourismusagenturen oft etwas überzogen mit der Copacabana verglichen. Doch hier liegt trotzdem der eigentliche Ursprung von Gran Canarias Karriere als Ferienziel.

Gran Canaria

Nicht ganz unerwartet waren es um die Wende vom vorletzten zum letzten Jahrhundert wohlhabende Briten, die zuerst Urlaub auf der Insel machten, was damals immerhin ja noch eine längere Schiffreise erforderte. "Inglés" wurde dann auch schnell zum allgemein gültigen Begriff für alle ausländischen Besucher, ganz unabhängig davon, woher sie wirklich stammten.

Da Las Palmas im Gegensatz zum sonnigen Inselsüden durchaus auch einmal ziemlich wechselhaftes Wetter zu bieten hat, zog es sie bald in die dortige Dünenlandschaft. Anfangs ging das sogar aufgrund von nicht vorhandenen Straßen auf dem Rücken von Eseln oder Maultieren vonstatten. Der Begriff "Playa del Inglés" war geboren.

Als mit dem Bau des Flughafens und zunehmendem Reiseverkehr auch die Zahl der Touristen immer mehr zunahm, entstanden rund um den "Engländerstrand" auf ursprünglich als ziemlich wertlos erachtetem Land erste kleine Feriensiedlungen. Nach der ursprünglichen Idee sollten diese sich eher lose in einer Parklandschaft verteilen.

Doch der Kreislauf aus sich bietenden Gewinnmöglichkeiten und wachsendem Bedarf ließ diese Pläne recht schnell zu Makulatur werden. Bettenburgen aus Beton wurden in immer größerer Zahl in die Landschaft gestellt. An der sogenannten Costa Canaria entstand ein touristisches Kunstgebilde für die immer größer werdenden Urlaubermengen.

Alleine in den längst miteinander verwachsenen Siedlungen Maspalomas, Playa del Inglés und San Augustin, von denen die unter Naturschutz stehenden Dünen nun völlig umschlossen sind, stehen über zweihunderttausend Gästebetten zur Verfügung. Kurios, dass die Verwaltung für diese Ferienstadt noch immer im zweitausend Seelen zählenden Bergdörfchen San Bartolomé de Tirajana zu finden ist, auf dessen Gebiet sie liegt.

Als der Raum dort zumindest in Meeresnähe erschöpft war, dehnten sich die Hotels immer weiter nach Westen aus, wo zwar die Küste steiler wird, aber noch einige Buchten zugebaut werden konnten. Mangels Platz klotzte man dabei die Gebäude oft sogar direkt in die Hänge hinein. Statt von Felsen sieht man sich dort dann eben von einem Ring treppenartiger Ferienanlagen umgeben. Von den kleinen Fischerdörfern, die es in diesen Buchten zum Teil auch einmal gab, ist fast nichts mehr zu erkennen.

Inzwischen gibt es zwar einen halbherzigen Baustopp. Doch auch weiterhin zeigen in den Himmel ragende Kräne, dass noch immer neue Unterkünfte entstehen. An der Südküste Gran Canarias pflegt man eine regelrechte Monokultur des Tourismus. Rund drei Millionen Besucher kommen inzwischen pro Jahr auf die Insel. Sonne, Meer, ansonsten aber möglichst alles wie daheim suchen viele davon. Die tatsächlich genau so zu findende Aufschrift "gebacken nach deutschem Rezept" am Brotregal im Supermarkt ist da durchaus bezeichnend.

An der Playa de Las Canteras Tempomacher nicht zu Fuß sondern auf dem Fahrrad Zu welchem Marathon man auch fährt, Dänen sind auch da

Das und insbesondere die mit dem ungebremsten Ausbau verbundene Zerstörung der ursprünglichen Landschaft kann man sicher – und muss man vielleicht sogar – beklagen. Doch andererseits steuert die Urlaubsindustrie inklusive aller damit zusammen hängenden Dienstleistungen auch rund drei Viertel zum gesamten Bruttosozialprodukt der Insel bei.

Und solange es genügend Menschen gibt, die in solchen Touristenzentren ihre Ferien verbringen möchten, kann man es den Canarios wohl nicht wirklich verübeln, wenn sie damit kurzfristig ihr Geld verdienen wollen. In den Wintersportgebieten der Alpen macht man es ja auch nicht anders. Dass man sich eigentlich in beiden Fällen damit den Ast, auf dem man sitzt, irgendwann absägt, steht dann auf einem ganz anderen Blatt.

Manchen All-Inclusive-Urlauber dürfte vermutlich nicht einmal der grundlegende Unterschied zwischen "Kanaren" und "Balearen" sowie deren Position auf dem Globus so richtig klar sein. Dass die Inselhauptstädte mit "Palma de Mallorca" und "Las Palmas" – die übrigens eine formale Partnerschaft miteinander unterhalten – auch noch ähnlich heißen, macht die Sache nicht wirklich einfacher.

Und die Kanareninsel mit dem Namen "La Palma" steigert die Verwirrung für den an Geographie wenig interessierten Mitteleuropäer nur noch zusätzlich. Sicherheitshalber hängt man deshalb im Schriftverkehr lieber an "Las Palmas" immer gleich den Zusatz "GC" – oder auch einmal das ausgeschriebene "de Gran Canaria" – an.

Direkt auf die Strandpromenade der sichelförmigen Playa de Las Canteras führt die Laufstrecke. Und praktisch bis zu ihrem anderen Ende wird man ihr nun auch mehrere Kilometer lang folgen. Auf der rechten Seite der Sand, auf der linken eine nahezu ununterbrochene Reihe von Hotels und Ferienwohnungen, Restaurants und Souvenirgeschäften.

Kreuzungsfrei und nur für Fußgänger offen ist dieser Spazierweg eigentlich fast selbstverständlich auch das Haupttrainingsrevier für Einwohner und Gäste von las Palmas. Der Stadtmarathon ist nicht die einzige Laufveranstaltung, die sich auf dem Paseo de Las Canteras abspielt. Noch ein anderes Rennen über die gleiche Distanz gibt es in Las Palmas. Und dieses wird ebenfalls erst einmal am Strand entlang geführt.

Doch dann verschwindet der mit einem ziemlich langen Namen ausgestattete Maratón Extremo de Montaña Ciudad de Las Palmas auf die hüglige Halbinsel La Isleta und sammelt dort zusätzlich zur Distanz noch etliche Höhenmeter auf. Jedes Jahr im September kann man sich dieser Herausforderung stellen, die allerdings gegen das, was die kanarische Laufszene sonst noch zu bieten hat, eigentlich recht harmlos ist.

Selbst der im März ausgetrage "Gran Canaria K42 Adventure Marathon", der noch ein paar Steigungen mehr im Profil eingezeichnet hat und damit auf vierstellige Zahlenwerte kommt, ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Da gibt es zum Beispiel im Oktober ja schließlich auch die "Challenge Gran Canaria".

Trutzig und fast burgartig wirkt das Auditorio Alfredo Kraus Auf einem kurzen Begegnungsstück werden an der Konzerthalle Meter geschunden

Die führt zwar ebenfalls auf schmalen Pfaden durch die Bergwelt im Inselinneren, durchquert dabei allerdings das Eiland komplett von Südwest nach Nordost, um am Hafen von Las Palmas zu enden. So landet man dann ohne größere Probleme bei einer Streckenlänge von fünfundsiebzig Kilometern. Und da unterwegs auch noch die höchste Erhebung Gran Canarias – der zumeist mit 1949 Metern auf den Karten eingetragene Pico de las Nieves – überquert wird, sind auch die Kletterfähigkeiten der Teilnehmer mehr als gefragt.

Allerdings macht der "Schneeberg", auf den man nicht nur zu Fuß sondern auch mit dem Auto gelangen kann, um von dort die bis zur Nachbarinsel Teneriffa reichende Aussicht zu genießen, seinem Namen eher selten Ehre. Nur in Ausnahmefällen gibt es dort tatsächlich einmal etwas von der winterlichen Pracht. Und richtig viel Schnee liegt angesichts der auch in der Höhe meist ziemlich milden Temperaturen zum Glück noch seltener drauf.

Doch selbst die Challenge Gran Canaria ist noch nicht das Maß aller Dinge für die anscheinend die Extreme bevorzugende kanarische Läuferschar. Es gibt ja auch noch den Transgrancanaria, der ganz grob gesprochen zwar eine ähnliche Streckenführung besitzt wie sein kleiner Bruder, aber noch ein paar Schlenker und Berge – der "Schneegipfel" ist selbstverständlich mit dabei – mehr eingebaut hat. Auf 123 Kilometer und fast fünftausend Höhenmeter beläuft sich deshalb die Distanz.

Auch die Insel La Palma hat mit dem "Trans Vulcania" ihren fünfundachtzig Kilometer langen "Ultramaratón". Und auf El Hierro gibt es einen deutlich mehr als nur ein wenig bergigen Marathonlauf. Über zu wenig Auswahl können sich die Freunde von schweren Rennen in noch schwererem Gelände auf den Kanaren nun wahrlich nicht beklagen. Da wirkt der im Dezember auf einer viermal zu absolvierenden Pendelstrecke am Meeresufer ausgetragene Lanzarote Marathon irgendwie fast schon fehl am Platz.

Aber auch bei der Runde, die man für den Gran Canaria Marathon durch Las Palmas abgesteckt hat, sind die Höhenunterschiede eher gering. Und an der Playa de Las Canteras gibt es ohnehin eigentlich keine. Rund drei Kilometer lang hält sich der Kurs an den Stadtstrand. Immer näher kommt dabei ein wuchtiges Gebäude, das den südwestlichen Endpunkt des Paseo einnimmt und beherrscht.

Am Auditorio Alfredo Kraus, dem nach einem in Las Palmas geborenen Tenor benannten Konzert- und Kongresssaal, das mit seinen hohen fensterlosen Mauern fast trutzig daher kommt und sogar ein wenig an eine Burg erinnert, werden noch einmal mit einer Begegnungspassage ein paar Meter geschunden, bevor man dem Meer endgültig den Rücken zudreht und wieder in die Stadt hinein läuft. Erst leicht bergan, dann zur kreisrunden Plaza de España genauso leicht wieder bergab.

An der Konzerthalle Trotz Begrünung wirkt die Plaza de España aufgrund der Bebauung eng und düster Das Denkmal im Parque Doramas erinnert an den gleichnamigen Inselfürsten

Auf den aufgrund der engen und hohen Bebauung trotz aller Begrünung eher düster wirkenden Straßenknoten folgt mit der Calle Mesa y López die Haupteinkaufszone der Stadt. In der von einem Grünstreifen in der Mitte zweigeteilten Allee ballen sich die Kaufhäuser und Nobelboutiquen in der Hoffnung auf zahlungskräftige Kundschaft.

Mitten auf ihr ist auch Kilometer fünfzehn markiert. Und für die Halbmarathonläufer beginnt fast schon der Schlussabschnitt. Chema Martínez mit Startnummer 1001, der schon am Canteras-Strand Ciro Zapico Rodriguez abschütteln konnte, hat sich nun auch ein paar Meter von Pablo Villalobos abgesetzt. Doch so groß, dass man von einer Entscheidung sprechen könnte, ist der Vorsprung noch lange nicht.

Etwa genauso weit ist der Abstand mit dem James Kipkosgei Kuto nun vor Miguel Angel Vaquero Agama an dieser Stelle vorbei kommt. Noch immer läuft der Spanier aber mit Zapico Rodriguez zusammen und hat auch bezüglich des "Ritmo" nicht wirklich nachgelassen. Viel klarer ist das Bild dahinter denn Kristoffer Sterlund folgt mit bereits vier, Marek Jaroszewski gar mit fünf Minuten auf die beiden Erstplatzierten.

Auch bei den Frauen sind Halb- und Ganzmarathonspitze gut durchmischt. Denn weiterhin absolvieren Ture Chaltumoha und Ana Burgos die Strecke mehr oder weniger gemeinsam. Teresa Linares Hernandez auf der Halb- sowie die noch in Sichtweite zu ihr laufende Aroa Merino Betancort auf der Volldistanz bleiben ebenfalls beide noch unter einer Stunde. Zu den beiden Drittplatzierten Maria Del Pilar Ramos Guanche und Heike Angel klaffen dahinter dann aber schon deutliche Lücken.

Ohnehin ist das Feld bei den Damen für aus Mitteleuropa gewohnte Verhältnisse eher dünn besetzt. Von 837 Zieleinläufen über 21,1 Kilometer gehen gerade einmal 102 auf das Konto von Frauen. Noch schlechter ist die Relation auf der Volldistanz, wo unter 479 Teilnehmern im Ziel nur dreißig weiblich sein werden. Dass davon auch noch zwei Drittel aus dem Ausland kommt, lässt den Nachholbedarf, den man in Spanien auf diesem Gebiet wohl hat, noch deutlicher werden.

Noch einmal führt ein kleiner Schlenker etwas bergan. Er ist nötig, um den Tunnel, der die beiden Inselhauptstraßen im Zentrum von Las Palmas verbindet, zu überqueren. Eine Lösung, die den Läufern zwar ungefähr ein Dutzend Höhenmeter verschafft, den Verkehr auf der wichtigen Route aber nahezu ungestört rollen lässt.

Gran Canaria

Wenig später ist man schon auf dem Ausgangsniveau zurück und wird es auch für die nächsten Kilometer nicht mehr verlassen. Parallel zur Uferstraße geht es nun nämlich wieder schnurstracks nach Süden. Grob gesprochen kann man sich den Marathonkurs als ein langgestrecktes "T" mit einem etwas zu dick geratenen und nach links gekippten Querstrich vorstellen. Jetzt ist man wieder in dem langen Schlauch angekommen, der zum Ausgangspunkt zurück führt.

Ciudad Jardín, also Gartenstadt nennt sich dieser Teil von Las Palmas. Nicht nur wegen der doch etwas gehobeneren Wohngegend, in der um die Villen herum kleine Gärten angelegt sind. Auch mehrere Parks finden sich dort. Der vielleicht schönste von ihnen ist der Parque Doramas, der seinen Namen vom letzten altkanarischen Fürsten Gran Canarias hat.

Im Jahr 1478 begann das Königreich Kastilien ernsthaft die Eroberung der Insel voran zu treiben. Dabei wurde auch die Ciudad Real de las Palmas gegründet. Drei Jahre gelang es der Urbevölkerung unter der Führung von Doramas den Invasoren Gegenwehr zu leisten. Dann stellten die Spanier unter Pedro de Vera den Heerführer zum entscheidenden Gefecht, in dem er schließlich getötet wurde. Bald darauf war der Widerstand gebrochen und Gran Canaria annektiert.

Die genauen Umstände sind zwar historisch nicht geklärt, doch gibt es auf der Insel bevorzugt diese Geschichte vom Untergang des Doramas: Im Vertrauen auf die Ehrbarkeit seines Gegenübers hätte er einen offenen und ehrlichen Kampf nur zwischen ihnen beiden angeboten. De Vera sagte dies zu. Doch kaum stand man Auge in Auge, wurde Doramas von hinten zu Fall gebracht und de Vera musste ihm nur noch den letzten Stoß mit der Lanze versetzen.

Die Worte und Zusagen des aus dem Norden stammenden Fremden hatten am Ende keinerlei Wert gehabt. Bestimmt ist die kastilische Sicht nicht die gleiche. Und höchstwahrscheinlich erzählt man dort auch die Geschichte ganz anderes. Aber alleine, dass sich – obwohl vieles andere doch ziemlich schnell vergessen wurde – diese Ereignisse so ins Gedächtnis der Kanarier eingebrannt hat, ist irgendwie bezeichnend.

An den Untergang des Doramas erinnert ein Denkmal im Park, das den vom Felsen stürzenden Fürsten darstellt und auf das die Marathonis im Vorbeilaufen einen kurzen Blick werfen können. Übrigens gibt es in dem Gebiet, in dem das geschilderte Aufeinandertreffen geschehen sein soll, auch einen dreißig Kilometer langen Lauf namens "La Ruta Doramas". Angesichts der kanarischen Vorlieben wenig verwunderlich, dass er ebenfalls größtenteils über schmale Bergpfade führt.

Im Parque Doramas stehen mit den Drachenbäumen Pflanzen, die es nur auf den Kanaren gibt Auch an den Regierungsgebäuden der Autonomen Region Islas Canarias führt die Strecke vorbei . Das Wappen der Kanaren zeigt zwei Hunde, denn man kann ihren Namen als Hundeinseln interpretieren

Doramas wird jedenfalls gerne als "der letzte Kanarier" bezeichnet und entsprechend verehrt. Und die Popularität der Geschichte zeigt auch die gelegentlich durchbrechende Abneigung sowie das manchmal vorhandene Misstrauen gegen die Festlandsspanier. Ein bisschen kanarische Identität ist eben doch auch heute noch vorhanden. Und ab und zu regen sich sogar – allerdings eher bei einer Minderheit – gewisse Unabhängigkeitsbestrebungen.

Dabei haben die Inseln inzwischen eine weitgehende Autonomie, seit Spanien sich vom zentralistischen Franco-Regime zu einer stabilen föderalen Demokratie gewandelt hat. Das Königreich ist in mit den deutschen Bundesländern vergleichbare Autonome Regionen unterteilt. Und auch die Kanaren bilden eine eigene.

Diese erhält hohe Subventionen von der Europäischen Union, denn sie galt und gilt als "ultraperipher", also "extrem weit abgelegen". Bei praktisch allen Infrastruktur-Bauprojekten wie Tunnel, Brücken oder Straßen zeigen die gelben Sterne mit blauem Hintergrund auf der Tafel, dass da so einiges an Beträgen aus Brüssel bei der Umsetzung mitgeholfen hat.

Da die kanarischen Durchschnittseinkommen denen auf dem Festland inzwischen jedoch recht ähnlich sind, werden die EU-Fördergelder in Zukunft vermutlich etwas spärlicher fließen. Spanische Mittel landen aber weiterhin in deutlich größerer Höhe auf den Inseln, als von dort Steuern nach Madrid zurück strömen. Von "armer, ausgebeuteter Kolonie" wie im Selbstverständnis mancher Canarios kann also nicht wirklich die Rede sein.

An den Gebäuden der kanarischen Regionalregierung kommen die Läufer kurz nach dem Parque Doramas auch vorbei. Verwaltungssitz der Inselgruppe ist nämlich ebenfalls Las Palmas. Doch die Hauptstadtfunktion ist geteilt, denn das Parlament tagt in Santa Cruz de Tenerife auf der benachbarten größten Insel des Archipels.

Sowohl zwischen Gran Canaria und Teneriffa als auch zwischen ihren jeweiligen Hauptstädten gibt es nämlich eine recht ausgeprägte Rivalität, für die man mit "Pleito Insular" sogar einen eigenen Begriff geprägt hat. Mit solchen Kompromissen wie der Aufteilung der regionalen Institutionen möchte man diese natürlich im Zaum halten und keine von beiden Seiten zurück setzen.

Neben der Regierung für die gesamte Autonome Region, die den Marathon natürlich ebenfalls unterstützt, und der Verwaltung für jede einzelne Insel gibt es – als Überbleibsel aus zentralistischen Tagen – dazwischen zudem auch noch zwei Provinzen. Eine für die östlichen und eine für die westlichen Kanaren. Dass es angesichts so vieler unterschiedlicher Behördenebenen ab und zu Kompetenzwirrwarr geben muss, ist eigentlich fast selbstverständlich.

Das Jugendstilcafé im Parque San Telmo zählt zu den meistfotografierten Motiven der Stadt Das Gebäude der Comandancia de Marina ist mit seinen grünen Fensterläden unverkennbar Der Büroturm in Zielnähe hat wegen der spitzwinklig verlaufenden Straßen fast die Form eines Bügeleisens

Ach ja, nach dem Gesagten wenig verwunderlich sind sicherlich die Namen der Provinzhauptstädte. Sie lauten Las Palmas de Gran Canaria und Santa Cruz de Tenerife. Zwar ist Las Palmas von den Einwohnerzahlen her deutlich größer als Santa Cruz, doch dafür zählt Tenerife – wie die Insel auf Spanisch heißt – insgesamt ein paar Menschen mehr. Jeweils etwa zwei Fünftel der kanarischen Bürger leben auf Gran Canaria bzw. Teneriffa.

Für alle anderen fünf Eilande bleiben dann zusammen nur noch gut zwanzig Prozent der Gesamtsumme. Auf dem Wappenschild der Kanaren, das man meterhoch an den Bürohäusern angebracht hat, sind allerdings alle sieben unabhängig von Fläche und Bevölkerung als gleich große Berge zu sehen.

Gehalten wird es stets von zwei Hunden, womit man auf den Namen des Archipels anspielt. Denn zwar ist es sprachgeschichtlich nicht völlig geklärt, doch kann man das "Insula canaria", mit dem die Römer Gran Canaria – und davon abgeleitet die ganze Inselgruppe – bezeichneten, durchaus als "Hundeinsel" interpretieren.

Langsam kommt man wieder in die Nähe von Start und Ziel. Das unverkennbare Gebäude der Comandancia de Marina mit seinen grünen Fensterläden und der dahinter aufragende Büroturm, der aufgrund der ziemlich spitzwinklig aufeinander zu laufenden Straßen fast die Grundform eines Bügeleisen hat, sind dafür ein untrügliche Zeichen.

Doch noch fehlt ein Stück, denn gerade erst hat man das Schild mit der "18" passiert. Auf ihm hat ein Foto des Roque Nublo die Läufer begrüßt. Der "Nebelfelsen", ein rund achtzig Meter aufragender Felsmonolith, der eines der Wahrzeichen der Insel ist, steht für das Dörfchen Tejeda. Der herrlich gelegene und malerische Ort – vor einigen Jahren sogar einmal als "schönstes Dorf Spaniens" ausgezeichnet – im Herzen des Berglandes hat nämlich diesen Kilometer betreut.

Denn wie es der Zufall so will, gibt es auf Gran Canaria genau einundzwanzig Gemeinden. Da lag die Idee, dass jede von ihnen das Unterhaltungsprogramm für einen Kilometer auf der Halbmarathonrunde übernehmen könnte, eigentlich fast nahe. Die meisten machen auch mit, haben Musikkapellen oder Kinder- und Jugendsportgruppen, die ihre Künste vorführen, an der Strecke postiert.

Ab dem Park herrscht auf den letzten beiden Kilometern der Runde meist Gegenverkehr Vor der San Telmo Kapelle spielt eine Musikkapelle, der auch vorbeikommende Passanten lauschen Eine kleine Wendeschleife führt an der Kirche San Francisco vorbei

Dass sich nicht alle beteiligen, zeigen allerdings einige Markierungen bei denen die Zahlen unverkennbar wieder ausgeschnitten und auf eine neutrale Tafel montiert wurden. Übersehen kann man weder die einen noch die anderen, denn zumindest auf der ersten Runde sind sie mannshoch. Und selbst die etwas kleineren Schilder für die zweite Hälfte, die dann nur noch die Ziffern tragen reichen auch Großgewachsenen noch bis zum Bauchnabel.

Doch mit den Kilometermarkierungen hat man es auf Gran Canaria sowieso. Denn auf jeder noch so kleinen Bergstraße ist alle tausend Meter ein Leitpfosten mit der Nummer der Route und dem jeweiligen Streckenkilometer montiert. An der Farbe kann man zudem die jeweilige Klassifizierung erkennen. Und nicht nur bei einem Marathon auch auf so einer Kurvenpiste kann das nächste Schild ziemlich lange auf sich warten lassen.

Mit dem Parque San Telmo, der auf der linken Seite auftaucht, und der – durch die uniformierte Wache davor eindeutig zu identifizierende – Militärverwaltung Gobierno Militar gegenüber nähert man sich langsam der Altstadt. Diese ist nämlich keineswegs in der Nähe des Zentrums zu finden sondern praktisch am anderen Ende der Stadt mehrere Kilometer vom Hafen entfernt. Erst mit dessen Ausbau vor gut hundert Jahren ist ihm Las Palmas aus dem alten Kern heraus wirklich entgegen gewachsen.

Seinen Namen hat der Park von einer dem Schutzpatron der Seefahrer und Fischer geweihten Kapelle, die sich in ihm befindet. Doch das meistfotografierte Motiv ist sicher das kleine Jugendstilcafé an der anderen Ecke. Auch der Informationskiosk vor der Kapelle und der Musikpavillon – auf Spanisch "Kiosko de la Musica" – in der Platzmitte sind im gleichen Baustil, der in seiner spanischen Variante Modernismus genannt wird, errichtet.

Und in der Fußgängerzone, in die man nun hinein läuft, lassen sich noch etliche weitere reich verzierte Gebäude dieser Periode finden. In vielen bunten Farben kommen sie daher. Doch ist das ohnehin eine kanarische Eigenheit. Auch in den anderen Dörfern und Städtchen der Insel begegnet man immer wieder Häusern, die in so knalligen Tönen gestrichen sind, dass das Wort "Bonbonfarben" oft schon zu milde wirkt.

Andererseits gibt es allerdings gerade im ziemlich zersiedelten Bereich zwischen Las Palmas und der Costa Canaria auch so manche neugebaute ansonsten recht monotone Reihenhausanlage, in der sich erst genau dadurch überhaupt so etwas wie eine persönliche Note für jedes einzelne Haus ergibt. Und vielleicht sind sie dort sogar ziemlich wichtig, um angesichts der Gleichförmigkeit überhaupt wieder nach Hause zu finden.

Gran Canaria

So einheitlich und schon gar nicht eintönig ist die Bebauung an der Marathonstrecke jedoch nicht. Immer wieder unterbrechen auch einmal moderne Geschäftshäuser das Jugendstilensemble. Triana heißt dieses Viertel, das sich ebenfalls für einen Einkaufsbummel anbietet. Und "Triana" wird auch die Straße selbst meist nur genannt, obwohl sie offiziell eigentlich "Calle Mayor de Triana" heißt.

Zwischen roten Straßenlaternen und genauso gefärbten Bänken und Mülleimern spannen sich viele hundert Meter Flatterband und sorgen dafür, dass die Mitte der Flaniermeile für die Marathonis frei bleibt. Schon seit dem Park herrscht auch wieder einmal Gegenverkehr. Hütchen trennen beide Laufrichtungen so lange voneinander ab, bis man jenseits des neunzehnten Kilometers noch einmal nach rechts abdreht, um eine kleine Wendeschleife durch die Parallelstraße zu beginnen.

Die hat neben einem praktischen durchaus noch einen ästhetischen Sinn. Denn so kann man die Strecke auch noch am Gabinete Literario vorbei führen. Das wegen Renovierungsarbeiten zum Teil mit einem Netz verhüllte Gebäude zählt zu den markantesten und meistfotografierten Bauwerken der Stadt. Der kleine Platz davor sorgt schließlich für beste Aufnahmewinkel.

Mit Café, kleiner Bibliothek und mehreren Salons diente es einst wohlhabenden Bürgern als Treffpunkt zum Lesen und der Diskussion über das zuvor Gelesene. Nachdem die Inselregierung es vom altehrwürdigen Literaturklub übernommen hat, finden zudem auch andere kulturelle Veranstaltungen darin statt.

Links ab biegt der Kurs auf eine Hauptstraße ein. Dabei sollte er nach der ursprünglichen Planung noch ein ganzes Stück weiter geradeaus führen, vorbei an der Kathedrale Santa Ana mitten durch die "Vegueta", den ältesten Teil der Stadt. Doch der Platz vor der Bischofskirche mit ihrer breiten Front und ihren Zwillingstürmen ist aufgerissen und unpassierbar. Als nicht ganz so spektakuläre Alternative zum Altstadtkern hat man sich dann für die Verlängerung der Hafenschleife entschieden.

Am kleinen Platz auf der Rückseite der Kathedrale findet man das frühere Haus der Inselgouverneure. Trotz vieler tatsächlich aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert stammender Bauteile erhielt es seine endgültige Form allerdings erst vor gut fünfzig Jahres, als man es zu einem Museum umwandelte.

Doch nicht etwa um Geschichte und Kultur der Kanaren geht es darin, dafür gibt es ein paar Straßen weiter das Museo Canario. "Casa de Colón" heißt das Gebäude und es beschäftigt sich eher mit den Entdeckungsfahrten des Kolumbus – Cristóbal Colón ist der Name, unter dem der Genuese Cristoforo Colombo in Spanien bekannt ist – sowie seiner Nachfolger. Nach einer nicht zu bestätigenden Legende soll er nämlich vor seinem ersten Aufbruch nach "Indien" in diesem Haus übernachtet haben.

Die Kanaren dienten nicht nur für Kolumbus sondern auch in der Folgezeit meist als Zwischenstation bei der Reise über den Atlantik in die von Spanien frisch eroberte neue Welt. Man nahm noch einmal Proviant auf und ergänzte gegebenenfalls die Mannschaften. Viele Canarios – darauf ist man stolz – gehörten aus diesem Grund zu den Crews der Santa Maria, der Pinta und der Niña, mit denen Colón in die Karibik segelte.

In der Calle Mayor de Triana stehen etliche Jugendstilgebäude

Auch später kamen so etliche Bewohner der Inseln nach Amerika und blieben oft auch als Siedler dort. Deshalb und wegen der Rückwanderung in späteren Jahren gibt es auch enge sprachliche Übereinstimmungen. Der auf den Kanaren gesprochene spanische Dialekt ist dem Südamerikanischen in vielem ähnlicher als dem Kastilisch auf dem Festland. Man spricht deshalb als Oberbegriff auch von einem atlantischen Spanisch.

Schnell merkt man, dass unter anderem Konsonanten wie ein "S" am Wortende häufig verschluckt werden. So bedankt man sich eben meist mit einem "Gracia" ohne den eigentlich noch erwarteten Buchstaben. Dass diese Eigenart auch dazu führt, die Hauptstadt von Gran Canaria nur "La Palma" zu nennen, macht zur Vermeidung von Verwechslungen den schon erwähnten Namenszusatz noch deutlich sinnvoller.

Die Verbindungen der Kanaren zu den Kolonien waren und sind jedenfalls relativ eng. Manchmal empfindet man sich sogar eher als Lateinamerikaner und nicht als Europäer. Einige als urspanisch empfundene Traditionen wie den Stierkampf lehnt man auf den Inseln zum Beispiel ab. Ob allerdings die dafür veranstalteten Hahnenkämpfe wesentlich besser sind, sei einmal dahin gestellt.

Die Straße, auf der man nun leicht bergab wieder dem Meer entgegen läuft, ist ein ehemaliges Flussbett, das einst die beiden ältesten Stadtteile von Las Palmas Vegueta und Triana trennte. Erst Anfang des letzten Jahrhunderts wurde der Barranco de Guiniguada eingeebnet. Von der einstigen grünen Oase sind nur noch die Bäume auf dem Mittelstreifen übrig.

Nicht alle dieser Barrancos sind jedoch feucht. Vielmehr wird mit diesem Wort auf den Kanaren in der Regel eher ein trockenes Flusstal bezeichnet, das nur nach starken Regenfällen tatsächlich – dann aber oft gleich wieder viel zu viel – Wasser führt. Ziemlich zahlreich sind sie auf den Inseln. Sternförmig von den jeweiligen Bergmassiven im Zentrum ausgehend haben sie sich in alle Richtungen und allen Größen in das weiche Eruptionsgestein gegraben, wie man auf den Landkarten ziemlich deutlich erkennen kann.

Im Gabinete Literario trafen sich einst wohlhabende Bürger zum Lesen und zur Diskussion über das Gelesene Die Biblioteca Insular steht am "Froschplatz" Die Militärverwaltung Gobierno Militar gegenüber dem Parque San Telmo

Vorbei an der Plaza Hurtado de Mendoza – die wegen ihres Brunnens mit zwei überlebensgroßen wasserspeienden Amphibien bei den Einheimischen nur als "Plaza de las Ranas", "Froschplatz" bekannt ist – mit der Biblioteca Insular und zwei weiteren Kiosken aus der Zeit des Modernismo führt der kurze Streckenteil auf der Carretera del Centro, die also nicht nur eine zentrale Ausfallstraße ist sondern auch so heißt.

Als auf der gegenüberliegenden Seite die Hallen des Mercado de Vegueta auftauchen, dreht der Kurs jedoch schnell wieder in die Fußgängezone der Triana hinein. An der vierten und letzten großen Verpflegungsstelle der Runde beginnt für die Halbmarathonis mit dem einundzwanzigsten Kilometer dann der Endpurt.

Angesichts der für aus der Kälte des Nordens kommenden ausländischen Gäste doch ungewohnten Wärme – schließlich ist es "un Maratón a 20 grados" – scheint das Netz mit einem Versorgungsposten alle fünf Kilometer nicht unbedingt dicht geknüpft. Doch zum einen entspricht das dem Reglement des nationalen und internationalen Verbandes. Zum anderen ist zwischendurch jeweils noch – ebenfalls nach Vorgabe – ein "punto de esponjas" mit Schwämmen eingerichtet.

Und außerdem gibt es sowohl die Elektrolytgetränke wie auch das Wasser in Plastikflaschen, was zwar nur bedingt zum von den Veranstaltern propagierten Gedanken des Umweltschutzes passt, andererseits aber im Süden vollkommen üblich ist und während des Laufes durchaus Vorteile für die Teilnehmer bietet. Immerhin sorgen viele über die Strecke verteilte Müllcontainer und fleißige Ordner dafür, dass nicht zu viele nach Gebrauch achtlos weggeworfen werden und in irgendwelchen Grünanlagen landen.

Auch Obst gibt es an den Verpflegungsstellen von Anfang an. Denn gerade als Produzent von Bananen hat die Inselgruppe ja ebenfalls einen gewissen Ruf. Kanarische Bananen sind zwar süßer, aber eben auch meist kleiner als die der lateinamerikanischen Konkurrenz und lassen sich deshalb im Rest von Europa eher schwer absetzen. Zumal sie in der Herstellung noch teurer sind. Wie viele andere Agrarprodukte in der EU werden auch sie deshalb hoch subventioniert.

Ab der Stelle, an der eine alte Weiche in das Pflaster der Calle Mayor de Triana eingelassen ist, die an die einst auf dieser Straße verkehrende Straßenbahn erinnert, herrscht wieder Gegenverkehr. Es ist allerdings das einzige Stück Gleis auf Gran Canaria überhaupt. Eine Eisenbahn gibt es auf der Insel nämlich keine. Und außer der Straßenbahn in Santa Cruz de Tenerife existiert überhaupt kein Schienenverkehr auf den Kanaren.

Auch in Las Palmas feiert man Karneval mit Samba

Auch als es zum zweiten Mal am Parque San Telmo vorbei und am Jugendstilcafé diesmal rechts ab geht, um kurz darauf auf die Zielgerade einzubiegen, liegt noch immer Chema Martínez in Führung. Doch wirklich größer ist der Vorsprung des Ex-Europameisters nicht geworden. Aber vielleicht macht der namhafteste Athlet am Start auch nicht mehr, als er muss, um die Konkurrenz in Schach zu halten.

Jene 1:05:18, die im Ziel schließlich für ihn notiert werden, war er bei der Weltmeisterschaft in Berlin jedenfalls beinahe auf der ersten Hälfte angelaufen. Nur vier Sekunden hinter Martínez ist Pablo Villalobos als Zweiter über die Linie. Der anfangs mit ihnen mitgehende Ciro Zapico Rodriguez handelt sich auf der zweiten Hälfte einen doch noch deutlicheren Rückstand ein. Sein dritter Platz in 1:06:45 ist allerdings nie in Gefahr.

Überzeugend ist auch die Leistung von Frauensiegerin Ana Burgos. Mit 1:16:56 bleibt die bereits in der W40 startende Triathletin mehr als deutlich unter der Marke von achtzig Minuten. Und die in der gleichen Altersklasse laufende Teresa Linares Hernandez kommt als Zweite nach 1:22:13 ebenfalls noch klar unter einem Schnitt von vier Minuten.

Danach ist aber erst einmal viel Luft. Denn bis mit Maria del Pilar Ramos Guanche die Drittplatzierte einläuft, vergehen fast neun Minuten. Und bevor sie mit ihrer blauen Halbmarathon-Startnummer in 1:31:04 die Chipmatte zum Auslösen bringt, sind auf der anderen Spur schon zwei Athletinnen mit den orangefarbenen Nummern der vollen Distanz in die nächste Runde gestartet.

Außer Ture Chaltumoha, die genau in dem Moment vorbei läuft, als neben ihr Ana Burgos die kurze Strecke gewinnt, ist auch Aroa Merino Betancort längst durch. Und zwar mit 1:23:30 ebenfalls in einem beachtlichen Tempo. Heike Angel spult als Dritte zwar weiter ihr Programm gleichmäßig herunter, hat aber mit fast einer Viertelstunde Rückstand auf die Zweitplatzierte mit dem Geschehen an der Spitze nichts mehr zu tun.

Selbst wenn es im Herrenbereich deutlich enger ist, haben mit James Kipkosgei Kuto und Miguel Angel Vaquero Agama ebenfalls zwei Marathonläufer ihre zweite Schleife begonnen, bevor der Dritte über die halbe Distanz im Ziel ist. Die inzwischen rund sechs bzw. sieben Minuten Verspätung, die Kristoffer Sterlund und Marek Jaroszewski auf das nur zwanzig Sekunden auseinander liegende Duo an der Spitze haben, lässt eine Platzierungsverbesserung für beide kaum noch wahrscheinlich wirken.

Noch immer bearbeitet wie schon auf der ersten Runde am Yachthafen eine Sambagruppe ihre Trommeln. Und die Tänzerinnen daneben scheinen tatsächlich aus Rio importiert. Doch auf den Kanaren feiert man ebenfalls Karneval. Und zwar ziemlich südamerikanisch. Da ist man der "neuen Welt" wieder einmal näher als der alten.

Dass Gran Canaria und Teneriffa, sowie Las Palmas und Santa Cruz auch darum wetteifern, wer denn nun den besseren Karneval hat, versteht sich fast schon von selbst. Es gibt schließlich kaum einen Lebensbereich auf den Kanaren, in dem sich der "Pleito Insular" nicht bemerkbar machen würde.

Kolumbushaus Straßenansicht in Tejeda

Die zweite Schleife durch den Hafen ist durch das schon recht weit auseinander gezogene Feld und die fehlenden Zuschauer doch eher einsam, selbst wenn sich die jugendlichen Streckenhelfer nach Kräften mühen, die Läufer anzufeuern. Dafür ist dann allerdings an der Playa de Las Canteras aber umso mehr los.

Die Urlauber aus aller Herren Länder haben inzwischen das Frühstück längst hinter sich und machen nun ihren Verdauungsspaziergang an der Promenade. In vielen verschiedenen Sprachen gibt es deshalb Anfeuerung. Da ist ein englisches "well done" neben den spanischen "Animo" und "Venga" genauso zu hören wie ein deutsches "Klasse, weiter so". Es sind zufällige Zaungäste, die da unerwartet in den Marathon hinein geraten.

Nur die Dänen haben wie fast immer ihre eigenen Fans mitgebracht, die an der Strecke feiern und ihre Fahnen schwenken. "Vi er røde, vi er hvide". Da macht selbst die am Vorabend auch im spanischen Fernsehen zu sehende Niederlage ihrer Nationalmannschaft bei der Handball-Europameisterschaft gegen Island nichts aus, die den Anfang vom Ende einer dänischen Titelverteidigung bedeutet.

Die in regelmäßigen Abständen an der Promenade aufgestellten Digitalthermometer, die auf der ersten Runde noch meist eine "18" oder "19" anzeigten, vermelden jetzt tatsächlich den im Vorfeld versprochenen Wert. Fast überall ist auch in der Folge genau die "20" zu lesen. Weder mehr noch weniger. "Punktlandung" nennt man das wohl.

Auf diesem Streckenabschnitt läuft James Kipkosgei Kuto nun doch langsam einen deutlicheren Vorsprung auf den sich zäh verteidigenden Spanier heraus. Doch wirklich komfortabel ist die Dreiviertelminute Abstand noch immer nicht. Zumal nicht nur Vaquero Agama sondern auch dem Kenianer langsam die Puste ausgeht. Den berühmten "negative split" bekommt jedenfalls keiner von ihnen hin. Ganz im Gegenteil, bei beiden ist die zweite Runde fast fünf Minuten langsamer.

Das Kunststück, in dieser Phase noch zuzulegen, gelingt allerdings Juan María Velasco Rodríguez, der die schon fünf Minuten große Lücke zu Ture Chaltumoha langsam schließt. Die Äthiopierin zahlt ihrem hohen Anfangstempo ebenfalls Tribut und packt Sekunde um Sekunde auf ihre Kilometerzeiten drauf. Da es praktisch der gesamten Konkurrenz aber auch nicht anders ergeht, gibt es bei den Platzierungen ziemlich wenig Bewegung.

Die Kinder in den für mitteleuropäische Augen etwas ungewöhnlich wirkenden Sportbekleidungen, die in der Calle Mesa y López schon in der ersten Runde die Läufer abklatschen, stehen noch und strecken den Marathonis weiter die Hände entgegen. Ihre weiten Hemden und kurzen Hosen aus dickem, reißfestem Stoff sind das Dress für die kanarische Variante des Ringkampfes, des Lucha Canaria.

Ohne Gewichtsklassen treten dabei zwei Mannschaften mit je zwölf Ringern gegeneinander an. Immer wieder werden neuen Paarungen gebildet. Die Unterlegenen dürfen nach einem verlorenen Kampf nicht mehr eingesetzt werden. Die Sieger bleiben im Wettbewerb. Wenn auf einer Seite dann alle Mitglieder des Teams nach einer Niederlage ausgeschieden sind, ist die Gesamtpartie entschieden. Die Sportart ist auf den Inseln ziemlich populär und Bestandteil der kanarischen Identität. In den Lokalprogrammen bekommt sie lange Sendezeiten.

Auch der Informationskiosk im Park ist im Jugendstil erbaut Ab dem Park herrscht auf den letzten beiden Kilometern der Runde meist Gegenverkehr Jugendstilgebäude in der Calle Mayor de Triana

Nur Fußball findet wie überall in Spanien noch mehr Beachtung. Doch da ist Gran Canaria mit dem nur noch in der zweiten Spielklasse antretenden, früheren Erstligisten UD Las Palmas im "Pleito Insular" gerade ziemlich im Hintertreffen. Die kanarischen Farben in der Primera División hält nämlich ausgerechnet der gerade aufgestiegene Club Deportivo Tenerife von der ungeliebten Nachbarinsel hoch.

Vollkommen identisch zur ersten ist die zweite Schleife. Neues gibt es einmal abgesehen von Details eigentlich nicht mehr zu entdecken. Am Parque Doramas kann man hinter den Bäumen vielleicht einen Blick auf die Türmchen des mitten in der Grünanlage liegenden Hotels Santa Catalina erhaschen. In diesem "beste Haus am Platz" ist nicht nur das Casino der Stadt untergebracht, auch die Prominenz bis hin zum spanischen König übernachtet bei einem Inselbesuch gerne dort.

Das Nobelhotel ist zwar natürlich von größeren Ausmaßen als übliche Gebäude auf den Inseln. Doch hat man fast demonstrativ traditionell kanarische Bauelemente wie zum Beispiel die kunstvoll geschnitzten Holzbalkone berücksichtigt. Auch unverputzte, nur grob behauene Felsbrocken aus Vulkangestein an den Hausecken sind typisch und hauptsächlich in den Altstädten und kleinen Dörfchen noch recht häufig anzutreffen.

Man könnte sich auch die Bäume im Park einmal genauer betrachten. Denn neben den unvermeidlichen Palmen stehen dort auch einige kanarische Drachenbäume, ein endemisches – wie man Pflanzen bezeichnet, die sonst nirgendwo vorkommen – Gewächs. Wie bei Vulkaninseln, die nie Kontakt zum Festland hatten, üblich, ist die Flora nämlich eine ganz besondere. Rund ein Viertel aller Pflanzenarten gibt es nirgendwo sonst.

Alle Samen sind schließlich recht zufällig auf dem Archipel gelandet. Vom Meer angeschwemmt, vom Wind herüber geweht oder von Vögeln im Gefieder mitgebracht kamen sie auf die Inseln, wo sie sich langsam zu neuen eigenständigen Arten weiter entwickelten. Auch Pflanzen, die aufgrund von Klimawechsel anderswo verschwunden oder auf dem Festland von anderen Gruppen verdrängt wurden, konnten sich auf den Kanaren halten.

Für einen Kilometer ist jeweils eine Inselgemeinde zuständig Die Dänen stellen nicht nur ein großes Kontingent, sie haben auch ihre Fans in "røde" und "hvide" mitgebracht Tatkräftige Unterstützung auf den letzten Metern

Gemeinsam mit den ebenfalls im Atlantik liegenden Azoren, Madeira und Kapverden, die eine vergleichbare Vegetation und einen ähnlichen Artenreichtum besitzen, fassen Biologen sie deshalb unter dem Begriff "Makaronesien" zusammen. Wobei der Name keineswegs irgendetwas mit Nudeln zu tun hat. Er bedeutet auf Griechisch vielmehr "gesegnete Inseln". Ein paar Kilometer außerhalb von Las Palmas bietet der weitläufige Jardín Canario jedenfalls einen guten Einblick in die vielfältige kanarische Pflanzenwelt.

Die lange Gerade vom modernen Zentrum zum Altstadtkern zieht sich beim zweiten Durchlauf doch ein wenig. Zumal den Marathonis ja dabei auch noch die kleine Schikane bevor steht, in Hör- und fast auch Reichweite am Ziel vorbei und die Wendeschleife durch die Triana ansteuern zu müssen.

Die haben die beiden Ersten schon hinter sich, bevor die auf Rang drei und vier platzierten Kristoffer Sterlund und Marek Jaroszewski sie überhaupt in Angriff nehmen. Über zehn Minuten laufen der am Ende siegreiche Kenianer und sein hartnäckiger spanischer Verfolger auf den Schweden und den Polen heraus.

Bis kurz vor Schluss kann sich aber James Kipkosgei Kuto seines Erfolges nicht völlig sicher sein. Seiner bei einer Premiere natürlich Streckenrekord bedeutenden 2:17:41 lässt Miguel Angel Vaquero Agama nämlich eine 2:18:32 folgen. Nur der Skandinavier Sterlund bleibt mit 2:28:55 noch unter zweieinhalb Stunden, während Jaroszewski auf dem letzten Viertel der Distanz doch deutlich abbaut und sich noch fast drei zusätzliche Minuten Rückstand auf den Schweden einfängt. Bei 2:32:46 lösen für ihn die Chipmatten im Ziel schließlich aus.

Mit einer deutlich schnelleren zweiten Hälfte läuft sich Juan María Velasco Rodríguez am Ende tatsächlich noch an der Äthiopierin vorbei auf Gesamtrang fünf. Einer 1:21:16 bei Halbzeit steht für ihn einer Endzeit von 2:38:58 gegenüber. Ture Chaltumoha absolviert dagegen die zweite Runde fast sieben Minuten langsamer und setzt die im nächsten Jahr zu unterbietende Marke bei den Frauen auf 2:40:31.

Nur unwesentlich weiter zurück als bei Halbzeit läuft Aroa Merino Betancort knapp zehn Minuten später nach 2:50:06 ins Ziel auf der Calle Venegas ein. Auf die Dritte Heike Angel muss sie nicht unbedingt warten. Denn bis die Saarländerin als Siegerin der W45 den Marathon beendet hat, vergeht beinahe eine halbe Stunde. Auf 3:19:46 steht die Uhr über der Gesamtdritten, als sie das Zieltor durchquert.

Nicht nur auf sie warten dahinter auch einige deutschsprechende Helfer, die bei entsprechendem Aussehen der Läufer gar nicht erst versuchen, ihre Informationen auf Spanisch los zu werden. Man ist eben nicht nur auf ausländische Gäste eingestellt, man erwartet sie sogar regelrecht. Und die Canarios haben sie bei ihrer Premiere ja auch bekommen.

Während auf der Bühne schon die Siegerehrung begonnen hat, gehen die Zieleinläufe weiter Mit vielen Zuschauern und sogar einer Tribüne herrscht im Zielbereich gute Stimmung Gläserne Siegerpreise in Inselform

Nicht nur die durchaus gute Werbung war dafür entscheidend. Der Ruf als Urlaubsinsel hat dabei sicher eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Doch ist das Verhältnis zwischen ausländischen Gästen und Einheimischen keineswegs ungesund. Man nimmt eben noch immer an einem spanischen, an einem kanarischen Marathon teil. Und eigentlich kann man nur hoffen, dass es auch in der Zukunft so bleibt.

Da ist es sogar eventuell gar nicht schlecht, dass man eben doch nicht überall absolut international ausgerichtet ist. Ob man an Details wie dem ein paar Tage vor dem Rennen nur auf Spanisch verschickten Informationsmaterial wirklich noch einmal feilen muss, kann man deshalb durchaus diskutieren. Vielleicht schadet es gar nicht, wenn einmal nicht alles so ist wie daheim. Das macht doch gerade auch den Reiz einer Veranstaltung im Ausland aus.

Wohin es im anderen Extrem führen kann, zeigen ja die Touristenhochburgen im Süden, wo man viel eher Schnitzel zu essen bekommt als kanarische Spezialitäten. Doch man muss sich schließlich nicht unbedingt dort einquartieren und aufhalten. Die Insel bietet genug Möglichkeiten für jede Art von Urlaub. Gerade im Winter, wenn man als Läufer zu Hause durch Kälte, Nässe und Dunkelheit stiefelt und es auf Gran Canaria doch einen Marathon bei zwanzig Grad gibt. Nicht garantiert, aber eben doch mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Ergebnisse und Infos unter www.grancanariamarathon.com

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