Andorra Ultra Trail
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von Stefan Schlett
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Das Fürstentum Andorra in den Pyrenäen ist ein Paradies für Wanderer und Trailläufer. Halligalli findet hier in Form von Wintersport statt, im Sommer regieren Ruhe und Einsamkeit die sonnendurchfluteten Täler und fast 3000 Meter hohen, Windumtosten Bergspitzen. Über die andorranische Bergwelt verteilt sich ein Netz von hochalpinen, markierten Pfaden, 3 bewirtschafteten und 29 unbewirtschafteten Berghütten. Und das bei nur einem Bruchteil des Touristenrummels wie er in den Alpen stattfindet.
Eine ideale Grundlage für den Andorra Ultra Trail, der sich die hochalpine Infrastruktur zu nutze macht und vom 5.-8.7.2012 nun schon zum vierten Mal ausgetragen wurde. Im Zuge des Trailrunning-Booms haben die Organisatoren für jeden Geschmack eine Laufstrecke im Portfolio. Vom Genießer bis zum Ultrafreak kommt hier jeder auf seine Kosten. Zum Schnuppern gibt's den "Solidaritrail" über 10 km und 750 Höhenmeter. Schon anspruchsvoller ist der "Trail" mit 35 km (+2500 m, -3300 m). Die Welt der Ultras beginnt beim 83 km langen "Celestrail" (+/- 5000 m). Die Hardchore-Läufer können sich beim "Ultra Mitic" (112 km +/- 9700 m) austoben. Und die Fetischisten umrunden beim "Ronda dels Cims" (170 km +/- 13000 m) sogar das komplette Land.
Außer beim "Schnupperkurs" und dem "kurzen Ultra" führen alle Strecken über den Gipfel des Comapedrosa, dem mit 2942 Metern höchsten Berg Andorras. Beim Ronda dels Cims sind zusätzlich auch Viererteams zugelassen. Für die Teilnehmer sind die Läufe zwar exzessiv und erfordern hochalpine Erfahrung, aber wenn das Wetter mitspielt ist es ein 5 Sterne Plus Erlebnis. Für die Organisatoren allerdings sind 5 Strecken über 3 Tage und 2 Nächte eine Herkulesaufgabe, die Ultra-Durchhaltevermögen erfordert!
"Exotische" Veranstaltungen haben ihren Preis, denn die Anreise nach Andorra ist bereits ein Abenteuer - Globetrotter dagegen reiben sich die Hände! Der mit 468 Quadratkilometer größte der europäischen Kleinstaaten ist weder mit der Bahn noch mit dem Flugzeug zu erreichen, sondern nur mit Bus oder Wagen. Die nächsten Flughäfen liegen in Barcelona und Toulouse, jeweils etwa 200 Kilometer entfernt.
Helfer warten auf ihren Einsatz | Technische Hilfsmittel sind ebenfalls vorhanden |
Zwar werden die von den etablierten Billigfliegern angeflogen, jedoch entschied sich der Autor für eine komplette Anreise über Land: Von Deutschland mit ICE oder TGV nach Paris für 39 Euro und mit dem Nachtzug im Liegewagen für 32 Euro nach l'Hospitalet-pres-l'Andorre an der französisch-andorranischen Grenze (jeweils One Way und 3 Monate im voraus gebucht), wo es für 10 Euro einen Bus in die höchste Hauptstadt Europas, Andorra la Vella gibt. Da kommt auch der billigste Billigflieger mit seinen vielen versteckten Nebenkosten nicht mit. Und vor allem kann man mitnehmen was man will und wie viel man will.Andorra ist ein Naturidyll mit mediterranem Gebirgsklima. 92% des Landes bestehen aus Wäldern, Seen, Flüssen und Bergen. 85.000 Einwohner verteilen sich auf die verbleibenden 8% erschlossenem Stadt- und Landwirtschaftsgebiet und rühmen sich, praktisch ohne Kriminalität zu leben.
Auch Arbeitslosigkeit ist weitgehend ein Fremdwort. Handel, Finanzwesen und vor allem der Tourismus schaffen die meisten Arbeitsplätze im Land. Amtliche Währung ist der Euro, Amtssprache katalanisch. Nur 38% der Einwohner sind andorranische Staatsangehörige. Nach ihnen bilden die Spanier mit 32% die größte Gruppe, gefolgt von den Portugiesen (16%) und den Franzosen (6%). Andorra wurde der Legende nach im Jahre 805 von Karl dem Großen gegründet. Erst im März 1993 erhielt es eine Verfassung, die das Fürstentum in einen unabhängigen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat umwandelte.
Start und Ziel für alle Distanzen, die 4400-Seelen-Gemeinde Ordino | Berghütten in herrlichen Hochlagen erwarten die Läufer auch zum längeren Verweilen |
Es ist ein parlamentarisches Kofürstentum mit dem Bischoff von Urgell und dem Präsidenten der Republik Frankreich als gleich gestellte Koprinzen und somit das einzige land weltweit mit zwei Staatsoberhäuptern. Das Land wird von einem Allgemeinen Rat regiert, der aus Vertretern der sieben Gemeinden gewählt wird. Die Casa de la Vall in Andorra la Vella ist übrigens das kleinste Parlament Europas.
Insgesamt 1415 Teilnehmer aus 22 Ländern fanden sich für die 5 Wettbewerbe ein. Davon starteten 183 auf der Monsterstrecke über 170 km, für die ein Zeitlimit von 60 Stunden gesetzt war. Start und Ziel für alle Distanzen war die 4400-Seelen-Gemeinde Ordino in 1300 Metern Höhe. Lediglich die 35 km-Läufer starteten am 2000 Meter hohen Pass Col de la Botella, zu dem sie samstags am frühen Morgen per Bus transportiert wurden. Zu dem Zeitpunkt waren die 170 km-Läufer schon 24 Stunden unterwegs. Die 83 km-Läufer wurden bereits freitags um 21 Uhr und die 112 km-Läufer um 23 Uhr direkt in die Nacht geschickt.
Nachdem es in den Tagen zuvor noch wechselhaft war, herrschten am Veranstaltungs-Wochenende perfekte Wetterbedingungen, lediglich ein kalter Wind pfiff über die Höhenlagen. Aber blauer Himmel, Sonnenschein und Fernsicht offenbarten die ganze Schönheit der Bergwelt und ließen den Läufern warm ums Herz werden.
Die äußeren Bedingungen sind leider auch die Schwachstellen von Wettkämpfen die in hochalpine Regionen führen. Bei schlechten oder zweifelhaften Wetterbedingungen müssen solche Veranstaltungen dann entweder ganz abgesagt, abgebrochen oder auf niedrigere Ersatzstrecken umgeleitet werden. Das gehört mit zum Spiel und muss jedem Teilnehmer bewusst werden, der sich für derartige Wettkampfformate entscheidet.
Die etablierten Events in den Alpen können ein Lied davon singen. Auch die Historie des Andorra Ultra Trails blieb von solchen Situationen nicht verschont. Die Premiere musste verkürzt werden und im Folgejahr wurde das Rennen zeitweise unterbrochen. Die letzten beiden Austragungen verliefen reibungslos. Der Krisenplan sieht jedoch für alle 5 Wettbewerbe Ersatzstrecken vor.
Der Gipfel des Comapedrosa, mit 2942 Metern der höchste Berg Andorras | Roman Bridge |
Perfekte Streckenmarkierungen und reichhaltig ausgestattete Versorgungsstellen waren echte Pluspunkte bei dieser Veranstaltung. Dafür wurden die über das ganze Land verteilten Berghütten in herrlichen Hochlagen genutzt, die so manchen Extremläufer zum längeren Verweilen einluden. Auch das Zielareal im Zentrum von Ordino ließ keine Wünsche offen: Dort wurden die Schwerarbeiter rund um die Uhr mit großem Büffet, Dusche, Sauna und Massage verwöhnt. Sonntagnachts um 21 Uhr, nach 60:03:26 Stunden für 170 km war auch das letzte Schäfchen wieder im Stall.
Der Sieger Òscar Pérez López (ESP) war mit 30:34:29 Stunden nur halb so lange unterwegs, Martinez Urruzola (ESP) benötigte als schnellste Frau 35:31:21 Stunden. Die restlichen Siegerzeiten: 17:48 42 h (Michel Lanne/FRA) und 24:07:02 h (Leire Iruretagoyena Otegui/ESP) über 112 km, 11:19:26 h (Sébastien Buffard/FRA) und 14:43:57 h (Gwenaelle Bidondo/FRA) über 83 km, sowie 4:14:59 h (Nicolas Darmaillacq/FRA) und 6:06:30 h (Michèle Lodge de Ferranti/AND). Insgesamt erreichten 1068 Läuferinnen und Läufer das Ziel, was einer für die Schwere der Strecke moderaten Ausfallquote von rund 25% entspricht.
Andorra, ein wunderschönes, ruhiges Kleinod in den Pyrenäen ist in der Laufszene noch ein richtiger Geheimtipp. Aufgrund der langen Anreise lohnt es sich, die Teilnahme an dem Lauf mit einem Aktivurlaub in den Bergen zu verbinden. Wer - wie eingangs beschrieben - die komplette Anreise über Land scheut, kann entweder nach Toulouse oder Barcelona fliegen, von wo es regelmäßigen Busverkehr nach Andorra la Vella gibt (www.andorrabybus.com). Informationen für den 5. Andorra Ultra Trail im Juli 2013 gibt es auf www.andorraultratrail.com.
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