Amersfoort Marathon - Niederlande (15.6.14)

Läuferische Begegnung mit einer Unbekannten

von Ralf Klink

Nein, man muss Amersfoort nicht unbedingt kennen. Es ist weder eine bekannte Metropole wie Amsterdam noch ein bedeutender Seehafen wie Rotterdam oder ein Regierungssitz wie Den Haag. Sie hat im Gegensatz zu Eindhoven oder Enschede keinen Fußballklub, dem man regelmäßig bei internationalen Wettbewerben begegnet, was für viele ansonsten an Geographie überhaupt nicht Interessierte ja ein wichtiges Indiz für die Bedeutung einer Stadt darstellt. Über ihr sprangen im Zweiten Weltkrieg auch keine alliierten Fallschirmjäger ab, um in einer letztlich gescheiterten Großoperation die dortigen Brücken zu sichern und damit den schnellen Übergang über der Rhein zu ermöglichen, wie in Arnhem oder Nijmegen. Ein "Ruhm", auf den die im Deutschen in der Regel eher mit "Arnheim" und "Nimwegen" bezeichneten Städte aufgrund der aus den tagelangen Kämpfen resultierenden Zerstörungen vielleicht gerne verzichtet hätten. Nach Amersfoort ist keine Käsesorte benannt wie nach Gouda oder Edam. Und nicht einmal ein der Namen eines New Yorker Stadtteil ist von ihr abgeleitet, was Haarlem in Nordholland durchaus von sich behaupten darf.

Ein "Amersfoort" heißendes Städtchen in der südafrikanischen Provinz Mpumalanga kann das wohl kaum ausgleichen. Die kleine Siedlung "Nieuw Amersfoort", die vor der Übernahme der niederländische Nordamerika-Kolonie durch die Engländer einmal auf dem Gebiet des heutigen Brooklyn existierte, ist dagegen längst vergessen.

Malerische Grachten, mittelterliche Stadttore und Käseläden, so wie die Altstadt von Amersfoort stellt man sich ein niederländisches Städtchen vor
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Der Maler Piet Mondrian, der in Amersfoort das Licht der Welt erblickte, hat dem Namen der Gemeinde höchsten bei absoluten Freunden der modernen Kunst zu einer etwas größere Popularität verholfen. Dass der drei Jahrzehnte später ebenfalls in dieser Stadt geborene Johannes Heesters irgendeinen Einfluss auf ihren Bekanntheitsgrad gehabt hätte, muss man vermutlich genauso stark bezweifeln. Und mit einem traditionsreichen Marathon mit einer vier Jahrzehnte langen Geschichte wie das gerade einmal vierzig Kilometer östlich gelegen Apeldoorn kann Amersfoort halt auch nicht unbedingt glänzen. Doch immerhin hat die hundertfünfzigtausend Einwohner zählende und ziemlich genau in der Mitte der Niederlande gelegene Stadt nun ebenfalls einen Rennen über diese Distanz in ihrem Veranstaltungskalender stehen.

Schon anlässlich des siebenhundertfünfzigsten Jubiläums der Verleihung der Stadtrechte hatte es im Jahr 2009 einen Wettbewerb über zweiundvierzig Kilometer gegeben. Daraus wurde zwar nicht wie bei einigen anderen eigentlich nur als einmalige Aktion geplanten Läufen eine wirklich dauerhafte Einrichtung. Aber 2012 gab es eine Neuauflage. Und nach vierundzwanzig Monaten Pause ist im Juni 2014 nun zum dritten Mal der Marathon von Amersfoort ausgeschrieben. Auch zukünftig möchte man den Rhythmus von zwei Jahren beibehalten.

Selbst wenn in manchen Straße die Fußballweltmeisterschaft ihre orangen Spuren hinterlassen hat …. …scheint in vielen Gassen die Zeit regelrecht stehen geblieben zu sein

Doch neben der für den Namen verantwortlichen langen Strecke gibt es mit einem Halbmarathon, einem Zehner und einem Fünfer sowie mehreren Kinderläufen praktisch die komplette übrige Bandbreite möglicher Disziplinen. "Diversifizierung" würde man in der Wirtschaft dieses bei Laufveranstaltungen inzwischen immer häufiger zu beobachtende, weit gefächerte Angebot vermutlich nennen. Bei so mancher Veranstaltung könnte man allerdings auch fast schon von "Verzettelung" sprechen.

Für Amersfoort trifft dies jedoch nur bedingt zu. Denn für jene ungefähr zweihundert Marathonis, die am Ende in der Ergebnisliste stehen werden, wäre der betriebene Aufwand sicherlich nicht zu rechtfertigen. Mit knapp fünfzehnhundert Läufern beim Halbmarathon, gut fünfzehnhundert Startern über zehn und tausend über fünf Kilometer sowie dazu noch einigen hundert Kindern sieht die Gesamtbilanz dann schon wieder ganz anders aus.

Wer sich die Einträge einmal genauer anschaut, dem fällt außerdem schnell auf, dass dort extrem häufig als Ortsbezeichnung "Amersfoort" zu lesen ist. Selbst beim Marathon beträgt der Anteil der Einheimischen rund ein Viertel. Auf den kürzeren Distanzen liegt er sogar noch deutlich höher und erreicht Werte von etwa fünfzig Prozent. Und dabei sind sogar nicht einmal die nur wenige Kilometer entfernten selbstständigen Nachbargemeinden berücksichtigt.

Die Veranstaltung hat also noch nicht einmal wirklich einen eine regionalen sondern eher einen lokalen Charakter. Und selbst wenn für die Ausrichtung ein unabhängiges Organisationskomitee verantwortlich zeichnet, ist die Stadtverwaltung sichtbar eng eingebunden. Das Ziel möglichst viele Bürger zum Mitmachen zu bewegen, erreicht man dann natürlich auch weitaus besser, wenn sie eine ihrem jeweiligen Leistungsvermögen entsprechende Strecke im Angebot finden.

Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, ist es eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet in den kleinen, aber dicht besiedelten Niederlanden, deren am weitesten voneinander entfernte Punkte gerade einmal dreihundert Kilometer auseinander liegen, die aber trotzdem fast siebzehn Millionen Menschen zählen, die Teilnehmerschaft zu einem so hohen Prozentsatz aus dem Austragungsort selbst stammt.

Das gilt natürlich dann insbesondere dann, wenn dieser auch noch so zentral liegt und verkehrstechnisch so gut angebunden ist wie Amersfoort, in dessen Nähe sich verschiedene wichtige Nord-Süd- und Ost-West-Achsen kreuzen. Die nächste Autobahn ist nur wenige Kilometer entfernt. Und im Bahnhof der Stadt treffen gleich mehrere Bahnstrecken aufeinander. So gibt es dann auch direkte Verbindungen in die bekanntesten niederländischen Städte Amsterdam, Rotterdam und Den Haag.

Zum bedeutendsten Eisenbahnknoten des Landes in Utrecht, von wo man wirklich ziemlich jede größere Stadt problemlos auf der Schiene erreichen kann, und auch der ICE von Frankfurt, Köln und Düsseldorf nach Amsterdam hält, braucht man mit dem Zug sogar nur etwas mehr als zehn Minuten. Eine ziemlich dichte Taktfolge sorgt zudem dafür, dass man selbst am Wochenende eigentlich nie über eine Viertelstunde warten muss.

Viele der schönsten Bauten in Amersfoort, wie das "Koppelpoort" und die dazu gehörende Mühle (rechts) und das Wassertor "Monnikendam" sind direkt am Wasser zu finden

Allerdings ist nicht nur die Bevölkerungs- sondern auch die Laufveranstaltungsdichte in den Niederlanden ziemlich hoch. Aus mehreren Dutzend Marathons kann man auswählen, von denen selbstverständlich die frühere Weltrekordpiste in Rotterdam, wo im April etwa zehntausend Läufer auf die Strecke gehen, und das von seinen Streckenrekorden inzwischen fast genauso schnelle und außerdem noch etwas größere Oktoberrennen in Amsterdam die international bekanntesten sind.

Doch bei einer gründlichen Betrachtung der Marathon-Weltrangliste entdeckt man regelmäßig auch Eindhoven oder Enschede erstaunlich weit vorne. Siegerzeiten unter 2:10 sind bei beiden nämlich absolut normal. Der Eindhovener Streckenrekord liegt sogar ebenfalls unter der Marke von 2:06 und damit praktisch schon in der gleichen Liga wie bei den Rennen durch die - sich durchaus in einer gewissen Rivalität verbundenen - zwei größten Metropolen des Landes.

Die Teilnehmerzahlen in der auch durch die Philips-Werke bekannten Stadt sind dagegen dann mit etwa fünfzehnhundert allerdings weit bescheidener als bei der Konkurrenz. Und Enschede ist trotz schneller Spitze diesbezüglich sogar weit von der Tausendergrenze entfernt. Wie noch einige andere Veranstaltungen - zum Beispiel im schon erwähnten Apeldoorn oder im von Amersfoort auch kaum weiter entfernten Leiden - bleiben die Werte vielmehr nur im mittleren dreistelligen Bereich.

Immerhin gibt es mit dem Kustmarathon im südlichsten Landesteil Zeeland einen weiteren Lauf, der in sich in ähnlichen Größenordnungen wie Eindhoven bewegt. Doch sind es ohnehin nicht die Marathons, von denen die höchsten Starterzahlen angelockt werden. Das größte Laufereignis des Landes ist vielmehr der Dam tot Damloop zwischen Amsterdam und Zaandam, der alleine über die Hauptstrecke auf weit mehr als vierzigtausend Meldungen kommt.

Die eher unübliche Distanz von zehn englischen Meilen ist dafür absolut kein Hinderungsgrund Denn während sich hierzulande das Streckenangebot immer stärker auf Marathon, Halbmarathon und zehn Kilometer verengt, hat sich in den Niederlanden sowieso eine deutlich breitere Palette von Startmöglichkeiten etabliert. Und gerade diese Streckenlängen scheinen sogar besonders gut anzukommen.

Ein Netz aus mehreren Grachten, die sich durch sowie rund um das Zentrum ziehen und unter anderem am "Museum Flehite" (mitte und rechts) treffen, erlaubt eine Stadtbesichtigung auch aus dem Boot heraus

Auch die fünfzehn Kilometer des Zevenheuvelenloops in Nimwegen ziehen schließlich über fünfundzwanzigtausend Läufer an. Die größten Halbmarathon, der City-Pier-City Loop von Den Haag sowie das Mitte Januar stattfindende und auch mehrere Kilometer über den Strand führende Rennen von Egmond aan Zee kommen dagegen mit ihren Teilnehmerzahlen "nur" in ähnliche Regionen wie die beiden Marathons in den Metropolen.

Sich im dicht gedrängten Kalender eine Position zu erkämpfen, ist für eine Laufveranstaltung also gar nicht so einfach. Und noch schwerer fällt es natürlich, Starter aus weiter entfernten Ecken des Landes anzulocken, die vor der Haustür eigentlich schon genug Angebote vorfinden. Da ist der gewählte Zwei-Jahres-Rhythmus vielleicht gar nicht einmal schlecht gewählt, um die potentielle Kundschaft aus Nah und Fern nicht zu überfordern.

Ein noch tieferer Blick in die Listen lässt dann aber trotz der vielen "Amersfoort"-Einträge insbesondere beim Marathon doch ein eigentlich ziemlich buntes und internationales Feld erkennen. Zum Beispiel lassen sich unter "Woonplaat" auch die frühere Bundeshauptstadt Bonn und Coesfeld im Münsterland entdecken. Beim Lesen von "Roma" ist ebenfalls klar, dass sich diese Stadt sicher nicht in den Niederlanden befindet. Im Falle von "Madrid" muss man genauso wenig überlegen wie bei "London", wo es sich auf einer Europakarte ausfindig machen lässt.

Und mit nur ein bisschen Kenntnissen in Geographie lassen sich auch die baltischen Hauptstädte Riga und Tallinn ihren Ländern Lettland und Estland zuordnen. Zumindest wegen seines Flughafens ist Luton auf der britischen Insel noch ein wenig bekannter. Für "Hvalsø" oder "Kouvola" lässt sich dagegen hauptsächlich wegen ihres jeweiligen Klanges eine dänische und finnische Herkunft vermuten.

Richtig schwer tut man sich dann mit "Alameda" - und zwar nicht nur, weil es rund um den Globus mehrere Gemeinden dieses Namens gibt. Jedenfalls hätte man im ersten Moment kaum auf das rund neuntausend Kilometer entfernte Kalifornien als das richtige Suchgebiet getippt. Die Stadt liegt genau gegenüber dem ebenfalls in der Amersfoorter Ergebnisliste zu entdeckenden San Francisco in der Bay Area.

Ob die "muirhuizen" entlang der alten Stadtmauer, der Platz an der "Sint-Joriskerk" oder das "Kamperbinnenpoort" - an pittoresken Ecken herrscht in Amersfoort kein Mangel

Sogar noch ein bisschen weiter weg ist die Metropole, die sich hinter "Mexico DF" verbirgt. Dieser "Distrito Federal" bildet schließlich die Hauptstadt des genauso - nämlich "México" - heißenden Staates. Allerdings ist damit noch immer nicht der Rekordhalter genannt. Selbst Hongkong und Singapur schaffen es hinsichtlich der Entfernung nicht auf den ersten Platz. Es ist ein unscheinbares "Heidelberg", das diesen belegt. Denn dieses liegt keineswegs am Neckar sondern - wie das "AUS" in der Klammer dahinter verrät - neben Melbourne in Victoria.

Keineswegs bleiben die Einheimischen also komplett unter sich. Und auch wenn man für die Feststellung, dass es sich bei Grobbendonk, Gijzegem, Lokeren und Lanaken um flämische und nicht um niederländische Gemeinden handelt, die Nationenkürzel in der Klammer braucht, errechnet sich für den Marathon anschließend ein Anteil von mehr als zehn Prozent. So manche weit größere Veranstaltung würde über solche Werte sicher jubeln. Andererseits ist damit aber fast schon die Hälfte aller internationalen Teilnehmer abgedeckt.

Einige von ihnen mögen sicher aus beruflichen Gründen in der Region sein - Amersfoort ist genau wie die nahe Provinzhauptstadt Utrecht ein Dienstleistungszentrum, in dem sich insbesondere Versicherungen niedergelassen haben - oder an der in Amersfoort einen Ableger besitzenden "Hogeschool Utrecht" studieren oder dozieren. Jedoch wären trotzdem ohne den Marathon bestimmt deutlich weniger der Gäste auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet diese wenig bekannte Stadt einmal zu besuchen.

Bemerkenswert wird das umso mehr, weil die Internetseite der Veranstaltung hauptsächlich auf Niederländisch gehalten ist. Englische Informationen stehen nur in ziemlich abgespeckter Form zur Verfügung, andere Versionen fehlen - aus durchaus nachvollziehbaren Gründen - völlig. Doch selbst wenn man sich an den einen oder anderen Begriff erst einmal gewöhnen muss, lassen sich für Deutschsprachige auch Texte im ziemlich eng verwandten Niederländischen spätestens dann größtenteils verstehen, wenn man sie sich laut vorliest.

So käme man dann wohl auch dann mit der "inschrijving" in Internet einigermaßen gut zurecht, wenn es nicht jene englische Version gäbe, die - ganz ausdrücklich wird dies erwähnt - nur von internationalen Meldewilligen benutzt werden soll. Fünfunddreißig Euro sind für eine Teilnahme am Marathon dort zu entrichten. Der Halbmarathon kostet zehn Euro weniger. Eine Medaille ist in diesem Preis enthalten. Das Veranstaltungs-T-Shirt muss dagegen - Vielläufer mit bereits vollen Schränken wird dies sogar freuen - zusätzlich bestellt und bezahlt werden.

Eine nicht ganz unbedeutende Information fehlt allerdings auf der sonst eigentlich recht umfangreichen Seite irgendwie. Nirgendwo wird nämlich genau beschrieben, wann und wo man denn seine Startunterlagen in Empfang nehmen kann. Einzig das auf der Karte des Start- und Zielgeländes eingezeichnete "Inschrijfbureau" könnte eine Lösung für dieses eher ungewöhnliche Problem bieten. Da Nachmeldungen am Wettkampfwochenende laut Ausschreibung ausdrücklich nicht angenommen, ist die Bezeichnung aber auch irgendwie verwirrend.

Beim Bummel durch den Stadtkern eröffnen die ihn durchziehenden Kanäle ständig neue Perspektiven

Erst als in der einige Tage vor dem Rennen eintreffende Mail der Satz auftaucht, dass die meisten Nummern nun mit der Post verschickt worden wären, hat man eine echte Erklärung für die fehlende Mitteilungsfreude. Für die vielen Teilnehmer aus Amersfoort könnte man sich eventuell sogar das Porto sparen und sie direkt in den Briefkasten werfen. Nur die letzten Restbestände, bei denen aufgrund des späten Meldeeingangs ein rechtzeitiger Erhalt nicht garantiert werden könne, würden am Samstag noch in einem lokalen Laufsportgeschäft verteilt.

Selbst wenn die eigene Anmeldung schon etwas länger zurück liegt, gibt es damit nun einen ganz offiziellen Anlaufpunkt, der zumindest einen Versuch wert ist. Aber nachdem man den Helferinnen an dem tatsächlich mitten im Laden stehenden Tisch seinen Namen mitgeteilt hat, blättern diese ziemlich ergebnislos in ihren Listen herum. Auf die nachgeschobene Bemerkung "uit Duisland" geben sie allerdings zu verstehen, dass die nur gut drei Dutzend "Buitenlanders" ihre Unterlagen eben doch erst am nächsten Tag im Organisationsbüro erhalten würden.

Den Weg hätte man sich also sparen können. Allerdings hat man so zumindest schon einmal einen ersten Blick auf die Altstadt - dort liegt das Geschäft nämlich - von Amersfoort werfen können. Und dieser ist keineswegs verschwendet. Denn der historische Kern präsentiert sich innerhalb des historischen, zum Teil auch noch vorhandenen Mauerringes weitgehend erhalten. Unzählige alte Backsteinhäuser, etliche enge Gassen und mehrere das Zentrum durchziehenden Grachten liefern genau jenes Bild, das man von einem niederländischen Städtchen im Kopf hat.

Die hundertfünfzigtausend Einwohner, auf die Amersfoort inzwischen gewachsen ist, sieht man diesen idyllischen Straßen jedoch absolut nicht an. Doch ist halt auch erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts durch die Eisenbahn aus dem Kleinstädtchen eine wirklich größere Stadt geworden. Schon alleine, weil an diesem wichtigen Knotenpunkt ein großes Bahnbetriebswerk und ein Rangierbahnhof entstanden, die vielen Menschen Arbeit gaben, wuchs die Bevölkerung in dieser Zeit recht schnell an.

In den letzten vierzig Jahren haben sich die Einwohnerzahlen dann allerdings noch einmal verdoppelt. Rund um den eigentlichen Kern von Amersfoort wachsen deswegen in nahezu jeder Himmelsrichtungen Neubaugebiete aus dem Boden, bei denen die beteiligten Stadtplaner und Architekten ihre vorhandene Kreativität häufig in vollen Zügen ausleben konnten. Die Übergange sind dabei ziemlich abrupt und die dadurch entstehenden Kontraste enorm.

Das lässt sich auch an jenem Platz erkennen, den die Organisatoren der Laufveranstaltung als Start- und Zielort gewählt haben. Denn das "Eemplein" wird eigentlich nur durch die Eisenbahn von der Altstadt getrennt und könnte dennoch futuristischer kaum sein. Die dreieckige, leicht abfallende und deshalb mit verschiedenen Treppen versehenen Freifläche heißt nach dem Flüsschen Eem, zu dem sie sich öffnet.

Die Übergänge zwischen den historischen Gassen der Altstadt und … …hypermodernen Bauten wie dem "Eemhuis" sind ziemlich abrupt

Selbst wenn man es auf den ersten - und ohne Erklärung auch auf den zweiten - Blick nicht sieht, hat Amersfoort seinen Namen übrigens ebenso von diesem Gewässer. Früher wurde der gerade einmal zwanzig Kilometer lange, sein Wasser in Richtung Ijsselmeer schickende Fluss nämlich einmal "Amer" genannt, bevor sich dann die Bezeichnung über die Jahrhunderte langsam in ihre jetzige Form veränderte.

An einer zur Überquerung geeigneten Stelle entstand - wie so häufig in der Geschichte - schon relativ früh eine Siedlung, aus der im Laufe der Jahrhunderte sich die heutige Großstadt entwickelt hat. Damit lässt sich spätestens jetzt selbstverständlich auch erahnen, was es mit dem zweiten Namensbestandteils "foort" auf sich hat. Denn natürlich bedeutet das Wort im Niederländischen nichts anderes als "Furt".

Am Eemplein steht das "Eemhuis", das mit seinen weit überstehenden, vollständig mit Metall verkleideten und deswegen in der Sonne spiegelnden Obergeschossen ein wenig die Grenzen von Architektur und Bauingenieurwesen auszuloten scheint. Im zentralen Teil sind mit Bibliothek, Stadtarchiv und Kunstschule mehrere kulturelle Einrichtungen Amersfoorts gebündelt. Doch auch ein Super- und ein Elektronikmarkt gehören zum Gebäudetrakt.

Der lang gestreckte, in seinem Aussehen weniger markante Bau, der die gegenüberliegende Seite des Platzes einnimmt, beherbergt neben einigen weiteren Geschäften und einem Kino in den oberen Stockwerken auch eine Reihe von Wohnungen. In eine konkrete Schublade lässt sich diese vor gerade einmal zwei Jahren eingeweihte, ziemlich unübliche Mischung aus Wohnblock, Einkaufs- und Kulturzentrum jedenfalls nicht stecken.

Auch die meisten anderen Gebäude im Umfeld sind - wie an ihrer Ausgestaltung deutlich erkennbar ist - kaum älter. Und einige weiterhin brach liegende Flächen warten nebenan sogar noch gänzlich auf ihre Bebauung. Auf dem von der Eem und der Bahnlinie gebildeten Dreieck ist man also dabei, innerhalb kürzester Zeit ein komplett neues Viertel - passend und schlicht "Eemkwartier" genannt - aus dem Boden zu stampfen.

Rund um das erst vor kurzem fertig gestellte "Eemplein" findet sich die gesamte Infrastruktur des Marathons, der ziemlich kurze Wege bietet, selbst wenn ein Schilderbaum ein wenig Orientierung geben muss

Dass die niederländischen Architekten in der Planung ihrer Bauten dabei eine gewisse Abneigung gegen gerade Linien zu hegen scheinen, lässt sich auf dem nicht einmal einen Kilometer langen Fußweg vom - seinerseits ebenfalls ziemlich auffälligen und insbesondere beim der Innenstadt zugewandten Portal fast schon hypermodernen - Bahnhof hinüber zum Wettkampfzentrum recht gut beobachten.

Die gute Anbindung und die relativ späten Startzeiten - der Zehner startet tatsächlich um zehn Uhr, Halb- und Vollmarathon sogar noch eine halbe Stunde später - sorgen dafür, dass etliche Läufer sich für dieses Transportmittel entscheiden. Wer mit dem Auto anreist, hat sogar noch kürzere Wege. Denn unter dem Eemhuis gibt es eine große Tiefgarage, in der man sein Fahrzeug zwar nicht kostenlos, aber zu einem "speciaal tarief" abstellen kann.

Im hinteren Teil des Parkhauses hat man zudem eine Ecke als Umkleide abgetrennt, während einen Stock höher im Eingangsbereich der Stadtbibliothek die letzten Startunterlagen verteilt werden. Direkt davor ist der Zielbogen inklusive Verpflegungsbereich aufgebaut. Und nur wenige Schritte entfernt am Ufer der Eem finden sich Tische, Bänke und mehrere kleine Zelte für Bewirtung. Sogar an eine Hüpfburg, ein "springkussen" für Kinder hat man gedacht. Für eine Veranstaltung dieser Größenordnung ist alles wirklich ziemlich kompakt ausgefallen.

Allerdings muss man auch einige Abstriche machen. Zum Beispiel wird in der Beschreibung der "faciliteiten" ausdrücklich erwähnt, dass "geen douche" verfügbar sei. Doch die hierzulande zur nahezu unerlässlichen Pflichtausstattung gehörende Brause nach dem Rennen, wird international eben häufiger als ganz besondere, im Normalfall aber durchaus auch einmal vernachlässigbare Zugabe angesehen.

Dass man zur sicheren Lagerung der Wertsachen einen jener mobilen Schließfächer benutzen soll, die von der als Hauptsponsor auftretenden Bank in einem eigens dafür aufgebauten Zelt platziert worden sind, ist ebenfalls etwas ungewöhnlich. Schließlich ist deren Anzahl begrenzt. Und wer keines mehr bekommt, dem bleibt mangels einer anderen Abgabemöglichkeit nur die - zwar von Helfern bewachte, aber eben für alle Läufer frei zugängliche - Umkleide im Parkhaus zum Abstellen der mitgebrachten Tasche.

Ausgerechnet die Kleinsten sind es, die um neun Uhr als Erste an die Startlinie treten. Denn die "meisjes en jongens" der dritten und vierten Klassen eröffnen die lange Reihe der Läufe auf ihrer einen Kilometer langen Distanz. Im Abstand von jeweils zehn Minuten folgen dann noch zwei weitere Gruppen mit älteren Jahrgängen. Doch bevor es am Eemplein dann für die Rennen der Erwachsenen richtig voll wird, gibt es anschließend erst noch einmal eine längere Pause.

Unüberhörbar sind die Startschüsse, mit dem die "Stadskanonniers Amersfoort" die Felder auf die Strecke schicken

Als um "tien uur" die Läufer über zehn Kilometer auf die Strecke gehen, haben jedenfalls auch die letzten Schüler ihre Medaillen längst um den Hals hängen. Während das Ziel mitten auf der Freifläche aufgebaut und eigentlich nicht zu übersehen ist, muss man den Start fast schon suchen. Das Transparent spannt sich nämlich ein wenig abseits des Geschehens über eine Stichstraße, die neben dem kombinierten Wohn- und Geschäftshaus auf der Westseite zum höher gelegenen Teil der Freifläche führt.

Absperrgitter, die den Aufstellungsbereich der Sportler von einem schmalen Randstreifen für die Zuschauer trennen, verringern den ohnehin nicht gerade übermäßig vorhandenen Raum noch mehr. Und da die Strecke außerdem auch noch bereits auf den ersten Metern und praktisch direkt hinter der Startlinie um neunzig Grad nach links abknickt, lässt sich schon durch den bloßen Augenschein erahnen, dass die jeweils tausend bis fünfzehnhundert Köpfe zählenden Läuferfelder wohl eher schleppend in Bewegung kommen werden.

Der in die Startnummer integrierte Chip macht die Wartezeit allerdings einigermaßen erträglich. Übrigens wurden die ersten Prototypen dieser .heutzutage bei allen größeren Veranstaltungen im Ausdauersportbereich nicht mehr wegzudenkenden Zeitmessgeräte Anfang der Neunzigerjahre an der Universität Nijmegen entwickelt und dann beim dortigen Zevenheuvelenloop erstmals in einem Wettbewerb eingesetzt, um von dort anschließend ihren Siegeszug um die ganze Welt anzutreten.

Ebenfalls in Nimwegen hat man jenes dazu passende Konzept entwickelt, das - ob nun gewollt oder wegen der örtlichen Gegebenheiten eher zufällig sei dahin gestellt - in Amersfoort ebenfalls benutzt wird. Denn durch eine absichtliche Verengung des Startbereiches lässt sich die Läuferschlange so entzerren, dass praktisch jeder schnell sein eigenes Tempo finden und es in der Folge kaum noch zu Stockungen kommen kann.

Dass durch diesen Ansatz insbesondere im Altersklassenbereich auch die ständige Gefahr besteht, sich Konstellationen einzuhandeln, bei denen der Erstplatzierte hinter dem Zweiten und Dritten ins Ziel kommt, bei genauerer Betrachtung aus einem direkten Duell mehrere Läufer also eher eine dem Einzelzeitfahren der Radsportler oder einem Skilanglaufrennen mit Intervallstart vergleichbare Disziplin wird, steht auf einem anderen Blatt.

In Amersfoort erstellt man die Ergebnisliste trotz Nettozeitnahme aber ohnehin rein nach der Einlaufreihenfolge und hat dabei das Glück, dass es keinen der oben erwähnten Streitfälle gibt. Allerdings ist die Zahl der Kategorien auch ziemlich eingeschränkt. Neben den bis neununddreißig Jahre reichenden Hauptklassen gibt es für "mannen" und "vrouwen" nur noch jeweils zwei Alterstufen der Über-Vierzig- und Über-Fünfzigjährigen.

Praktisch vom ersten Meter des Rennens liegt Timo van Beek, der Sieger über zehn Kilometer, in Führung Auch die drei schnellsten Frauen Simche Heringa (Erste, ganz links), Ilonka van der Hengel (Zweite) und Monique Doornekamp (Dritte, in Schwarz) haben sich schon früh in der richtigen Reihenfolge einsortiert

Selbst wenn man sich mitten im Gedränge der Aufstellungszone befindet, ist das Signal, mit dem man auf die Reise geschickt wird, einfach nicht zu überhören. Für diese Aufgabe haben sich die Organisatoren nämlich die Unterstützung der "Stadskanonniers Amersfoort" gesichert. Und die tragen nicht nur Uniformen aus dem späten achtzehnten Jahrhundert sondern haben auch eine dazu passende Vorderlader-Kanone mitgebracht. Die aus ihr abgefeuerten Startschüsse besitzen natürlich eine entsprechende Lautstärke.

Sowohl die Zehn-Kilometer-Läufer als auch die ihnen um "half elf" nachfolgenden Halb- und Vollmarathonis sowie das um "elf uur" auf die Strecke geschickte Feld über fünf Kilometer laufen erst einmal auf der Rückseite des neuen Gebäudes über die "Eemlaan" hinauf und einem großen Kreisel entgegen, der auf der dem Fluss abgewandten Spitze des Platzes die verkehrstechnische Anbindung des neuen Eemplein bildet. Die "Allee" - denn so lässt sich "laan" am besten ins Deutsche übersetzen - besteht jedoch nur aus einigen frisch gesetzten jungen Bäumen.

Da der Durchgangsverkehr aus der Innenstadt hinaus und ins Zentrum hinein unter die immerhin mit einem Durchmesser von rund hundert Meter ausgestatte "rotonde" abtaucht, halten sich die Behinderungen durch die nun wieder nach rechts einschwenkenden Läufer erst einmal ziemlich in Grenzen. Und kaum bewegt man sich kurzzeitig auf einer Ebene mit den Autos, trennen sich die Wege auch schon wieder.

Die Marathonroute zweigt nämlich schon nach wenigen hundert Metern von der Hauptstraße nach halbrechts ab und verschwindet in einem Industriegebiet. Sogar noch schneller und noch schärfer nach rechts geht es für die beiden kürzeren "afstanden", die gleich an der ersten Kreuzung wieder dem Fluss entgegen streben, um ihn zu überqueren und auf der anderen Seite nach jeweils etwa einem Kilometer auf die entsprechenden letzten Abschnitte der zum Abschluss wieder von allen gemeinsam durchlaufenen Strecke zu stoßen.

Es ist zwar nicht allzu schwer, die enge Verwandtschaft des Wörtchens "Abstand" mit seinem niederländischen Gegenstück "afstand" zu erkennen. Aber erst wenn man dieses durch das zumeist weitgehend synonym verwendete "Distanz" ersetzt, wird der auf den ersten Blick in der Ausschreibung für eine Laufveranstaltung völlig deplatziert wirkende Begriff irgendwie dann doch sinnvoll. Auch wenn die Vokabeln fast immer ziemlich ähnlich sind, gibt es hinsichtlich des Inhaltes eben doch gelegentlich leichte Unterschiede.

Bald nach dem Start führt die Strecke auf einen großen Kreisel hinaus, der wie das gesamte "Eemkwartier" mit ziemlich neuen und architektonisch ungewöhnlichen Gebäuden bebaut ist

In welcher der beiden Sprachen sich dieser nun wirklich stärker gewandelt hat, sei einmal dahin gestellt. Doch die Bedeutungserweiterung zu "Wettbewerb", die im Deutschen eigentlich nur das aus dem Lateinischen kommende Fremdwort erfahren hat, ist im "Koninkrijk der Nederlanden" hauptsächlich in seiner germanischen Entsprechung zu beobachten, während man "distantie" in den Informationen oder Berichten zu einem Lauf kaum begegnet.

Wenn in diesem Zusammenhang der Ausdruck "afstand" benutzt wird, könnte sogar auch noch im übertragenden Sinne die eigentliche "Rennstrecke" gemeint sein. Gerade wer sich aus dem Geometrieunterricht in der Schule behalten hat, dass eine "Strecke" sich als kürzester "Abstand" zwischen zwei Punkten definieren lässt, wird aber auch diese Verbindung nach etwas Überlegen eventuell noch einigermaßen plausibel finden. In der Regel ist deren Karte auf den Internetseiten dann aber doch eher unter der Rubrik "parcours" zu finden.

Dass man zum Lesen der Resultate auf "uitslagen" klicken muss, ist dann allerdings doch ziemlich gewöhnungsbedürftig. Übersetzt man das Wort Silbe für Silbe, ergibt sich schließlich ein absolut unpassendes "Ausschläge". Und tatsächlich wird der Begriff zum Beispiel als "huiduitslag" auch im medizinischen Bereich verwendet. Doch meint er eben außerdem ein "Ergebnis". Vielleicht ist das Ganze mit der Analogie zu "Ausgang" noch am besten als "resultaat van een sportwedstrijd" zu erklären.

Die Auflistung in den "uitslagen" beginnen mit Timo van Beek, der sich ziemlich genau in dem Moment, in dem das Hauptfeld der Marathonis im Gewerbegebiet verschwindet, nach absolvierten zehn Kilometern schon wieder dem Eemplen nähert. Schon auf den ersten Metern hatte er die Führung übernommen. Und bis zum Ziel kann er diese Position nicht nur souverän verteidigen sondern den Abstand zu seinen Verfolgern beständig ausbauen.

Mit 34:12 hat der Läufer der Atletiekvereniging Pijnenburg aus Soest - gemeint ist nicht das westfälische Silvesterlaufziel sondern die gleichnamige Nachbarstadt von Amersfoort - schließlich einen ziemlich überzeugenden Vorsprung von neunzig Sekunden auf dem Zweitplatzierten Mark Broekman heraus gelaufen. Noch einmal erheblich weiter zurück liegt dann Robin van de Mast auf Rang drei. Denn für den M40er bleiben die Uhren erst nach 37:36 stehen. Für ein Rennen mit einer vierstelligen Teilnehmerzahl ist der sportliche Wert dieser Ergebnisse wenig herausragend.

Da geht es bei den Frauen schon wesentlich spannenden, wenn auch hinsichtlich des Leistungsniveaus auch nicht wirklich überzeugender zu. Denn zwischen der 40:39 benötigenden Siegerin Simche Heringa und der Dritten Monique Doornekamp, für die 42:30 gestoppt werden, liegen weniger als zwei Minuten. Und Ilonka van der Hengel hat mit ihrer 41:07 sogar nicht einmal eine halbe Minute Rückstand auf die oberste Stufe des Treppchens.

Ein kleines Hafenbecken bietet auf den durch ein Industriegebiet führenden Anfangskilometer zumindest ein bisschen optische Abwechslung Nach knapp vier Kilometern schlüpft die Laufstrecke auf einem schmalen Fußweg durch eine Baum- und Heckenreihe durch und stößt damit in eine völlig andere Welt vor

Aufgrund des Zeitplanes sind auch die Sieger über fünf Kilometer längst gekürt, bevor die ersten Teilnehmer an den beiden längsten Wettbewerben nach dem Absolvieren ihrer einundzwanzig Kilometer langen Runde wieder am Start- und Zielgelände ankommen. Neben Mitteldistanzlern und Hobbyläufern im Erwachsenenalter sind zudem etliche Jugendliche in diesem Rennen unterwegs, das auch als "Schoolchallenge" ausgeschrieben ist.

Entsprechend jung geht es dann auf dem Siegerpodest zu. Denn Kalid Amin, der in 16:48 bei den "Männern" gewinnt, gehört dem Jahrgang 1997 an. Und die in 21:12 schnellste "Frau" Madelief Kok ist genau wie die 22:11 laufende Dritte Joëlle Hoff sogar gerade erst vierzehn Jahre alt. Selbst Rik Goethals und Camiel Kruiswijk, die in 17:12 und 17:28 auf Rang zwei und drei landen, sind erst Anfang zwanzig. Und auch Clara Stegehuis (21:52), die Zweitschnellste der - sich über fünf Kilometer übrigens deutlich in der Überzahl befindlichen - Damen hat dieses Alter.

Dass als Trophäen keine Pokale sondern Steine verteilt werden, erinnert ein wenig an den Radklassikers Paris-Roubaix, wo die Sieger einen "pavé" erhalten. Allerdings hat das weniger mit Kopfsteinpflasterpassagen wie in Nordfrankreich zu tun als mit einem historischen Ereignis aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Aufgrund einer Wette hätten die Amersfoorter damals nämlich angeblich einen tonnenschweren Findling von der Straße in die Provinzhauptstadt Utrecht viele zehn Kilometer weit bis ins Zentrum ihres Städtchens geschleift.

Später wäre der Gesteinsbrocken, der "Amersfoortse Kei" dann allerdings vergraben worden. Denn die Bürger der Stadt wurden ob ihrer in Nachhinein eigentlich ziemlich sinnlosen Aktion von ihren Nachbarn als "keientrekkers" - also "Steinezieher" - verspottet. Erst Anfang des letzten Jahrhunderts wurde der Felsen dann wieder ausgebuddelt. Heute hat er einen Ehrenplatz auf einem Podest am Rande der Innenstadt. Und auch den Spitznamen trägt man inzwischen mit einem gewissen Stolz.

Einen Kilometer führt die Strecke zwischen nicht unbedingt sehenswerten Autohäusern und Werkshallen mehr oder weniger immer geradeaus. Einzig die Überquerung einer Hauptstraße sorgt für etwas Abwechslung. Die Kreuzung ist gleich von mehreren Ordnern mustergültig abgesichert, deren leuchtend gelbe Dienstbekleidung sofort klarmacht, dass es sich bei ihnen um Bedienstete des städtischen Bauhofes handelt.

Dutzende dieser Kräfte sind während des Rennens an allen kritischen Stellen im Einsatz und belegen, wie stark die Stadt Amersfoorter in die Durchführung des Laufes eingebunden ist. An nahezu jeder Einmündung ist ein Helfer postiert. Und unzählige Barrieren und Warnschilder hat man entlang des Kurses aufgebaut. Selbst wenn dieser hauptsächlich über Nebenstraßen, Rad- und Fußwege geführt wird, gibt es aus diesem Grund auch dort, wo man unterwegs dann doch einmal mit etwas stärkerem Verkehr in Berührung kommt, keinerlei Probleme.

Jenseits der Hecke laufen die Marathonis auf Feldwegen in eine weite, von sattgrünen Wiesen dominierte Landschaft hinaus

Ein kleines Hafenbecken sorgt nach knapp zwei Kilometern für etwas Abwechslung und optische Auflockerung. Doch nach der Rechts-Links-Kombination, dank der dem man es gleich noch von einer anderen Seite in Augenschein nehmen kann, führt die Strecke schnell wieder inmitten von ziemlich austauschbaren Industriebetrieben weiter nach Westen. Die ersten Kilometer sind - das wird man bald erkennen können - auf der je nach gewählter Distanz ein- oder zweimal zu absolvierenden Runde eindeutig die langweiligsten.

Ein klein wenig Auflockerung kann aber zum Beispiel ein Blick die Straßenschilder bringen. Denn der Chemieunterricht in der Schule lässt schön grüßen, während man am Kalium-, Natrium-, Magnesium-, Argon- und Heliumweg vorbei über den Vanadium-, Neon- und Radonweg läuft. Fast das gesamte Periodensystem scheint in diesen doch ziemlich ungewöhnlichen Straßennamen im Industriekwartier" verewigt zu sein.

Die Strecke führt vom Hafen weg auf eine Brücke zu, die quer zur Laufrichtung an dieser Stelle bereits begonnen hat, sich über die Eem hinüber zu schwingen. Statt direkt unter ihr durch zu führen, was durchaus möglich wäre, folgt ein kleiner Schwenk nach rechts, der die Marathonis auf der einen Seite der Überführung praktisch bis ans Flussufer und - nachdem man sie dort dann doch unterquert hat - auf der anderen Seite fast wieder zum Ausgangspunkt zurück führt.

Erst durch diesen drei- bis vierhundert Meter langen Schlenker bekommt der Kurs die richtige Distanz. "Kleine aanpassing maakt parcours officieel" vermelden die Organisatoren erst im Mai in einer ihrer Vorabmeldungen. Das noch fehlende Stück Strecke habe man genau mit diesem kleinen Umweg "gezocht en gevonden". Gegenüber der Austragung vor zwei Jahren ist der Kurs nämlich noch einmal komplett neu konzipiert worden.

Ohne den kurzen Ausflug zur Eem hätte man auf dem Vanadiumweg in diesem Abschnitt eine weitere rund einen Kilometer lange Gerade vor sich. Erst als es wirklich nicht mehr weiter geht, weil die Straße endet, dreht man an der Einmündung nach links ab, um wenig später vor einem kleinen Teich zu enden, den man aufgrund eines weiteren Hakens genau wie das Hafenbecken zumindest zur Hälfte umrundet.

Aus einem nur bedingt spannenden Stadtlauf ist urplötzlich ein herrlicher Naturmarathon geworden

Die nächste - in diesem Fall nach dem Edelgas Radon benannte - Gerade führt auf die erste von sechs Verpflegungsstellen zu, die pro Runde aufgebaut sind, woraus sich nicht nur rechnerisch ein Abstand von drei bis vier Kilometern zwischen ihnen ergibt. Allerdings gibt es an diesem Posten erst einmal nur Wasser, denn nur jeder zweite Stand ist wirklich auch mit der kompletten Auswahl bestückt, die dann zusätzlich zu "water" auch Elektrolytgetränke und Bananen umfasst.

Die Tische dieses ersten Getränkestandes stehen nicht nur neben der Straße sondern in einem Bogen auch quer über sie hinweg. Denn an dieser Stelle schlüpft die Laufstrecke auf einem schmalen Fußweg durch jene Baum- und Heckenreihe durch, an der man schon seit dem Teich entlang gelaufen ist. Es sind nur wenige Schritte, die man dabei zurücklegt. Es dauert nur ein paar Sekunden, sie zu machen. Doch führen sie in eine völlig andere Umgebung, ja fast schon in eine andere Welt.

Denn jenseits dieser grünen Mauer, neben der man nun in genau entgegengesetzter Richtung wieder zurück läuft, breiten sich Wiesen und Felder aus, zwischen denen sich einige wenige Gehöfte verteilen. Wie mit dem Lineal gezogen kommt dieser Übergang daher. Und da die Bäume und Büsche gleichzeitig auch die Sicht auf das Gewerbegebiet vollkommen verdecken, ist aus einem nur bedingt spannenden Stadtlauf urplötzlich ein herrlicher Naturmarathon geworden. Und für das nächste halbe Dutzend Kilometer wird sich daran auch wenig ändern.

Entlang des sich langsam zu einem richtigen Wäldchen weitenden Hecke dreht der Kurs erneut nach Westen, strebt dann in die offene Landschaft hinaus und lässt Amersfoort dabei immer mehr hinter sich. Irgendwo zwischen einem asphaltierten Feldweg und einem ziemlich schmalen Landsträßchen ist die Laufstrecke nun einzusortieren. Dank ihres etwas schlenkrigen Verlaufes bietet sie zudem ständig neue Perspektiven.

Nach etwa zwei Kilometern nähert sich der Weg langsam der Bahnlinie, die Amersfoort mit der Hauptstadt Amsterdam verbindet und begleitet diese dann für einige hundert Meter, bevor die Läufer an der nächsten Einmündung - es ist seit dem Verlassen der Stadt überhaupt erst die zweite, so dass in diesem Abschnitt des Rennens nun kaum noch Ordner zum Absichern benötigt werden - scharf nach rechts schwenken und den Gleisen damit den Rücken zudrehen.

Ein breiter Wassergraben begleitet die Marathonis auf der linken Seite. Und kurz darauf kommt von rechts ein weiterer hinzu, so dass man praktisch auf einem Damm unterwegs ist, der kaum mehr als das Sträßchen umfasst. Dahinter erstrecken sich sattgrüne Weiden, durch die sich in regelmäßigen Abständen weitere Entwässerungsgräben ziehen. So und nicht anders stellt man sich die Niederlande in der Regel vor.

Immer wieder einmal begleiten sich zwischen den Feldern entlang ziehende Entwässerungsgräben die Marathonis

Nur die beinahe obligatorischen Windmühlen fehlen an diesem Bild noch. Wie auch der Rest der Provinz Utrecht befindet sich Amersfoort aber auch einige Meter oberhalb des Meeresspiegels, so dass Wasser noch auf natürlichem Weg abfließen kann und nicht durch die "windmolens" auf ein entsprechendes Niveau gehoben werden muss. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Regionen werden diese in den Niederlanden meist nicht zum Mahlen von Getreide sondern zum Abpumpen von Wasser benutzt.

Ohne diese bereits seit vielen Jahrhunderten bekannte Einsatzmöglichkeit der Windenergie wären viele der tiefergelegen Gebiete, die man mit Eindeichung mühsam dem Meer abgerungen hatte, durch Regen und Flusswasser nämlich mit der Zeit wieder vollgelaufen wie eine Badewanne. Rund ein Viertel des Landes liegt schließlich unterhalb der Nullinie, ein weiteres Viertel nur knapp darüber. So ist der Name "Nederland" - im Niederländischen selbst übrigens im Gegensatz zu den meisten anderen Sprachen in der Einzahl verwendet - natürlich absolut berechtigt.

Der Weg endet an der Eem, die sich hinter einem niedrigen Deich eher träge durch die Landschaft windet. Weiter nach Westen stößt die Strecke, die ohnehin schon längst über das Territorium der Nachbargemeinde Soest führt, nicht mehr vor. Für den nächsten knappen Kilometer folgt sie vielmehr nun wieder dem Fluss stromaufwärts, bevor sie über eine der unzähligen Brücken in den an Wasserläufen so reichen Niederlanden die Uferseite wechselt.

Zwar geht es zur ihrer Überquerung für die Marathonis einige Meter bergauf. Doch wirklich weit nach oben müssen sie nicht klettern. Denn zum einen ist das Flüsschen eigentlich nirgendwo mehr als einige Dutzend Meter breit, so dass auf ihm sowieso keine größeren Schiffe unterwegs sein können. Zum anderen ist der Übergang wie meist in solchen Fällen als "klapbrug" konstruiert, deren mittleres Teil im Bedarfsfall nach oben geklappt werden kann.

Während der Streckenteil südlich der Eem zuvor meist über freies Feld geführt hatte, das nur gelegentlich von einer Baugruppe unterbrochen worden war, läuft man- wieder von einem breiten Wassergraben begleitet - nördlich des Flüsschens im Schatten einer Allee weiter. Dieser ist durchaus nicht unwillkommen. Denn nach einigen eher bedeckten Stunden am frühen Morgen bricht inzwischen die Sonne immer häufiger einmal durch die nicht allzu dichten Wolken.

Wirklich heiß wird es - insbesondere wenn man den Vergleich zum etliche Rekorde brechenden Pfingstwochenende sieben Tage zuvor zieht - allerdings nicht. Die Temperaturen stoßen auch mittags nicht weit über die Marke von zwanzig Grad vor. Und ein leichter Wind sorgt zudem für zusätzliche Kühlung. Für einen Marathon Mitte Juni herrschen in Amersfoort wahrlich nicht die schlechtesten äußeren Bedingungen.

Auf einer Klappbrücke geht es über das Flüsschen Eem hinweg

Einen knappen Kilometer lang bleibt der Marathonkurs auf diesem ziemlich idyllischen und dank einiger leichter Kurven mit ständig neuen Sichtachsen aufwartenden Weg. Dann schwenkt er an einer Einmündung allerdings nach links über das Wasser hinweg und verlässt dabei, ohne dass man es wirklich merkt, die hauptsächlich von Entwässerungsgräben geprägte Flussniederung. Doch wer ganz genau aufpasst, erkennt, dass es von nun an eher Baumreihen und Wallhecken sind, durch die einzelne Felder und Wiesen voneinander getrennt werden.

Ein wenig dichter als zuvor stehen die Bauernhöfe nun neben dem auf beiden Seiten weiterhin mit hohen Bäumen aufwartenden Sträßchen. Und an einigen von ihnen haben es sich die Anwohner auch auf Campingstühlen oder Holzbänken bequem gemacht, um den Läufern ein wenig Beifall zu spenden. Natürlich darf man schon alleine aufgrund der "über Land" führenden Kurssetzung keine Zuschauermassen erwarten.

Doch dort, wo sich Leute am Streckenrand eingefunden haben, sind sie meist ziemlich hartnäckig Während hierzulande bei gemeinsamen Starts von zweiundvierzig und einundzwanzig Kilometern nach dem ersten Durchlauf häufig bereits eine starke Abwanderungsbewegung einsetzt und es für die Marathonis in ihrer zweiten Runde nicht nur auf sondern auch neben der Straße deutlich einsamer wird, verlassen die Amersfoorter ihre Positionen keineswegs vorzeitig und warten ein weiteres Mal auf die - dann ziemlich vereinzelt auftauchenden - Teilnehmer des Marathons.

"Hele Marathon" heißt diese Distanz zur Unterscheidung von "Halve Marathon" bei den Niederländern und den ebenfalls einen niederländischen Dialekt sprechenden Flamen in Belgien. Auch in Skandinavien ist oft von einem "Helmaraton" die Rede. Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint der Begriff nicht wirklich logisch. Erst wenn man sich an das Wörtchen "heil" in Sinne von "ganz" und "nicht zerbrochen" erinnert, lässt er sich auf einmal dann doch ziemlich einfach nachvollziehen.

Nördlich der Flusses geht es - natürlich wieder von einem breiten Wassergraben begleitet - im Schatten einer Allee weiter

Ganz langsam nähert man sich wieder dem Stadtgebiet. Und da man schon längere Zeit in östlicher Richtung unterwegs ist, lässt sich dieser Sachverhalt auch ohne großes Nachdenken erahnen. Dennoch kommt es ziemlich überraschend, als der baumbestandene Feldweg plötzlich auf eine breite Hauptstraße stößt und die Strecke dort nach links schwenkt, um ihr für einen kurzen Moment zu folgen.

Nur gut hundert Meter später und fast genau an der Zehn-Kilometer-Marke verschwindet der Marathonkurs in einer Unterführung, durch die man auf die andere Seite der Umgehungsstraße hinüber wechselt. Diese grenzt - ähnlich wie schon die Hecke im Industriegebiet - die Wohngebiete nördlich des Zentrums ziemlich scharf von den zuvor durchlaufenen Wiesen und Feldern ab. In Westen von Amersfoort lässt sich wenig von ausgefransten Rändern oder gar einer Zersiedelung der Landschaft erkennen.

Der Tunnel ist im Normalfall hauptsächlich Radfahrern vorbehalten. Und auch nachdem man ihn passiert hat, setzt sich die Strecke auf einem parallel zur Straße verlaufenden "Fietspad" fort. Das niederländische Wort für "Fahrrad" lautet nämlich "Fiets". Woher diese Bezeichnung kommt ist allerdings nicht wirklich klar. Einige Linguisten behaupten, es beruhe auf einer Verballhornung des französischen "vélocipède". Andere leiten es von einem Begriff "Vize-Pferd" ab, mit dem angeblich früher das "Ersatzpferd" bezeichnet worden wäre.

Die weitgehend flache Landschaft im Nordwesten Mitteleuropas bietet sich selbstverständlich fürs Radfahren an. Wohl nirgendwo sonst in der westlichen Welt hat das Fahrrad eine ähnlich große Bedeutung als Verkehrsmittel für kurze und mittlere Distanzen wie in den Niederlanden. Deswegen ist die Infrastruktur dann auch nicht nur für Autos und Eisenbahnen sondern auch auf das Fiets ausgelegt.

Stellplätze oder gar eigene Parkhäuser gehören bei jedem größeren Gebäude zum absoluten Standard. Zum Beispiel an großen Bahnhöfen können diese dann auch durchaus einmal mehrere tausend Räder fassen. Dort wo es keine festen Aufbauten gibt, wird im Bedarfsfall improvisiert. So entdeckt man in Amersfoort rund um das Eemplein bereits am Vortag etliche Absperrgitter, deren seltsame Anordnung sich für den Laien erst in dem Moment erschließt, als sich die von ihnen gebildeten Boxen vor dem Marathon mit hunderten von Zweirädern füllen.

Nicht nur an dieser Stelle sondern auch an vielen anderen Punkten im Stadtgebiet stößt man auf eigens für "Fietser" gebaute Tunnel und Brücken. Und gerade in Neubaugebieten, wie sie in den letzten Jahrzehnten rund um Amersfoort nach oben gezogen wurden, legt man inzwischen sogar schon bei der Planung der Straßenverläufe großen Wert auf separat geführte, möglichst kreuzungsarme Radtrassen.

So bleibt der Fietspad, auf den man hinter der Unterführung eingebogen ist und dem man nun nach Süden folgt, weitgehend von allzu engen Begegnungen mit motorisiertem Verkehr verschont. Zur Umgehungspiste verläuft er nämlich in einigen Metern Abstand sowie meist durch Bäume und Hecken getrennt. Und während der mehr als zwei Kilometer, die man auf ihm unterwegs ist, muss nur eine einzige einmündende Straße - wieder gut gesichert von in leuchtendem Gelb gekleideten Gemeindearbeitern - überquert werden.

Ein wenig dichter als zuvor stehen die Bauernhöfe nun neben dem auf beiden Seiten weiterhin mit hohen Bäumen aufwartenden Sträßchen

Dass einige der am Rand stehenden Einfamilienhäuser ihre Ausfahrt dann doch zum Radweg hin haben, ist dazu nicht unbedingt ein Widerspruch. Schließlich ist man als Niederländer sind von Kindesbeinen an die unzähligen, immer und überall auftauchenden Fietser gewöhnt, fährt praktisch ausnahmslos selbst ziemlich viel Rad und nimmt entsprechend Rücksicht, wenn man in Ausnahmefällen doch einmal mit dem Auto unterwegs sein sollte.

Auch nachdem die Läufer von der Umgehungstraße nach links in einen nicht mehr ganz so breiten Zubringer abgebogen sind, bleiben sie weiter auf einem parallel verlaufenden Radweg. An einer Baustelle hat man dessen Belag allerdings komplett auf- und weggerissen. Und so gilt es zwischendurch einmal hundert sandige Meter hinter sich zu bringen. Es ist jedoch der wirklich einzige Abschnitt der kompletten Runde, auf dem ein wenig Geländegängigkeit gefragt ist. Ansonsten hat man entweder Asphalt oder Pflaster unter den Füßen.

Einen knappen Kilometer später geht es erneut nach links, so dass die Marathonis nun wieder ungefähr in jene Richtung zurück laufen, aus der sie zuvor gekommen sind. Nachdem man zuletzt in einer eher von Grünflächen geprägten Umgebung unterwegs war und davor die Bebauung eigentlich nur am Rand gestreift hatte, geht es nun im Schatten einer Allee - natürlich ebenfalls wieder auf dem viel leichter frei zu haltenden parallelen Radweg - endgültig in bewohntes Gebiet hinein.

Vor etlichen der Häuser hängen Flaggen. Doch sehen diese ganz anders aus als die rot-weißen Fahnen Amersfoorts, denen man in der Innenstadt begegnet. Vielmehr handelt es ein grünes Tuch mit einem gelben Wappen in der Mitte. Denn man läuft nach Hoogland hinein, das früher eine selbstständige Gemeinde war und erst vor vier Jahrzehnten nicht unbedingt freiwillig in die immer näher heran wachsende Großstadt eingemeindet wurde.

Inzwischen ist das ehemalige Dorf auf drei Seiten von Neubaugebieten umgeben und baulich komplett mit Amersfoort verbunden, so dass man seine Grenzen eigentlich nicht mehr erkennen kann. Doch eine gewisse trotzige Eigenständigkeit haben sich die Hooglander trotzdem bewahrt, was sich nicht nur an den Flaggen erkennen lässt. Man hat mit dem "Halve van Hoogland" auch einen eigenen Halbmarathon, dessen Geschichte bis in die Siebziger zurück reicht und der sich gleich mehrere Streckenabschnitte mit der Route des Amersfoorter Marathons teilt.

Einige Zeit geht es an einer großen Wiese entlang, die sich zwischen dem alten Dorf Hoogland und dem "nieuwbouwwijk" Kattenbroek ausdehnt und auf deren Fläche man wohl problemlos ein Dutzend Fußballfelder unterbringen könnte

Bis in den eigentlichen Dorfkern von Hoogland stoßen die Marathonis allerdings nicht vor. Denn nach einem halben Kilometer dürfen sie die Straße überqueren und rechts in einem Fahrweg verschwinden, auf dem wohl zwei Fahrzeugen nur mit sehr viel Mühe aneinander vorbei kämen. Er führt mitten durch ein größeres Sportzentrum und bringt die Läufer dann anschließend wieder ein wenig weiter hinaus ins Grüne.

Irgendwie ist man sich angesichts der Umgebung aber anfangs nicht so ganz sicher, ob es sich bei diesen naturbelassenen Flächen um einen sorgfältig angelegten Landschaftspark handelt oder ob sie nur einfach noch nicht zum Baugebiet erklärt wurden. Die erste Alternative ist die richtige. Denn auf mehr als einem Quadratkilometer dehnt sich der "Stadspark Schothorst" rund um ein ehemaliges Landgut aus, das sowohl der Grünanlage als auch dem angrenzenden Stadtteil den Namen gegeben hat.

Die Strecke schlägt im Uhrzeigersinn auf nun endgültig nicht mehr für den Autoverkehr geeigneten Parkwegen einen weiten Halbkreis um den Gutshof und passiert dabei zuerst die vierzehnte Kilometermarke und wenig später auch die vierte Verpflegungsstelle. Zwischen Kleingärten warten aber nicht nur Getränke sondern auch eine Musikkapelle mit bunten Uniformen und schmissigen Melodien. Das im Gegensatz zum protestantischen Amersfoort katholisch geprägte Hoogland hat schließlich eine lange Tradition als Karnevalshochburg.

Direkt danach stößt der Weg an eine ebenfalls zum Park gehörende große Wiese, auf deren Fläche man wohl problemlos ein Dutzend Fußballfelder unterbringen könnte. Zwischen ihr und dem kleinen Wäldchen, dass sich an ihrem Rand anschließt, zieht sich die Strecke nun für etliche hundert Meter fast schnurgerade dahin, so dass ein wenig Zeit bleibt, einen Blick auf das "nieuwbouwwijk" Kattenbroek jenseits der Grasfläche zu werfen.

Zwar beststeht dieses in den Neunzigern errichtete Viertel praktisch ausschließlich aus Wohnblocks und Reihenhäusern. Doch ragen diese maximal drei, vier oder fünf Stockwerke nach oben und sind zudem auch architektonisch weit einfalls- und abwechslungsreicher gestaltet als jene plumpen Betonklötze, die man früher gerne in den Außenbereichen der Städte platzierte. Zudem sind einige ziemlich bunt und farbefroh angelegt, so dass die Umgebung insgesamt ziemlich freundlich wirkt.

Gegenüber des auffälligen blau-rote Quaders, der in die nordöstliche Ecke des "Stadspark Schothorst" hinein ragt, beginnt ein kleiner See, der sich an die Anlage anschließt und diese damit noch ein wenig erweitert

Insbesondere jener blau-rote Quader, der in die nordöstliche Ecke des Parkgeländes hinein ragt, fällt auf. Wenig später führt die Laufstrecke dann auch beinahe direkt an ihm vorbei, nachdem der Weg die Wiese kurz vor ihrem Ende dann doch noch überquert hat. Gegenüber des eigentlich nicht zu übersehenden Gebäudes beginnt ein kleiner See, der sich an die Parkanlage anschließt und diese damit noch ein wenig erweitert.

Anfangs bleiben die Marathonis an seinem Ufer, bevor sie das Gewässer auf einer langen Fußgängerbrücke in der Mitte überqueren. Nachdem man auf der anderen Seite noch einen kleinen Bolzplatz passiert hat, taucht der Kurs in die schmalen Straßen des ebenfalls Anfang der Neunziger entstandenen Stadtteils Zielhorst ein und schlägt dort gleich an den ersten Häusern einen kurzen, aber scharfen Rechts-Links-Haken.

Erst als man in die "K.P.C. de Bazelstraat" eingebogen ist, geht es dann anschließend wieder für einen Moment wirklich geradeaus. Wie bei allen anderen Straßen in diesem Teil des mit all seinen Gebäuden praktisch komplett auf dem Reißbrett entworfenen Neubaugebietes handelte es sich auch bei jenem "Karel Petrus Cornelis de Bazel", der ihre den Namen gab, um einen Baumeisters und Architekten. Und so nennt man diese Ecke der Stadt dann auch wenig überraschend "de Architectenbuurt" - "die Architektengegend".

Das von Reihenhäusern gesäumte Sträßchen ist hinsichtlich der Stimmung eindeutig einer der absoluten Höhepunkte der Strecke Denn die Anwohner feiern ein keines Straßenfest, das angesichts des schönen Wetters auch während der zweiten Marathonrunde noch voll im Gange ist. Eventuell ist ja auch der eine oder andere ihrer Nachbarn unter den Amersfoortern, die auf der langen Strecke unterwegs sind.

Das Netz aus orangen Wimpel über der Straße hat allerdings weniger mit dem Marathonlauf oder der Freiluftfeier zu tun als vielmehr mit der Fußballweltmeisterschaft, die wenige Tage zuvor begonnen und bereits einen deutlichen Sieg der niederländischen "Elftal" gegen den bis dahin amtierenden Champion aus Spanien erlebt hat. Entsprechend groß ist die Euphorie im Land. Doch vermutlich war der Schmuck auch vorher schon längst angebracht.

Wer hierzulande den Kopf darüber schüttelt, dass wegen dieses Sportereignisses nicht nur überall an oder vor den Häusern Landesflaggen aufgezogen werden, sondern man zudem mit dem Auto auch zuhauf kleine Fähnchen und Spiegelüberzüge in schwarz-rot-gold durch die Gegend fährt, sollte während einer WM der Kicker besser nicht in die Niederlande fahren. Dort sind nämlich gelegentlich ganze Straßenzüge vollständig in "Oranje" getaucht. Und so manches Haus wird fast komplett von Fahnen und Transparenten mit der Aufschrift "Hup, Holland, hup" verdeckt.

In solchen Momenten geht diese alternative Bezeichnung für die Niederlande sogar jenen leicht über die Lippen, die sich ansonsten damit ziemlich schwertun. Denn obwohl fast überall auf der Welt beide Begriffe weitgehend gleichbedeutend verwendet werden, sieht man das zum Beispiel in niederländischen Landesteilen wie Limburg oder Friesland völlig anders. Denn streng genommen ist mit "Holland" nur jenes Gebiet gemeint, die von den Provinzen "Zuid-Holland" und "Noord-Holland" eingenommen wird.

Anfangs bleiben die Marathonis am Ufer des Sees, bevor sie das Gewässer auf einer langen Fußgängerbrücke in der Mitte überqueren

Allerdings entwickelte sich jenes Holland schon bald nach der Unabhängigkeit der Niederlande von den Habsburgern zur wirtschaftlich und politisch absolut dominierenden Region. Und diese Rolle hat es auch bis heute nicht abgegeben, selbst wenn das früher tatsächlich eine Einheit bildende Holland - vielleicht sogar auch um diese Vormachstellung ein wenig zu brechen - in die beiden heutigen Verwaltungsgebiete aufgespalten wurde.

Nicht nur die großen Metropolen Amsterdam und Rotterdam sondern auch der Regierungssitz Den Haag liegen in Holland. Über ein Drittel aller Niederländer lebt dort auf wenig mehr als einem Zehntel der Landesfläche in einem wegen seiner Ringform "Randstad" genannten, immer stärker zusammen wachsenden Ballungsgebiet. Und auch die niederländische Schriftsprache lehnt sich stark an den holländischen Dialekt an.

So wurde der Name anderswo irgendwann zum Synonym für die "Republiek der Zeven Verenigde Provinciën" und später dann für das "Koninkrijk der Nederlanden". Ähnliches kennt man ansonsten hauptsächlich noch von "England", das man zumindest in der gesprochenen Sprache durchaus häufiger einmal mit dem "Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland" gleichsetzt, wobei allerdings den meisten zumindest der Unterschied zu Schottland klar ist.

Und gerade angesichts dieses Vergleiches - das oft eher gespannte Verhältnis von Schotten und Engländern ist ja bekannt - lässt sich der Unmut mancher Niederländer verstehen, wenn sie als "Holländer" bezeichnet werde. Welcher Rheinländer oder Westfale würde sich schon gerne als "Schwabe" oder "Bayer" ansprechen lassen. Von dem gigantischen Fauxpas, einen Bajuwaren mit einem Preußen in einen Topf zu werfen, ganz zu schweigen.

Die Straße wird nur ein klein wenig breiter und schon beginnt neben ihr wieder ein Radweg, auf den man nun erneut einschwenkt. Während die Straße bald darauf an einer Einmündung endet, führt der Fietspad noch einige Meter weiter in einen jener Grünstreifen hinein, die sich immer wieder zwischen den einzelnen Wohngebieten der neuen Stadtteile hindurch ziehen und jene schon erwähnten kreuzungsarmen Pisten für Radler ermöglichen.

Noch bevor sie die nächste Häusergruppe erreicht hat, knickt die Laufstrecke in genau diesen Grünzug nach links, umgeht das Wohngebiet in einem Bogen und stößt erst nach einem knappen halben Kilometer unter schattigen Bäumen wieder auf eine Straße. Nur etwa die Hälfte dieser Distanz braucht es dann noch, um auf ihr zum Bahnhof "Amersfoort Schothorst" zu gelangen, wo man die Gleise in einem Tunnel unterquert.

Das kleine Straßenfest in der "K.P.C. de Bazelstraat" ist hinsichtlich der Stimmung eindeutig einer der Höhepunkte der Strecke Auf den letzten beiden Kilometern führen die Streckenarchitekten die Läufer in die Altstadt hinein, wo nicht nur viele der zum Teil mehrere hundert Jahre alten Gebäude sondern auch das Straßenpflaster aus roten Backsteinen besteht

Jenseits der nach Zwolle führenden Linie kommen die Marathonis, die jetzt ziemlich exakt siebzehn Kilometer ihrer Schleife hinter sich haben, in einem weiteren gewerblich genutzten Gebiet wieder nach oben am Tageslicht. Doch diesmal sind es keine Werks- oder Lagerhallen, die sie zu sehen bekommen. Man läuft in diesem "bedrijventerrein" - mit etwas Phantasie lässt sich in diesem Wort die niederländische Entsprechung zu "Betriebe" erkennen - vielmehr einzig und allein zwischen modernen Bürogebäuden hindurch.

Und erneut sind die Straßenbezeichnungen zum einen recht passend und zum anderen auch ziemlich originell gewählt. Denn der Platz vor dem Bahnhof heißt zum Beispiel "Inputplein", die zu ihm hin führenden Straßen werden "Computerweg", "Monitorweg" oder "Diskettenweg" genannt. In dieser Ecke hat man also Begriffe aus der Welt der EDV als Namenspaten ausgesucht. Ob dies angesichts der Schnelllebigkeit dieser Technik allerdings langfristig wirklich so geschickt war, wird sich noch zeigen. Schon das Wort "Diskette" ist schließlich heute nur noch den Älteren bekannt.

Die Läufer selbst biegen am "Inputplatz" nach rechts in den "Plotterweg" ein, der aber schon an der ersten Ecke sofort wieder links abdreht. Wenige Meter danach schlägt man allerdings noch einen weiteren Haken - nun erneut nach rechts - und steuert damit gleich auf die nächste Bahnunterführung zu. Diesmal geht es unter der von Amersfoort nach Apeldoorn führenden Strecke hindurch.

Die im Bürogebiet kurzzeitig zumindest theoretisch mögliche, in der Praxis an einem Sonntag aber nicht vorhandene Begegnung mit dem Autoverkehr, hat sich damit schon wieder erledigt. Denn auch dieser Tunnel ist wieder Radfahreren und Fußgängern vorbehalten. Und daran ändert sich auch nicht als man nach seiner Durchquerung parallel zur den Schienen einschwenkt. Ein weiterer Fietspad hat die Marathonis nämlich dort aufgenommen.

Bevor er das absolute Zentrum erreicht schwenkt der Marathonkurs parallel zum inneren der beiden Grachtenringe ein, die den Altstadtkern umgeben

Entlang der sich wenig später vereinigenden beiden Bahnstrecken geht es nun beinahe schnurgerade und absolut kreuzungsfrei der Innenstadt entgegen. Inzwischen hat man sich zwar an solche Zweiradschnellpisten eigentlich schon gewöhnt. Dass sie allerdings nicht nur eigene Straßennamen besitzen sondern diese sogar auf entsprechenden Schildern nachzulesen sind erstaunt trotzdem wieder. Dies heißt nach dem nur einige Kilometer von Amersfoort entfernt geborenen Gründer und ersten Gouverneur von Kapstadt "Jan van Riebeeckpad".

Zusammen mit der Eisenbahn setzt der Radweg über eine mehrspurige Umgehungsstraße und einen breiten Wasserlauf hinweg. Selbst wenn dieses Wasser am Ende in ihr landen wird, handelt es sich dabei trotzdem nicht um die Eem, die ihren kurzen Weg - zumindest unter diesem Namen - ohnehin erst in der Nähe des Eemplein beginnt, sondern um den "Valleikanaal", der von Niederrhein nach Amersfoort führt und in einigen Abschnitten die Grenze zwischen den Provinzen Utrecht und Gelderland bildet.

Benannt ist der künstlich angelegten Wasserweg nach dem "Gelderse Vallei", das sich zwischen den Hügelketten "Utrechtse Heuvelrug" und "Hoge Veluwe" erstreckt. Da sich beide Erhebungen allerdings selten näher als zwanzig Kilometer kommen und außerdem nur an wenigen Stellen die Hundert-Meter-Marke übertreffen, muss man wohl wirklich schon Niederländer sein, um in dieser Gegend, zu der auch Amersfoort gehört, ein "Tal" identifizieren zu können.

Hauptzweck dieses Kanals ist keineswegs der Transport von Waren sondern wie so oft in diesem Land die Entwässerung. Nach vielen Jahrhunderten, in denen seine Einwohner Deiche gebaut und Landflächen trockengelegt, Flüsse gestaut und umgeleitet sowie Kanäle gegraben, also kurzum Wasserbau in jeder nur denkbaren Art betrieben haben, lässt sich heutzutage selbst dort, wo eigentlich ausreichend Gefälle vorhanden wäre und keine Pumpen benötigt werden, kaum noch ein wirklich natürliches Gewässer entdecken.

Erst kurz vor Kilometer neunzehn verlässt man die lange, weit einsehbare und deswegen mental nicht unbedingt leichte Gerade entlang der Bahnstrecke. Dass man wegen der Brücke auf ihr zudem auch noch einige Meter Anstieg überwinden muss, macht die Sache keineswegs besser. Aber natürlich entfaltet dieser Abschnitt seine volle psychologische Härte erst auf der zweiten Runde, wo müde Beine und ein in winzige, weit voneinander entfernte Einzelteile zerfallenes Feld als weitere Erschwernis hinzukommen werden.

Doch kann man sich immerhin damit trösten, dass eigentlich erst jetzt der eigentliche Höhepunkt des Kurses bevor steht. Den haben sich die wirklich ziemlich kreativen Streckenplaner nämlich bis zum Ende aufgehoben. Denn auf den letzten beiden Kilometern führen sie die Läufer in die Altstadt hinein und bieten ihnen damit noch einmal ein regelrechtes Feuerwerk von neuen und völlig anderen optischen Eindrücken.

Nachdem der Radweg unter dem Verlust einiger Höhenmeter von der Eisenbahn weg geführt hat und in ein nicht allzu breites Sträßchen eingemündet hat, setzt die Strecke auf einer fast noch schmaleren Brücke erneut über das Wasser. Die mittelalterliche Stadt Amersfoort war nämlich von einem Grachtenring umgeben, für den man die Bäche, die sich in diesem Gebiet zur Eem vereinigen, entsprechend umgeleitet hat, um die Stadtmauern zusätzlich durch einen Graben zu schützen.

Das "Kamperbinnenpoort" gehört zu den optischen Leckerbissen, die den Läufern auf der Innenstadtrunde geboten werden

Während sich dieser äußere Ring im Westen und Süden nur noch anhand des Straßenverlaufes erahnen lässt, ist im Norden und Osten nicht nur das Gewässer sondern auch ein Teil der alten Befestigungsanlage noch gut erhalten. Und natürlich ist der Grüngürtel, der sich auf beiden Seiten des Grabens in einem weiten Bogen um die Altstadt herum zieht, ein ziemlich beliebtes Ziel für Spaziergänger und Läufer.

Statt Neubaugebieten, in denen Wohnblocks mit Flachdächern den Ton angeben und die weiträumig angelegten Straßen in ihrem Verlauf geometrische Muster bilden, wartet jenseits der Gracht eine kurvige Gasse mit alten Giebelhäusern, von denen einige schon etliche Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Nicht nur die Gebäude zeigen den typischen roten Backstein, auch der Straßenbelag besteht aus einem entsprechenden Pflaster.

So pittoresk dieses Sträßchen auch wirken mag, es ist keineswegs eine Ausnahme. Fast alle Gassen im Bereich des alten Stadtkernes sind ähnlich fotogen. Man kann sich einige Stunden durch sie treiben lassen und entdeckt dennoch immer wieder neue Motive in ihren vielen Winkeln. Wobei man mit bei dieser Formulierung allerdings aufpassen muss, von einem Niederländer nicht vollkommen missverstanden zu werden. Bedeutet "winkel" für ihn doch "Geschäft" oder "Laden" während er für das deutsche "winkelig" eher ein "hoekig" benutzen würde.

Während des Marathons bekommt man jedoch nur einen ganz kleinen Teil von ihnen zu Gesicht. Die Kurssetzer haben sich auf einige wenige beschränkt, um den Streckenverlauf nicht gar zu kompliziert zu gestalten. Die übrigen muss man sich vorher oder nachher ansehen. Und bis wirklich hinein ins absolute Zentrum dringt man während des Rennens ohnehin nicht vor. Denn an der nächsten "straathoek" - also "Straßenecke" - schwenkt man nach links in eine Straße, die wenige Schritte später auf eine weitere Gracht trifft und dieser von nun an folgt.

Neben dem äußeren gibt es nämlich noch ein inneres Grabensystem in der Amersfoorter Altstadt. Und dieser Ring ist anders als sein größerer Verwandter auch weiterhin vollständig. Beim Blick auf der Karte erinnert er zudem irgendwie ziemlich stark an die Form eines Apfels. Diese Gracht gehörte zur ersten Stadtmauer, die Anfang des vierzehnten Jahrhunderts fertig gestellt wurde, sich aber schon bald darauf als zu eng heraus stellte. Nur hundert Jahre später baute man dann eine zweite Befestigungsanlage mit größerem Umfang.

Die Reste der alten Mauer wurden jedoch nicht abgetragen sondern meist als Fundament und Rückwand in neue Häuser integriert. Noch heute legen sich diese dicht aneinander klebenden "muurhuizen" in einem nur an wenigen Stellen für Straßen oder Durchgänge unterbrochenen Bogen auf drei Seiten um den Altstadtkern. Auch die wirklich idyllische Gasse, die an ihnen entlang führt und in der die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein scheint, trägt diesen Namen.

Die dank vieler Bäume ziemlich idyllische Gracht bringt die Läufer zum besonders auffälligen und auch besonders alten Wohnhaus "Groot Tinnenburg" (rechts), das den Treffpunkt mehrere Kanäle bewacht

Die Marathonstrecke wählt einen etwas größeren Radius und bleibt auf der Außenseite der Gracht, um nach wenigen hundert Metern auf ein weiteres Überbleibsel der ersten Mauer zu treffen. Das "Kamperbinnenpoort" ist das älteste noch erhaltene Stadttor von Amersfoort und hat - selbst, wenn es sich nicht mehr völlig im Originalzustand befindet, sondern zwischenzeitlich einmal abgebrochene Teile später wieder ergänzt wurden - eine bis in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zurück reichende Geschichte.

Neben dem "Kamperbinnenpoort" gab es in der äußeren Stadtmauer auch ein nicht heute mehr existierendes "Kamperbuitenpoort". Zwischen ihnen dehnte sich "de Kamp" aus, was - selbst wenn im heutigen Niederländisch damit eher ein "Lager" bezeichnet wird - ursprünglich "Feld" oder "Weide" meint und sich auf den dort befindlichen Stadtanger bezieht. Die Bezeichnung ist nun auf die Straße, die beide "poorten" verband, übergegangen. In ihr befindet sich übrigens auch der Laufladen, in dem es am Ende dann doch keine Startnummern für internationale Läufer gab.

Auch hinter dem Tor bleiben die Marathonis direkt neben dem ehemaligen Verteidigungsgraben. Für solch kreisförmig verlaufende, künstlich angelegte Festungskanäle wird in den Niederlanden anstelle von "gracht" zumeist der Begriff "singel" benutzt. Im Gegensatz zu seinem Pendant hat dieses Wörtchen es jedoch nicht in andere Sprachen geschafft. Und mit dem ganz ähnlich ausgesprochenen "Single" ist schon gar nicht verwandt. Aber das deutsche "umzingeln" geht auf die gleichen Wurzeln zurück und macht es vielleicht sogar ein wenig verständlicher.

In etlichen Städten finden sich dann auch Gewässer oder Straßen mit dieser Bezeichnung. So wird das Zentrum von Amsterdam komplett von der "Singelgracht" umgeben, während es weit innerhalb des Ringes außerdem noch eine weitere Gracht gibt, die "Singel" genannt wird und zu einem früheren Zeitpunkt Teil der Befestigungsanlagen der beständig wachsenden Metropole war. Ob in Utrecht, Den Haag, Alkmaar oder Leiden - überall taucht "singel" als Namensbestandteil auf. Und in Rotterdam beginnt und endet der Marathon sogar auf dem "Coolsingel".

Der fast hundert Meter hohe "Onze-Lieve-Vrouwetoren" gibt von vielen Stellen der Stadt einen Orientierungspunkt und ist sogar der zentrale Referenzpunkt für das Koordinatensystem aller niederländischen Landkarten

Auch Amersfoort macht diesbezüglich keine Ausnahme. So trägt die noch immer mit Backsteinen gepflasterte "staat", auf der man nun unterwegs ist, seit dem alten Stadttor den Namen "Zuidsingel", was deswegen ein wenig seltsam erscheint, weil man sich eigentlich im Osten und nicht im Süden des Stadtkernes befindet. Zuvor hatte sie - wohl nach der dort früher ansässigen Berufsgruppe - "Weverssingel" geheißen.

Obwohl die Straße am inneren Singelring recht schmal daher kommt, ist sie im Normallfall für den Autoverkehr freigegeben. Am Marathontag hat man sie aber vollständig für die Läufer gesperrt. Und so tauchen, nachdem sie auf den vielen Radwegen des Mittelteiles kaum benötigt wurden, nun an fast jeder Straßenecke wieder jene leuchtend gelb gekleidete Ordner auf, die sich auf der städtischen Lohnliste finden.

Ein Mofafahrer, den einer von ihnen an der Durchfahrt hindert, fragt erstaunt, was denn da los sei. Der Bursche auf dem "bromfiets" - ein in seiner Bildhaftigkeit ziemlich leicht zu deutender Begriff - hat anscheinend trotz der sicher vielfältigen Informationen im Vorfeld nichts von dem lokalen Großereignis mitbekommen. "Hardlopers" seien das, bekommt gibt der Streckenposten eine genauso bildhafte Antwort. Den bei wörtlicher Übersetzung eher schräg klingenden, aber trotzdem gut verständlichen Begriff hat er sich allerdings keineswegs selbst einfallen lassen.

Vielmehr ist "hardlopen" in den Niederlanden - und zwar nur dort, denn die Flamen begnügen sich mit einem einfachen "lopen" - als Bezeichnung für sportliches Laufen absolut üblich. Sie ermöglicht eine saubere Unterscheidung zum normalen "Gehen", die im Deutschen nicht immer gelingt und in manchen Gesprächssituationen eine zusätzliche Erklärung erfordert. Eher selten bekommt man dagegen "langeafstandsloper" zu hören, was aber vielleicht auch einfach nur daran liegt, dass es ein paar Silben zu viel besitzt.

Als der Zuidsingel dann tatsächlich fast am südlichsten Punkt des Bogens angekommen ist, kreuzt ein anderer Wasserlauf den Graben der alten Stadtmauer im rechten Winkel. Quer durch die Altstadt zieht sich nämlich eine weitere Gracht, die das Zentrum noch einmal in zwei Hälften teilt und gleichzeitig auch die Verbindung zwischen den einzelnen Ringen herstellt. So können Touristen sich in Amersfoort dann auch mit kleinen Ausflugsbooten auf einer Grachtenrundfahrt über die verschiedenen Kanäle schippern lassen.

Von der Brücke hat man einen schönen Blick auf "Groot Tinnenburg", ein besonders auffälliges und auch besonders altes Wohnhaus, das den Treffpunkt der beiden Grachten auf der Stadtseite bewacht. Mit seinem Stufengiebel, den hohen Fenstern und den markanten roten Fensterläden könnte man sich den im fünfzehnten Jahrhundert entstandenen wuchtigen Backsteinbau ohne Probleme auch als Bestandteil einer Ritterburg vorstellen.

Wenig später geht es am markanten Kirchturm, der liebevoll auch der "Lange Jan" genannt wird und dessen Kirche bei einer Explosion zerstört wurde, auch direkt vorbei

In der anderen Richtung wäre es kaum weiter zum Wassertor "Monnikendam", das sich am äußeren Mauerring über die an dieser Stelle aus dem Bach "Heiligenbergerbeek" entstehende Gracht spannt. Wenn sich die Wassergräben nicht nur um die Stadt ziehen sondern auch durch sie hindurch, muss man natürlich auch an ihnen je nach Bedarf den Zugang mit einem solchen "waterpoort" ermöglichen oder eben verhindert. Und so erhebt sich zwischen zwei Türmen eine hohe Mauer über einem kleinen Durchlass, den man mit einem Gitter jederzeit sperren konnte.

Vom inneren Singelring aus betrachtet, ist die die Sicht allerdings durch Bäume und eine leichte Biegung im Kanal stark behindern. Die beste Perspektive auf das Tor, das als eines von nur noch drei "poorten" in Amersfoort die Jahrhunderte überdauert hat, bietet sich von der Außenseite. Die Geräuschkulisse des dort im Rücken des Betrachters auf einer vierspurigen Ringstraße fließenden Verkehrs will zu dem idyllischen Motiv aber irgendwie nicht richtig passen.

Die vielen Kanäle sorgen natürlich dafür, dass es alleine im Stadtkern Dutzende von Brücken gibt. Und gerade in dem Abschnitt der Gracht, in dem die Läufer nun den letzten Kilometer ihrer Runde antreten, spannt sich zu fast jedem zweiten oder dritten der kleinen Gärten, die sich hinter den "muurhuizen" zum baumbestandenen Kanal hin ausdehnen ein privater Fußgängersteg, der den Zugang auch von der Rückseite ermöglicht. Die gesamte Mixtur verleiht der Straße irgendwie einen ziemlich verträumten Charakter.

Am "Varkensmarkt" ändert sich dies ein wenig. Denn zu einen wird aus der schmalen Straße entlang der Gracht ein größerer Platz. Zum anderen wird das Wasser, das man nun schon einen vollen Kilometer lang als ständigen Begleiter neben sich hatte, durch Häuser verdeckt. Und zu allem Überfluss mogelt sich in der Folge nun auch das eine oder andere deutlich modernere Gebäude zwischen die historischen Bauten am Streckenrand.

Der "Ferkelmarkt" ist gut mit Menschen bevölkert. Und dabei es handelt sich keineswegs nur um Zuschauer des Marathons. Die meisten Anwesenden interessieren sich vielmehr recht wenig für die an ihnen vorbei laufenden Sportler. Denn auch am Sonntag sind etliche Geschäfte in der Amersfoorter Innenstadt geöffnet. Und viele Einwohner nutzen das angenehme Wetter deswegen zu einem kleinen Einkaufsbummel.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb es die Streckenarchitekten bei der Runde entlang des Grachtengürtels belassen und ihrem Kurs nicht mit zusätzlichen Schlenkern durch den historischen Stadtkern versehen haben. Vom Ärger, den man sich in solchen Fällen mit den um ihre Einnahmen fürchtenden Geschäftsleuten einhandelt kann, werden schließlich so manche Laufveranstalter ein Lied singen können.

Das Ziel ist eigentlich schon in Hörweite, doch noch wenige hundert Meter bevor man es erreicht, kann man beim Marathon in Amersfoort die Idylle der Altstadt genießen

Das inzwischen "Westsingel" heißende und nach Norden führende Sträßchen passiert wenig später den "Onze-Lieve-Vrouwetoren", der mit seinen fast genau einhundert Metern einer der höchsten Kirchtürme des Landes ist. Als letzter Überrest der gleichnamigen Liebfrauenkirche steht er allerdings ziemlich vereinsamt am Ufer der Gracht herum. Die dazu gehörende Kirche wurde nämlich im Jahr 1787 durch eine Pulverexplosion schwer beschädigt und später abgerissen.

Spätestens seit der Zerstörung der Liebfrauenkirche ist die am zentralen Marktplatz gelegene "Sint-Joriskerk" eindeutig die Hauptkirche der Amersfoorter Altstadt. Sie fällt vor allen Dingen dadurch auf, dass sie nicht nur wie viele andere Gotteshäuser drei Kirchenschiffe hat, sondern sich darüber auch drei nebeneinander liegende Dächer mit gleich hohen Firsten erheben, wie man sie sonst eher von Lagehallen kennt. Auch sind einige Häuser und die Markthalle praktisch direkt an sie angebaut, was ihre eine ziemlich ungewöhnliche Optik verleiht.

Der bei den Einheimischen unter dem Spitznamen "Lange Jan" bekannte "Onze-Lieve-Vrouwetoren" kann noch mit einer anderen Besonderheit aufwarten. Denn wegen der zentralen Lage, die Amersfoort in den Niederlanden hat, und der seinerseits wieder herausragenden Position des Turmes in der Stadt selbst wurde er bereits vor über einem Jahrhundert als der zentrale Referenzpunkt für das Koordinatensystem aller niederländischen Landkarten ausgewählt.

Nur noch zwei- bis dreihundert Meter fehlen zur vollständigen Umrundung der Altstadt, als die Marathonis bei jener Stelle ankommen, an der sich die verschiedenen Grachten des Amersfoorter Zentrums wieder treffen und sich zu jenem Wasserlauf vereinigen, der von nun an den Namen "Eem" tragen wird. Die Strecke schwenkt dort nach links und orientiert sich für die letzten noch fehlenden drei- bis vierhundert Meter an ihrem Ufer.

Auf der dabei durch die Gräben gebildeten Spitze sitzt weithin sichtbar das "Museum Flehite". Dieses historische Museum der Stadt residiert in einem prachtvolles Gebäude aus der Mitte des sechszehnten Jahrhundert, das mit seinen Stufengiebeln und aus Backsteinen in verschieden Farben bestehenden Mauern eindeutig dem Architekturstil der "niederländischen Renaissance" zugeordnet werden kann.

Der Name gibt allerdings über das tatsächliche Verbreitungsgebiet dieser Stilrichtung, die sich klar von der italienischen Renaissance-Ausprägung unterscheidet, einen völlig falschen Eindruck. Zwar liegen ihre Ursprünge wirklich in den heutigen Niederlanden und Flandern, die sich zu jener Zeit gemeinsam mit der Wallonie und Luxemburg als "Spanische Niederlande" unter der Herrschaft der das iberische Königreich regierenden Habsburger befanden.

Die fast vollständige Umrundung der Altstadt findet am "Museum Flehite" (mitte) ihr Ende, von dort an folgt die Strecke der noch ziemlich jungen Eem zum Ziel

Doch im angrenzenden Westen und Norden Deutschlands finden sich ebenfalls entsprechende Bauten. Auch in Skandinavien sind einige der bekanntesten Schlösser wie Gripsholm und Kalmar in Schweden oder Rosenborg, Frederiksborg und Kronborg in Dänemark unverkennbar in diesem Stil errichtet, der - unter anderem durch das weitverzweigte Handelsnetz der Hanse - fast im ganzen Ostseeraum sogar bis ins Baltikum nach Tallinn und Riga aus Verbreitung fand.

Auffällig ist das "Museum Flehite" sicherlich. Doch das unverwechselbarste Bauwerk der Stadt steht den Läufern noch als krönenden Abschluss ihrer Schleife bevor. Denn das Ziel ist längst in Hörweite, als man das "Koppelpoort" passiert. Man tut allen anderen Bauwerken nicht wirklich unrecht, wenn man dieses kombinierte Land- und Wassertor des äußeren Mauerringes zum eindeutigen Wahrzeichen von Amersfoort erhebt.

Links und rechts bewachen Türme die beiden Straßenzugänge, in der Mitte spannt sich ein massives Torhaus über die noch junge Eem. Dennoch - und auch trotz seiner ursprünglichen Aufgabe als Verteidigungsanlage - wirkt es ziemlich elegant und filigran. Von der Außenseite, auf die man dankt der nur einen Steinwurf entfernt vorbei führenden Bahnlinie auch aus dem Zug einen herrlichen Blick werfen kann, hat man beinahe das Gefühl, vor der Miniaturausgabe eines Loire-Schlosses zu stehen.

Bei der Vermutung, dass es seinen Namen bekommen habe, weil Land- und Wassereingang mit ihm "gekoppelt" worden wären, handelt es sich allerdings um einen völligen Trugschluss. Die Erklärung ist ähnlich wie beim Kamperbinnenpoort vielmehr vor der Stadtmauer zu suchen. Denn neben der Eem befand sich einst eine Viehweide, die ja auch hierzulande gelegentlich einmal mit "Koppel" bezeichnet wird. Der Bezeichnung lebt auch im Namen des Wohngebietes "de Koppel" fort, das sich gegenüber des Eemplein im Dreieck von Eem, Valleikanaal und Bahnlinie ausdehnt.

Nur noch unter der Eisenbahn muss man durch tauchen, um wieder am Eemhuis anzukommen, hinter dem die Halbmarathonläufer mit einem letzten Linksschwenk in den Platz hinein ihren Ausflug beenden dürfen, auf dem sie so viele verschiedene Gesichter von Amersfoort erleben konnten. Ob sich Sieger Paul Verkleij bei seinem bereits nach 1:14:17 beendeten Rennen allerdings wirklich viel davon angesehen hat, kann man angesichts seiner Zeit wohl durchaus anzweifeln.

Als krönenden Abschluss der großen Schleife durch Amersfoort haben die Kurssetzer noch das "Koppelpoort", ein kombiniertes Land- und Wassertor eingebaut

Allzu viel Neues dürfte es für ihn allerdings ohnehin nicht zu entdecken gegeben haben. Amersfoort ist für den Tagesschnellsten keineswegs eine große Unbekannte. Denn zum einem stammt er aus der Nachbargemeinde Leusden. Und zum anderen ist Paul Verkleij auch der Gewinner der zum Stadtjubiläum im Jahr 2009 ausgetragenen Marathonpremiere, wobei er damals aber über die lange Distanz erfolgreich war.

Mehr als fünf Minuten läuft Verkleij auf den Zweiten Stefan Leeflang heraus, für den die Uhr erst nach 1:19:24 stehen bleibt. David Claus auf Rang drei landet mit 1:19:55 in den Aufzeichnungen der Zeitnehmer. Bei den Damen ist der Abstand kaum kleiner. Denn hinter Mirte Leloup aus Nijmegen, die in 1:28:38 als erste ins Ziel kommt, klaffen ebenfalls fast fünf Minuten zu der mit 1:33:20 gestoppten Simone Gouw. Gegenüber ihrer 1:34:03 laufenden Vereinskameradin Cindy van der Avoort holt sie sogar noch mehr heraus.

Während die meisten Teilnehmer nach einundzwanzig Kilometern ins Ziel laufen, treten die Marathonis ihre zweite Runde an, die sich auf den ersten Metern ein wenig vom Anfang des Rennens unterscheidet. Denn diesmal bleibt man auf dem sich am Ufer entlang ziehenden Radweg und läuft dabei am kleinen "Eemhaven" vorbei, in dem einige Schiffe vor sich hin dümpeln. Doch nachdem man die einzige nur einmal angesteuerte Verpflegungsstelle passiert hat, ist man schnell wieder im schon bekannten Industriegebiet gelandet.

Noch bevor die letzten Halbdistanzler ins Ziel trudeln, sind die schnellsten Marathonmänner dann bereits von ihrer zweiten Schleife durch Amersfoort zurück. Und sie machen den Ausgang ihres Rennens auch deutlich spannender als ihre nur eine Runde laufenden Gegenstücke zuvor. Innerhalb von gerade einmal zweiundsiebzig Sekunden sind nämlich alle drei Plätze auf dem Treppchen verteilt.

Am Ende hat der bereits sechsundvierzig Jahre alte frühere Triathlet Jan van der Marel in 2:48:34 die Nase vorn. In den Neunzigern gehörte er zur absoluten Weltspitze der Ausdauerdreikämpfer, zuletzt hat er aber hauptsächlich durch Erfolge bei Laufveranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht. Mit Rik Wolfswinkel (2:49:35) und dem bereits neunundvierzig Jahre alten Sieger der letzten Marathon-Auflage Han Wolsing (2:49:46) folgen zwei Amersfoorter Lokalmatadoren auf den Rängen zwei und drei.

Das absolute Kontrastprogramm dazu liefern die Frauen. Denn dort drängeln sich auf den Spitzenplätzen mehr internationale Gäste als Einheimische. Der erste Platz geht 3:28:48 an die aus London angereiste Britin Charlotte Smith, der zweite nach 3:36:28 an die in der V50 startende Lisa Oyen aus Alameda in Kalifornien. Und Donna Caruana aus dem australischen Heidelberg kommt mit 3:39:37 dazu noch als Fünfte ins Ziel. Dazwischen halten Christl Foekema (3:38:18) und Diane Rimann (3:38:31) das niederländische Fähnchen zumindest ein bisschen hoch.

Ob auf oder neben der Strecke … zum Feiern gibt es beim Amersfoorter Marathon verschiedenste Gründe
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Damit sind allerdings schon beinahe ein Drittel aller weilblichen Teilnehmer am Marathon aufgezählt. Denn während auf der Halbmarathonstrecke die Frauenquote bei rund dreißig Prozent liegt, bekommen auf der doppelt so langen Strecke nicht mehr als siebzehn Läuferinnen im Ziel ihre Medaille umgehängt. Verglichen mit dem Frauenüberschuss auf der Fünf-Kilometer-Distanz stellt dieses ungefähre Zehntel des Feldes schon ein gewaltiges Gefälle dar.

Ähnliches lässt sich bei Rennen dieser Größe allerdings durchaus häufiger entdecken. Doch zumindest hat man diesbezüglich noch ein gewisses Wachstumspotential. Wobei allerdings kaum damit zu rechnen ist, dass sich der Amersfoorter Marathon zu einem international beachteten Großereignis entwickeln wird. Aber vielleicht wäre das angesichts der entspannt-gemütlichen Atmosphäre, die diese Veranstaltung in ihrer jetzigen Form ausstrahlt, sogar ein Rückschritt.

Genauso wenig darf man wohl erwarten, dass Amersfoort durch diesen Lauf hierzulande wirklich einen höheren Bekanntheitsgrad bekommen könnte. Doch vielleicht wird der eine oder andere Ausdauersportler beim Hören dieses Namens irgendwann doch einmal wie auf die Nennung von "Apeldoorn" reagieren. "Da gibt es doch einen Marathon……". Es wäre den Organisatoren sogar ein wenig zu wünschen. Denn die läuferische Begegnung mit dieser großen Unbekannten ist durchaus reizvoll.

Bericht und Fotos von Ralf Klink

Info & Ergebnisse www.marathonamersfoort.nl

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