Henry Wanyoike will 2010 seinen Weltrekord angreifen

Weltbester blinder Langstreckenläufer startet bei 3 deutschen Halbmarathons

Trainingsaufenthalt an der Bergstrasse - Betreut durch CBM-SSG-Mitterle

von Axel Künkeler im Mai 2009

Bis zu seinem 26. Lebensjahr war er ein Nobody, aufgewachsen in den Slums Kikuyus nahe der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Doch bei den Paralympics 2000 in Sydney wurde aus dem ‚Zero ein Hero'. Henry Wanyoike ist nach dem Gewinn der Goldmedaille über 5000m, bei dem er seinen an Malaria erkrankten Guide in der letzten Stadionrunde bis ins Ziel zog, zumindest in Läuferkreisen kein Unbekannter mehr. Und seitdem Bengt Pflughaupt neben dieser legendären Story gleich die ganze Lebensgeschichte des blinden Läufers in dem Buch ‚Mein langer Lauf ins Licht' (siehe Buchbesprechung im LaufReport HIER) erzählt hat, ist Henry Wanyoike auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Der schnellste blinde Marathonmann, der 35-jährige Kenianer Henry Wanyoike mit seinem Laufbegleiter Joseph Kibunja Gachuhi (li.) Siegerehrung 10.000 m Paralympics Trainingslauf an der Bergstraße bei Bensheim

Um den zahlreichen Porträts nicht noch ein weiteres hinzuzufügen, hier nur einige Eckdaten: am 10. Mai 1974 in Kikuyu (Kenia) geboren, verliert Henry bereits früh seinen Vater. Im Alter von zehn Jahren gewinnt er seinen ersten 10.000m-Lauf, doch nicht nur seine sportliche Perspektive, sein ganzer Lebensmut scheint dahin als er mit 20 wirklich über Nacht erblindet. Mit Hilfe der deutschen Christoffel-Blindenmission (CBM) findet er den Weg zurück ins Leben und entdeckt auch wieder sein läuferisches Talent. Nach dem ersten Olympiasieg bei den Paralympics in Sydney 2000 gewinnt Henry in Athen 2004 erneut Gold über 5000 Meter (15:11,07min.) sowie auf der 10.000-Meterstrecke (31:37,25min.) - jeweils in Weltrekordzeit. Noch im gleichen Jahr läuft er in Hongkong Weltrekord im Halbmarathon (1:10:26h) sowie im April 2005 in Hamburg auf der klassischen Marathon-Distanz (2:31:31h).

Ein schwerer Autounfall im Frühjahr 2008 wirft Henry Wanyoike jedoch erneut aus der Bahn. Mit seinem Lebensmotto "Hinfallen und wieder aufstehen" findet er in die Weltspitze zurück, gewinnt bei den Paralympics Peking 2008 die Bronzemedaille über 5000 Meter. Zu wenig für einen wie Henry Wanyoike, der weiß, dass er mehr leisten kann. Deshalb bereitet er sich nach dem Rückschlag dieses Jahr gezielt auf weitere Höchstleistungen vor. "2010 will ich meinen eigenen Marathon-Weltrekord angreifen", erzählt er uns im Gespräch. Dabei hilft ihm die in Bensheim/Bergstrasse ansässige CBM, in deren Augenzentrum in Kikuyu Henry unmittelbar nach seiner Erblindung Anfang Mai 1995 mit Rehabilitations-Training und einer beruflichen Ausbildung wieder den Neustart schaffte.

Training am Strand Henry Wanyoike in Frankfurt Laufen in Afrika

Derzeit hält sich der schnelle Kenianer zusammen mit seinem Guide Joseph Kibunja Gachuhi auf Einladung der CBM zu einem dreiwöchigen Trainingsaufenthalt in Deutschland auf. Das Bensheimer Gästehaus der Blindenmission, die auch die Flugkosten übernommen hat, ist der Stützpunkt für die beiden Kenianer. Im Gegensatz zu den Nicht-Blinden Weltklasseläufern bekommt Wanyoike nur sehr bescheidene Antrittsgelder. Nicht fünfstellige Gagen, sondern Prämien im untersten vierstelligen Bereich, sind für ihn Realität. Dabei bietet Wanyoike das, was Veranstalter und Sponsoren doch immer fordern: absolute Top-Leistungen gepaart mit einem Harry-Belafonte-Lächeln und einer emotional bewegenden Story.

So sind Wanyoike und Gachuhi - der Guide, der mit 1:03h im Halbmarathon ebenfalls eine absolute Top-Zeit aufweist - noch stärker auf Sponsoren angewiesen. Die beiden Topläufer nutzen die Zeit an der Bergstrasse nicht nur zum täglichen Lauftraining, das sie teilweise mit den Bensheimer Triathleten absolvieren, sondern auch für Sponsorentermine. Henry ist für die CBM als Botschafter unterwegs, um mit seinem Beispiel anderen Menschen Mut zu machen. An einer Schule erzählt er seine bewegende Lebensgeschichte und zeigt, wie man auch mit einer Behinderung Erfolg und Anerkennung haben kann.

Der schnellste blinde Marathonmann, der 35-jährige Kenianer Henry Wanyoike mit seinem Laufbegleiter Joseph Kibunja Gachuhi (li.) Das Team bei Kilometer 17 des MLP Marathon Mannheim Rhein-Neckar

Thomas Schmitz (SSG Trias Bensheim) hat den beiden Kenianern den Kontakt zu Mathias Mitterle hergestellt. Vom Expertenteam des Bensheimer Laufshops ‚Movecontrol by Mitterle' wurden Wanyoike und Gachuhi gleich mit neuen Laufschuhen ausgestattet. Zudem konnten die beiden im Mitterle-Laufshop bei Diplom-Sportwissenschaftler Benjamin Köhler auf dem Laufband eine Bewegungsanalyse absolvieren.

Neben den hervorragenden Trainingsbedingungen an der Bergstrasse nutzt Henry Wanyoike den Deutschland-Aufenthalt, um mit seinem Laufbegleiter Joseph Kibunja Gachuhi bei drei Halbmarathons an den Start zu gehen: in Bonn, Mannheim und Essen. Dass die Formkurve nach der verletzungsbedingten Pause 2008 bereits wieder deutlich nach oben zeigt, konnte Henry Wanyoike gleich zum Auftakt in Bonn beweisen. Beim RheinEnergie Marathon am 26. April kam der Kenianer über die Halbmarathonstrecke nach 1:14:58 Stunden ins Ziel. Unter 5.000 Teilnehmer/innen bedeutete dies Rang 6. Wanyoike: "Über die Zeit habe ich mich sehr gefreut. Ich bin wieder auf dem Weg zu meinen besten Zeiten."

Den Schuh fühlen: Der blinde Weltklasseläufer Henry Wanyoike prüft mit seinem Tastsinn die Qualität des neuen Laufschuhs, mit dem er im Bensheimer Laufshop Mitterle ausgerüstet wurde Henry Wanyoike mal ohne Guide: Bewegungsanalyse auf dem Laufband Weltklasse trainiert und gesponsert in Bensheim: Auf Einladung der Christoffel-Blinden-Mission trainiert der schnellste blinde Langstreckenläufer Henry Wanyoike (2. v. l.) mit dem Guide Joseph Kibunja Gachuhi (2. v. r.) derzeit in Deutschland. Betreut werden die Beiden von Thomas Schmitz (SSG Bensheim/Mitte), Dipl.-Sportwissenschaftler Benjamin Köhler (l.) vom Laufshop Mitterle und Mathias Mitterle (r.)

Eine Woche später ließ er es im Rahmen des MLP Mannheim-Marathons etwas langsamer angehen. Bereits 2008 war Henry dort gemeldet. Aber die Folgen seines Autounfalls machten ihm damals einen Strich durch die Rechnung. Einen Tag vor seinem 35. Geburtstag belegte er nun in 1:19:27 Stunden Rang 9 im Gesamtklassement der 4224 Halbmarathonis und wurde 3. der Altersklasse M35. Damit gehörten ihm auch die Herzen der Mannheimer Zuschauer, denn Wanyoike hat wieder einmal seine Klasse als der ‚schnellste blinde Marathonmann der Welt' unter Beweis gestellt. Im Ziel am Mannheimer Rosengarten war Wanyoike "sehr zufrieden mit der Zeit." Die Fans auf der Strecke hätten ihn lautstark angefeuert und motiviert. Auch die Organisation und die schnelle Strecke lobte er: "Hier macht es richtig Spaß zu laufen. 2010 komme ich bestimmt wieder. Dann laufe ich aber die volle Distanz".

Da Wanyoike nächstes Jahr seinen eigenen Marathon-Weltrekord verbessern will, erlebt der Mannheim-Marathon dann vielleicht erstmals die Aufstellung eines Weltrekords. Und auch in Bensheim macht man sich Hoffnung, dass der schnelle Kenianer mal beim ‚Jog and Rock'-Halbmarathon an den Start geht. "Wir denken darüber nach", lässt man bei der CBM durchblicken. Die Laufsportfreunde in Deutschland dürfen sich also auf ein Wiedersehen mit dem blinden Weltklasse-Athleten Henry Wanyoike freuen.

Das Porträt von Henry Wanyoike erstellte: Axel Künkeler
Fotos: Axel Künkeler, Walter Wagner, privat

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