Porträt: Hans Schweitzer

Verein: LC Michelstadt

"So einen Verrückten können wir gut gebrauchen"

Ohne Laufsport wäre Hans Schweitzer heute nicht mehr am Leben

erstellt von Reinhold Daab im Oktober 2011 - Fotos © Thomas Zöller, Reinhold Daab und privat

Rasant und außergewöhnlich, mit diesen Attributen kann man die fast 30 Jahre andauernde sportliche Karriere von Hans Schweitzer am besten umschreiben. Andere brauchen dafür ein ganzes Läuferleben, er erledigte das ganz auf seine spezielle Art mal schnell innerhalb von fünf Monaten. "Ich habe ein bisschen chaotisch angefangen", sagt er selbst über den Beginn seiner überaus erfolgreichen Zeit als Läufer. Aber der Reihe nach.

Hans Schweitzer legt großen Wert darauf, ein waschechter "Stockheimer" zu sein. In dem Michelstädter Stadtteil wurde er 1956 geboren, verbrachte sein ganzes Leben dort und wohnt seit etwa zehn Jahren zusammen mit seiner Ehefrau Brigitte wieder in dem Haus, in dem er groß geworden ist. Der Maschinenbauingenieur ist seit 1986 selbständig und erstellt Festigkeitsberechnungen für die Industrie.

In seiner Kindheit waren Hunde sein großes Hobby, von seinem Vater lernte der "kleine Hans", wie man sie ausbildet, mit zwölf Jahren bekam er seinen ersten eigenen Hund. Nach Fertigstellung der neuen Sporthalle spielte er eine Zeit lang Volleyball.

Zum Laufen kam Hans Schweitzer 1982 eher zufällig durch eine Wette. Wieder so eine verrückte Geschichte, die aber typisch für ihn ist. Völlig untrainiert und unvorbereitet nahm er damals am "Karwendelmarsch" über 52 km von Scharnitz nach Pertisau teil. "Ich bin halt bergauf gegangen und runter gerannt". Das machte ihm solchen Spaß, dass er dieses Vergnügen in den nächsten zwei Jahren wiederholte, natürlich ohne große Vorbereitung, nur ab und zu mal rannte er mit dem Hund fünf Kilometer durch den Wald.

 

Laufanfänge

 

Im September 1984 wurde er angesprochen, dass man "so einen Verrückten" beim VfL Michelstadt gut gebrauchen könne, er solle doch mal zum Training kommen. Hans nahm das Angebot dankbar an und trainierte von da an täglich. Bereits ein halbes Jahr später, im Februar 1985, bestritt er im Alter von 28 Jahren in Neckarelz seinen allerersten Wettkampf. Dass in ihm ein Naturtalent schlummerte, war schnell klar und wurde durch seine Zeit eindrucksvoll dokumentiert: 1:35 Std. über 25 km.

Aber danach wurde es erst so richtig chaotisch, die Aufzählung der weiteren Stationen klingt heute schier unglaublich: Im April folgte bereits der erste Marathon in Kaiserslautern (2:54:55 Std.), danach Wolfskehlen (10 km), Schwanheim (25 km) Marathon in Frankfurt (2:40 Std.) und, als ob das nicht schon verrückt genug gewesen wäre, setzte er im Juni noch die 100 km von Biel oben drauf.

Hans Schweitzer (li.) 1986 in Stuttgart

"Die sind halt alle da hin, da bin ich einfach mit", brachte Hans seinen Laufeinstieg, der extremer und exzessiver kaum hätte sein können, auf einen einfachen Nenner. "Wir waren damals schon etwas bekloppt".

Seine bis heute anhaltende Leidenschaft für Bergläufe führte ihn 1989 erstmals nach Davos. Bei der Marathonmesse in Frankfurt zeigte der Veranstalter ein Video, das sein langjähriger Lauffreund Werner Lannert so kommentierte: "Guck mal Hans, da müssen wir hin". So wurde der Swiss Alpine-Marathon in Davos zu seiner großen Leidenschaft, bis heute hat er fast an jedem Lauf teilgenommen. Seine beste Platzierung, den 10. Platz im Jahre 1990, bezeichnet Hans Schweitzer dann auch als den Höhepunkt seiner Laufkarriere. "Es war ein unglaubliches Erlebnis, so viele bekannte Größen hinter sich zu lassen". Später verbanden Hans und Brigitte den Aufenthalt in Davos oft mit einem erholsamen Urlaub in den Bergen.

Swiss Alpine 2006 Swiss Alpine 2000 Swiss Alpine 1990

 

In Südhessen gibt es wohl kaum eine Veranstaltung, die Hans Schweitzer in seiner langen Karriere nicht schon gewonnen hat. Nur beim Bienenmarktlauf in seiner Heimatstadt Michelstadt war ihm bei mehreren Starts kein Sieg vergönnt. Legendär sind seine Duelle mit Gerhard Putz, der die Laufschuhe vor einigen Jahren an den Nagel gehängt hat. Etwa 80 Marathons, ganz genau weiß er das nicht, hat Hans Schweitzer auf seinem Konto.

Seine Bestzeit hat er 1995 beim hanse-Marathon in Hamburg mit 2:26:24 Std. erzielt, womit er noch heute auf Platz 86 der HLV-Bestenliste rangiert. Gerade mal eine Minute liegt zwischen seinen sieben schnellsten Marathonläufen, die er innerhalb von 6 Jahren absolviert hat. "Ich wollte lieber schnell laufen als oft".


So extrem sein Leben im sportlichen Bereich bis zum Herbst 2004 verlief, so dramatisch waren dann die folgenden Monate. Drei Tage nach dem Marathon in Frankfurt, bei dem Hans Schweitzer M45-Hessenmeister wurde, war er schon wieder in Frankfurt, nur diesmal unter tragischen Umständen. Beim Baumfällen im eigenen Wald brach ein Baum in etwa 5-6 Metern Höhe auseinander und ein Teil fiel auf ihn. Er stürzte, stand wieder auf, sackte dann aber sofort ohnmächtig zusammen. Seine Mutter, die ihn begleitet hatte ("ich war niemals alleine im Wald") alarmierte Waldarbeiter in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle. Mit dem Hubschrauber wurde er in die Uniklinik nach Frankfurt gebracht. Die Diagnose war niederschmetternd und liest sich wie ein Horrorszenario: Leberriss, Lungenriss, Milzriss, 18 Rippen gebrochen und zwei Brustwirbel angeknackst, dazu noch ein Stück Darm porös. Hans wurde sofort in ein künstliches Koma versetzt und operiert.

"Als ich nach 14 Tagen aufwachte und merkte, dass ich nicht mehr im Wald lag sondern im Krankenhausbett, wusste ich, dass alles gut wird", waren seine ersten Gedanken. Etwa 3-4 Wochen lang war sein Zustand noch sehr kritisch, ohne dass ihn die Ärzte oder seine Frau, die ihn zusammen mit seinen Lauffreunden jeden Tag besuchte, über den tatsächlichen Ernst der Lage informierten. "Der Sport hat Ihnen das Leben gerettet", so die Aussage der behandelnden Ärzte, die sich zunächst auch große Sorgen um seinen niedrigen Ruhepuls gemacht hatten, von der Ehefrau aber aufgeklärt wurden, dass der durch den Sport bei ihm normal sei. Seinem starken Herzen und dem stabilen Kreislauf, antrainiert durch viele Jahre Laufsport, hat Hans Schweitzer zu verdanken, dass er diesen schlimmen Unfall überlebt hat.

Frankfurt Marathon 2007 Reichelsheim Michelsmarktlauf 2010 Reichelsheim Michelsmarktlauf 2009

An Heiligabend 2004, fast drei Monate nach dem Unfall, wurde er aus dem Krankenhaus entlassen und legte seine ersten Schritte auf Krücken zurück. "Die Muskulatur war zunächst völlig weg, ich konnte nicht mal einen Stift halten". Für einen Kämpfer wie ihn war das aber alles kein Problem. Hans haderte nicht mit seinem Schicksal, schon nach drei Tagen legte er die Krücken zur Seite und baute durch regelmäßige Übungen die Muskulatur langsam wieder auf. Selbst die Krankengymnastin war erstaunt: "So schnell ist das noch bei keinem gegangen".

Nachdem er sich im Februar als Folge seiner Verletzungen noch einer Knie OP unterziehen musste, begann Hans am 28.4.2005, noch kein halbes Jahr nach seinem schweren Unfall, wieder mit dem Lauftraining. Natürlich täglich, wie es sich für einen echten Stockheimer gehört. An Pfingsten absolvierte er in Momart bereits den ersten Wettkampf in für ihn "unterirdischen 54 Minuten". Aber Zeiten waren bei seiner Vorgeschichte zunächst völlig egal - viel wichtiger war, er war wieder dabei!

Offenbach Mainuferlauf 2011 Uli Amborn und Hans Schweitzer 1995 Zermatt Marathon 2007

Im Sommer 2005 ging es in den Urlaub nach Davos, und natürlich nahm er dort an seinem geliebten "Swiss Alpine-Marathon" teil. Die Kraft reichte jedoch zunächst "nur" für die Halbmarathondistanz. Wer Hans Schweitzer kennt, wundert sich nicht mehr darüber, dass er im gleichen Jahr auch noch den Jungfraumarathon (4:37 Std.) und im Oktober den Frankfurt Marathon folgen ließ, den er genau ein Jahr nach seinem Unfall in nahezu unglaublichen 3:08 Std. bewältigte. Ein Jahr später sogar schon wieder unter drei Stunden.

 

Nachdem Hans sich nach dem Unfall auf der Marathondistanz wieder auf 2:52 Std. und über 10 km auf 37:57 min. gesteigert hatte, wurde er nicht mehr schneller. Er war unzufrieden und frage die Ärzte, die bei den jährlichen Routinekontrollen seine Marathonzeiten fein säuberlich in seiner Krankenakte notiert hatten, woran das liegen könne: "Was wollen Sie eigentlich? Sie könnten tot sein oder im Rollstuhl sitzen, stattdessen laufen Sie Marathon unter drei Stunden!". Aber die Ärzte gaben ihm auch eine Erklärung: Während der Zeit im Koma sind Muskelfasern abgestorben, die sich nicht mehr erneuerten, daher war die Leistungsfähigkeit eingeschränkt.

Erkennungsmerkmal "kurze Hosen" - Hans Schweitzer trug diese selbstverständlich auch beim sehr winterlichen Adventslauf in Reichelsheim 2010

Auf meine Frage, ob ihn der Unfall verändert habe, antwortete Hans auf seine für ihn typische Art: "Mir ging es vor dem Unfall gut und mir geht es jetzt auch wieder gut. Ich habe keinen Fehler gemacht, der Unfall war Schicksal und deshalb gehe ich auch wieder in den Wald".

Getreu seinem Motto "möglichst langsam langsamer werden" wird der unermüdliche Kämpfer Hans Schweitzer der Laufwelt weiter zeigen, was ein "Stockheimer" leisten kann.

Bestzeiten:
5.000 m
15:45,1 min
1988 Rimbach
10 km
31:53 min
1990 Griesheim
21,1 km
1:10:53 h
1992 Frankfurt
25 km
1:24:30 h
1991 Jügesheim
Marathon
2:26:24 h
1995 Hamburg
Jungfrau-Marathon
3:22:16 h
1997 Interlaken
50 km
3:16:51 h
1997 Eschollbrücken
65 km Rennsteiglauf
4:46:25 h
1992 Schmiedefeld
78,5 km Swiss Alpine
6:38:30 h
1998 Davos
100 km
7:25:24 h
1997 Biel

Das Porträt von Hans Schweiter erstellte: Reinhold Daab
Fotos © Thoms Zöller, Reinhold Daab & privat

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