Winfried Schmidt

Mit eisernem Willen auf Rekordjagd

von Christian Werth im Januar 2016

"Da kommt der Ehrgeiz", kündigte man ihn schon zu einstigen Fußballer-Zeiten an. Doch auch nach seinem Umstieg vom Bolzplatz auf die Leichtathletikbahn hat Winfried Schmidt nichts von seinem ausgeprägten Ehrgeiz verloren. Ganz im Gegenteil: Der 66-Jährige dürstet nach weiteren Titeln und Rekorden. "Ich bin ein eitler Perfektionist", sagt der Kölner über sich selbst. Mit ausgeprägter Akribie und Trainingsfleiß überlässt er nichts dem Zufall. Neue Rekordversuche werden generalstabsmäßig geplant. "Die fallen nun mal nicht einfach so von den Bäumen", stellt der Ehrgeizling fest. "Furchtbar", schießt es aus seiner Frau Renate heraus. "Teilweise bis spät in die Nacht sitzt er über seinen Trainingsaufzeichnungen und Laufstatistiken", erzählt sie. Vor wichtigen Wettkämpfen sei er extrem angespannt, könne vor Nervosität häufig kaum schlafen und verstecke sich bis kurz vorm Startschuss, verraten die beiden. Dennoch kann er auf breite Unterstützung bauen, wird vor wichtigen Läufen stets von seiner Frau, der gemeinsamen Tochter Stephanie und deren Mann tatkräftig unterstützt.

Akribischste Rennvorbereitungen wie Unterkunftssuche, Getränkepostierung und penibles Streckenstudium gehören dann zu den Helferdiensten der Schmidt-Eskorte. Das Laufen ist längst zur Familienangelegenheit geworden. "Als Winfried kurz vor einem Lauf immer noch nicht an der Startlinie stand, bin ich kurzerhand einfach vor dem Feld herspaziert und hab dadurch den Start verzögert, sodass er es dann doch noch geschafft hat", fällt der treuen Ehefrau, die er 1971 beim Kölner Karneval kennengelernt hat, spontan eine Anekdote ein.

 

Auch die Laufkameraden vom TuS Köln rechtsrheinisch, darunter Trainingspartner Heinz Lorbach, begleiten den Vorzeigeathleten häufig zu Meisterschaften, treiben den Dauerbrenner mit lautstarker Anfeuerung zu Höchstleistungen. Im Wettkampf kann sich Schmidt quälen wie kaum ein anderer; der Ehrgeiz steht ihm dann förmlich ins Gesicht geschrieben. "Ich habe noch nie einen Wettkampf aufgegeben, laufe grundsätzlich immer zu Ende, auch wenn es mal nicht zu einem Rekord reicht", merkt Schmidt an. Auch der Trainingsfleiß des 66-Jährigen, der mit dem "Fort 12" sein Trainingsgebiet unmittelbar vor der Haustür hat, ist beachtlich. Bei insgesamt 100 km trainiert er durchschnittlich zehnmal pro Woche, davon zwei Tempoeinheiten. An Wochenenden stehen regelmäßig Testwettkämpfe in der Umgebung auf dem Programm. Der 1,73 m große und 65 kg schwere "Lauf-Fanatiker" profitiert nach wie vor von seiner ausgeprägten Grundschnelligkeit und läuft den Kilometer immer noch um 3:10 Minuten.

Große Erfolge trotz Späteinstieg
Trotz aller Erfolge ist Schmidt ein Späteinsteiger, kam erst 1998 mit 49 Jahren zum Laufsport. Der gebürtige Olpener widmete sich lange dem Fußball, brachte es als Kicker des RS Horrem bis in die höchste Amateurklasse. Schon damals galt er als Laufwunder, war bekannt für herausragende Ausdauer und einen besonderen Antritt. Nach einer Lehre als Konditor studierte er in Bonn Ernährungswissenschaften, fing später im elterlichen Bäckerei-Betrieb an, den er seit 1980 führt. Dass er die Fußball- schließlich gegen die Laufschuhe eintauschte, war einer Knieverletzung geschuldet. Die machte das weitere Spiel mit dem Ball undenkbar, ließ allerdings Lauftraining zu. So wurde er 1998 spontan von Jürgen Meyer, Geschäftsführer beim TuS Köln rechtsrheinisch, angesprochen, doch mal zum Lauftraining zu kommen. Der damalige M50er kam und lief zum Erstaunen aller ohne jegliches Training auf Anhieb 10:36 Min über 3.000 m. Nach einmonatigem Training erzielte er dann schon 9:36 Minuten, sodass man sich nun regelrecht um den talentierten "Seniorennachwuchs" riss. Er heuerte schließlich beim TuS an, begann nun unter Coach Günter Kuxdorf ambitioniert zu trainieren und feierte schon bald erste Erfolge im Crosslauf und als Mittelstreckler.

 

Zur deutschen Spitzenklasse zählte er schon fünf Jahre später ab Eintritt in die M55. Schon damals trainierte er überwiegend mit jüngeren Athleten, was bis heute so geblieben ist. Seinen ersten internationalen Erfolg feierte er 2001 bei der Hallen-EM in Bordeaux, wo er in der M50 über 1.500 m auf Anhieb Gold holte. Trotz relativ weniger internationaler Teilnahmen bringt er es inzwischen auf zehn EM-Titel und sechs WM-Medaillen, davon Gold bei der Hallen-WM 2004 in Sindelfingen über 3.000 m und im Vorjahr bei der Crosslauf-WM in Budapest. Den ersten von aktuell 55 deutschen Meistertiteln errang er 2002 im Crosslauf. Inzwischen hat es der Überflieger auf 14 deutsche Rekorde gebracht, davon sechs in der M60 und sieben in der M65. Die 10 km sind zu seiner Spezialdisziplin geworden. Hier kann er 32:49 min in der M50, 33:15 min in der M55 und 34:15 min in der M60 vorweisen.

Doch bleibt auch Schmidt nicht von Verletzungen verschont und musste schon häufig den Preis für Übertraining bezahlen. Auch nach zahlreichen Rückschlägen wie mehreren Muskelfaserrissen, Achillessehnenriss und Leistenoperation gab er nicht auf, obwohl er mehrfach wieder komplett bei Null anfangen musste.

"Ich wollte schon aufhören"
Neben dem letztjährigen Weltmeister-Titel von Ungarn, zu dem auch eine Bronzemedaille über 3.000 m in der Halle kam, ist sicherlich der heimische Bayer-Kreuz-Lauf 2013 über 10 km zu den Glanzlichtern seiner neuen Altersklasse zu zählen. Bei diesem Lauf, der nur zwei Kilometer von seinem Wohnsitz in Köln-Flittard entfernt liegt, rannte der Titelsammler zu grandiosen 35:27 min und pulverisierte damit den deutschen M65-Rekord. Da Schmidt jedoch erst im Dezember 65 Jahre alt geworden war, ist diese Zeit nicht international als M65-Rekord anerkannt worden und wäre sonst zugleich Weltrekord gewesen. Schmidt kritisiert hierzu, dass DLV- und internationale Alterseinteilung nicht identisch seien, ist sich jedoch auch des Vorteils bewusst, dass er sein Hauptaugenmerk so stets auf zwei Jahre legen kann. Der Eintritt in die M65 war alles andere als leicht für den willensstarken Kämpfer.

Nach seiner umstrittenen Disqualifikation bei der Halbmarathon-DM 2013 in Refrath, bei dem ihm nach seinem vermeintlichen Sieg in 1:19:50 Stunden unerlaubte Begleitung vorgeworfen und sein souveräner Meisterschaftstitel nachträglich aberkannt wurde, wollte er schon ganz aufhören und war mental völlig am Boden. "Der Willkür eines einzelnen Kampfrichters ausgesetzt zu sein und solch eine Ungerechtigkeit zu erfahren, ist für mich unerträglich", ist Schmidt heute noch konsterniert über die fragwürdige DLV-Entscheidung. Nach jeder Menge Überredungskunst der Kölner Läuferzunft hatte er sich schließlich doch zum Weitermachen entschieden und wollte letztlich auch für seine vielen Mitstreiter nicht aufgeben. Ebenfalls 2013 musste der Seniorenathlet dann den tragischen Tod seines langjährigen Trainers und Freundes Günter Kuxdorf beklagen, der während einer gemeinsamen Trainingseinheit im Königsforst zusammengebrochen war. Auch für ihn macht Schmidt weiter und trainiert nun unter Lars Jucken.

 

In Frankfurt zum zweiten Marathon-Titel
Trotz aller Rückschläge schnappte sich der damals 66-Jährige nur kurze Zeit später konkurrenzlos die DM-Titel über 1.500, 5.000 und 10.000 m und ließ auf sämtlichen Distanzen zudem deutsche M65-Rekorde folgen. Im September 2014 kamen mit dem klaren 10-km-Sieg von Bobingen und der Berglauf-DM in Bergen zwei weitere Meistertitel hinzu. Für letzteren begab sich der Titelsammler auf ungewohntes Terrain, meisterte seine Berglauf-Premiere mit Bravour. Weiter 2014 gelang Schmidt dann der lange ersehnte, erste DM-Titel auf der Marathon-Strecke. Mit dieser Distanz stand er viele Jahre auf Kriegsfuß und kam bei zuvor erst vier Marathon-Teilnahmen nicht über vergleichsweise schwache 2:44:18 Stunden aus dem Jahr 2009 hinaus. Mit 2:51:57 Stunden siegte er in München mit mehr als 24 Minuten Vorsprung, verpasste jedoch trotz verheißungsvoller Zwischenzeiten sein heimliches Ziel, den deutschen Rekord Walter Kochs von 2:47:41 Stunden zu unterbieten. Auch auf der halben Distanz ist es ihm mit offiziellen 1:21:06 Stunden bislang nicht gelungen, an den deutschen Rekord Peter Lessings von 1:19:00 Stunden heranzureichen.

 

Im vergangenen Oktober krönte er ein abermals titelreiches Jahr und wiederholte beim Frankfurt-Marathon seinen DM-Erfolg mit Bravour, auch wenn er mit 2:52:36 Stunden diesmal "nur" fünf Minuten Vorsprung auf die Konkurrenz hatte. Kurz zuvor hatte er als Altersklassen-Sieger beim Köln-Halbmarathon mit 1:24:08 Stunden auch auf der halben Distanz ein Glanzlicht gesetzt und im September auch über 10 km mit 38:08 Minuten souverän den deutschen Meistertitel einfahren können. Im letzten Sommer hatte er mit 5:10,75 Minuten, 18:53,68 Minuten bzw. 38:30,22 Minuten abermals auch die Titel über 1.500, 5.000 und 10.000 m holen können, nachdem er im Frühjahr mit 1:21:49 Stunden erneut auf der Halbmarathon-Distanz zu Meisterehren gekommen war.

Neue Titel und Rekorde angepeilt
Ans Aufhören denkt Schmidt noch lange nicht, sodass es ihm stets darum geht, bereits aufgestellte Rekorde abermals zu verbessern. Schließlich ist Schmidts Anspruch an sich selbst hoch, wobei ihm Titel und Rekorde gleichermaßen wichtig sind. So orientiere er sich häufig an den besten der M60 oder sogar M55, wolle nicht nur einfach Titel sammeln, sondern auch eine möglichst perfekte Zeit erzielen, verrät der Perfektionist, der erstaunlich viele Zeiten im Kopf hat. Schmidts Perfektionismus äußert sich jedoch längst nicht nur beim Laufen, macht auch vor anderen Lebensbereichen nicht halt. So gehören der Umbau des Hauses, seine Weinleidenschaft sowie seine große Sammlung an Schreibgeräten zu weiteren intensiven Hobbys. In der Region ist der Kölner, den alle nur "Winnie" rufen, bekannt wie ein bunter Hund und außerordentlich beliebt. Laufen und Beruf kann er zuweilen sogar verbinden: So beliefert der Konditor regelmäßig Laufveranstaltungen und Stadionfeste im Rheinland, wo seine Süßspeisen wie auch seine Laufkunst gleichermaßen gern gesehen sind.

Bestzeiten:

800 m

2:12 min

2000, M50

 

10.000 m

34:05 min

2008, M60

1.500 m

4:25 min

2003, M55

 

10 km

32:49 min

2002, M50

3.000 m

9:20 min

2003, M55

 

HM

1:15:47 h

2008, M60

5.000 m

16:08 min

2003, M55

 

Marathon

2:44:18 h

2009, M60

Deutsche Rekorde M65:

1.500 m

4:50,79 min

 

10.000 m

36:37,50 min

3.000 m

10:06,19 min

 

10 km

35:27 min

5.000 m

17:38,70 min

 

 

 

Das Porträt "Winfried Schmidt" erstellte Christian Werth
Fotos © Christian Werth

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