Portrait Viktor Röthlin

Das Comeback

von Wolfram Marx im August 2010

 

"Ich kann nichts anderes als Marathon, aber den kann ich wenigstens gut", sagt der Schweizer Viktor Röthlin über sich selbst. Und wie er ihn kann. In einer beeindruckenden Art und Weise gewann er am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, in Barcelona den Titel des Europameisters und feierte ein grandioses Comeback nach seiner schweren Erkrankung 2009. Der Läufer des STV Alpnach drückte dem Rennen von Anfang an seinen Stempel auf, war immer in der Spitzengruppe präsent und reagierte auf jede Tempoverschärfung und jede Attacke. "In Göteborg war ich aktiver, aber ich wollte kein Bummelrennen. Es war meine Taktik, den Jungs zu zeigen, dass wer heute gewinnen will, mich schlagen muss." Zwar ist seine Siegerzeit von 2:15:31 Stunden die schwächste bei einem EM-Marathon seit 1969, doch sein Vorsprung von 2:31 Minuten war einer der größten in der EM-Geschichte. Dabei war sein Ziel nicht unbedingt Gold, aber auf jeden Fall eine Medaille gewesen. Am Ende siegte er verdient und souverän mit großem Vorsprung.

Viktor Röthlin im Ziel beim EM Marathon in Barcelona - Foto © Jens Priedemuth

Sein taktisches Verhalten nötigte auch seinen Gegnern Respekt ab. Der Österreicher Günther Weidlinger dachte, Röthlin mache einen Fehler, mit dem Russen Yuriy Abramov bei dessen erster Attacke bei Kilometer sechs mitzugehen. "Aber er hat alles richtig gemacht. Ich habe nicht mit ihm als Sieger gerechnet", so Weidlinger im Ziel. Röthlin selbst sagte dazu: "Ich wollte nicht, dass es läuft wie 2002 in München. Dort haben wir die Attacke des Finnen Janne Holmen nicht ernst genommen und am Ende war er zu weit weg und hat Gold geholt." Auch der deutsche Teilnehmer Martin Beckmann war von der Renngestaltung des Schweizers beeindruckt: "Ich freue mich sehr für ihn. Er hat hier eine Wahnsinnsvorstellung gezeigt und das Feld auseinander gerissen."

Akribische Vorbereitung

Röthlin hat mit diesem Rennen nicht nur eine "Wahnsinnsvorstellung" gezeigt, sondern auch wieder einmal bewiesen, dass er mit Hitze sehr gut zurecht kommt, aber auch, dass er ein Perfektionist ist. Bereits vor drei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Osaka lief der Schweizer bei extrem heißem Wetter ein starkes Rennen und wurde mit der Bronzemedaille belohnt. Beim Start des Marathons um zehn Uhr morgens zeigte das Thermometer in Barcelona 25° C und die Luftfeuchtigkeit lag bei 74 Prozent. "Im Vergleich zu Osaka war es kalt." Doch neben seiner Hitzebeständigkeit zahlte sich auch seine akribische Vorbereitung aus. "Ich war zuvor im Höhentrainingslager in St. Moritz. Dreimal in der Woche bin ich von dort nach Tirano in Italien gefahren und habe dort um die Mittagszeit in der Sonne und der Wärme trainiert", sagte er zu seiner Trainingsgestaltung. Am Start und auf den ersten fünf Kilometern trug er Armlinge, die er mit Wasser gekühlt hatte und die ihm halfen, die Körpertemperatur niedrig zu halten. Dazu kamen so genannte "EMCools" Kältepakete, die er sich vor dem Start auf Rücken und Brust geklebt hatte. Alle fünf Kilometer nahm er Flüssig-Eis, um sich zu kühlen. "So hat alles genau gepasst. Wenn die EM eine Woche früher gewesen wäre, hätte es nicht geklappt", so sein Fazit im Ziel.

Schwere Krankheit im Frühjahr 2009

Erstaunlich an Röthlins Klasseergebnis ist aber vor allem seine Vor- und Krankheitsgeschichte. Nach einem schwachen Rennen bei der Europameisterschaft 1998 in Budapest über 10.000 Meter stieg er auf die Marathonstrecke um. Doch der Weg in die Weltspitze war ein langer. Der Marathon bei den europäischen Titelkämpfen war für ihn eine Enttäuschung, er wurde 16. in 2:16:16 Stunden. 2004 gab er beim Olympischen Marathon in Athen nach 32 Kilometern auf. Sein Durchbruch in die Weltspitze gelang ihm 2005 beim New York Marathon als er siebter wurde. Es folgten dann die Silbermedaille bei der Europameisterschaft 2006 in Göteborg, Bronze bei den Welttitelkämpfen in Osaka im Jahr darauf und der sechste Platz beim Olympiamarathon in Peking. Zwischenzeitlich hatte er noch den Tokio Marathon gewonnen und seine Bestzeit von 2:07:23 Stunden erzielt.

Nach Peking plante er dann einen Start beim London Marathon im April 2009. In der Vorbereitung auf London startete Röthlin beim Halbmarathon in Ras al Khaimah in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das Rennen gab er wegen Magenproblemen auf. Auf dem Rückflug erlitt er eine Thrombose, die er auf eine Dehydrierung und ein zu enges Sitzen im Flugzeug zurückführte. Außerdem wurde festgestellt, dass er ein genetisch bedingtes erhöhtes Thromboserisiko hat. Folge der Thrombose waren dann zwei kurz hintereinander erlittene Lungenembolien im März 2009. Er lag längere Zeit im Krankenhaus, zeitweise auch auf der Intensivstation und musste über einen längeren Zeitraum blutverdünnende Mittel einnehmen. Noch heute spritzt er sich vor jedem Flug ein entsprechendes Medikament. Seine Lungenfähigkeit hat er bis auf 0,04 Prozent wiedererlangt. Im vergangenen November unterzog er sich dann noch einer Fersenoperation.

Die Folge dieser langen Krankheitsgeschichte, zu der auch eine längere Zeit ohne jeden Sport gehörte, waren fast anderthalb Jahre ohne internationalen Wettkampf. Die Unsicherheit vor dem EM-Rennen war bei ihm naturgemäß groß. "Ich wusste nicht, wie mein Körper reagiert. Mental und physisch war ich bereit. Es war mein 19. Marathon, aber er fühlte sich an wie mein erster. Es hätte auch sein können, dass es mein letzter wird. Jetzt kann ich mit Sicherheit sagen: Ich bin wieder da!" Wichtig sei es, sich wieder jeden Tag auf das Training freuen zu können. Am Ende war die lange Krankheit aber auch eine Art Inspiration für ihn: "Auf der Zielgeraden bin ich sie durchgegangen. Eine solche Grenzerfahrung kann dir im Rennen auch Kraft geben."

Die Zukunft geht der 35-Jährige vorsichtig an: "Ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören." Daher sind weitere Starts in diesem Jahr noch offen. Nur wenn er 2011 in London startet, ist ein Rennen in diesem Jahr möglich, sollte er aber früher im nächsten Jahr in Tokio laufen, wird er 2010 nicht mehr an den Start gehen. Für 2011 plant er aber mit zwei Stadtmarathons, immerhin kann er bei diesen mit seinem neuen Titel auch gutes Geld verdienen. An der WM in Südkorea will der Oberwaldner nicht teilnehmen, aber einen Start bei den Olympischen Spielen schließt er nicht aus.

"Viktor Röthlin" von Wolfram Marx
Fotos © Jens Priedmuth

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