Reinhold Messner zum 60. Geburtstag

„Mein letztes Lebensdrittel dient dazu, das Erbe einzubringen“

Lauftraining als Grundlage fürs Bergsteigen

von Kornelia Stinn

Zum 60. Geburtstag des Visionärs, Grenzgängers und Extremisten Messner

Er hat seine Kräfte an den horizontalen und vertikalen Extremen unserer Erde gemessen wie kein anderer und so manche Utopie Realität werden lassen. Als erster Mensch bestieg er den Mount Everest im Alleingang und ohne Sauerstoffmaske, durchquerte Eis- und Sandwüsten. Seine schier unerschöpfliche Kondition erwarb er nicht zuletzt auch beim Laufen.

Reinhold Messner Gipfelbild auf dem Nanga Parbat 1978 - Foto: BLV Verlag / Messner

Am 17. September wird Reinhold Messner 60 Jahre alt. Gerne hat er sich zeitlebens selbst als das präsentiert, was zu bezwingen ihn am meisten reizte: als Himmel stürmenden Fels mit eigenwilligem Profil, von dem bisweilen eine Lawine zu Tale donnert. So erhebt sich heute das ‚Massiv Messner’ hoch über dem Schnalstal in Südtirol und blickt herab von seiner Festung Juval, seiner musealen Schöpfung. Und genau da begegnen sie sich, die beiden Messnerschen Welten. Jene des Gipfelstürmers und die des Sammlers, der sich nun daran macht, den Requisiten seiner unendlichen Lebensgeschichte eine würdevolle Bleibe zu bieten.

Sein sechzigster Geburtstag scheint ein guter Zeitpunkt, ein ungewöhnliches Leben Revue passieren zu lassen und schließlich zu sehen, welchen Kurs es nimmt. Ein guter Zeitpunkt vor allem für ihn selbst, wie er sagt. Und er machte sich im Frühling dieses Jahres auf in die Wüste, um über all das nachzudenken.

Er engagiert sich für die Berge Reinhold Messner in seinem Weinberg Sein Büro im Europaparlament. Bis zum Sommer `04
war er dort Abgeordneter

In einem engen Gebirgstal in Südtirol, dem Villnösstal, erlebte Messner seine Kindheit. Schon immer, so erinnert er sich heute, wollte er den schmalen Ausschnitt des Himmels, den er von dort aus sah, nicht als Ende seines Horizonts begreifen. Dieses Bild wurde Weg bestimmend für sein ganzes Leben. Angetrieben vom unumstößlichen Willen und unerschöpflicher Energie machte er sich selbst zum Werkzeug seiner Ziele. So weit und so hoch die Füße tragen. So nahm er Grenzen niemals als gegeben hin, sondern als Herausforderung, an sich und seinen Fähigkeiten zu arbeiten. Dies zeigte er zum ersten Mal im Alter von fünf Jahren. Da nämlich blickte er erstmals von oben hinter die Berge seines Tales, indem er seinen ersten Dreitausender erklomm. Mit Zweiundvierzig hatte er als erster Mensch der Erde alle Achttausender-Gipfel bestiegen.

Gezielt hatte er seine enorme Ausdauer für dieses Mammutprogramm nicht zuletzt durch Laufen aufgebaut. Hierzu erfolgten die Grundlagen spielerisch bereits in der Kindheit. Dazu Messner: „In meiner Kindheit gab es nicht viele Möglichkeiten der Beschäftigung. Skifahren und Rennen, immer wieder Rennen. Schon früh habe ich regelmäßig Geländelauf betrieben. Im Alter zwischen 18 und 35 Jahren baute ich dies in Form des intensiven Berglaufs weiter aus.“ Wie, das beschreibt er so: „Monatelang habe ich zum Konditionsaufbau für meine Expeditionen in den Bergen und im Eis auf diese Weise täglich Konditionstraining gemacht und mich dabei leistungsmäßig gesteigert. Steiles Bergauflaufen ist nach meiner Erfahrung gut für Herz und Kreislauf. Zu meinen besten Zeiten benötigte ich für 1000 Höhenmeter ganz steil bergauf eine Zeit von 35 Minuten.“

Und dann fasst er die Essenz zusammen:  „Ich halte Laufen für die beste Trainingsmethode für solche Extremtouren, wie ich sie gemacht habe.“ Jedoch gehen Messners Reflektionen zum Thema Laufen weit über die funktionale Bedeutung hinaus. Er hebt auch den meditativen Aspekt hervor. „Beim Laufen“, so fügt er hinzu,“ ist mir, abgesehen vom Konditionsaufbau, das langsame Fallenlassen und Vergessen – die meditative Komponente – sehr wichtig.“

Messners Wohnsitz Schlosss Juval im Vinschgau Auf dem Monte Rite vor der prächtigen Kulisse der Dolomiten

Sich Fallenlassen auf der einen Seite und dann wieder die Besessenheit, kompromisslos für seine Ziele einzustehen. Bis heute hat er nichts von seiner Besessenheit eingebüßt, die seine Visionen Realität werden ließ. Messner über sich selbst: “Mit 15 war ich ein besessener Felskletterer, bald auch Eisgeher. Mit 25 war ich in der Lage, die damals schwierigsten Eis- und Felswände der Alpen allein und ohne Seil zu klettern. Mit dem freiwilligen Verzicht auf den Bohrhaken gab ich dem alpinen Bergsteigen Ungewissheit und Steigerungsfähigkeit zurück. Eine neue Welle des Freikletterns entstand.“

Vor allem war es das jeweils bisher Unerreichte, das ihn reizte. So 1970 die Rupalwand am Nanga Parbat, sein erster Achttausender, dessen Besteigung seinem Bruder Günther das Leben kostete und ihm selbst wegen Erfrierungen die Amputation einiger Zehen und Fingerkuppen einbrachte. Er wagte erstmals Alleingänge, wo sonst Kolonnen von Helfern Expeditionen begleiteten und bestieg 1980 als erster Mensch den Mount Everest im Alleingang und ohne Sauerstoffmaske.

Realität gewordene Vision verlor für ihn die Faszination. Messner: „Geleistetes, Gelungenes ist es nicht, was mich ausfüllt. Auch falle ich nach einem Erfolg in ein tiefes Loch. Die Vision, die mich vorher ausgefüllt hat, ist Realität geworden. Als Utopie ist sie tot. Mit ihr die Begeisterung.“ Die fand er dann, nachdem er 1986 alle Achttausender Gipfel bestiegen hatte drei Jahre später in der eisigen Weite der Antarktis sowie 1992 in der Wüste Takla Makan. Im Jahr darauf meisterte er die Grönland-Längsdurchquerung um sich schließlich 1999 in die Wüste Thar aufzumachen.

Schloss Sigmundskron soll die Krönung seiner Museumsprojekte werden Alpine Curiosa in Sulden Messner Museum auf dem Monte Rite

Dies ist nur eine kleine Auswahl seiner Leistungen in Extrembereichen, die sich scheinbar gefällig aneinanderreihen. Das erneute Aufflackern der Ereignisse um jenen ungeklärten Tod von Günther Messner in der Rupalwand zeigt allerdings, wie unmittelbar Gipfelwandlungen vom jähen Absturz bedroht sein können. Im Rahmen zäher gerichtlicher Auseinandersetzungen, konnte der Kämpfer Messner beweisen, dass er nicht schuld an diesem dramatischen Unglück war.

Von 1999 bis 2004 war Reinhold Messner Abgeordneter im Europaparlament. Hier aber wollte der Mann seine Kräfte nicht verschleißen. Längst hatte er begonnen für sein Museumsprojekt auf Schloss Sigmundskron zu streiten. Doch man wollte ihm die Festungsruine bei Bozen nicht überlassen. Trug man es ihm doch nach, dass er es verweigert hatte, seinen Everest-Sieg Südtirol auf die Fahne zu schreiben. „Das habe ich für mich getan und mein Taschentuch ist meine Fahne“, hatte er trotzig verkündet. Und da war auch noch die Geschichte mit seinem Buch ‚Rund um Südtirol’, wo er seinen Landsleuten Engstirnigkeit vorwarf. Manche Lawine ging in diesen Zeiten ab und Südtirol wurde zum Schauplatz so mancher Bruderfehden. Messner aber bekam Sigmundskron schließlich doch! Und das neue Kapitel in seinem Leben ging als ‚Messner Mountain Museum’ in Serie.

Juval, Monte Rite und als Krönung Sigmundskron, das Ostern 2006 eröffnet werden soll. Allesamt sind sie den Bergen gewidmet und zeigen Kunstwerke, die die Berge zum Thema haben. Oder „Reliquien“ – wie Messner sagt – von Helden am Berg. In seine Eiswelten nimmt man am 25. September Einblick in Sulden. Genau zu jenem Zeitpunkt, wo man dort die Erstbesteigung des Ortlers feiert, die gerade 200 Jahre her ist.

Messner führt durch sein Museum Museum Alpine Curiosa Bei Vorträgen Hochbetrieb an seinem Büchertisch. Messner signiert

Wie war das nun mit seinem meditativen ‚Ausflug in die Wüste Gobi’? Viel will Messner nicht dazu sagen, weil er die Exklusivrechte an den Stern verkauft hat. Messner: „Soviel nur dazu: ich habe die Ghobi der Länge nach durchquert über eine Strecke von 2000 Kilometern, dazu wird es im nächsten Jahr ein Buch geben“. Und dann erzählt er doch ein wenig von den persönlichen Erfahrungen, die er dabei machte, vom Älter werden und wie er sich damit arrangiert. „Mir ist bewusst“, sagt er, “dass ich jetzt ungeschickter, langsamer und weniger ausdauernd bin als ich es war. Gerade bei der Gobi wurde mir das vorgeführt. Trotzdem bin ich nicht verzweifelt.“ Dann wird seine Stimme schneller. Schärfer, fast schneidend fügt er hinzu: „Also ich bin nach Hause gekommen, ich habe mich nicht umgebracht. Das zeigt, dass ich offensichtlich damit zurechtkomme. Ich versuche, so wie ich mit dem Leben zurecht gekommen bin, auch mit dem Altern zurecht zu kommen.“

Im Prinzip, so stellt er es sich vor, wird sich an seinen Lebensstrukturen nichts ändern. Der Extrembergsteiger: „Mein Leben wird weiter so strukturiert sein wie bisher, dass ich mich ganz auf eine Tätigkeit jeweils konzentriere, diese Tätigkeit mit allem Einsatz versuche fertig zu bringen und diese Tätigkeit wird allerdings weniger und weniger im Körperlichen stattfinden sondern mehr im Geistigen. Schon die Museumsarbeit ist eine geistige Arbeit und keine körperliche.“

Doch auch sein Leben jenseits der Sechzig soll der Hauch von Abenteuer umgeben. Er fasst seine Pläne so zusammen: „Ich freue mich auf die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre. Das letzte Lebensdrittel wird dazu dienen, das Erbe einzubringen. Das heißt, das was ich weiß, weiter zu geben in Form eines Museums und auch neue Erfahrungen zu sammeln als Halbnomade, als der ich in der Welt herum ziehen werde.“

Grenzgänger Messner: einige Daten & Fakten
1950-64 500 Klettertouren vor allem in den Dolomiten
Freiklettern ohne Bohrhaken
1969 Andenexpedition
1970 Rupal-Flanke am Nanga Parbat
Kostete seinem Bruder Günther das Leben
1972 Manaslu Südwand
1974 Aconcagua Südwand, Eiger Nordwand
1976 Mount Mc Kinley
1980 Mount Everest allein ohne Sauerstoffmaske
1984 Gasherbrum I und II
1985 Annapurna (Nordwestwand)
1989/90 Antarktis-Durchquerung
1991 Rund um Südtirol
1992 Wüste Takla Makan
1995 Arktis-Durchquerung
1999 Wüste Thar
2000 Nanga Parbat
Messners Projekte und Museumswelten
Projekte Oberortl / Juval
Biohof, Gastwirtschaft, Heubad, Weinberg
  Yak und Yeti / Sulden
Yakzucht, Biohof
Museen
Schloss Juval
Kunstschätze aus den Bergen der Welt
  Monte Rite
Dolomitenmuseum
  Sulden
Alpine Curiosa – alpine Geschichte im Minimuseum
Eiswelten Eröffnung am 25.9.04
  Sigmundskron
Größtes Bergmuseum Messners, Eröffnung Ostern 2006
Einen guten Überblick über sein Tun geben folgende Bücher Reinhold Messners: Die Großen Wände - Berge versetzen - Überlebt - Bergvölker

Von Kornelia Stinn - Fotos Winfried Stinn
Gipfelbild auf dem Nanga Parbat - Foto: BLV Verlag / Messner

Weitere Informationen über Reinhold Messner unter www.reinhold-messner.de

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