Gunder Hägg

Bestform zur völlig falschen Zeit

von Ralf Klink im Juni 2021 

Er stellte insgesamt sechzehn Weltrekorde auf. Alleine innerhalb eines einzigen Sommers schaffte er es, in neun seiner Rennen neue Bestmarken zu setzen. Es ist eine Erfolgsserie, wie sein kein anderer Läufer vor oder nach ihm - weder Paavo Nurmi, noch Emil Zatopek und auch nicht Haile Gebrselassie - jemals hingelegt hat. Und angesichts der heutigen Leistungsdichte ist eine Wiederholung einer solch dichten Abfolge von Rekorden nahezu ausgeschlossen.

Doch eine Medaille bei einem internationalen Wettbewerb hat der Schwede Gunder Hägg trotzdem nie gewonnen. Denn seine Glanzphase lag in einer völlig falschen Zeit - nämlich in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts, als in großen Teilen der Welt Krieg herrschte und die Olympischen Spiele gleich zweimal hintereinander ausfallen mussten.

Und als diese dann 1948 nach zwölf Jahren Pause endlich wieder stattfanden, wäre der Rekordjäger aus Skandinavien mit knapp dreißig zwar noch im besten Wettkampfalter gewesen. Jedoch war er zu diesem Zeitpunkt bereits wegen mehrerer Verstöße gegen die damals noch mit aller Härte durchgesetzten Amateurregeln lebenslang gesperrt.

Denn der Publikumsmagnet Gunder Hägg hatte von Sportfest-Veranstaltern Zahlungen erhalten, die zwar offiziell unter "Spesen" verbucht worden waren, aber eben deutlich über seinen eigentlichen Ausgaben lagen. Was heutzutage als völlig normal gilt, nämlich dass Athleten für ihre Mühen auch einen finanziellen Ausgleich erhalten, wurde bis vor wenigen Jahrzehnten schließlich noch als schweres Vergehen angesehen und entsprechend bestraft.

Gerade im Fall von Gunder Hägg war diese Annahme von Geld allerdings durchaus verständlich, stammte er doch aus einfachsten Verhältnissen. Er wurde am Silvestertag das Jahres 1918 in der kleinen Gemeinde Hällesjö im Osten der Provinz Jämtland geboren. Seine Eltern waren arme Kleinbauern. Der Vater versuchte zudem zusätzlich Geld als Holzfäller zu verdienen, um die Familie über Wasser zu halten.

Obwohl Jämtland von der geografischen Lage noch fast in der Mitte Schwedens zu finden ist, zählt es bereits zum extrem dünn besiedelten Landesteil Norrland oder auf Deutsch "Nordland", der über die Hälfte der Fläche des Königreiches umfasst. So hatte die aus einer Reihe von winzigen Örtchen und Weilern bestehende Heimatgemeinde Häggs nur wenige hundert Einwohner, die sich auf ein Areal von der Größe Berlins verteilten.

Auch heute ist die Bevölkerung in dieser von schier endlosen Wäldern geprägten Gegend nicht wirklich viel größer geworden. Selbst wenn Hällesjö inzwischen verwaltungstechnisch mit mehreren Nachbarkommunen zu einer neuen Großgemeinde namens Bräcke zusammengelegt wurde, die sogar das Saarland an Fläche übertrifft, leben darin insgesamt gerade einmal sechstausend Menschen.

Gunder Hägg wuchs anfangs in Sörbygden, später dann im zehn Kilometer westlich davon gelegenen Albacken auf - beides kaum mehr als lose Häusergruppen aus etwa einem Dutzend in der weiten Landschaft verstreuten Gehöften. So wundert es nicht, dass der spätere Weltrekordler mit organisiertem Sport erst einmal wenig zu tun hatte. Sein Spielplatz war die nordische Wildnis, in der er sich zu Fuß und auf Ski allerdings bereits eine solide Ausdauergrundlage für seine späteren Erfolge holte.

Und das änderte sich dann auch später während seiner kurzen leistungssportlichen Karriere nicht wirklich. Die Laufbahn im Stadion betrat Hägg eigentlich nur bei Wettkämpfen. Das Training absolvierte er hingegen fast ausschließlich im hügeligen Gelände der skandinavischen Wälder, das selbst in größeren Städten fast immer direkt hinter den letzten Häusern beginnt und in dem man die Hektik der Zivilisation schnell hinter sich gelassen hat.

Zur Leichtathletik motiviert wurde Gunder Hägg 1935 schließlich durch die Erfolge des sechs Jahre älteren Henry Jonsson, der aus dem etwa dreißig Kilometer nördlich von Albacken gelegenen Dorf Kälarne stammte. Dieser hatte zu diesem Zeitpunkt nämlich gerade die ersten beiden seiner rund ein Dutzend schwedischer Meistertitel über 1500 und 5000 Meter sowie im Cross gewonnen.

Ein Jahr später sollte er bei den Olympischen Spielen in Berlin über fünf Kilometer zu Bronze laufen. Und bei den Europameisterschaften 1938 im Paris holte er über die gleiche Distanz sogar Silber. Doch es waren weniger die Medaillen, die den damals sechszehnjährigen Gunder Hägg an Henry Jonsson, der sich später nach seinem Heimatort "Henry Kälarne" nannte, faszinierten.

Vielmehr hatte der frischgebackene schwedische Meister, nachdem er durch seine sportlichen Leistungen aufgefallen war, einen Job bei der Feuerwehr von Stockholm bekommen. Eine feste Anstellung mit geregelter Bezahlung schien Hägg deutlich verlockender als das harte, entbehrungsreiche Leben, das die Familie in Jämtland führte. Wie heute bei unzähligen jungen Ostafrikanern war die Chance zum sozialen Aufstieg die eigentliche Triebfeder für die sportliche Karriere.

Von seinen Eltern wurde er dabei durchaus unterstützt. Angeblich habe sein Vater ihm sogar eine 750 Meter lange Strecke im Wald vermessen, auf der Gunder Hägg seine ersten Testläufe absolvierte. Praktisch auf Anhieb gelangen ihm dabei über 1500 Meter Zeiten unter fünf Minuten. Und nach etwas Training in den nächsten Monaten fühlte sich der junge Bursche im folgenden Sommer bereit für die ersten wirklichen Rennen auf der Bahn.

Mit dem Fahrrad fuhr er die rund dreißig Kilometer nach Kälarne, um dort an den regionalen Juniorenmeisterschaften von Jämtland teilzunehmen. Viel Zeit bis zum Start des Fünfzehnhunderters blieb nicht mehr, als Hägg den Sportplatz von Kälarne erreichte. Dennoch siegte er in 4:22,2. Am Tag darauf gewann er mit 16:11 auch noch über die 5000 Meter, setzte sich anschließend auf sein Fahrrad und strampelte wieder nach Hause.

Wenig später verbesserte sich Gunder Hägg in Östersund - zwar die mit Abstand größte Stadt Jämtlands, aber dennoch damals keine zwanzig- und heute nur etwa fünfzigtausend Einwohner zählend - auf 4:14 über die 1500 Meter. Vorbild Henry Jonsson war im gleichen Jahr bei seinem schwedischen Meistertitel mit 3.57 gerade einmal siebzehn Sekunden schneller als der hochtalentierte Teenager.

Im Sommer 1937 machte Hägg den nächsten Leistungssprung. Am Ende der Saison stand für ihn über 1500 Meter eine 4:10 in den Listen. Und bei den meisten regionalen Rennen fand er sich inzwischen ganz oben auf dem Siegertreppchen. Den sportlich vielleicht herausragendsten Lauf zeigte er bei seinem ersten Start in der Hauptstadt Stockholm, wo er zwar über drei Kilometer nur Vierter wurde, aber mit 8:36,8 schneller lief als je zuvor irgendjemand in seinem Alter.

Für das meiste Aufsehen sorgte allerdings ein in Östersund ausgetragenes Rennen über 2000 Meter, bei dem der gerade einmal achtzehnjährige Lokalmatador Gunder Hägg vor einem begeisterten Publikum völlig überraschend den Fünf-Kilometer-Olympiasieger von Berlin Gunnar Höckert aus Finnland in 5:39,6 bezwingen und auf Platz zwei verweisen konnte.

Selbst wenn der zur knapp zehn Prozent der finnischen Bevölkerung umfassenden schwedischen Minderheit gehörende Höckert damals nicht mehr in der Form der Saison 1936 war, als er neben seinem Olympiasieg auch noch Weltrekorde über zwei und drei Kilometer erzielt hatte, gehörten Hägg damit erstmals wirklich die Schlagzeilen der Zeitungen.

Mit neunzehn Jahren holte er sich dann seine erste Medaille bei schwedischen Meisterschaften - und zwar nicht auf den flachen 1500 oder 5000 Metern, die er sonst bevorzugte, sondern über die für ihn neue Hindernisstrecke. Hinter Seriensieger Lars Larsson, dem bei diesem Lauf der dritte von fünf Titeln in Folge gelang, rannte und sprang der junge Bursche aus Jämtland mit 9:28,4 in Stockholm zu Silber.

Es sollte aber einer von ganz wenigen Ausflügen in diese Disziplin bleiben. Während Hägg auf nahezu allen nur denkbaren Distanzen zwischen 1500 und 5000 Metern Weltrekorde erzielte, blieb ein nationaler Juniorenrekord, den er einen knappen Monat nach seinem Medaillengewinn erneut in Stockholm und hinter einem ein weiteres Mal siegreichen Lars Larsson auf 9:23,0 drückte, sein einzig nennenswerter Fußabdruck über "die Böcke".

Auf seiner eigentlichen Hauptstrecke, den eineinhalb Kilometern, näherte er sich im Sommer 1938 mit einer neuen Hausmarke von 4:04,6 ebenfalls langsam der schwedischen Spitze. Und über die fünf Kilometer schrammte Hägg in Trondheim, das zwar in Norwegen aber dennoch näher an seinem Heimatort liegt als die schwedische Hauptstadt Stockholm, mit 15:00,7 wirklich nur hauchdünn an der Fünfzehn-Minuten-Marke vorbei.

Doch in der Folgesaison stagnierten seine Leistungen dann zum ersten Mal. Gunder Hägg war nämlich zur Armee eingezogen worden und hatte als Soldat nun weder die Zeit, in gewohntem Maße zu trainieren, noch die Möglichkeit, außerhalb der Umgebung des Stationierungsortes seiner Einheit in Östersund an Wettkämpfen teilzunehmen.

Spätestens als im September der Zweite Weltkrieg begonnen hatte und auch die schwedischen Truppen trotz der Neutralität des Landes sicherheitshalber in Alarmbereitschaft versetzt worden waren, hatten sich die sportlichen Ambitionen Häggs für die nächste Zeit ohnehin erst einmal erledigt. Nachdem die Rote Armee Ende November in Finnland eingefallen war, wurde Häggs Regiment, die "Jämtland Jäger" dann noch weiter nach Norden an die finnische Grenze verlegt.

Im sogenannten "Winterkrieg" gelang es den Finnen, die kommunistische Invasion erst einmal abwehren und dem scheinbar übermächtigen Aggressor schwere Verluste zuzufügen. In dem im März 1940 geschlossenen Friedensvertrag mussten schließlich nur kleinere Gebiete abgetreten werden. Unter den beteiligten Soldaten gab es den zynischen und nur leicht übertrieben Spruch, dass die eroberte Fläche gerade ausreichte, um die sowjetischen Gefallenen darauf zu beerdigen.

Während weiter östlich im Nachbarland schwere Kämpfe tobten, in denen unter anderem auch sein früherer Konkurrent Gunnar Höckert getötet wurde, lief Gunder Hägg im schwedischen Teil Lapplands so oft es von den Dienstplänen her möglich war. Große Teile seiner Einheiten musste er dabei in tiefem Schnee absolvieren. Doch hatte Hägg das Gefühl, dass er genau dadurch deutlich besser in Form kam. Deswegen nutze er diese Trainingsmethode auch in späteren Jahren immer wieder.

Ein anderes Mittel war das "Fartlek". Übersetzt bedeutet dies ungefähr "Tempospiel". Denn als "fart" wird in den skandinavischen Sprachen Geschwindigkeit bezeichnet. Und mit "lek" ist ein Spiel gemeint, zu dem keine festen Regeln gibt und eher dem kreativen Herumtoben von Kindern entspricht, während das im Schwedischen auch als Wort existierende "spel" hauptsächlich für klar Strukturiertes wie Karten- oder Brettspiele - und im Sport für Fußball, Handball oder Eishockey usw. - benutzt wird.

Statt sich an einen genau vorgegebenen Plan zu halten, setzt man als Läufer bei dieser Art des Trainings auf ein rein intuitives Herangehen. Abhängig von Lust und Laune des Sportlers sowie Gelände und Untergrund werden Tempo und Schrittlänge dabei ständig variiert. Die meist hügeligen und oft recht wegarmen skandinavischen Wälder sind dafür natürlich wie gemacht.

Allerdings ist das Fartlek keine Erfindung von Gunder Hägg. Schon vor seinen Rekorden wurde es von vielen anderen erfolgreichen schwedischen Läufern jener Zeit eingesetzt. Als "Vater" dieses in den frühen Dreißigern entstandenen Ansatzes gilt Gösta Holmér, der während seiner aktiven Zeit eigentlich Zehnkämpfer war und zweimal bei Olympischen Spielen teilnahm, danach aber über drei Jahrzehnte als Nationaltrainer arbeitete und dabei auch viele Mittel- und Langstreckler betreute.

Hägg kam mit dieser Methode in Kontakt, als er im Vålådalen in seiner Heimatprovinz Jämtland eine Lungenentzündung auskurierte, die er sich in Lappland geholt hatte. Dort begegnete er Gösta Olander, der in der kleinen Wintersportregion eine Touristenstation betrieb, die Trainingsphilosophie von Holmér weiterentwickelt und noch naturnäher gestaltet hatte. Olander ließ seine Sportler nämlich querfeldein durch Wälder, Wiesen, Sanddünen und die im Norden so häufigen Moore laufen.

Gunder Hägg übernahm diese Ansätze, kehrte auch später immer nach Vålådalen zurück und pries zudem in Interviews die optimalen Trainingsmöglichkeiten dieser Gegend. Auch durch seine Erfolge wurde Vålådalen bekannt und populär. Das in der Nähe gelegene Moor, in dem Hägg oft trainierte, bekam irgendwann sogar den Namen "Gunders mosse".

Immer mehr Athleten kamen in der Folge in die jämtländischen Berge. Noch heute ist das kleine, einfache und abgelegene Hotel als Trainingsort für Topathleten bekannt und zieht immer wieder auch ganze Nationalmannschaften an, die dort ihre Lehrgänge abhalten. Insbesondere die schwedischen Skilangläufer sind im Vålådalen regelmäßig zu Gast.

Nach Ende seiner Militärzeit stieg Gunder Hägg im Sommer 1940 dann wieder stärker ins Wettkampfgeschehen und schaffte seinen endgültigen Durchbruch. Gleich zu Anfang der Saison schlug er über 1500 Meter sein Vorbild Henry "Kälarne" Jonsson sowie den amtierenden schwedischen Meister Åke "Spångert" Jansson - ein weiterer Stockholmer Feuerwehrmann - und verbesserte sich dabei auf 3:51,8.

Und nachdem die beiden bereits etablierte Asse sowie Arne Andersson, mit dem Hägg sich in den Folgejahren noch so manches sportlich Duell liefern sollte, zwei Wochen später über zwei Kilometer in Stockholm den Spies noch einmal umgedreht und den aufstrebenden Einundzwanzigjährigen auf Rang vier verwiesen hatten, lief er sich Anfang August in Göteborg endgültig in die Weltklasse.

Zwar wurde er an diesem Tag knapp von "Kälarne" geschlagen, doch egalisierte er gemeinsam mit diesem in 3:48,8 dabei trotzdem den zuvor von Arne Andersson alleine gehaltenen Landesrekord und blieb nur genau eine Sekunde über dem Weltrekord. Diesen hatte der Neuseeländer Jack Lovelock 1936 bei seinem Olympiasieg in Berlin erzielt.

Eine Woche später - nun wieder in der Hauptstadt - unterlag Hägg Jonsson etwas deutlicher. Allerdings lief dieser in 8:09,0 auch einen überragenden neuen 3000 m Weltrekord. Gunder Hägg blieb mit 8:11,8 ebenfalls noch deutlich unter der alten Marke des ein halbes Jahr zuvor gefallenen Gunnar Häckert und war damit nun der zweitschnellste Mann auf dieser Distanz.

Hägg gewann zudem gegen die in jenen Jahren wahrlich nicht schlechte nationale Konkurrenz noch einige weitere Rennen. Doch bei den schwedischen Meisterschaften, wo er diesmal über die fünf Kilometer antrat, blieb ihm in 14:40,4 hinter Bror Hellström erneut nur die Silbermedaille. Hellström war übrigens ebenfalls bei der Hauptstadtfeuerwehr beschäftigt und Teamkollege von Henry Jonsson und Åke Jansson beim Betriebssportverein Brandkårens IK.

Auch Hägg landete im Jahr darauf schließlich bei der Feuerwehr und fand damit tatsächlich die am Beginn seiner sportlichen Karriere erhoffte feste Arbeitsstelle. Allerdings nicht wie die anderen Spitzenläufer in der Metropole Stockholm, sondern im knapp zweihundert Kilometer nördlich davon ebenfalls an der Ostsee gelegenen Gävle, das damals zwar nur etwa fünfzigtausend Einwohner zählte, aber trotzdem bereits zu den größeren Städten des Landes gehörte.

Bei den aufgrund der langen, kalten und schneereichen skandinavischen Winter erst im Mai ausgetragenen Schwedischen Crossmeisterschaften musste sich Gunder Hägg noch seinem Dauerrivalen Arne Andersson geschlagen geben. Doch es blieb im gesamten Jahr 1941 bei dieser einen Niederlage, denn es folgte eine mehrmonatige Siegesserie. Bis Ende August ging er in siebzehn Rennen in Folge als Gewinner von der Bahn.

Hägg beschränkte sich dabei hauptsächlich auf die 1500 Meter und die Meile. Nur bei seinem einzigen Auslandsstart beim ISTAF in Berlin - dessen Geschichte immerhin bis 1921 zurück reicht und das trotz des Krieges auch 1941 stattfand - lief er über drei Kilometer. Mit 8:19,2 blieb er dabei zwar rund zehn Sekunden über dem gültigen Weltrekord, schlug aber erneut den amtierenden Inhaber der Bestmarke Henry "Kälarne" Jonsson.

Und einmal trat Hägg bei einem Lauf in jenem Stadion in Gävle, das später einmal seinen Namen tragen sollte, auch über die ungewohnt kurzen 800 Meter an. Er siegte dabei zwar ebenfalls, blieb allerdings weit von einer internationalen Spitzenzeit entfernt. Auf den dreidreiviertel Stadionrunden lieferte der Zweiundzwanzigjährige im Sommer 1941 aber nun fast im Wochenrhythmus Weltklasseleistungen ab.

In Malmö egalisierte er im Juli mit 3:48,6 zuerst einmal den Europarekord des Ungarn Miklós Szabó, den er nur wenige Tage zuvor bei einem Länderkampf bereits in einem direkten Duell geschlagen hatte. Und drei Wochen später steigerte er sich bei den schwedischen Meisterschaften in Stockholm erneut. Denn im Endlauf holte Hägg nicht nur seinen ersten nationalen Titel, sondern erzielte dabei in 3:47,6 auch den ersten seiner vielen Weltrekorde.

Am Ende der Saison landete Hägg allerdings auch zum ersten Mal durch anderes als seine sportlichen Leistung im Fokus der Verbandsfunktionäre. Denn es kam heraus, dass er unter der Hand von Sportfest-Veranstaltern Antrittsgelder angenommen hatte. Bis zu einer schwedischen Krone pro gelaufenen Meter sollten dabei angeblich geflossen sein - ein damals durchaus nennenswerter Betrag. Gunder Hägg wurde wegen Verstoßes gegen die Amateurregeln für neun Monate gesperrt.

Gleich am ersten Tag nach dem Auslaufen seiner Suspendierung meldete sich Hägg, der die erzwungene Wettkampfpause zu noch intensiverem Training genutzt hatte, mit einem Paukenschlag zurück. Denn am 1.Juli 1942 unterbot er in Göteborg zum Einstand den vom Briten Sydney Wooderson gehaltenen Meilenweltrekord um zwei Zehntelsekunden und setzte die neue Bestmarke auf 4:06,2.

Nur zwei Tage darauf nahm er in Stockholm dem Finnen Taisto Mäki in 8:47,8 den Weltrekord über die doppelt so lange Distanz ab und verbesserte dessen Zeit dabei gleich um über fünf Sekunden. Es war der Anfang jener einzigartigen Rekordserie, die als "die achtzig Tage des Gunder Hägg" in die Leichtathletik-Geschichte eingegangen ist und den Schweden zum Bestzeiteninhaber auf praktisch allen Flachstrecken zwischen 1500 und 5000 Meter machen sollte.

Bis zur nächsten neuen Höchstleistung vergingen dann genau zwei Wochen, die Hägg allerdings mit insgesamt sieben Rennen füllte. Alleine zwischen dem 12. und dem 15. Juli trat er jeden Tag in einer anderen schwedischen Stadt zu einem Wettkampf an. Und selbst, wenn er in diesen Läufen nicht unbedingt in Rekordnähe kam, gewann er jeden von ihnen. Überhaupt blieb Gunder Hägg in der kompletten Saison trotz mehr als dreißig Starts ohne eine einzige Niederlage.

Bei seinem dritten Weltrekord des Jahres - erneut bei einem Sportfest in Stockholm gelaufen - entthronte Hägg diesmal nur sich selbst. Denn über 1500 Meter hatte er sich ja schon im Jahr zuvor an die Spitze der ewigen Weltbestenliste gesetzt. Knapp zwei Sekunden blieb er mit seiner 3:45,8 nun unter seiner alten Marke. Wie schon in den beiden Weltrekordrennen zuvor musste sich auch diesmal Arne Andersson wieder einmal mit Rang zwei begnügen.

Allerdings hatte der ein Jahr ältere Andersson einige Tage zuvor bereits wieder den Meilenrekord seines Konkurrenten egalisiert. Obwohl seine sportliche Bedeutung rückblickend immer ein wenig hinter der von Gunder Hägg zurückstehen muss, lief auch er in den frühen Vierzigern insgesamt vier Weltrekorde über die 1500 Meter und die Meile und wechselte sich dabei in schöner Regelmäßigkeit als aktueller Inhaber der jeweiligen Bestmarke mit seinem Landsmann ab.

Der Vergleich mit den Briten Sebastian Coe und Steve Ovett, die sich in den Achtzigern ähnliche Fernduelle um die Mittelstreckenrekorde lieferten, ließe sich durchaus ziehen. Doch im Gegensatz zu ihren Nachfolgern von der Insel, die füreinander nichts als eine "herzlicher Abneigung" empfanden, kamen die beiden Schweden ziemlich gut miteinander aus und hatten bei aller sportlichen Rivalität ein freundschaftliches Verhältnis.

Am 21. Juli 1942 - also vier Tage nach dem letzten Rekord - ließ Hägg gleich die nächste Bestmarke folgen. Über die aus heutiger Sicht eher exotische Distanz von zwei Kilometern erzielte er in Malmö eine 5:16,4 - eine Zeit, die er mit seinem nächsten Weltrekord dieses Sommers einen Monat später allerdings gleich wieder pulverisieren sollte.

Bis Ende Juli lief Hägg weiter Rennen auf Rennen. Innerhalb von nur vier Wochen stand er vierzehnmal am Start und war vierzehn Mal auch als Erster im Ziel. Im August nahm er sich jedoch erst einmal eine dreiwöchige Wettkampfpause - nicht freiwillig, sondern weil er sich bei dieser Hetzjagd von Sportfest zu Sportfest eine Erkrankung eingefangen hatte. Dafür stieg er dann aber am 23.8.1942 in Östersund gleich wieder mit der neuen Bestmarke von 5:11,8 über die 2000 Meter ein.

Eine Woche später in Stockholm verbesserte er über drei Kilometer den bis dahin von seinem einstigen Vorbild Henry "Kälarne" Jonsson gehaltenen Weltrekord über drei Kilometer von 8:09,8 auf sensationelle 8:01,2. Erstmals im Sommer 1942 war dabei übrigens nicht der diesmal nicht mitlaufende Andersson geschlagener Zweite bei einem von Häggs Rekorden. Zuvor hatte wohl auch das Dauerduell der beiden fast gleichstarken Schweden die Flut von neuen Bestmarken begünstigt.

Sieben Jahre sollte diese Zeit weitgehend unangefochten stehen, bevor der Belgier Gaston Reiff - der Fünf-Kilometer-Olympiasieger der Spiele von 1948 in London - als erster Läufer auf dieser Distanz die acht Minuten unterbieten konnte. Im Jahr zuvor hatte er bereits Häggs ebenfalls lange gültige Bestmarke über 2000 Meter geknackt.

"Wunder Gunder", wie er inzwischen in seiner Heimat genannt wurde, behielt diese enorme Schlagzahl bei und erzielte bis Mitte September fast exakt im Wochenrhythmus noch drei weitere Weltrekorde. Als erstes verbesserte er in der schwedischen Hauptstadt die eigene Meilenmarke auf 4:04,6. Sieben Tage später lief er an gleicher Stelle die drei Meilen in 13:35,4 - volle sieben Sekunden schneller als des bisherige Rekordmann Taisto Mäki.

Den Abschluss der beinahe unglaublichen Serie bildete schließlich am 20. September ein sporthistorischer Lauf in Göteborg. Denn trotz einer vom Regen aufgeweichten Aschebahn konnte Gunder Hägg an diesem Tag als erster Mensch überhaupt über fünf Kilometer die Schallmauer von vierzehn Minuten durchbrechen. Eine 13:58,2 wurde für ihn im Ziel von den Kampfrichtern notiert. Im Vorbeigehen hatte Hägg dabei auch gleich noch den eigenen Rekord über drei Meilen auf 13:32,4 gedrückt.

Der Finne Mäki, der auch über die 5000 Meter die alte Bestmarke hielt, hatte bei seinem Rekordlauf im Jahr 1939 noch über zehn Sekunden mehr gebraucht als der schwedische Wunderläufer. Nur zweimal in den mehr als ein Jahrhundert zurück reichenden Rekordlisten gibt es auf dieser Distanz einen vergleichbaren Sprung. Und von allen herausragenden Ergebnissen Häggs hielten keine den nachfolgenden Läufergenerationen länger stand als die zwei aus diesem Rennen.

Es dauerte jeweils knapp zwölf Jahre, bevor ein anderer Athlet die extrem hohen Messlatten überwinden konnte. Und es bedurfte im Mai 1954 schon des großen Emil Zatopek, der zu diesem Zeitpunkt bereits vierfacher Olympiasieger war, um die Fünf-Kilometer-Marke endlich zu knacken und um eine Sekunde zu verbessern. Über drei Meilen fiel sie sogar erst im Juli, als die zeitgleichen Briten Fred Green und Chris Chataway zwei Zehntel schneller liefen.

Gunder Hägg hatte nach zehn Weltrekorden in neun Rennen - für die er übrigens in Wahrheit einundachtzig Tage brauchte - noch immer nicht genug Wettkampfluft geschnuppert, trat nach zwei weiteren Rennen in Schweden eine Woche danach in Budapest zum Länderkampf gegen Ungarn, zwei Tage darauf beim ISTAF in Berlin und danach auch noch in Helsinki an - die einzigen Auslandstart des Jahres, bei denen allerdings keine weiteren Bestmarken entstanden.

Mit einem Lauf in seiner neuen Heimat Gävle, in der er sich in diesem wahrlich ereignisreichen Sommer allerdings so gut wie nie aufgehalten hatte, beendete Gunder Hägg im Oktober schließlich eine Saison, die ihm vermutlich kaum ein anderer Läufer jemals nachmachen wird - ungeschlagen und als Inhaber von sieben noch ziemlich taufrischen Weltrekorden.

Natürlich wurde diese Serie trotz des rund um Schweden tobenden Zweiten Weltkrieges auch international registriert. Und so bekam Hägg eine Einladung, im darauffolgenden Sommer mehrere Rennen in den USA zu bestreiten. Der schwedische Wunderläufer nahm an und brach nach einigen Rennen in der Heimat im Juni 1943 zu seiner bis dahin größten Reise auf.

Die Überfahrt nach Amerika, die schon in Friedenszeiten eine gewisse logistische Herausforderung gewesen wäre - schließlich gab es zu jener Zeit noch keine Langstreckenflugzeuge, mit denen man den Ozean wie heutzutage in einigen Stunden einfach nonstop hätte überqueren können - wurde während des Krieges zu einem echten Abenteuer.

Hägg verbrachte dazu mehrere Wochen auf einem schwedischen Frachter, der keineswegs den direkten Weg nahm, sondern unterwegs etlichen Haken schlug, um im hart umkämpften Nordatlantik Minen, deutschen U-Booten und alliierten Geleitzügen aus dem Weg zu gehen und nicht trotz Neutralität versehentlich dennoch in Gefechte verwickelt zu werden.

Rund zwei Monate tourte der Schwede nach seiner Ankunft durch die USA, lief unter anderem in New York, Chicago, Los Angeles und San Francisco und blieb - abgesehen von einem Handicap-Rennen, bei dem er mit Rückstand auf die Strecke geschickt wurde - auch dabei ungeschlagen, bevor er sich wieder auf den ähnlich beschwerlichen Rückweg nach Skandinavien machte.

Wie groß in Schweden das Interesse an den Übersee-Auftritten des spätestens nach seinem Triumphzug aus dem Vorjahr unglaublich populären Gunder Hägg war, lässt sich daran erkennen, dass die erste Direktübertragung, die der nationale Radiosender SR aus Amerika überhaupt sendete, der Live-Kommentar eines seiner Rennen war. Neue Rekorde lief er bei dieser Reise aber nicht, obwohl er zweimal näher als eine Sekunde an seine eigene Meilenbestzeit herankam.

Allerdings hätte er für einen neuen Weltrekord noch deutlich schneller sein müssen. Denn während der Abwesenheit des im direkten Duell meist nicht zu bezwingenden Konkurrenten hatte Arne Andersson in Göteborg eine 4:02,6 hingelegt. Einen Monat später war Hägg dann auch seinen Weltrekord über 1500 Meter los. Denn Andersson hatte diesen in der schwedischen Heimat ebenfalls unterboten und auf 3:45,0 nach unten gedrückt.

Im folgenden Sommer trafen die beiden Rekordläufer dann wieder etliche Male aufeinander. Und diesmal hatte auch der etwas spurtstärkere, aber nicht ganz so tempoharte Andersson durchaus öfter einmal die Nase vorne. Die von Hägg meist angewandte Taktik, die Rennen so schnell zu machen, dass keiner seiner Konkurrenten auf der Zielgerade noch die Kraft hatte, an ihm vorbei zu ziehen, misslang gegen den diesbezüglich deutlich verbesserten Andersson gleich mehrfach.

Gleich beim ersten gemeinsamen Lauf über 1500 Meter in der Saison ging der sieggewohnte Hägg gegen den neuen Rekordmann als Verlierer von der Bahn. Zuvor hatte er selbst allerdings in Östersund bereits wieder eine weitere Weltbestmarke gesetzt und mit 8:46,4 über zwei Meilen seine eigene Zeit aus der Fabelsaison 1942 unterboten.

Und eine gute Woche nach der ungewohnten Niederlage revanchierte sich Hägg in eindrucksvoller Art. Denn Anfang Juli in Göteborg trieben sich die beiden Freunde und Rivalen über erneut 1500 Meter wie so oft zu einer neuen Rekordleistung. Und diesmal war "Wunder Gunder" der Schnellere. Mit 3:43,0 drückte er die Bestmarke um zwei weitere Sekunden nach unten.

Auch diese Zeit blieb fast ein Jahrzehnt lang unangetastet. Der Schwede Lennart Strand und der Deutsche Werner Lueg (FRG) konnten sie 1947 bzw. 1952 zwar egalisieren. Doch erst im Juni 1954 lief der US-Amerikaner Wes Santee dann wirklich zwei Zehntelsekunden schneller. Ironischerweise hatte er dabei eigentlich eine neue Bestmarke über die Meile anvisiert, was ihm nach der rekordwürdigen Zwischenzeit aber misslang, weil ihm auf den letzten hundert Metern der Sprit ausging.

Bei der nächsten Begegnung der beiden in diesen Jahren überragenden Schweden lag eine Woche später im Ziel dann aber wieder der ein Jahr ältere Andersson vorne. Und noch schmerzlicher für Hägg war allerdings der Ausgang des vier Tage darnach folgenden Meilenrennens von Malmö. Denn obwohl er in 4:02,0 den Weltrekord unterbot, wurde er danach nicht als neuer Inhaber geführt. Denn Arne Andersson war noch einmal vier Zehntel schneller und blieb in der Liste weiter vorne.

Gunder Hägg verbesserte in dieser Saison ebenfalls noch einmal einen eigenen Rekord, als er Anfang August die noch nicht einmal sechs Wochen alte Zwei-Meilen-Marke auf nun 8:42,8 nach unten schraubte. Dieser Rekord hielt acht Jahre bis zum Sommer 1952. Und wie über zwei und drei Kilometer war auch hierbei dann der Belgier Gaston Reiff Nachfolger von Hägg.

Zwei Wochen danach sicherte sich "Wunder Gunder" bei den schwedischen Meisterschaften über fünf Kilometer seinen überhaupt erst zweiten nationalen Titel. Auf den am Folgetag ausgetragenen 1500 Metern musste er aber erneut die Überlegenheit des in diesem Jahr extrem starken Arne Andersson anerkennen und sich mit Silber begnügen.

Ohne Andersson hätte Hägg 1944 erneut einen Durchmarsch hingelegt. Denn alle Rennen, in denen sein Konkurrent nicht dabei war, gewann er souverän. Allerdings standen in diesem Sommer eben nicht nur Siege, sondern auch sechs zweite Plätze zu Buche. Und jedes Mal trug der vor ihm einlaufende Athlet den Namen "Arne Andersson".

Anfang des Jahres 1945 reiste Gunder Hägg ein weiteres Mal in die Vereinigten Staaten - diesmal allerdings mit dem Flugzeug - und bestritt dort eine Reihe von Hallenwettkämpfen über eine Meile. Auf dem für ihn völlig ungewohnten Untergrund konnte er aber nicht wirklich überzeugen, war weit von Rekordzeiten entfernt und ging sogar nur ein einziges Mal als Sieger von der Bahn.

Als er nach Europa zurückkehrte, war der Krieg, der im Pazifik noch einige Monate weiter gehen sollte, zumindest in dieser Ecke der Welt beendet. Den schwedischen Läufern boten sich so wieder deutlich mehr Startmöglichkeiten. Gleich mehrfach lief Hägg in diesem Sommer zum Beispiel in Kopenhagen, das zwar jenseits des Öresunds im wahrsten Wortsinne in Sichtweite lag, aber während der deutschen Besetzung Dänemarks dennoch praktisch unerreichbar war.

Auch im ebenfalls befreiten Oslo trat Gunder Hägg erstmals an. Und genauso konnte sich das Leichtathletik-Publikum in der britischen Hauptstadt London über einen Auftritt des vielfachen Weltrekordlers freuen. Nach seinen eher schwachen Leistungen in den engen amerikanischen Hallen enttäuschte Hägg dabei keineswegs und konnte in der Freiluftsaison wieder nahezu alle seiner rund dreißig Rennen - die meisten davon aber weiterhin in Schweden - als Sieger beenden.

In die Weltrekordnähe kam er aber eher selten. Trotz seiner vielen Bestmarken war Hägg eigentlich ohnehin kein typischer Zeitenjäger, sondern vielmehr ein Siegläufer, dessen Bestmarken aufgrund seines in der Regel recht offensiven Laufstils eher als Nebenprodukt abfielen. Meist tat er genau so viel wie nötig, um zu gewinnen. Gab es mangels ebenbürtiger Konkurrenz keinen Grund, vom Start weg gnadenlos aufs Gaspedal zu drücken, fielen die Ergebnisse dann halt deutlich langsamer aus.

Ein wenig war nach all der Hetze von Rennen zu Rennen in den vergangenen Jahren aber auch die Luft bei Hägg heraus. Die Motivation war längst nicht mehr so hoch wie früher. Und die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der er im magischen Sommer 1942 der Konkurrenz um Längen enteilte, war inzwischen verflogen.

Über zwei Kilometer schrammte Gunder Hägg bei einem Rennen in Stockholm allerdings Anfang August doch einmal um weniger als eine halbe Sekunde an seinem eigenen Weltrekord vorbei. Zwei Wochen später verteidigte er auch seinen schwedischen Titel auf der Fünf-Kilometer-Distanz - die dritte und letzte Goldmedaille des Wunderläufers bei einer nationalen Meisterschaft.

Zudem erzielte Hägg zusammen mit Gösta Jacobsson, Sven Stridsberg und Lennart Strand bei den schwedischen Staffelmeisterschaften in Norrköping mit 15:38,6 einen neuen Weltrekord über 4 x 1500 Meter. Die von ihm als Schlussläufer heraus gestoppte Einzelzeit war dabei allerdings rund zehn Sekunden langsamer als seine eigene Bestmarke in aus dem Vorjahr.

Aber dann war da eben noch der 17. Juli 1945, an dem Hägg in Malmö seine Bestmarkensammlung gegen seinen Lieblingskonkurrenten wieder komplettieren konnte. Wie so oft trieben sich die zwei Schweden bei diesem Meilenrennen im direkten Aufeinandertreffen zu ihren absoluten Höchstleistungen. Und während im Jahr zuvor Andersson diesen Zweikampf meist für sich entscheiden konnte, war es diesmal wieder Gunder Hägg, der das Zielband als Erster durchriss.

Die Uhr zeigte 4:01,4 - also zwei Zehntelsekunden unter dem alten Weltrekord des ganz knapp geschlagenen und damit entthronten Arne Andersson. Neun Jahre sollten ins Land gehen, bis Roger Bannister im Mai 1954 mit seiner berühmten "Traummeile" diese Zeit unterbieten und als erster Mensch die 1609,3 Meter unter vier Minuten zurücklegen konnte.

Angesichts ihrer Ergebnisse hätten vermutlich sowohl Hägg als auch Andersson diese Leistung bereits einige Jahre zuvor in den Beinen gehabt, wenn sie einmal bewusst auf Rekordjagd gegangen und wie der Brite bei seinem Lauf in der Anfangsphase in hohem, aber gleichmäßigem Tempo von Schrittmachern gezogen worden wären.

Vielleicht hätten sich die beiden Skandinavier mit ihrer sportlichen Rivalität in den nächsten Jahren aber auch so weiter zu neuen Bestmarken gehetzt. Denn als Mittzwanziger standen sie noch lange nicht am Ende ihrer Laufkarrieren. Doch dazu kam es nicht mehr. Ohne es zu ahnen lief der nun wieder siebenfache amtierende Weltrekordler Gunder Hägg Anfang Oktober 1945 seinen allerletzten Wettkampf.

Im Winter erschütterte der wohl größte Skandal der schwedischen Sportgeschichte das nordische Land. Es wurde nämlich öffentlich, dass nicht nur Hägg sondern auch viele andere Sportler entgegen der strengen Amateurregeln jener Tage unter der Hand Zahlungen angenommen hatten. Die Moralisten in den Führungszirkeln des nationalen Leichtathletikverbands packten daraufhin die ganz große Keule aus.

Rund vierzig Aktive und fast zweihundert Offizielle, Funktionäre, Sportfestveranstalter und -organisatoren wurden suspendiert. Neben Hägg, der als Wiederholungstäter eine Sperre auf Lebzeiten erhielt, waren auch weitere Laufstars wie Arne Andersson und Henry Kälarne Jonsson betroffen. Ihr Verteidigungsargument, sie hätten nie etwas verlangt, sondern wären nach ihren Rennen immer freiwillig beschenkt worden, prallte an den Richtern wie zu erwarten ohne jede Wirkung ab.

Es ist durchaus eine Ironie der Geschichte, dass die Karriere von Gunder Hägg zwar in etwas jüngeren Jahren aber unter ähnlichen Umständen endete wie die des großen Paavo Nurmi, der auf allen Strecken, über die Hägg Weltrekorde lief, als einer von dessen Vorgängern geführt wird. Allerdings deckte der Finne sogar eine noch größere Bandbreite ab, setzte auch Bestmarken über zehn, fünfzehn und zwanzig Kilometer und gewann insbesondere neunmal olympisches Gold.

Doch zu seinem geplanten Auftritt als Marathonläufer bei den Spielen 1932 in Los Angeles kam es nicht mehr. Nurmi wurden ähnliche Vergehen vorgeworfen wie Hägg ein gutes Jahrzehnt später. Er sollte Startgelder angenommen haben. Und während ihn sein heimischer Verband verteidigte, setze die internationale Leichtathletikvereinigung - damals übrigens unter einem schwedischen Präsidenten - den Ausschluss des damals erfolgreichsten Olympioniken überhaupt durch.

Für den Wunderläufer Hägg selbst bedeutete die Entscheidung des Schiedsgerichts allerdings durchaus auch eine gewisse Erleichterung, die ihm einiges an Druck von den Schultern nahm. Trotz aller Erfolge war er schließlich nie ein Läufer aus echter Leidenschaft gewesen. Er konnte auch ohne den Sport leben. Dieser stellte für ihn auch während seiner aktiven Zeit stets kaum mehr als ein Vehikel dar, um seine soziale Position zu verbessern.

Und diesen Aufstieg hatte er längst erreicht. Das karge Leben eines armen Holzfällers in den weiten Wäldern von Jämtland hatte er hinter sich gelassen. Selbst der Job bei der Feuerwehr von Gävle war bereits wieder Vergangenheit. Inzwischen lebte er im südschwedischen Malmö, arbeitete in einem Bekleidungsgeschäft und verkaufte dort Krawatten oder Hüte.

Obwohl die schwedischen Verbandsoberen ihn und seine Kameraden eindeutig den schon damals völlig unrealistischen und unzeitgemäßen Amateurparagrafen geopfert hatten, während man anderswo bei ähnlich populären Sportlern durchaus auch einmal ein Auge zudrückte, beklagte er sich in der Folgezeit nicht mehr über dieses Urteil.

Angeblich hingen in seiner Wohnung in Malmö sogar jene Urkunde, mit der ihn der schwedische König als größten Athleten des Landes ausgezeichnet hatte, und der Brief, mit dem er am 17. März 1946 von allen weiteren Wettkämpfen ausgeschlossen wurde, direkt nebeneinander an der Wand - von Kränkung und Verbitterung keine Spur.

Was Gunder Hägg noch alles hätte erreichen können, egal ob weitere Weltrekorde, die Traummeile oder olympische Goldmedaillen, war hauptsächlich eine Frage unter seinen vielen Fans. Denn seiner Popularität blieb auch durch die Sperre weitgehend ungebrochen. Er selbst trauerte den verpassten Möglichkeiten - zumindest öffentlich - jedoch nie nach.

Den Rest seines Lebens verbrachte Hägg größtenteils in Malmö und der die Stadt umgebenden Provinz Skåne, wo das Klima weit weniger rau war als in seiner fast tausend Kilometer weiter im Norden gelegenen jämtländischen Heimat. Er heiratete die aus der Region stammende Daisy Lundqvist und hatte gemeinsam mit ihr vier Kinder - drei Söhne und eine Tochter.

Wirklich reich wurde Gunder Hägg nie. Das von ihm nach dem erzwungenen Ende seiner Karriere gegründete Sportgeschäft musste nach einigen Jahren wegen fehlender Erträge wieder geschlossen werden. Doch hatte er auch anschließend als Außendienstmitarbeiter eines Produzenten für Damenhüte ein geregeltes Auskommen.

Mit fünfundachtzig Jahren starb Gunder Hägg - der Mann, der einfach zur falschen Zeit seine Höchstform erreichte und deswegen außer in seiner Heimat Schweden immer ein wenig bei der Aufzählung der größten Läufer aller Zeiten vergessen wird - am 27. November 2004 im Dörfchen Löderup. Dort ganz im Süden von Schweden liegt er auch begraben.

Das Portrait über Gunder Hägg zur Serie Heroes erstellte Ralf Klink
Grafik Ursula Güttsches

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