Marisa Gomez-Ruhland

Das katalanische Energiebündel läuft
mit fast 60 Jahren Marathonbestzeit

erstellt von Reinhold Daab im Dezember 2018  

Auf dem Wohnzimmertisch liegen Meisterschaftswimpel, ein prall gefüllter Ordner mit Urkunden und Fotos lässt erahnen, dass es ein interessanter Abend werden wird.

"Ich bin Katalanin, darauf lege ich großen Wert". Noch bevor das Interview Fahrt aufnimmt, bin ich im Bilde, wo Marisas Wurzeln liegen und erkenne sehr viel Stolz in diesem Satz.

Marisa ist im Alter von 6 Jahren mit ihrer Familie aus Spanien nach Neu-Isenburg gekommen, das ist 54 Jahre her. "Meine Eltern gehörten zu den ersten Gastarbeitern", erzählt sie und, dass die Anfangsjahre im fremden Land nicht einfach waren. "Wir haben anfangs zu viert in einem Zimmer gewohnt".

Schule und Abitur absolviert Marisa in Neu-Isenburg, es folgen 6 Jahre Psychologiestudium in Frankfurt. Dann kommt 1985 Sohn Manuel zur Welt, zwei Jahre später Tochter Laura. Im gleichen Jahr wird die neue Wohnung in Dietzenbach bezogen. Das Studium wird an den Nagel gehängt, 1992 erfolgt der Einstieg in einen kaufmännischen Beruf. Seit 14 Jahren arbeitet Marisa im Verkaufsinnendienst für ein amerikanisches Unternehmen in Frankfurt und pendelt täglich mit dem Auto.

 

Was das Laufen betrifft, war Marisa eine absolute Späteinsteigerin. Und das kam so: Sohn Manuel musste für die Schule an einem Volkslauf des SC Steinberg über 2,3 km teilnehmen. Mutter Marisa kam spontan in den Sinn, "da könnte ich doch mal mitlaufen". Gesagt, getan. Da auch ein 5 km Lauf angeboten wurde, meldete sie sich an, lief ohne jede Vorbereitung mit und war im Ziel überraschend bei den schnellsten Frauen und Manuel konnte sogar mit den schnellen "Straub"-Jungs mithalten. Das machte Lust auf mehr. Marisa nahm sich vor, sich beim Lauftreff des SC Steinberg anzumelden. Aber vorher wollte sie eine Stunde am Stück laufen können. Als dieses Ziel erreicht war, wurde sie 2006 Vereinsmitglied, da war sie 48 Jahre alt. Fortan lief Marisa regelmäßig aber ohne spezielles Training beim Lauftreff mit. Ab und zu nahm sie an Wettkämpfen teil, was ihr so großen Spaß bereitete, dass sie die nächste große Herausforderung ins Visier nahm.

Mit 50 Jahren wollte Marisa ihren ersten Marathon laufen. Als gebürtige Katalanin nicht irgendwo - natürlich in Barcelona 2009. Ihre Verbundenheit zur alten Heimat drückte sie mit einem Trikot in den katalanischen Nationalfarben aus und schwebte nach 3:47 Std. überglücklich ins Ziel. Für Marisa der erste sportliche und dazu noch sehr emotionale Höhepunkt ihrer Laufkarriere, die erst jetzt richtig Fahrt aufnehmen sollte. Durch das Erfolgserlebnis war der Ehrgeiz geweckt, Marisa stellte das Training um und trainierte nach Trainingsplänen von Herbert Steffny (Marathontraining für Frauen).

Das zeigte Wirkung, schon bald stellten sich erste Erfolge ein. Ab 2011 wurde Marisa fünf Mal Hessenmeisterin in ihrer Altersklasse (Halbmarathon 2015, 2017 und 2018 sowie Marathon 2011 und 2018). Mit der Mannschaft errang sie 2014 den Deutschen Meistertitel in der W50 im Halbmarathon, was zugleich mit 4:45 Std. neuen Hessischen Rekord bedeutete.

Besonders stolz war Marisa auf ihren Streckenrekord von 32:43 min. über 7,9 km in der W55 beim HVB Citylauf in Aschaffenburg, obwohl es ihr dann doch fast etwas peinlich war, als der Rekordlauf bei der Siegerehrung erwähnt wurde.

Zu der positiven Entwicklung trug schließlich auch ein Vereinswechsel bei, den Marisa 2013 vollzog und sich Spiridon Frankfurt anschloss. Von da an konnte sie in einer Trainingsgruppe mit gleich starken Frauen trainieren und sich weiter entwickeln.

Aber die alles entscheidende Rolle, dass Marisa im stolzen Läuferinnenalter von fast 60 Jahren ihre größten Erfolge feiern durfte, übernahm ihr Sohn Manuel. "Laufen verbindet uns", dieser Satz sagt alles aus über die innige Verbindung zwischen den beiden, die weit über das übliche Mutter-Sohn-Verhältnis hinausgeht. "Manuel hat oft mit mir trainiert, er hat mich gefordert, mich bestätigt und immer wieder ermutigt", erzählt Marisa, die seit 2017 auch nach Trainingsplänen ihres Sohnes trainiert. Das hat wohl letztlich auch den letzten Kick für ihre Erfolge gegeben.

 

Kein Wunder also, dass 2018 das bislang erfolgreichste Jahr für Marisa wurde. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass es ihr großes Ziel war, in ihrer neuen Altersklasse W60 noch einmal richtig Gas zu geben. Das führte schließlich zu dem heiß ersehnten Platz auf dem Podest bei den Deutschen Marathonmeisterschaften in Düsseldorf. In 3:23:08 Std. holte sich Marisa die Bronzemedaille, nur 40 Sekunden über ihrer Bestzeit aus dem Jahre 2011 (3:22:28 Std. Frankfurt Marathon).

"Ich hatte erreicht, was ich wollte. Jetzt konnte ich den Frankfurt Marathon ohne jeden Druck angehen", lautet Marisas Maxime für den letzten Saisonhöhepunkt in ihrer Heimat. "Es war einfach toll, so viele Bekannte an der Strecke zu sehen. Ich habe alles in mich aufgesogen und nur noch genossen. Bei km 25 hat Manuel auf mich gewartet und mich noch einmal richtig gepusht".

Was Marisa nicht für möglich gehalten hatte, wurde tatsächlich wahr. Zwei Monate vor ihrem 60 Geburtstag lief sie mit neuer Bestzeit von 3:22:13 Std. als W60-Siegerin in der Festhalle ins Ziel. Eine wahnsinnig tolle und fast unglaubliche Geschichte.

Was viele bestimmt nicht wissen, Marisa hat neben dem Laufsport noch eine weitere, große Leidenschaft. Sie singt. "Auf der Bühne bin ich ein anderer Mensch, das ist wie eine Sucht", schwärmt Marisa. Seit 1984 war sie Sängerin in verschiedenen Cover Bands, am liebsten mag sie Oldies, begleitet an der Gitarre von ihrem Lebensgefährten Manfred. Ihr Hobby hat sie im Rahmen eines Kulturaustausches sogar bis nach China geführt.

Wenig erwähnenswert findet Marisa ihre Bestzeiten. Wenn man aber bedenkt, wann und in welchen Altersklassen diese erzielt wurden, müssen sie unbedingt genannt werden:

5 km

20:49 min

W55

10km

42:14 min

W55

Halbmarathon

1:33:15 h

W50

Marathon

3:22:13 h

W60

Marisa hat zwar in diesem Jahr als Sportlerin alles erreicht, von dem sie geträumt und auf das sie hingearbeitet hat. Aber das war längst noch nicht alles. Sie möchte mehr für Triathlon trainieren und konzentriert sich dabei auf die Olympische Distanz. Und 10 Jahre nach ihrem ersten Marathon wird sie im März 2019 als stolze Katalanin wieder in Barcelona an den Start gehen, vor den Augen ihrer Mutter, die an der Ostküste in Valencia wohnt mit Blick aufs Meer. Diesen tollen Ausblick hat Marisa täglich vor Augen, als Hintergrundbild auf ihrem Handy.

Am 27. Dezember wird Marisa Gomez-Ruhland 60 Jahre.

Das Porträt von Marisa Gomez-Ruhland erstellte: Reinhold Daab
Fotos © Reinhold Daab und Privat

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