Prof. Dr. Wildor Hollmann, Sportmediziner von Weltrang und Befürworter des Laufens, ist tot

von Wolfgang W. Schüler (Text und Fotos) 

 

"Gesund und leistungsfähig bis ins hohe Alter" lautet eines der zahlreichen Bücher von Prof. Dr. Wildor Hollmann, in dem er 2006 auf leicht verständliche Art den Wissensstand der Medizin zu diesem Thema zusammengefasst hat. Er, der Vieles, was hierzu zu sagen war, selber im Laufe der Jahrzehnte erforscht und zu hoher allgemeiner Akzeptanz geführt hatte, verstarb am 13. Mai 2021 im Alter von stolzen 96 Jahren.

Foto zeigt v.r. Prof. Dr. Wildor Hollmann und Wolfgang W. Schüler und bei einem privaten Treffen in Wiesbaden 2006

Hollmann, geb. 1925 in Menden, gilt als Motor und Vordenker der Sportmedizin. Nachhaltig hat er, der langjährige Lehrstuhlinhaber für Kardiologie und Sportmedizin an der DSHS, zu ihrer Etablierung als ernstzunehmende wissenschaftliche Disziplin beigetragen. Bahnbrechend waren seine experimentellen Forschungen im Bereich der Präventivmedizin und Leistungsdiagnostik. So untersuchte er den Einfluss von Arbeit und Training wie auch den von mangelnder Bewegung auf den gesunden und kranken Menschen, wobei ihn in diesem Zusammenhang stets auch die Alterungsvorgänge interessierten.

Als 1949 eine Apparatur zur Verfügung stand, mit der die Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel erstmals exakt gemessen werden konnte, führte er, noch Student der Medizin an der Universität zu Köln, seine ersten Untersuchungen durch. Sie sollten zunächst einmal Aufschluss darüber geben, was überhaupt als Durchschnittswerte gesunder sporttreibender Personen gelten konnte. Ende 1952 hatte sich genügend verwertbares Material für die Datenauswertung angesammelt. Es musste noch ohne Computer, ohne elektronische bzw. elektrische Geräte berechnet werden - eine langwierige Prozedur. Die verschriftlichte Arbeit reichte Hollmann 1954, ein Jahr nach dem bestandenen Staatsexamen, als Dissertationsschrift ein. Sie sollte 5 Jahre später unter dem Titel "Der Arbeits- und Trainingseinfluß auf Kreislauf und Atmung" erscheinen und ausgezeichnete Besprechungen in den nationalen und internationalen Referierungen erhalten.

Hollmann hatte bereits 1953 eine freie Stelle innerhalb der Universitätsklinik angetreten. Während er tagsüber Stationsdienst versah, widmete er sich abends seinen Forschungen. Mit der Verbesserung der Leistungsfähigkeit seiner Apparatur interessierten ihn jetzt auch "die Extremfälle menschlicher Anpassungsfähigkeit. Das sah dann so aus, dass einerseits Sportstudenten tage- oder wochenlang im Bett lagen und die Auswirkungen dieser körperlichen Untätigkeit untersucht wurden; andererseits wurden Langstreckenläufer und die Auswirkungen ihrer körperlichen Aktivität untersucht." (Hollmann) Durch Vermittlung des damaligen Präsidenten des DLV stand Hollmann die führende Läufergilde, angeführt von Herbert Schade, zur Verfügung - und der brachte einmal einen Lauffreund mit: Emil Zatopek.

Mit Übernahme des sogenannten "Sportinternistischen Labors" der Uni-Klinik im Jahre 1955 fand Hollmann zu einem weiteren Interessens- und Aufgabengebiet: der Anwendung des Sports zur Vorbeugung von Herz-Kreislaufkrankheiten sowie zur Bewegungstherapie und zur Rehabilitation bereits geschädigter Menschen. In diese Richtung bestärkt wurde er mit seinem Beitritt ins Kuratorium für die sportmedizinische Forschung, das auf Wunsch des Präsidenten des DSB, Willi Daume, gegründet worden war. Als 1956 Anträge eingereicht werden konnten, verschaffte Hollmann sich "zum ersten Mal selbständige Forschungsmittel, welche ich unabhängig von den Direktiven anderer einsetzen konnte." (H.) Um seinem Tun auch den entsprechenden organisatorischen Rahmen zu geben, gründete er 1958 das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, welches er, eingebunden in die von Carl Diem geleitete Deutsche Sporthochschule, zunächst als privates 1-Mann-Institut führte. "Nach wie vor arbeitete ich von 9.00 bis 16.00 Uhr in der Medizinischen Universitätsklinik, um dann mit Gastärzten der Klinik für experimentelle Untersuchungen in die Sporthochschule zu fahren." (H.) Während der Feier zur Institutsgründung hatte Hollmann seine Definition für das Fachgebiet Sportmedizin - als international erste offizielle Definition - vorgetragen. Sie wurde 1977 vom Weltverband für Sportmedizin (FIMS) übernommen. Sie lautet:

"Sportmedizin beinhaltet diejenige theoretische und praktische Medizin, welche den Einfluß von Bewegung, Training und Sport sowie den von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe untersucht, um die Befunde der Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie dem Sportler dienlich zu machen."
(H.)

Damit Übungs- bzw. Trainingsbelastungen möglichst optimal gesteuert werden konnten, arbeitete Hollmann an der Bestimmung des "Punktes des optimalen Wirkungsgrades der Atmung als Maß der aeroben Leistungsfähigkeit", und zwar mittels Laktatdiagnostik und Ventilationsschwelle - heute aerob-anaerobe Schwelle genannt. Seine Methode stellte er erstmals auf dem Panamerikanischen Sportärzte-Kongress 1959 in Chicago vor. Dort erhielt er seine erste Forschungsauszeichnung: die Ehrenmedaille des Kongresses - Auftakt zahlreicher noch folgender nationaler und internationaler Ehrungen.

Längst übte Hollmann neben den experimentellen Untersuchungen auch Routineuntersuchungen an Leistungssportlern zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel durch. Auf lokaler Ebene gehörten die Spitzenfußballer des 1. FC Köln dazu. Auf Bundesebene betreute Hollmann von 1958 bis 1978 die Fußball-Nationalmannschaft, daneben auch das Golf- und Hockey-Nationalteam für jeweils mehrere Jahre.

Die 1960er Jahre läuteten Hollmanns Hochschultätigkeit ein. 1961 habilitierte er mit der drei Jahre später publizierten Schrift "Höchst- und Dauerleistungsfähigkeit des Sportlers", welcher im Jahr darauf "Körperliches Training als Prävention von Herz-Kreislaufkrankheiten" folgte. Im selben Jahr, 1965, wurde er ordentlicher Professor für Kardiologie und Sportmedizin der DSHS Köln. Als Lehrstuhlinhaber war es ihm nun viel leichter möglich, Forschungsmittel bewilligt zu bekommen. "Es war also für die gesamte Entwicklung des von mir geleiteten Instituts ein entscheidender Sprung für die zukünftigen forschungsgemäßen Gestaltungsmöglichkeiten." (H.) Mittlerweile kamen zahlreiche Ärzte aus der ganzen Welt als Gäste nicht mehr nur in die Medizinische Uni-Klinik, sondern auch in sein Institut. Was ihm wiederum Einladungen in andere Länder einbrachte.

In der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person stand besonders die Beteiligung an der Trimm-Bewegung ("Trimming 130") des DSB in den 1970er Jahren. Willi Daume hatte Jürgen Palm mit der Umsetzung eines Breitensport-Konzeptes betraut, dem Hollmann die ideologische Ausrichtung gab. 1968 war von ihm die Faustregel "180 minus Lebensalter in Jahren gleich Pulszahl im Training" aufgestellt worden. Ebenso "hatten wir den mehr auf Logik basierenden Slogan: ‚Durch ein geeignetes körperliches Training gelingt es, 20 Jahre lang 40 Jahre alt zu bleiben.' Heute können wir diese Dinge biochemisch und biophysikalisch beweisen." (H.)

Nicht zu übersehen war und ist Hollmanns Nähe zum Laufen und zur Laufbewegung. Neben Carl Diem hatte Prof. Hugo W. Knipping, dessen Schüler und Doktorand Hollmann war, das Joggen für sich selbst erfunden und erwartete, dass auch seine Assistenten und Studenten durch die Gartenanlage der Klinik Lindenburg trabten. Laufarzt Ernst van Aaken kam ab 1957 jeden Mittwoch-Nachmittag, wenn er in seiner Praxis frei hatte, zu Hollmann, um sich mit bestimmten theoretischen Grundlagen vertraut zu machen. Und es waren vor allem die laufenden Ausdauersportler, die Hollmann immer wieder in seine Forschung einbezog und deren Datenmaterial er auswertete. Das Joggen nach dem Herzinfarkt - Frühmobilisation und Therapie bzw. Rehabilitation mittels Bewegung anstatt Bettruhe! - war einer seiner fundamentalen Beiträge, wie auch zum Laufen nach Krebs wertvolle Erkenntnisse von ihm ausgingen. Prof. Dr. Gerhard Uhlenbruck (Köln), erinnert sich: "Wenn bei irgendeiner Gelegenheit etwas gegen das Laufen vorgebracht wurde, musste man sich nur auf Untersuchungen von Hollmann berufen und jegliche Kritik verstummte. So manches Postulat van Aakens konnte durch die Arbeiten Hollmanns und seines Teams wissenschaftlich untermauert werden." (U.) Dass Hollmann nicht selber Läufer wurde, ist eine Anekdote: "Als ich in den 60er Jahren in meinen Pausen in der Nähe der DSHS im Stadtwald einige Runden drehte, kam eines Tages der Rektor der Kölner Universität zu mir und bat mich höflich, dies zu unterlassen - ein Professor im Trainingsanzug am hellichten Tag, laufend - das würde dem Ansehen der Universität schaden." (H.) Hollmann, ehemaliger Spieler in der Tischtennis-Oberliga, verlegte sich nunmehr aufs Tennisspielen.

Prof. Dr. Wildor Hollmann inmitten von Wolfgang W. Schüler (l.) und Prof. Dr. Gerhard Uhlenbruck an der DSHS Köln 2016

Sein unaufhaltsamer wissenschaftlicher Aufstieg brachte die Übernahme zahlreicher Ämter und Positionen mit sich. 1960 wurde er Chefredakteur der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin, eine Aufgabe, die er bis 1998 ausübte. In den 70er Jahren kamen neue aktive Mitgliedschaften hinzu, z. B. in den wissenschaftlichen Beiräten der Bundesärztekammer und des Verteidigungsministeriums. In den 80ern avancierte er zum Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes und des Weltverbandes für Sportmedizin (FIMS). Nebenbei wurde er - ebenfalls für viele Jahre - offizieller wissenschaftlicher Berater in Japan für Präventivmedizin.

Als Forscher schlug Hollmann 1985 ein weiteres Gebiet auf: die "Bewegungs-Neurowissenschaft". Nachdem es seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre technisch möglich geworden war, selbst kleinste Bezirke des Gehirns getrennt auf Durchblutung und Stoffwechsel zu untersuchen, haben er und Mitarbeiter sich "dieser Methoden in Verbindung mit dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Köln und der Kernforschungsanlage in Jülich bedient. Dabei konnten wir international erstmalig feststellen, dass bei einer Belastung mit 25 oder 100 Watt auf dem Fahrradergometer regional unterschiedlich große, aber hochsignifikante Durchblutungszunahmen im Gehirn auftreten. Bis dahin glaubte man allgemein an eine Konstanz der Gehirndurchblutung unabhängig von irgendwelchen körperlichen Aktivitäten." (H.) Zudem wurde eine Fülle qualitativer Stoffwechselveränderungen beobachtet. "Eine Vielzahl unterschiedlicher Nervenwachstumsfaktoren sorgt für eine Verbesserung von Nervenverbindungen im Gehirn (Synapsen), eine Neubildung sogenannter Spines, Orte des menschlichen Kurzzeitgedächtnisses, eine Neubildung von Kapillaren im Gehirn und die Entstehung neuer Nervenzellen, wobei letztes bis 1998 in der Medizin für unmöglich galt." (H.) Diese "Hirnplastizität" erlaubt also nicht nur funktionelle Veränderungen in gewünschter Richtung, sondern auch strukturelle - und körperliche Bewegung ist, unabhängig vom Alter des Menschen, der Schlüssel dazu!

Als optimal erachtete Hollmann die Kombination von körperlicher und geistiger Anstrengung. "Hierdurch kann es gelingen, bis ins hohe Alter ein normal funktionsfähiges Gehirn mit entsprechenden geistigen Leistungen zu erhalten." (H.) Seine gute Nachricht vorneweg: "Es ist ... nie zu spät, mit dem Üben anzufangen." (H.) Und: "Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig Anforderungen die Natur verlangt, um dem Abbau der Leistungsfähigkeit entgegenzuwirken." (H.) Von zentraler Bedeutung hierbei: das Ausdauertraining in Form von Gehen, Laufen, Radfahren und Schwimmen zur Beanspruchung großer Muskelgruppen. Mit ihm können die gesundheitlichen Effekte für Herz, Kreislauf und Atmung erzielt werden. Etwas stärker ausgeübt, lässt sich sogar die Stoffwechseltätigkeit um das Drei- bis Vierfache steigern.

Daneben koordinative Übungen, wie z. B. das Gehen auf einer schmalen Linie oder das An- und Ausziehen im Stehen bei guter Absicherung gegen Stürze nach allen Seiten, zur Förderung von Geschicklichkeit bzw. Gewandtheit. "Übungseffekte dieser Art sind auch noch bei Personen jenseits des 90. Lebensjahres zu erzielen, selbst wenn vorher nicht geübt worden war." (H.) So zeigten z. B. Studien von Hollmann in den 1960er Jahren in Seniorenheimen in Köln, dass innerhalb von 12 Monaten sturzbedingte Knochenbrüche um ca. 50% reduziert werden konnten. Schließlich statische Kraftübungen, wie z. B. das Hände-gegeneinander-Pressen oder das Drückausüben mit den Füßen gegen eine Wand, mit denen der alternsbedingte Kraftverlust um 50 - 70% vermieden werden kann. (H.)

Hollmann selber besaß, wie Medizin-Kollege Prof. Dr. Gerhard Uhlenbruck anlässlich dessen 80. Geburtstages im Jahre 2005 bemerkte, "eine quicklebendige, stress-resistente Fitness und einen unbändigen Tatendrang, so dass man ihm bescheinigen kann, dass man auch 20 Jahre lang 60 bleiben kann." (U.) Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1990 hielt dieser - bis zum Wintersemester 2019/2020 (!) - noch Vorlesungen an der DSHS Köln. Er war Vielreisender und Gastredner auf nationalem und internationalem Parkett, wirkte als vielfacher Ehrenpräsident, zuvorderst des Weltverbandes für Sportmedizin, und forschte unablässig weiter. Neugierde als treibende Kraft, wie er betonte. In den letzten Jahrzehnten waren es besonders die Quantenphysik und die Hirnforschung, die ihn umtrieben. 1997 legte er Forschungsergebnisse zur "Hypothetischen Entwicklung der menschlichen Verhaltensweisen mit möglichen Quanteneinwirkungen", 2004 zur "Hypothetischen Bewusstseinsentstehung" vor.

Knapp 1.000 Publikationen liegen von ihm vor, ca. 250 in englischer Sprache. Viele seiner Bücher sind Standardwerke der Sportmedizin. Das von ihm und Prof. Dr. Theodor Hettinger 1976 veröffentlichte Werk "Sportmedizin. Grundlagen für Arbeit, Training und Präventivmedizin" (4., völlig neubearb. u. aktual. Aufl. 2000) gilt als deren Bibel. Auf über 700 Seiten beschreibt es alle medizinischen Aspekte des gesunden und kranken Menschen in der Bewegung. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Prof. mult. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wildor Hollmann wurden höchste nationale und internationale Forschungsauszeichnungen zuteil, darunter der Max-Bürger-Preis für Alternsforschung (1969) und der Sir-Philip-Noel-Baker-Forschungspreis der UNESCO (1976). Die deutsche Ärzteschaft verlieh ihm ihre höchste Auszeichnung, die Paracelsus-Medaille (2002), die Bundesärztekammer die Ernst-von-Bergmann-Medaille (1976). Die Bundesrepublik Deutschland zeichnete ihn mit ihrer höchsten Auszeichnung aus, dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband (2000). Zahlreiche internationale Gesellschaften ernannten ihn zum Ehrenmitglied oder Ehrenpräsidenten. Das internationale Biografiezentrum Cambridge/England wählte ihn in die Reihe "International bedeutendste präventivmedizinische Persönlichkeiten" (2005). 2006 verlieh es ihm den Titel "Präventivmediziner des Jahres". Anlässlich seines 95. Geburtstages am 30. Januar 2020 eröffnete die DSHS Köln das "Wildor Hollmann Forum", eine Dauerausstellung mit zahlreichen Erinnerungsstücken aus dem Wirken und Leben des Jubilars.

Im Rückblick nannte Wildor Hollmann es seinen größten Erfolg, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach elf Jahren Forschung seine Therapie der Frühmobilisation von Herzinfarktpatienten anerkannt hatte - das sog. "Kölner Modell". Daneben findet sich in seiner Autobiografie "Ziel und Zufall" (2013) der bescheiden anmutende Satz: "Was als Verdienst bleibt, ist die Tatsache, glückliche Zufälle als solche erkannt und richtige Konsequenzen daraus gezogen zu haben."

Nachruf von Wolfgang W. Schüler (Text und Fotos) 

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