Die Krux mit dem Geschlechter-Malusvon Christian Werth |
Dass Frauen im gesamten Laufbereich 10 bis 13 % schlechter sind als Männer, gilt seit jeher als Faustformel und ist auch heute noch als Maßstab gültig. Die Frau hat in etwa die gleiche Ausdauerfähigkeit wie der Mann und schleppt ihren 10-Prozent-Malus von der 100-m-Distanz aufgrund geringerer Muskulatur und schlechterer Hebelverhältnisse bis zur Marathon-Distanz mit sich. Auch wenn im Vergleich der Weltrekorde zwischen Männern und Frauen nach wie vor zumeist ein Malus von rund 12 % besteht, haben die Damen im letzten Jahrzehnt in verschiedenen Laufdisziplinen aufgeholt. Zwar sind auch die meisten Männer-Weltrekorde in den vergangenen zehn Jahren verbessert worden, allerdings nicht so drastisch wie bei den Frauen. Vor allem über 5.000 m und im Halbmarathon bestand noch bis vor wenigen Jahren mit gut 14 % erheblicher Nachholbedarf, der inzwischen durch Tirunesh Dibaba und Florence Kiplagat korrigiert worden ist.
Durch den zunehmen Einfluss afrikanischer Läuferinnen sind die Abstände zum schnelleren Geschlecht geschmolzen. Da es insgesamt wesentlich weniger Läuferinnen gibt, ist die Chance, auf herausragende Talente zu stoßen, natürlich auch geringer. Hinzu kommt, dass in Afrika weibliche Athletinnen bei weitem nicht so gefördert werden wie männliche. Daher ist hierzulande im Umkehrschluss feststellbar, dass der Malus der deutschen Rekorde in den allermeisten Laufdisziplinen niedriger ist als der der Weltrekord-Vergleiche. International gesehen besteht vor allem im Halbmarathon weiblicher Nachholbedarf, weil es hier im Männerbereich Spezialisten gibt, während die Topzeiten bei den Frauen vorwiegend durch Marathonläuferinnen erzielt werden. Der herausragend hohe Malus von 13,8 % über 3.000 m Hindernis liegt selbstredend an der kurzen Existenz dieser Disziplin fürs weibliche Geschlecht, wobei auch die mehr als zehn Prozent bessere Sprungkraft nicht außer Acht gelassen werden darf. Hier wartet die Statistik allerdings noch immer auf den ernsthaften Einstieg der afrikanischen Gazellen. Außergewöhnlich niedrig ist der Unterschied über 3.000 m mit 10,3 % durch eine Zeit, an die heute niemand mehr heranreicht. Hierbei liegt jedoch der Verdacht nahe, dass die Weltrekordlerin aus China nicht nur ihrer Zeit, sondern auch den Dopingfahndern voraus waren.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass beim weiblichen Geschlecht mit Dopingunterstützung oder aber auch durch Frauen mit besonders viel Testosteron bis hin zu Zwitter-Athleten mehr herauszuholen ist als bei den Männern und hier der Grund für so manchen wundersamen Ausschlag liegen könnte. So waren vor allem burschikos wirkende 800-m-Läuferinnen wie Caster Semenya oder Pamela Jelimo in den vergangenen Jahren nah an den Uralt-Weltrekord durch die Tschechin Jarmila Kratochvilova herangekommen, ehe sie durch Östrogen-Verordnungen ausgebremst wurden. Allerdings ist hier auch die Weltrekordhalterin selbst umstritten. Dass hier der Malus aktuell wieder auf satte 12,3 % gestiegen ist, liegt an den jüngsten Weltrekord-Verbesserungen des Kenianers David Rudisha und beweist, dass gegen Jahrhundert-Talente sämtliche Hochrechnungen Makulatur werden. Allerdings ist auffallend, dass sich Wunderläufer bei den Frauen mit ihren Rekorden wesentlich weiter absetzen können als bei den Männern. Die Leistungsdichte ist bei den Damen eben nicht so hoch, was wiederum zum Vorteil der Männer führt, dass man sich an der Spitze gegenseitig besser pushen kann. Wenn man die zehntbesten Zeiten zu Rate ziehen würde, wäre der Unterschied zwischen den Geschlechtern um einiges höher. Vor allem Paula Radcliffe ist hier zu nennen, die den Malus mit ihrem Fabelweltrekord von 2:15:25 h auf 9,2 % verkürzte. Nimmt man die mehr als drei Minuten langsamere Zweitbeste Catherine Ndereba als Maßstab, wäre der Malus bei 11,9 % gewesen. Hatte sich der Frauen-Malus bis zu Radcliffes Rekordlauf von 2003 kontinuierlich verkleinert, ist es im Zuge breiter kenianischer Männerfront um Dennis Kimetto den letztjährigen Weltrekord-Verbesserungen zu verdanken, dass der Unterschied aktuell nun wieder auf 10,1 % und gegenüber Ndereba sogar auf 12,1 % angewachsen ist. Fantasten, die 2003 noch behauptet hatten, dass schnellere Frauen-Zeiten nur eine Frage der Zeit sein dürften, sind damit auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden.
Eine Fabelzeit macht auch die Ultra-Betrachtung kaputt. Schließlich hat die Japanerin Tomoe Abe Ende der 90er auf der 100-km-Distanz mit ihrer Sensationszeit von 6:33:11 h den Unterschied auf sagenhafte 5,3 % gedrückt, während er bei der fast eine halbe Stunde schlechteren Zweitbesten gut 13 % betragen würde. Dass die Ausdauerfähigkeit oberhalb der Marathondistanz zugunsten der Frau ausfällt, kann man abgesehen von diesem Ausreißer also nicht sagen. Dies stützt auch der Blick auf den 24-Stunden-Lauf. Hier liegt der Unterschied bei 21,4 %, wobei dies auch der Tatsache einer ausgesprochen kleinen Frauenszene zuzuschreiben sein dürfte. Auch im Triathlon liegt der Malus grob geschätzt bei 10 bis 13 Prozent. Der größere, muskulär bedingte Unterschied im Radfahren wird hier durch den geringeren Malus im Schwimmen ausgeglichen. Der wesentliche Rückstand von durchschnittlich 50 min auf der Ironman-Distanz resultiert mit meistens rund 40 min aus dem Radfahren, während es im Schwimmen und Laufen bei der WM auf Hawaii sogar schon öfters den Fall gab, dass die schnellsten Schwimm- und Laufzeiten von einer Frau erzielt wurden. Über den Haufen geworfen wird die 10- bis 13-prozentige Kalkulation jedoch von der Britin Chrissie Wellington, die ihren Konkurrentinnen weit voraus war und 2011 mit ihrer Fabelweltbestzeit von 8:18:13 h den Malus auf 6,1 % drückte, ehe er dank der Verbesserung der Männerbestzeit von 7:41:33 h durch Andreas Raelert aktuell wieder auf 7,9 % gehoben wurde. Ohne Jahrhundert-Talent Wellington läge der Malus bei 11,5 %.
Ein Blick auf weitere Ausdauer-Weltrekorde beweist, dass sich der allgemeine Ausdauer-Malus stets um rund 10 % bewegt, jedoch grundsätzlich von den variierenden körperlichen Anforderungen abhängt. So liegt der Weltrekord-Unterschied beim 10.000-m-Eislaufen bei 8,7 %, während er beim Schwimmen, die 1.500-m-Distanz zugrunde legend, sogar nur 6,6 % beträgt. Beim Radfahren ist er, wie schon angemerkt, aufgrund der weiblichen Kraftdefizite ausgesprochen hoch. Hier kommt man auf einen Malus von 17,1 %, wenn man die aktuellen Stunden-Weltrekorde miteinander vergleicht. Den höchsten Wert bringt jedoch das Inlineskaten hervor, wo die Marathon-Weltrekorde satte 21,6 % auseinanderliegen. Dass der Malus hier so viel höher liegt als im anforderungsähnlichen Eislaufen, legt jedoch den Verdacht nahe, dass der weibliche Inliner-Rekord noch nicht wirklich ausgereizt ist bzw. noch kein perfektes Rennen erlebt hat. Dass weitestgehend mit den Armen betriebene Sportarten einen geringeren Geschlechterunterschied mit sich bringen, zeigen neben dem Schwimmen auch das Handbiken, wo der Marathon-Vergleich einen Weltrekord-Abstand von 9,0 % offenbart, sowie der Rudersport, wo Männer und Frauen auf der 2.000-m-Distanz nur 8,7 % auseinanderliegen.
Weltrekord-Vergleich Laufdisziplinen |
|||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Disziplin | Männer | Frauen | Malus | ||||
800 m |
1:40,91
|
David Rudisha |
KEN
|
1:53,28
|
Jarmila Kratochvilova |
CZE
|
12,3
|
1.500 m |
3:26:00
|
Hicham El Guerrouj |
MAR
|
3:50,46
|
Yunxia Qu |
CHN
|
11,9
|
3.000 m |
7:20,67
|
Daniel Komen |
KEN
|
8:06,11
|
Junxia Wang |
CHN
|
10,3
|
3.000 m Hi |
7:53,63
|
Saif Saaeed Shaheen |
QAT
|
8:58,81
|
Gulnara Galkina |
RUS
|
13,8
|
5.0000 m |
12:37,35
|
Kenenisa Bekele |
ETH
|
14:11,15
|
Tirunesh Dibaba |
ETH
|
12,4
|
10.000 m |
26:17,53
|
Kenenisa Bekele |
ETH
|
29:31,78
|
Junxia Wang |
CHN
|
12,3
|
Halbmarathon |
58:23
|
Zersenay Tadesse |
ERI
|
65:12
|
Florence Kiplagat |
KEN
|
11,7
|
Marathon |
2:02:57
|
Dennis Kimetto |
KEN
|
2:15:25
|
Paula Radcliffe |
GBR
|
10,1
|
100 km |
6:13:33
|
Takahiro Sunada |
JPN
|
6:33:11
|
Tomoe Abe |
JPN
|
5,3
|
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