Udos Welt

Udo Pönzgen scheint kurz vorm Ziel zu stehen - so oder so. Was er beim Kölner Himmelfahrt-Lauf erlebt, wird Thema der nächsten Folgen sein. Und dann heißt es wohl, Abschied zu nehmen von Udo. Zumindest vorerst."

Folge 56: Die Welt ist schön

Startschuss zum Anti-AIDS-Spektakel. Zum Kölner BeneFIT-Lauf. Schirmherr und Schirmfrau balgen sich um die Pistole.

 

Karnevalsstimmung rundum, auch im Läuferfeld ist man ganz jeck. Nur ich nicht. Stehe finster grollend mitten im Pulk, fühle mich fehl am Platz. Die einen sind verkleidet, andere grell geschminkt und alle gut drauf. Warum hat mir keiner gesagt, dass das hier ein Spaßlauf ist? Den Spaß habe ich zuhause in Wilsdorf gelassen, irgendwo im untersten Fach meines Gefrierschranks.

Verdammt, Leute, das hier ist Sport! Die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Ehrgeiz, Leistung, Opferwille. Wir sind die Söldner des Körperkults.

"Bei km 8 soll es Freibier geben", informiert mich mein Nachbar fröhlich.

Deshalb also war die Meldegebühr so hoch. Der Kapitalismus unterwandert die Eventkultur. Bevor ich die Saufnase zurechtweisen kann, gibt mir Julia einen Klaps auf den Hintern und wünscht mir viel Glück. Dann schlängelt sie sich nach vorne.

Ich schnappe nach Luft. Die Stelle an meinem Po brennt wie Feuer.

Und los geht's! Ich laufe weniger, als dass ich von der Menge mitgerissen werde. Feierlaune hilft uns über die ersten Kilometer. Neben mir wird gequatscht, gefrotzelt und gelacht. Demonstrativ schaue ich auf meine Uhr. Mein ursprüngliches Ziel, Vorletzter zu werden, korrigiere ich. Mindestens zehn von diesen Feierhanseln will ich hinter mir lassen!

 

 

Die Strecke ist nicht schön, aber laut. Alle zwei Kilometer eine Band, Trommler, Tänzer. Eine Sambagruppe fordert zum Hüftkreisen auf. Ich beschleunige und überhole ein halbes Dutzend, die stehen bleiben.

"He, Großer, mach auch mit!", schallt es mir nach.

"Muss erst noch die Welt retten", gebe ich zurück.

Ist doch wahr! Die Pärchenwertung - es geht um alles. Mindestens! Aber irgendwie sehen das meine Mitläufer anders. Null Ehrgeiz, diese komischen Benefitwackler. Klatschen reihenweise Bekannte ab, halten ein Schwätzchen, lüpfen die Kostümierung, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Links der Rhein, rechts Felder, über uns die Sonne. Und vor uns die nächste Musikgruppe. Kilometerschilder? Fehlanzeige.

"Aus dem Weg!", brülle ich und schiebe einen Pulk Plaudertaschen von der Straße. Hinter mir ploppt es, als würde ein Sektkorken in die Freiheit entlassen. Viel langsamer als ein so ploppender Korken bin ich auch nicht. Der Groll über all die Spaßsportler ist Superkraftstoff für mich. Turbo-Udo im Anmarsch. Eine Bestzeit wird das, die sich gewaschen hat. Wenn sie im Ziel nicht alle auf 11.11 Uhr setzen!

 

Und prompt geht das Geschunkel los. Irgendwelche Anwohner, die ihre Bierbankgarnitur an die Straße gestellt haben, um Getränke auszuschenken. Wasser ist nicht dabei. Dafür trötet der blonde Sohnemann "Viva Colonia" auf seiner Harmonika. Stehende Ovationen durch die Läufer. Gerührte Mienen.

"Platz da!" Arme nach vorn, Handflächen zusammengelegt: Udo, der Keil. Wie eine Rasierklinge schneide ich durch die Menge. Wenigstens einer muss hier doch den Sportsgeist verkörpern! Da, eine Fernsehkamera. Das Volk will Leistung sehen! Ich schieße vorbei, die Kamera schwenkt mir nach, ich fühle ihren Sucher in meinem Rücken.

 

Unglaublich, was ich an Läufern einsammle. Udo komme über euch! Jetzt eine Wendestelle. Winkend trabt man mir entgegen, hält den Daumen nach oben, prostet mir im Laufen zu. Prostet ihr noch, wenn ich euch überhole?

"Udo!", höre ich Julias Stimme. Tatsächlich, sie ist es. Keine hundert Meter voraus, gehend, eine Hand an der Hüfte. Ich beschleunige noch einmal, biege mit quietschenden Sohlen um die Wendemarke und schließe auf.

 

"Du hier?", keuche ich. "Warum? Wie? Was?"

"Ich hätte das Gläschen Prosecco nicht trinken dürfen", bekennt sie verlegen. "Hab voll das Seitenstechen bekommen. Aber es geht schon wieder. Laufen wir zusammen?"

"Zusammen?", ächze ich.

"Zusammen."

Ich sage nichts mehr. Weiß ohnehin nicht, wie mir geschieht. An Julias Seite beende ich den Lauf. Warum sind es nur drei oder vier Kilometer?

 

Einmal um den Erdball wäre das Wenigste! Sie und ich. Julia und Udo. Die Welt ist schön. Alle Menschen Brüder und Schwestern. Ich winke meinen Mitläufern zu, reiße Witzchen, kneife einem in die Hüfte. Vor der letzten Band machen wir ein paar Tanzschritte, Julia und ich. Jemand drückt mir eine Flasche Kölsch in die Hand. Das ist Sport, Leute! Sogar die Zeitnehmer im Ziel scheinen besoffen zu sein. 46 Minuten? Ich kann doch keine zehn Kilometer in 46 Minuten laufen!

"Yeah!", schreien Julia und ich und laufen Hand in Hand über die Ziellinie. Etwas Kölsch spritzt aus meiner Flasche auf uns.

 

"Super, ihr zwei!", ruft jemand und kommt auf uns zugeeilt. Es ist Andreas. Er nimmt Julia in die Arme und knutscht sie ab. Sie knutscht zurück. Wie das aneinander klebt! Hören gar nicht mehr auf, die zwei.

So ist das also.

Sie knutschen immer noch.

"Cooler Lauf", sage ich. 46 Minuten! Echt cool. Und in meiner Kölschflasche ist auch noch ein Schluck drin.

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