Udos Welt

Udo Pönzgen scheint kurz vorm Ziel zu stehen - so oder so. Was er beim Kölner Himmelfahrt-Lauf erlebt, wird Thema der nächsten Folgen sein. Und dann heißt es wohl, Abschied zu nehmen von Udo. Zumindest vorerst."

Folge 54: Die Falle

Ich kann es immer noch nicht glauben. Träume ich? Werde ich geträumt?

Also noch mal, zum Mitschreiben: Andreas kann in Köln nicht antreten. Das Knie, ein Trümmerhaufen. Totales Sportverbot. Und ich soll ihn ersetzen!

 

Komisch. Kann mich gar nicht erinnern, seinen Arzt bestochen zu haben. An Andreas' Stelle würde ich sogar ohne Beine antreten. Irgendwas ist faul an der Sache. Köln zählt momentan ja zu den gefährlichsten Orten der Republik. Seit dem Abstieg des 1. FC herrscht Bürgerkrieg rund um den Dom. Wer nur entfernt nach Fußballprofi aussieht, riskiert sein Leben. Ich sehe nicht aus wie ein Fußballprofi. Eher wie einer, der Fußballprofis die Nase bricht. Trotzdem. Da gibt es ja noch Pro NRW und die Salafisten. Die einen halten mich garantiert für einen schmarotzenden Nichtarier, die anderen für eine fleischgewordene Mohammed-Karikatur.

Ja, Andreas will mir eine Falle stellen, ganz bestimmt!

Oder steckt Arno dahinter, der nur einen Vorwand sucht, um mich im Training über die Schmerzgrenze zu prügeln?

Am Ende Moni! Na klar, sie will mich lächerlich machen. Vielleicht ist der Zielkanal in Köln so eng, dass ich stecken bleibe. Oder das viele Körperfett schluckt die Transpondersignale. Nein, viel schlimmer: Die Strecke führt über Kölner U-Bahnschächte! Der Asphalt: eierschalendünn. Udo Pönzgen reißt das Läuferfeld in die Tiefe! Finaler Kilometer musste unterirdisch zurückgelegt werden. Sonderpreis in der Maulwurfwertung an Udo Pönzgen.

 

Fragt sich nur, wie breit so ein U-Bahntunnel ist.

Anruf bei Julia. "Sorry, du, aber willst du wirklich, dass ich …? Ich meine, ICH?"

Sie gähnt. "Wer denn sonst?"

"Na … Keine Ahnung!"

"Eben."

"Und wie sieht es mit der Streckenführung aus? Gibt es da Engpässe?"

 

"Wie, Engpässe?"

"Schmale Gassen. Unterführungen. Tunnel. U-Bahndingens."

"U-Bahn? Udo, der Lauf führt voll durchs Grüne!"

"Sag ich ja. Hohlwege, Unterholz, Trampelpfade …"

Kurze Stille. Dann: "Alles klar mit dir, Udo?"

"Ja, wieso? Trainingswerte okay. Puls 140. Völlig normal. Trotzdem frage ich mich, ob es für Andreas keinen besseren Ersatz gäbe als mich. Arno zum Beispiel."

"Arno? Verdammt, Udo, ich will Spaß haben und keinen Grundwehrdienst leisten!"

"Oder ein anderer aus dem Verein. Im Trainingslager waren jede Menge …"

"Hey, Udo! Mit dir stimmt doch was nicht."

 

Ich seufze. "Man nennt es Lampenfieber. Versagensängste. Die Strecke ist zu schwer für mich. Mein Biorhythmus zeigt steil nach unten. Manchmal bekomme ich Krämpfe, aus heiterem Himmel."

"Wo ihr Männer Krämpfe kriegt, weiß ich", knurrt sie und legt auf.

In dieser Nacht schlafe ich schlecht. Es ist eine Falle, ganz bestimmt. Im Traum stehe ich allein an der Startlinie, versuche loszusprinten, doch eine zähe Masse hält meine Sohlen am Boden fest. Pattex ist Hauptsponsor des Laufs. Los, Udo, ein halbes Schrittchen wenigstens. Noch eins. Rundum Anfeuerungsrufe und Gejohle. Kaum ist der erste Meter geschafft, hoppelt das Startbanner mir nach. Ich kämpfe, reiße meine Beine in die Höhe, stöhne. Doch das Startbanner bleibt mir auf den Fersen.

"Bud Spencer lebt!", grölt das Publikum.

In seinem Rücken beginnt die Siegerehrung. Julia ist natürlich längst im Ziel und wartet gähnend auf ihren Pokal. Die Pärchenwertung muss verschoben werden. Meter um Meter arbeite ich mich vor, ohne das Startbanner abschütteln zu können. Da, jetzt überholt es mich sogar. Ich falle zurück, Tränen schießen mir in die Augen. Dann kommen die Krämpfe. Mitten im Traum! Julia hat recht, sie kennt uns Männer. Weit vor mir strebt das Startbanner dem Ziel entgegen. Die Menge tobt.

 

"Der Sieg in der Pärchenwertung beim diesjährigen Anti-AIDS-Lauf", dröhnt es aus den Lautsprechern, "geht an den Kölner Dom. Südturm und Nordturm waren zusammen schneller als das Paar Julia Opdenhoven und Udo Pönzgen. Und das trotz neuer Streckenbestzeit durch die Dame aus Schümmerich."

Schweißgebadet wache ich auf. Was für eine Blamage! Mit mir stimmt wirklich etwas nicht. So kurz vor der Erfüllung all meiner Wünsche packt mich die Angst.

Einziger Trost: Wer nachts dermaßen schwitzt, verliert kiloweise Gewicht.

 

Außerdem hilft es nichts. Ich muss da durch. Wenn dieser Beitrag in LaufReport erscheint, an Christi Himmelfahrt, werde ich neben Julia an der Startlinie stehen.

Es sei denn, die beiden Türme des Kölner Doms sind gemeldet. Dann könnt ihr mich mal!

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