Udos Welt

Folge 52: Herdprämie

01:30.

Eineinhalb Minuten.

90 Sekunden, die Andreas schneller war als ich. Ich bin ein Versager.

Vergesslich bin ich auch. Ich hätte einen Dopingkontrolleur zu den Trials einladen sollen. Der Andreas einen Befund nach dem anderen aus dem Pipirohr kitzelt. Zu spät. Jetzt schiebe ich Frust. Eine Riesenkugel bleischweren, nachtschwarzen Frust. Er sitzt zwischen den Rippen, im Nacken, nagt an der Leber. Draußen Dauerregen. In Udo auch.

Nicht mal das Kölsch schmeckt mir noch.

Es ist aber auch zum Heulen. Da schaltest du aus lauter Verzweiflung das Radio an, und was bringen sie? Die Herdprämie, hoch und runter. Zwischendrin die Atommülldebatte. Wie entsorgt man eigentlich Politiker? Ministerin Schröder würde bei mir nicht mal Streckenposten werden. Die verschreckt doch das ganze Läuferfeld mit ihrer Quäkstimme! Kaffeefilternachfüllerin vielleicht. Was so die herdnächste Tätigkeit beim Volkscross ist.

 

Udo Pönzgen: eine Laune wie ein atomares Endlager.

 

Da, im Flur hängt ein Bild schief. Was erlaubt sich dieses gottverdammte Bild, derart schief zu hängen? Hing wahrscheinlich schon immer schief - umso schlimmer! Ich beschließe umzuziehen. In einem Haus mit so schief hängenden Bildern will ich nicht wohnen. Raus aus Wilsdorf, weit weg von Julia. Wenn mir eine Blindschleiche wie Andreas 90 Sekunden abnimmt, habe ich das Recht verwirkt, mich meiner Traumfrau auch nur gedanklich zu nähern. Auf der Landkarte des Sports bin ich bloß ein unansehnlicher Fettfleck.

Kann man heutzutage noch Geißeln kaufen? Ich bräuchte jetzt eine. Nagelpeitsche, extra stark.

Besser, ich höre auf mit meiner Kolumne. Wird ja auch Zeit, nach 52 trostlosen Folgen. Ein Jahr Laufphilosophie vom Feinsten - und wozu? Um von einem sabbernden Invaliden gedemütigt zu werden. Die Welt ist schlecht und "Udos Welt" am Ende.

 

Also Schluss damit. Vorhang zu und alle Fragen offen. Laufen wird ohnehin immer gefährlicher. Ein Toter beim London-Marathon, ein Toter beim Rotterdam-Marathon. Die Hormone spielen verrückt, der Kreislauf macht schlapp. Es gibt andere Sportarten, ungefährlichere. Minigolf zum Beispiel. Oder Nasebohren. Das verdammte Bild hängt immer noch schief. Ich suche im Internet nach der Sportart mit den meisten Todesfällen. Wetten, dass es das Laufen ist? Da kann König Fußball so viel hooligen, wie er will, an der Spitze steht immer noch …

Wie bitte?

Kegeln?

Kegeln ist die gefährlichste Sportart weltweit? Die meisten Herzinfarkte, die meisten Schlaganfälle? Übergewichtige Senioren, von der Kugel unerbittlich in den Sarg gezogen; Omas, denen beim Schlurfen zur Bahn die Embolie in die mürbe Herzklappe rauscht? Alle neune! Kegelprofi sollte ich werden, meine Laune schreit danach. Mit einem Bein schon in der Grube. Dazu Julias Bewunderung: Was, so einen gefährlichen Sport suchst du dir aus? Udo, du Held!

 

Jedenfalls scheint es sich da unaufwendiger abzunippeln als beim Marathon.

Schon gut, Leute, ich entschuldige mich in aller Form für mein Gejammer. Jeder hat so seine Tage. Auch der einzige Philosoph des Laufsports weltweit. Udo Pönzgen am Scheideweg, und wer ist schuld daran? Die Frauen natürlich.

 

Ich werde im Familienministerium anrufen. Hallo, Frau Schröder, dringender Fall von Betreuungsnotstand. Ein gewisser Andreas, Hobbyläufer aus Wilsdorf, kann von seiner Mama abgeholt werden. Damit die ihn gefälligst ins Gitterbettchen steckt, bevor er den jungen Damen nachsteigt!

Und was sie dafür an Herdprämie kassiert, übernehme ich. Freiwillig!

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