Udos Welt

Folge 51: Die Trials

 

Niederlagen machen stark, sagt Arno. An Niederlagen wächst man. Schießt gleichsam in die Höhe!

Okay, vielleicht stimmt das. Trotzdem frage ich mich, woher ausgerechnet Arno sein Wissen bezieht. Arno Berschinski, der nach eigenem Bekunden immer auf der Gewinnerseite steht. Außerdem bin ich nicht gewachsen, keinen Zentimeter. Ich habe nachgemessen.

Eine Niederlage aber war es. Und was für eine.

Ich meine, so eine Gelegenheit muss man doch ausnutzen. Die kommt nie wieder! Seit dem Trainingslager humpelt Andreas stärker als je zuvor. Eiert nur noch über den Asphalt! Ich dagegen: in der Blüte meiner Manneskraft, bewundert von Julia, durchtrainiert bis zum Ohrläppchen. Wenn das nicht der richtige Zeitpunkt für die Trials ist, weiß ich auch nicht.

Die Julia-Opdenhoven-Trials. Das Duell um den Platz an ihrer Seite. An der schönsten Läuferhüfte weit und breit.

"Es gibt da ein Problem", sage ich zu Andreas.

"Auch verletzt, Udo?"

 

"Die Pärchenwertung beim Kölner Anti-AIDS-Lauf. Julia sollte optimal unterstützt dort antreten, da sind wir uns doch einig. Mit dem besseren Läufer, richtig?"

Gedankenverloren tastet er nach seinem Knie, während er nickt.

"Und das bin ich", sage ich.

"Bitte?"

 

"Wir können es gern ausprobieren. Einmal die Volkscrossrunde durch den Wald, okay? Julia nimmt die Zeit."

Andreas ziert sich. War ja klar! Sein Knie, die Schmerzen … er braucht noch ein paar Tage … ausgerechnet jetzt, wo die Pollen fliegen …

"Der Einzige, der hier fliegt, bin ich", entgegne ich, die Arme vor der Brust verschränkt. "Und zwar ins Ziel!"

 

"Dann aber nicht die Volkscrossrunde!", ruft er panisch. "Da gibt es zu viele Abkürzungen, wenn man sich auskennt. Lieber das Stadion. Zehn Kilometer oder fünf - wie du willst."

"Wer so feilscht, hat schon verloren. Aber meinetwegen. Morgen Abend, Andreas."

Schade, das mit den Abkürzungen wäre eine Option gewesen. Als die Griechen damals Troja eroberten, haben sie auch getrickst. Egal, die Trials gewinne ich so oder so.

Tags darauf stehen wir gebückt an der Startlinie der Oberstolzenbacher Aschenbahn. Andreas lächelt verkrampft. Das werden doch keine Amphetamine sein, die da in seinen Mundwinkeln zucken? Wozu habe ich sonst die Apotheken der Region leergekauft!

 

Startkommando durch Julia. Sofort setze ich mich an die Spitze des Feldes. Das zwar nur aus Andreas und mir besteht, aber "Feld" klingt einfach besser. Vielleicht gibt der Junge vorzeitig auf und ich muss den Kelch nicht bis zur Neige trinken. Zwölfeinhalb Runden sind kein Pappenstiel.

 

Stattdessen zieht er nach 500 Metern an mir vorbei. Ohne zu fragen! Und was ist das für ein klumpfüßiges Gehumpel, das er da zelebriert! Ein Bandagenungetüm um sein Knie, das ständige Abknicken in der Hüfte, sein schmerzverzerrtes Gesicht - das schreit doch nach Disqualifikation! Haltungsnote unterirdisch.

Jetzt nicht schwach werden, Udo. Keuchend bleibe ich in seinem Windschatten. Was die Hormone doch aus gestandenen Männern machen! Ein orthopädisches Wrack der eine, rollender Saftschinken der andere. Die Asche stäubt, der Schweiß tropft. Julia schaut auf die Uhr.

 

"4:20 der erste Kilometer", schreit sie. "Soll ich den Notarzt rufen?"

Notarzt? Notschlachter wäre besser. Der sich zuerst Andreas vornimmt, denn der Kerl baut seinen Vorsprung aus. Vielleicht hätte ich ihn doch zum Pistolenduell fordern sollen. Wie damals in der guten alten Zeit. Sonntagsanzug, weiße Handschuhe, verschwiegene Sekundanten. Die aufgehende Sonne bescheint blaues Blut.

"Zweiter Kilometer in 4:30", brüllt Julia über den Platz. "Mensch, ihr spinnt doch, ihr Macker!"

Natürlich spinnen wir. Wir stöhnen und schwitzen und dampfen und krampfen und zucken und röcheln. Die reinste Ekstase. Liebeslust und Liebesleid auf roter Asche. Laufen als Balzritual, ich sagte es ja. Leider wird Andreas' Gestöhne immer leiser, er enteilt mir nämlich Meter um Meter. Dreht sich sogar um, der Scheißkerl, mit triumphierendem Glitzern in den aufgerissenen Augen.

 

"Ihr beiden lauft wirklich neben der Spur", murmelt Julia.

Wenigstens die Demütigung einer Überrundung erspart er mir. Nach fünf bitteren Kilometern liegen wir nebeneinander auf der Aschenbahn, ausgepumpt, hämmernder Puls. Andreas will mir die Hand reichen, doch das schmerzende Knie fordert seinen Tribut. Aua, aua!

"Das wird wohl nix mit dem Lauf in Köln", sind meine ersten Worte, eine gefühlte Stunde nach Ende der Trials. "Wenn das Knie derart schmerzt!"

"Vergiss es", lächelt er abgekämpft. "Zur Not schleppe ich mich auf Stümpfen ins Ziel."

Julia tippt sich bloß an die Stirn.

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