Udos Welt

Folge 49: Trainingslager

"Hey, Udo! Kommst du mit ins Trainingslager?"

 

So Moni, meine spezielle Freundin. Am 1. April! Da muss einer wie ich doch an einen schlechten Scherz denken.

"Wozu denn? Als Koch, oder was?"

"Wieso Koch?"

"Oder braucht ihr einen, der euch die Spikes anspitzt? Der alle Waldwege plattwalzt?"

Moni beginnt zu schielen, so wenig kapiert sie. Auch bei mir dauert es eine Weile, bis ich merke, dass ihre Frage ernst gemeint ist. Mitkommen, ich? Ins Trainingslager? Verdammt, was soll ich dort?

"Na, trainieren. Deshalb heißt es doch Trainingslager."

 

"Und Julia? Ist die auch dabei, ich meine, trainiert die auch mit?"

"Logo. Ganz viele von der LG Oberstolzenbach. Macht Spaß, Udo! Und abends hoch die Tassen."

Ah, ja. Das mit den Tassen kommt mir bekannt vor. Fünf Tage später sitzen wir im Bus Richtung Thüringen: Moni, Julia, Andreas und die übrigen Osterflüchtlinge aus Oberstolzenbach. Alle nennen mich Helmut, weil Helmut derjenige ist, dessen Platz ich eingenommen habe. Helmut hat sich das Knie beim Skifahren verdreht und hebt die Tassen nun zuhause. Allein.

"Selber schuld", sage ich. "Wintersport ist Gliedermord!"

Andreas tastet stumm nach seinem Knie. So ganz scheint es noch nicht in Ordnung zu sein.

Drei Stunden und gefühlte 200 Ossiwitze später kommen wir im Thüringer Wald an. Wenn das Hotel nicht so modern wäre, könnte es auch im Rheinland stehen. Am gemeinsamen ersten Auslauf beteilige ich mich, nachdem man mir versichert hat, in einer Dreiviertelstunde wären wir zum Essen zurück. Tapfer klemme ich mich ans Ende des Feldes und habe jetzt schon Schiss vor dem Muskelkater morgen.

 

Wenigstens beim Tassenheben mische ich in der vorderen Leistungsgruppe mit.

Am nächsten Tag schneit es. Ski und Rodel gut rund um Oberhof! Zu meiner Erleichterung wird der lange Lauf am Vormittag gestrichen, stattdessen trainiert jeder individuell auf dem Sportplatz. Individuell ist gut. Individuell ist genau das, was ich brauche. Ein bisschen Gymnastik, ein bisschen den Schneeflocken nachschauen und viel, viel Ruhe. Im Hotelflur begegne ich Andreas. Kaum sieht mich der Kerl, wird er knallrot.

 

"Äh, also, mein Knie", stottert er. "Irgendwie schmerzt das noch. Ich versteh's nicht."

 

Mitleidig lege ich ihm meine Hand auf die Schulter. So ein Hüne von Mann, und dann diese Zipperlein! Wäre mir auch peinlich, an seiner Stelle. Vor allem hier, in dieser unbarmherzigen Atmosphäre von Leistungsdruck und Konkurrenzdenken. Am Ende lassen wir ihn in Thüringen zurück! Zu schwächlich für die LG Oberstolzenbach, dieses Würstchen!

"Wenn es dir recht ist", sage ich väterlich, "machen wir morgen ein Regenerationsprogramm. Zusammen. Ich wollte es zwar so richtig knallen lassen, aber in diesem Fall bleibe ich bei dir."

"Nee, Udo, mach du dein eigenes …"

"Keine Widerrede!"

Dankbar blickt er mich an.

Auch Julia ist voll des Lobes. Wenn sie schon auf mich verzichten muss, dann am liebsten im Samariterdienst für Andreas. Tags darauf schlappen wir im Rentnertempo durch den Wald. Schnee war gestern, nur hie und da schmilzt auf einem Bärlauchblatt noch ein Flöckchen. Auch Andreas' Kniebeschwerden scheinen weggetaut zu sein. Ständig spielt er mit dem Tempo, tänzelt und trippelt frohgemut vor sich hin, während ich immer stummer werde. Hat mir der Kerl etwas vorgespielt?

 

Aber auf die deutschen Mittelgebirge ist Verlass. In einer schattigen Kurve lauert sie noch, die eine eisüberzogene Pfütze. Weil meine Nase fast den Boden berührt, erkenne ich die Gefahr rechtzeitig. Andreas dagegen, der Himmelsstürmer, hat noch sein Lächeln auf den Lippen, als er bereits quer in der Luft liegt. Zack, haut es ihn auf den Po. Doch wohin schießt der Schmerz? Schnurstracks ins Knie, genau. An einem wie Andreas lassen sich ganz neue Arten von Humpeltechniken kennenlernen.

"Verdreht", sagt er mit schmerzverzerrter Miene. "Ausgekugelt. Gezerrt."

"Gesplittert", nicke ich. "Gesprengt. Implodiert."

 

Höhepunkt der Vorstellung: als Andreas nicht mehr selbst laufen kann und ich ihn stützen muss. Den Tränen nahe, legt er mir seinen Arm über den geschwitzten Nacken.

"Mensch, Udo", murmelt er. "Hoffentlich erkältest du dich nicht meinetwegen."

 

"Das ist kein Schweiß", wehre ich ab. "Das ist Kondenswasser, höchstens." Aber dann wird mir klar, was er mir da für eine Steilvorlage gegeben hat. Kurz vor dem Hotel beginne ich zu husten und ziehe mich sofort mit einer Grippe im Anmarsch in mein Zimmer zurück. Tut mir leid, Leute, Trainingspause. Ach was, hab ich doch gern getan.

Abends bin ich natürlich trotzdem dabei. Dicker Schal um den Hals, hochprozentiges Heißgetränk in den Pfoten. Andreas sitzt mit einbandagiertem Knie neben mir.

"Wintersport: Gliedermord", sage ich und stoße mit ihm an.

 

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