Udos Welt

Folge 46: Rein optisch

Komisch: Keine einzige Zeitung kündet von meinem Strünkeler Coup. Kein Siegerfoto, kein Interview, keine Homestory, nichts. Dabei habe ich nichts weniger als die Bestzeit aus meinem früheren Leben eingestellt. Mit angreifbaren Mitteln, zugegeben. Aber ich möchte nicht wissen, was die Marathonjungs zuletzt in Dubai zu sich genommen haben!

Die Zähne habe ich mir vorm Rennen jedenfalls nicht geputzt.

 

Dass Julia nichts von meinem grandiosen Auftritt weiß, fuchst mich am meisten. Ich könnte natürlich einen Bericht an sämtliche Presseagenturen schicken. Oder ich könnte sie selbst von meiner Galaform überzeugen. Gesagt, getan. Ausgerüstet wie für eine Trekkingwoche düse ich nach Schümmerich und tappe ein paar Meter in den Wald hinein. Dienstags um diese Zeit trainiert Julia immer hier. Ich bin doch hoffentlich nicht zu spät?

Madame lässt warten. Abwechselnd knabbere ich Fingernägel und sauge Vitamindrinks. Mit den Nägeln bin ich irgendwann durch, mit den Drinks auch. Aufs Klo müsste ich dringend, doch ich fürchte, meine Göttin zu verpassen. Hat sie sich am Telefon mit Andreas verquatscht?

Schon eine halbe Stunde überfällig! Rasch drei Energieriegel reingedrückt, ich falle ja sonst vom Fleisch. An Joggern herrscht bei dem schönen Wetter kein Mangel. An Hunden, die mich abschlecken wollen, auch nicht. Bleibt mir vom Hals, die einen wie die anderen! Vielleicht gehe ich doch kurz in die Büsche.

 

Aber da kommt sie endlich. Wie sie schwebt! Sofort verfalle ich in Laufschritt und eile ihr entgegen. Große Überraschung!

"Julia? Du hier? Na, so ein Zufall!"

"Hey, Udo!"

"Also wirklich, das ist ja ein Ding!"

 

"Läufst du neuerdings in Schümmerich?"

Nee, sage ich lässig, eigentlich nicht, aber immer nur Wilsdorf und Wilsdorf, das hält man ja im Läuferkopf nicht aus, und deshalb … Ich schnappe nach Luft, sonst kollabiere ich.

"Laufen wir ein Stück zusammen?", schlägt sie vor.

Super Idee! Wäre ich nie drauf gekommen. "Weißt du", sage ich, "ich bin ja schon eine Weile unterwegs." Pause … Spannung erhöhen … und dann: "So anderthalb bis zwei Stunden vielleicht. Aber eine Schleife hänge ich gern noch dran."

 

"Zwei Stunden?" Sie ist sprachlos.

"Nicht ganz, nicht ganz", winke ich ab und halte ihr meine Uhr vor die Nase. 1:59:52h, liest sie beeindruckt. (Ja, gute Vorbereitung ist alles!)

"Du bist wieder in Form, Udo."

"Geht so", seufze ich.

Sie lacht. "Da könnten wir ja glatt beim Kölner Anti-AIDS-Lauf in der Pärchenwertung antreten!"
"Wir beide?"

"Das würde schon rein optisch was hermachen."

Ich muss mich beherrschen, um nicht den ganzen Schümmericher Wald zu umarmen. Julia und ich! Die Pärchenwertung! Welche Birke darf ich ausreißen und bis nach Köln schleudern? Udo der Held, dem die Frauen zu Füßen liegen. Weil er schon rein optisch mehr hermacht!

Obwohl: was soll das heißen, rein optisch? Heißt das nicht …?

 

"Verstehe", sage ich und bleibe stehen. "Du meinst, mit so einer Speckschwarte wie mir wird man sogar in Köln Gesprächsthema Nummer eins? Die Laufzeit ist schnuppe, Hauptsache, die Leute haben was zum Glotzen? Weil es rein optisch was hermacht, wenn so eine Tonne unterm Zielbanner einrollt!"

"Aber nein", beteuert sie erschrocken. "Du verstehst mich falsch, Udo! Das würde ich doch nie …"

 

"Schon gut." Ein Blick zur Uhr. "Ich wollte sowieso umkehren."

"Moment, es war wirklich nicht so gemeint. Andreas hat mich halt schon gefragt wegen der Pärchenwertung. Aber mit dir würde es viel mehr Spaß machen." Sie schaut geknickt. "Insgesamt und überhaupt. Aber auch optisch."

"Das sagst du jetzt nur so."

"Nein, echt. Ich kann Andreas natürlich schlecht abservieren. Er ist so anhänglich. Aber vielleicht", jetzt lächelt sie wieder, "hat er es vor dem Lauf im Magen. Mein Pastarezept bekommt nicht jedem."

Mein Herz hüpft so sehr, dass die Pulsuhr verrückt spielt. Nur nichts anmerken lassen! "Nein", sage ich und schaue heldentenoral, "die Entscheidung muss im ehrlichen Kampf fallen. Auf dass der Sportlichere gewinne. Andreas und ich werden Trials veranstalten, und der Bessere darf in Köln antreten. Einverstanden?"

"Du bist wirklich einmalig, Udo."

 

Ja, das bin ich. Und jetzt will ich allein sein. Einmalig und allein. Ich warte, bis Julia hinter der nächsten Biegung verschwunden ist - winkend, sage ich euch, winkend! -, dann stürze ich ins Gebüsch und erleichtere mich um zwei Liter Vitamindrinks.

Das war knapp.

Anschließend laufe ich tatsächlich noch eine geschlagene Stunde.

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