Udos Welt

Folge 44: Quantensprung

Ich habe es getan, Leute.

Ja, ich habe es getan und bereue es nicht. Die Zeit war reif. Zuweilen vollzieht sich die Evolution eben in Sprüngen. In Riesensprüngen. Später, viel später wird es einmal heißen: Erinnert ihr euch? An den Tag, als Udo zur Tat schritt? Als er die Homepage des Strünkeler Volkslaufs aufrief und seinen Namen in die Anmeldemaske eingab? Mit zitternden Fingern natürlich.

 

Name: Pönzgen. Vorname: Udo. Jahrgang, Geschlecht, Distanz. (Bei Geschlecht hätte ich fast das Falsche angeklickt - diese Nervosität!) Und dann: Meldung abschicken.

Ein kleiner Klick für die Menschheit.

Ein Quantensprung für Udo Pönzgen.

 

Als ich die Bestätigungsmail erhielt, bekam ich fast einen Herzschlag. Sie akzeptierten meine Meldung! Einfach so. Tut uns leid, Herr Pönzgen, aber unser Kurs verträgt keinen Schwerlastverkehr. Glauben Sie, unsere Streckenposten hätten bis Mitternacht Zeit? Welcher Arzt soll Sie bloß vom Asphalt kratzen? - Mit solchen Reaktionen hatte ich gerechnet. Mindestens! Dass das Internet keinen Lachkrampf bekam, wunderte mich ehrlich.

Okay. Sie haben es also getan. Sie haben mich zum Volkslauf zugelassen. In Strünkeln. Weit, weit weg. So weit, dass ich mich bestimmt verfahre, wenn ich starten will.Andererseits: Ich bin top in Form. Tiptop sogar. Arno hat es mir zuletzt bestätigt. Er sagte: "Udo, wenn du so weitermachst …"

Ich, gierig an seinen Lippen hängend: "Ja?"

"Wenn du so weitermachst, kannst du bald mit Moni trainieren."

Das war nicht nett von Arno. Überhaupt nicht nett war das! Aber dann sah ich das Zwinkern in seinen Augenwinkeln. Arno lacht ja nicht. Niemals. Deshalb bedeutete dieses Zwinkern, dass er sich innerlich gerade ausschüttete vor Vergnügen. Udo mit Moni! Das war ja wie Lafontaine mit Merkel. Wie der Dalai Lama mit Lady Gaga. Nein, mein Sparringspartner ist ein anderer: Andreas. Der auf die Pärchenwertung beim Halbmarathon in Köln schielt.

Und deshalb trainiere ich seit Wochen, dass die Schuhsohlen glühen. Für Strünkeln und gegen Andreas. Es ist ganz einfach: Ich brauche ihn mir nur vorzustellen, wie er fünf, sechs Meter vor mir hertrabt, mit diesem tänzelnden, leicht arroganten Schritt - den er natürlich nicht hat, aber die Vorstellung, Leute, die Vorstellung! - er trabt also, ich dampfwalze hinterdrein, und schon erhöht sich das Tempo wie von selbst.

 

Fast habe ich ihn erreicht, da dreht er sich um: "Na, Dickerchen?"

Oho, kesse Lippe, du Provinzromeo! Ich zünde den Turbo, er hält dagegen. Tu nicht so souverän, du Hungerhaken! Hätte ich 30 Kilo weniger, wäre ich ein Überschallläufer! Dann hätte ich gar keine Zulassung für normale Waldwege.

Imponiert ihm das? Keine Spur. Lieber zieht er noch einmal an. Meine Gelenke laufen heiß, es knirscht und ächzt, irgendwo entweicht Dampf, gleich werde ich pfeifen wie ein Wasserkessel auf dem Herd. Zeit, das Spielchen zu beenden. Mit einem gepfefferten Fußtritt schicke ich meine Andreas-Vision in die Brennnesseln. Arme hoch, das Zielband mit meinem Vorzeigebauch zerreißen - so sehen Sieger aus.

 

Wie bitte?

Das war nicht nett? Genauso wenig wie Arnos Bemerkung?

 

Okay, spulen wir die Szene zurück. Kein Fußtritt, keine Brennnesseln. Wir spurten gemeinsam ins Ziel, haben es fast erreicht - da greift sich Andreas mit schmerzverzerrter Miene ans Knie. Seine Schwachstelle. So ein Ärger. Aber gekämpft hat er! Respekt. Als er auf der Trage abtransportiert wird, schüttele ich ihm die Hand.

Besser so?

Ich bin ja kein Unmensch. Außerdem hat mir Andreas nichts getan. Noch nicht!

Und ich bin schon wieder Trainingsbestzeit gelaufen. Manchmal wünsche ich allen Läufern ihren persönlichen Andreas. Eigentlich schade, dass der Kerl in Strünkeln nicht dabei ist.

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