Udos Welt

Zugegeben, etwas enttäuschend fanden wir es schon, aber hatten wir von Udo etwas anderes erwartet? Stolz wie Udo (hieß der nicht Oskar?) präsentierte uns Udo Pönzgen seinen neuen Auftrittsort:
Bin jetzt bei Fatzebog, und zwar HIER

Folge 42: Cross over

Mein Leserbrief an die LaufReport-Zentrale - der mir übrigens einen Stapel begeisterter Zuschriften eingebracht hat, kistenweise Beifall, verbindlichsten Dank! -, dieser Brief also ist schuld daran, dass mein Bericht von den Crossmeisterschaften erst jetzt erscheint, mit einer Woche Verspätung. Zum Zeitpunkt der Meisterschaften herrschte nämlich noch Winter; die Älteren unter uns werden sich erinnern. Sibirien lag vor der Haustür, und auf dem Balkon platzten mir reihenweise die Kölschflaschen.

Echtes Crosswetter also, und passend dazu fanden die Titelkämpfe auf echtem Crossterrain statt. Mitten in der Pampa namens Siegerland, wo der Nachwuchs schon mit Bergmannsbuckel auf die Welt kommt. Auch wenn die Gruben längst geschlossen sind: Licht haben sie dort trotzdem kaum in den Tälern. Aber Crossmeisterschaften! Zonenrandgebietsförderung nannte man das früher.

 

 

Egal, wer ist im Winter schon anspruchsvoll? Früh am Samstagmorgen breche ich auf zur großen Siegerlandexpedition. Schlafsack, Notration, Leuchtraketen - alles dabei. Und schau an, die Beschilderung ist einwandfrei. Nur dreimal verfahren! Bauer Soundso hat seine große Kuhweide als Parkplatz zur Verfügung gestellt, und weil das Gelände nur wenig steiler ist als meine Kellertreppe, reichen die Handbremse und vier Steine hinter den Rädern, um meinen Wagen vor einem Frühstart zu bewahren.

Im Startbereich wundert man sich über den Mann, der sich so zeitig warmläuft, aber als ich andeute, ich könnte der offizielle Streckentester des Verbandes sein, besticht man mich gleich mit warmem Tee.

"Bin doch nicht der Bundespräsident!", weise ich den Becher brüsk zurück.

Das kommt gut. Sogar im Siegerland.

500 Meter weiter trauere ich dem Getränk allerdings hinterher. Irgendwo in dem verdammten Kaff muss eine Frostmaschine stehen, mit der man auf Teufel komm raus den bundesdeutschen Kälterekord brechen will. Die Luft knackt, so eisig ist sie. Tiefes Einatmen schmerzt bis zum Bauchnabel. Trotz zweier langer Unterhosen bange ich um meine Zeugungsfähigkeit. Man tut ja auch keine Eier ins Tiefkühlfach! Okay, das war jetzt unter meinem Niveau, und zwar 20 Grad. Mindestens.

 

Und dann die Strecke! Ständig führt sie auf und ab, übers Feld, durch den Wald, einen Steilhang hinauf. Es gibt gefrorene Ackerfurchen, knöcheltief, und abschüssige Eisflächen. Eine richtige Läuferschinderstrecke. Wenn das die Krankenkassen wüssten! Sie würden sofort den Beitragssatz erhöhen. Ich überlege, ob ich Julia vom Start abhalten soll. So schlank, wie sie ist, bibbert sie noch in drei Wochen. Frostbeulen und Gänsehaut! Andreas soll ruhig laufen. Dem tut ein wenig Abkühlung nur gut, vor allem im Blick auf Julia.

Okay, das war's. Sehr lang ist der Rundkurs ja nicht. Die Profis dürfen ihn dafür gleich mehrfach bewältigen. Irgendwann wird er von den Liegengebliebenen und Festgefrorenen verstopft sein. Aber dann sitze ich längst im Auto, bei voll aufgedrehter Standheizung.

 

Vorm Start des ersten Laufs gönne ich mir eine Stippvisite in die Umkleideräume. Schnee auf den Schuhen, Dreckspritzer bis hoch zur Brust, ein Eiseshauch, der aus der Lunge dringt - so stehe ich auf der Schwelle. Udo Braveheart Pönzgen. Die Gespräche verstummen. Verzagtheit macht sich breit; so manch einer verzichtet in diesem Moment auf seinen Start. Auch Andreas sitzt in einer Ecke und schaut bewundernd zu mir hoch. Braucht ja keiner zu wissen, dass ich eine Extrarunde durch Bauer Soundsos Ställe gedreht habe, um ordentlich Matsch aufzusammeln.

"Überlegt's euch, Leute", krächze ich. "Im Siegerland verschwinden immer wieder Jogger spurlos. Sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt."

Andreas jedenfalls scheint beeindruckt. Er gibt es zwar nicht zu, sondern flachst rum, als könne er den Kampf mit den Naturgewalten kaum erwarten. Klar, da läuft ja noch die Wette mit Julia. Aber kaum fällt in seinem Rennen der Startschuss, als er auch schon im Schnee liegt. Sturz einen halben Meter vor der Startlinie!

"Weiter so, Andreas!", feuere ich ihn an und klatsche in meine zwei Paar Handschuhe. Konsterniert rappelt er sich auf, um dem Feld hinterherzuhetzen.

Da stellt sich Julia im Frauenrennen schon geschickter an. Drängelt sich vor bis zur vordersten Startreihe, fährt die Ellenbogen aus und lässt niemanden überholen. Als Führende kommt sie zur ersten Engstelle. Am Ende reicht es zwar nur zu Platz 5, außerdem steht sie wegen einer Rangelei mit einer Konkurrentin kurz vor der Disqualifikation - aber geht es nun um den Landesmeistertitel oder nicht? Na, also. Dampfend steht sie im Zielbereich, funkelt ihre Kontrahentin an und murmelt etwas von auszukratzenden Augen. Ein Anblick für die Ewigkeit!

Und Andreas?

 

Tja, wenn man nicht auf Udo hört … Als die Spitze des Männerfeldes bereits zum zweiten Mal den Zielbereich passiert, kommt er angehumpelt. Sein Sturz gleich zu Beginn! Und dann der vereiste Boden unterwegs. Noch ein Fallerchen, eieiei. Traurig hält er sich das aufgeschlagene Knie. Gottchen, wie das blutet! Schöner als damals bei Schneewittchen. Weil Julia schon unter der Dusche steht, muss er mit meinem Bedauern vorlieb nehmen. Und davon gibt es nicht viel.

Die Wette hat er verloren, der gute Mann. Doch es kommt noch schlimmer. Auch wenn ich seine Zeit nicht gestoppt habe: Ich bin mir sicher, dass er für seine Humpelrunde länger gebraucht hat als ich beim Streckentesten. Sieg für Udo Pönzgen!

Und es wird nicht der letzte sein.

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