Udos Welt

Folge 33: Adventskalender

Habe ich schon erwähnt, dass ich dieses Jahr zwei Adventskalender bekommen habe?

Den einen von Arno. Mit Advent hat der allerdings wenig zu tun. Hinter jedem Türchen lauert eine Trainingseinheit: 50 Minuten Grundlagenausdauer, zehn Steigerungsläufe, Intervalle hoch und runter - was der Körper vor den Feiertagen angeblich so braucht.

"Und am 24. liegt die Bestzeit unterm Weihnachtsbaum", triumphierte Arno, als er mir das Ding überreichte.

 

Na, toll. Was will ich mit einer Bestzeit an Weihnachten? Dem Festtagsbraten meiner Mutter davonlaufen? Den würde sie mir um die halbe Welt nachschicken. Schon das erste Türchen war eine Zumutung: eine halbe Stunde lockerer Dauerlauf, danach Dehnen und 30 Kniebeugen. Kniebeugen mit meinem Gewicht? Arno würde sogar Hochschwangere noch Sit-ups machen lasen.

Dann doch lieber das nächste Türchen einen Spalt auf und reingelinst. Und so weiter bis zum ersten Ruhetag. Der sich leider erst hinter Tür 18 fand. Was tun?

 

Nach reiflicher Überlegung beschloss ich, Trainingseinheit Nr. 18 um exakt 17 Tage vorzuverlegen, dafür gleich morgen mit den Kniebeugen zu beginnen, und zwar orthopädisch korrekt: pro Tag eine Beuge. Nicht umsonst hat der Dezember 31 von den Dingern. Tage, meine ich. Meine Mutter würde staunen, wenn ich vor der Christmette ein kleines Gymnastikprogramm absolvierte.

Den zweiten Kalender bekam ich natürlich von Moni. Gestopft voll mit Süßkram: Pralinen, dick wie Handgranaten. Und genau das war der Sinn der Sache: Sie wollte, dass ich platzte. Granatenmäßig. Das sah der alten Schlange mal wieder ähnlich! Kalender und Kalorien klingt ja auch fast gleich. Da gab es nur eins: den Coolen markieren und runter mit dem Gift.

"Verdammt, ich liebe Gianduja Kirsche", schwärmte ich bei unserer nächsten Begegnung. "Und Butterkrem Maracuja mit Nougatüberzug - dafür könnte ich sterben! Hast du noch mehr von dem Zeug?"

Moni schluckte. "Tut mir leid. War ein Werbegeschenk. Und weil ich von Schokolade Pickel kriege …"

 

"Weißt du, was die Krönung ist? Wenn du so ein Kügelchen zwischen zwei Krokantplätzchen legst …"

Moni wurde blass.

"… und zum Schluss eine dicke Schicht Nutella oben drauf."

Mit einem gurgelnden Geräusch stürmte sie davon.

"Anschließend", rief ich ihr nach, "flutscht es im Training wie von selbst. Die betteln regelrecht darum, verbrannt zu werden, die Kalorien. Bis zum letzten Atom!"

 

Das wäre also geklärt. Wenn man sie richtig kombiniert, meine beiden Kalender, sind sie Gold wert. Fehlt eigentlich nur noch einer von Julia.

Aber mit solchem Kinderkram gibt sich meine Göttin nicht ab. Heute Morgen drückt sie mir ein Geschenk in die Hand. Von ihr! Für mich! Ich schmelze dahin: Praline in der Wintersonne. Weiche Knie bekomme ich auch. Da geht die Beuge wie von selbst.

"Was ist das, Julia?" Ich drücke auf dem Ding herum, horche und rieche an ihm. "Fühlt sich super an! Eine Fahrradklingel? Ein Salzstreuer?"

 

"Hast du wahrscheinlich längst." Julia schaut besorgt. "Eine Stirnlampe, für Läufe im Winter."

Eine Stirnlampe! Ich könnte heulen vor Glück. Ein Geschenk mit Symbolwert! Perfekt für den Laufphilosophen Udo Pönzgen.

"Nietzsche", stammele ich mit Tränen in den Augen. "Friedrich Nietzsche …"

Julia zieht die Stirn kraus. "Kenne ich nicht. Was läuft der für Strecken?"

"Der läuft nicht, der sucht. Gott oder so. Mit seiner Lampe, am hellen Tag. Zarathustra, Fröhliche Wissenschaft - kennst du das nicht?"

Sie streckt mir die Hand hin. "Fröhliche Weihnachten, Udo."

Fort ist sie. Ich aber werde mich an Heilig Abend in den Wilsdorfer Forst begeben, dorthin, wo es auch tagsüber so richtig finster und undurchdringlich ist, und werde meine Stirnlampe in der Dunkelheit aufleuchten lassen. Wie Nietzsche und der Stern von Bethlehem zusammen.

 

Frohe Weihnachten!

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