Udos Welt

Folge 31: Oben bleiben

Bei Runner's World gibt es eine Kolumne, die nennt sich "Ein Lauf mit …", und die drei Punkte stehen wechselweise für einen joggenden B- oder C-Promi aus den Weiten unserer Republik. Für den Bundesgesundheitsminister zum Beispiel, auch wenn den kein Mensch kennt.

Den Mann, mit dem ich vor zwei Tagen lief, kennt auch keiner mehr. Oder besser: Den will keiner mehr kennen. Zumindest kein Läufer.

 

Dieser Mann hieß Joschka Fischer.

Zugegeben, es war bloß ein Traum. Aber ein verdammt schwerer Traum, mehr als 200 Kilo schwer. Ich lief darin meine Waldstrecke, die ich Arno zu verdanken habe, als es plötzlich neben mir schnaufte. Erst dachte ich, ich könnte zweistimmig schnaufen, separat mit jedem Lungenflügel oder so, doch dann sah ich ihn. Einen übergewichtigen, untrainierten, rotgesichtigen Kerl, der mir auf Anhieb unsympathisch war. Vielleicht, weil er mir so ähnlich sah.

"Hallo, Udo", sagte der Kerl.

"Kennen wir uns?"

"In unserer Gewichtsklasse kennt man sich. Außerdem hast du mich mal gewählt."

"Habe ich nicht!"

"1998, deine erste Bundestagswahl. Damals warst du noch aufsässig, Junge. Zweitstimme Grün, nur um deinen Vater zu ärgern. Hat ja auch geklappt."

 

"Du bist Joschka?", keuchte ich. "Unser Außenminister a.D.?" Dann schwieg ich und konzentrierte mich auf meine Atmung. Gut, dass wir uns im Wald begegnet waren. Hier lagen wenigstens keine Pflastersteine rum.

"Laufen wir ein Stückchen zusammen?"

"Schaffst du eh nicht mit deiner Figur."

"Dann schau mal genau hin!" Fischer blieb stehen, spitzte die Lippen und ließ Luft ab. Sofort schrumpfte sein Bauch. Er blies und blies und sackte dabei in sich zusammen wie eine Pflanze im Neutronensturm. Am Ende war nur noch ein graues Männchen mit eingefallenen Wangen übrig, dessen große Ohren mir zuwinkten.

"Na?", piepste das Männchen. "Was sagst du jetzt? Du kannst das auch schaffen, Udo!"

"Will ich gar nicht!"

 

"Und Julia? Was sagt sie dazu?"

"Erstens geht dich das nichts an, und zweitens braucht sie einen Mann zum Anlehnen. Einen starken Mann. Mit dem sie auch mal einen draufmachen kann."

"Draufmachen?" Fischer winkte ab. "Ich mache nur noch Sport."

"Alkohol?"

"Vorbei, Udo."

"Schlemmen, Feiern, Frauen?"

"Vorbei. Ein für allemal."

"Du spinnst ja", knurrte ich und lief weiter.

"Warte!", rief er mir hinterher. Dann hörte ich, wie er Luft einsaugte, so viel Luft, dass seine Lunge kreischte. Nach zwanzig Metern drehte ich mich um und sah einen aufgeblähten Klops da stehen, die Backen wieder rosig, mit dickem Hals und kleinen Äuglein.

 

"Von wegen vorbei", rief ich höhnisch. "Deine Vorsätze halten ja nicht einmal eine Wahlperiode lang!"

"Ich laufe immer noch", gab er zurück und rannte mit schlenkernden Armen los. Aber irgendwie fand er keinen Halt auf dem Waldboden. Seine Füße stießen ins Leere, bald schwebte er einen halben Meter über der Erde.

"Udo!", jammerte er. "Hilf mir!"

Aber es war schon zu spät. Innerlich schien der Kerl komplett aus heißer Luft zu bestehen. Als ich ihn erreichte, trudelte er über mich hinweg, dem Himmel entgegen. In vier, fünf Metern Höhe blieb er schließlich in den Zweigen einer Fichte hängen.

 

"Versteh mich doch, Udo!", kam es kläglich von oben. "Ich wollte auch zu euch Läufern gehören. Wenigstens für kurze Zeit."

"Laufen ist keine Sache auf Zeit", belehrte ich ihn. "Laufen ist eine Berufung. Merk dir das!"

"Und was passiert jetzt mit mir?"

"Denk an Stuttgart 21, Joschka. Oben bleiben!"

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