Udos Welt

Folge 30: Andreas

"Manchmal", sagt Julia und wirft mir einen ihrer seltsamen, fast argwöhnischen Blicke zu, "frage ich mich, wer du bist."

"Ich? Pönzgen, Udo. Wilsdorfs Immobilienfritze Nummer eins."

"Nein, wer du eigentlich bist. Du hast dieses …" Sie überlegt. "Dieses Gespür fürs Laufen. Dabei siehst du gar nicht aus wie ein Läufer!"

"Das stimmt." Zufrieden streiche ich mir über meine Prachtplauze.

"Oder ärgert es dich, wenn ich es so formuliere?"

"Nö." Als ob mich in Gegenwart von Julia irgendetwas ärgern könnte! Dass sich die Siegerehrung der Kreismeister so lange hinzieht, das schon. Andererseits haben wir dadurch länger Gelegenheit, miteinander zu plaudern.

Julia schüttelt den Kopf. "Wirklich, Udo, du bist mir ein Rätsel."

Ich brumme wohlig.

Rätsel hin oder her - im nächsten Moment hellt sich ihre Miene auf. Gleichzeitig fällt ein Schatten über ihr Gesicht. Wenn das mal kein seltsames Zusammentreffen zweier Naturereignisse ist! Der Schatten kommt zustande, weil jemand an unserem Tisch steht. Das Leuchten in ihren Augen: dito. Und wie es leuchtet! Totale Energieverschwendung, meiner Meinung nach, denn bei dem Schattenwerfer handelt es sich bloß um einen Mann um die dreißig. Genau wie ich. Nur mehr Mann. Und weniger dreißig.

"Glückwunsch, Julia! Tolles Rennen."

 

Sehr originell, Meister! Meine Traumfrau lächelt trotzdem. "Danke. Reine Kopfsache. Hab mir die Taktik vorher zurechtgelegt."

"Topform, würde ich sagen."

"Toptrainer", korrigiere ich.

"Das auch", nickt der Kerl und setzt sich. "Übrigens, ich fühl mich sauwohl im alten Forsthaus, Udo."

Forsthaus? Ja, richtig! Wusste ich doch, dass ich dieses Grinsen kenne. Der Typ, der beim Hauskauf nicht mal handelte! Wenn er so lief, wie er Buden erstand, war es schade um jedes Paar Turnschuhe, das er breit trat.

"Ich bin übrigens die Julia", flötet es neben mir.

"Andreas." Zack, fährt er eine Hand aus, dass sein Bizeps ins Zucken gerät. Okay, vielleicht sehe ich nicht aus wie ein Läufer, dafür wirkt er, als würde er das Denken eher seinem Steißbein überlassen. Macht bestimmt Triathlon, der Schönling. Chinatattoo auf dem Schulterblatt und haarfreier Waschbrettbauch. Aber Kreismeister wurde nicht er, sondern ein Zwerg mit krummer Nase.

"Beim Volkscross hast du die M 30 gewonnen", säuselt Julia.

Ach, und woher weiß sie das? Als der Typ damals von Moni abgeknutscht wurde, heulte sich Julia zuhause die Seele aus dem Leib und wollte nie wieder was von Läufern hören. Sollte ich etwa mit der saftigen Courtage geprahlt haben, die ich dem M 30-Sieger von Wilsdorf aus den Rippen geleiert hatte?

"Das war Zufall", sagen er und ich wie aus einem Mund. Ich meine, nur weil er mir ein paar tausend Euro über den Tresen geschoben hat, muss ich noch lange nicht nett zu so einem sein. Wie er sie anstarrt … meine Julia!

"Wir können ja mal zusammen trainieren", höre ich sie sagen.

 

"Gerne."

"Und dein Trainingsprogramm?", werfe ich ein. "Du bist mitten in der Taperingphase, Julia, denk dran!" Kaum ausgesprochen, wird mir klar, dass das eine saudämliche Bemerkung war. Sofort malen sich die beiden aus, wie sie die Trainingspause überbrücken könnten. Zu zweit! Ich sehe sie schon gemeinsam saufen, gemeinsam flirten, gemeinsam über Udo lästern. So weit darf es auf keinen Fall kommen. Jetzt müssen größere Geschütze her!

"Irgendwie", sage ich und blähe meine Nüstern, "irgendwie riecht es hier komisch."

 

Sofort rückt Andreas ein Stückchen beiseite. "Sorry, ich hab noch nicht geduscht. Wird gleich nachgeholt." Bevor ich meine Schulter in Sicherheit bringen kann, lässt er seine Hand auf sie fallen. "Seit dem Volkscross hat unsereins ja Duschgel bis an sein Lebensende. Stimmt's, Julia?"

Dazu lacht er schallend. Aus lauter Höflichkeit grinse ich mit. Aus Höflichkeit und Schadenfreude. Denn mit dieser Bemerkung ist er bei Julia natürlich unten durch. Ein für allemal. Als hätte man einen Schalter umgelegt, verfinstert sich ihre Miene, die Mundwinkel weisen zum Boden, und wer genau hinhört, vernimmt ein Knurren, tigerinnenmäßig: "Brauch kein Duschgel."

Tja, da verzieht er sich, unser Superathlet aus dem alten Forsthaus. Wo so viel sportlicher Ehrgeiz im prallen Wonnekörper steckt, mangelt es halt an Sensibilität. Alte Philosophenweisheit.

 

Irgendwie ist er mir plötzlich wahnsinnig sympathisch, dieser Andreas.

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